"Immer wieder wird die Praxis- und Lebensferne der theologischen Ausbildung beklagt. Weite
Kreise von Gemeindegliedern bestätigen diesen Eindruck. Ein tiefes Mißtrauen gegenüber der
Universitätstheologie ist keine Seltenheit in unseren Gemeinden. Das Unbehagen konzentriert sich
dabei besonders auf die historisch-kritische Methode. Für viele Gemeindeglieder ist sie der
Inbegriff akademischen Hochmuts gegenüber der Autorität der Heiligen Schrift, während sie an den
Universitäten hierzulande die Standardmethode ist. Nachdem die Bibel in der Hand des Laien einst
mitverantwortlich für die Schlagkraft der Reformation war, entsteht durch moderne
wissenschaftliche Exegese vielfach wieder eine faktische Ausgrenzung des Laien vom
Schriftgebrauch. Vom Religionsuntericht bis hinauf in die Methodenseminare der
Bibelwissenschaften wird darüber gestritten. Zwischen der historisch-kritischen Methode und
sowohl der persönlichen Frömmigkeit als auch der systematischen Theologie wird eine Spannung
empfunden."
In dem Aufsatz "Scriptura sui Interpres" habe ich mich auf die Suche nach einer exegetischen
Methode gemacht, die die Gräben überbrücken soll, indem sie von einer dezidiert christlichen Lehre
von der Heiligen Schrift ausgeht, anstatt die Schriften bloß als historische Dialogpartner
aufzufassen. Die vorliegende Arbeit ist der Versuch, diese Methode am Beispiel von Psalm 23
durchzuführen. Es geht mir darum, zu zeigen, dass synchrone Auslegung im Kontext des Kanons,
wie sie meist in Bibelkreisen betrieben wird, in klare methodische Schritte zergliedern lässt, so dass
sie dem Anspruch der Wissenschaftlichkeit genügt.
Einiges wurde in der praktischen Anwendung neu überdacht. Folgende Aspekte sind methodisch
besonders wichtig: Die Endgestalt des Textes ist verbindlich; Er kann nur im Horizont des
biblischen Gesamtzeugnisses richtig verstanden werden. Das führte zu einer Schwerpunktsetzung
zugunsten synchroner Auslegung. Diachrone Auslegung hat ihren Stellenwert, ist aber dem
Verstehen untergeordnet. Sie wird umso wichtiger, je mehr Bedeutung historische Daten für den
Text haben. Ein weiterer Arbeitsschritt behandelt die Rolle des Textes im Gesamtbild der
biblischen Theologie. Dies ist auch ein Brückenschlag zur systematischen Theologie. Die
Schlusszusammenfassung erfolgt in Form eines Ausblicks auf die praktische Theologie, denn in
dem Text will der lebendige Gott ja nicht nur Verstehen, sondern auch Glauben wecken. [..]
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort
- Textanalyse
- Einbettung in den Textzusammenhang
- Abgrenzung
- Übersetzung und Textkritik
- Übersetzung
- Semantische und textkritische Anmerkungen
- Poetische Analyse
- Erklärung der Begriffe und Bilder
- Jhwh als Hirte
- Jhwh als Gastgeber
- Metrum und Komposition
- Gattung und Sitz im Leben
- Historische Rekonstruktion
- Literarkritik
- Zeit, Verfasser und Redaktion
- Psalm 23 im Gesamtkontext der Heiligen Schrift
- Altes Testament (Motiv- und Traditionsanalyse)
- Rückblick auf das Grunddatum von Israels Erwählung und Errettung
- Psalm 23 im Rahmen der Gottesbeziehung Israels
- Bezüge zur David-Überlieferung
- Profetie und eschatologischer Ausblick
- Neues Testament: Jesus der gute Hirte und endzeitliche Gastgeber
- Die Bedeutung von Psalm 23 für zeitgenössischen christlichen Glauben
- Literatur
- Anhang: Scriptura sui Interpres
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht Psalm 23 im Kontext des biblischen Kanons, indem sie eine exegetische Methode anwendet, die die Kluft zwischen historisch-kritischer Methode und persönlicher Frömmigkeit überbrücken soll. Sie zielt darauf ab, eine synchrone Auslegung im kanonischen Kontext zu demonstrieren und deren wissenschaftliche Fundiertheit zu zeigen. Die Arbeit legt Wert auf die Bedeutung des Gesamtkontextes der Heiligen Schrift für das Verständnis des Psalms.
- Synchrone Auslegung von Psalm 23 im kanonischen Kontext
- Vergleich und Synthese historisch-kritischer und kanonischer Interpretationsmethoden
- Bedeutung des Psalms im Kontext der alttestamentlichen Gottesbeziehung
- Bezug des Psalms zu alttestamentlichen Traditionen und Motiven
- Relevanz des Psalms für den zeitgenössischen christlichen Glauben
Zusammenfassung der Kapitel
Das Vorwort thematisiert die Kritik an der Praxisferne theologischer Ausbildung und die Ablehnung der historisch-kritischen Methode in Gemeinden. Es wird die eigene Methode vorgestellt, die eine synchrone Auslegung im kanonischen Kontext betont. Die Textanalyse beginnt mit der Einbettung des Psalms in den Textzusammenhang des Psalters, betrachtet seine Abgrenzung und bietet eine Übersetzung mit textkritischen Anmerkungen. Die poetische Analyse erklärt die verwendeten Bilder und untersucht Metrum und Komposition. Die historische Rekonstruktion beschäftigt sich mit der Literarkritik und der Frage nach Entstehungszeit, Verfasser und Redaktion. Der dritte Abschnitt widmet sich dem Psalm 23 im Gesamtkontext der Heiligen Schrift, betrachtet Motive und Traditionen im Alten Testament und den Bezug zum Neuen Testament.
Schlüsselwörter
Psalm 23, Kanon, Exegese, Historisch-kritische Methode, Synchrone Auslegung, Altes Testament, Neues Testament, Gottesbeziehung, Hirtenmetapher, Biblische Theologie, Kanonischer Kontext, Frömmigkeit.
- Arbeit zitieren
- Otto Guggemos (Autor:in), 1999, Der Herr ist mein Hirte. Psalm 23 ausgelegt als Bestandteil des biblischen Kanons, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/108851