Inhaltsverzeichnis
Zur Person Friedrich Dürrenmatt
Zu: Romulus der Große – Eine Ungeschichtliche historische Komödie
Die Physiker – Eine Komödie in zwei Akten
Ein Engel kommt nach Babylon – Fragmentarische Komödie
Der Richter und sein Henker – Roman
Der Meteor – Eine Komödie (In: Nobelpreisträgerstücke)
Die Panne – Ein Hörspiel
Der Besuch der alten Dame – Eine tragische Komödie
Theaterprobleme (1954)
Anmerkung zur Komödie
Dürrenmatts Theaterauffassung (leicht erklärt [Manfred Eisenbeis: Lektürehilfen])
Kommentare/Interpretationen/Stellungsnahmen und Kritik zu Dürrenmatt und seinem Werk
Literatur
Zur Person Friedrich Dürrenmatt
1921 in Konolfingen, Sohn eines Pfarrers im Kanton Bern, studierte Philosophie, u.ä.,
Dürrenmatt gehört zu den bekanntesten und erfolgreichsten Schriftstellern, seine Auffassung ist, dass die Wirklichkeit nur im Paradoxen zu finden, die Welt nur mit Ironie und Witz zu ertragen ist. So werden seine Komödien immer Tragikomödien, weil er mit furchterregender Fantasie die dämonische Bedrohung des Menschen durch die Macht schildert. Die Welt wirkt grotesk, grausam und komisch in seinen Theaterstücken, das Publikum wird angegriffen, herausgefordert, wachgerüttelt. Der Zuschauer erlebt sich als Spielball unberechenbarer Kräfte, von Millionären und Wissenschaftlern, von paradoxen Überraschungen und Zufällen. So ergibt sich immer ein Widerspruch zwischen dem Denken und Handeln eines Menschen, weil das moderne Leben und seine Institutionen unüberschaubar, anonym und bürokratisch geworden sind. Diese verwirrende Realität will Dürrenmatt durch Überbelichtung und Verzerrung anschaulich machen, um bei seinen Zuschauern einen Schritt zur Erkenntnis zu bewirken. Der Moralist Dürrenmatt will die Wahrheit sichtbar machen, indem er die Unwahrheit sichtbar macht. Er als Schweizer beteiligt sich nicht an der Schelte über das kapitalistische System der BRD, sondern er greift in bissigen Satiren die Menschen selbst an, ihre Sattheit und Starre in der Wohlstandsgesellschaft, ihre Vorliebe für Bürgerruche und ihre Neigung zur Selbstverwirklichung, zur Abkapselung in der Familien- und Freizeitwelt und zur Abschirmung allem Politischen gegenüber
Zu: Romulus der Große – Eine Ungeschichtliche historische Komödie
Personen:
Romulus Augustus, Kaiser von Westrom
Julia, seine Frau
Rea, seine Tochter
Zeno der Isaurier, Kaiser von Ostrom
Ämilian, Römischer Patrizier
Mares, Kriegsminister
Tullius Rotundus, Innenminister
Spurius Titus Mamma, Reiterpräfekt
Achilles, Kammerdiener
Pyramus, Kammerdiener
Apollyon, Kunsthändler
Cäsar Rupf, Industrieller
Phylax, Schauspieler
Odoaker, Fürst der Germanen
Theoderich, sein Neffe
Phosphoridos, Kämmerer
Sulphurides, Kämmerer
Ein Koch
Dienstmänner
Eilbote Germanen
4 Akte
Zeit: vom Morgen des 15. bis zum Morgen des 16. März 476 n.Chr. (die Iden des März)
Ort: Villa des Kaisers Romulus in Campanien
Geschrieben im Winter 1948/49, Uraufführung im Stadttheater Basel am 23.4.1949, (Neufassung 1980)
Dürrenmatts erste Komödie, wird auch als erstes Dürrenmatt Stück in Deutschland aufgeführt, verschiedene Fassungen folgen (1949 in Zürich, 1957 in Zürich, 1958 als Ausgabe, 1961 als neue Ausgabe, 1964 in Paris, 1980 Werksausgabe (beruht auf der 2.(1957) und 4.(1964) Fassung). Vorführungen gibt es auch in Österreich, Frankreich, Argentinien, USA und Polen (zw. ´58-´61), 1965 Fernsehfassung (der Fassung von 1964/Paris) in Deutschland, 1971 in Frankreich
Der Präfekt Spurius Titus Mamma kommt mit seinem Pferd, beide völlig erschöpft und abgekämpft (seit 2 Tagen ununterbrochen geritten) im kaiserlichen Sommersitz (den der Kaiser auch im Winter bewohnt) an. Er scheucht dabei Hühner auf, eilt durch die Villa und sucht den Kaiser. Er findet endlich im Arbeitszimmer die uralten Kammerdiener des Kaisers. Er will den Kaiser sprechen ist aber nicht angemeldet, er überbringt schlimme Nachricht aus Pavia („Das römische Weltreich kracht zusammen!“). Die Kammerdiener halten dies für unmöglich, ebenso wie der Sturm der Germanen („Die kommen schon seit 500 Jahren“). Spurius sieht es als seine patriot. Pflicht an, mit dem Kaiser zu sprechen. „Wir halten einen Patriotismus nicht für wünschenswert, der zu einem kulivierten Betragen im Gegensatz steht. Sie geben ihm aber den Tipp, sich bei den ankommenden Personen eintragen zu lassen und den Innenminister um eine Bewilligung zu bitten, dann könne er im Laufe der nächsten Tage/Wochen die Nachricht vorbringen (STM: „Unglückseliges Rom! An zwei Kammerdienern bist du zu Fall gekommen!).
Kaiser Romulus Augustus (mit Purpurtoga, goldenem Lorbeerkranz, über 50, ruhig, behaglich, klar) tritt auf. Er erkennt, dass die Iden des März´ sind, an dem Beamte/Angestellte des Reichs besoldet werden (im Glauben, so die Ermordung der Kaiser zu verhindern). Jedoch ist der Finanzminister mit der (leeren) Staatskasse geflüchtet (um so den Staatsbankrott zu verschleiern – R.: „Ein kluger Mann. Wer einen großen Skandal verheimlichen will, inszeniert am besten einen kleinen. Es sei ihm der Titel ‚Retter des Vaterlandes’ verliehen.“). Romulus gibt nun jedem ein Lorbeerblatt als Bezahlung (den Rest sollen sie aber wieder zurückgeben für den Koch: „Ich sollte noch den Koch bezahlen, den wichtigsten Mann meines Reiches.“) (von anfänglich 36 besitzt er nur noch 5 an seinem Kranz, Sinnbild kaiserlicher Macht). Romulus Augustus (seine Hauptbeschäftigung/Leidenschaft ist die Hühnerzucht) frühstückt nun (die Julier: Augustus, Tiberius haben wie auch die Flavier: Domitian (von dem R. das Ei nicht Essen will: R: „War ein schlechter Kaiser. Er kann Eier legen, soviel er will, ich esse sie nicht“) haben nichts gelegt. Gelegt haben nur Marc Aurel (1 Ei) und Odoaker (2 Eier), auch Feldherr Orestes, der Odoaker (den Germanenfürsten) besiegen soll, hat nichts gelegt (daher befiehlt Romulus Orestes und auch die Henne Romulus und sein Vorgänger Julius Nepos (aus dem gleichen Grund) zu schlachten – „Wer nichts taugt, taugt in der Pfanne.“). Romulus will nun nur noch Odoakers Eier essen („Man soll von den Germanen nehmen, was sie Gutes hervorbringen, wenn sie schon einmal kommen.“). Der Innenminister tritt auf mit einer schlimmen Nachricht, die er von Spurius erhielt (Romulus dachte dagegen, es ging um seine Bezahlung, die er nicht leisten könne). Romulus ist aber weiterhin an der Nachricht nicht interessiert (und befiehlt Spurius Ruhe – „Meldungen stürzen die Welt nie um. Das tun die Tatsachen, die wir nicht ändern können, da sie schon geschehen sind. Die Meldungen regen die Welt nur auf, man gewöhne sie sich deshalb so weit als möglich ab.“). Der Kunsthändler Apollyon tritt auf, der Büsten der Kaiser von Romulus aufkauft (davon war Cicero ein Sonderfall: „Habe 500 Gipsabdrücke an die Gymnasien verschicken können...“) Julia, Romulus Frau tritt nun auf, sie weiß von der schrecklichen Nachricht und will nun wissen, was ihr Inhalt ist. Romulus weißt sie aber ab („Ich bin vielleicht Roms letzter Kaiser und nehme schon aus diesem Grunde eine etwas trostlose Stellung in der Weltgeschichte ein. Ungünstig komme ich auf alle Fälle weg. Nur einen Ruhm lasse ich mir nicht rauben: Man soll von mir nicht sagen dürfen, ich hätte jemals den Schlaf eines Menschen unnötigerweise gestört.“). Rea (Tochter von Romulus, nimmt gerade Schauspielunterricht in der griechischen Tragödie der Antigone; R dagegen: „Übe dich in der Komödie...Wer aus dem letzten Loch pfeift wie wir alle, kann nur noch Komödien verstehen.“) tritt auf. Mares, der Kriegsminister, kommt hinzu und fordert Romulus auf, Spurius (der immer noch nicht schläft) und dessen Nachricht anzuhören. Da Odoaker sein 3. Ei legte, schließt Romulus nun darauf, dass Pavia gefallen ist (was Mares bestätigt). Alle römischen Soldaten scheinen übergelaufen. Romulus nimmt dies hin, sieht aber kein Grund aktiv zu handeln. Kaiser Zeno der Isaurier (Kaiser Ostroms) bittet nun um Asyl (mit seinen 2 Kämmerern, die von Romulus nicht eingelassen/später eingesperrt werden, fordern Zero unablässig auf das byzantinische Zeremoniell vorzutragen). Auch er hat sein Reich verloren und fordert von Romulus den gemeinsamen Kampf gegen die Barbaren. Romulus hat aber andere Sorgen (er muss das Hühnerfutter noch bezahlen). Die Nachricht geht nun ein, dass die Germanen nach Rom vordringen. Apollyon bietet für alle Büsten 10 Goldstücke, Romulus, der erste Kaiser, überlässt er dem Kaiser. („Aber mein Namensvetter!“ - „Eine Schülerarbeit. Deshalb zerbröckelt sie schon“). Romulus ist damit einverstanden („Wir haben Ausverkauf.“). Er befördert nun den Kriegsminister Mares zum Reichsmarschall, der sofort „totale Mobilmachung“ fordert (jedoch ohne Erfolg, da es keine Soldaten mehr gibt). Cäsar Rupf, germanischer Hosenfabrikant, tritt auf. Er meint der Zusammenbruch sei nur noch zu verhindern, wenn alle Hosen tragen. Er bietet Romulus ein Abkommen an, er investiert gerade soviel, dass der Staat nicht zugrunde geht, besticht Odoaker, dass dieser Italien nicht erobert (schon mit Odoaker abgeklärt) und erhält im Gegenzug Romulus´ Tochter Rea, sowie eine Erklärung die Hosen als obligatorisch verlauten lässt. Anders würde Rupf das gleiche Geschäft mit Odoaker machen. Julia (R´s Frau) ist damit einverstanden, Romulus weigert sich aber (nicht das Reich, sondern) seine Tochter zu verkaufen. Julia (auch Zeno) die in diesem Vorhaben Roms Rettung sehen, schämen sich für Romulus. Spurius tritt auf und überbringt nun die Nachricht. R: „Rom ist längst gestorben. Du opferst dich einem Toten, du kämpfst für einen Schatten, du lebst für ein zerfallenes Grab. Geh schlafen, dein Heldentum hat sich in der heutigen Zeit in eine Posse verwandelt“, STM: „Rom hat einen schändlichen Kaiser“ [Ende 1. Akt]
[Nachmittag] Eine neue Botschaft tritt ein: Die Germanen sind in Rom. Der Kriegsminister und der Innenminister beschließen, nach Sizilien zu flüchten und dort den Kampf gegen die Germanen wieder aufzunehmen (am besten mit einer Flotte, da die Germanen keine Flotte haben, allerdings hat auch Rom keine Flotte). Ämilian tritt nun auf und wünscht den Kaiser zu sprechen. Ämilian spricht mit dem Innenminister über die Taktik (Der IM: „Unser Widerstand ist auf lange Sicht berechnet. Gottes Mühlen mahlen langsamEin so vollkommen durchorganisiertes juristisches Gebilde wie das römische Imperium steht auf Grund seiner inneren Werte auch die schlimmsten Krisen durch. Unsere höhere Kultur wird die Germanen besiegen.“ Ämilian: „Ich war ein Wesen höherer Kultur.“ IM: „So schreiben sie wieder, so dichten Sie wieder. Der Geist besiegt das Fleisch.“ Ä: „Wo ich herkomme, haben die Fleischer den Geist besiegt.“). Währenddessen macht sich die Kaiserin zum Aufbruch bereit. Rea mit ihrem Schauspiellehrer gerade wieder die Antigone übend, tritt auf. Sie begegnet ihrem Verlobten Ämilian, erkennt ihn aber erst als dieser ihr seinen Ring zeigt. Ämilian (der Rea, aber sich selbst auch, fremd geworden ist) fordert sie zum Kampf auf, Rea erachtet diesen als sinnlos. Ein Eilbote erscheint und verkündet, dass die Germanen direkt auf die Sommerresidenz hinmarschieren. Der Innen- und der Kriegsminister versuchen nun weiterhin ein Schiff aufzutreiben. Rupf trifft auf, Ämilian wird nun die Sache erklärt (Odoaker würde für 10 Mio. Italien räumen; Rupf würde dies bezahlen, fordert dafür aber Rea als Frau). Dieser fordert eine Versammlung des Hofstaates. (Zwischendurch tritt immer der völlig übermüdete STM auf, der nicht schlafen will). Ämilian fordert nun Rea auf, Rupf zu heiraten. Ebenso auch der Hof. Rea widerstrebt dies, willigt aber ein. Mares, Zeno und seine Diener sehen dies, als die Rettung Roms an. Sie wollen jubeln, da erscheint der IM Rotundus und fordert auf, dass Verbrennen der Archive einzustellen. Romulus tritt auf (Ä: „Sei gegrüßt Cäsar der Hühner und Stratege des Eierlegens! Heil dir, den die Soldaten Romulus den Kleinen nennen.“). Romulus erkennt Ämilian sogleich. (Ä darauf: „Ws gab Kaiser, denen rief man zu: Gut gesiegt, Erhabener? Anderen: Gut gemordet, Majestät? Und so wird man dir zurufen: Gut geschlafen, Kaiser Romulus?). Beide erzählen ihr Schicksal (Romulus ging es gut; Ämilian in seiner Gefangenschaft schlecht, er erzählt von seiner Gefangenschaft und von den Leiden des Krieges). Der Kaiser verweigert aber die Eheschließung (R: „Der Kaiser weiß, was er tut, wenn er sein Reich ins Feuer wirft, wenn er fallen lässt, was zerbrechen muss, und zertritt, was dem Tode gehört.“). Romulus geht nun Hühner füttern. Ämilian: „Dieser Kaiser muss weg!“ [Ende 2. Akt]
[Nacht, in Romulus´ Schlafzimmer] Romulus legt sich schlafen. Julia tritt auf und verkündet, dass sie diese Nacht abreisen werde, um in Sizilien den Widerstand gegen den Feind fortzusetzen. R. dagegen: „Man steckt eine Welt nicht in Brand, die schon verloren ist.“. Romulus bleibt aber zurück, er will nicht fliehen. Romulus gesteht seiner Frau, dass er sie nur geheiratet hat, um Kaiser zu werden (aus Notwendigkeit) und meint auch sie hätte ihn geheiratet, um Kaiserin zu werden (allerdings aus Ehrgeiz). Sie stimmt diesem zu. R.: „Es ist meine politische Einsicht, nichts zu tun. Ich bezweifle nur die Notwendigkeit unseres Staates. Er ist ein Weltreich geworden und damit eine Einrichtung, die öffentlich Mord, Plünderung, Unterdrückung...auf Kosten der andern Völker betrieb, bis ich gekommen binDas römische Weltreich besteht seit Jahrhunderten nur noch, weil es einen Kaiser gibt. Es blieb mir deshalb keine andere Möglichkeit, als selbst Kaiser zu werden, um das Imperium liquidieren zu können“ Aus diesem Grund und weil nach R. die Welt wahnsinnig ist, hat er seine Frau geheiratet. Romulus: „Ich bin Roms Richter“. Die Kaiserin verschwindet daraufhin. Rea tritt auf. Sie ist bereit Rupf zu heiraten und bittet ihren Vater um dieses. Dieser weigert sich weiterhin, weil Rupf Rom retten wird und will, um dies zu tun muss man wahnsinnig sein. („Das Vaterland kann nur noch mit Geld gerettet werden, oder es ist verloren. Wir müssen zwischen einem katastrophalen Kapitalismus und einer kapitalen Katastrophe wählen. Du kannst Rupf nicht heiraten, du liebst Ämilian“). Rea will aber so das Vaterland retten. Romulus entgegnet: „Man soll v.a. gegen sein Vaterland misstrauisch sein. Es wird niemand leichter zum Mörder als ein Vaterland.“ Rea: „Unsere unbedingte Liebe zum Vaterland hat Rom groß gemacht.“ R.: Aber sie hat Rom nicht gut gemacht. Wir haben mit unseren Tugenden eine Bestie gemästet...Ich bin nicht wie jemand, der dem Staat noch einen guten Appetit wünscht, wenn er seine Kinder fressen will.“ Obwohl Ämilian Rea nicht mehr liebt, sondern nur noch Rom, fordert Romulus Rea auf, ihn trotzdem zu lieben: „Rom wird zugrunde gehen, und er wird nichts mehr besitzen als deine Liebe.“. Er verabschiedet sich von seiner Tochter (da er glaubt von den Germanen ermordet zu werden). Ämilian, der heimlich ins Zimmer kam, von Romulus aber entdeckt wurde, stößt nun mit diesem auf die („fürchterliche“) Gerechtigkeit an. Weiterhin erscheint (ebenso im heimlichen Versuch) der Innenminister Tullius Rotundus (sichtbar mit einem Dolch), der Kaiser Ostroms Zeno der Isaurier mit seinen beiden Kämmerern, Spurius Titus Mamma (auch sichtbar mit Dolch), Mares mit seinem Adjutanten und der Koch (bei dem Romulus sichtlich erschüttert ist). Alle sind Schwarz bekleidet. Alle wollen mit ihm reden. Sie verlangen die Provinzen, Legionen und das Imperium zurück. Sie fordern von Romulus Rechenschaft. Der verneint: „Wenn ich mit eurer Hilfe die Welt erobert hätte, wäret ihr berechtigt, so zu reden, aber ich habe eine Welt verloren, die ihr nicht gewonnen habt. Ich gab sie wie eine schlechte Münze aus meinen Händen. Ich bin frei. Ich habe mit euch nichts zu schaffen. Ich bin nur einem unter euch Rechenschaft schuldig, Ämilian.“ (weil dieser geschändet wurde und sich nicht wehrte). Romulus´ Rechtfertigung: „Nicht ich habe mein Reich verraten, Rom hat sich selbst verraten. Es kannte die Wahrheit, aber es wählte die Gewalt. Es kannte die Menschlichkeit, wählte aber Tyrannei. Es hat sich vor sich selbst und den Völkern erniedrigt.“ Rom hat sich durch Blut und Tod einen Thron geschaffen. „Seine Schuld ist nicht abgetragen, seine Verbrechen nicht getilgt. Die Flüche seiner Opfer haben sich erfüllt. Der unnütze Baum wird gefällt. Die Germanen kommen. Wir haben fremdes Blut vergossen, nun müssen wir mit dem eigenen zurückzahlen. Es geht um Gerechtigkeit. Gib Antwort auf meine Frage: Haben wir noch das Recht, uns zu wehren/mehr zu sein als ein Opfer?“. Ämilian schweigt daraufhin. Romulus sagt nun, dass es im klar sei, was alle von ihm wollen (nämlich ihn töten). Doch: „Ich glaubtet zu einem Wehrlosen zu gehen, nun springe ich auch an mit den Tatzen der Wahrheit und packe euch mit den Zähnen der Gerechtigkeit. Nicht ich bin angegriffen, ich greife euch an. Ich habe wissentlich das Vaterland zugrunde gerichtet, das ihr verteidigen wollt. ...Tötet mich, wenn ihr glaubt, ich sei im Unrecht, oder ergebt auch den Germanen, wenn es die Wahrheit ist, dass wir kein Recht mehr haben, uns zu wehren. Antwortet.“ Ämilian reißt darauf hin sein Dolch in die Höhe und sagt „Es lebe Rom!“. Die anderen zücken ebenfalls ihren Dolch und schreiten auf Romulus zu. Im gleichen Augenblick ruft es: „Die Germanen kommen!“ Alle (außer STM der eingeschlafen ist) rennen panisch hinaus, obwohl die Germanen noch so weit weg sind, dass sie erst morgen Romulus erreichen. Romulus legt sich schlafen und sagt zu seinem Kämmerer: „Wenn dann die Germanen da sind, sollen sie hereinkommen.“ [Ende 3. Akt]
[Morgen, ein neuer Tag, im Arbeitszimmer Romulus]
Romulus´ beide Kämmerer (Achilles und Pyramus) erwarten den Kaiser. Beide dienten 70 Jahre unter 11 Kaisern und müssen nun das Ende des römischen Staates miterleben („Wir waren in jeder Hinsicht die einzig wirklich stabilen Säulen des Kaisertums...Wenn wir abtreten, kann man sagen: Jetzt ist die Antike zu Ende!“). Die beiden trauern um ihre Bildung, um das Lateinische und Griechische. Romulus tritt auf. Er erfährt, dass Rea, Ämilian, Julia, der Koch, der Innenminister und der Reichsmarschall bei ihrer Überfahrt nach Sizilien ertrunken sind. Nur Zeno der Isaurier und seine beiden Diener konnten sich retten. Romulus ist sich gewiss, dass er von den Germanen getötet wird („Wer bald sterben muss, beweint nicht die Toten.“, die beiden Kämmerer sind zu alt zum weinen). Romulus will nun zu morgen essen („Es gibt kein Reich mehr, das trauern könnte, und ich selbst will untergehen, wie ich gelebt habe.“). Er sieht dieses als seine Henkersmahlzeit. Augustus, Tiberius, die Julier legten wieder nichts. Domitian (1), Marc Aurel (1, das Ei isst Romulus) und Odoaker (3, „Passt auf, das Huhn legt heute Rekord“) legten Eier. Die beiden Kämmerer teilen Romulus mit, dass sie (da sie hier sehr wenig verdienten) Diener Rupfs werden wollen (4000 Sesterzen/Jahr, 4 Nachmittage frei, Zeit für ihre Memoiren zu schreiben). Romulus entlässt sie und gibt ihnen die zwei letzten Blätter seines goldenen Kranzes (die letzte finanzielle Handlung seiner Regierung). Nun kommen die Germanen. Die beiden Kämmerer verschwinden. Die Germanen (in Hosen) erscheinen. Ein Germane schickt die anderen hinaus. Romulus und der Germane müssen beide ihre Vorurteile über Bord werfen (Romulus sah Germanen als blaue Augen, rotblonde Haaren, barbarische Riesenleiber, jedoch scheint der Germane eher ein verkleideter, byzantischer Botaniker zu sein, Der Germane sah in Römern Tapferkeit, aber außer Romulus ist niemand da). Romulus bewundert nun die Hosen und die Hosenträger des Germanen (der um sie zu zeigen Romulus das Schwert reicht, dieser gibt es dann zurück). Der Germane versucht den Spargelwein, findet Bier aber besser. Es stellt sich heraus, dass beide Hühnerzüchter sind. Romulus erläutert seine Hühnerzucht und preist das Huhn Odoaker. Der Germane gibt an, dieses selbst importiert zu haben und stellt sich nun als Odoaker auch vor. Auch Romulus stellt sich vor (obwohl Odoaker dies schon weiß). Romulus teilt ihm mit, dass er bereit ist zu sterben. Odoaker hat anderes im Sinn, er will sich mit seinem ganzen Volk Romulus unterwerfen. Odoaker erklärt, dass sein Neffe Theoderich, ein Held und Ideal der Germanen darstellt. Das Volk träumt mit ihm von der Weltherrschaft und so musste Odoaker diesen Feldzug unternehmen und sich der Öffentlichkeit beugen. Er wollte den Krieg human führen, jedoch ist jeder Krieg bestialisch. Er versuchte, den Feldzug abzubrechen und Rupfs Angebot anzunehmen (noch waren die Hauptleute bestechlich). Odoaker fordert Romulus auf ihn zu retten, um der Ermordung seines Neffen entgehen zu können. Odoaker: Ich bin ein Bauer und hasse den Krieg. Ich suche eine Menschlichkeit, die ich in den germanischen Urwäldern nicht finden konnte. Ich fand sie in dir, Kaiser Romulus. Dein Oberhofmeister Äbius hat dich durchschaut.“ Äbius, im Auftrag Odoakers an Romulus´ Hofberichtete nur Gutes von einem gerechten Menschen. Romulus dagegen: „Er hat von einem Narren berichtet. Ich legte mein ganzes Leben auf den Tag hin an, da das römische Imperium zusammenbrechen würde. Ich gab mir das Recht, Roms Richter zu sein, weil ich bereit war zu sterbenIch ließ das Blut meines Volkes fließen, indem ich es wehrlos machte, weil ich selbst mein Blut vergießen wollte. Und nun soll ich leben, soll ich als der dastehen, der sich allein retten konnte.“ Die ganze Romulus´ Familie starb. „Ich ertrug dies mit Leichtigkeit, weil ich zu sterben glaubte, nun trifft sie mich unbarmherzig, nun widerlegt sie mich unbarmherzig. Es ist alles absurd geworden, was ich getan habe. Töte mich, Odoaker.“ Odoaker will sich weiterhin unterwerfen, um so die Welt vor seinem Neffen und so vor einem zweiten Rom, einem germanischen Weltreich, ebenso vergänglich wie das römische, ebenso blutig, zu bewahren. So wäre Romulus´ Werk, die Zerstörung Roms sinnlos. Romulus lehnt dies auch ab („Du hast mir die Berechtigung meines Handelns aus der Hand geschlagen.“). Romulus fordert seinen Tod, Odoaker lehnt ab („Dein Tod wäre sinnlos, denn einen Sinn könnte er nur haben, wenn die Welt so wäre, wie du sie dir vorgestellt hast. Du musst dich nun in dein Schicksal fügen.“). Beide einigen sich nun, dass Romulus pensioniert wird und er Odoaker zum König von Italien ausruft. Auch Odoaker muss sich mit seinem Schicksal abfinden (irgendwann durch Theoderich getötet zu werden). Beide wollten Schicksal spielen und sind daran gescheitert (R.: „Wir glaubten, die Welt aus unseren Händen fallen lassen zu können, du dein Germanien und ich mein Rom, nun müssen wir uns mit den Trümmern beschäftigen. Die können wir nicht fallen lassen. Ich richtete Rom, weil ich seine Vergangenheit fürchtete, du Germanien, weil es dir vor deiner Zukunft grauste. Wir ließen uns von zwei Gespenstern bestimmen, denn wir haben keine Macht über das, was war, und über das, was sein wird. Macht haben wir nur über die Gegenwart, an die wir nicht gedacht haben und an der wir nun beide scheitern. Ich muss sie nun in der Pensionierung durchleben, alle, die ich liebte, viele Unglückliche auf dem Gewissen.“ O: „Und ich werde regieren müssen.“ R: „Die Wirklichkeit hat unsere Ideen korrigiert.“ R: „Ertragen wir denn das Bittere. Versuche, Sinn in den Unsinn zu legen, in den wenigen Jahren, die dir bleiben, die Welt treu zu verwalten. Schenke Germanen und Römern Frieden. Herrsche nun du. Einige Jahre wird die Weltgeschichte vergessen, weil es unheldische Jahre sein werden - aber sie werden zu den glücklichsten Jahren dieser wirren Erde zählen.“ Odoaker und Romulus ist bewusst, dass Odoakers Neffe beide töten wird (um die Macht zu erlangen und um die Schmach vor Romulus zu knien vergessen zu machen). Beide treten vor die Germanen, Odoaker preist die Menschlichkeit Romulus´. Romulus löst sein Imperium auf und ernennt Odoaker zum König von Italien. Odoaker pensioniert nun Romulus (mit einer Pension von 6000 Goldmünzen/Jahr). Romulus übergibt Reichsschwert, Lorbeerkranz, Kaisertoga und den Senat. Er nimmt nur die Büste des „Königs Romulus, der Rom gegründet hat, das ich nun liquidiere“ mit. Aus dem Hintergrund stürzt Spurius Titus Mamma hervor und will den Kaiser töten. Odoaker stellt sich ihm entgegen und erklärt, dass es weder Kaiser noch Reich mehr gibt. STM: „Dann hat der letzte kaiserliche Offizier den Untergang seines Vaterlandes verschlafen!“ R: „Damit, meine Herren, hat das römische Imperium aufgehört zu existieren.“ [Ende 4.Akt]
Der letzte Kaiser des Römerreich entschließt sich, das Imperium, das zum Untergang bestimmt ist, nicht gegen die Germanen zu verteidigen. Als die Eroberer Odoaker und Theoderich im Palast erscheinen, finden sich die Staatsmänner, die um der Geschichte willen Todfeinde sein müssten, in ihrem gemeinsamen Interesse an der Hühnerzucht. „Romulus der Große“ ist ein Stück wider das falsche Heldentum, zugleich ein Plädoyer für den Menschen, der den Mut hat, „furchtlos das Richtige“ zu tun. Hier zeichnet sich erstmals die Figur ges „ironischen Helden“ ab, des Menschen, der nachgedacht hat und nicht mehr mitmacht. Er ist für Dürrenmatts Schaffen von großer Bedeutung.
Es scheint entscheidend, dass Dürrenmatt nicht einfach den Ausverkauf einer Kultur zeigt, was eine zynische oder sarkastische Farce lieferte und weiter nichts, sondern im Mittelpunkt einen Menschen, der diesen Ausverkauf vollzieht im Sinne einer Erkenntnis, im Sinne einer unerschütterlichen Bejahung. Mit seinem Sinn für Absurdität, hinter dem sich Reife und Intelligenz verbergen, macht sich Romulus lustig über die Aufgeblasenheit der Vergangenheit und wirft einige scharfsinnige Blicke auf die Gegenwart.
Romulus beweist nach Dürrenmatt nur deshalb Größe, weil er bewusst auf Heldentum verzichtet und Hühner züchtet, um so den Untergang des Römischen Reiches zu beschleunigen. Nach dem Urteil der Massen ist Romulus zum Feigling geworden, obwohl er den Mut hat, die Humanität in einer waffenstrotzenden Welt zu retten.
Anmerkungen von Dürrenmatt zu Romulus
Eine schwere Komödie, weil sie scheinbar leicht ist. So werden viele im Romulus nichts als eine bloße Witzelei sehen und das Stück irgendwie zwischen Theo Lingen und Shaw ansiedeln. Dieses Schicksal ist jedoch für Romulus nicht ganz so unpassend. Er spielte 20 Jahre den Hanswurst, und seine Umgebung kam nicht darauf, dass auch dieser Unsinn Methode hatte. Dies sollte zu denken geben. Meine Figuren sind nur von der Gestalt her darzustellen. Wie ist z.B. Ämilian darzustellen? Er ist die Gegengestalt zu Romulus. Sein Schicksal ist menschlich zu sehen, mit den Augen des Kaisers gleichsam, der hinter der Fassade der geschändeten Offiziersehre „das tausendfach besudelte Opfer der Macht“ erspäht. Romulus nimmt Ämilian ernst, als den Menschen, der gefangen, gefoltert wurde, der unglücklich ist. Was er nicht akzeptiert, ist die Forderung: „Geh, nimm ein Messer“, die Verschacherung der Geliebten, damit das Vaterland lebe. Menschlichkeit ist vom Schauspieler hinter jeder meiner Gestalten zu entdecken, sonst lassen sie sich gar nicht spielen. Dies gilt für alle meine Stücke. Die Schwierigkeit bei Romulus, liegt darin, dass er dem Publikum nicht allzu schnell sympathisch erscheinen darf (leicht gesagt, vielleicht auch fast nicht zu erreichen, doch muss dies als Taktik im Auge behaltet werden). Das Wesen des Kaisers darf sich erst im 3. Akt enthüllen. Im 1. Akt muss der Ausspruch des Präfekten: „Rom hat einen schändlichen Kaiser“, im 2. jener Ämilians: „Dieser Kaiser muss weg“ begreiflich sein. Hält im 3. Akt Romulus Gericht über die Welt, hält im 4. Akt die Welt Gericht über Romulus. Man sehe genau hin, was für einen Menschen ich gezeichnet habe, witzig, gelöst, human, gewiss, doch im letzten ein Mensch, der mit äußerster Härte und Rücksichtslosigkeit vorgeht und nicht davor zurückschreckt, auch von andern Absolutheit zu verlangen, ein gefährlicher Bursche, der sich auf den Tod hin angelegt hat; das ist das Schreckliche dieses kaiserlichen Hühnerzüchters, dieses als Narr verkleideten Weltenrichters, dessen Tragik genau in der Komödie seines Endes, in der Pensionierung liegt, der dann aber – und nur dies macht ihn groß – die Einsicht und die Weisheit hat, auch sie zu akzeptieren.
Romulus Augustus war 16 als er Kaiser wurde und 17 als er abdankte und in die Villa des Lukull nach Campanien zog. Die Pension betrug 6000 Goldmünzen und seine Lieblingshenne soll Roma geheißen haben. Das ist das Historische. Die Zeit nannte ihn Augustulus, ich machte ihn zum Mann, dehnte seine Regierungszeit auf 20 Jahre aus und nenne ihn den „Großen“. Wichtig ist mir: Es geht mir nicht darum, einen witzigen Mann zu zeigen. Hamlets Wahnsinn ist das rote Tuch, hinter dem sich der Degen verbirgt, der Claudius gilt, Romulus gibt einem Weltreich den Todesstoß, das er mit seinem Witz hinhält. Auch lockte es mich, einmal einen Helden nicht an der Zeit, sondern eine Zeit an einem Helden zugrunde gehen zu lassen. Ich rechtfertige einen Landesverräter. Nicht einen von denen, die wir an die Wand stellen mussten, aber einen von denen, die es nie gibt. Kaiser rebellieren nicht, wenn ihr Land unrecht hat. Sie überlassen dies den Laien und nennen es Landesverrat, denn der Staat fordert immer Gehorsam. Aber Romulus rebelliert. Auch wenn die Germanen kommen. Dies sei gelegentlich zur Nachahmung empfohlen. Ich will mich präzisieren. Ich klage nicht den Staat, der recht, sondern den Staat an, der unrecht hat. Das ist ein Unterschied. Ich bitte, den Staaten scharf auf die Finger zu sehen, und sehe ihnen scharf auf die Finger. Es ist nicht ein Stück gegen den Staat, aber vielleicht eins gegen den Großstaat. Dem Staat gegenüber soll man zwar klug wie eine Schlange, aber um Gottes willen nicht sanft wie eine Taube sein...Tiefsinn ist Luxus geworden. Ich will nicht unsere Mängel mit der Zeit ausreden, doch sollte auch die Zeit uns ausreden lassen. Sie fährt uns aber immer wieder mit ihren Handlungen über den Mund. Wir haben es nicht leicht.
Strindberg: Attila: „...Odoaker, der den Sohn des Orestes stürzte, und der war kein anderer als der letzte Kaiser Romulus Augustus. Er hieß sonderbarerweise Romulus, wie Roms erster König, und Augustus, wie der erste Kaiser. Und er beschloss sein Leben als Verabschiedeter, mit einer Pension von 6000 Goldmünzen in einer Villa in Campanien, die vorher Lucullus besessen hatte. Dürrenmatt konzipierte die Komödie so, „dass mir als erstes die Schlusssätze jedes Aktes klar wurden: „Rom hat einen schändlichen Kaiser“, „Dieser Kaiser muss weg“, „Wenn dann die Germanen da sind, sollen sie hereinkommen.“ „Damit hat das römische Imperium aufgehört zu existieren“. Auf diesen 4 Schlusssätzen konstruierte sich die Handlung wie von selbst. Neben Strindbergs Attila hatte auch Fontanes Der Stechlin das Stück beeinflusst. „Der alte Dubslav von Stechlin, eine meiner Lieblingsfiguren, ist ein geistiger Vater meines letzten Kaisers von Rom geworden.“
Romulus der Große wurde 1957 neu bearbeitet, darin v.a. der 4. Akt. Dieser erweckte ursprünglich erheblichen Protest, besonders Odoakers Ankündigung: „Ich kehre mit meinen hunderttausend Soldaten im Trauermarsch nach Germanien zurück und klettere mit meinem ganzen Volk wieder auf dei Bäume“ stieß auf laute Missbilligung. (weitere Veränderungen, in der 1. Fassung war: die Hühner, außer Odoaker wurden von einem germanischen Kriegshund gefressen; Romulus fragt seine Kammerdiener, ob nicht eine weitere Stelle bei Rupf frei wäre; Romulus vergisst, dass die Germanen schon an dem (heutigen) Tag kommen; Ein Germane tritt auf, er verweist darauf, dass alle Urgermanen so wie er aussehen, da „sie sich im Laufe der Jahrtausende leider mit arischen Völkern vermischt haben und blond und blauäugig geworden sind.“, R: „Ich sehe, dass wir in Italien von den Rassen eine ganz falsche Vorstellung haben.“ G: „Ich sage Ihnen: das Arische in uns ist unser Pech.“; der Germane gibt Romulus das Schwert unabsichtlich und glaubt dann, dass dieser, da er nun das Schwert hat und sich als Romulus ausgibt, ihn töten wolle. Romulus verneint dies; der Germane wird misstrauisch; Romulus sieht in diesem einen Untertan („Dem Kaiser gehört auch Germanien... Er geht nicht zum Feind, lässt den Feind kommen, ist wie eine Spinne. Er wartet und packt dann blitzschnell zu, wenn der Feind dort ist, wo ihn der Kaiser haben will“); der Germane glaubt so er sei umstellt, wundert sich, dass er nicht getötet wird, stattdessen wird er zum Statthalter von Lusitanien ernannt. Der Germane schwört dem Kaiser daraufhin die Treue. Weitere Germanen und ihr Anführer kommen, der neue Statthalter: „Soll ich diese ungebildeten Germanen, die hier einzudringen wagen, in Stücke hauen, Majestät?“, Romulus freut sich abermals, seine germanischen Untertanen zu empfangen (was er auch sagt). Der Statthalter will den Kaiser verteidigen. Romulus hält ihn zurück, da er dies nicht für nötig hält. Nun ernennt Romulus die Germanen zu weitern Statthaltern, Adligen und Rittern. Dann erst tritt Odoaker auf, beide stellen sich vor, Odoaker verkündet den Sieg, wird aber von den neuen Statthaltern auf die Knie gezwungen. Romulus widerstrebt dies, so dass Odoaker aufstehen kann. Odoaker sieht ein, dass Romulus der Sieger ist und er dessen Gefangener (trotz der 100 000 Soldaten, die gegen die neuen Statthalter, Ritter und Adligen stehen). Beide reden nun über die jeweiligen Vorzüge (Klima, Mode, Kultur, Volk). Romulus fordert Odoaker auf im Land zu bleiben. Das sei das Beste („Man muss die Rassen ein wenig mischen, wenn etwas Vernünftiges herauskommen soll.“) Odoaker unterwirft sich nun dem römischen Kaiser und ernennt ihn noch zum Kaiser von Germanien. Der Kaiser Ostroms tritt nun, als Gefangener der Germanen auf, er ist erstaunt. Romulus entgegnet, er habe sich ein wenig in der Politik versucht, sich unterhalten und „plötzlich war mein Weltreich zurückerobert...Ich habe einfach meiner Manie, alles zu befördern, die Zügel schießen lassen.“ Der Kaiser Ostroms, wieder zum Kaiser aufgerufen, sieht sich als gescheitert an, er will seine Freiheit, dafür würde er Ostrom Romulus überlassen. Romulus willigt ein. (R.: „Der Kaiser hat aus einem Nichts ein Weltreich gemacht.“). Romulus löst nun das Imperium auf und ernennt Odoaker zum König von Italien. (R.: „...du musst noch viel lernen, v.a. Menschlichkeit...Die Römer treten ab, die Germanen sind an der Reihe“) und Zeno wieder zum Kaiser Ostroms. Romulus befiehlt selbst seine Pension und seine Goldansprüche. Ende: Alle: „Es lebe Romulus der Große“; Romulus: „Damit meine Herren, hat das römische Imperium aufgehört zu existieren.“
10 Paragrafen zu „Romulus der Große“
§1 Der Verfasser ist kein Kommunist, sondern Berner.
§2 Der Verfasser ist von Natur aus gegen die Weltreiche
§3 Romulus, Zeno der Isaurier und Odoaker sind historische Persönlichkeiten.
§4 Ebenso die Schweigermutter Verina.
§5 Dagegen war Romulus 15 als er Kaiser wurde und 16 als er Kaiser gewesen war.
§6 Der Feldherr Orestes war eigentlich sein Vater.
§7 Zwar haben römische Soldaten schon Jahrhunderte vorher in Germanien Hosen getragen.
§8 Schon Nero soll ein Monokel gehabt haben.
§9 Romulus und Julia.
§ 10 Spargelwein wurde aus Spargelwurzeln gewonnen.
Die Physiker – Eine Komödie in zwei Akten
Personen:
Fräulein Dr. Mathilde von Zahnd, Irrenärztin
Marta Boll, Oberschwester
Monika Stettler, Krankenschwester
Uwe Sievers, Oberpfleger
McArthur, Pfleger
Murillo, Pfleger
Herbert Georg Beutler, genannt Newton, Patient
Ernst Heinrich Ernesti, genannt Einstein, Patient
Johann Wilhelm Möbius, Patient
Missionar Oskar Rose
Frau Missionar Lina Rose
Adolf-Friedrich
Wilfried-Kaspar
Jörg-Lukas, (alle 3) ihre Buben
Richard Voß, Kriminalinspektor
Guhl, Polizist
Blocher, Polizist
Gerichtsmediziner
Ort: Villa (in der früher die ganze geistig verwirrte Elite des halben Abendlandes war, heute sind diese im eleganten Neubau) des Privatsanatoriums „Les Cerisiers“ (horrende Preise) in einer mittleren, beinahe kleinen Stadt , (D: Einheit von Raum, Zeit und Handlung wird streng eingehalten; einer Handlung, die unter Verrückten spielt, kommt nur die klassische Form bei). In der Villa sind nun nur noch die 3 Patienten „zufälligerweise Physiker, oder doch nicht ganz, man wendet humane Prinzipien an und lässt beisammen, was zusammengehört). Jeder hat seine eigene Welt (und sein Zimmer), die Mahlzeiten nehmen sie gemeinsam im Salon ein.
Geschrieben 1961, Uraufführung im Schauspielhaus Zürich, 20.02.1962, (gewidmet Therese Giehse, die die Irrenärztin in der Uraufführung spielte), deutsche Erstaufführung in München. Es folgen unzählige Aufführungen. 1964 eine Fernsehfassung)
2 Akte
Die unausweichliche Gefährdung der Welt durch die moderne Kernphysik ist zentrales Thema dieser Komödie, die streng die drei klassischen Einheiten der Zeit, des Orts und der Handlung wahrt. Sie spielt irgendwo in der Schweiz in einem privaten Nervensanatorium, wo die weltbekannte Psychiaterin Dr.h.c.Dr.med. Mathilde von Zahnd (berühmt: bucklige alte Jungfer einer autochthonen Familie, deren letzter Spross, Menschenfreund und Psychiater von Weltruf, ca. 55 Jahre) drei Kernphysiker (alle unheilbar), harmlose, liebenswerte Irre, behandelt: Ernst Heinrich Ernesti (vor 2 Jahren eingeliefert), der sich für Einstein hält; Herbert Georg Beutler (vor 1 Jahr eingeliefert), der sich mit Newton identifiziert; und Johann Wilhelm Möbius (vor 12 Jahren eingeliefert), dem König Salomon aufsehenerregende Erfindungen diktiert. In der Villa geschehen merkwürdige Dinge, die auch die Polizei beschäftigen. Inspektor Voss untersucht in kürzester Zeit drei Morde an Krankenschwestern. Der parallele Bau der beiden Akte kommt darin zum Ausdruck, das Dürrenmatt sie jeweils mit der Untersuchung des zuletzt erfolgten Mordes einleitet.
Der 1. Mord geschah vor 3 Monaten (Täter: Beutler/Newton), der 2. vor Beginn des 1. Aktes (Täter: Ernesti/Einstein). Der Inspektor wünscht zu Beginn den Mörder (Oberschwester: Täter, weil er krank ist), dann von Zahnd zu sprechen (beides geht anfänglich nicht, da Einstein geigt und von Zahnd ihn auf dem Klavier begleiten muss). Newton (Physiker geworden aus Ordnungsliebe. Um die scheinbare Unordnung in der Natur auf eine höhere Ordnung zurückzuführen; „brauchbar ist eine Maschine erst dann, wenn sie von der Erkenntnis unabhängig geworden ist, die zu ihrer Erfindung führte. So vermag heute jeder...eine Atombombe zur Explosion zu bringen.“) tritt auf, raucht und trinkt (dürfen nur die Patienten), unterhält sich mit dem Inspektor. Von Zahnd tritt auf, unterhält sich mit dem Inspektor, beide rauchen. Von Zahnd beschließt nun, ab dem nächsten Tage Pfleger einzusetzen. Nun tritt Möbius´ Frau mit ihrem neuen Mann und den Kindern auf. Möbius´ Frau eröffnet von Zahnd, dass sie neu geheiratet habe und nun mit ihrem Mann und ihren Kindern abreise, die Kinder sollen aber zum ersten und letzten Mal ihren Vater sehen. Frau Rose, die Möbius mit 20 Jahren geheiratet hatte und ihm sein Abitur und Studium ermöglichte, ist nunmehr nicht bereit, für ihren Exmann aufzukommen. Von Zahnd will Möbius aber trotzdem behalten. Möbius (ca. 40 Jahre) erscheint. Die Buben werden vorgestellt, der jüngste will aber auch Physiker werden. Möbius will es ihm verbieten. Die Kinder wollen dann ein Lied spielen, Möbius unterbricht sie Salomon zuliebe, der nach Möbius der arme König der Wahrheit ist (nackt und stinkend). Möbius singt nun ein Psalm Salomos, den Weltraumfahrern. Möbius, scheint wahnsinnig und wirft seine Familie hinaus („Meine Familie kann mich nun mit gutem Gewissen vergessen.“). Möbius teilt nun Schwester Monika mit, dass er „das System aller möglichen Erfindungen“ nun zu Ende hat. Schwester Monika gesteht Möbius daraufhin ihre Liebe, und dass sie ihn nicht für verrückt hält. Möbius gesteht nun Schwester Monika auch seine Liebe, sieht dies aber als höchst gefährlich an. Einstein erscheint und gibt an, dass auch Schwester Irene ihn geliebt hatte. Daher musste er sie erdrosseln. Einstein verschwindet wieder. Er und nun auch Möbius fordern Schwester Monika zur Flucht auf. Diese bleibt aber. Schwester Monika gesteht weiterhin ihre Liebe, sowie dass Möbius frei ist (sie setzte sich für seine Entlassung ein, die bewilligt wurde „Sie selbst sei verrückter als du“ erklärte von Zahnd) und sie mit einem Physikprofessor gesprochen habe, der sich für die Manuskripte interessiert und sie prüfen wolle. Schwester Monika will nun Möbius´ Sachen packen, damit sie aufbrechen können. Möbius erdrosselt sie daraufhin. Einstein beginnt nun zu geigen. Newton genehmigt sich einen Kognak [Ende 1. Akt].
Der Inspektor und von Zahnd sind auf der Bühne. Allerdings diesmal umgekehrtes Bild:
Der Inspektor lehnt Zigarre wie Schnaps ab. Von Zahnd nennt Möbius Mörder, der Inspektor spricht vom Täter. Von Zahnd macht sich um ihren medizinischen Ruf Gedanken. Die Oberpfleger erscheinen nun, allesamt sind ehemalige Boxer, sie bringen das Essen; später vergittern sie die Zimmer und die Tür. Möbius erscheint und gibt an, dass König Salomo den Mord befohlen habe. Der Inspektor zündet sich nun doch eine Zigarre an und trinkt Schnaps. Inspektor: „Ich habe 3 Mörder gefunden, die ich mit gutem Gewissen nicht zu verhaften brauche. Die Gerechtigkeit macht zum ersten Male Ferien, ein immenses Gefühl.“ Das Abendessen wird serviert und ist angerichtet.
Die überraschende Wendung geschieht erst in der Mitte des 2. Akts: Keiner der drei Patienten ist wirklich krank. Die Schwestern mussten sterben, weil sie Verdacht geschöpft hatten. Sie wurden das Opfer einer höheren Notwendigkeit. Möbius hatte mit einer genialen Dissertation die beiden größten Geheimdienste der Welt auf sich aufmerksam gemacht, die zwei Kernphysiker, Kilton alias Newton und Eisler alias Einstein, als Agenten in das Irrenhaus schickten, wo Möbius, dessen Handeln allein von der Verantwortlichkeit der Wissenschaft bestimmt ist, Zuflucht gesucht hat. Denn Möbius, dem größten Physiker der Welt, ist es gelungen, das System aller möglichen Erfindungen, die Weltformel, zu entdecken, aber er hat aus Gründen der Verantwortung den vorgetäuschten Wahnsinn als einzige Alternative zu einer glänzenden wissenschaftlichen Karriere gewählt („Was wir denken, hat seine Folgen. Es war meine Pflicht die Auswirkungen zu studieren...Das Resultat ist verheerend. Neue, unvorstellbare Energien würden freigesetzt und eine Technik ermöglicht, die jeder Phantasie spottet, falls meine Untersuchung in die Hände der Menschen fiele.“). Er entscheidet sich für die Narrenkappe, denn das Irrenhaus garantiert ihm die Sicherheit, von Politikern nicht ausgenutzt zu werden („Es gibt Risiken, die man nie eingehen darf: der Untergang der Menschheit ist ein solches. Was die Welt mit den Waffen anrichtet, die sie schon besitzt, wissen wir, was sie mit jenen anrichten würde, die ich ermögliche, können wir uns denken. Dieser Einsicht habe ich mein Handeln untergeordnet. Die Verantwortung zwang mir einen anderen Weg auf...Unsere Wissenschaft ist schrecklich geworden, unsere Forschung gefährlich, unsere Erkenntnis tödlich. Es gibt für uns Physiker nur noch die Kapitulation vor der Wirklichkeit. Sie ist uns nicht gewachsen. Sie geht an uns zugrunde. Wir müssen unser Wissen zurücknehmen, und ich habe es zurückgenommen“). Die beiden gleichfalls Wahnsinn simulierenden Agenten versuchen, jeder mit anderen ideologischen Gründen, die Weltformel für ihr Land zu erwerben (Kilton/Newton will der Physik die Freiheit bewahren, streitet ihr aber Verantwortung ab; Eisler/Einstein verpflichtet dagegen die Physik der Machtpolitik eines bestimmten Landes. Beide müssen zugeben, dass hierbei Wissenschaftler keinen politischen Einfluss haben: Newtons Staat bietet ideale Arbeitsbedingungen, aber man muss Auftragsarbeit leisten und hat keinerlei Einfluss auf die Verwertung seiner Forschungsergebnisse; bei Eisler wird von den Physikern verlangt, dass sie zugunsten einer Partei auf Kontrolle der Ergebnisse verzichten, man kann nur hoffen, die Partei befolge die eigenen Ratschläge, mehr nicht). Möbius aber überzeugt seine beiden Kollegen, dass es keinen anderen Ausweg als die Flucht aus der Welt gibt (durch die Morde haben alle Schuld auf sich geladen, käme Möbius´ Wissen and die Öffentlichkeit, wären aber die Morde sinnlos und die „Täter“ zu normalen „Mördern“, die Morde haben nur Sinn, wenn die Physiker im Irrenhaus bleiben, so die Schuld sühnen und die Menschheit vor den schrecklichen Folgen ihrer Entdecken bewahren). „Wir müssen unser Wissen zurücknehmen...Nur im Irrenhaus sind wir noch frei. Nur im Irrenhaus dürfen wir noch denken. In der Freiheit sind unsere Gedanken Sprengstoff...Entweder bleiben wir im Irrenhaus oder die Welt wird eines.“ – N: „Verrückt, aber weise.“; E: „Gefangen, aber frei“; M: „Physiker, aber unschuldig“. Seiner Erkenntnis folgend hat er die Manuskripte längst verbrannt. Da erscheint Mathilde von Zahndt, die missgestaltete Anstaltsleiterin, und erklärt die drei Physiker zu Gefangenen. Sie hat das Spiel durchschaut, sie weiß von den wahren Identitäten der drei, sie hat die Manuskripte rechtzeitig fotokopieren lassen und mit der Auswertung des „Systems aller möglichen Erfindungen“ in ihrem Welttrust begonnen, denn auch ihr ist König Salomon erschienen, um durch sie die Weltherrschaft zu ergreifen. Die Welt fällt in die Hände einer verrückten, buckligen, alten Irrenärztin („Möbius versuchte zu verschweigen, was nicht verschweigen werden konnte. Denn was ihm offenbart worden war, ist kein Geheimnis. Weil es denkbar ist. Alles Denkbare wird einmal gedacht. Jetzt oder in Zukunft“; Möbius erklärt ihr, dass ihm Salomo nie erschien, sondern er dies nur vorschob um nicht entdeckt zu werden). Hinter den 3 Kernphysikern aber schließen sich die Anstaltsgitter für immer. Als Einstein, Newton und Salomon erscheint ihnen der selbstgewählte Wahnsinn als die einzig sinnvolle Existenzform in einer Welt, die dem eigenen Untergang entgegentaumelt; als Mörder bleibt ihnen keine andere Wahl als das Paradoxon vernünftiger Schizophrenie. (Wobei die Morde von von Zahnd selbst geplant wurden, die Schwestern so auf die Physiker gehetzt wurden). Von Zahnd übernimmt nun die riesige Macht („Nun werde ich mächtiger sein als meine Väter. Mein Trust wird herrschen, die Länder, die Kontinente erobern,...Die Rechnung ist aufgegangen. Nicht zugunsten der Welt, aber zugunsten einer alten, buckligen Jungfrau.“) Die Ärztin beschreibt die paradoxe Situation (die schlimmstmögliche Wendung): Möbius will seine Forschungsergebnisse der Welt vorenthalten, um die Gefahr des Missbrauchs zu vermeiden, aber gerade dadurch fallen diese Ergebnisse in die Hand einer Verrückten, die sie missbraucht, um die Weltherrschaft zu erringen. Damit ist das verantwortliche Handeln der Physiker sinnlos geworden, und zwar durch das planvolle Handeln einer machtbesessenen Frau voller Minderwertigkeitskomplexe, die sich vom König Salomo erwählt glaubt. Nach Eintreten dieser schlimmstmöglichen Wendung kann Möbius nur noch resigniert feststellen: „Was einmal gedacht wurde, kann nicht mehr zurückgenommen werden.“ Die Schlussworten der Physiker: Newton glaubt an die positiven Möglichkeiten naturwissenschaftlichen Denkens und sah noch keine negativen Folgen. ER stellt keine Behauptungen auf und will zeigen, dass der Naturwissenschaftler sich auf das Erfahrbare beschränken soll. Einstein führte die Forschung weiter und erkannte, dass er damit auch die Möglichkeit zur Massenvernichtung geschaffen hatte, die er als Wissenschaftler trotz seiner Menschenliebe nicht mehr kontrollieren konnte. Einstein ist ein künstlerisch interessierter Mensch voller Menschenliebe, dessen Forschungsergebnisse machtpolitisch missbraucht worden sind. Auf seine „Empfehlung hin baute man die Atombombe.“ Möbius entwirft die schreckliche Zukunftsvision einer durch die negativen Folgen menschlichen Denkens und Forschens zerstörten Welt. Möbius als Salomo bekennt seine Schuld und erkennt die Zerstörung der Welt als Folge der modernen Naturwissenschaften.
Was als kriminalistische Kolportage begann, endet in einer grotesken Umkehrung. Dramatisches Vehikel dafür ist der für die Gattung Komödie charakteristische Überraschungseffekt, den Dürrenmatt in virtuoser Steigerung einsetzt, vom dreifachen Mord an den Krankenschwestern über die Preisgabe der wahren Identität der Physiker bis zur Aufdeckung der diabolisch-irrwitzigen Pläne der Anstaltsleiterin. Dieser letzte Überraschungseffekt, mit dem das Stück seine „schlimmst-mögliche Wendung“ nimmt, enthüllt die zentrale Funktion, die der Zufall in Dürrenmatts Theater hat. Am Zufall, dem unerwarteten Manöver einer Irrenärztin, scheitert das durchdachte, verantwortungsbewusste Vorgehen von Möbius. Damit ist das Paradoxe zum dramaturgischen Bauprinzip erhoben. „Je planmäßiger die Menschen vorgehen, desto wirksamer vermag sie der Zufall zu treffen“, heißt es in den 21 Punkten zu den Physikern, einem lakonischen Kommentar des Autors zu seiner Komödie. Gerade die heroische Individualethik fällt diesem Paradox zum Opfer. Die in Brechts Leben des Galilei gestellte Frage nach der Verantwortung des Naturwissenschaftlers wird irrelevant angesichts der Tatsache, dass der einzelne, selbst wenn er verzichtbereit sein Wissen zurücknimmt, die Menschheit nicht vor dem drohenden Untergang retten kann. „Was einmal gedacht wurde, kann nicht mehr zurückgenommen werden“ sagt Möbius. Aus dieser These resultiert Dürrenmatts idealistischer Vorschlag einer universalen, quasi weltumfassenden Lösung des Problems: „Der Inhalt der Physik geht die Physiker an, die Auswirkung alle Menschen. Was alle angeht, können nur alle lösen. Jeder Versuch eines einzelnen, für sich zu lösen, was alle angeht, muss scheitern“(in 21 Punkte...). Dürrenmatts Einsicht in die Hilflosigkeit des einzelnen hat eine dramaturgische Konsequenz: An die Stelle der Tragödie mit ihren an Kategorien der Schuld, des Maßes, der Übersicht, der Verantwortung, tritt die Komödie, die das Tragische als verhängnisvollen Zufall in sich aufnimmt. – Die scheinbar alltagsnahe Sprache des Stücks erscheint trotz eingestreuter Kolloquialismen (Wissenschaftlichkeit) bewusst stilisiert und unterkühlt. So zieht der Autor das Imperfekt dem umgangssprachlichen Perfekt vor und benützt reduziert parataktische Satzreihen. Nur der visionär-apokalyptische Furor im Gesang, den Weltraumfahrern zu singen bzw. die lyrische Bildlichkeit in den kurzen, von gespieltem Wahnsinn motivierten Monologen verlässt die etablierte Stilebene. In bewusstem, gelegentlich inadäquatem Kontrast zum Schrecken des Tragischen gestaltet Dürrenmatt das Komische in Form des effektvollen Irrenwitzes, der pointierten Wortwiederholung und des saloppen Gags. Dank dieser verbalen Komik mildert sich und entspannt sich allerdings der angestrengt intellektuelle Charakter des Stücks, seine Tendenz zum scharfsinnigen, an szenischer Dynamik relativ armen Diskussionsform.
Dürrenmatt hat versucht, die paradoxe Situation darzustellen, in die das fortgeschrittenste Wissen, das der Kernphysik, geraten ist. Es gilt uns als Gipfel menschlicher Erkenntnis. Seine Formulierung hat auch die Hinrichtung der Welt möglich gemacht. Was machen die Entedecker, wenn sie Verantwortung für die Welt spüren? Gibt es Bewahrung der Welt vor dem Wissen? Bewahrung des Wissens vor dem Zugriff der Macht? Die Lösung der Frage führt – auf das Theater. Zum Versteckspiel, zur Maskerade. Dürrenmatts Kernphysiker Möbius, Entdecker der furchtbaren Formel, flüchtet, seine Familie preisgebend, ins Irrenhaus. Er spielt Irrsinn, er fingiert die Heimsuchung durch den Geist Salomos, um das, was er entdeckte als Produkt des Irrsinns zu diffamieren. Maskerade3 wird da zu einem moralischen Akt.
Dürrenmatt führt seine Geschichte mit unerbittlicher Konsequenz zu einem Ende, welches die Türen dieses Irrenhauses aufsprengt, tödlich gefährdenden Explosivstoff aus den eben noch schützenden Mauern entlässt in eine schutzlos preisgebende Welt, und kein Zuschauer entzieht sich tiefster Betroffenheit. Was Dürrenmatt hier aus den Maskierungen gewinnt, wie er etwa das Geigenspiel Einsteins einsetzt, wie er die Positionen fortlaufend vertauscht: das ist nicht nur virtuos, es ist einzigartig. Dürrenmatts Komödie Die Physiker wird im Theaterleben der Gegenwart Epoche machen.
Grundproblematik ist die Gefährdung der Menschheit durch die Forschungsergebnisse der modernen Naturwissenschaften (v.a. seit der Atombombe, die den Umschlag von wissenschaftlichen Triumph in Verbrechen verdeutlichte; Atomare Bedrohung, Gentechnik, Umweltzerstörung, biologische und chemische Waffen) und so die Verantwortlichkeit der Wissenschaft und deren Frage nach ethischen Grundsätzen. Möbius zeigt diese Verantwortung. Die Folgen seiner Entdeckung sind zu riskant und könnten die Menschheit zerstören, er nimmt sein Wissen zurück, nur in einer Irrenanstalt fühlt er sich sicher. Newton und Einstein dagegen bekennen sich nicht zur Verantwortung für die Folgen ihres Tuns. Ihre Morde waren für sie Handlungszwang und Befehl. Sie weisen persönliche Schuld von sich und ziehen sich hinter eine anonyme Macht (ihre Geheimdienste) zurück. Möbius zeigt sich so als ein moralisch handelnder Mensch (bestimmt sein Handeln selbst, aufgrund seiner Moral/Freiheit). Er scheitert aber durch Zufall an der Ärztin. Alle Patienten werden am Ende zu Gefangenen. Möbius ist zwar ein „mutiger Mensch“, dies ist aber sinnlos. Die Flucht aus der Gesellschaft ist somit der falsche Weg. Aber auch andere Wege (richtige) hätten die Katastrophe nicht verhindert.
Dürrenmatts Stück ist ein analytisches Drama (nicht die gesamte Reihe der Ereignisse, die zum tragischen Konflikt führen, werden erfasst, sondern nur ihre letzten Auswirkungen/die Zuspitzung zur Katastrophe, der Rest enthüllt sich im Laufe der Handlung.
Die Physiker ist die Tragikomödie von der sozialen Verantwortung der Naturwissenschaftler. Der Naturwissenschaftler will sich aus dieser stehlen, indem er für die Gesellschaft nicht mehr aktiv tätig ist, aber so auch kein Unheil verhüten kann. Mit dieser Lösung zeigt Dürrenmatt sein typisches Grotesk-Theater und sich selbst als pessimistischen Humanisten. Er repräsentiert den Versuch, die aktuellen Bedrohungen durch technologische Entwicklungen und zweifelhafte Fortschritte der modernen Naturwissenschaften dadurch bewusst zu machen, dass er ihnen ihre schlimmstmögliche Wendung gibt. Dürrenmatt will, hierin skeptischer als der dialektische Materialist Brecht, wohl die Konfrontation des Zuschauers mit der vorgestellten Problematik, nicht aber deren Lösungsmöglichkeit durch die List der Dramaturgie evozieren. Die schlimmstmögliche Wendung, die das Geschehen – in einer Komödie – nehmen soll, treibt zwar mit dem Entsetzen Scherz, weil dieses anders nicht mehr fassbar und darstellbar zu sein scheint. Doch sie belässt das Entsetzen in einer Welt, die ihre eigenen Erschütterungen nicht hat bewältigen können.
Die Sprache enthüllt und verschleiert, ist von Euphemismen (beschönigenden Ausdrücken) oftmals gekennzeichnet.
Andere Gestaltungen des Themas sind: - Brecht: Leben des Galilei (Galilei, entdeckt dass ein neues Weltbild, eine neue Zeit anbricht. Er entwickelt selbst das neue Weltbild mit. Wird dann aber zu Schweigen und zum Widerruf verdonnert, kann aber trotzdem ein wichtiges Werk vollenden und von einem Schüler über die Grenze bringen. – zentrale Fragen: War sein Widerruf Vor- oder Nachteil? Hat er für die Folgen seiner Entdeckung Verantwortung zu tragen? – Galilei entzieht sich nach B. seiner Verantwortung, weil er widerruft und sich der Obrigkeit unterordnet. Durch die Weitergabe seines Werkes zeigt sich aber auch Geschichtsoptimismus. Unterschiede zu den Physikern: Galilei ist gefangen, die Physiker freiwillig im Irrenhaus; Galilei macht seine Forschung und eine Abschrift heimlich, um es weitergeben zu können, Möbius forscht will seine Forschung aber nicht veröffentlichen; Galilei sieht sein Widerruf als unverantwortliches, Möbius seine Enthaltung als verantwortliches Handeln an; Galilei will Wissenschaftler bleiben, Möbius aus ihrer Gemeinschaft austreten; Galilei ist wegen seiner Schwäche/Versagen kein Held. Möbius ist verstrickt, sein Heldentum ist aber sinnlos. Formal: B. will die Wirklichkeit als veränderbar darstellen, D. als widersinnig, Paradox. Bei beiden setzt sich die Autonomie des wissenschaftlichen Denkens durch (bei B. zum Wohle, bei D. zum Schaden der Menschheit)
- Kipphardt: In der Sache J.R. Oppenheimer (1964, Oppenheimer, Vater der Atombombe steht in einem Zwiespalt zwischen der Loyalität zum Staat und zu den Menschen, Soll er die Atombombe verhindern/bauen? Oppenheimer hat dazu keine eindeutige Position (er sieht die Gefahren, aber auch die wissenschaftliche Faszination), er fordert dennoch, dass die Bombe nie eingesetzt wird. Sieht den Wissenschaftler aber für die Atombombe nicht verantwortlich, sondern den Politiker. Der Wissenschaftler steht zwischen dem Fortschritt und dem Untergang der Menschheit. Er kann nicht politisch und moralisch neutral handeln. Oppenheimer und Möbius sind beide einer Macht unterworfen und können nicht mehr einzeln reagieren. Oppenheimer erkennt aber auch in der Wissenschaft einen Fortschritt für die Menschheit an. Kipphardt dokumentiert, D. verfremdet.
(siehe auch Abb. In der Lektürehilfe)
21 Punkte zu den Physikern:
1. Ich gehe nicht von einer These, sondern von einer Geschichte aus.
2. Geht man von einer Geschichte aus, muss sie zu Ende gedacht werden.
3. Eine Geschichte ist dann zu Ende gedacht, wenn sie ihre schlimmstmögliche Wendung genommen hat.
4. Die schlimmstmögliche Wendung ist nicht voraussehbar. Sie tritt durch Zufall ein.
5. Die Kunst des Dramatikers besteht darin, in einer Handlung den Zufall möglichst wirksam einzusetzen.
6. Träger einer dramatischen Handlung sind Menschen.
7. Der Zufall in einer dramatischen Handlung besteht darin, wann und wo wer zufällig wem begegnet.
8. Je planmäßiger die Menschen vorgehen, desto wirksamer vermag sie der Zufall zu treffen.
9. Planmäßig vorgehende Menschen wollen ein bestimmtes Ziel erreichen. Der Zufall trifft sie dann am schlimmsten, wenn sie durch ihn das Gegenteil ihres Ziels erreichen: Das, was sie befürchteten, was sie zu vermeiden suchten (z.B. Oedipus).
10. Eine solche Geschichte ist zwar grotesk, aber nicht absurd (sinnwidrig).
11. Sie ist paradox.
12. Ebenso wenig wie die Logiker können die Dramatiker das Paradoxe vermeiden.
13. Ebenso wenig wie die Logiker können die Physiker das Paradoxe vermeiden.
14. Ein Drama über die Physiker muss paradox sein.
15. Es kann nicht den Inhalt der Physik zum Ziele haben, sondern nur ihre Auswirkung.
16. Der Inhalt der Physik geht die Physiker an, die Auswirkung alle Menschen.
17. Was alle angeht, können nur alle lösen.
18. Jeder Versuch eines Einzelnen, für sich zu lösen, was alle angeht, muss scheitern.
19. Im Paradoxen erscheint die Wirklichkeit.
20. Wer dem Paradoxen gegenübersteht, setzt sich der Wirklichkeit.
21. Die Dramatik kann den Zuschauer überlisten, sich der Wirklichkeit auszusetzen, aber nicht zwingen, ihr standzuhalten oder sie gar zu bewältigen.
Ein Engel kommt nach Babylon – Fragmentarische Komödie
Personen:
Der Engel
Das Mädchen Kurrubi
Akki
Nebukadnezar, König von Babylon
Nimrod, Exkönig von Babylon
Der Kronprinz, beider Sohn
Der Erzminister
Der Obertheologe Utnapischtim
Der Urgeneral
1., 2., 3. Soldat
Ein Polizist
Der Bankier Enggibi
Der Weinhändler Ali
Die Hetäre Tabtum
Erster Arbeiter
Zweiter Arbeiter, klassenbewusster
Erste Arbeiterfrau
Zweite Arbeiterfrau
Der Feierliche
Der Eselmilchverkäufer Gimmil
Viele Dichter, Volk usw.
Spielt in Babylon (einer Riesenstadt von Palästen, Hochhäusern und Hütten, prächtig und dreckig zugleich, von Millionen bewohnt).
3 Akte
Geschrieben 1953; Uraufführung: Münchner Kammerspiele, 22.12.1953 (Erste Fassung; Zweite Fassung: Erstaufführung: Deutsches Theater Göttingen, 6.4.1957).
Die Komödie versuche den Grund anzugeben, schreibt Dürrenmatt in einer Anmerkung zur 2. Fassung, „weshalb es in Babylon zum Turmbau kam ... Meine Gedanken, meine Träume kreisten jahrelang um dieses Motiv...Es geht um eine Welt, die am Ende tragisch verunglückt, ins Gigantische rennt, versteint, durchaus aus eigener Schuld, um in eine Welt, die wir hier auf die Bühne bauen und uns zusammenflunkern, die aber erst nicht viel anders war als alle anderen menschlichen Welten und Reiche, die ihre alle möglichen Personen aufwies und schließlich doch etwas Unsinniges, Auswegloses wurde. Sie verspielte ihre Gnade, die ein Engel brachte. Wie sie ihr Glück, ihre Möglichkeit verspielte ist der Inhalt der Komödie; nur eines Teils der Komödie, sei hier verbessert, denn dem gnadenlosen Menschen steht ja stets auch der begnadete gegenüber. Vergessen wir das nie. Immer noch hat der Engel recht, immer noch ist die Erde das Wunder. Der Engel mag uns weltfremd scheinen, ich glaube jedoch, dass jene weltfremder, blinder sind, welche die Welt nur als Verzweiflung sehen. Die Erde hängt nicht im Nichts, sie ist ein Teil der Schöpfung. Das ist ein Unterschied.Der Turm wurde gebaut, weil Nebukadnezar sich empörte, dass der Himmel offenbar ihn, der sich doch für den mächtigsten der Menschen hielt, als den ärmsten betrachtete.(vgl. den Stoff auch mit Kafkas: Eine kaiserliche Botschaft (ein Bote soll die Botschaft des Königs zu den Menschen bringen, gerät aber immer nur von Palast zu Palast und kommt nie an); Kierkegaards: Die Krankheit zum Tode/Dürrenmatts: der Uhrmacher (ein König macht einen unbekannten Bauer zu seinem Schwiegersohn, der diese Tat nicht versteht)“. Ein 1. Versuch, den Stoff zu gestalten, misslang 1948, auch das 5 Jahre später entstandene Stück befriedigte den Autor noch nicht. Er überarbeitete es dramaturgisch, sein Ziel war, die Komödie „Handlung werden zu lassen und nichts weiter.“ Eigentlich plante Dürrenmatt eine Trilogie über den Turmbau. Die geplante Fortsetzung, das Drama „Die Mitmacher“, in dem der Turmbau selber dargestellt werden sollte, kommt nicht mehr zustande. („Der Mitmacher“, Aufführung 1973 in Zürich ist keine Fortsetzung). Auch eine Oper wird aus dem Stück konzipiert.
Ein Engel ist aus dem Himmel herabgestiegen. Er soll das erst wenige Augenblicke zuvor von Gott aus dem Nichts erschaffene Mädchen Kurrubi („Ich möchte dich Menschennichts nennen. Du bist unvergänglich wie das Nichts und vergänglich wie der Mensch...Du sollst den Menschen nichts bringen, sondern du wirst vor allen Dingen den Menschen gebracht.“) als Geschenk dem geringsten der Menschen übergeben. Das ist der Bettler Akki in Babylon. Als König ist dort gerade Nebukadnezar an die Macht gekommen. Er will den „vollkommenen, wahrhaft sozialen Staat“ und hat das Betteln verboten: „Die Vollkommenheit hat nichts Überflüssiges an sich, ein Bettler ist jedoch überflüssig...Eine soziale Welt darf keine Bettler kennen. Es ist ihrer unwürdig, die Armut weiter zu dulden... .“ Alle Bettler sind in den Staatsdienst getreten, nur Akki weigert sich hartnäckig. Nebukadnezar will ihn trotzdem noch nicht aufhängen lassen, sondern bekehren und verkleidet sich zu diesem Zweck als Bettler. Am Ufer des Euphrat trifft er zunächst den (ebenfalls als Bettler verkleideten) Engel (der Alles in der Welt als vollkommen sieht) mit Kurrubi, dann auch Akki und gibt sich ihm gegenüber als der erste Bettler von Ninive aus. Akki ist bereit, Staatsbeamter zu werden, wenn er in einem Wettkampf im Betteln unterliegt. Natürlich ist er viel erfolgreicher, zuletzt gelingt es ihm sogar, von Soldaten den gefangenen Exkönig Nimrod zu erbetteln. Dem unerkannten Nebukadnezar aber, besiegt und scheinbar also der niedrigste der Menschen, offenbart sich der Engel; er übergibt ihm „die Gnade des Himmels“, Kurrubi, die ihn um seiner Hilflosigkeit willen liebt. Der Engel entschwebt, um das All (und v.a. die Welt/die Erde weiter kennen zu lernen. Erbittert und verzweifelt, dass sie vom Himmel dem Bettler, nicht dem König bestimmt ist, nimmt er sie nicht an: „...doch was nützt die himmlische Vollkommenheit dem ärmsten der Menschen auf dieser unvollkommenen Erde? Wann lernt der Himmel, jedem zu geben, was er braucht? Die Armen und Machtlosen drängen sich aneinander wie Schafe und hungern, der Mächtige ist satt, doch einsam. Der Bettler hungert nach Brot, so soll der Himmel ihm Brot geben. Nebukadnezar hungert nach einem Menschen, so soll ihm der Himmel dich geben. Warum kennt der Himmel die Einsamkeit Nebukadnezars nicht? Warum verspottet er mit dir zugleich mich, den Bettler, und Nebukadnezar, den König?...So schlage ich zu Boden, was ich mehr liebe denn je einen Menschen, so trete ich dich mit Füßen, du Gnade Gottes, von der meine Seligkeit abhängt...Der Himmel soll sehen wie der geringste der Menschen mit dem verfährt, was König Nebukadnezar mit seiner Liebe und mit dem Golde Babylons überhäuft hätte.“ Im Tausch gegen Nimrod überlässt er sie dem Bettler Akki („Die einzige Übung, sich bettlerisch auf der Höhe zu halten. Verschwendung ist alles. Millionen erbettelte ich, Millionen versenkte ich. Nur so wird die Welt vom Reichtum erleichtert...Zieh wie ich die Konsequenzen: Da man nicht in dieser Stadt leben kann, habe ich beschlossen, von dieser Stadt zu leben, und bin ein Bettler geworden.“). Bei ihm (Sohn eines Kaufmanns, aufgezogen von einem Propheten, später dann einem General; alle enden aber am Scheiterhaufen; Akki glaubt daher, er kann diesem Schicksal nur als Bettler entkommen) lebt sie, und „ihre Schönheit erfüllt die Stadt Babylon mit himmlischem Glanz.“ Alle lieben sie, werben um sie, bedrängen sie (außer natürlich die babylonischen Frauen, die eifersüchtig auf sie sind und sie deshalb hassen). Da erscheint der Engel, und sogleich sind alle überzeugt, dass das „Himmelsmädchen“ Königin werden muss. Während Akki („Ich habe kein Recht auf dich. Zufällig tauschte ich dich ein, ein Stück Himmel blieb an mir haften, ein Faden nur seiner Gnade, schwerelos und heiter, und nun trägt ein Windstoß dich weiter.“), da er weiterhin betteln will, endgültig aufgehängt werden soll (da er Kurrubi vom Himmel erhielt, hassen ihn alle), es aber fertig bringt, dass der Henker ihm statt dessen sein Amt abtritt (Henker: „Weltreiche gehen, Weltreiche kommen, die Menschen ändern und wandeln sich. Nur du änderst dich nicht, du bleibst ein Bettler (nur noch der Erzminister und der Henker ändern sich auch nicht...Der Bürokraterei, der Bettlerei und der Henkerei! Diese drei bilden das heimliche Weltgerüst, in welchem sich die Dinge aufbauen und abbauen.“, Akki: „Gerade die schäbigen, verachteten, verabscheuten Berufe muss man heben, damit sie erlöst werden aus ihrer Niedrigkeit und etwas darstellen; sonst sind sie verlorenso muss man schäbige Berufe ausüben. Etwas Gutes lässt sich aus jedem machenDie Welt zu bestehen, muss der Schwache sie erkennen, um nicht blind einen Weg zu gehen, der sich verliert, in eine Gefahr zu rennen, die zum Tode führt. Heldentaten sind sinnlos, sie verraten die Ohnmacht des Schwachen. Nur wer nichts hat bleibt unversehrt: Stelle dich dumm, nur so wirst du alt.“), wird Kurrubi zum König gebracht [Ende 2. Akt]. Nebukadnezar und Nimrod wechseln seit tausenden von Jahren sich mit der Macht (mit dem regieren ab). Jeweils ist der eine Herrscher und König, der andere sein Schemel. Beide haben einen gemeinsamen Sohn, da sie nicht wissen, wer von ihnen beiden ihn gezeugt hat, und der als Idiot dargestellt wird. Nun setzt sich Nebukadnezar mit dem Obertheologen auseinander („Wenn wir die Welt verstehen wollen, müssen wir annehmen, der Himmel habe immer recht... Du meinst der Himmel hätte sich von dir täuschen lassen. Das ist lächerlich. Den Engel hast du verwirrt, doch der Himmel wusste genau, wem er das Mädchen gab. Dir, König N. Denn Gott ist nicht nur allmächtig, sondern auch allwissendDie Worte des Himmels dürfen nie persönlich, sondern nur allgemein aufgefasst werden. Du hast die Absicht Gottes, dich mit seiner Gnade zu beschenken, durch eigene Torheit zunichte gemacht.“) Kurrubi liebt noch immer den angeblichen Bettler aus Ninive, doch als Nebukadnezar sich ihr zu erkennen gibt, ist sie fassungslos. Vergeblich bittet sie ihn, auf den Thron zu verzichten und mit ihr zu fliehen. Obwohl er sie liebt, obwohl er sich „mit dem Himmel versöhnen“ möchte, kann er sich von der gerade erst eroberten Macht nicht trennen: „Meine liebe Kurrubi, ich habe die Welt zu regieren.“; Kurrubi: „Deine Macht ist Ohnmacht“ Inzwischen ist ein Aufstand ausgebrochen, das Volk stürmt den Palast. Es wünscht „das Mädchen zur Königin..., nicht aber unbedingt seine Majestät zum König.“ Als Nebukadnezar verkündet, Kurrubi gehöre dem, der sie am meisten liebe, ist indessen niemand bereit, alles hinzugeben und der Bettler zu werden, dem allein sie bestimmt ist. Jetzt ist sie das „Hexenmädchen“, das Unglück, Elend und Tod bringt. Der Engel erscheint nun („Alles was ich hier fand war Gnade.“). Kurrubi will mit dem Engel zurück in den Himmel, sie fühlt sich verlassen. Dieser entschwindet aber jedoch (N.: „Der Himmel hat dich verlassen, die Menschen verstoßen.“). Sie wird dem Henker übergeben – also Akki, der mit ihr durch Wüste und Sandsturm flieht, hin in ein neues Land, „tauchend aus der Dämmerung, dampfende im Silber des Lichts, voll neuer Verfolgung, voll neuer Verheißung und voll von neuen Gesängen!“ Bekümmert gesteht Nebukadnezar sich ein: „Ich blieb ohne Gnade.“ Er weiß, dass er Kurrubi um seiner Macht willen verriet, sine Trauer aber schlägt in Trotz und Empörung um: „Ich will die Menschheit in einen Pferch zusammentreiben und in ihrer Mitte einen Turm errichten, der die Wolken durchfährt, durchmessend die Unendlichkeit, mitten in das Herz meines Feindes.“
Das Stück zeigt Dürrenmatts große Theaterbegabung, seine Fähigkeit, komplizierte geistige und gesellschaftliche Sachverhalte in szenische Vorgänge und bühnenwirksame Dialoge umzusetzen und so darstellbar, spielbar zu machen. Die Fabel ist durchsichtig und genau konstruiert, die Handlung entwickelt sich jedoch nicht rasch und – im konventionellen Sinn – dramatisch-spannend, sondern erhält durch Episoden und die breite Ausgestaltung einzelner Situationen (z.B. den Wettkampf der Bettler) und durch lyrische oder erzählende Einlagen (wie die „Makamen“ Akkis) einen epischen Charakter. Witzig und pointiert, gelegentlich fast allzu einfallsreich, wird gleichsam nebenher eine Fülle von Themen glossiert, werden Dichter und Theologen ironisiert, wird der politische Machtkampf ebenso verspottet wie der Wille, ein „makelloses Reich“ zu schaffen, in dem zwar das Betteln verboten wird, gegen die Bankiers einzuschreiten aber nicht möglich ist. Die ästhetische Problematik, dass die traditionellen dichterischen Formen verbraucht und ausdruckslos geworden sind, versucht Dürrenmatt zu überwinden, indem er mit einer Vielfalt gegensätzlicher Sprach- und Darstellungsstile arbeitet. Er verbindet Farce und Trauerspiel, kabarettistischen Jux und religiöse Allegorie, mischt Karikatur und Parodie mit Elementen des Märchens, den Ton des Bänkelsangs mit dem der Bibel, schnoddrigen Kommentaren folgt lyrisches Pathos. Eine „Komödie“ ist Ein Engel kommt nach Babylon nur, wenn man es mit dem Begriff nicht ganz genau nimmt; ebenso sehr ist es ein – freilich nicht naiv frommes, sondern kritisch intellektuelles und burleskes – geistliches Spiel von der Ratlosigkeit des Menschen, wenn er der Gnade Gottes begegnet, und ein komödiantisches Lehrstück über die Unvereinbarkeit von Macht und Gnade und über das Königtum des Bettlers: „Geheime Lehrer sind wir, Erzieher der Völker. Wir gehen in Fetzen, der Erbärmlichkeit des Menschen zuliebe, gehorchen keinem Gesetz, die Freiheit zu verherrlichen. Wir essen gierig wie Wölfe, trinken wie Schlemmer, den schrecklichen Hunger zu offenbaren, den verzehrenden Durst, der in der Armut liegt, und die Brückenbogen, unter denen wir schlafen, füllen wir mit dem Hausrat verschollener Reiche, damit deutlich werde, dass alles beim Bettler mündet im Sinken der Zeit.“
Das Groteske kann Dürrenmatt nicht lassen, es gehört zu ihm, es ist sein Element. Die Szene in Babylon als Sinnbild für die Großstadt aller Zeiten, über der der Himmel aller Zeiten hängt. Von da nun steigt ein Engel hernieder, der sich selbst als einen Physiker, aber keinen Anthropologen bezeichnet. Er kommt nicht allein, sondern in Begleitung eines eben von Gott geschaffenen Mädchens, das er nach dem Ratschluss des Herrn einem Bettler geben soll, weil sich in ihm der Mensch am wahrsten und freiesten erhalten hat. Aber da sich Tyrann Nebukadnezar – um den einzigen noch in Babylon befindlichen Bettler als Steuereintreiber zu überreden – in einen Bettler verkleidet hat, ergibt sich eine fatale Verwechslung. Eine Welt verunglückt am Ende tragisch in dieser Komödie, sie rennt ins Gigantische, und sie verspielt – dies vor allem – die Gnade.
Der Richter und sein Henker – Roman
1952 geschrieben (ebenso wie „Der Verdacht“1953 aus Geldnot, anders „das Versprechen“). Erschließen die Grundthematik des Schriftstellers. Die Form des Kriminalromans dient als Alibi dafür, das Böse zu bekämpfen durch ein Gericht, das letztlich nicht von dieser Welt ist. Spielt in der Schweiz.
(Wichtige) Personen:
Alphons Clenin (Polizist von Twann, Dorfpolizist)
Jean Pierre Charnel (Polizist von Lamboing, Dorfpolizist)
Ulrich Schmied (Polizeileutnant der Stadt Bern, ermordet)
Kommissar Bärlach (Bern, vorher bekannter Kriminalist in Konstantinopel, Deutschland, Frankfurt/Main)
Dr. Lucius Lutz (Bärlachs Chef, besuchte die New Yorker und Chicagoer Polizei; nach seiner Rückkehr ist er erschüttert „über den vorweltlichen Stand der Verbrecherabwehr der schweizerischen Bundeshauptstadt.)
Tschanz (Bärlachs Gehilfe, Polizist)
Gastmann
Nationalrat Oberst von Schwendi (und Gastmanns Anwalt)
Clenin findet einen blauen Mercedes, der am Straßenrand steht. Der Fahrer, Ulrich Schmied (Polizist aus Bern) ist erschossen. Kommissar Bärlach, Vorgesetzter des Toten, wird mit dem Fall betraut. Dieser versucht zuerst die Sache geheim zuhalten. Bärlach geht zuerst zu Schmieds Wohnung und nimmt von dort eine Mappe mit, die er anschließend liest. Bärlach wird in Lutz Büro zitiert, wo er bekannt gibt, dass er schon einen Verdacht hätte, ihn aber nicht äußern will. Lutz fordert ein rücksichtsloses Eingreifen, das Bärlach bejaht. Bärlach teilt Lutz mit, dass er gesundheitlich angeschlagen ist (Magenbeschwerden) und deshalb einen Stellvertreter für die Mordsache wünsche, der das Hauptsächliche ausführen könnte. Bärlach wolle dann den Fall mehr vom Schreibtisch aus behandeln. Lutz ist einverstanden. Bärlach schlägt Tschanz hiefür vor, Lutz unterstützt dies. Dann besucht Bärlach den Tatort und trifft Clenin. Ein Schuss wurde nicht gehört, jedoch aber dass der Motor des Wagens die Nacht durchlief. Bärlach findet nun noch eine Revolverkugel. Am nächsten Morgen trifft Bärlach, gesundheitlich angeschlagen und vorher in der Mappe blätternd, Tschanz (der Schmied ziemlich ähnlich sieht). Bärlach sagt Tschanz, dass der Tote Schmied begabt war und über ihnen stand, Tschanz sieht dies als möglich an, ist aber nicht überzeugt davon. Tschanz ordnet die Kugel einem Armeerevolver zu. Bärlach fragt sich, was Schmied wohl mit seiner Reise bezweckt hatte. Tschanz weiß aber wie Schmied ermordet wurde: Schmied wurde vom Mörder angehalten, kannte ihn sogar wahrscheinlich, da er gestoppt hatte. Er öffnete die Wagentür und wurde daraufhin erschossen. Er muss wohl keine Ahnung von der Mordabsicht des Mannes gehabt haben. Tschanz stellt weiter fest, dass Schmied ein Gesellschaftsanzug trug und so wohl zu einer Gesellschaft gehen wollte, weiterhin entdeckt er in Schmieds Taschenkalender, dass dieser sich für Mittwoch, den 2.11. ein G notiert hatte, am gleichen Tage ist er aber kurz vor Mitternacht ermordet worden. Weitere G stehen am 26. und 18.10., an denen er jedes Mal seinen Frack trug und wegfuhr. Tschanz will nun Bärlachs Verdacht hören, der weißt ihn aber ab, da es kein kriminalistisch wissenschaftlicher Verdacht ist und er keine Gründe hat, die diesen rechtfertigen („aber der den es angeht, musst die Beweise, dass er es gewesen ist noch liefern.“). Bärlach fehlen die Indizien. Tschanz will dann nach Lamboing fahren, da auch heute Schmied sich ein G notierte. Er fragt denn Kommissar, ob dieser mitwolle, dieser bejaht zu Tschanz Verwunderung. Tschanz hofft so einige, die auf die Gesellschaft (die da Frack nötig war, ziemlich groß sein müsse) fahren, entdecken zu können. Dies geschieht auch, die Wagen steuern ein abgelegenes Haus an. An der Türe ist eine Tafel angebracht mit einem großen G. Bärlach will nun herausfinden, was das G bedeutet. Tschanz gibt die Antwort: Im Telefonbuch sind nur zwei G verzeichnet: Gastmann und Gendarmerie. Beide haben jedoch keine Erklärung, warum die örtliche Polizei nicht auf Gastmann gekommen ist, da das abgelegene Haus ja auffällt. Beide beschließen nun um das Haus zu gehen, jeder von einer anderen Seite. Die Gesellschaft ist im Haus. Bärlach begegnet einem riesigen Hund, der ihn angreift. Bärlach wird von ihm niedergerissen und kann sich nur noch mit dem linken Arm vor einem tödlichen Biss in den Hals schützen. Tschanz kommt hinzu und erschießt den Hund. Die Gesellschaft (alles honorige, ehrwürdige und gewichtige Persönlichkeiten) wird nun auf das Geschehen aufmerksam. Bärlach stellt sich als Polizei vor und bittet, mit Herrn Gastmann sprechen zu müssen. Sein Anwalt erwartet die beiden und lehnt ein Gespräch ab. Tschanz besucht daraufhin die Dorfpolizei, die auch Gastmann in Betracht gezogen hatten, jedoch hätte Gastmann (und auch dessen Gäste) von Schmied nichts gewusst und ihn (und seinen Namen) nicht gekannt. Das einzige, dass man über Gastmann weiß, ist dass er sehr reich ist. Tschanz teilt dies Bärlach mit. Als Bärlach zu Hause ankommt, packt er seine Waffe (einen großen, schweren Revolver) und zieht sein Mantel aus, wobei sein linker Arm mit dicken Tüchern umwickelt ist, wie es bei jenen Brauch ist, die ihre Hunde zum Anpacken einüben. Am nächsten Tag spricht Von Schwendi bei Bärlachs Chef Lutz vor, den er gut kennt und beschwert sich bei diesem über die zwei Polizisten (die den Hund töteten). Von Schwendi berichtet Lutz dennoch, dass Schmied als ein Dr. Prantl getarnt der Gesellschaft beiwohnte. Von Schwendi fordert Lutz nun auf, herauszufinden, aus welchem Grund Schmied (getarnt) bei Gastmann war (er glaubt vielleicht sogar als Spion). Lutz fordert daraufhin mehr Informationen über Gastmann, Schwendi lehnt dies ab, legt aber eine Liste mit Gastmanns Gästen vor (Künstler, Industrielle und Angehörige einer fremden Gesandtschaft, die Wert darauf legt, unter keinen Umständen mit einer gewissen Klasse von Industriellen zusammen genannt zu werden, da diese geheime Verhandlungen mit ihnen führen). Von Schwendi nimmt daher weiter an, das Schmied ein Spion war und von der fremden Macht umgebracht wurde (aus Angst Schmied würde die Zusammentreffen und ihren Inhalt ausplaudern) und berichtet, dass Gastmann nur sein Haus zur Verfügung stellt, da er bei beiden Gruppen (Industriellen und die fremde Macht) Ansehen besitzt. Lutz erwidert, dass er Gastmann in Ruhe lassen wird (bzw. falls nicht, wird er Von Schwendi vorher informieren), hinsichtlich der fremden Macht wird er den Bundesanwalt benachrichtigen und im Mord sich bei den Nachforschungen auf Schmieds Leben zuwenden. Dann gehen Bärlach und Lutz gemeinsam zur Beerdigung Schmieds. Lutz verkündet dabei, dass er den Mord nicht länger verheimlichen kann. Bärlach nimmt dies hin. Auf der Beerdigung erscheinen dann zwei Besoffene und legen einen Kranz „Unserem lieben Doktor Prantl“ nieder. Als Bärlach nach Hause kommt, sitzt Gastmann hinter dessen Schreibtisch und blättert in der Mappe Schmieds. Beide kennen sich. Gastmann wirft Bärlach vor, dieser habe ihm Schmieds auf den Hals geschickt. Bärlach dagegen: „Ich höre nie auf, dich zu verfolgen. Einmal wird es mir gelingen, deine Verbrechen zu beweisen.“. Gastmann: „Du musst die beeilen, du hast nicht mehr viel Zeit. Die Ärzte geben dir noch ein Jahr, wenn du dich jetzt operieren lässt.“ Bärlach: „Du hast recht. Ich kann mich jetzt aber nicht operieren lassen, ich muss mich stellen. Meine letzte Gelegenheit.“ Gastmann bestätigt: „Die letzte“. Gastmann: „Über 40 Jahre ist es her, dass wir uns am Bosporus zum erstenmal getroffen haben. Deine These war, dass die menschliche Unvollkommenheit, die Tatsache, dass wir das Handeln anderer und der Zufall nie sicher voraussagen können, der Grund sei, der die meisten Verbrechen zwangsläufig zutage fördern müsse. Ich dagegen widersprach: Gerade die Verworrenheit menschlicher Beziehungen macht es möglich, Verbrechen zu begehen, die nicht erkannt werden könnten und so ungeahndet und ungeahnt sind (da sie im Verborgenen geschehen). So haben wir eine Wette geschlossen (in der Gegenwart Bärlachs wird Gastmann ein Verbrechen begehen, dass es Bärlach nicht möglich macht, dieses ihm zu beweisen.). Bärlach dachte, dass die Einhaltung der Wette nicht möglich wäre, jedoch 3 Tage später gelang es Gastmann einen Kaufmann ins Wasser zu stoßen, der dabei ertrank. Der Mord wurde nicht nachgewiesen (ein Selbstmord bescheinigt). Gastmann: „Deine Sehnsucht war, mein Leben zu zerstören, und meine, mein Leben dir zum Trotz zu behaupten. Wahrlich, eine Nacht kettete uns für ewig zusammen! ... Nun sind wir am Ende unserer Laufbahn“. Gastmann nimmt Schmieds Mappe („die einzigen Beweise“, Bärlach hat keine Kopien davon) nun mit. Bärlach: „Einmal wird es mir gelingen, deine Verbrechen zu beweisen. Und jetzt ist die letzte Gelegenheit.“ Gastmann fordert Bärlach auf, ihn zu hindern mithilfe des Revolvers, Bärlach entgegnet, dass Gastmann die Munition schon herausnahm. Gastmann geht. Als Bärlach den Revolver überprüft, bemerkt er dass er doch geladen war. Bärlach erleidet dann einen Schmerzanfall. Lutz verkündet am nächsten Morgen Bärlach den Inhalt des Gesprächs mit von Schwendi. Bärlach nimmt dies hin, weiter führt Lutz aus dass Gastmann über jedem Verdacht stehe (da er das volle Vertrauen der schweizer Unternehmer genießt). Bärlach fordert dann von Lutz eine Woche Krankheitsurlaub, die ihm auch gewährt werden. Tschanz will nun zu Gastmann fahren, Bärlach fordert ihn aber auf zum Schriftsteller zu fahren. Tschanz hat mittlerweile das Auto Schmieds gekauft.
Ziel des Detektivs aus Leidenschaft, ist der Sieg der menschenmöglichen Gerechtigkeit. Ein Kriminalist wie Bärlach ist also dem Richter näher als dem Staatsanwalt. Letzterer ist den Gesetzen verpflichtet – und die sind wandelbarer als das Empfinden für Gerechtigkeit.
Der Schriftsteller gibt Gastmann ein Alibi und gibt an, dass Schmied (wie immer) als zweitletzter ging. Er selbst ging (auch immer) als letzter (hat aber auch ein Alibi). Er bezeichnet Gastmann als schlechten Menschen (macht das Schlechte wie Gute einfach aus einer Laune, einem Einfall heraus; er macht das Schlechte nicht um etwas zu erreichen, sondern weil es sinnlos ist. Das Böse ist bei ihm Ausdruck der Freiheit des Nichts), sein Besuch bei ihm sei nur, weil dieser gut kochen könne. Der Schriftsteller hält aber auch Gastmann zu jedem Verbrechen fähig, ist aber überzeugt das dieser unschuldig am Tode Schmieds ist. Nach dem Besuch will Tschanz noch zu Gastmann, Bärlach fordert ihn aber auf, nach Bern zu fahren. Tschanz fordert nun, klar und mit allen Mitteln gegen Gastmann vorzugehen Bärlach weigert sich und ist auch von der Unschuld Gastmanns überzeugt. Bärlach besucht daraufhin seinen Arzt (stellt nebenbei noch fest, dass Tschanz mit einem Mädchen verabredet ist). Es geht hervor, dass einmal in die Praxis eingebrochen wurde und Bärlachs Krankenakte wohl durchgelesen wurde. (Bärlach: Daher weiß es Gastmann). Der Arzt gibt Bärlach noch 3 Tage Zeit bis zur Operation (nach der er dann noch 1 Jahr zu leben hat). Nachts wird Bärlach dann in seinem Haus von einem Unbekannten (mit braunen Lederhandschuhen) überfallen. Dieser will Bärlach mit dessen eigenem Schlangenmesser (das auf seinem Schreibtisch lag) töten. Bärlach entgeht dem Anschlag aber. Bärlach ruft Tschanz an und berichtet ihm alles. Dieser kommt vorbei. Bärlach: „Ich weiß, wer es gewesen ist.“ Tschanz wird wieder verabschiedet. Am nächsten Morgen ordert Bärlach ein Taxi. Darin begegnet ihm Gastmann mit den Worten „wie geht´s? Gut geschlafen?“ und braunen Lederhandschuhen. Der Taxifahrer ist ein Diener Gastmanns. Gastmann rät Bärlach, das Spiel aufzugeben und die Niederlage einzusehen. Bärlach entgegnet „Wir können nicht aufgeben. Du bist in jener Nacht in der Türkei schuldig geworden, weil du die Wette geboten hast und ich, weil ich sie angenommen habe.“ Bärlach sagt weiter, dass er von der Unschuld Gastmanns in Bezug auf Schmieds Ermordung überzeugt ist. Aber: „Es ist mir nicht gelungen, dich der Verbrechen zu überführen, die du begangen hast, nun werde ich dich eben dessen überführen, das du nicht begangen hast.“ Gastmann sagt Bärlach, dass er ihn das nächste Mal töten werde. Bärlach dagegen: „Du wirst mich nicht töten. Ich bin der einzige, der dich kennt, und so bin ich auch der einzige, der dich richten kann. Ich habe dich gerichtet, zum Tode verurteilt. ... Der Henker, den ich ausersehen habe, wird heute zu dir kommen und dich töten, denn das muss nun eben einmal in Gottes Namen getan werden.“. Bärlach geht dann in den Bahnhof. Tschanz macht der Verlobten Schmieds einen Heiratsantrag, die bejaht (unter der Bedingung das Schmieds Mörder gestellt wird, was Tschanz auch verspricht). Tschanz sucht daraufhin Gastmann auf. Dieser ist mit seinen zwei Dienern reisebereit. Ein Diener schießt auf Tschanz, dieser wird aber nicht getroffen und schießt seinerseits die drei Herren tot. Er selbst wird aber auch noch durch einen Schuss getroffen. Lutz stellt aufgrund der gefundenen Mappe Schmieds fest, dass dieser Gastmann überführen wollte und so sterben musste, da in der Hand eines Dieners auch die Tatwaffe gefunden wurde. Bärlach kommt und erblickt den toten Gastmann. „Nun bleib zwischen ihnen nichts mehr als die Unermesslichkeit des Todes, ein Richter, dessen Urteil das Schweigen ist. Bärlach war nichts mehr geblieben als ein müdes Zudecken, als eine demütige Bitte um Vergessen, die einzige Gnade, die ein Herz besänftigen kann, das ein wütendes Feuer verzehrt.“ Bärlach lädt dann Tschanz zum Essen ein. Er feiert, dass er Schmieds Mörder endlich gestellt hat: Nämlich Tschanz (der Revolver des Dieners ist der Revolver Tschanz: Gastmanns Hund wurde mit der gleichen Waffe erschossen wie Schmieds. Bärlach wusste um den Hund und präparierte daher den Arm, um dies zu beweisen; weiterer Beweis: Tschanz fuhr in jener Nacht hinter Schmied her, hatte dafür einen Wagen gemietet). Grund war: Eifersucht auf seinen Erfolg, Bildung und sein Mädchen. Aber dadurch wurde Tschanz zum Spielzeug: Er wurde das Mittel, um Gastmann zu töten (musste einen anderen Mörder finden: Gastmann. Bärlach: „Ich machte mein Ziel zu deinem Ziel.“). Um von sich abzulenken und Gastmann zu belasten, benötigte Tschanz Schmieds Mappe, daher brach er in Bärlachs Haus ein (er wusste ja nicht das Gastmann diese hatte). So hetzte aber auch Bärlach Tschanz gegen Gastmann und umgekehrt (der eine musste von sich ablenken, dem anderen war gewiss, dass jemand kommt um ihn zu töten). Tschanz: „Dann waren Sie der Richter, und ich der Henker.“ Bärlach verspricht nun Tschanz nicht zu verraten, fordert ihn aber auf zu verschwinden („Es ist genug, dass ich einen richtete.“). Am nächsten Tag berichtet Lutz Bärlach, Tschanz sei in seinem Wagen vom Zug erfasst worden und nun tot. Bärlach fordert nun nur noch seine Operation und schließt mit „Nur noch ein Jahr“. Ende
Der Meteor – Eine Komödie (In: Nobelpreisträgerstücke)
(„Es geht im Gegensatz zu den verschiedenen Fassungen der Werkausgabe nicht darum, die theatergerechten, d.h. die gestrichenen Fassungen herauszugeben, sondern die literarisch gültigen. Literatur und Theater sind zwei verschiedene Welten: Außer den Komödien, die ich nur für das Theater schrieb, gebe ich im Folgenden – die ersten Stücke tastete ich nicht an – die dichterische Fassung wieder, eine Zusammenfassung verschiedener Versionen. F.D.)
Zwei Akte; Wiener Fassung 1978
Personen:
Wolfgang Schwitter (Nobelpreisträger)
Olga (Seine Frau)
Jochen (Sein Sohn)
Carl Conrad Koppe (sein Verleger)
Friedrich Georgen (Starkritiker)
Hugo Nyffenschwander (Kunstmaler)
Auguste (dessen Frau, Aktmodell)
Emanuel Lutz (Pfarrer)
Der große Muheim (Unternehmer)
Professor Schlatter (Chirurg)
Frau Nomsen (Geschäftsfrau)
Glauser (Hauswart)
Major Friedli (von der Heilsarmee)
Schafroth (Polizeiinspektor)
Kritiker, Verleger, Polizisten, Heilsarmisten
Geschrieben: 1964; Uraufführung im Schauspielhaus Zürich, 20.01.1966; Idee wurde wohl in den späten 50er Jahren entwickelt und ist im wesentlichen 1964/65 entstanden. 1966 erschien die erste Druckfassung; Aufführungen in Hamburg, München, London, Warschau (alle 1966), Tel Aviv (1967), Philadelphia (1969) und Buenos Aires; Fernsehbearbeitung 1967; Dürrenmatt überarbeitet die Erstausgabe erst 1978, die Wiener Fassung dann 1980 (für die Werksausgabe).
Schwitter, ein Literaturnobelpreisträger, ist tot. Jedoch betritt er, am längsten Sommertag, die Wohnung des Kunstmalers (war Schwitters alte Wohnung, wo er zu schreiben begann) und will diese für 10 Minuten zum Sterben mieten. Er macht es sich bequem, lässt seine Manuskripte verbrennen. Der Pfarrer kommt, macht Schwitter darauf aufmerksam, dass er tot war und nun auferstanden ist (sieht dies als Wunder). Schwitter weist dies aber klar ab (will „nichts als noch einmal eine Minute als Wirklichkeit erleben, als noch einmal eine Sekunde voller Gegenwart, noch einmal die reine Zeit spüren“). Schwitter betrinkt sich dann. Er sieht sich als scheintot an und sagt, er muss sterben. Der Pfarrer legt sich ins Bett und stirbt. Hauswart Glauser kommt. Zu viert schaffen sie nun die Leiche weg. Muheim erscheint. Schwitter teilt ihm mit, dass er früher dessen Gattin gegen die Monatsmiete des Ateliers (seiner früheren Wohnung, die Muheim gehört) beglückte. Dann kauft Schwitter für 10.000 alle Bilder Nyffenschwanders ab und lässt sie durch Glauser verbrennen. Schwitter erklärt Muheim, dass aber irgendwann seine (Schwitters) Frau hinter den Betrug kam (obwohl auch diese ihn mit einem Metzger betrog, wobei er so die besten Filetsteaks bekam). Er heiratete dann noch dreimal (immer feinere Weiber). Zum Schluss nahm er ein Call-Girl zur Frau („die war die Beste.“). Schwitters Frau Olga erscheint. Er fordert sie aber zum Gehen auf. Lässt sich dann auch eine zweite Flasche Kognak besorgen. (Schwitter zu Olga: „Du bist das Geschenk, das ich der Öffentlichkeit vermache; Cäsar stiftete seine Gärten, ich eine Dirne!“). Schwitters Sohn Jochen erscheint und will sein Erbe holen (ist sich sicher ein Vermögen zu bekommen). Schwitter erklärt ihm, dass er es verbrannt hat. Der Sohn geht ab („Im übrigen bleiben mir noch die Tantiemen“). Schwitters Frau ab. Schwitter fordert Auguste auf, sich auszuziehen und sich zu ihm zu legen. Sie macht dies auch. Währenddessen will Nyffenschwander in die abgeschlossene Wohnung (fordert auf, aufzumachen; „Der Scheck ist nicht gedeckt“). Ende 1. Akt.
Schwitter scheint nun tot. Um ihn herum sind verschiedene schwarzgekleidete Herren, u.a. Starkritiker Friedrich Georgen, Carl Conrad Koppe (Schwitters Verleger) und im Hintergrund der Kunstmaler und Glauser. Auguste wird nach hinten gedrängt. Presseleute machen Fotos. Der Starkritiker hält die Trauerrede („...ihm fehlte der Glaube...“)(Sein Verleger: „...Literarisch ist der Mann erledigt, noch eine Dünndruckausgabe und er ist vergessen...“). Der Starkritiker, die Presse und der Verleger gehen. Zurück bleiben Auguste, Nyffenschwander und Glauser. Glauser geht ab. Nyffenschwander erregt sich, da „endlich einmal Kritiker und Verleger zu mir heraufsteigen – wegen der Leiche – und ich besitze kein einziges Bild mehr“. Er fordert nun Auguste auf, dass sie sich ausziehe. Diese verweigert jedoch. Auguste gibt zu mit Schwitter geschlafen zu haben. Auguste trennt sich nun von Nyffenschwander, da sie glaubt, von ihm nur als Modell gesehen zu werden, und nimmt die Kinder mit. Schwitter steht wieder auf und fordert den Maler auf, dass Bett umzustellen. Es wird umgestellt. Der Maler macht Schwitter Vorwürfe (wegen seiner Bilder, dem Scheck, der Frau), ist außer sich und will Schwitter töten. Der hat nichts dagegen. Muheim tritt auf und erklärt er habe allein das Recht, Schwitter zu töten (da er sich Illusionen machte: glaubte seine Frau wäre treu und würde ihn lieben). Tötet ihn aber nicht. Muheim drängt den Künstler aus der Tür, der fällt und stirbt. Dann werfen Schwitter und Muheim die Kränze vor die Tür. Schwitter stellt wieder die Möbel um. Muheim erklärt seine Rückkehr: Er wollte Schwitters Leiche anstarren (mit der Ahnung einer höheren Gerechtigkeit). Schwitter will nun wieder sterben. Nun bemerken beide, dass Schwitter Muheims Frau verwechselt hat, sie war ihm also doch treu. Prof. Schlatter erscheint nun, gefolgt von Kriminalinspektor Schafrath, 2 Polizisten und Glauser (mit den Kränzen). Muheim gibt den Stoß an dem Maler zu. Die Kränze werden an die Wand gestellt. Es stellt sich heraus, dass der Maler tot ist. Schwitter gibt zu phantasiert zu haben (also Muheims Geschichte erfunden zu haben). Muheim tobt, beruhigt sich dann wieder (wurde von Schwitter erledigt, weil er „in Schwitters Sterben geriet“. Wird von den Polizisten und dem Inspektor abgeführt. Ur noch Glauser und Schlatter bleiben. Prof. Schlatter untersucht nun Schwitter, stellt seine volle Gesundheit fest. Schwitter leugnet dies, und will jetzt endlich sterben. Verleger Koppe erscheint. Auch Koppe scheint ruiniert, da 500.000 von den Scheinen ihm gehörten. Geht ab. Schlatter weist auf Schwitters Gebrechen hin (der nahezu jede Krankheit eigentlich haben sollte). Schwitter fordert von Schlatter die Todesspritze. Der verweigert jedoch. Schlatter will Schwitter für weitere Untersuchungen in die Klinik mitnehmen, Schwitter weigert sich („Ich will nicht wieder hoffen.“). Schlatter will sich nun, gedemütigt, umbringen. Frau Nomsen erscheint (will Blumen bringen). Schlatter geht ab. Frau Nomsen, beruflich Abortfrau, stellt sich als Olgas Mutter vor und teilt Schwitter mit, dass Olga Selbstmord beging und sie eigentlich Puffmutter ist (besitzt zwei Villen, usw.). (Schwitter: „Das Leben hängt vom Zufall ab.“). Frau Nomsen stirbt. Jochen kommt herein („Mit den Tantiemen ist auch nichts. ... deine Bücher verschimmeln...“). Schwitter hat nun Angst, ewig leben zu müssen. Auch Jochen stirbt. Die Heilsarmee erscheint („Morgenglanz der Ewigkeit, Licht vom unerschaffnen Lichte, Schick uns diese Morgenzeit, Deine Strahlen zu Gesichte“ ® Schwitter: „...hier wird gestorben. ... Ich bin berufen zum Sterben, allein der Tod ist ewig. Das Leben ist eine Schindluderei der Natur. ... Aus Totem zusammengesetzt, zerfallen wir zu Totem. ...(Schwitters letzte Worte:) Wann krepiere ich endlich!“, der Chor: „Und vertreib durch deine Macht unsre Nacht“). Ende Der Meteor formuliert Zeitloses, aber mit der Zeit verwoben. Seine Hauptfigur erlebt die Zeitlosigkeit am eigenen Leib: sie kann nicht sterben. Der Nobelpreisträger Wolfgang Schwitter kommt immer wieder dazu, das Zeitliche zu segnen, aber beim Segnen bleibt es nicht, es folgt nach einem kurzen Intervall der Starre die leibliche Auferstehung.
Dürrenmatt über das Stück („Voraussichtliches zum ‚Meteor’): „Ich werde ein neues Stück schreiben. Das Thema: der Tod. Im Mittelpunkt steht ein sterbender Mensch von heute. Das Bewusstsein des nahen Todes verleiht ihm eine ungeheure Kraft, eine Kraft der Zerstörung. Angesichts des Todes übersteigt sich sein Individualismus, jede gesellschaftliche Bindung fällt dahin. Ich zeige, dass Nihilismus keine Lehre, sondern eine Haltung des Menschen ist. Der Meteor heißt das Stück. Ein Meteor wird bekanntlich, wenn er in die Lufthülle der Erde eintritt, ungeheuer erhitzt, und er entwickelt einen phantastischen Glanz, ehe er erlöscht.
Zwanzig Punkte zum ‚Meteor’
1. Eine Kritik ist ohne Analyse unmöglich
2. Frage ist „Was stellt der Autor dar?“ (Was ist das objektive Resultat seiner Bemühungen), nicht was er beabsichtigte (ist seine Sache). Eine Kritik hat sich vorerst nur mit diesem Resultat zu befassen.
3. Das objektive Resultat habe ich auf seine immanente Logik hin zu überprüfen (z.B. darf nichts grundlos geschehen). Der Grund, weshalb etwas geschieht, (und die Personen) muss in der Idee des Stückes liegen.
4. Idee des Stücks muss/sollte eine dramatische Konstellation enthalten, die das Stück erst möglich macht. Einzige Aussage des Stücks ist deine Idee (alle seine Aussagen müssen in der Idee des Stückes ihren Grund haben).
5. Idee des Stücks: Geschichte eines Mannes, der aufersteht und seine Auferstehung nicht glaubt.
6. Auferstehung ist ein Wunder.
7. Wunder ist für den Gläubigen Beweis Gottes und für den Ungläubigen ein unbekanntes Naturphänomen, eine Halluzination, ein Betrug, usw., d.h. ein Ärgernis.
8. Der Auferstandene, der nicht an seine Auferstehung glaubt ( = ein Paradox) ist so ein doppeltes Ärgernis: als Auferstandener und als ein nicht Glaubender.
11. Ein paradoxer Mensch ist in einem höheren Sinne eine komische Gestalt, die gleichzeitig komisch und tragisch ist. Der Meteor ist weder als reines Lustspiel noch als reine Tragödie denkbar. Tragik und Komik stehen sich schroff gegenüber (heben sich aber nicht auf). Der Meteor ist ein wildes Stück (kann nicht gepflegt inszeniert werden, keine Dämpfung zu Gunsten eines gesitteten Bildungs-Christentums.
12. Als Auferstandener, der nicht an seine Auferstehung glaubt, ist Schwitter eine Gestalt aus der christlich-abendländischen Welt. Indem ein Wunder geschieht, wird ein Faktum gesetzt. Das Christentum glaubt an die Auferstehung des Menschen im Jüngsten Gericht – Frage ist aber, inwieweit es heute noch wirklich glaubt. Ursprünglich war sich die Christenheit bewusst, dass sie für die Juden ein Ärgernis und für die Griechen eine Torheit war. Heute ärgert sie sich darüber, dass sie für den Nichtchristen eine Torheit sein soll: Die heutige Christenheit ist sich selber zum Ärgernis geworden. In dieser Perspektive ist der Auferstandene, der nicht an seine Auferstehung glaubt, eine Gestalt, die die heutige Christenheit versinnbildlicht. Insofern wir uns zu ihr zählen, lachen, ärgern, pfeifen wir über uns selber.
13. Schwitter ist keine Allegorie, das Stück keine allegorische Fabel, in der alles einen tieferen sinn habe, dennoch sind Gestalten gültige Bilder einer menschlichen Ursituation.
14. Der Auferstandene, der nicht an seine Auferstehung glaubt, kann nicht glauben. Der Meteor ist ein Stück über das Nicht-glauben-Können. Ein Auferstandener kann eines nicht wissen: dass er tot war. Dass er tot war, muss er von anderen erfahren. Er muss daher den anderen glauben. Glauben heißt zuerst einmal den anderen vertrauen. Indem man nicht vertraut, sondert man sich ab. Nicht glauben ist ein Sichabsondern. Schwitter ist abgesondert, er ist der Einzelne, in seiner schrecklichen Einsamkeit ein Bild des Einzelnen!
15. Schwitter ist ein Paradox (siehe 8.). Er weiß nicht, dass er an etwas Falsches glaubt. Er hält seinen Glauben für ein Wissen. Der Tod ist für ihn etwas Unüberwindliches. Er glaubt nicht an seine Auferstehung, weil er an sich an keine Auferstehung glaubt. Er hat nichts als das Leben. Dass er sterben muss, ist seine Verzweiflung. Will er seine Verzweiflung überwinden, muss er dem Sterben einen Sinn geben. Das kann er nur – extrem gesehen, und Der Meteor hat ja nur als extremes Stück seinen Sinn -, indem er das Leben in Frage stellt und den Tod als das Absolute setzt. Nur so wird das Sterben zum Höhepunkt des Lebens.
16. Der Mensch lebt nicht allein. Leben ist nur durch und im Zusammenleben möglich – allein ist der Mensch nur im Sterben. Sterben ist die letztmögliche Vereinzelung. Im Sterben wird der Mensch zu einem totalen Individuum. Schwitter sondert sich zweimal ab, indem er nicht glaubt und indem er glaubt, dass er stirbt.
17. Als Auferstandener gehört Schwitter zu den Lebenden – als Auferstandener, der nicht an seine Auferstehung glaubt, zählt er sich zu den Sterbenden. Er wird zu einem Einzelnen in der Gesellschaft, zu einem totalen Individuum unter den relativ Individuellen: Ein solches Individuum wird gefährlich allein dadurch, dass der Tod, an den es glaubt, nicht stattfindet.
18. Schwitter gewinnt nicht das ewige Leben, sondern das ewige Sterben.
19. Das ist die Idee des Stückes in ihrer diskutierten Form. Nur von ihr aus kann das Stück kritisiert, dass heißt überprüft werden.
20. Ein Stück ist die Umwandlung einer Idee ins absolut Spontane.
(Geschrieben aus Anlass einer Diskussion über den Meteor am 25.2.1966 im Schauspielhaus Zürich)
Wie in früheren Werken entwirft Dürrenmatt auch in diesem Stück eine „verkehrte Welt“ von grotesker Tragikomik und rechnet anhand eines absurd überspitzten Modellfalls mit der heutigen Gesellschaft ab. Seine Satire gilt sowohl dem Starkult um einen Nobelpreisträger wie der Scheinheiligkeit gegenüber dem Tod.
Der klinisch für tot erklärte Schriftsteller Wolfgang Schwitter hat sich, wieder zum Leben erwacht, aus dem Krankenhaus geschlichen und erscheint in seinem einstigen Atelier, um dort ungestört sterben zu können. Mit seinem verfehlten Leben hat er abgeschlossen, stopft seine Manuskripte und Banknoten im Wert von 1,5 Mio. in den Ofen und wartet auf seinen Tod. Jenseits aller Lebenshoffnung aber beginnt er unversehens eine unheimliche, zerstörerische Vitalität zu entwickeln. Seine bindungslose Freiheit und die Besessenheit mit der er auf seinem Recht zu sterben besteht, vernichten alles Leben um ihn: den Pfarrer, der an Schwitters Auferstehung glaubt; seine 19-jährige Frau, ein ehemaliges Callgirl; die Toilettenfrau und Zuhälterin, die sich ihm als seine Schwiegermutter vorstellt. Die Frau des mittelmäßigen Aktmalers Nyffenschwander entdeckt in Schwitters Armen das wahre Leben und verlässt ihren Mann. Der Großunternehmer Muheim zerbricht an der Enthüllung, seine Frau habe ihn ebenfalls mit Schwitter betrogen, und tötet in seiner Verzweiflung Nyffenschwander: eine sinnlose Tat, da für Schwitter Wahrheit und Lüge zu austauschbaren Begriffen geworden sind. Er ruiniert auch den Arzt, der ihn nach einem neuerlichen Scheintod für völlig gesund erklären muss. „Ein Skandal, dass ich noch lebe!“ ruft Schwitter, aber das Sterben ist ihm nicht vergönnt. Während ein Heilsarmeechor seine Auferstehung feiert, schreit er: „Wann krepiere ich endlich?“
Der todbringende Meteor, der weiterleben muss – Dürrenmatt entwickelt diesen glänzenden Einfall zum makabren, possenhaften Bühnenspaß. Der Nobelpreisträger, der sein Sterben lebt („Die Idee des Stücks ist die Geschichte eines Mannes, der aufersteht und seine Auferstehung nicht glaubt“), fügt sich als „totales Individuum“ nicht mehr in die Gesellschaft, der er entfliehen wollte. „Ein Schriftsteller, den unsere heutige Gesellschaft an den Busen drückt, ist für alle Zeiten korrumpiert.“ Ebenso scharf beleuchtet Dürrenmatt das Tödliche der literarischen Kritik, die Schwitter vernichtet, indem sie ihn „versteht“. Mit dem Satz „Sein Theater, nicht die Realität, ist grotesk“ nimmt der Autor Bezug auf sein eigenes Schaffen und erhebt zugleich Anklage gegen das saturierte Publikum. In scharfen Paradoxien gestaltet er eine widersprüchliche Wirklichkeit: Der Arzt bittet den Sterbenden um eine letzte Chance; ein Auferstandener bemüht sich vergeblich zu sterben während um ihn herum alles gesunde Leben erlischt; sein Tod führte zum Leben, unser in Konvention ersticktes Leben ist in Wahrheit Tod.
Die Panne – Ein Hörspiel
Die Stimmen:
Alfredo Traps (45 Jahre, Generalvertreter in Textilien, [im Laufe des Verhörs, stellt sich heraus:] vorher nur Reisender, neues Auto seit einem Jahr, Spitzname in der Schlaraffia: Marquis de Casanova, verheiratet, 4 Kinder, „wenn was außerehelich passiert, so nur zufälligerweise und ohne Ambition“, siehe auch unten)
Garagist
Wirt
Richter (Herr) Werge (Besitzer der Villa, 90 Jahre, fit, eine Kapazität)
Staatsanwalt Zorn
Verteidiger Kummer
Pilet (der Henker)
Simone (die Serviererin)
Tobias (Gast, hat seine Gattin vergiftet, wurde vor 5 Jahren zu lebenslänglich verurteilt, keine Todesstrafe, da unzurechnungsfähig, spielt wenn keine Gäste da sind, den Angeklagten)
Weitere Personen (nicht anwesend):
Gygax (Traps ehemaliger Chef)
Geschrieben: 1955; Erstsendung am 17.01.1956 im Bayerischen Rundfunk; Ausgezeichnet mit dem Hörspielpreis der Kriegsblinden für das Jahr 1956; das Hörspiel erschien erstmals 1961 im Arche-Verlag Zürich,
die Komödie erschien erstmals 1980 im Diogenes Verlag, Zürich;
die Erzählung entsteht 1955 bis August 1956 (Untertitel: Eine noch mögliche Geschichte), erscheint 1956
Für das Hörspiel stützt sich Dürrenmatt auf eine Arbeitsfassung der Erzählung, verändert allerdings den Schluss. Der Stoff wird 1957 zum Fernsehspiel und 1979 zur Komödie umgearbeitet. In der Prosafassung lässt Dürrenmatt den Angeklagten Traps Selbstmord begehen, in der Fernsehfassung und im Hörspiel dagegen fährt Traps am nächsten Morgen, nüchtern geworden, weiter und schüttelt das Erlebnis ab, um den nächsten Gegner „den Hals umzudrehen“. 1958 wird die Erzählung mit dem „Prix de la Tribune de Lausanne“ ausgezeichnet. Neben den vom Hörspiel ausgehenden Filmfassungen wird auch die Erzählung dramatisiert („Deadly Game“, Theateradaption, 1960, Longacre Theater; New York; 1967 Ausstrahlung einer Bearbeitung im ungarischen Fernsehen; 1972 als Kinofilm „La più bella serata della mia vita/La plus belle soirée de ma vie“
Gibt es in einer Welt, die vom Zufall und nicht mehr vom Schicksal bestimmt wird, in einer „Welt der Pannen“, in der „kein Gott mehr droht, keine Gerechtigkeit“, für einen Schriftsteller noch Geschichten, die er ohne eine moralische Attitüde erzählen kann? („Bloße Unterhaltung bietet das Leben unter dem Strich, für mehr wird Seele gefordert, Geständnisse, Wahrhaftigkeit, höhere Werte, Moralien [...] So droht kein Gott mehr, sondern Verkehrsunfälle, Deichbrüche infolge Fehlkonstruktion, Explosion einer Atombombenfabrik, hervorgerufen durch einen zerstreuten Laboranten, falsch eingestellte Brutmaschinen. In dieser Welt der Pannen führt unser Weg, an dessen staubigem Rand sich noch einige mögliche Geschichten ergeben, indem aus einem Dutzendgesicht die Menschheit blickt, Pech sich ohne Absicht ins Allgemeine weitet, Gericht und Gerechtigkeit sichtbar werden, vielleicht auch Gnade, zufällig aufgefangen, widerspiegelt vom Monokel eines Betrunkenen“).
Dürrenmatt sucht eine Lösung, indem er seinen ganz durchschnittlichen Helden, Alfredo Traps, Textilreisender, von einer alltäglichen Autopanne zur schicksalshaften Erkenntnis seiner selbst führt.
Traps: Junge! Rücksichtslos gehe ich nun vor. Dem drehe ich mal den Hals um. Wird sich wundern. Unnachsichtlich! Kein Pardon, keine Gnade. Nee. Fünf Prozent! Ich rieche den Braten. ..., den habe ich schön hereingelegt (vgl. Ende!). Traps ist zu Beginn rabiat, erscheint arrogant und rücksichtslos (erkennt man auch an seiner Sprache: Auslassend, Ellipsen) Ein Motorschaden bei seiner Heimfahrt führt Traps in eine Villa (weil die Gasthöfe vom Kleinviehzüchterverband besetzt sind). Er beschreibt die Landschaft, denkt an eine kleine Affäre in dem Örtchen (die er auch schon anderswo hatte). Traps trifft so sein Gastgeber Werge (der Richter) (dabei verändert sich die Sprache: Der Richter, später die anderen alten Herren sind eher zurückhaltend: Kurze Sätze, z.T. auch auslassend, berichten Traps immer nur das nötigste: Dienst, dann Spiel, sonderbares Spiel, alte Berufe, Gericht, usw., legt sich dann aber mit der Zeit). Richter ist ins Dorf gezogen wegen des milden Klimas. Traps soll mit den vier älteren Herren zusammen, nun ein „Gerichtsspiel“ („Wir spielen Gericht“) spielen, das ihnen auf ihren Herrenabenden in Fortsetzung ihrer früheren Berufe als Richter, Staatsanwalt, Verteidiger und Henker zum Zeitvertreib dient (i.d.R. spielen sie historische Prozesse: Sokrates, Jesus, Jeanne d’Arc, usw. durch). Traps übernimmt die Rolle des Angeklagten (Staatsanwalt: „ist nicht scher zu spielen, jeder Stümper ist dazu fähig“[...] „Ein Verbrechen lässt sich immer finden.“). Der Verteidiger will sich nun mit Traps besprechen (beschreibt so zuerst die Umgebung), fordert von Traps, sein Verbrechen gleich ihm anzuvertrauen (ist am besten um durchzukommen). Traps ist sich keines Verbrechens bewusst. Er ist aber über das Spiel erfreut. Traps beteuert nun vor dem „Gericht“ scherzhaft seine Unschuld, ohne die lakonische Bemerkung des Staatsanwaltes, eine Schuld werde sich schon finden lassen, zu beachten („Unschuldig ist och nie vorgekommen. Was es nicht geben kann, gibt es nicht!). Während des erlesenen Abendessens beginnt, von Traps zunächst unbemerkt, das Verhör, in dessen Verlauf, häufig unterbrochen durch den Wechsel der Speisen und Bekundungen der gegenseitigen Sympathie, der harmlose Traps zur Erkenntnis seiner Schuld am Tode seines kürzlich an einem Herzinfarkt verstorbenen Chefs gebracht wird. Traps führt nach eigener Ansicht ein alltägliches Leben (siehe oben, Vater: Fabrikarbeiter, freudloser Mann, dem Kommunismus verfallen; Mutter Wäscherin, früh gestorben; Alfredo selbst besuchte nur die Primarschule, war zuerst (vor 10 Jahren) Hausierer, Tippelbruder; Jetzt: Alleinvertretung der Hephaiston [Kunststoff; Gott des Feuers/Schmiede, dargestellt: kräftig, hinkend, mit Handwerkstracht] auf diesem Kontinent). Beruflich aufgestiegen („Habe zuerst Gygax besiegen müssen, und das war eine harte Arbeit“), durch den Tod seines ehemaligen Chefs Gygax (letztes Jahr) (Staatsanwalt: Da hätten wir unseren Toten aufgestöbert“). Der starb 52-jährig wegen eines Herzinfarkts. [Trabs bemerkt erst jetzt das Verhör; der Richter: „Wir haben uns vom unnötigen Wust der Formeln, Protokolle, Schreibereien, Gesetze befreit und was für Kram sonst noch unsere Gerichtssäle belastet. Wir richten ohne Rücksicht auf die lumpigen Gesetzbücher und Paragraphen.“]. Traps und sein Verteidiger besprechen sich abermals (der Verteidiger beschreibt nun wieder die Umwelt): Der Verteidiger macht Traps aufmerksam, dass sie den Prozess so wohl verlieren. Sie unterhalten sich über das Spiel. Beide finden es toll und lustig (Verteidiger: Man lebt auf. Gesundes Klima. Richter und Staatsanwalt waren eigentlich sterbenskrank, durch den Einfall des Spieles wurde dies der Gesundbrunnen; gespielt wird jede Woche mit Gästen). Verteidiger kommt auf die Todesstrafe zu sprechen („In der staatlichen Justiz [ist sie abgeschafft], aber nicht hier in der privaten Justiz, dort wurde sie wieder eingeführt: gerade die Möglichkeit der Todesstrafe macht unser Spiel so spannend.“, Pilet, pensionierter Henker aus dem Nachbarlande, ist dabei der Henker). Traps fürchtet sich plötzlich.(Henker, Schrei des Tobias). Beruhigt sich, Verteidiger fordert von Traps abermals ein Geständnis („Gestehen muss man, ob man will oder nicht, zu gestehen hat man immer was.“), Traps lehnt ab („besondere Reiz des Spiels ist, dass einem dabei unheimlich und gruselig wird. Das Spiel droht in Wirklichkeit umzukippen. Man fragt sich auf einmal, bin ich nun ein Verbrecher oder nicht?“). Traps berichtet: Gygax starb an Herzinfarkt, hatte aber schon vorher einen, was Traps von dessen Frau weiß. („Ich will nun die Wahrheit sagen. In einer so freundlichen Gesellschaft erträgt man auch die Wahrheit.“). Traps gesteht nun eine Affäre mit der Frau, die er seit dem Tode Gygaxens beendet hat, um sie nicht in Verruf zu bringen. Traps berichtet nun von sich als harter Geschäftsmann. Staatsanwalt wirft nun Traps den Mord vor, der bestreitet. Traps und Staatsanwalt duzen sich nun (Staatsanwalt: „Die Gerechtigkeit ist etwas Heiteres, nichts Fürchterliches, wie es die öffentliche Justiz geworden ist.“), alle stoßen nun auf die Gerechtigkeit an. Staatsanwalt berichtet nun von seinem Mordverdacht (wie er sich abgespielt haben könnte). Zu Beginn bestreitet Traps alles, stimmt aber den Ausführungen immer mehr zu (Traps Chef war rücksichtslos, ausnutzend, unterdrückend; hielt den Herzinfarkt geheim, um keine Schwächen zu zeigen; vernachlässigte seine Frau; war aber von deren Treue überzeugt; Frau wurde aber untreu; ein Freund Traps berichtete dies, nach Traps Überredung, dem Chef (Traps: „Ich liebe keine Heimlichkeit.“ – informierte aber dagegen seine Frau nicht darüber)) Traps bestreitet nun seine Schuld, stimmt dem Verlauf der Ausführungen aber zu. Dann: Raps: „Es geschah – ich wollte ihn schädigen.“(Staatsanwalt: „Man mordet oft, ohne es zu wissen.“)...nach weiteren Ausführungen gibt Traps zu seinen Chef getötet zu haben. (Verteidiger beschreibt wieder die Umwelt). Verteidiger versucht den Mord nun wieder als Tod darzustellen (als Unglücksfall/Zufall, und Traps als normaler Durchschnittsmensch). Traps beteuert nun seine Schuld/den Mord. Er stellt sich, mit vollem Nachdruck, als Mörder dar. Traps ist auch bereit das Urteil anzunehmen. Der Richter urteilt: Traps tötete (zwar nicht aus Absicht, aber aus Rücksichtslosigkeit)(„...unsere Gerechtigkeit ist eine verkehrte, groteske, schrullige, pensionierte Gerechtigkeit) und wird nun zum Tode verurteilt. Traps nimmt dankbar an. Der Henker soll nun das Urteil vollstrecken und führt Traps in sein Zimmer (vorbei an Folterinstrumenten) für zum Tode Verurteilte. Traps hat nun Angst. In seinem Zimmer steht eine Guillotine. Der Henker bereitet sie vor, fordert von Traps, dass er sich ausziehen soll und fordert Traps auf, ins Bett zu gehen. Traps: „Aber ich bin doch ein Mörder, ich muss doch hingerichtet werden... – ich bin doch ... müde, alles ist ja schließlich nur ein Spiel!“. Nächster Morgen: Simone weckt Traps, der hat es eilig, bedankt sich, fand es spaßig. Traps Schlussmonolog: „Muss komisches Zeug zusammengeredet haben letzte nacht. Was war eigentlich los? So was wie eine Gerichtsverhandlung. Bildete mir ein, einen Mord begangen zu haben. So ein Unsinn. Ausgerechnet ich. Kann ja keinem Tierchen was zuleide tun. Habe andere Sorgen, wenn man so mitten im Geschäftsleben steht. Dieser Wildholz! Rieche den Braten. Fünf Prozent will der abkippen, fünf Prozent. Junge, Junge. Rücksichtslos gehe ich nun vor, rücksichtslos. Dem drehe ich den Hals um. Unnachsichtlich!!“
Umtost von allseitigem Jubel verkündigt der Staatsanwalt, angefeuert von Traps selbst, das Todesurteil. Verfolgen die alten Herren dieses Spiel mit immer wachsendem Vergnügen, so beginnt in dem staunenden Traps eine Ahnung von höheren Dingen, von Gerechtigkeit, Schuld und Sühne, aufzusteigen. Er fühlt sich wie „neu geboren“, das Spiel kippt für ihn in Wirklichkeit um.
(In der Erzählung: als ihm die Herren am nächsten Morgen zum humorvollen Andenken das auf ein Stück Pergament gekritzelte Todesurteil aufs Bett legen wollen, erblicken sie Traps am Fenster erhängt).
Das Gericht ist ein Überbleibsel einer vergangenen (alten) Welt, mit anderen moralischen (und gesetzlichen) Ansprüchen (siehe z.B. das Monokel, die antike , aus der Mode gekommene Einrichtung und Umwelt, die alten Herren selbst.
Durch die Vermischung tragischer und komischer Elemente, durch die Kontrastierung von Spiel und Ernst nimmt diese Geschichte jene grotesken Züge an, die auch für Dürrenmatts Theaterstücke charakteristisch sind. Die humoristisch-realistische Darstellung eines vergnügten Herrenabends ist mit unerwarteten Einblicken in die unheimlichen psychischen Prozesse einer durchschnittlichen Existenz verknüpft. Ein für die herrschenden ökonomischen Verhältnisse typischer Mensch, der in großspuriger Rücksichtslosigkeit den Kriterien der Leistung und des Erfolgs gehorcht, fällt schließlich (in der Erzählung!) seinem latent wirkenden, ins Unbewusste abgedrängten Schuldgefühl zum Opfer (im Hörspiel: wird damit konfrontiert!). Er gerät aus der Welt, in der wir alle leben, in eine Welt der überzeitlichen Forderungen. Er stellt betroffen fest: „Das Spiel droht in die Wirklichkeit umzukippen“, womit jedoch die Wirklichkeit des Gerichtstags im biblischen Sinn gemeint ist. Dass es skurrile Greise sind, die sie vertreten, hindert nicht, dass Traps seine Schuld erkennt und das Urteil annimmt. Durch das groteske Spannungsverhältnis zwischen nichtigem Anlass (Autopanne) und tödlichem Ausgang, spielerischer Improvisation und schicksalshafter Verstrickung, legitimiert sich die Panne als eine „noch mögliche Geschichte“, in der „aus einem Dutzendgesicht die Menschheit blickt, Pech ohne Absicht ins Allgemeine weitet, Gericht und Gerechtigkeit sichtbar werden.“ Alfredo Traps geriet in ein Netz, wo noch Gericht gehalten wird im Sinne der alten tragischen Überlieferung. Dies Gericht aber ist tragisches Spiel mit possenhaftem Einschlag; der Apparat der Gerechtigkeit ist in hohem Maße pensionsreif; Justiz wird als Spiel betrieben, als Würze eines grässlich üppigen Gastmahls. In der Urteilserklärung platzt die Idee „Gerechtigkeit“ wie eine Seifenblase; die Menschen stehen längst unter anderen Gesetzen und Zwängen. Die Frage nach Recht und Gerechtigkeit ist für die Richtenden nur noch ein Spiel mit austauschbaren Angeklagten uns austauschbaren Urteilen. Dürrenmatt macht daraus ein
Spiel des Leerlaufs, der Umdrehungen, der denkerischen Aufhebung des Gesetzes der Schwere. Daher der doppelte Schluss, das vorangestellte Ende, die Zurücknahme der Grundidee „Gerechtigkeit“ aufgrund logischer Einsicht.
Unterschied zur Erzählung/bzw. bei der Erzählung:
Traps ist angenehme Erscheinung; Manieren; jedoch Dressur verratend, indem Positives, Hausiererhaftes durchschimmert; will eigentlich das Angebot zum Herrenabend ablehnen, wagt es aber nicht, da er sich verpflichtet fühlt und nicht unhöflich erscheinen mag; wird in ein Zimmer geführt; das Vertrauen seiner Frau wird begrenzt dargestellt; die Affäre mit Gygaxs Frau erzählte ein Geschäftspartner, der Traps feindlich gesinnt war, ihm; Traps war dies jedoch gleichgültig; später: stieg doch in Traps eine Ahnung von höheren Dingen, von Gerechtigkeit, Schuld und Sühne in ihm hoch; der Gedanke einen Mord begangen zu haben, überzeugte ihn immer mehr, rührte ihn, verwandelte sein Leben, machte es schwieriger, heldischer, kostbarer; Verteidiger: Neben der Autopanne hat Traps auch eine geistige Panne erlitten (bildet sich einen Mord ein); Traps dagegen: Er bitte um Strafe, nicht aus Kriecherei, sondern aus Begeisterung, denn erst jetzt sei ihm aufgegangen, was es heiße ein wahrhaftes Leben zu führen (hier verwirrte sich der Gute, Wackere), wozu eben die höheren Ideen der Gerechtigkeit, Schuld und Sühne nötig seien; er fühle sich wie neu geboren; Richter: Was beim Bürger, Durchschnittsmenschen als Zufall in Erscheinung trete, bei einem Unfall z.B., trete hier als notwendiges moralisches Resultat auf, werde die menschliche Tragödie sichtbar, vollende sich im Urteil; Traps ist nach dem Urteil glücklich; als Erinnerung schreiben sie für Traps ein Todesurteil; wollen es überbringen, jedoch hat sich Traps erhängt.
Der Besuch der alten Dame – Eine tragische Komödie
Personen:
Die Besucher
Claire Zachanassian, geb. Wäscher, Multimillionärin (Armenian-Oil, Western Railways, Northern Broadcasting Company, Bangkoker Vergnügungsviertel)(Name zusammengezogen aus Zacharoff, Onassis, Gulbenkian = Erdölmillionärnamen)(in ihrer Jugend Gerechtigkeitsliebend und Wohltätig [in Wahrheit aber normal und unbeachtet: verprügelt, spitzbübisch], heute: alt, aufgedonnert, fast nur aus Prothesen bestehend)
Ihre Gatten VII – IX
Der Butler Boby (ehemals Oberrichter in Güllen)
Toby, Roby (kaugummikauend)
Koby, Loby (blind)
Die Besuchten
Alfred Ill (Händler, in seiner Jugend mit Claire ein Liebespaar gewesen; zu Beginn: „beliebtester Güllener“, Kandidat zur Bürgermeisternachfolge)
Seine Frau
Seine Tochter
Sein Sohn
Der Bürgermeister
Der Pfarrer
Der Lehrer
Der Arzt
Der Polizist
Die Bürger (1-4)
Der Maler
Erste Frau
Zweite Frau
Fräulein Luise
Die Sonstigen
Bahnhofsvorstand
Zugführer
Kondukteur
Pfändungsbeamter
Die Lästigen (errichten neben der wirklichen Welt eine Phantomwelt. Heute werden die beiden Welten oft verwechselt)
Pressemann I + II
Radioreporter
Kameramann
Ort: Güllen, eine Kleinstadt (5000 Einwohner, das Jüngste Gericht darstellend (z.B. „das Münsterportal mit dem jüngsten Gericht“), soll nach Wunsch der Bürger nun in Gülden umbenannt werden)
Zeit: Gegenwart
Geschrieben: 1955
Uraufführung: Schauspielhaus Zürich, 29.01.1956
In 3 Akten
Der Besuch der alten Dame begründet Dürrenmatts Weltruhm als Bühnenautor. DbdaD wird ab 1956 auf allen großen Bühnen der Welt gespielt (Japan, Paris, New York, Mailand, London). 1958 Fassung für das Fernsehen (Erstausstrahlung 1959), 1964 als „The Visit“(Der Besuch) verfilmt (mit Happyend, Anthony Quinn, Ingrid Bergmann, Regie: Bernhard Wicki), 1982 weitere Fernsehfassung (i.d. Schweiz)
Inhalt:
Zwei Themen (gegenläufige Geschichten):
1. Abfall einer kleinen Stadt von moralischen Konventionen unter dem Zugriff von Macht (und Geld), denen die Besucher nur schwach erliegen (nicht weil sie böse sind) ® Groteske von der Käuflichkeit der Moral einer ganzen Stadt
2. Geschichte eines Schuldigen, der dazu gelangt seine Schuld zu erkennen und zu sühnen. ® Demonstration der sittlichen Entwicklung eines Einzelnen.
Beide werden, die eine in absteigender, die andere in aufsteigender Richtung in Gang und zu Ende gebracht. Beide Themen (und deren Bilder und Motive, wie Ruin, Lüge, Vergänglichkeit, hohle Phrasenhaftigkeit) sind verknüpft mit der griechischen Tragödie: Claire kann als tragische Heldin absolut und grausam Handeln (Lehrer: „Kommt mir vor wie eine griechische Schicksalsgöttin), Schuld und Sühne, Rache und Opfer, Verhängnis und Gericht.
Beim (vergeblichen) Versuch Ills, sich der bürgerlichen Gemeinschaft und der eigenen Verantwortung zu entziehen, überschneiden sich beide Geschichten; in seinem Tod, der ihn in die Gemeinschaft zurückführt, laufen sie zusammen. Der Verlauf zeigt, dass innerhalb einer Gemeinschaft die Moral zugleich erkannt und vertuscht werden kann –
Die Kleinstadt Güllen erwartet den Besuch der alten Dame Claire Zachanassian, die als junges Mädchen selbst in Güllen gewohnt hatte. Man erhofft sich von ihr Rettung vor dem (finanziellen) Ruin der Stadt (der ursprünglich, was sich später zeigt, von Claire selbst über Güllen verhängt wurde). Alfred Ill soll Claire, seine Jugendliebe, zu einer gemeinnützigen Stiftung veranlassen und damit die Stadt retten. Allerdings hatte er seine ehemalige Jugendliebe verleugnet, als sie vor 45 Jahren ein Kind von ihm erwartete und sie dadurch zur Prostitution und Auswanderung zwang (wurde dann in einem Hamburger Bordell von Milliardär Zachanassian entdeckt). Claire (für die Bürger ein Götzenbild) macht ihre Stiftung davon abhängig, dass „Gerechtigkeit“ und „totale Rache“ geübt werden: Ill soll für sein damaliges Vergehen von seinen Mitbürgern umgebracht werden (für 1 Mrd.: 500 Mio. für die Stadt, 500 Mio. verteilt auf alle Familien; „Ich gebe euch eine Mrd. und kaufe mir dafür die Gerechtigkeit“). Das Vergehen war: Klara Wäscher klagte Ill von Oberrichter Hofer (jetzt: der Butler) an, der Vater ihres Kindes zu sein. Ill bestritt und gab 2 Zeugen an (die er bestochen hatte mit 1 Liter Schnaps), die schworen mit Klara geschlafen zu haben (heute: die beiden Eunuchen Koby und Loby, die von Claire kastriert und geblendet wurden) – Ill: „Verjährt, alles verjährt! Eine alte, verrückte Geschichte“. Die Bürger lehnen anfangs „im Namen der Menschlichkeit“ ab (Claire: „Ich warte“) [Ende 1. Akt]; beruhigen sich aber dann damit, es werde sich schon alles „arrangieren“ lassen, und erliegen schließlich der Versuchung des Geldes: lassen anschreiben, kaufen sich neue Güter. Ill fordert vom Polizisten die Verhaftung Claires (Anstiftung zum Mord). Polizist weigert sich (Vorschlag ist nicht ernst gemeint, bzw. Claire sei verrückt) [Þ Ill = der schwarze Panther (Claire: „Ich nannte dich: Mein schwarzer Panther“; Zuerst: Tier ist im Käfig (= sicher), bückst aus (= vogelfrei), Bürger bewaffnen sich (= um Panther(=Ill) zu töten) und töten ihn (vor Ills Haus) . Sehen die Angelegenheit nun als „nicht ganz so unverständlich“ an, Ill hat kein moralisches Recht (um z.B. die Verhaftung Claires zu verlangen); Pfarrer: (Fordert Reue von Ill), dann: „Flieh! Führe uns nicht in Versuchung, indem du bleibst!“, Ill versucht zu fliehen und will den Zug besteigen, traut sich dann aber nicht („Einer wird mich zurückhalten“, Ill bricht zusammen („Ich bin verloren“), [Ende 2. Akt];
Lehrer und Bürgermeister fordern von Claire Geld und Investitionen (ohne den Mord), die verweigert (ihr gehört schon Güllen! „Eure Hoffnung war ein Wahn [...] Die Welt machte mich zu einer Hure, nun mache ich sie zu einem Bordell [...] Anständig ist nur, wer zahlt, und ich zahle. Güllen für einen Mord, Konjunktur für eine Leiche“ , Güllener verstehen langsam die Position Claires und stellen sich so auf ihre Seite, Presse kommt, der Lehrer versucht die Wahrheit zu verkünden, wird aber von den Bürgern niedergerissen. Ill: „Ich kämpfe nicht mehr.“ (gesteht sich seine Schuld ein); Lehrer: „Auch zu uns wird einmal eine alte Dame kommen“
Sie beschließen Ill zu töten in der Einsicht, dass die Zeit seine Schuld nicht getilgt hat, nimmt dieser das Opfer auf sich.
In der Gemeindeversammlung fordern die Bürger (in Gestalt des Lehrers) Gerechtigkeit. Einstimmig stimmen sie dafür (und so für den Mord an Ill). Ill wird ermordet. Der Scheck wird ausgefertigt und ein Schlusschor (grotesk abgewandelt von Sophokles: Antigone) preist das heilige Gut des Wohlstandes. [Ende 3. Akt]
® Güllener Wohlstand beruht auf einem Mord an Ill (war nicht besser/schlechter als die Güllener selbst). Besuch der Dame ist zugleich der Besuch von (siegessicherer) Korruption, von Versuchung, von Spekulation auf menschliche Gier und auf die menschliche Bereitschaft, sich auch an Unmenschliches und als unmenschlich Erkanntes zu gewöhnen. Die Reaktion der Güllener ist die Ausrede für diese Bereitschaft.
Der Besuch der alten Dame ist die Tragikomödie der „Hochkonjunktur“, in der eine steinreiche Amerikanerin wie eine Schicksalsgöttin über Güllen hereinbricht und die Macht des Geldes in Gestalt ihres Scheckbuchs beweist. Sie fordert Gerechtigkeit, d.h. den Tod Ills als Tausch gegen 1 Mrd. – den Sarg führt sie gleich mit. Sie hat Schlingen der Verführung ausgelegt, sie droht mit dem Wohlstand. Zunächst wehren sich alle, dann sind sie aber bereit ihre Menschlichkeit zu verkaufen. Zwar hat Claire als Rachegöttin, die Inkarnation der skrupellosen Kapitalistin, gesiegt, aber ist nun selbst schuldig geworden, weil sie moralisch verwerflich ihre Landsleute in tödliche Konflikte gebracht hat. Alle haben versagt.
Dürrenmatt über das Stück
- „dargestellt von einem, der sich von diesen Leuten durchaus nicht distanziert und der nicht so sicher ist, ob er anders handeln würde“, Autor „schrieb als Mitschuldiger“,
- „auf die gegenwärtige Welt wird nicht angespielt, wohl aber spielt die gegenwärtige Zeit auf“,
- „Ich beschreibe Menschen, nicht Marionetten, eine Handlung, nicht eine Allegorie, stelle eine Welt auf, keine Moral, [...] ja ich suche nicht einmal mein Stück mit der Welt zu konfrontieren, weil sich all dies natürlicherweise von selbst einstellt, solange zum Theater auch das Publikum gehört. [...] die Güllener als Bäume sollen die peinliche Liebesgeschichte erträglicher machen [...]
- So wie ein Organismus abschließt, indem er Haut bildet, ein Äußerstes, schließt sich ein Theaterstück durch die Sprache ab. Die Sprache ist Resultat des Theaterschriftstellers. Darum kann man auch nicht an der Sprache an sich arbeiten, sondern nur an dem, was Sprache macht, am Gedanken, an der Handlung etwa.[...]
Dürrenmatt über die Personen:
- Claire kann als tragische Heldin absolut und grausam Handeln (soll aber als das dargestellt werden, was sie ist: die reichste Frau der Welt! ® hat Humor, da Distanz zu den Menschen (sind für sie käufliche Ware) und zu sich selbst, ist seltsame Grazie mit bösartigem Charme, bewegt sich außerhalb der menschlichen Ordnung, ist Unabänderlich, ohne Entwicklung.
- Die Eunuchen sind unwirklich, märchenhaft darzustellen, Opfer einer totalen Rache.
- Alfred Ill wird erst zum Helden (am Anfang: ahnungsloses Opfer, , durch Furcht/Entsetzen wird er zu etwas höchst Persönliches, an sich erlebt er die Gerechtigkeit, weil er seine Schuld erkennt, er wird groß durch sein Sterben. Sein Tod ist sinnvoll und sinnlos zugleich.
- Güllener: sind nicht böse; lehnen das Angebot ja zuerst (klar) ab; machen dann aber nicht im Vorsatz, Ill zu töten, Schulden, sondern aus Leichtsinn, aus einem Gefühl heraus (es lasse sich alles schon arrangieren) (= 2. Akt). Die Wendung findet in der Scheune statt: Die Güllener bereiten die Ermordung vor (entrüsten sich über Ills Schuld). Nur die Familie (schwach wie alle) hofft auf ein gutes Ende. Die Gemeinde gibt langsam der Versuchung nach (begreiflich: aufgrund der bitteren Armut).
(Nachwort, F.D.)
Theaterprobleme (1954)
In der Kunst fällt ein Zug nach Reinheit auf (rein Lyrische, rein Epische, rein Dramatische, rein Musikalische). Merkwürdig in dieser Zeit, die sonst nicht durch Reinheit auffällt, ist, dass jeder seine einzig richtige Reinheit gefunden zu haben glaubt (So viel Kunstjungfrauen und Arten an Keuschheit). Theorien auch über das Theater, das rein Theatralische (rein Tragische/Komische), die modernen Dramaturgien kaum noch zu zählen. Ich bin kein Vertreter einer bestimmten dramatischen Richtung, Technik oder Weltanschauung (weder Existentialist, Nihilist oder Ironiker, usw.). Bühne ist nicht ein Feld von Theorien, Weltanschauungen und Aussagen, sondern ein Instrument (dessen Möglichkeiten ich zu kennen versuche, indem ich damit spiele). In meinen Stücken kommen auch Personen vor, die einen Glauben/eine Weltanschauung haben, doch ist das Stück nicht um ihrer Aussage willen da, sondern die Aussagen sind da, weil es sich in meinen Stücken um Menschen handelt und das Denken/Glauben/usw. zur menschlichen Natur gehört. Probleme als Dramatiker sind bei mir arbeitspraktische Probleme, sie sich (nicht vor) sondern während, meistens nach der Arbeit stellen. Diese Probleme werden hier einfach (oberflächlich) behandelt.
Es geht um empirische Regeln, um Möglichkeiten des Theaters, doch da die Literaturwissenschaft und –kritik heute blüht, werden auch einige Seitenblicke auf theoretische Dramaturgie geworfen. Der Künstler braucht die Wissenschaft, die ihre Gesetze von etwas Vorhandenem ableitet nicht. Die Gesetze sind für Künstler wertlos, da er kein Gesetz übernehmen kann, das er nicht gefunden hat (findet er keins, hilft auch nicht die Wissenschaft; findet er eins ist es im gleichgültig, ob es auch die Wissenschaft fand). Jedoch steht die verleugnete Wissenschaft, wie ein drohendes Gespenst hinter ihm, wenn er über Kunst reden will. Für die Literaturwissenschaft ist das Drama ein Objekt; für den Dramatiker nie etwas Objektives, von ihm abgelöstes. Er ist beteiligt (als Schaffender), doch zerstört er sich dieses geschaffene Objekt (vergisst, verleugnet, verachtet es, um Neuem Platz zu machen). Die Wissenschaft sieht allein das Resultat, nicht den Prozess (sieht nur der Dramatiker). Sein Reden/Denken über seine Kunst wandelt ständig und ist dem Moment/der Stimmung unterworfen. Nur das zählt für ihn, was er gerade treibt. Eine Literaturwissenschaft ohne Ahnung von den Schwierigkeiten des Schreibens läuft Gefahr zu einem bloßen Behaupten (von Gesetzen) zu werden (die keine sind).
Die Einheit des Aristoteles (Einheit der Zeit/Ort/Handlung) scheint als Ideal gefordert und so unanfechtbar, dass sich jeder Dramatiker danach richten müsste. Diese Einheit ist die Forderung nach größter Präzision, Dichte und Einfachheit der dramatischen Mittel. Der Grund, dass dies kein Gesetz darstellt, zeigt sich, da dies niemand befolgt und so zeigt sich auch das Verhältnis zwischen der Kunst, Theaterstücke zu schreiben und der Theorie darüber. Die Einheit ist aus der griechischen Tragödie abgeleitet. Es gilt aber auch zu sehen das eine Handlung eine Vorgeschichte hat, die um so größer sein muss, je weniger Personen mir zur Verfügung stehen ( = Erfahrung der praktischen Dramaturgie). Die Vorgeschichte ist die Geschichte vor der Handlung auf der Bühne, die die Bühnenhandlung erst möglich macht (z.B. bei Hamlet: Vorgeschichte: Ermordung des Vaters; Handlung: Aufdeckung des Mordes). Auch ist die Bühnenhandlung i.d.R. kürzer als das Geschehen, das sie schildert (sie setzt oft mitten im Geschehen ein (oder gar gegen Schluss, z.B. Ödipus: erst Vater getötet, dann Mutter geheiratet, dann das Geschehen). Die Bühnenhandlung konzentriert ein Geschehen, je mehr sie der Einheit entspricht (um so wichtiger wird so die Vorgeschichte, hält man an der Einheit fest). Die Handlung (sowie die Vorgeschichte) können auch erfunden werden, so dass sie für die Einheit besonders günstig scheint, jedoch: je erfundener oder je unbekannter der Stoff dem Publikum, um so sorgfältiger muss seine Exposition (und die Vorgeschichte) sein (die griechische Tragödie jedoch musste keine Vorgeschichte erfinden, da die Mythen(Geschichten) schon bekannt waren ® Das Publikum war nicht so sehr auf den Stoff, sondern vielmehr auf dessen Behandlung neugierig) (Ausnahme: Zerbrochene Krug von Kleist – gerade die nicht vorhandene Vorgeschichte ist die Handlung). Ein Publikum aber, das sich einem fremden Stoff gegenüber sieht, achtet mehr auf den Stoff als auf dessen Behandlung (® Stück muss so ausführlicher, reicher sein; die Einheit muss umgedeutet/fallen gelassen werden). Jede Kunst nützt nur die Chancen ihrer Zeit aus (Drama ist gestaltete Welt, jede Welt kann aber nicht gleich gestaltet werden). Was aber einmal Regel war, wird nun zur Ausnahme, die aber immer wieder eintreten kann (z.B. beim Einakter: die Situation dominiert).
Die Gebundenheit an eine bestimmte Welt (Zeit) und ihre relative Gültigkeit gilt auch für jede andere Dramaturgie. Brecht z.B. baut in seine Dramaturgie seine Weltanschauung mit ein (jedoch: seine Dramen scheinen manchmal das Gegenteil von dem auszusagen, was sie auszusagen behaupten).
Theater ist ohne Publikum nicht möglich, ist aber auch keine Art Ode mit verteilten Rollen im luftleeren Raum. Das Stück wird durch das Theater, in dem man es spielt, etwas Sichtbares, Hörbares, Greifbares, und auch Unmittelbares. Ein Theaterstück ereignet sich. In der Dramatik muss alles ins Unmittelbare, Sichtbare und Sinnliche verwandelt werden, obwohl sich nicht alles ins Unmittelbare und Sinnliche übersetzen lässt (z.B. Kafka). Die Unmittelbarkeit und Sichtbarkeit setzt das Publikum, das Theater, die Bühne voraus, z.B. das Theater als Einrichtung (Architektur, Raum, Bühne, die sich aus dem Hoftheater entwickelte und darin stecken blieb ® versuchte der Natürlichkeitsforderung nachzugeben, erreichte aber so eine viel größere Unnatürlichkeit (das Zimmer wurde nicht mehr hinter dem Vorhang angenommen, sondern gezeigt ® Tendenz, das Publikum und die Bühne zu trennen, z.B. durch Vorhang; Zuschauer sitzen im Dunkeln, Bühne ist beleuchtet, was zu einer weihevollen Stimmung führte/ zu einer Bühne als Guckkasten). Die eigene Theaterform der heutigen Zeit ist der Film (aus dem Theater hervorgegangen: kann, was sich das Hoftheater, mit ihren Drehbühnen/Effekten/usw. erträumte: die Wirklichkeit vortäuschen). Der Film ist die demokratische Form des Hoftheaters. Er steigert die Intimität so sehr, dass er die Zuschauer in die Situation des Voyeurs zwingt.
Theater ist heute weitgehend zum Museum geworden (Kunstschätze alter Theaterepochen werden gezeigt). Es ist eine rückwärtsgewendete Zeit, die alles zu besitzen scheint außer eine Gegenwart.
Theater als Museum hat zur Folge das die Schauspieler Beamte geworden sind (v.a. im Film auch ins Bürgertum übersiedelten und dort in der Rangordnung ganz oben stehen). Der Spielplan richtet sich immer mehr nach seinen Gästen (Schauspieler werden gezwungen in verschiedenen Stilarten (Barock, Klassik, usw.) zu spielen). Der Regisseur ist wichtig. Die Forderung nach richtiger Interpretation der historischen Werke stellt sich, jedoch ist man noch nicht zur Werktreue vorgestoßen, sondern exekutiert allzu oft die Klassiker. Wobei auch das Klassische als vollendet hingenommen wird (Klassiker erhalten, ob gut oder schlecht gespielt, immer Beifall). Die vielen Stilarten weisen aber auch Gutes auf (was zuerst als Negatives erscheint). Jede große Theaterepoche war möglich, weil eine bestimmte Theaterform gefunden worden war, ein bestimmter Theaterstil, in und durch den man Theaterstücke schrieb. In dem Maße aber, wie es einen einheitlichen Theaterstil nicht mehr gibt, wird das Theaterschreiben ein Problem und damit schwieriger. Heutiges Theater ist einerseits Museum, andererseits auch ein Feld für Experimente. Der Autor wird vor jedem Theaterstück so vor neue Aufgaben und Stilfragen gestellt. Stil ist heute etwas Persönliches, eine Entscheidung von Fall zu Fall geworden. Es gibt keinen Stil mehr, sondern nur noch Stile. Kunst besteht heute aus Experimenten (wie die heutige Welt selbst). So gibt es auch nur noch Dramaturgien (die Frischs, Brechts, auch: Aristoteles) und keine Dramaturgie mehr. Dennoch ist eine Dramaturgie denkbar, welche die Möglichkeiten nicht einer bestimmten Bühne, sondern der Bühne untersuchen müsste, eine Dramaturgie des Experiments.
Die Besucher sind anonym geworden (nur noch Publikum). Der moderne Autor kennt kein bestimmtes Publikum mehr (außer z.B. das Dorftheater). Er fingiert sein Publikum, in Wahrheit ist er es selber.
Erster Schritt ist, festzulegen wo das Theaterstück spielen soll (London, Schlachtfeld?). Ein Theaterstück spielt auf der Bühne, die z.B. London, ein Schlachtfeld, usw. darstellen muss. Dieser Unterschied kann man machen. Es kommt darauf an, wie sehr der Autor die Bühne mit einbezieht, wie sehr er die Illusion will. Der Ort kann ernst genommen Madrid, die Sahara, usw. oder nur als Bühne, als die Welt oder seine Welt. Der Ort, den die Bühne darzustellen hat, ist die Aufgabe des Bühnenmalers (die Entwicklung kann an ihr nicht vorübergehen). Das abstrakte Bühnenbild ist im wesentlichen gescheitert, da die Bühne etwas konkretes darstellen muss. Das Bühnenbild will andeuten, bedeuten, verdichten, nicht schildern (der dramatische Ort ist nicht auf der Bühne, sondern im Spiel, z.B. ein Wort, man ist in Venedig/im Tower/usw.). Es ist transparent geworden, entstofflicht. Die (entstofflichte) Bühne ist leer. Der dramatische Ort entsteht durch Wort, Spiel und Phantasie. Entscheidend dabei ist, dass mit der Bühne gedichtet wird (wie bei den Komödien Aristophanes oder Nestroys).
Konkrete Probleme sind z.B. im Blinden, dem dramatischen Ort das Wort entgegenzustellen, das Wort gegen das Bild zu richten (Ort des Zuschauers – Ort, an dem sich der Blinde glaubt). Wenn ich in Engel kommt nach Babylon als dramatischen Ort die Stadt des Turmbaus wählte, so galt es 2 Probleme zu lösen: 1.) Die Bühne musste zwei Orte ausdrücken: den Himmel als der geheimnisvolle Ausgangspunkt der Handlung und die Stadt Babylon als der Ort, wo sich die Handlung abspielt. Um den Himmel als Unbegreifliches, Unerforschliches auf der Bühne darzustellen ist ein Riesenbild des Andromedanebels der Hintergrund der Bühne und der Himmel über Babylon (das Heranrücken verdeutlicht den Besuch eines Engels in Babylon und das Ermöglichen des Turmbaus). 2.) Babylon soll als das Heutige, Zyklopische dieser Stadt, als eine Art New York und Paris, also als Großstadt überhaupt stehen. Es muss babylonische, wie moderne (parodierte) Züge (Straßenlaterne, Bahn) aufweisen. Das farbige Bühnenbild und Theater ziehe ich dem schwarzen, Armut ausstrahlenden Theater vor. Ist die Welt als Potential oder als Reichtum auf die Bühne zu bringen? (ist das Wort oder die Bühne wichtig? Dürrenmatt: v.a., aber nur v.a. das Wort). Es ist meine Leidenschaft, auf dem Theater den Reichtum, die Vielfalt der Welt darstellen zu wollen. Das Theater stellt aber auch eine Zeit dar (die Zeit, welche die Handlung dauert und die Zeit, in der sie sich abspielt)(Hätte Aristoteles die Einheit (der Zeit) wirklich gefordert, so hätte die Zeitdauer einer Tragödie der Zeitdauer ihrer Handlung (was die griechischen Tragiker annähernd erreichen) gleichgesetzt werden müssen. Die Zeit kann aber verkürzt, verlangsamt, gesteigert, angehalten und wiederholt werden (bei Nestroys Der Tod am Hochzeitstag spielen zwei Akte sogar die gleichzeitige Zeit parallel wieder). Auch in der Antike wurde z.B. die Handlung durch die Chöre unterbrochen und damit die Zeit durch die Chöre eingeteilt (was heute der Vorhang ist: durch ihn wird die Zeit einer Handlung zerlegt ® z.T. gut, da dies reinen Tisch macht, den erschöpften Zuschauer ausruhen lässt). Keinen Vorhang wird dagegen gebraucht, wenn sich verschiedene Personen ans Publikum wenden und erzählen (z.B. Wilders Kleine Stadt). Der Vorhang ist durch die Anrede ans Publikum ersetzt. Zu der Dramatik tritt die Epik, die Schilderung ( = Episches Theater) (Auch Shakespeare oder Goethes Götz sind in gewissem Sinne episches Theater: die Handlung wird in verschiedene Episoden (Bilder) eingeteilt). Wenn nun sich der Autor heute ans Publikum wendet, so wird versucht, das Bühnenstück kontinuierlich zu gestalten (Leere zwischen den Akten aufzuheben, Zeitspanne nicht durch Pause, sondern durch das Wort überbrückt werden (z.B. durch Schilderung dessen, was inzwischen geschehen ist, Selbsteinführung einer neuen Person). Die Expositionen werden episch durchgeführt, als ein Vorstoß des Wortes auf dem Theater).
Im Gegensatz zur Epik, die den Menschen zu beschreiben vermag, wie er ist, wird der Mensch des Dramas mit einer Einschränkung dargestellt: Er ist ein redender Mensch und so ist die Handlung dazu da, den Menschen zu einer besonderen Rede zu zwingen (Der Mensch muss in der Handlung zum Wort werden). Im Drama muss also der Mensch in Situationen gebracht werden die ihn zum Reden zwingen (ein Kaffeekränzchen hat keine dramatische Situation oder dramatischen Dialog ® Es muss etwas hinzukommen, das die Rede besonders, dramatisch, doppelbödig macht, z.B. dass in einer Tasse Kaffe Gift ist, ® Es entsteht eine dramatische Situation und die Möglichkeit eines dramatischen Dialogs (durch die besondere Spannung/Situation)). Muss der Dialog aus einer Situation entstehen, so muss er in eine (andere) Situation führen. Der dramatische Dialog bewirkt ein Handeln, eine neue Situation und somit ein neuer Dialog, usw.
Da der Mensch auch denkt und fühlt, gibt es das Kunstmittel des Monologs, um dies anderen auch mitteilen zu können. Es ist aber nicht alles Monolog, was sich wie ein Monolog anhört. Sinn des Dialogs ist es nicht nur den Menschen zum handeln oder erleiden zu bringen, sondern auch in die große Rede zu münden, in die Erklärung seines Standpunktes. Auch gab es immer eine Erzählung innerhalb des Dramas (nicht nur beim epischen Theater), z.B. muss die Vorgeschichte erzählt oder in Form eines Botenberichts ein Ereignis gemeldet werden. Eine Erzählung auf der Bühne ist nicht ungefährlich, weil sie nicht in der Weise lebt, greifbar ist wie eine Handlung (die auf der Bühne geschieht (Versuch der Abhilfe: Bote wird dramatisiert, tritt in einem spannenden Augenblick auf, ist ein Dummkopf). Es muss jedoch ein sprachliches Element hinzukommen, will man auf der Bühne erzählen: die Übertreibung (u.a. auch um etwas sichtbar zu machen). Jedoch ist es nötig, zu wissen, wo man übertreiben muss und v.a.: wie.
Wie die Personen auf der Bühne, kann auch ihre Sprache ein Schicksal erleiden (Der Engel, der nach Babylon kommt, wird von Akt zu Akt über die Schönheit der Erde begeisterter, seine Sprache muss diese steigende Begeisterung ausdrücken und sich bis zum Hymnus steigern; der Bettler Akki spricht in einer arabischen Reim-/Prosaform, um dass arabische der Gestalt (Freude am Fabulieren) auszudrücken. Dies ist nichts anderes als die äußerste Möglichkeit seiner Sprache und somit eine Verdichtung seiner Gestalt. Akki ist Sprache geworden (der Autor muss genau dies anstreben: Seine gestalten müssen Sprache werden) (jedoch gilt es Nah am Gegenstande/Stoff zu bleiben und nicht von der Sprache verführt und abgetrieben zu werden).
Diese Elemente und Probleme des Ortes/der Zeit/der Handlung, eng miteinander verschlungen, gehören zu den Elementen/Werkzeugen des dramatischen Handwerks (Dürrenmatts Kritik: Handwerk kann jeder (erlernen); Dürrenmatt nennt es: die Bewältigung des Stoffs (Überwältigung); vollkommene Stücke gibt es nicht; der Stoff (Gegner) ist nie fair; Schwierigkeiten sind oft dort, wo sie niemand vermutet (Begrüßung zweier Personen; der 1. Satz; auch: Form (Akte), Reimform, Stoffwahl).
Mit dem Handwerk nun, gilt es einen bestimmten Stoff darzustellen. Er weist meistens einen Mittelpunkt auf, den Helden. In der Tragödie der tragischer Held: soll fähig sein, Mitleid zu erwecken; Seine Schuld/Unschuld/Tugenden und Laster müssen aufs angenehmste und exakteste gemischt und dosiert nach bestimmten Regeln erscheinen (z.B. Held als Bösewicht: Bosheit muss eine gleich große Menge Geist beigemengt werden. So wurde die sympathischste Theatergestalt in der dt.Lit. der Teufel). Geändert hat sich mit der Zeit nur die soziale Stellung dessen, der unser Mitleid erweckt (In der Antike/bei Shakespeare: Held in der höchsten Gesellschaftsklasse (dem Adel): Publikum sieht einen Helden leiden, handeln, der eine höhere soziale Stellung einnimmt, als sie selbst. Daher für das Publikum höchst eindrucksvoll; bei Lessing/Schiller: das bürgerliche Trauerspiel, Publikum sieht sich selbst als leidenden Helden auf der Bühne; Büchners Woyzeck: ein primitiver Proletarier, weniger sozial angesehen als der durchschnittliche Theaterbesucher. In dieser letzten, erbärmlichsten Form soll das Publikum so auch den Menschen, sich selbst, sehen; dagegen hat Pirandello den Helden als erster entstofflicht/transparent gemacht).
Die Komödie dagegen kannte auch den Bauer, Bettler, Hofschranze, Handwerker, Arbeiter und Bürger (nicht, wie bei der Tragödie die Könige und Feldherren) als komischen Helden. Wobei nunmehr eine Entwicklung stattfindet: der tragische Held zeigt eine Hinwendung zur Komödie, die Narren zur tragischen Figur. Der Held treibt nicht nur die Handlung voran oder erleidet ein Schicksal, er stellt so auch eine Welt dar. Wie lässt sich so unsere bedenkliche Welt darstellen (welche Helden/mit der Dramatik Schillers)? Kunst ist nicht wiederholbar. Schiller konnte sich noch in der Welt die er schrieb und in der Welt, in der er lebte spiegeln. Heute findet man aber keine tragischen Helden, sondern nur noch Tragödien vor (die von Weltmetzgern inszeniert und von Hackmaschinen ausgeführt werden, z.B. aus Hitler/Stalin lassen sich keine Wallensteine machen: Ihre Macht ist so groß, dass sie selber nur noch zufällige, äußere Ausdrucksformen dieser Macht sind, beliebig zu ersetzen; das Unglück mit denen man sie verbindet ist zu verzweigt, grausam und sinnlos). Heutige Macht ist nur zum kleinsten Teil sichtbar (Wallenstein dagegen ist noch eine sichtbare Macht). Sichtbar in der Kunst ist das Überschaubare (der Staat ist aber nicht mehr überschaubar). Die echten Repräsentanten fehlen und die tragischen Helden sind ohne Namen (daher lässt sich die heutige Welt besser mit einem kleinen Räuber oder Polizisten wiedergeben als mit einem Kanzler, u.ä.). Die Kunst dringt nur noch bis zu den Opfern vor, dringt sie überhaupt zu Menschen, die Mächtigen erreicht sie nicht mehr. Sichtbar wird die heutige Macht nur da, wo sie explodiert, in der Atombombe, die man nicht mehr darstellen kann, seit man sie herstellen kann.
Aufgabe der Kunst (der Dramatik) ist heute Gestalt, Konkretes zu schaffen. Die Tragödie, als gestrengste Kunstgattung, setzt eine gestaltete Welt voraus. Die Komödie (wenn nicht Gesellschaftskomödie) eine ungestaltete, im Werden und Umsturz begriffene Welt. Die Tragödie überwindet die Distanz (die in grauer Vorzeit liegenden Mythen macht sie den Athenern zur Gegenwart). Die Komödie schafft Distanz (wie die Komödie vorgeht, sehen wir in der primitivsten Form des Witzes, in der Zote: Gegenstand ist das rein Geschlechtliche, das gestaltlos, distanzlos ist und, will es Gestalt werden, eben Zote wird: das Geschlechtliche wird auf die Ebene des Komischen übertragen, da sie die einzige Möglichkeit ist, die es heute gibt, anständig darüber zu reden). Das Komische besteht also darin, das Gestaltlose zu gestalten, das Chaotische zu formen.
Das Mittel mit dem die Komödie Distanz schafft ist der Einfall (Tragödie ist ohne Einfall, daher auch oft historisch). Aristophanes lebt vom Einfall: Seine Stoffe sind nicht Mythen, sondern erfundene Handlungen die sich in der Gegenwart (nicht in der Vergangenheit) abspielen. Sie fallen in die Welt wie Geschosse, die Gegenwart wird ins Komische und so auch ins Sichtbare verwandelt. D.h. nicht, dass ein heutiges Drama nur komisch sein könnte. Tragödie und Komödie sind Formbegriffe, dramaturgische Verhaltensweisen, die Gleiches umschreiben vermögen. Nur die Bedingungen sind anders unter denen sie entstehen und diese liegen nur zum kleineren Teil in der Kunst.
Tragödie setzt Schuld, Not, Maß, Übersicht, Verantwortung voraus. Heute gibt es aber keine Verantwortlichen mehr. Alle können nichts dafür und haben es nicht gewollt. Wir sind kollektiv schuldig, zu kollektiv gebettet in die Sünden unserer Vorfahren. Das ist unser Pech (nicht unsre Schuld): Schuld gibt es nur noch als persönliche Leistung, als religiöse Tat. Uns kommt nur noch die Komödie bei. Unsere Welt hat ebenso zur Groteske geführt wie zur Atombombe. Das Groteske ist nur sinnlicher Ausdruck, sinnliches Paradox, Gestalt einer Ungestalt, Gesicht einer gesichtslosen Welt. Unser Denken, unsre Kunst und unsre Welt (die nur noch ist, weil die Atombombe existiert: aus Furcht vor ihr) kommt ohne den Begriff des Paradoxen nicht mehr aus. Das Tragische ist so noch möglich (die reine Tragödie nicht mehr). Wir können das Tragische aus der Komödie heraus erzielen, als einen schrecklichen Moment.
Der Schluss die Komödie sei der Ausdruck der Verzweiflung ist nicht zwingend. Verzweiflung ist nicht eine Folge dieser Welt, sondern eine Antwort auf diese Welt. Eine andere Antwort wäre das Nichtverzweifeln (der Versuch, die Welt zu bestehen). Der Blinde, Romulus, Akki sind mutige Menschen. Die verlorene Weltordnung wird in ihrer Brust wieder hergestellt. Das Allgemeine nehme ich als Chaos hin. Die Welt steht als ein Ungeheures, als ein Rätsel an Unheil, da, das hingenommen werden muss, ohne zu kapitulieren. Die Welt ist größer als der Mensch und somit hat sie bedrohliche Züge (außerhalb wäre sie nicht bedrohlich). Brecht stellt die Welt als Unfall hin und will nun zeigen, wie es zu diesem Unfall gekommen ist. Durch den Einfall und die Komödie wird das anonyme Publikum als Publikum erst möglich, eine Wirklichkeit, mit der zu rechnen, die aber auch zu berechnen ist. Der Einfall verwandelt den Theaterbesucher in einen, der nun angegriffen, verführt und überlistet werden kann, sich Dinge anzuhören, die er sonst nicht so leicht anhören würde.
Kann aber von etwas Allgemeinem auf eine Kunstform geschlossen werden (von der Gestaltlosigkeit der Welt auf die Möglichkeit heute Komödien zu schreiben)? Ich bezweifle dies. Die Kunst ist etwas Persönliches und mit Allgemeinheiten soll nie Persönliches erklärt werden. Der Wert der Kunst hängt nicht davon ab, ob mehr oder weniger gute Gründe für sie zu finden sind. Bei der Darstellung der Komödie sind auch persönliche Gründe wichtiger als allgemeine. Die Kunst, die man wählt, ist der Ausdruck zugleich der Freiheit und der Notwendigkeit, ohne die keine Kunst bestehen kann. Der Künstler stellt immer die Welt und sich selber dar. Ich bezweifle, dass je vom Allgemeinen her das Besondere erreicht werden kann. Ich versuche den Bau des Dramas vom Besonderen, vom Einfall her zu erreichen (nicht vom Allgemeinen, vom Plane her).
Unsere ungeformte, ungestaltete Gegenwart ist dadurch gekennzeichnet, dass sie von Gestalten, von Geformtem umstellt ist, die unsere Zeit zu einem bloßen Resultat, zu einem Übergangsstadium machen und die der Vergangenheit als dem Abgeschlossenen und der Zukunft als dem Möglichen ein Übergewicht verleihen. (Kann auch auf die Politik bezogen werden) In der Kunst heißt das, dass der Künstler umstellt ist von Meinungen über Kunst und von Forderungen (die man nicht aus ihm, sondern) aus etwas Historischem, Vorhandenem folgerte, sowie von Stoffen, die nicht mehr Stoff (d.h. Möglichkeiten), sondern schon Gestalten (d.h. Geformtes) sind (z.B. ist Caesar kein reiner Stoff mehr, sondern ein Objekt der wissenschaftlichen Forschung). Die Wissenschaft schuf so Fakten, die nicht mehr zu umgehen sind (man kann sie nicht mehr umgehen). Dadurch entzog sie dem Künstler Stoffe, indem sie das tat, was Aufgabe der Kunst gewesen wäre (Geschichte Berns als wissenschaftliche, nicht mythische (die den Weg der Tragiker offen ließe), Gestalt, lässt kein historisches Drama mehr zu , da die Geschichte Berns schon Gestalt vor der Dichtung einnahm, die den Raum der Kunst einengt). Die Dichtung wäre so eine Wiederholung und Illustration zu wissenschaftlichen Erkenntnissen. Die Souveränität des Autors geht dabei verloren. Der Künstler muss daher die Gestalten, die er trifft, auf die er überall stößt, reduzieren, will er sie wieder zu Stoffen machen, hoffend, dass es ihm gelinge: Er parodiert sie, d.h. stellt sie im bewussten Gegensatz zu dem dar, was sie geworden sind. Dadurch gewinnt er wieder seine Freiheit und so den Stoff, der nicht mehr zu finden, sondern nur noch zu erfinden ist, denn jede Parodie setzt ein Erfinden voraus. Die Dramaturgie der vorhandenen wird so durch die Dramaturgie der erfundenen Stoffe abgelöst. Im Lachen zeigt sich die Freiheit des Menschen, im Weinen seine Notwendigkeit, wir haben heute die Freiheit zu beweisen. Die Tyrannen dieses Planeten werden durch die Werke der Dichter nicht gerührt, nur eines fürchten sie: ihren Spott. Die Parodie (und so auch das Groteske) haben sich in alle Gattungen (Roman, Drama, Lyrik, Malerei, Musik) geschlichen, oft getarnt und über Nacht: es ist einfach auf einmal da.
Auch damit wird unsere Zeit fertig: Sie hat das Publikum erzogen, in der Kunst etwas Weihevolles, Heiliges, Pathetisches zu sehen. Das Komische gilt als das Minderwertige, Dubiose, Unschickliche. Wo das Komische als das Gefährliche, Aufdeckende, Fordernde Moralische erkannt wird, lässt man es fahren wie ein heißes Eisen, denn die Kunst darf alles sein, was sie will, wenn sie nur gemütlich bleibt. Uns Schriftstellern wird vorgeworfen, unsere Kunst sei nihilistisch. Wahre nihilistische Kunst sieht aber gar nicht so aus (scheint human zu sein). Nihilistisch ist nur, was unbequem ist. Der Künstler aber soll bilden, richt reden, gestalten, nicht predigen. Ungemütliche Wahrheiten könnten zutage treten. Angst, Sorge und Zorn reißen den Mund des Dichters auf.
Hat das alles heute noch einen Sinn, sollten wir uns nicht viel lieber im Schweigen üben? Das heutige Theater ist zu einem Teil ein Museum, zum anderen Teil ein Feld für Experimente. Kann das Theater diese Bestimmung aber auch erfüllen? Wenn es nicht Konvention, sondern Experiment sein will, ist ein Stück allein vom Schreibtisch aus nicht mehr zu lösen. As Stück muss aber schnell heraus. Das Museum (Repertoiretheater) überwiegt. Platz den Klassikern (kann nichts passieren, keine Tantiemen). Die Welt der Museen wächst. Kustoden anderer Jahrhunderte mögen sich mit unserer Kunst abgeben, wenn wir an der Reihe sind. Ob Neues hinzukommt/geschrieben wird , ist somit gleichgültig. Alles ist auf das Vollkommene aus, die Perfektion wird vom Künstler verlangt (die man in die Klassiker hineininterpretiert). So lässt sich nur noch Literatur studieren, aber nicht mehr machen. Wie besteht aber der Künstler in einer Welt der Bildung? Die Antwort ist ungewiss, vielleicht am besten, indem er Kriminalromane schreibt, Kunst da tut, wo sie niemand vermutet. Literatur muss so leicht werden, dass sie nichts mehr wiegt. Nur so wird sie wieder gewichtig.
Anmerkung zur Komödie
Es gibt zwei Arten von Grotesken: Groteskes einer Romantik zuliebe, das Furcht oder absonderliche Gefühle erwecken will (z.B. indem es ein Gespenst erscheinen lässt) und Groteskes eben der Distanz (Komödien spielen in der Gegenwart und schaffen so Distanz) zuliebe, die nur durch dieses Mittel zu schaffen ist. Das Groteske ist eine äußerste Stilisierung, ein plötzliches Bildhaftmachen und gerade darum fähig, Zeitfragen, mehr noch, die Gegenwart aufzunehmen, ohne Tendenz oder Reportage zu sein. Die Komödie will nicht mitleiden wie die Tragödie, sie will darstellen (z.B. Schwächen und Grenzen des Menschen aufzeigen). Es ist dies die Kunst des Moralisten. Sie ist eine Angelegenheit des Witzes und des scharfen Verstandes (darum verstand sich die Aufklärung darauf), nicht dessen, was das Publikum unter Humor versteht, einer bald sentimentalen, bald frivolen Gemütlichkeit. Sie ist unbequem, aber nötig.
Dürrenmatts Theaterauffassung (leicht erklärt [Manfred Eisenbeis: Lektürehilfen])
Dürrenmatts Welt- und Geschichtsbild
- Welt als Chaos
Für Dürrenmatt ist die (moderne) Welt wegen Bevölkerungsexplosion, Technisierung, Medien, Bürokratie, Massenvernichtungswaffen zum Chaos geworden, undurchschaubar für den einzelnen. So ist auch die Geschichte ein unerklärbares Rätsel, in deren Verlauf man keine göttliche oder andere Ordnungen erkennen kann (die z.B. Katastrophen relativieren oder aufheben). Jedes Erklärungsmodell (z.B. der Marxismus) für die Geschichte ist eine unzulässige Verkürzung und Vereinfachung.
- Ablehnung von Erklärungsmodellen
Deshalb distanziert er sich von solchen Erklärungsmodellen („nicht mehr als eine Sammlung notdürftiger fragmentarischer Hypothesen zur wirklich konkreten Weltgeschichte, eine unvollkommene Konzeption, bloß summarisch, mit Vermutungen über verlorene Hintergründe, Materialien und Dokumenten.“)
- Welt als Labyrinth
Im Labyrinth irrt der moderne Mensch („Minotaurus“) hilflos und orientierungslos umher. Deshalb stellt Dürrenmatt „eine Welt der Sinnlosigkeit dar, in der ein Sinn gesucht wird, den es nicht gibt, ohne den sie jedoch nicht ausgehalten werden kann.“
Theater und Gesellschaft
- Dürrenmatt als Diagnostiker
Dürrenmatt betont zwar die Gesellschaftsbezogenheit der Literatur, er engagiert sich aber nicht politisch für eine bestimmte Ideologie (wie z.B. Brecht): „Ich bin kein politischer, sondern dramaturgischer Denker, ich denke über die Welt nach, indem ich ihre Möglichkeiten auf der Bühne durchspiele, und mich ziehen demgemäss die Paradoxien und Konflikte unserer Welt mehr an als die noch möglichen Wege, sie zu retten. Ich bin Diagnostiker nicht Therapeut.“
- Gegensatz zu Brecht
Dürrenmatt: Der Schriftsteller kann die Welt nicht verändern, aber „beunruhigen“ (anders: Brecht). Er kann den Menschen in seinen Konflikten sichtbar machen, ihn dokumentieren. Der Schriftsteller soll die Wirklichkeit durchschaubar machen, sie „formen“ und „aus ihrer Bildlosigkeit ein Bild machen.“ Lösungen gesellschaftlicher Probleme ist eine politische, keine schriftstellerische, Aufgabe.
- Schaffung eines gesellschaftlichen Gewissens
Der Schriftsteller (insbes. der Dramatiker) muss „Modelle von möglichen menschlichen Beziehungen“ darstellen, „bestimmte Phänomene der menschlichen Natur“ veranschaulichen (jedoch: keine privaten Probleme). Das Drama muss „auf Konstellationen ausgehen, in denen der Mensch vor Gewissensfragen gestellt wird.“ Und so zu einer Entwicklung des „gesellschaftlichen Gewissens“ beitragen (dadurch, dass der Zuschauer durch das Bühnengeschehen zum Nachdenken angeregt wird. Dieses Geschehen muss für den Zuschauer eine „Herausforderung“ darstellen). So wird das Theater zu einer „Schule der Menschenkenntnis, zum Werkzeug, das der Mensch zur Menschenkenntnis braucht“. Der Zuschauer muss provoziert, zum Überdenken des Geschehens und ihrer Standpunkte gezwungen werden, um so die sittliche Verantwortung des Menschen in einer Welt der Gedanken- und Verantwortungslosigkeit wachzurütteln.
- Durchdenken der Welt
Dürrenmatts Dramentechnik besteht nach ihm darin, die gesellschaftliche Wirklichkeit des Menschen in Theater zu verwandeln und diese dann weiterzudenken. „Ich denke die Welt durch, indem ich sie durchspiele. Das Resultat dessen ist nicht eine Wirklichkeit, sondern ein komödiantisches Gebilde, in der sich die Wirklichkeit (genauer: der Zuschauer) analysiert wiederfindet. Diese Analyse ist von der Einbildungskraft, vom Gedankenexperiment von der Spielfreude bestimmt, sie ist so nicht streng wissenschaftlich und daher in vielem leichtfertig, jedoch so auch nützlich.“
- Personen als Modelle
Personen sind keine wort- und hanglungsgetreuen Abbilder ihrer realen Vorbilder, sondern Modelle, die verzerrt, unwirklich erscheinen, aber dennoch die hinter ihnen Wirklichkeitsbezüge deutlich erkennen lassen. Dürrenmatts Theaterwelt ist so dem Zuschauer einerseits fremd, aber auch ihm als die seine erkennbar.
- Zeitstücke
D.´s Theaterstücke haben als Ausdruck moderner Welterfahrung Zeitstück-Charakter (beschäftigen sich nicht mit Tagesthemen, sondern mit Problemen unserer Zeit). Die heutige Welterfahrung hat die Gefährdung des Menschen im Atomzeitalter zum Inhalt (seine Macht wächst, seine Ohnmacht durch die Folgen seiner Entdeckungen aber auch. Erstmals kann er menschliches Leben total zerstören).
- Theater als „Welttheater“
Durch diese Zwiespältigkeit wird es zum „Welttheater“. „Eine Komödie, die nicht nur bestimmtes, sondern ein Weltmodell zu schaffen vermag“. „Welttheater“ ist eine Metapher für unsere gegenwärtige Existenz: Die Welt wird als Theater gesehen, der Mensch spielt die ihm zugedachte Rolle und ist nicht mehr ein Individuum.
- Spiel mit dem Zuschauer
D. richtet seine Werke stark auf ihre Wirkung beim Zuschauer hin aus. Er spielt mit ihm. Zuerst bestätigt er die Wirklichkeit, wie sie der Zuschauer sich wünscht und zu sehen glaubt. Dann, zum Schluss, wird der Zuschauer aus dem Gewohnten und Gewünschten herausgerissen. Der Zuschauer wird provoziert, sich der Wirklichkeit auszusetzen und nach einer neuen Lösung zu suchen.
- Provokation
Dramenstruktur D.´s ist eine „Dramaturgie der Provokation“: Die zum Erreichen des Ziels der Provokation geeignete Form, ist für D. die Form der Komödie, ihr wichtigstes Stilmittel das Groteske.
Komödie und Tragödie
- Frage nach den Darstellungsmitteln
Dürrenmatt versucht seine Orientierungslosigkeit in der Welt als Labyrinth dadurch zu bewältigen, dass er ihre Widersprüchlichkeit auf der Bühne darstellt. Die Mitteln des klassischen Theaters und der traditionellen Gattung der Tragödie hilft dabei nicht.
- Unmöglichkeit, Dramatik Schillers zu verwenden
Die heutigen Staatsmänner sind (im Gegensatz zu früher) keine Machthaber mehr (Napoleon, Wallenstein), die in Freiheit verantwortlich handeln könnten. Sie sind „nur noch zufällige, äußere Ausdrucksformen einer riesigen Macht und so beliebig zu ersetzen.“ (Die Macht war früher sichtbar, die heutige ist nur noch zum kleinsten Teil sichtbar, der größte Teil ist im Gesichtslosen, Abstrakten versunken).
- Unüberschaubarkeit des heutigen Staates
Der „heutige Staat“ entspricht diesen veränderten Verhältnissen (er ist „unüberschaubar, anonym, bürokratisch und hat seine Gestalt verloren“). Es fehlen die „echten Repräsentanten, die tragischen Helden sind ohne Namen. Heutige Welt gibt sich besser wieder mit einem Polizisten, als mit einem Bundeskanzler“. D. macht dabei keine Unterschiede zwischen dem kapitalistischen (= Privatkapitalismus) und dem sozialistischen (= Staatskapitalismus) System. Beide sind „Rätsel an Unheil“. (bei D.: „Machthaber“ = nicht nur Staatsmann, auch der Mensch; „Staat“= gesellschaftl. Verhältnisse, in denen sich der Mensch früher befand und heute befindet).
- Keine Entscheidungsfreiheit mehr
Der Mensch beherrscht die Verhältnisse (Entscheidungsfreiheit, Folge seines Tuns (Schuld), Verantwortlichkeit, Verhalten und Handeln nach Ideen ausrichtet ® tragische Konflikte) nicht mehr, in denen die Tragödie die angemessene Form der Darstellung (des Helden) gewesen wäre.
- Mensch als Objekt
Der Mensch ist heute den undurchschaubaren Machtkonstellationen und Verhältnissen ausgeliefert (ist nicht mehr Subjekt, sondern Objekt des Geschehens. ® anderer Sinn von Verantwortung Schuld und Tragik). Die Tragödie gestaltete den Zusammenstoß letzter Prinzipien (Konflikt von Freiheit – Notwendigkeit, Willen – Schicksal). Sie setzt absolute Werte voraus und ein Publikum, das sie anerkennt. Diese Situation ist heute nicht mehr gegeben.
- Komödie als angemessene Form
Daher kommt uns „heute nur noch die Komödie bei“. Sie ist die angemessene Form der Gestaltung/Wiedergabe heutiger Verhältnisse und Probleme, da sie als Kunstmittel einer niedergehenden Zeit anzusehen ist, die mit Mythen und tragischen Konflikten nichts mehr anzufangen wisse.“ ® Dürrenmatts Geschichtsbild und weltanschaulich begründete Ablehnung der Tragödie: „Tragödie setzt Schuld, Not, Maß, Übersicht und Verantwortung voraus. Heute gibt es aber keine Schuldigen und Verantwortlichen mehr. Alle können nichts dafür und haben es nicht gewollt. Es geht wirklich ohne jeden. Alles wird mitgerissen und bleibt in irgendeinem Rechen hängen. Schuld gibt es nur noch als persönliche Leistung, als religiöse Tat.“
- Fehlende Voraussetzungen für Tragödie
Bedingungen für die Tragödie sind Verantwortung, Schuld und Übersicht. Wird aber menschl. Verhalten von Faktoren bestimmt, die nicht mehr kontrollierbar sind, die sich der Übersicht entziehen, so sind Tragödien nicht mehr möglich. Sind diese Faktoren (die die Verantwortlichkeit der handelnden Personen außer Kraft setzen) läppisch oder banal, kann anstelle der Tragödie nur die Komödie treten. Komödie ist nicht die Darstellung eines harmlosen, nichtigen Schadens, sondern die Darstellung eines bedeutenden Unheils aus nichtiger Ursache (Komisch ist dabei das Missverhältnis wischen dem Gewicht der auslösenden Faktoren und der Bedeutung der Katastrophe).
- Der „mutige Mensch“
Trotz allem gibt es Menschen, die paradoxerweise trotz der Sinn- und Hoffnungslosigkeit der Welt nicht verzweifeln, sondern die Welt bestehen wollen (die verlorene Weltordnung soll gleichsam in ihrer Brust wiederhergestellt werden und so vollbringen sie die persönliche Leistung, ihre Schuld anzuerkennen)®Möglichkeit der Freiheit in einer von Zufällen und Pannen bestimmten Welt. ® typisches Paradoxon für D.: Der einzelne verzweifelt nicht in einer verzweiflungsvollen Welt, sondern hofft auf Veränderung – wobei er ebenso um die Sinnlosigkeit dieser Hoffnung weiß. Solch ein Mensch, ist für D. der „mutige Mensch“, den zu zeigen er immer noch für möglich hält.
- Tragik als Element in der Komödie
Auch heute gibt es noch Schuld und Verantwortung (und diese sind mit dem Problem des Tragischen verbunden). Wegen der fehlenden weltanschaulichen Voraussetzungen kann Tragik kein gattungsbildendes Prinzip, sondern nur noch ein sehr wichtiges Element innerhalb der Komödie sein („Das Tragische ist immer noch möglich. Es kann aus der Komödie heraus erzielt werden, hervorbringen als einen schrecklichen Moment, einen sich öffnenden Abgrund.“)
- Zusammengehörigkeit von Tragik und Komik
Tragisches und Komisches hängen so eng zusammen, dass sie nicht in der Sache, sondern nur im Bewusstsein des Zuschauers unterschieden werden können („nennen sie es Zufall oder Schicksal“).
- Distanz des Zuschauers durch Komödienform
Absicht D´s. ist es, dem Zuschauer die Identifikation mit dem dargebotenen Stoff und den vorgeführten Helden zu erschweren, um ihn so zu einer bewussten Auseinandersetzung mit der Handlung und den Personen zu bringen. Hierfür ist die Distanz des Zuschauers zur Handlung notwendig. Dies kann die Tragödie nicht („Tragödien stellen uns eine Vergangenheit als gegenwärtig vor, überwinden Distanz, um uns zu erschüttern“). Komödie schafft aber Distanz. Der Zuschauer kann so seinen kritischen Verstand gebrauchen und das Bühnengeschehen mit seiner Wirklichkeit vergleichen und so diese durchschauen. D´s. Stücke werden so Gleichnisse der Wirklichkeit, „weil sie, als Zeitstücke gestaltet, Distanz schaffen (wie bei Aristophanes). Sie wollen nicht Mitleid erwecken, sondern darstellen mit der Grausamkeit der Objektivität.
- Komödie als Mausefalle
d. h. Zuschauer lassen sich ins Theater locken, weil sie meinen, Bekanntes und Vergnügliches vorgespielt zu bekommen (sie haben vertraute Erwartungen, Orientierungen, Vorstellungen). Sie wollen ein fiktives Spiel betrachten, müssen aber feststellen, dass ihnen diese vertraut geglaubten Wirklichkeitsbezüge entgleiten und dass sie einer grotesken Welt voller Bedrohung, Ausweg- und Sinnlosigkeit gegenübergestellt werden.
- Wesen des Komischen
Strukturmerkmal der Komödie ist das Komische. Es besteht für D. darin, „das Gestaltlose zu gestalten, das Chaotische zu formen.“ Komik ist für ihn ein aggressives Mittel der Enthüllung . Sie hat nichts mit Gemütlichkeit zu tun sondern mit menschl. Freiheit („im Lachen zeigt sich die Freiheit des Menschen, im Weinen seine Notwendigkeit. Wir haben heute die Freiheit zu beweisen. Die Tyrannen dieses Planeten werden durch die Werke der Dichter nicht gerührt, nur eines fürchten sie: ihren Spott.“).
- Parodie
Eine Form des Spotts ist die Parodie, ein Verfahren zur Herabsetzung von Personen und Objekten, die Autorität und Respekt beanspruchen, die also in irgendeinem Sinn erhaben sind („Der Künstler stellt die Gestallten, die er parodiert, im bewussten Gegensatz zu dem dar, was sie geworden sind (er muss sie auch reduzieren). Dadurch gewinnt er wieder seine Freiheit und damit den Stoff, der nicht mehr zu finden, sondern nur noch zu erfinden ist, denn jede Parodie setzt ein Erfinden voraus.“).
Einfall und Zufall
Wichtigstes Mittel, die Identifikation des Zuschauers mit dem Geschehen auf der Bühne zu vermeiden, ist für D. der Einfall („Meine Kunst entsteht aus der Auseinandersetzung mit der Welt, wo die Welt in Kunst gleichsam überspringt, steht der Einfall: Weil die Welt mit ihren Ereignissen in mich einfällt, entsteht eine Gegenwelt, eine Eigenwelt als Gegenattacke, als eine Selbstbehauptung.“)
- Wirkung des Einfalls
Der Einfall schafft Distanz. („Tragödie ist ohne Einfall, weil nur wenige erfundene Stoffe behandeln. Aristophanes Stoffe sind erfundene Handlungen, die sich nicht in der Vergangenheit sondern in der Gegenwart abspielen. Sie fallen in die Welt wie Geschosse und verwandeln so die Gegenwart ins Komische und Sichtbare.“) ® Komödie schafft Distanz zum Zuschauer durch den Einfall; Tragödien brauchen keinen Einfall, da sie sich auf konkrete (historische, mythische) Stoffe beziehen; Stoffe mit Einfällen sind zwar frei erfunden, verlieren sich aber nicht im Phantastischen, sondern bezeihen sich auf die Gegenwart; der Einfall bewirkt, dass diese Gegenwart, die konkrete Situation ins Phantastische, Komische umgestaltet wird; so wird die Gegenwart nur dargestellt/sichtbar gemacht; Absicht D´s. ist es, die undurchschaubare Gegenwart dadurch sichtbar, durchschaubar zu machen, dass er sie verwandelt.
- Einfall und Publikum
Durch den Einfall, die Komödie „wird das anonyme Publikum als Publikum erst möglich. Der Einfall verwandelt die Besucher leicht in eine Masse, die nun angegriffen, verführt, überlistet werden kann, sich Dinge anzuhören, die sie sich sonst nicht so leicht anhören würde.“
- Einfall als Idee des Stückes
„Einfall“ ist der erste Akt des dramatischen Gestaltungsvorgangs: die Idee des Stückes, es ist aber auch der Einbruch des Unvorhergesehenen, Unberechenbaren. Dadurch werden die Kausalität der Ereignisse, die Wahrscheinlichkeit des Geschehens und die Vorausplanung des Menschen außer Kraft gesetzt.
- Einfall als Zufall
Der Einfall tritt so an die Stelle des früheren Schicksals oder der Vorhersehung. Einfall wird so zum Zufall, der das Handeln des Menschen in die Richtung zwingt, die er gerade vermeiden will, und der ihn so der Lächerlichkeit preisgibt. Der Zufall tritt meist in der Endphase des Geschehens ein und führt zu dessen schlimmstmöglichen Wendung (vgl. 21 Punkte zu den Physikern: „schlimmstmögliche Wendung ist nicht voraussehbar sondern tritt durch Zufall ein. Kunst des Dramatiker ist diesen wirksam einzusetzen. Zufall besteht darin, wann und wo wer zufällig wem begegnet. Je planmäßiger der Mensch, desto wirksamer trifft ihn der Zufall. Das, was sie befürchten, was sie zu vermeiden suchen, trifft ein.“)
- Wirkung des Zufalls
Der Handlungsablauf, der sein Ziel fast erreicht hat, nimmt im letzten Augenblick gerade die Wende, die vermieden werden soll (Der Betroffene wird vom Täter zum Opfer, vom Held zum Narren. Ihre Lächerlichkeit wächst mit dem Grad ihres Engagements und der methodischen Sorgfalt ihres Vorgehens.
- Zufall im traditionellen Drama
Zufall war dort Faktor, der die Handlung in Gang bringt (ausgelassene Chance, unvorhersehbare Gefahr, entscheidende Begegnung der Personen). Auch D. verwendet dies, jedoch so, dass der Zufall in der dramaturgischen Methode begründet ist, so dass ein wirksames Mittel gegen seine katastrophalen Folgen nicht mehr gefunden werden kann.
- Keine vernünftige Weltordnung
Der Held scheitert somit mit seiner Vorstellung von einer planbaren, dem Gesetz der Vernunft unterworfenen Weltordnung. Die Katastrophe kann so oft nur entstehen, weil der Held in einer Welt alleine steht, die auf Ausbeutung bedacht ist. Erst durch diese Gesamtsituation gewinnt der an und für sich läppische Zufall seine schicksalshafte Bedeutung („Was alle angeht, können nur alle lösen. Jeder Versuch eines einzelnen, für sich zu lösen, was alle angeht, muss scheitern.“).
Paradoxie und Groteske
„Im Paradoxen erscheint die Wirklichkeit. Wer dem Paradoxen gegenübersteht, setzt sich der Wirklichkeit aus.“
- Wesen des Paradoxen
Das Paradoxe ist ein Kennzeichen unserer modernen Welt. Die Paradoxie besteht darin, dass sie nur noch besteht, „weil die Atombombe existiert: aus Furcht vor ihr“. Das Wesen des Paradoxen ist so: Es beinhaltet Widersinnigkeit und Widersprüchlichkeit. Die Widersprüche (des Paradoxen) führen nicht zum Sinnlosen, Absurden, sondern erweisen sich in ihrer Verbindung durchaus als sinnvoll, es sind nur scheinbar Widersprüche. Dinge, die scheinbar miteinander unvereinbar sind, werden zu einer widersinnigen, aber nicht unsinnigen oder sinnlosen Einheit miteinander verbunden. Die Wirkung des Paradoxen beruht daher auf verblüffenden und befremdeten Gegensätzen, die die Erwartung des Zuschauers vortäuschen (z.B. die Irrenärztin ist krank, die kranken Physiker gesund). Dürrenmatt will seine Orientierungslosigkeit in der labyrinthischen Welt kreativ bewältigen, indem er ihre Paradoxien auf der Bühne durchspielt. Paradox ist ebenfalls, dass er einen Sinn in einer Welt zu finden versucht, von deren Sinnlosigkeit er überzeugt ist.
- Groteske als Mittel zur Darstellung des Paradoxen
Wichtigstes Stilmittel das Paradoxe darzustellen ist das Groteske („ein sinnliches Paradox, die Gestalt einer Ungestalt, das Gesicht einer gesichtslosen Welt.“). Gemeinsam ist dem Paradoxen und dem Grotesken die Vereinigung von eigentlich Unvereinbarem. Das eigentliche des Grotesken liegt im lächerlich-grausen Ineinander des ursprünglich und wesenhaft Getrennten, im befremdlichen Nebeneinander von Lachen und Entsetzen, manchmal sogar im gleichzeitigen Ineinander von Belustigung und Schaudern. Zum Grotesken gehört oft auch ein phantastisches Element, das beim Zuschauer die befremdliche, sowohl Lachen als auch Grauen auslösende Wirkung hervorruft.
- Das Groteske als Sehweise der Realität
Dazu gehört auch die entfremdete Welt des Grotesken: dass, was uns vertraut war, enthüllt sich plötzlich als fremd und unheimlich. Es ist unsere Welt, die sich verwandelt hat. Die Überraschung/Plötzlichkeit gehört wesentlich zum Grotesken. Das Grauen überfällt uns so stark, weil es eben unsere Welt ist, deren Verlässlichkeit sich als Schein erweist. Das Groteske bildete die Grundstruktur der Kunst in Zeiten des Umbruchs/der Krisen. Es ist gebunden an eine erfahrbare Wirklichkeit und unterscheidet sich dadurch vom Absurden: Das Absurde verneint jeden sinnvollen Zusammenhang, nur in der Groteske gewinnt eine in sich logische, aber als Ganzes pervertierte Ordnung Gestalt. D. ist überzeugt, die Groteske sei die einzige Möglichkeit, Geschehnisse darzustellen, die nicht mehr von früheren Helden (Wallenstein, Napoleon), sondern von „Weltmetzgern inszeniert und von Hackmaschinen ausgeführt werden“. Weder das Komische, noch das Groteske ist für D. Ausdruck einer nihilistischen Weltsicht. Es ist für ihn „eher die Kunst der Moralisten. Sie ist unbequem aber nötig.“
- Verfremdung durch groteske Darstellung
Damit meint er, dass durch dieses Darstellungsmittel gesellschaftliche Missstände so verzerrt und übertrieben werden, dass sie der Zuschauer erkennt und in Zwiespalt zwischen Lachen und Grauen gerät. Das Vertraute enthüllt sich ihm plötzlich als fremd und unheimlich. Er schafft so Distanz zum Geschehen und erkennt dadurch deutlicher dessen mögliche schreckliche Folgen. In der grotesken Gestaltung glaubt Dürrenmatt eine äußerste Möglichkeit gefunden zu haben, die Gewinnung von Distanz und poetische Darstellung noch erlaubt.
Dürrenmatt und Brecht
- Brechts „Episches Theater“ (Alternative zum klassischen, aristotelischen Drama; In die Drama werden erzählende (epische) Elemente eingefügt. Geschehen läuft nicht auf Höhepunkt, Katastrophe, Lösung zu , sondern wird in seinen versch. Möglichkeiten vorgeführt und von reflektierenden,, argumentierenden Elementen (z.B. Songs) unterbrochen). Gegenstand ist: der veränderliche und veränderte Mensch; dabei sollen die vorgeführten, „demonstrierten“ Verhaltensweisen als gesellschaftlich bedingt und daher von der Gesellschaft veränderbar erkannt werden.
- Mittel der Verfremdung
Brecht lehnt die Identifikation des Zuschauers mit dem Bühnengeschehen ab. Statt dessen: soll zur Distanzierung vom Geschehen durch Mittel der Verfremdung kommen (Solche sind z.B. Kommentare, Zwischentexte, Reflexionen, Aus-der-Rolle-Treten der Schauspieler und ihre Wendung zum Publikum, usw.)
- Aufhebung der Illusion
Verfremdung soll die Illusion immer wieder aufheben, dem Zuschauer den Spiel- oder Parabelcharakter des Stückes bewusstmachen. Ihre Aufgabe: den Zuschauer aus seiner emotionalen, d.h. kritik- und folgenlosen, Identifikation mit Personen und Geschehen auf der Bühne herauszureißen, statt dessen: seine Kritikbereitschaft zu wecken (® so: erkennen, dass die kapitalistische Gesellschaftsordnung zugunsten einer sozialistischen verändert werden muss.
- Brechts Geschichtsoptimismus
Emotionale Wirkungen des Theaters sind insofern berechtigt, als sie die Bereitschaft des Publikums wecken, gegen die Missstände der vorhandenen und für eine veränderliche Gesellschaftsordnung zu kämpfen (dahinter ist der Geschichtsoptimismus: Brecht zeigt eine Gesellschaft, die die Chance zur Wende zu einer neuen Zeit hat. Er glaubt an die positive Veränderbarkeit des Menschen und der Gesellschaft zum Sozialismus hin, durch das Engagement einzelner, und spricht der Kunst (insbes. dem Theater) dabei Mitwirkungsmöglichkeiten zu.
- Dürrenmatts Auffassung
„Brecht glaubt an eine veränderbare Welt, nach dem Motto: richtige Wissenschaft – richtige Politik – richtige Menschen. Aber weder Mensch noch Politik sind „richtig“. Die Welt verändert sich durch den Menschen, aber der Mensch verändert sich nicht und fällt der durch ihn veränderten Welt zum Opfer.“ D. lehnt jede Ideologie in der Dichtung ab, da es ihr Wesen ist, die eigenen Aussagen zu verabsolutieren und die Weltsicht dadurch unzulässig einzuengen (Der alte Glaubenssatz der Revolutionäre, der Mensch kann und muss die Welt verändern, ist für den Einzelnen unrealisierbar geworden, er ist nur noch für die Menge brauchbar, als Schlagwort, als politisches Dynamit, als Antrieb der Massen, als Hoffnung für die grauen Armeen der Hungernden.“)
- Ablehnung von Ideologien
Die Ablehnung der Ideologien begründet sich in D´s. Bild einer chaotischen, vom Künstler nicht zu erfassenden Welt. Der Mensch ist Mächten konfrontiert, die sich seiner Kontrolle entziehen. D. hat keine Lösungen, hofft aber, durch die Provokation des Zuschauers mittels Lachen/Entsetzen Anstöße zu möglichen Veränderungen zu geben. „Der Dichter kann bestenfalls die Welt beunruhigen, seltenstenfalls, beeinflussen und nie verändern.
- Gemeinsamkeiten Brecht – Dürrenmatt
D. übernimmt B´s. Grundsätze des epischen Theaters, den Verfremdungseffekt und den Grundsatz der Nicht-Identifikation des Zuschauers. B´s. episches Theater ist für ihn aber unzureichend. Der Verfremdungseffekt liegt nicht in der Regie (wie bei B.) sondern im Stoff selbst.
- „Welttheater“
Die dramatische Form, die dem Zuschauer die Identifikation mit dem Bühnengeschehen erschwert, ist seine Form der „Komödie als Welttheater“, als „Theater der Nicht-Identifikation schlechthin“. Indem der Zuschauer lacht, distanziert er sich, und damit ist durch das paradoxe Geschehen auf der Bühne, dargestellt mit dem Stillmittel des Grotesken, die Nicht-Identifikation erreicht: „Komisches muss nicht ‚nahe gehen’ wie das Tragische, um auf uns zu wirken, es wirkt auf uns, weil wir von ihm Abstand nehmen, unser Gelächter ist die Kraft, die den komischen Gegenstand von uns wegtreibt.“
- Dürrenmatts Auffassung vom Publikum
Für D. ist das Publikum unberechenbar und will genießen. Deshalb sei das kritisch nachdenkende, „wissenschaftliche“ Publikum, auf das B. hofft, eine Illusion. D. meint, dass der Zuschauer immer nur zum Teil Distanz zum Bühnengeschehen gewinnt: „Der Zuschauer identifiziert sich unwillkürlich mit dem Geschehen auf der Bühne, während des Spiels nimmt er unwillkürlich an, das Geschehen sei ‚wirklich’ aus dem simplen Grunde, weil er mitspielt.“ D. meint, das Publikum könnte höchstens „überlistet“ werden, sich Dinge (auf der Bühne) anzusehen, dei es im allgemeinen verdränge (so sei die Komödie als „Mausefalle“ besser als B´s. Mittel zur Verfremdung.
- „Modell Scott“ Þ Shakespeares und Brechts Darstellung
Robert Falcon Scott kam im Wettlauf um den Pol erst nach Amundsen dort an und erfror auf dem Heimweg. ® „Shakespeare hätte dessen Schicksal wohl so dramatisiert, dass der tragische Untergang des Forschers durchaus dessen Charakter entsprungen wäre, Ehrgeiz hätte Scott blind gegen die Gefahren gemacht, Eifersucht und Verrat unter den anderen Expeditionsteilnehmern hätte das Übrige hinzugetan, die Katastrophe herbeizuführen; bei Brecht wäre die Expedition aus wirtschaftlichen Gründen und Klassendenken gescheitert, die englische Erziehung hätte Scott gehindert, sich Polarhunden anzuvertrauen, er hätte zwangsläufig standesgemäße Ponys gewählt, der höhere Preis wiederum dieser Tiere hätte ihn genötigt, an der Ausrüstung zu sparen...“(so D.)
- Standpunkt D´s.
Shakespeare geht also nach D. von der geschichtsgestaltenden Kraft des Menschen aus. Aus den Prägungen und Antrieben des menschlichen Charakters entstehen die Motive, die auf das Geschehen einwirken und zum Glück/Unglück der Betroffenen werden. ® ist für D. überholt. Die Geschichte als Ablauf von polit., wirtschaftl., kriegeri. Auseinandersetzungen untersteht seiner Ansicht nach nicht mehr dem Wirkungsbereich des einzelnen. Auch B. lehnt er ab. In parodistischer Übertreibung des Brechtschen Theaters trifft er doch dessen Kern: Auch B. hält an der Fähigkeit des Menschen fest, geschichtlich handeln zu können, auch wenn er den Menschen als komplexes Resultat gesellschaftlicher Kräfte und Gegenkräfte sieht und sein Bewusstsein als Prägung durch seine gesellschaftliche Lage begreifbar zu machen versucht.
- D´s. Modell
„Eine Dramatik wäre denkbar, die Scott beim Einkaufen für der für die Expedition benötigten Lebensmittel aus Versehen in einen Kühlraum einschlösse und in ihm erfrieren ließe. Scott gefangen in der Antarktis, entfernt durch unüberwindliche Distanzen von jeder Hilfe stirbt tragisch, Scott, eingeschlossen im Kühlraum durch ein läppisches Missgeschick, mitten in der Großstadt, nur wenige Meter von einer belebten Strasse entfernt, zuerst fast höflich an die Türe klopfend, wartend, dann polternd, schreiend, hämmernd, nimmt ein noch schrecklicheres Ende aus einer tragischen Gestalt ist eine komische geworden, eine Gestalt komisch allein durch ihr Geschick: die schlimmstmögliche Wendung, die eine Geschichte nehmen kann, ist die Wendung in die Komödie.
- Einbruch des Zufalls
Die Vorausplanung des Menschen, die traditionellen geschichtlichen Elemente werden für D. außer Kraft gesetzt durch den unvorhergesehenen und unkontrollierbaren Einbruch eines Zufalls, der alles in eine andere, endgültige, den Menschen der Lächerlichkeit preisgebende Richtung zwingt“. Die schlimmstmögliche Wendung des Geschehens zur Komödie ist die, die Wünsche und Planungen des Menschen zunichte macht, so dass das Gegenteil, das gerade vermieden werden soll, eintritt. D. gibt aber die Hoffnung nicht auf, dass durch das Zusammenfallen von Erheiterung und Schrecken (Lachen/Entsetzen) Veränderungsimpulse möglich sind.
- Zusammenfassung
Dürrenmatts Theater ist ohne Brechts Einfluss nicht denkbar. Dürrenmatt lehnt zwar Brechts ideologischen Überbau ab und glaubt nicht an die gesellschaftsverändernde Wirkung des Theaters. Aber Brechts Grundsätze des epischen Theaters, den V-Effekt und die Nicht-Identifikation des Zuschauers mit dem Dargestellten, sind für ihn selbstverständliche Grundsätze des modernen Theaters und durch seine Form des Theaters, der „Komödie als Welttheater“, zu verwirklichen.
Kommentare/Interpretationen/Stellungsnahmen und Kritik zu Dürrenmatt und seinem Werk
Text + Kritik. Zeitschrift für Literatur. Herausgeber: Heinz Ludwig Arnold. Heft 50/51. Friedrich Dürrenmatt I. München 1980
- Heinz Ludwig Arnold: Theater als Abbild der labyrinthischen Welt. Versuch über den Dramatiker Dürrenmatt (S. 32ff)
- Elsbeth Pulver: Literaturtheorie und Politik. Zur Dramaturgie Friedrich Dürrenmatts (S. 68ff)
- Hajo Kurzenberger: Theater der Realität als Realität des Theaters. Zu Friedrich Dürrenmatts Dramenkonzeption (S. 80ff)
- Hugo Dittberner: Dürrenmatt, der Geschichtenerzähler. Ein 50-Dollar-Mißverständnis zum „Besuch der alten Dame“ (S. 113ff)
Heinz Ludwig Arnold: Theater als Abbild der labyrinthischen Welt. Versuch über den Dramatiker Dürrenmatt
I. Dürrenmatts erstes, nie veröffentlichtes Stück „Komödie“ (1943) versucht die Welt als Labyrinth, die Zerstörung des in religiöser Umgebung vermittelten Glaubens und den Zweifel an einem Sinn in eine Form, die die Bildlichkeit und Reflexion im sprachlichen Ausdruck vereint, zu bringen. Hierbei wird das Ur-Drama des Menschen, der flieht, aber nicht entkommen kann dargestellt. Voraus geht dabei die Wanderung Adams als Soldat, als Tötender und Getöteter. Er wird im Labyrinth von Minotaurus, der Kraft der Zerstörung und ein Produkt der Ursünde, verfolgt und gehetzt. Adam wird von einem Besoffenen, der auf orakelhafte Weise Bescheid weiß (um die Welt und dass Fragen diese Welt formen). Der Mensch (Adam) ist eingeschlossen in einer Hölle von Fragen, die keiner beantworten kann. Die Strafe, seine Sünde und Gnade ist dabei „warum“ zu schreien.
Dürrenmatt zu dieser Komödie: Diese Komödie richtet sich an „Menschen, die wissen, und es sind wenige“. Dichten war früher: Den Raum dichten zum Wort. (Bei den Griechen waren so Dimensionen des Raumes: Staat, Religion und Kunst. Alles war bedeutend, da es im Raum bestimmt war). Heute sind wir von Unraum, von unwesentlichen und bedeutungslosen umgeben. Staat, Religion und Kunst sind ohne Beziehung zueinander: Abstrakt und von Technik beherrscht. Wir müssen die Zeit ertragen und darin liegt die Gnade. Pflicht ist, Raum zu schaffen durch den Geist: Dass im Wort alles wieder eins sei. Raum schaffen ist Schicksal. Diese Komödie ist so Abschluss und Umkehr. Sie wird dort wahr, wo die Hölle wäre, in unserer Zeit. Daher die Erkenntnis: Dass Leben ohne Raum in nichts endet.
Dürrenmatts erstes Stück hat er nie veröffentlicht. Es ist gezeichnet von Perspektivlosigkeit. Es ist ein erster Versuch, indem sich aber auch Themen und Motive zeigen, die sich durch das gesamte Werk Dürrenmatts ziehen: Der Mensch, mit Humor und im Bewusstsein einer labyrinthischen Welt, stellt er sich dem blindwütigen Minotaurus entgegen, um in das Dunkel wenigstens ein paar Lichtpunkte zu werfen.
„Der Mitmacher“ (1973) zeigt das Ende der Menschen=Gesellschaft in der restlosen Verstrickung aller in allem (der Mensch hat dabei keinen Raum: keine Freiheit und Würde). Dem Menschen bleibt nur noch die Flucht in den Wahnsinn oder die Annahme des Todes.
„Der Mitmacher“ führte zu einer Niederlage auf der Bühne (die Zuschauer waren zwar beeindruckt, die Kritiker haben es verrissen).
Die Welt als Labyrinth zeigt sich bei Dürrenmatt an vielerlei: Romulus, Möbius (Die Physiker), Ill (Alten Dame) sind alle Abbilder des Menschen im Labyrinth (als Symbol für die Welt), in dem der Minotaurus rast. Darin sich selbst zu sein, Rum um sich und andere zu schaffen, Licht in die Dunkelheit zu tragen ist der Versuch, die Welt gegen den Minotaurs zu bestehen, selbst im Bewusstsein des Scheiterns. Gegen den Minotaurus, der in verwandelbarer Gestalt die Schicksale umtreibt (als Claire Zachanassians in der Alten Dame, als Mathilde von Zahnd in den Physikern) hilft nur Gelächter. So wird Zweifel in Erkenntniskritik verwandelt und der Verzweiflung an der Welt seine vom Humor getragenen Spiele menschlicher Möglichkeiten entgegenstellt. Die Dialektik dabei ist besteht einerseits zwischen der Welt, wie sie ist, und den Möglichkeiten, ihr zu begegnen. Sie ist dynamisch und steht so im Gegensatz zu Religion und Marxismus, die zu Dogma und Doktrin erstarrt sind. Motiv der Dramatik Dürrenmatts ist der Zweifel an den Heilslösungen, die den Menschen unter ihr Gebot stellen. Dies (der Zweifel) schafft letztendlich aber den Glauben an den Menschen in seiner eigenen Würde (kein Glauben als Blankoscheck, als ewig gültig, sondern als Glaube im ständigen Zweifel). Die Dialektik von Glauben und Zweifel konstituiert die Dialektik der Dramaturgie Friedrich Dürrenmatts (Patrick: z.B. die Dialektik bei Ill (in der Alten Dame): Glaube und Vertrauen auf die Menschlichkeit und Solidarität der Anderen und den Zweifel an diesem Glauben und Vertrauen, ebenso bei den Bewohnern: Glaube an Menschlichkeit und Glaube, dass sich die Mrd.-Schenkung „irgendwie arrangieren lässt“; Physiker: Glaube Möbius durch sein Dasein als Irrer kann er die Welt retten, zweifelt aber an der Liebe (wie auch die anderen Physiker: Glaube an den Diebstahl der Weltformel und Zweifel an der Liebe zu ihren Geliebten; am Ende verzweifeln alle (auch der Leser): von Zahnd hat die Weltformel).
II. Dürrenmatt: Wie die Zeit geworden ist, müssen wir sie ertragen. Im Ertragenkönnen liegt die Gnade. Aber Pflicht ist: Raum zu schaffen durch den Geist. ® Dürrenmatts Dialektik ist existentiell (nicht ideologisch). Sie muss im erkenntniskritischen antiideologischen Sinn Kantscher Vernunft und Moral verstanden werden. Grundmuster ist die These das Labyrinth der Welt: die Gegebenheit. Um zu bestehen, muss ihr der erkenntniskritische Zweifel entgegengesetzt werden: Die Welt ist nicht hinzunehmen, sondern in Zweifel zu ziehen, in Frage zu stellen (= Raum zu schaffen durch den Geist). These und Antithese (Welt und Mensch) ringen dabei miteinander, wobei so die Synthese aus Sein und Fragen unentwegt neu hergestellt werden muss. So konstituiert der Zweifel den Glauben: als Vertrauen in einer Welt, die den Dialog der Einzelnen miteinander ermöglicht, aber den Einzelnen dennoch bewahrt; nicht aber als sich verfestigten Glauben, Dogma oder Doktrin.
Das Leben ist Kampf um die Würde des Menschen. Eine neue Position, die aus dem radikalen Nihilismus herausführt findet sich in Dürrenmatts 2. Stück „Es steht geschrieben“ (1946). Für Knipperdollinck ist die Gnade Gottes etwas subjektiv Geglaubtes und doch letzte Hoffnung, das Elend der Welt zu bestehen. Gnade als Begriff der Theologie ist etwas Erlösendes nicht aus dem Menschen selbst, sondern das von einem jenseitigen Gott erfleht, gespendet oder verweigert werden kann. Der Mensch hat noch Hoffnung auf etwas, das hinter den Mauern des Labyrinths lag: ein Bezugspunkt, der über diese Welt hinausweist, ein metaphysischer (jenseitiger) Schimmer.
In der Neubearbeitung des Stückes „Die Wiedertäufer“ (1967) wird nun diese Hoffnung (auf jenseitige Gnade, die das Scheitern an der Welt vielleicht auffangen kann) kommentiert. War damals Gott eine jenseitige Gnade aussäende Macht, ist nunmehr Gott ins Diesseits versetzt und vom Menschen missbrauchte, zur Ideologie zermanschte Größe.
Es bleibt nicht die Gnade, nicht Gott als Hoffnung, kein Trost. Eine von außen eingreifende Metaphysik, Gott als Bezugspunkt, eine Ausflucht und so die Möglichkeit die Welt zu überwinden scheinen (auch andeutungsweise im „Romulus“) nicht mehr vorhanden. Anstelle der metaphysischen Bezugsgröße, die ins Diesseits einzugreifen vermag, tritt nun die Ideologie: als Heilslehre, der die Gläubigen blindlings zu folgen haben. Erzzweifler Schwitter , auch mit Blindheit geschlagen, macht (im „Meteor“, 1966) den Zweifel zur Doktrin seiner Existenz: vor dem Wunder der „Auferstehung“ versagt seine Erkenntnis.
Im „Meteor“ zeigt sich deutlich der Zufall, als ein wichtiges Element der Dürrenmattchen Dramaturgie. Sie ermöglicht das „Wunder“ auf der Bühne und lässt dem Dramatiker jede Freiheit. Aber nicht willkürlich: Der Zufall ist ein veränderndes, konstituierendes, zerstörendes usw. Ereignis und die Antwort Dürrenmatts auf die Willkür des die Welt im Labyrinth herumtreibenden Minotaurus. Sie ist dialektische Verlängerung und als Zufall bietet er die Möglichkeit, Minotaurus in Gestalten und Handlungen umzusetzen. Widersinn, Provokation und Reaktion werden zu einem paradox anmutenden Gleichnis: Romulus kann den Krieg nicht verhindern, obgleich er das Reich friedlich zum Konkurs führte.
Der Zufall ist dabei nicht nur Vorzeigeinstrument der Dramaturgie, sondern verhindert auch, dass die Dialektik des dramaturgischen Denkens (Zweifel und Glauben) zum schematischen Dreiklang erstarrt. Der erreichte Glauben ist immer dynamisch und ein vom Zweifel angenagter Glauben. Der Zufall dient dabei der zusätzlichen Sicherung der Freiheit und der Zersprengung einer möglichen Ideologisierung der dialektischen Dramaturgie.
Zufall ist auch ein Indikator ideologischen Denkens: Schwitter (im Meteor) ist nicht Gläubiger, sondern Zweifler (ohne jedes Vertrauen, der aber seinen Zweifel nicht infragestellt durch einen Glauben). Der Zweifler ist Ideologe (wie Christ/Marxist) weil er nichts ist als ein Zweifler: er ist Zyniker. Er wird exponiert durch Zufall (Wunder, die Auferstehung Schwitters, geschehen. Der Zweifler, da er nicht glaubt erkennt dies nicht als Wunder). Diese Ideologie ist sein ausschließender Glaube: Er glaubt nur an sich, zweifelt in Wirklichkeit also nicht: Schwitter: „Wann krepiere ich denn endlich!“® zweifelt mit keinem Wort an seinem biologistischen, Erkenntnis verhindernden Glauben (Patrick: Ist sich also sicher, dass er sterben muss!).
Der Zufall bei den „Physikern“ (1961): Möbius entzieht sich dem Zwang der Gesellschaft, die seine Erfindung ausbeuten will, in die Freiheit des Irreseins. Um nicht entdeckt zu werden, erdrosselt er die Krankenschwester, die er liebt – in einer Liebe ohne Glauben, ohne Vertrauen. Die Tat, die wenn Möbius der Schwester vertraut hätte, unnötig wäre, ist für die ohnehin schon sinnlose Wahrung der Freiheit sinnlos.® Mathilde von Zahnd ist selbst irre (die einzige, während die andern ihr Irresein nur vorgeben). Der Raum der Freiheit wird zerstört durch den Zufall: es war nur ein scheinbarer Freiheitsraum.
Leben ohne Raum endet so in nichts. Der Zufall, der den scheinbaren Zweifler Schwitter in seiner ideologischen Erstarrung entlarvt, entlarvt in den Physikern die Flucht in die Freiheit des Irrenhaus als Scheinfreiheit.
Im „Mitmacher“ ist der Mensch nur noch in der raumlosen Welt der Unfreiheit, des Zynismus und der Hoffnungslosigkeit (umgeben von Verbrechen und Korruption). Er hat nur zwei Möglichkeiten: Tod (und dabei seine Würde noch zu bewahren) oder mitzumachen (Anmerk. Patrick: vgl. auch: „Alte Dame“: Dürrenmatt: „schrieb als Mitschuldiger [...], der sich von diesen Leuten durchaus nicht distanziert und der nicht sicher ist, ob er anders handeln würde)“
III. Der Zufall verhindert, dass die Dialektik bei Dürrenmatt zur reproduzierbaren Theatermechanik verkommt, weil sie den Ablauf stören soll. Eine Zeit der Ideologisierung aller Bereiche ist einem solchen Stück (dem Mitmacher) nicht günstig gesinnt. Dass aber die Zeit hier selbst einer Anklage unterzogen wurde, wird kaum verstanden. In „Mitmacher. Ein Komplex“ zeigt Dürrenmatt seine Gedankenwelt (die vom Gedanken zur dramatischen Konzeption führt) auf. In Zweifel über ein durchgefallenes Stück (Der Mitmacher) beschreibt er im „Mitmacher-Komplex“ Zustände der Welt in offenbaren Abhängigkeiten (Hierarchien, die zufällige Entwicklung der Gattung Mensch; der Niedergang des Christentums zum Dogma und der des Marxismus zur Doktrin). Eine Welt, in der eine wahnsinnige Überbewaffnung, scheinbar von Vernunft gesteuert, das Überleben garantieren soll, begibt sich so in die Hand des Zufalls: des Menschen, den die Vernunft, die ihm als Gegengewicht zur Natur gegeben wurde, nicht mehr beherrscht. Dies führt so zur totalen Unterdrückung jedes Einzelnen, um überleben zu können.
Heute machen sich Kritiker lustig über eine Theaterfigur, die wie Bill (in der Mitmacher) jedes Jahr für 10 Mio. den jeweils amtierenden Staatspräsidenten ermorden lassen will. Doch scheint heute, in der Verstrickung finanzieller, machtpolitischer und ideologischer Verhältnisse Realität ist, ein Verweis auf die Zukunft, so gegeben zu sein.
Figuren im Mitmacher manifestieren sich in den Monologen, Dialoge aber erstarren zu Formeln, dialogische Beziehungen zwischen den Figuren entstehen nicht. Das dabei Paradoxon dabei ist, dass alle (am Verbrechen) mitmachen, ohne eine individuelle, menschliche Beziehung zueinander zu haben: sie machen mit, ohne miteinander zu sein. Sie sind nur mehr Vereinzelte. Im „Mitmacher“ werden „Endtypen“ dargestellt: Ein Raum für die Entwicklung aus der Verstrickung heraus zu schaffen misslingt. Sie scheitern (sind raumlos). Dies zeigt das Schicksal des Menschen vor dem Nihilismus. Das Stück ist (ebenso wie sein 1. Stück „Komödie“) eine abgrundtiefe Klage über den Zustand der Welt, über ihre Raumlosigkeit.
Dürrenmatt meint dazu: Literatur darf keinen Trost geben. Sie darf nur beunruhigen. Stücke geben keinen Trost, sondern sind eine Riesenklage. Also: Meine Produktion (mein aktives Handeln, mein Formulieren der Trostlosigkeit) ist mein Trost.
Dürrenmatt ist weder Moralist noch Zyniker. Er verweigert die positive Globalperspektive. Er stellt diese (negative) Welt in den verschiedensten Erscheinungsweisen als Spielmöglichkeiten dort dar. Doch diese Darstellung erweist jedem, , dem sie konfrontiert wird, als Aufruf: zum Handeln (als Einzelner). Dürrenmatt sucht für sich einen Glauben an den Weg aus dem Labyrinth.
Der „Mitmacher“ ist eine Komödie, weil er die Welt im Zustand ihrer schlimmstmöglichen Wendung (so Dürrenmatt) zeigt. Der Mensch als Mensch erlöscht. Er ist nur frei in den Monologen und diese Freiheit ist ihre Gefangenschaft in sich selbst. Letzte Erkenntnis ist: Dass Leben ohne Raum in nichts endet.
Elsbeth Pulver: Literaturtheorie und Politik. Zur Dramaturgie Friedrich Dürrenmatts
I. Bis heute scheint man Dürrenmatt als Theoretiker literaturtheoretischer Schriften (v.a. seine „Theaterschriften und Reden“, 1966 und „Dramaturgisches und Kritisches“, 1972) kaum ernst zu nehmen. Über Dürrenmatts Dramaturgie wird vielfach in bezug seiner selbst definierten Begriffe (v.a. der des Grotesken) diskutiert bzw. aus seiner Erzählung der Begriff einer Dramaturgie der Panne sowie der Provokation oder des Einfalls abgeleitet.
Dürrenmatt geht in seiner Dramentheorie von seinen eigenen Erfahrungen und Werken aus. Diese „nachträgliche Betrachtung“ wird oft als ein Negativum gesehen. So fordert z.B. Manfred Durzak, dass es eine objektive Dramaturgie geben müsste. Seine Kritiker sehen in seinen theoretischen Schriften oft Gedankensprünge und Widersprüche. Sie fordern das Vieldeutige auf das Eindeutige zu reduzieren und das Paradoxe zu verleugnen (Paradoxe ist bei Dürrenmatt aber Grundelement: „Im Paradoxen erscheint die Wirklichkeit.“ Dürrenmatt in den Physikern).
Dürrenmatt selbst sieht sich v.a. zu Beginn als ein schaffender Künstler und kein Theoretiker. Seine frühen literaturtheoretischen Ansätze sind oft als Antwort oder Verteidigung entstanden. Dürrenmatt hegt Skepsis gegen die Literatur über Literatur und attackiert selbst die Literaturwissenschaft und Kritik.
Dass die ungestaltete Gegenwart von Gestalten und Geformten umstellt ist, das heißt von einer geschichtlichen Vergangenheit, beschäftigt Dürrenmatt schon früh. So wird die Stoffwahl des Dramatikers durch die Geschichtswissenschaft eingeengt (Dürrenmatt in Theaterprobleme: z.B. ist die Geschichte Berns Gegenstand wissenschaftlicher Gestalt und so kann daraus kein historisches Drama konzipiert werden). Der Autor muss sich sowohl gegen die Geschichtswissenschaft, als auch gegen die Literaturwissenschaft abgrenzen, u.a. auch wegen dem geistigen Klima seiner Zeit: die Geisteswissenschaft hatte (v.a. in der Schweiz) in der Nachkriegszeit eine große Bedeutung (u.a. als Garant für die Beständigkeit geistiger Werte). Der Künstler braucht die Wissenschaft nicht, so Dürrenmatt: „Die Wissenschaft leitet ihre Gesetze von etwas Vorhandenem ab, für den Künstler ist dies wertlos, auch wenn sie stimmen. Er kann kein Gesetz übernehmen, das er nicht gefunden hat.“(in „Theaterprobleme“). Literatur lasse sich zwar (im geistigen Klima der Zeit Dürrenmatts) studieren, aber nicht mehr machen (so besteht ein Künstler am besten, indem er „Kriminalromane schreibt, Kunst da tut, wo sie niemand vermutet“. Dürrenmatt wehrt das Hochstilisierte und Feierliche in der Literatur ab. Seine Texte (gerade im Kriminalroman) sollen verständlich und konkret sein, um so den Kontext zu verstehen. Dürrenmatts Literaturtheorie will der Literaturtheorie ausweichen und soll nur leicht wiegen.
Das Abweichen vom Üblichen und Erwarteten ist ein wichtiges Merkmal auch dieser Texte, in ihnen steckt der Wille zur Provokation (so zwingt er die Festgesellschaft bei seiner Rede zum Schillerpreis (1959) sich mit Brecht und dessen politischer Haltung auseinander zusetzen oder stellt an einem Autorenabend nicht die Autoren dem Publikum, sondern dieses den Autoren vor).
II. Um Dürrenmatts Literaturbegriff herauszuarbeiten, ist es leichter zu zeigen, was Dürrenmatt zufolge Literatur (genauer: Theater) nicht ist oder nicht leisten kann. So findet sich bei Dürrenmatt die Abwehr gegen die Forderung, Literatur habe irgendeine Form des Trostes zu geben; der Schriftsteller sei dazu da, Moral zu predigen, Welträtsel zu lösen oder mit seinem Werk das Abendland zu retten (® Abgrenzung gegen eine v.a. in der Nachkriegszeit schöngeistig-erbauliche Auffassung der Literatur. Dürrenmatt wehrt aber auch eine progressiv-revolutionäre Literaturtheorie (Literatur als ein Gebrauchsgegenstand für Revolutionäre, Lit. könne die Welt direkt verändern, das Publikum belehren und bestimmen und die Revolution entfachen) ab.
Dürrenmatt will nicht Welträtsel lösen, sondern Geschichten erzählen, nicht Trost geben, sondern beunruhigen. Die Wirklichkeit sei, nach Dürrenmatt, zu gewaltig, anstößig, grausam und v.a. zu undurchsichtig, als dass sie in einem Theaterstück wiederzugeben sei. Ziel des Theaters ist mit der Welt zu spielen. Die Funktion des Theaters in einer Welt des wissenschaftlichen Denkens wird bei Dürrenmatt auf den ergänzenden Gegensatz gelegt (bei Brecht z.B. v.a. auf die Analogien). Literatur muss kritisch sein (im Gegensatz zu den Naturwissenschaften) und sich abheben gegen das Vorgehen des Naturwissenschaftlers (dessen Denken geht von Problemen aus, diese werden erfasst und einer Lösung zugeführt ® solch eine Literatur wäre eine „Dramaturgie von der Aussage her“, wie z.B. bei Brecht). Dürrenmatt geht nicht von Problemen, sondern von den Konflikten des Menschen aus: Der Mensch denkt in Begriffen und stellt aus den Begriffen seine Probleme auf, er selbst lebt aber in einer Welt der Konflikte, in der sich die Einsichtteen, Motive und Leidenschaften widerstreiten (mit sich selbst/der Familie/dem Staat). So bracht der Mensch beide Darstellungsweisen, die denkerische als Vorschlag zur Lösung ihrer Konflikte und die künstlerische als Warnung, in ihren Lösungsvorschlägen nicht unmenschlich zu werden.
Durch die Ablehnung von Forderungen und den Aussagen, was Literatur nicht ist, zeigt sich Dürrenmatts Ablehnung von allem, was die Freiheit der Literatur beschränken könnte („Es gibt keine Regel, es gibt kein Gesetz“). Dürrenmatt zeigt den Stellenwert der Literatur, in dem, was sie nicht leisten kann und zieht so ihre Grenzen streng und bemisst ihren Raum. Diese Abgrenzung ist zugleich die Einsicht in ihre Möglichkeiten.
Wirkung der Literatur: Nach Dürrenmatt: „Alles verändert die Welt“. Der Schriftsteller hat weder besondere Berufung noch Möglichkeiten die Welt zu verändern, er kann durch sein Schreiben v.a. Marksteine setzen (wie andere durch ihr eigenes Handeln): hinweisen auf andere Möglichkeiten, die in der Realität noch nicht enthalten sind. Dies kann aber nicht im Sinne eines bewussten gezielten Planens geschehen. „Dadurch das Theater Theater ist, das Unverbindlichste, wird es etwas Verbindliches, ein Maßstab, denn es vermag nur an das Gewissen der Menschheit zu appellieren, wenn es dies aus seiner Freiheit tut: d.h. unwillkürlich. In dieser unwillkürlichen Moral des Theaters liegt seine Moral (nicht in der erstrebten)“. In der scheinbaren Selbstbezogenheit des Theaters in Moral zeigt sich das Paradoxe als Grundelement. Freiheit der Kunst ist Voraussetzung ihrer unplanbaren, nicht erzwingbaren Wirkung. So lässt sich das Publikum weder beherrschen noch direkt belehren. Es kann aber überlistet werden, um sich Dinge anzuhören, die es sich sonst nicht so leicht anhören würde. Das Theater ist nur Moral, als es vom Zuschauer zu einer gemacht wird. Der Freiheit des Theaters steht so auch die Freiheit des Zuschauers entgegen.
II. Dürrenmatt denkt bewusst dramaturgisch (nicht nur über das Drama, sondern auch v.a. über seine Gegenstände, also über die Menschen und die Welt).
Mit dem Begriff des dramaturgischen Denkens knüpft Dürrenmatt an die in der Auseinandersetzung mit den Naturwissenschaften gewonnene Grundposition an: die Absicht, nicht von den Problemen, sondern von den Konflikten des Menschen auszugehen. Dies übertrag er auf seine theoretischen Äußerungen: „Ich denke über die Welt nach, indem ich ihre Möglichkeiten auf der Bühne und mit der Bühne durchspiele, und mich ziehen demgemäss die Paradoxien und Konflikte unserer Welt mehr an als die noch möglichen Wege, sie zu retten.“
Dürrenmatt trägt so ein in der Arbeit mit dem Theater gewonnenes Denken in die Politik hinein (nicht z.B. mit dem Theater Politik machen). Das dramaturgische Denken ist so „eine Anleitung, spielerisch über die Wirklichkeit kritisch nachzudenken: Unideologisch und mit Phantasie. Das dramaturgische Denken könnte die Politik hindern, sich ihren Maßstab, ihr Ziel und ihre Gegner absolut zu setzen.“
In der „Dramaturgie der Schweiz“ untersucht Dürrenmatt die unmittelbare Vergangenheit der Schweiz auf die Möglichkeit hin, auf der Bühne dargestellt zu werden (d.h. bietet sie genügend Konfliktstoff, um den Dramatiker zu interessieren). Dürrenmatt stellt (anders als andere Schriftsteller), dass es in der Schweiz keine unbewältigte Vergangenheit gibt: Die Konflikte sind nicht stark genug und haben auch nicht genug unmittelbaren Gegenwartsbezug, als dass sie mehr als lokal begrenztes Drama ergeben könnten (so sieht er auch, im Gegensatz zu Frisch, dass dessen Drama „Andorra“ nicht ein Drama der Schweiz im 2. Weltkrieg sein könne. Denn: „Indem Frisch eintreten lässt, was nicht eintrat und was so, wie es Frisch eintreten lässt, auch nirgendwo gerade so eintrat, ist „Andorra“ wesentlich nicht die Schweiz, obgleich Frisch die Schweiz meint.“
Die Schweiz, so Dürrenmatt, „hatte politisch v.a. nur eine Aufgabe zu lösen: Den Krieg vermittels ihrer Politik zu vermeiden, und sie vermied ihn vermittels ihrer Politik“. (® Aussage hätte man von Dürrenmatt nicht erwartet: z.B. hätten Konflikte gezeigt werden, wie z.B. die Anfälligkeit gegenüber dem Nationalsozialismus, dem Antisemitismus und der Flüchtlingsfrage). Dürrenmatt dazu: „Doch ist davongekommen zu sein eine Entschuldigung, die politisch genügt, in einer unanständigen Zeit ist nur relativ eine anständige Politik möglich“.
Dramaturgisches Denken führt so zu einer realistischen (realpolitischen) Einschätzung. Dürrenmatt (der Politik einmal die Kunst der Unmöglichen nannte) beweist einen Blick für das Mögliche. Indem aber Dürrenmatt die damalige schweizer Politik als die allein mögliche erklärt, zerstört er gleichzeitig ihre Idealisierung und Heroisierung (Geschichte der Schweiz ist daher nicht eine Heldengeschichte).
Dürrenmatt zeigt (in seiner „Dramaturgie der Schweiz“) wie der Weg aus einer bewältigten Vergangenheit in eine unbewältigte Gegenwart führt: aus der Abwehr gegen den Nationalsozialismus kommt (durch vorschnelle Gleichsetzung beider Systeme) ein unreflektierter Antikommunismus der Nachkriegsjahre zum Vorschein. Womit sich Dürrenmatt auch kritisch auseinandersetzt, da der Kalte Krieg in den 50-er Jahren in der Schweiz mit besonderer Vehemenz geführt wurde: „Da wir keine Kriegshelden waren, wollen wir nun wenigstens die Helden des Kalten Kriegs sein“ (aus der heroisierenden Tradition und dem Verschontbleiben im Krieg und der folgenden Unsicherheit zeigt man so politisch einen Antikommunismus und kulturell ein starkes Traditionsbewusstsein).
Dürrenmatts Auseinandersetzung mit dem Marxismus muss so vor dem Hintergrund seines hartnäckigen Widerstands gegen den Antikommunismus seiner näheren Umgebung gesehen werden. Die Welt als Labyrinth, die es hinzunehmen gilt, vor der man aber nicht kapitulieren dürfte, macht es unmöglich, eine politische Doktrin zu akzeptieren oder Geschichte nur als Abfolge von Klassenkämpfen zu erklären. Wenn Dürrenmatt davon spricht, dass es eine Art Pflicht gebe, Marxist zu sein, sieht er dies weniger aus der Theorie als aus seiner Sicht der Geschichte. „Die Welt hat sich nicht so sehr durch polit. Revolutionen verändert, sondern durch die Explosion der Menschheit ins Milliardenhafte, durch die Aufrichtung der Maschinenwelt und die Verwandlung der Vaterländer in Staaten, der Völker in Massen...“
Der Mensch steht daher Bewegungen und Mächten gegenüber, sie sich seiner Beherrschung entziehen (= Geschichtsauffassung Dürrenmatts). Dürrenmatt hebt als ein besonderer Verdienst des Marxismus hervor, dass er die Methode der Naturwissenschaften auf den Menschen anwandte und begann, die Ideologie des christlich getarnten Staates zu durchschauen. D. h. marxistisches Denken ist für Dürrenmatt primär kritisches Denken, eine entlarvende Analyse des Bestehenden. ® daher Dürrenmatts Forderung: den Kommunismus als Herausforderung zu akzeptieren. Dürrenmatt kritisiert den Marxismus dort, wo dieser im Dogmatismus erstarrt: „Vom Marxismus, der sich weiterdenkt und selbstkritisch geworden ist, her gesehen, gibt es daher heute ebenso wenig einen marxistischen Staat und eine marxistische Partei wie es einen christlichen Staat und christliche Parteien gibt. Es gibt nur Ansätze zu sozialistischen Lösungen.“
IV. Dürrenmatts Auseinandersetzung mit dem Marxismus und Kapitalismus sind wichtige Themen des „Monstervortrags über Gerechtigkeit und Recht“, dass auch als Paradebeispiel seines dramaturgischen Denkens zu sehen ist (Ihr Untertitel: „Eine kleine Dramaturgie der Politik“).
Dürrenmatt versucht die Frage nach Gerechtigkeit (sowie die nach der menschlichen Freiheit) aus Sicht der kapitalistischen wie der kommunistischen Gesellschaftsordnung zu betrachten. Er stellt beide in je einem Modell dar: - das kapitalistische als Wolfsspiel: Der Mensch ist ein Wolf. Im gesellschaftlichen Zusammenleben kommt es so darauf an, den Kampf aller gegen alle zu verhindern und dafür zu sorgen (durch Spielregeln und einen Spielleiter: der Staat), so dass die einzelnen Wölfe ihre Beute in Sicherheit bringen können. – das sozialistische (kommunistische) als Gute-Hirte-Spiel: Menschen sind Lämmer, die einen guten Hirten brauchen, der sie gegen die Wölfe (der kapitalistischen Gesellschaft) bewacht. In den Lämmern stecken aber auch Wölfe und so braucht man Vorkehrungen, die verhindern, dass wieder das Wolfsspiel entsteht (also Spielregeln und einen Spielleiter). Beide Modelle sind sich also in ihrem Endzustand zum Verwechseln ähnlich, indem ein mächtiger Staat die Freiheit des Einzelnen empfindlich beschneidet.
Dürrenmatt geht von einer Fabel aus „1001 Nacht“ aus: Mohammed versteckt sich in einer Oase und sieht einen Raubmord. Er beklagt die Ungerechtigkeit, wird dann aber von Allah belehrt, dass die scheinbare Ungerechtigkeit nur die göttliche Gerechtigkeit verstecke. (Dürrenmatt in den „Physikern“: „Ich gehe nicht von einer These, sondern von einer Geschichte aus“). Dürrenmatt geht also fabulierend vor. Er tut das Seine, die Geschlossenheit der Parabel und den einfachen Gleichsetzungsmechanismus werden zerstört. Er analysiert die Geschichte von verschiedenen Standpunkten, variiert sie so und versetzt sie in die Gegenwart (u.a. zieht er den Personen Kostüme des Kapitalismus und Kommunismus über, sieht den Menschen als Individuum, usw.). Sie wird zu einer abstrakten Geschichte. Er legt also kein greifbares Ergebnis dar.
Dürrenmatt als politischer Denker scheint ein Kuriosum zu sein, er wird in diesem gebiet wenig beachtet (anders als Max Frisch, der sowohl als Repräsentant der neueren schweizerischen Literatur, auch in Bezug auf politische Fragen (Max Frisch: „Dienstbüchlein“ = Vorbild für richtiges staatstreues Verhalten) gilt. Dürrenmatts politische Gedanken scheinen zu komplex. Er setzt sich ab von normierten politischen Ideologien und fordert in rebellischer, spielerischer Form die Freiheit des Geistes.
Hajo Kurzenberger: Theater der Realität als Realität des Theaters. Zu Friedrich Dürrenmatts Dramenkonzeption
Der unbequeme Dürrenmatt, der sich gegenüber seinem Publikum stets widerborstig gab und es oft (auch mit Erfolg) provozierte, hat die Wirkungslosigkeit des Klassikers eingeholt (aus den Spielplänen der Theater in die Lehrpläne der Schulen), was keineswegs mit einer Abwertung einhergeht. Warum gerade Theatermacher, die in den vergangenen Jahren Analyse und Kritik gesellschaftlicher Wirklichkeit und sozialer Zusammenhänge als Aufgabenfeld ihrer Kulturinstitute bestimmten, einen Dramatiker in die Ecke stellen, der gerade dort sein dramatisches Gütezeichen erworben hat, lässt sich fragen. Eine Antwort zeigen u.a. Dürrenmatts Stücke und mit Blick auf eine Theoriediskussion, die die Möglichkeiten des modernen Dramas, gesellschaftliche Wirklichkeit darzustellen, reflektiert auch Dürrenmatts eigene dramaturgischen Überlegungen, seine Komödientheorie, an.
Dürrenmatts Ausgangsfrage ist, ob sich die heutige Welt etwa mit der Dramatik Schillers gestalten ließe und ob die Welt überhaupt durch das Theater wiedergegeben werden könne. Problem dabei ist die Umsetzung der entfremdeten Zuständlichkeit in zwischenmenschliche Aktualität, das Umkehren und Aufheben also des historischen Prozesses im Ästhetischen. Dürrenmatt benennt das Problem so: „In der Dramatik muss alles ins Unmittelbare, ins Sichtbare, ins Sinnliche gewandt, verwandt werden, mit dem Zusatz,..., dass sich nicht alles ins Unmittelbare, ins Sinnliche übersetzen lässt.“ Gründe dafür sind die Bedingungen unserer modernen Zivilisation, ihre Technisierung und der Massengesellschaft: „Unsere Zeit ist zur Abstraktion genötigt.[...] Auf der Bühne wirkt nur, was der Zuschauer unmittelbar begreift. Jedoch kann der Ablauf deines raffinierten Geschäfts gar nicht unmittelbar durchschaut werden. Im Zeitalter der Abstraktion, in dem alles unüberschaubar, anonym, bürokratisch ist, wird der Mensch zum Spielball der Mächte und die moderne Welt zum Monstrum, das nur immer teilweise darstellbar ist. Ähnlich sehen es auch die Theoretiker des modernen Dramas Lukács (1909) z.B.: „das Abstakte des dramatischen Konflikts: der Mensch ist nur Treffpunkt großer Kräfte, das Drama ist mehrdimensional geworden, der Hintergrund drängt sich vor den konkreten psychischen Konflikt im Vordergrund.“ Dürrenmatts Entsprechung: „Das Schicksal hat die Bühne verlassen, um hinter Kulissen zu lauern,..., im Vordergrund wird alles zum Unfall.“ Im dramatischen Spiel, so Dürrenmatt, sei nie vom Menschen zu abstrahieren, der sich in der Aktion und v.a. im Dialog darstellt, der Mensch, der redet, der durch das Spiel zum Reden gebracht wird. Hier zeigt sich der Widerspruch: Einerseits die Erfahrung, dass sich die bestimmenden Kräfte des menschlichen Lebens aus der Sphäre des Zwischen in die der entfremdeten Objektivität verlagert haben, dass die Welt des menschl. Handelns nicht mehr direkte Beziehungen der Menschen zueinander ist, weil die Vermittlungsrolle (Dinge, Institutionen) nicht auf ein Minimum beschränkt werden kann (anders in Antike oder bei Shakespeare). Andererseits der Versuch der Form, diese Wirklichkeit, deren Wesen kaum oder nur als falscher Schein erfahrbar sind, mit Hilfe von Schauspielern in einem Spiel anschaulich und durchschaubar zu vergegenwärtigen. Dürrenmatt meint dazu: „Die Kunst dringt, wenn dann nur noch bis zu den Opfern vor, die Mächtigen erreicht sie nicht mehr.“ In seinen „Theaterproblemen“ zeigt Dürrenmatt eine zeitgenössische Dramaturgie auf, die mittlerweile zum Allgemeingut moderner Dramentheorie wurde. Die bekannteste Formel davon lautet: „Uns kommt nur noch die Komödie bei“, die Komödie, die eine anonyme und unüberschaubar gewordene Welt ohne echte Repräsentanten kraft der Distanz, die ihr eignet, ins dramatische Bild setzt, mit Hilfe grotesker Mittel freilich als Gestalt einer Ungestalt.
Dazu bedarf es des Einfalls, der erfundenen Handlungen, die wie Geschosse in unsere Welt einfallen und die Oberflächeeiner sich immer mehr in Abstraktion entziehenden Realität durchschlagen, die Gegenwart ins Komische, aber dadurch ins Sichtbare verwandeln. Es geht nicht um ein Abbilden der Welt, sondern um ein Aufstellen von Eigenwelten. Der Realität muss so im Theater eine Überrealität (mögliche Welten, fingierte Modelle) gegenüberstehen. Theater kann nichts anderes sein als Theater, es gilt aber immer wieder neu zu erdenken, für die Tendenzen der Wirklichkeit, so Dürrenmatt. Jedoch meint er weiter, dass Menschen auf die Bühne bringen zu wollen wie sie sind, heute unmöglicher denn je ist. Theater soll zeigen was die Realität zwar enthält, aber verschleiert. Es kann Wirklichkeit aus Unwirklichem sichtbar machen. Dieser Ausdruck findet sich in der schlimmst-möglichen Wendung, in dem Zufall. Die Erscheinungswirklichkeit tritt zurück, die Parabel vermöchte vielmehr nach außen zu zerren, was sich unserer Wahrnehmung, Erkenntnis und der Darstellung entzieht: den wahren Zustand der Welt. Die Frage stellt sich dabei, inwiefern sich im Sonderfall (dem Theaterstück) die anderen Fälle (der Wirklichkeit) spiegeln. Der Sonderfall scheint oft eher dem repräsentativen Typus, der im Besonderen Allgemeines verkörpert, anzunähern. Der Stoff muss in ein Symbol der Wirklichkeit verwandelt werden oder dramaturgisch besser in das Exemplarische, das Gleichnishafte. Der Sonderfall kann aber euch eine Differenzqualität zur alltäglichen Welt begriffen werden, als Wirkung, die die normale automatisierte Realitätserfahrung verfremdet. Theater ist so Protest gegen die alle Zweifel an ihrem perfekten Funktionieren unterdrückende, zweckrationalisierte Welt.
Die Gefahr , dass die Welt des Theaters und die Wirklichkeit nicht mehr übereinstimmen, birgt die Gefahr, dass die neue Freiheit, die erfundene Handlung ins Leere stoßen könnte. Die Mittel des Theaters dürfen nicht nur sich selbst meinen. Dürrenmatt versucht dem zu begegnen, indem er Theater gleich Welt setzt, um die Scheinhaftigkeit der Wirklichkeit aufzuzeigen (z.B. sind viele Figuren Dürrenmatts Schauspieler, die sich hinter Masken verstecken [Anmerk. Patrick: siehe „die Physiker“, „Romulus“ oder auch „Ein Engel...“]) Jedoch kann dies auch bewirken, dass anstatt Wirklichkeit aufzureißen, sich der falsche Schein der Realität verdoppelt. Die im Theater aufgestellte Gegenwelt isoliert sich so und schneidet den Rückverweis auf die Realität außerhalb der Bühne gerade ab. Die Fiktion wird dann mächtiger als manche Wirklichkeit, wenn sie den Zuschauer einer Überrumpelung (u.a. in der überraschenden Wendung) und Suggestion aussetzt, die dem Ziel des Autors, Wirklichkeit mit den Fiktionen der Kunst in einen Gegenstand unseres Nachdenkens zu verwandeln gerade nicht dienen.
So ist es aber möglich, dass die Einseitigkeit des sogenannten Zu-Ende-Denkens die anderen (sozialen, politischen, usw.) Bedingungen in den Hintergrund drängt und so sich der Zufall spektakulär in den Vordergrund schiebt. Hier scheinen Zweifel angebracht, ob die Unwahrscheinlichkeit eines Schlusses virtuelle Alternativlösungen nahe legt. Jedoch zeigt sich, dass so am besten die Welt als Ganzes dargestellt werden kann. Dass sich dabei die Grenze zwischen fiktiver Theaterwelt und jener, auf die sie aus ist, verwischt oder diese sogar identisch werden, ist eine Gefahr die in Kauf genommen wird (auch von Dürrenmatt). Die Kategorie der schlimmstmöglichen Wendung entspricht scheinbar der offensichtlichen Einschätzung der Wirklichkeit, die dazu neigt, den schlimmstmöglichen Weg einzuschlagen. Als Wahl, die der Schriftsteller trifft, ist sie so dessen Ansicht der Welt, in der die Unwahrscheinlichkeit gerade in die Wirklichkeit eintritt (® zeigt so eine Metaphysik und eine alte tragische Notwendigkeit auf).
Die Einsicht, der Held sei durchs Kollektiv ersetzt ist bei Dürrenmatt kaum gegeben. Die Handelnden sind meist autonom und frei. Es sind Helden, die eine Intention haben und dazu oft der List und Tarnung bedürfen, die in der Konfrontation mit anderen und der Welt sich zumindest im Scheitern sittlich bewähren, wenn sie am Ende auch über Zufälle stolpern [Anmerk. Patrick: z.B. Ill bei der “Alten Dame”; Möbius bei den „Physikern“]. Durch das schlimmstmögliche Schicksal werden sie zwar zu Opfern, machen dabei aber keine schlechte Figur (selbst ihr Tod hat eine gewisse Monumentalität inne). Ihre Haltung, so nutzlos und widersinnig sie auch sei, bestimmt das Stück („hält das Stück zwei oder drei Stunden am Laufen“, so Kurzenberger).
Nach Kurzenberger widersprechen sich die von den meisten Stücken erspielten „Ergebnisse“, die häufig die unheilvolle Verfassung unserer Welt, die Weltunordnung bescheinigen, und die Rolle, die dem Einzelnen in einer solchen Welt zukommt. Von der angeblichen Chaotik, Monstrosität oder Absurdität der Welt ist am Einzelnen nichts zu sehen. Der Einzelne hat in der Welt zu bestehen (so Dürrenmatt). Er ist eine Figur, für deren Gestaltung die Priorität ethischer Kategorien gilt. Diese moralischen Kategorien haben aber keine Verbindlichkeit mehr [für die Gesellschaft], die Entscheidung und Leitung wird in einen privaten Bereich gedrängt, die verlorene Weltordnung nur in der eigenen Brust wiederherstellt, sie ist religiöse Tat und moralische Solonummer, die nichts bewirkt (außer vielleicht die Unmoral besser zu zeigen). Anstelle der Götter und der Ordnung, steht am Ende der Autor. Aus seiner Hand schlägt der Zufall in die von ihm erdachte Theaterwelt ein.
- Die nur moralisch-metaphysische Weltbetrachtung, die Dürrenmatt an Theatermodellen von rationaler Klarheit durchexerziert, wird leicht zum Spektakel, auch weil sie sich in theatralischen und moralischen Abstraktionen bewegt. Es rächt sich der Mangel an Empirie.
Dies zeigt sich auch am „Besuch der alten Dame“: Die Personen sind nicht erst am Ende Opfer, sondern von Anfang an. So meint Kurzenberger, dass sich in/an ihnen Beschädigung unmittelbar sichtbar wird (z.B. in der Allegorie der künstlichen Glieder Claires). Auch stehen sie in einer Dialektik: sie sind Täter und Opfer zugleich (und zwar alle Claire, Ill, die Güllener, usw.). Abstrakte Vermittlungsinstanz , mit ihren Folgen, ist das Geld, das die sittliche Unordnung vollkommen macht.. Entscheidend ist dabei: Der Einfall schließt die Geschichte nicht ab, sondern setzt sie in Gang. Der Zuschauer nimmt teil am Vorgang. Hier zeigt sich, was Dürrenmatt selbst sagt: Er beschreibe in seinen Dramen Menschen. Umgekehrt kann auch der Einfall, die schlimmstmögliche Wendung (das dramaturgische Prinzip) den Schlusspunkt setzen (siehe „Die Physiker“). Es wird dabei nichts anschaubar gemacht, nur das Resultat steht fest: die Welt ist in den Händen einer verrückten Irrenärztin.
Haben die Dramen aber nicht versucht die Absurdität des Weltzustandes einzuholen, um so dem Weltzustand einigermaßen gewachsen zu sein? Dürrenmatt würde dies wohl bejahen („Die Wirklichkeit ist die Unwahrscheinlichkeit, die eintritt.“). Heutige Vergleiche hierzu wären z.B. der Vietnam- und Irakkrieg, das Fernsehen, Folterungen, Alltagsbanalitäten, usw. Dürrenmatts letztes Stück, „Der Mitmacher“, wendet sich dagegen gegen die Empirie. Die dargestellte Einseitigkeit ist nur noch auf dem Theater möglich und übertrifft die Wirklichkeit.
Ist die Wirklichkeit aber noch zu übertreffen? Watergate, CIA, die Realität bietet an ihrer spektakulären Oberfläche eine Fülle von Geschichten, die Dürrenmatts Dramaturgie zu folgen scheinen. Wo aber die Wirklichkeit die Erfindungsdramaturgie der schlimmstmöglichen Wendung übertrifft, widerlegt sie diese auch: Es kann nichts so schlimm erfunden werden, als dass es nicht von der Realität übertroffen würde. Dürrenmatt dazu: „das Opfer allein ist nichts Fingiertes. Doch die Opfer schweigen. Nur die Henker reden.“.
Die bestimmenden Dramatiker „nach“ Dürrenmatt haben verneint, dass die Geschichte ein Stoff für Geschichten ist. Dürrenmatts Programm, die Dramaturgie der vorhandenen Stoffe werde durch die Dramaturgie der erfundenen Stoffe abgelöst, haben sie nun umgekehrt: die vorhandenen Stoffe sollten zur Diskussion stehen. Das Theater ist nunmehr Berichterstattung, politisches Forum und Tribunal (und nicht Gegenstand individueller Konflikte). Das dokumentarische Theater tritt ein für die Alternative, dass die Wirklichkeit, so undurchschaubar sie sich auch macht, in jeder Einzelheit erklärt werden kann. Dürrenmatt sah dagegen, dass sich so die Fiktionen unter denen man Wirklichkeit darstellt verfangen (Es ist nicht gut „die geschichtlichen Fiktionen, die ein Autor macht, als Wahrheit zu installieren, statt sich auf die Wahrheit in der Fiktion zu verlassen.“).® dagegen versuchen die dokumentarischen Stücke, die Substanz der Sache, den Kern und Sinn der historischen Begebenheit herauszuarbeiten. Solche Dramatik schützt zwar vor der Reproduktion eines falschen Scheins der Realität, jedoch soll auf die Methode der Objektivität nicht zu sehr vertraut werden.
Andere Dramatiker halten zwar an der Perspektive auf das Gegebene fest, jedoch artikulierte sich das auf Erkenntnis der sozialen Struktur gerichtete Interesse im Misstrauen gegen alle Theaterkonstruktionen. Die Sprache wurde dabei das eigentliche Thema. Mit den Sätzen der Wirklichkeit sollte die gesellschaftliche Realität fixiert werden und eine neue Objektivität in die Literatur eingehen. Diese stellte sich gegen die fiktive Geschichte, die eine Welt mit Figuren, Handlung und Moral entwirft. Die Erfindung eines Geschehens hindere so, der Realität auf die Schliche zu kommen. Die Wirklichkeit sollte mit Wörtern und Sätzen gespielt werden.
Eine Sprache rückt ins Zentrum des Dramas, die die historischen Bedingungen und Kräfte nicht nur spiegelt sondern auch in ihren Verwachsungen reproduziert. Mit dem ersten Satz, der im Stück gesprochen wird, ist so die gesellschaftliche Wirklichkeit gegenwärtig und analysierbar, weil sich in der Sprache die historische Situation der Figuren mittelbar darstellt. Dürrenmatt hält dagegen: „Die Sprache ist nicht die Wirklichkeit, sondern stellt sie dar, ihr Inhalt sind Gedanken, man könne nicht an der Sprache an sich arbeiten, nur an dem, was Sprache macht, am Gedanken und an der Handlung.“ Kurzenberger sieht das Theater als Medium der Wahrnehmung, der Beobachtung, der Analyse der kleinsten sozialen Einheit, dem, was sich im zwischenmenschlichen Bereich konstituiert. Es ist Befreiung von jener schlechten Wirklichkeit, die alles verdinglicht, die Phantasie normiert. Dürrenmatts Zielsetzung eine Welt, in der einem das Lachen vergehe, zu verwandeln in eine Bühnenwelt über die man lacht, scheint nicht die schlechteste. Dürrenmatts Bemühen, unsere Zeit in auf der Bühne spielbare Komödien zu verwandeln, war, was die Spielbarkeit angeht, sicherlich erfolgreich. Ob es aber unsere Zeit ist und ob sie in der Verwandlung sichtbar wird, kann aber unsere Zeit nicht entscheiden.
Hugo Dittberner: Dürrenmatt, der Geschichtenerzähler. Ein 50-Dollar-Mißverständnis zum „Besuch der alten Dame“
I. „Der Besuch der alten Dame“ wurde von Bernhard Wicki unter dem Titel „The Visit“ (Der Besuch) verfilmt. Ingrid Bergmann und Anthony Quinn spielen darin die Hauptrollen. Wichtigster Unterschied darin ist aber: Die reiche Frau (Ingrid Bergmann) begnügt sich mit einer Demonstration und lässt das Urteil des Tribunals nicht vollstrecken: die Liebe ist größer als ihre Rache.
II. Kritik am Buch (Stück):
- Der Film zeigt eine Geradlinigkeit aus, während dies Dittberner in der Lektüre
des Stückes nicht findet. Im Film wurde eine überschaubare Geschichte dargestellt (Kern ist dabei v.a. die Liebesgeschichte), das Stück dagegen erscheint in einem komplizierten Neben- und Ineinander. Der Schluss des Stückes ist nicht so versöhnlich für alle, sondern bösartiger: Ill wird in einer öffentlichen Sitzung (doppelt öffentlich: Bürger und Presse/Rundfunk) zum Tode verurteilt und auch hingerichtet, wobei dies als Tod vor Glück (bei der auswärtigen Presse) erscheint. Die Stadt freut sich ihres schuldhaft erworbenen Wohlstandes, der in einer weiteren Öffentlichkeit als reine Freude erscheint.
Zwei konkurrierende Prinzipien sind dafür verantwortlich:
- das Bestreben, ‚ Welt zu entfalten, und zwar mehr als im Verlaufe der Geschichte erzählt wird
- das Bestreben, Theatertradition zu bearbeiten.
- Für Dittberner scheint die N otwendigkeit beider Prinzipien nicht gegeben (nicht erwiesen). Eher verdankt diesen das Stück einiges, was Dittberner als fragwürdig empfand: die Mechanik in der Sprechweise vieler Nebenfiguren (der erste/zweite/usw. Bürger, das Herunterleiern von Informationen (obwohl wichtig für Verständnis und sozialen, geschichtlichen Hintergrund des Stückes) und die mechanische Einebnung der Gatten und des Gefolges. Dittberner sieht dies alles als eine „eindeutige Stilisierung“, was ihn „irritiert“.
- Überflüssig sieht er auch die von Bürgern dargestellte Natur, sowie das „Hin
und Her der Simultanszene“(Balkon des Hotels mit Claire – Ills Laden, 2. Akt).
- Nach Dittberner hat der Schlusschor (sowie die ganze letzte Szene und die Anmerkung) ornamentalen [schmückenden] Charakter und wie auch schon die anderen Charakteristiken, die Funktion die Theatralität der Geschichte zu legitimieren (die Geschichte auf das Theater zu bringen).
- Dittberner kritisiert auch die Einordnung, Einglättung der Geschichte in eine stimmig entworfene Welt (das übermäßig in den Personen vorhandene Bewusstsein vom Sinn und Hintersinn des Geschehens, was ein verschämtes Zurückdrängen der Naivität und eine Übermotivierung aufzeigt. So z.B. der Pfarrer: Nicht das öffentliche Gericht, sondern das seines Gewissens, das vor dem Jenseits, solle Ill fürchten; der Lehrer: Er wisse wohl, dass jeder eine alte Dame habe, die irgendwann Rechenschaft fordert. ® Dittberner sieht diese Gedanken als Interpretationen an, die fast ein eigenes Stück fordern. Die Meinungen sind zugeordnet (Pfarrermeinung dem Pfarrer, Lehrermeinung dem Lehrer), d.h. beide Meinungen werden nicht ernst genommen. Sie haben als Motive eine größere Strahlkraft als ihnen hier vom Stellenwert her: ein Klischee zu sein, zugestanden wird).
- Dittberner sieht weiterhin im Fortschicken der Zeugen-Eunuchen ein Bruch in
der Konzeption des Stückes (Claire, die alles kaufen kann, ohne Furcht vor der öffentlichen Meinung – warum sollte sie vor einer weiteren Öffentlichkeit Angst haben? Ist diese Öffentlichkeit anders, also besser als die der Stadt?)
- Weiterhin kritisiert er die „Vielgerichtetheit des Stücks“. Claire (mit ihren
willen- und charakterlosen, kaufbaren Kreaturen wird selbst als egoistisches, unmenschlich-kaltes Racheprinzip dargestellt) kommt in ihre Heimatstadt um Ill (beachtenswert: Namen und Funktionen, z.B. Eunuchen als Zeugen, Ill = engl. krank) zu bestrafen, um eine mitschuldige, korrupte Stadt sich durch ihre tätige Mörderschuld an Ill selbst zu entlarven und demütigen zu lassen und um eine weitere Öffentlichkeit (vertreten durch Medien/Presse) in ihrer durch Scheininformationen gespeisten Unwissenheit bloßzustellen.
- Dittberner meint, man könnte das Stück als ein gesellschaftliches Modell (ein Weltmodell) verstehen, dass aus 4 Parteien zusammengesetzt ist:
- Claire und Anhang
- Ill
- Stadtöffentlichkeit (Bürger)
- weitere Öffentlichkeit
Drei davon sind eindimensional (flach) vorgestellt:
Claire, kapitalistisch, sucht nicht vor einer Instanz Gerechtigkeit, sondern macht sich selbst zur Instanz der Gerechtigkeit.
Die Bürger sind feige (die Aktionen von Claire, die die Bürger in die Armut stürzten werden ohne Protest/Gegenwehr/Reaktion hingenommen) und gierig (wollen reich werden).
Die weitere Öffentlichkeit ist neugierig auf den (verlogenen) Schein.
Nur Ill, der büßt, macht eine Entwicklung durch: Er verliert seine Angst und nimmt die Bestrafung einer Schuld, die ihm vorher eine Bagatelle schien, hin.
In der theatralischen Welt des Stücks ist also nur der moralisch Schuldige wandlungsfähig, sonst niemand. ® daher tragische Komödie? – Im übrigen strebt diese Welt der Friedhofsruhe zu: Damit wir das Glückliche glücklich genießen, heißt es von allen am Schluss, was rundum pessimistische Perspektiven der kapitalistischen Wohlstandsgesellschaft sind. Ill stirbt wie Cäsar (als einer unter Gleichen), wird aber erst im und durch den Tod ein Cäsar. Dann sind die Mörder unter sich (wobei Ill eigentlich auch der Mörder seines Kindes war ® zeigen eine beliebige Unversöhnlichkeit).
- Dittberner sieht auch in Dürrenmatts Anmerkungen (Verwandlung ohne Vorhang, Claire stellt weder Gerechtigkeit, noch Marshallplan, noch Apokalypse dar, sie ist das, was sie ist, die reichste Freu der Welt) regelrechte Widersprüche; man ist versucht zu streichen
III. Positive Kritik:
- Die spitzigen Bemerkungen, die das Menschlich-Allzumenschliche im gesellschaftlichen Zusammenleben ins Bewusstsein heben, so dass man darüber lachen kann: Spannungen zwischen Schein und Bedeutung (würdevollem Auftreten und würdeloser Anpassungsbereitschaft, jeder ist gespickt mit kleinen (und auch großen) Bosheiten, „Jede meiner Ehen ist glücklich“, usw., sowie der übergreifende, wahrlich großartige sprachliche Kunstgriff (elliptischen Wendungen, rapportmäßiger Ton). Die reiche Besucherin, als Fremde in der Heimat, verändert das Stadtleben und zwingt die Bewohner sich dem heimatlich Gewohnten zu entfremden. ® Alles Dialogggeschehen bekommt etwas Angespanntes, die Details Hervorhebendes. Nichts bleibt von der desillusionierenden Intellektualität des Autors verschont. Die erste Art der Freude, die man bei dem Stück verspürt ist Schadenfreude.
- Freude am Spiel (Veränderungen auf der Szene ohne Vorhang; Bäume und Vögel werden von Menschen gespielt) ® das Spielen wird betont (Spielen wird auf der Bühne oder auf der Vorstellungsbühne des Lesers gebracht). Dies zeigt eine gewisse Albernheit, da man unsorgfältig mit der Illusionierung umgeht. Die Freude am Spielen ist auch die Freude an der Souveränität (etwas im Spiel beherrschen).
- Schadenfreude und Spielfreude stützen dabei das Detail und nicht (bzw. weniger) den Gesamtzusammenhang (wie so Dittberner bei allen Stücken Dürrenmatts). Sie entlarven und entschärfen so die Gefährlichkeit der Banalität, des dumpfen Alltags, die Gedankenlosigkeit der Normalität, können aber auch ratlos machen, da sie keinen Blick für die Zukunft haben (siehe Dürrenmatt selbst: „...der sich von diesen Leuten durchaus nicht distanziert und der nicht so sicher ist, ob er anders handeln würde.“
- Dieses Zögern vor der (moralischen) Überzeugung, anders sein und menschlicher handeln zu können, ist ein Signal für die Freude am Stück, die das Stück als Stück zusammenhält. Es ist die Sehnsucht nach der Hoffnung. In den Negationen des Menschlichen (Claires Opfer der Rache erhält in Capri von der entmenschten Claire ein Mausoleum als letzte Ruhestätte) wie Großen ist deren Gegenteil, die Hoffnung auf Zusammengehörigkeit und die Sehnsucht nach großer Liebe mitenthalten. Die einheitstiftende Spannung des Stücks rührt an Sätze des Alltagslebens (z.B. „Wie konnte ich dich vergessen!“)
- Das Pathos der alten Dame ist dies lebenslange, zeitüberwindende Festhalten an der gemeinsamen Geschichte, an der Zusammengehörigkeit, und sei sie auch negativ. Das Pathos Ills, sein Großwerden durchs Sterben, ist das Innewerden und Einstehen für diese Zusammengehörigkeit: Schuld ist dabei nur ein moralischer Begriff. Das Motiv des Zusammengehörens (bei Ill zeigt es sich v.a. in seinem Sterben) noch in der Negation der Zusammengehörigkeit (durch das Töten, Verleugnen, Hassen, usw.) ist eines der hartnäckigsten Motive in der modernen Literatur nach dem II. Weltkrieg. Die Rachegeschichte der alten Dame ist aber zugleich auch eine verdeckte Liebesgeschichte.
- Klar ist, dass es eine Geschichte ist (sagt Dürrenmatt selbst zu Beginn: „eine Geschichte, die sich irgendwo [...] ereignet“; fast alle Personen sprechen von der Geschichte (Ill: „Alte Geschichten“, Pressemann II: „Das Leben schreibt die schönsten Geschichten“), an allen handlungsvorantreibenden Stellen des Stücks wird erzählt: die Vorgeschichte, die Liebesgeschichte, usw.). In einem Geflecht von kleinen Geschichten vollzieht sich die so benannte große Geschichte, welche die Geschichte einer kleinen Stadt vor der Weltöffentlichkeit, die Geschichte einer Rache und die Geschichte lebenslanger Zusammengehörigkeit zugleich ist.
IV. Während der Film die Geschichte zu einer Liebesgeschichte vereinfacht und der Schuldige begnadigt wird und so nicht sterben muss (und so auch die Stadt unschuldig bleibt) ist in dieser versöhnlichen Geste (der Begnadigung) die Hoffnung auf Menschlichkeit für alle enthalten – und aus Dürrenmatts kleiner Hoffnung also eine große geworden [Anmerk. Patrick: Diese Herabstufung auf eine Liebesgeschichte und die Begnadigung widerspricht meiner Meinung nach der Intension/dem Werk Dürrenmatts völlig: Das Groteske und der Einfall fehlen so völlig!!!].
Im Stück ist das Ende subtiler und pessimistisch „abgesichert“. Die Geschichte wird folgenlos gemacht in einer besinnungs- und wandlungslosen Wohlstandsgesellschaft. Die letzte Hoffnung die das Stück am Ende gibt ist der Verfügungswunsch (Claire will Ill das Mausoleum nach Capri bringen), ein Besitzwunsch – ein pervertierter Wunsch nach Zusammengehörigkeit (aus Enttäuschung pervertiert und in Sehnsucht erfüllt).
Literatur
Primärliteratur:
- Dürrenmatt, Friedrich: Die Physiker. Komödie, Zürich 1980
- Dürrenmatt, Friedrich: Der Besuch der alten Dame. Tragische Komödie, Zürich 1998
- Dürrenmatt, Friedrich: Romulus der Große. Ungeschichtliche historische Komödie, Zürich 1998
- Dürrenmatt, Friedrich: Der Meteor / Dichterdämmerung. Nobelpreisträgerstücke, Zürich 1998
- Dürrenmatt, Friedrich: Ein Engel kommt nach Babylon. Fragmentarische Komödie, Zürich 1998
- Dürrenmatt, Friedrich: Der Richter und sein Henker. Roman, Zürich 1966
- Dürrenmatt, Friedrich: Die Panne. Hörspiel und Komödie, Zürich 1985
- Dürrenmatt, Friedrich: Theaterprobleme. In: Ebd.: Theater. Essays, Gedichte, Reden, Zürich 1998
Sekundärliteratur:
- Arnold, Heinz Ludwig: Theater als Abbild der labyrinthischen Welt. Versuch über den Dramatiker Dürrenmatt. In: Ebd.(Hg.): Text + Kritik. Zeitschrift für Literatur. Heft 50/51. Friedrich Dürrenmatt I, München 19802
- Beutin, Wolfgang/U.a.: Deutsche Literaturgeschichte. Von den Anfängen bis zur Gegenwart, Stuttgart 19945
- Dittberner, Hugo: Dürenmatt, der Geschichtenerzähler. Ein 50-Dollar-Mißverständnis zum „Besuch der alten Dame“. In: Arnold, Heinz Ludwig (Hg.): Text + Kritik. Zeitschrift für Literatur. Heft 50/51. Friedrich Dürrenmatt I, München 19802
- Eisenbeis, Manfred: Lektürehilfen. Friedrich Dürrenmatt. Die Physiker, Stuttgart 200410
- Jenny, Urs: Friedrich Dürrenmatt, Hannover 1965
- Knapp, Gerhard P.: Friedrich Dürrenmatt, Stuttgart 19932
- Koch Roland/Koch Ute: Kleine Literaturgeschichte im Überblick, Mannheim 19922
- Krättli, Anton: Friedrich Dürrenmatt. In: Arnold, Heinz Ludwig (Hg.): Kritisches Lexikon zur deutschsprachigen Gegenwartsliteratur. Band 3, München 1978ff
- Kurzenberger, Hajo: Theater der Realität als Realität des Theaters. Zu Friedrich Dürrenmatts Dramenkonzeption. In: Arnold, Heinz Ludwig (Hg.): Text + Kritik. Zeitschrift für Literatur. Heft 50/51. Friedrich Dürrenmatt I, München 19802
- Profitlich, Ulrich: Friedrich Dürrenmatt. In: Von Wiese, Benno (Hg.): Deutsche Dichter der Gegenwart. Ihr Leben und Werk, Berlin 1973
- Pulver, Elsbeth: Literaturtheorie und Politik. Zur Dramaturgie Friedrich Dürrenmatts. In: Arnold, Heinz Ludwig (Hg.): Text + Kritik. Zeitschrift für Literatur. Heft 50/51. Friedrich Dürrenmatt I, München 19802
- Von Einsiedel, Wolfgang/Woerner, Gert/Geisler, Rolf/Radler, Rudolf/U.a.: Kindlers Literatur Lexikon. Im dtv, München 1986. [SÄMTLICHE BÄNDE]
- Arbeit zitieren
- Patrick Christmann (Autor:in), 2004, Friedrich Dürrenmatts dramatische Werke, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/108928
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