Lebenswelt von Abschiebung bedrohter Gefangener - Eine empirische Studie


Diplomarbeit, 2003

201 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhalt

1 Einleitung

A Die Praxis

2 Die Abschiebeproblematik
2.1 Rechtliche Grundlagen
2.2 Der Aspekt der Resozialisierung
2.3 Problemfelder von Abschiebung bedrohter Gefangener

3 Initiativen zur weltweiten Integration straffällig gewordener Menschen in die Gesellschaft
3.1 Die Gefährdetenhilfe Scheideweg
3.2 Die BSDG und IACPR
3.3 Die Internationalisierung der Straffälligenhilfe

B Die empirische Studie

4 Komprimierte Ergebnisdarstellung

5 Untersuchungsrelevante Fragestellungen

6 Das Forschungsdesign
6.1 Feldzugang
6.2 Erhebungsmethode
6.3 Material
6.4 Darstellung des Auswertungsganges

7 Die Auswertung
7.1 Übersicht der demographischen Daten
7.2 Die Einzelfallanalyse
7.2.1 Interview 1: Almir Arkun, Türkei
7.2.2 Interview 2: Bertrame Brosci, Italien
7.2.3 Interview 3: Cim Cral, Pakistan
7.2.4 Interview 4: Demetrio Darfou, Tunesien
7.2.5 Interview 5: Elias Ekrem, Guinea
7.3 Der Fallvergleich
7.4 Die Ergebnisse

8 Geltungsbegründung der Forschungsergebnisse

9 Praxisrelevanz der Forschungsergebnisse

10 Abschließende Gedanken

11 Quellenverzeichnis

Anhang A: Schreiben an den Präsidenten des Landesjustizvoll-zugsamtes Nordrhein-Westfalen

Anhang B: Statistischer Erhebungsbogen

Anhang C: Interviewleitfaden

Anhang D: Transkriptionslegende

Anhang E: CD-Rom mit den Interviewtranskripten 1-5

Anhang F: Beispiel für das Auswertungsverfahren

Anhang G: Synopsis

1 Einleitung

Ausgangssituation und Zielsetzung

Im April 2002 lernte ich die Gefährdetenhilfe (GFH) Scheideweg/Nordrhein-Westfalen kennen. Ich erhielt damals zum einen Einblicke in deren Arbeit mit straffällig gewordenen und drogenabhängigen jungen Menschen und wurde zum anderen erstmals auf die Thematik der Abschiebung aufmerksam. Durch die Beschäftigung mit diesem Thema, durch Gespräche mit den MitarbeiterInnen der GFH Scheideweg und nicht zuletzt durch das Kennenlernen persönlicher Schicksale wurde mir ein Problem bewusst, das mir als solches vorher nicht bekannt gewesen war. In der Folge entstand das Interesse an einer tieferen Auseinandersetzung mit diesem Sachverhalt.

Die Thematik soll anhand des folgenden Beispiels veranschaulicht werden:

Der Betroffene wurde im Jahre 1971 als Sohn einer deutschen Mutter und eines algerischen Vaters geboren. Aufgrund der seinerzeit geltenden Gesetzeslage erhielt er die Staatsangehörigkeit seines Vaters. Die Tatsache, dass er in Deutschland geboren und Sohn einer deutschen Mutter war, spielte zum Zeitpunkt der Geburt keine Rolle.[1]

Die deutsche Mutter des Betroffenen starb kurz nach der Geburt; einen Kontakt zum algerischen Vater gab es so gut wie nicht. Der Betroffene wuchs in einer deutschen Pflegefamilie auf. Er spricht nur deutsch, versteht weder Arabisch noch Französisch. In Algerien ist er nie gewesen. Als Jugendlicher, sodann als Erwachsener wurde er in erheblichem Maße mehrfach straffällig. Die gegen ihn verhängten Freiheitsstrafen hat er verbüßt.

Dennoch wurde er durch die zuständige Ausländerbehörde allein aufgrund der Tatsache, dass er formell Algerier ist, ausgewiesen und ihm wurde die Abschiebung angedroht. In der Grundverfügung der Ausländerbehörde liest sich das wie folgt: `Die Ausländerbehörde verkennt nicht, dass Ihnen, bedingt durch Ihre Geburt in Deutschland und Ihren ununterbrochenen Aufenthalt in der Bundesrepublik Ihr Heimatland etwas fremd ist. Der Umstand, dass Sie hier geboren und aufgewachsen sind, genügt nicht für das Vorliegen einer unangemessenen Härte. Ebenso ist es Ihnen zumutbar, aufgrund Ihres jungen Alters sich an neue Lebensverhältnisse gewöhnen zu können.` (Kirpes 2000, S.104)

Dieses Beispiel steht exemplarisch für zahlreiche andere Fälle. In der vorliegenden Arbeit soll es nicht darum gehen Gründe hervorzubringen, warum eine Abschiebung in jedem Falle verhindert werden müsse, denn eine Abschiebung kann nicht grundsätzlich als unzulässig betrachtet werden, wie ich noch darlegen werde. Vielmehr werde ich mich damit beschäftigen, wie die Rückkehr Betroffener in ihre „Heimat“ vorbereitet und ihnen Hilfe angeboten werden kann. Dabei ist es mir wichtig, über eine rein theoretische Behandlung dieses Themas hinauszugehen und einen konkreten Praxisbezug herzustellen. Von der Abschiebung bedrohte Gefangene werde ich persönlich zu Wort kommen lassen, um deren Wirklichkeit realitätsnah rekonstruieren zu können.

Was im Rahmen meiner Diplomarbeit geleistet werden soll, ist eine Bestandsaufnahme der Probleme, mit denen sich von Abschiebung bedrohte Gefangene konfrontiert sehen. Während meiner Literaturrecherche ist mir aufgefallen, dass es eine Reihe von Arbeiten gibt, die sich mit der Notwendigkeit und den Möglichkeiten der Verhinderung einer Abschiebung befassen[2]. Die Frage, wie eine Integration abgeschobener Haftentlassener in ihre Herkunftsländer vorbereitet werden kann, scheint bisher jedoch kaum beziehungsweise gar keine Beachtung gefunden zu haben. Der Forschungsstand lässt unter diesem Blickwinkel eine Reihe von Lücken erkennen.

Des Weiteren habe ich in der Literatur zwar zahlreiche Beiträge zur grundlegenden Bedeutung der Nachbetreuung von Haftentlassenen gefunden, jedoch beziehen sich all diese Ausführungen ausschließlich auf das deutsche Bundesgebiet (vgl. z.B. Maelicke 1977, S.88ff.). So werden die Schwierigkeiten der Resozialisierung zum Teil äußerst präzise für die in Deutschland Entlassenen dargestellt, doch unter Beachtung des hohen Anteils von Ausländern in deutschen Gefängnissen, die zu einem Großteil abgeschoben werden, wird hier ein Defizit deutlich. Der Gedanke, dass auch für diese Menschen Resozialisierungs- und Integrationshilfen notwendig sein müssten, liegt meines Erachtens klar auf der Hand.

Anmerken möchte ich an dieser Stelle jedoch auch, dass eine Schwierigkeit der Durchführung entsprechender Studien darin besteht, dass die Untersuchungsgruppe[3] offiziell nicht präsent ist. Nach der vollzogenen Abschiebung wird der Weg der betreffenden Ausländer von amtlicher Seite aus nicht weiterverfolgt. Der Betreffende taucht erst in dem Moment wieder in den Akten auf, in dem er aufgrund einer illegalen Einreise in die Bundesrepublik erneut inhaftiert wird. Infolgedessen stellen die von der Abschiebung bedrohten Ausländer die Zielgruppe meiner Untersuchung dar.

Aufgrund des Fehlens vergleichbarer wissenschaftlicher Erhebungen, ist die vorliegende Arbeit als Pilotstudie zu verstehen. Durch die empirische Untersuchung sollen Einblicke in die Situation von Betroffenen gewährt und Anregungen gegeben werden, welcher Art Integrationsvorbereitungen für ausländische Haftentlassene sein können.

Bei der GFH Scheideweg sind bereits vereinzelte Erfahrungen mit entsprechenden Vorbereitungen für Haftentlassene im Ausland vorhanden. Vor einigen Jahren setzte sich die GFH in ersten Überlegungen und Diskussionen mit dem Aspekt der Internationalisierung der Straffälligenhilfe auseinander. Sie kann als „Vorreiter“ in dieser Thematik betrachtet werden, da es bisher keine vergleichbaren Initiativen in Deutschland gibt. Auf die Tätigkeit der GFH Scheideweg werde ich in meiner Arbeit aus diesem Grund in besonderer Weise eingehen.

Gliederung

Die vorliegende Diplomarbeit gliedert sich in zwei Hauptteile. Teil A beinhaltet eine umfassende Beschreibung der Abschiebepraxis, die sich in drei Abschnitte unterteilt (Kapitel 2). Darin finden sich neben rechtlichen Grundlagen und Gedanken zur Resozialisierung typische Problemfelder von Abschiebung betroffener Ausländer. Im Anschluss daran werde ich in Kapitel 3 eine beispielhafte Betrachtung von Initiativen zur weltweiten Integration straffällig gewordener Menschen in die Gesellschaft vornehmen. Dies hat die Vorstellung der GFH Scheideweg und der BSDG[4] und IACPR[5] zum Inhalt sowie eine Darstellung bisheriger Bemühungen um eine Internationalisierung der Straffälligenhilfe.

Auf diesem Hintergrund schließt sich in Teil B die empirische Studie an. Einer ersten komprimierten Ergebnisdarstellung (Kapitel 4) folgt die Erläuterung der untersuchungsrelevanten Fragestellungen (Kapitel 5). Daran anschließend dokumentiert das Forschungsdesign den Feldzugang, die Erhebungsmethode, das Untersuchungsmaterial sowie das Auswertungsverfahren (Kapitel 6). In einem nächsten Abschnitt, dem 7. Kapitel, findet die Auswertung der Interviews statt, die sich in die Einzelfallanalyse, den Fallvergleich und die Darstellung der Forschungsergebnisse gliedert. Nach der Geltungsbegründung der Ergebnisse (Kapitel 8) werde ich im 9. Kapitel auf deren Praxisrelevanz eingehen, um die Arbeit im 10. Kapitel mit abschließenden Gedanken zu beenden.

A Die Praxis

2 Die Abschiebeproblematik

Im deutschen Strafvollzug befanden sich am 31. März 2002 unter den etwa 61.000 Inhaftierten ungefähr 23% Ausländer (vgl. Statistisches Bundesamt 2002, Fachserie 10, Reihe 4.1). Die Altersgruppe der 18- bis 30jährigen ist dabei am stärksten vertreten. Sie haben ihre Wurzeln weltweit in über 100 verschiedenen Ländern. Ein großer Teil von ihnen wird jedes Jahr unmittelbar aus der Strafhaft in das entsprechende Herkunftsland abgeschoben (vgl. BSDG e.V. 2003, S.79). Es bleiben dabei jedoch verschiedene Fragen unbeantwortet: "Wer wird sich sprachlich mit ihnen verständigen können, wer sich mit ihren Lebensauffassungen auseinandersetzen, wer die Rückkehr in ihre Ursprungsländer vorbereiten?" (GFH Scheideweg e.V. 1998, S.50)

Das folgende Kapitel beinhaltet eine Darstellung der Abschiebung sowohl aus rechtlicher Sicht als auch aus dem Blickwinkel der Betroffenen. Daneben wird die Resozialisierung im Allgemeinen und bezogen auf die Abschiebung eine Rolle spielen.

2.1 Rechtliche Grundlagen

Die Ausweisung[6] stellt die einschneidendste Sanktion dar, die das Ausländergesetz (AuslG) unter Vorliegen bestimmter Gründe vorsieht. Sie hat das Erlöschen der Aufenthaltsgenehmigung zur Folge (§44 Abs.1 Nr.1 AuslG) und führt zur Strafbarkeit des weiteren Aufenthalts im Bundesgebiet (§92 Abs.1 Nr.1 AuslG).

Das AuslG vom 9. Juli 1990 differenziert zwischen a) der Ermessens-, b) der Regel- und c) der Ist-Ausweisung.

a) Gemäß §45 Abs.1 AuslG kann ein Ausländer ausgewiesen werden, "wenn sein Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung (...) beeinträchtigt." Eine genaue (jedoch nicht abschließende) Aufzählung entsprechender Regelbeispiele nimmt der §46 AuslG vor. Die Ausländerbehörde muss zwischen den schutzwürdigen Interessen des Ausländers am Verbleib in der Bundesrepublik und dem öffentlichen Interesse am Erhalt der Sicherheit und Ordnung abwägen. Dies soll unter anderem unter Beachtung des §45 Abs.2 AuslG erfolgen, der die Berücksichtigung "persönlicher, wirtschaftlicher und sonstiger Bindungen des Ausländers" fordert. In diesem Zusammenhang spielt beispielsweise der verfassungsrechtliche Schutz von Ehe und Familie gemäß Art.6 GG (Grundgesetz) eine wichtige Rolle (vgl. Schwind/Böhm 1999, S.603). Das Ausländeramt ist in jedem Fall dazu angehalten, innerhalb seines Ermessensspielraumes "die nachteiligen Folgen (seiner) eigenen Maßnahmen abzuwägen" (Kleinjans 1997, S.36) und eine entsprechende Entscheidung zu treffen.
b) Bei Vorliegen "erheblicher Kriminalität" (a.a.O., S.37) sieht der §47 Abs.2 AuslG die Regel-Ausweisung vor. Von besonderer Bedeutung sind in diesem Zusammenhang die Straftaten nach dem Betäubungsmittelgesetz (BtMG), da diese regelmäßig die Abschiebung zur Folge haben. Liegen Tatbestände nach §47 AuslG vor, ist der Ausländer grundsätzlich auszuweisen. Eine Ausnahme ist nur im Fall einer unangemessenen Härte denkbar (a.a.O.).
c) In Fällen "besonders schwerer Kriminalität" (Schwind/Böhm 1999, S.606) ist die Aufenthaltsbeendigung laut §47 Abs.1 AuslG die zwingende Rechtsfolge. Das Ausländeramt darf hier weder aus spezial-[7] noch aus generalpräventiven[8] Erwägungen von der Ausweisung absehen. Eine Einschränkung dessen kommt nur dann in Betracht, "wenn der Betroffene einem besonderen Ausweisungsschutz unterfällt" (Kleinjans 1997, S.39).

Abweichende Regelungen

Im Fall der Abschiebung sieht die Strafprozessordnung (StPO) unter Berücksichtigung eventuell drohender Tatfolgen für den Ausländer im Abschiebeland verschiedene Interventionen vor. Die §§154b und 456a StPO bieten die Möglichkeit, das Strafverfahren einzustellen beziehungsweise von der Strafvollstreckung abzusehen. Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass unter den Gesichtspunkten der Resozialisierung und der "Sicherheit der Bundesrepublik" (§46 Nr.1 AuslG) die Strafvollstreckung gegen einen Abzuschiebenden wenig sinnvoll ist (vgl. Meyer-Gossner 1997, S.1290).

Laut §154b Abs.3 StPO kann die Staatsanwaltschaft auf die Klageerhebung verzichten, wenn der Ausländer aus dem Bundesgebiet ausgewiesen wird. Damit können mit dem Tag der Ermittlungsaufnahme aufenthaltsbeendende Maßnahmen eingeleitet werden. Die Nachteile, die dem Betroffenen unter Umständen im Herkunftsland drohen, würden in dem Sinne "ausgeglichen", dass von der Strafverfolgung im abschiebenden Staat abgesehen wird (vgl. Kleinjans 1997, S.53). In der Praxis wird von der Möglichkeit der Verfahrenseinstellung allerdings nur selten Gebrauch gemacht (vgl. a.a.O., S.54f.). Dies hängt unter anderem damit zusammen, dass die Ausländerbehörde oft erst nach Abschluss der Ermittlungen von der Straftat eines Ausländers erfährt.

Einem ähnlichen Grundgedanken folgt §456a StPO, dessen Geltungsvoraussetzung ebenfalls die Ausweisungsverfügung gegenüber dem Ausländer ist. In diesem Fall ist die Unterbrechung der Strafvollstreckung nach einem bestimmten Zeitpunkt, der in der Regel zwischen dem der Halb- und 2/3-Strafe liegt, üblich. Der Ausländer wird daraufhin in sein Heimatland abgeschoben. Die verbleibende Strafe wird dort nicht weiter vollstreckt. In diesem Zusammenhang kommt allerdings dem §456a Abs.2 S.3 StPO eine besondere Bedeutung zu, wonach die Nachholung der Vollstreckung angeordnet werden kann, wenn der Ausgewiesene wieder nach Deutschland einreist.

Ausweisungsschutz

Für von Abschiebung betroffene Ausländer gibt es gemäß §48 AuslG in spezifischen Fällen einen besonderen Ausweisungsschutz. Diese Vorschrift besagt beispielsweise, dass "ein Ausländer, der (...) im Bundesgebiet geboren oder als Minderjähriger in das Bundesgebiet eingereist ist, (...) nur aus schwerwiegenden Gründen ausgewiesen werden (kann)" (§48 Abs.1 Nr.2 S.1 AuslG). Auch Ausländer, die mit Deutschen verheiratet sind, genießen nach §48 Abs.1 Nr.4 S.1 AuslG einen besonderen Ausweisungsschutz.

Eine weitere Einschränkung der Abschiebung stellt das Vorhandensein eines Abschiebungsverbotes oder -hindernisses dar. So sind laut §53 Abs.6 S.1 AuslG die Gefahren für Leib, Leben oder Freiheit, die dem Betroffenen im Abschiebestaat drohen, in der Entscheidung über den Verbleib des Ausländers zu berücksichtigen. Diese Gefahren müssen allerdings erheblich und konkret sein (vgl. Kleinjans 1997, S.36). Andere Abschiebungshindernisse werden in den Absätzen 2, 4 und 5 des §53 AuslG benannt.

Dauer der Ausweisung

Ist es zu einer Abschiebung gekommen, hat der Betroffene nach §8 Abs.2 S.3 AuslG die Möglichkeit, die grundsätzlich lebenslange Geltungsdauer der Ausweisung zu verkürzen. Laut Gesetz muss auf Antrag des Ausländers in der Regel eine Befristung vorgenommen werden. Es finden sich in der entsprechenden Vorschrift allerdings keine Aussagen zu deren Länge. Die Ausländerbehörde hat darüber nach Ermessen zu befinden. Für die Akzeptanz der Ausweisung seitens des Betroffenen kann es jedoch wesentlich sein, die Mindestdauer des erzwungenen Auslandsaufenthalts vorab zu erfahren. "Dem Ausländer wird nämlich damit eine Lebensplanung erleichtert, v.a. dann, wenn Familienangehörige in Deutschland verbleiben." (Schwind/Böhm 1999, S.305f.)

Bei der Bestimmung der Frist werden verschiedene Aspekte berücksichtigt, wie das Verhalten vor und während der Abschiebung (Widerstand oder Vereitelungsversuche) oder die inzwischen verstrichene Zeit. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt der Ausreise (§8 Abs.2 S.3 AuslG). Die diesbezügliche Gesetzesformulierung "in der Regel" macht deutlich, dass einem Befristungsantrag nicht zwingend stattzugeben ist. Ein entsprechender Ausnahmefall ist beispielsweise bei einer außerordentlichen Gefährlichkeit des Ausländers gegeben oder auch in dem Fall, dass der Betreffende sich besonders hartnäckig gegen die Abschiebung gewehrt hat und anschließend illegal wieder eingereist ist (vgl. Schwind/Böhm 1999, S.308). Hier kann ein striktes Einreise- und Aufenthaltsverbot verbunden mit einer Sperre für eine neue Aufenthaltsgenehmigung die Folge sein.

Fazit

Es kann mit Böhm festgehalten werden, dass „die Anordnung der Abschiebung verurteilter Nichtdeutscher durchaus in Übereinstimmung mit den Aufgaben der Strafrechtspflege stehen (kann), wenn Gründe der Generalprävention oder der Spezialprävention (...) eine Abschiebung geraten erscheinen lassen.“ (Böhm 1983, S.132) Dennoch muss auch für diese Menschen von der grundlegenden Bedeutung resozialisierender Maßnahmen ausgegangen werden, wie ich im folgenden Kapitel darstellen werde.

2.2 Der Aspekt der Resozialisierung

Resozialisierung meint die „nach Verbüßung einer längeren Haftstrafe schrittweise Wiedereingliederung in die Gesellschaft mit den Mitteln der Pädagogik, Medizin und Psychotherapie“ (Duden 1997, S.704). Der Gefangene soll lernen, sich ohne Rechtsbruch unter den Bedingungen einer freien Gesellschaft zu behaupten, ihre Chancen wahrzunehmen und ihre Risiken zu bestehen (vgl. Schwind/Böhm 1999, S.65).

Freudenthal merkt an: „Der Staat, der für seine entlassenen Strafgefangenen nicht sorgt, gleicht dem Chirurgen, der die von ihm geöffnete Bauchhöhle offen läßt, statt die Wunde zu heilen.“ (Freudenthal 1928, zitiert nach Maelicke 1977, S.60) Wenn der Entlassene selbst den festen Willen auf Wiedereingliederung hat, hängen seine Chancen zum Bestehen der auf ihn wartenden Schwierigkeiten zu einem großen Teil von der Straffälligenhilfe in Freiheit ab (vgl. Menil 1995, S.227).

Darüber hinaus verpflichtet das Strafvollzugsgesetz (StVollzG) den Staat zu resozialisierenden Maßnahmen. Gemäß §2 S.1 StVollzG soll der Strafvollzug auf die Befähigung des Gefangenen zu einem künftig straffreien Leben zielen. In diesem Zusammenhang sind nach §3 StVollzG zwei Gesichtspunkte zu unterscheiden. Zum einen ist „schädlichen Folgen“ (§3 Abs.2) des Freiheitsentzuges entgegenzuwirken, zum anderen ist dem Betroffenen Hilfe anzubieten, „sich in das Leben in Freiheit einzugliedern.“ (§3 Abs.3) Wie Böhm festhält, gelte dies „natürlich auch für Strafgefangene fremder Nationalität“ (Schwind/Böhm 1999, S.65). Eine Beschränkung des gesetzlichen Vollzugszieles auf Deutschland ist auch angesichts der Internationalisierung des Verbrechens nicht sinnvoll.

Maelicke macht auf die „Erste Konferenz der Vereinten Nationen über Verbrechensverhütung und Behandlung Straffälliger“ in Genf (1955) aufmerksam. Hier wurden „Einheitliche Mindestgrundsätze für die Behandlung der Gefangenen“ formuliert. Darin findet sich unter Punkt 80 folgende Aussage:

Vom Beginn des Strafvollzuges an muß die Zukunft des Gefangenen nach der Entlassung in Betracht gezogen werden; er muß ermutigt und unterstützt werden, Beziehungen zu Personen oder Vereinigungen außerhalb der Anstalt aufrecht zu erhalten, die dem wohlverstandenen Interesse seiner Familie und seiner sozialen Wiedereingliederung förderlich sein können. (Maelicke 1977, S.23)

Es wird deutlich, dass sich hinter dem Begriff der Resozialisierung vielschichtige Aspekte verbergen. So muss beachtet werden, dass nicht nur der Strafgefangene auf die Rückkehr in die Gesellschaft vorbereitet werden muss, sondern dass diese ihrerseits bereit sein muss, ihn wieder aufzunehmen (vgl. Menil 1995, S.31). So kann es zu seiner Rückfälligkeit beitragen, wenn die Bevölkerung dem Entlassenen die Aufnahme in „ihre“ Gesellschaft verweigert. Dabei hat im Grunde auch die Gesellschaft ein unmittelbares eigenes Interesse daran, dass der Täter nicht wieder rückfällig wird und erneut die Gemeinschaft schädigt. Maelicke gibt Folgendes zu bedenken: „Solange Staat und Gesellschaft (...) ihre Mitverantwortung für die Straffälligen nicht erkennen und nicht ausüben, werden die wenigen aktiven Gruppen und Modellversuche weiterhin zahlenmäßig geringe Erfolge erzielen.“ (Maelicke 1977, S.138) Diesen Gedanken unterstreicht auch die BSDG mit den Worten: "Ein auf die Resozialisierung abzuschiebender Gefangener ausgerichteter Strafvollzug ist auf die Zusammenarbeit mit freien Verbänden angewiesen; diese Aufgabe bedarf der Mitwirkung möglichst vieler Kräfte in unserer Gesellschaft." (BSDG e.V. 2001, S.3)

Resozialisierung ist in diesem Sinne „inhaltlich nur als Prozeß zu verstehen, der nicht gelingen könnte, wenn er im Moment der Haftentlassung abgebrochen würde.“ (Cornel/Maelicke/Sonnen 1995, S.16) Das entscheidende Stadium der Resozialisierung beginnt gewissermaßen mit dem Tag der Entlassung.

Zusammenfassend schließt Resozialisierung nach Cornel et al. unter anderem die folgenden Aspekte ein:

- Beratung über Chancen und Möglichkeiten sowie gesellschaftliche Voraussetzungen zur Integration,
- Motivation zu Bemühungen um eine selbständige Verbesserung der Lebenslage,
- materielle Hilfen,
- Unterstützung bei der Suche nach Ausbildungsangeboten und
- persönliche Hilfen in Krisensituationen und bei der Herstellung sozialer Kontakte (vgl. a.a.O., S.45).

Auch der Gesetzgeber erkennt die Bedeutung der „Hilfe zur Entlassung“ an, indem er die Verpflichtung ausspricht dem Inhaftierten „zu helfen, Arbeit, Unterkunft und persönlichen Beistand für die Zeit nach der Entlassung zu finden.“ (§74 StVollzG) Jedoch hat eine drohende Abschiebung für den Gefangenen bereits während der Haftzeit Konsequenzen, da die Vollzugsbehörden keine Maßnahmen zur Vorbereitung der Entlassung anordnen. Kleinjans bemerkt:

Mit dem Argument der Fluchtgefahr werden (...) resozialisationsfördernde Lockerungen, wie Beschäftigung, Urlaub oder Freigang (...) gar nicht erst angeordnet. (...). Wegen der drohenden Ausweisung wird noch nicht einmal ein Vollzugsplan aufgestellt, obwohl der Gefangene hierauf ein Recht hat (§7 StVollzG). So gestaltet sich der `Behandlungsvollzug` bei Ausländern, denen die Ausweisung droht (...), in der Praxis zum bloßen Verwahrvollzug. (Kleinjans 1997, S.59)

Viele Autoren, die sich unter verschiedenen Gesichtspunkten mit der Situation inhaftierter Ausländer beschäftigt haben, stimmen darin überein, dass es unter Beachtung des gesetzlichen Resozialisierungsauftrages wichtig wäre, den von der Abschiebung Betroffenen Entlassungsvorbereitungen in ihrer Heimat zu ermöglichen. Böhm bemerkt, dass „Überlegungen, wie man (...) helfen könnte, die Rückfälligkeit auch im Heimatstaat des Verurteilten zu verhindern, (...) erst neuerdings“ (Böhm 1983, S.131) angestellt werden. Man war sich jedoch darüber im Klaren, dass dies „schwer zu verwirklichen“ (a.a.O.) sein würde. Konkrete Vorschläge, wie an einer Integration des straffällig Gewordenen im Herkunftsland mitgearbeitet werden kann, gab es bisher nicht.

Böhm betont, dass entsprechende resozialisierende Maßnahmen bereits im Strafvollzug eingeleitet werden sollten. Er erläutert, dass es sinnvoll wäre,

(...) bei der resozialisierenden Behandlung die Verhältnisse zu bedenken, die der Insasse in seiner Heimat antreffen wird und bei einer Entlassung zur Bewährung (oder nach voller Verbüßung) die sozialen Dienste des Heimatstaates in die Entlassungs-vorbereitungen einzuschalten oder für eine Überwachung des Entlassenen in der Übergangsphase zu gewinnen. Hier liegt vieles im argen. In der Bundesrepublik Deutschland fehlt es schon am einvernehmlichen Handeln der Ausländerbehörden und des Strafvollzugs. Die Ausländerbehörden treffen ihre Ausweisungs-entscheidungen oft erst nach Ende des Strafvollzugs, so daß während des Vollzugs über das weitere Schicksal des Insassen Unklarheit besteht. (a.a.O., S.130)

In einer wissenschaftlichen Studie unter Jugendrichtern und Jugendstaatsanwälten aus Baden-Württemberg erforschte Fenn im Jahr 1981 Bedingungen für eine positive beziehungsweise negative Rückfallprognose bei jungen Straffälligen. Auf seine Frage nach den ihrer Meinung nach wichtigsten Faktoren, die für eine schlechte Rückfallprognose von ausschlaggebender Bedeutung seien, erhielt er auszugsweise folgende Antworten: Drogenabhängigkeit, unvollständige Familie, Arbeitslosigkeit, schlechte oder keine Schul- und/oder Berufsausbildung. Auf die Frage nach den ihrer Meinung nach wichtigsten Faktoren für eine günstige Rückfallprognose, lauteten die Antworten unter anderem: Arbeitsplatz, intakte familiäre Verhältnisse, gute Schul- und Berufsausbildung, feste persönliche Bindungen an Eltern und Freundin. (Vgl. Fenn 1981, S.135ff.)

Wie Fenn ausführt, werden als wichtigste Faktoren für eine günstige Prognose eine Reihe von Variablen angegeben, die sich auf den Beruf und das Arbeitsverhalten beziehen. „Die erfolgreiche Integration in die Arbeitswelt gilt als der zuverlässigste Indikator für das Legalverhalten. Die nächstfolgenden Faktoren beziehen sich auf die familiären Verhältnisse und persönlichen Bindungen des Straffälligen.“ (a.a.O., S.139)

Unter Beachtung der geschilderten Aspekte wird deutlich, dass der Anspruch der Resozialisierung für abzuschiebende Häftlinge in der Praxis kaum beziehungsweise gar nicht verwirklicht wird, obwohl die Notwendigkeit entsprechender Maßnahmen als mindestens ebenso wichtig erachtet werden muss wie für in Deutschland entlassene Gefangene.

2.3 Problemfelder von Abschiebung betroffener Ausländer

Die Abschiebungen erfolgen zu einem Großteil unvorbereitet: Menschen, die über viele Jahre oder Jahrzehnte nicht mehr in ihrer früheren Heimat gewesen sind, finden sich in einer ihnen fremd gewordenen Umgebung wieder. Es fehlt ihnen an den nötigen Voraussetzungen und sozialen Beziehungen, um sich in die dortigen Verhältnisse integrieren zu können. Erschwerend kommt in vielen Fällen die mit der Abschiebung verbundene Trennung der Betroffenen von ihren Familienangehörigen hinzu, da diese in der Regel in Deutschland verbleiben.

Die Situation ist um ein Vielfaches schwerer, wenn der abgeschobene Ausländer in Deutschland geboren und aufgewachsen ist und sein Herkunftsland nur von Urlaubsreisen kennt. Er kommt in diesem Fall aus einer anderen soziokulturellen Umgebung mit abweichenden Gefühls-, Denk- und Verhaltensstrukturen in ein Land hinein, mit dem ihn nur die Staatsangehörigkeit verbindet (vgl. Kleinjans 1997, S.22). Durch eine solche unfreiwillige Konfrontation mit einem anderen Kultur- und Lebensklima können sich schwerwiegende Probleme und Konflikte ergeben. So kann sich der Ausländer sozialen, beruflichen und wirtschaftlichen Eingliederungsproblemen gegenüber sehen, wie Erfahrungen der GFH Scheideweg belegen[9]. Für den Abgeschoben ergibt sich dadurch die Notwendigkeit einer vollständigen Neuorientierung.

Ein anderes Problem ist, dass die Abschiebung in der Regel auf den nächst-größeren Flughafen des Ursprungslandes erfolgt. Erfahrungsgemäß ist die Straffälligkeit gerade in Ballungszentren von Großstädten besonders hoch – dort, wo sich der Betroffene nach der Abschiebung wiederfindet (vgl. BSDG e.V. 2003, S.69). In vielen Fällen bringt er in seine "Heimat" auch die mit der Kriminalität verbundenen Probleme mit, wie zum Beispiel die Drogenabhängigkeit. Eine erneute Kriminalität liegt nahe, denn für den Haftentlassenen scheint es keine Handlungsalternativen zu geben (vgl. a.a.O., S.70f.). Darüber hinaus haftet dem Entlassenen nach Stoessinger „der Makel des `Gesessenhabens`“ (Stoessinger 1994, zitiert nach Menil 1995, S.235) an, der das soziale Ansehen und Fortkommen des Betroffenen zusätzlich belastet. Menil erklärt, dass selbst fachlich versierte und arbeitswillige Haftentlassene auf Anhieb keine Arbeitsstelle finden. Diese Tatsache steigert die ohnehin schon bestehende Angst, nach der Entlassung „ohne Arbeit und Unterkunft schon bald wieder straffällig zu werden.“ (Menil 1995, S.195f.) Der Strafentlassene müsste folglich „ein erheblich höheres Maß an sozialer Angepasstheit und persönlicher Durchsetzungskraft aufbringen als der durchschnittliche Bürger.“ (a.a.O., S.235) In der Realität weisen jedoch viele Gefangene spezifische Sozialisationsdefizite auf, was die Situation zusätzlich verschärft (a.a.O.). Auch Böhm führt aus, dass die Verurteilten in den seltensten Fällen in der Lage sind, „ohne amtliche Hilfen, belastet durch die Ausweisung, in der Heimat (...) Fuß zu fassen.“ (Böhm 1983, S.132)

Maelicke weist darauf hin, dass bereits am Tag der Entlassung erhebliche finanzielle Anforderungen an den Betreffenden gestellt werden. Er muss sich auf eigene Kosten verpflegen, benötigt Mittel für öffentliche Verkehrsmittel und für die Unterkunftsbeschaffung. Hinzu kommen die zunächst ungewohnten Konsumanreize sowie der angestaute Nachholbedarf an einzelnen Dingen und Vergnügungen (vgl. Maelicke 1977, S.81). Was bereits für den deutschen Entlassenen mit Schwierigkeiten verbunden ist, trifft auf den abgeschobenen Häftling in einem noch stärkeren Maße zu. Allein die Vorstellung der vorhersehbaren Verständigungsprobleme aufgrund fehlender Sprachkennt-nisse lässt die Schwere der Situation des Betroffenen erahnen.

Da das Abschiebeverfahren gerade bei Inhaftierten, die nur formell die ausländische Staatsangehörigkeit besitzen, als besonders unmenschlich und problematisch betrachtet wird und der Gedanke an die bevorstehende Abschiebung bei den Betroffenen in vielen Fällen mit großer Angst verbunden ist, gibt es in der Literatur eine Reihe von Abhandlungen über Wege der Verhinderung einer Abschiebung. Obwohl dies nicht das Thema meiner Arbeit darstellt, habe ich durch entsprechende Beiträge jedoch vielfältige Einblicke in die Situation Betroffener gewinnen können, die richtungsweisend für die Entwicklung meiner Forschungsfragen und des Interviewleitfadens waren. Auf einige dieser Arbeiten möchte ich im Folgenden näher eingehen.

Im Zuge meiner Literaturrecherche wurde ich beispielsweise auf das Buch „Ausländerrecht contra Resozialisierung?“ von Schäfer und Sievering aufmerksam. Es handelt sich dabei um einen aus dem Jahre 1984 stammenden Sammelband, der drei Tagungen der Evangelischen Akademie Arnoldshain dokumentiert. Darin werden nach einer kritischen Bestandsaufnahme der damaligen ausländerrechtlichen Praxis und der politischen Tendenzen in diesem Bereich alternative Perspektiven skizziert. Obwohl die Darstellung des rechtlichen Rahmens nicht der heutigen Situation entsprechen kann, findet in diesem Band jedoch eine sehr gute inhaltliche Auseinandersetzung mit einem Thema statt, das an Aktualität keineswegs verloren hat.

Schäfer berichtet darin von einer Protestaktion 50 ausländischer Gefangener einer hessischen Justizvollzugsanstalt (JVA) im Jahre 1983, die damit auf einen Forderungskatalog aufmerksam machten, den sie nach zahlreichen Beratungen untereinander sowie nach Diskussionen mit der Vollzugs- und Ausländerbehörde zusammengestellt hatten (vgl. Schäfer 1983, S.98). In diesem neun Punkte umfassenden Katalog finden sich unter anderem Forderungen nach einem generellen Abschiebestopp für Ausländer, die sich vor ihrer Straftat legal in der Bundesrepublik Deutschland aufgehalten haben, und nach einer freiwilligen Ausreise anstelle einer erzwungenen Abschiebung bei rechtskräftiger Ausweisungsverfügung. Weiter heißt es, dass in diesem Fall „dem ausländischen Gefangenen grundsätzlich vier Wochen Zeit einzuräumen (sind), in der er sich `persönlich` um die Auflösung seines Haushaltes, Sicherung seiner Habe und Klärung seiner Familienangelegenheiten kümmern kann.“ (a.a.O.) Schäfer erklärt: „Dies zeigt, (...) wo ausländische Strafgefangene hauptsächlich einen Ansatzpunkt zur Lösung ihrer problematischen Situation sehen.“ (a.a.O.)

In ihrem Werk „Die Kriminalisierung junger Ausländer“ setzen sich Albrecht und Pfeiffer (1979) mit dem Leben ausländischer Jugendlicher in der Bundesrepublik auseinander. Die Autoren äußern sich unter anderem zum Sozialisationsprozess derjenigen Ausländer, die in der Bundesrepublik geboren oder im Säuglingsalter hierher gekommen sind:

Diese Kinder werden von Anfang an bikulturell enkulturiert (...) und übernehmen vorerst keine einheitliche kulturelle Rolle. Die Übernahme der kulturellen Rolle wird in spätere Sozialisationsabschnitte verlagert. Erst dann wird die kulturelle Rolle `Deutscher` angenommen. Sie kennen ihre Heimat bestenfalls von Erzählungen oder eventuell von einem Heimaturlaub. Sie sprechen zu Hause die Heimatsprache der Eltern als `Familiensprache`, aber ansonsten deutsch als `sekundäre Heimatsprache`. Sie sehen ihre Zukunft und Zukunftschancen in Deutschland und werden kaum freiwillig in die Heimat ihrer Eltern zurückkehren. Diese Kinder erwerben ihre Identität als Deutsche und sind im soziologischen Sinne eben Deutsche. (Albrecht/Pfeiffer 1979, S.46f.)

Zudem sei bei den eben beschriebenen Ausländern eine Identitätsdiffusion bemerkbar, da sie zwar eine Identität als Deutsche erworben haben, von der deutschen Mehrheit jedoch als Ausländer betrachtet und behandelt werden (vgl. a.a.O., S.51f.).

Weiter weisen Albrecht und Pfeiffer darauf hin, dass es wichtig wäre, im Strafvollzug auf die häufig vertretenen Sprachprobleme der Abzuschiebenden[10] zu reagieren. So geben sie die Aussage des Sprachlehrers einer bayerischen JVA wieder:

`Seine Muttersprache wiederzugewinnen, ist ein Anliegen des Unterrichts. ... Ich lasse in meinem Unterricht alle Ausländer jeden Text zweisprachig bearbeiten, weil kaum noch einer unserer Türken ganz Türkisch kann. ... Sie können keine Sprache mehr, die sitzen zwischen zwei Stühlen. ... Das wirkt sich verheerend aus. Ich habe schon Türken weinen sehen, weil sie plötzlich merkten, daß sie nicht mehr Türkisch konnten.` (a.a.O., S.99)

Bisher unbeachtet blieb der Gedanke an die Einstellung der entsprechenden Herkunftsländer. Diese sind nicht erfreut, straffällig gewordene „Landsleute“ aus dem Ausland „zugeschoben“ zu bekommen. So macht Zuleeg deutlich, dass die internationalen Beziehungen darunter leiden, wenn die Herkunftsländer als „Verbannungsort für Straftäter“ herhalten müssen, vor allem weil „die Straftaten von der (...) Umgebung in Deutschland mit verursacht worden sind.“ (Zuleeg 1983, S.162) Böhm gibt einen weiteren Aspekt zu bedenken, der unter Berücksichtigung des Globalisierungs-prozesses keinesfalls außer Acht gelassen werden sollte:

Zwar wird der Ausgewiesene keine Gefahr mehr für den Staat darstellen, in dem er seine Straftaten begangen hat – vorausgesetzt eine illegale Einreise kann verhindert werden –, aber seine soziale Situation wird verschlechtert, so daß er in dem Staat, in den er ausgewiesen wird, ein erhöhtes kriminelles Risiko darstellt. (Böhm 1983, S.131)

3 Initiativen zur weltweiten Integration straffällig gewordener Menschen in die Gesellschaft

3.1 Die Gefährdetenhilfe Scheideweg

Die GFH Scheideweg ist eine seelsorgerlich ausgerichtete Arbeitsgemeinschaft von Christen verschiedener Konfessionen. Das Ziel ihrer Arbeit ist die Wiedereingliederung von Straffälligen, Strafentlassenen und gefährdeten jungen Menschen in die Gesellschaft. Die MitarbeiterInnen sind dabei auf der Grundlage der persönlichen Erfahrung der Liebe Gottes tätig.

Seit fast 30 Jahren ist die GFH Scheideweg als Verein organisiert[11]. Der anerkannte Träger der freien Jugendhilfe ist dem Diakonischen Werk im Rheinland als Spitzenverband zugeordnet. Die Initiative wurde 1971 durch eine Einladung des Gefängnispfarrers der JVA Siegburg/Nordrhein-Westfalen ins Leben gerufen: Eberhard Bornemann bat damals eine Gruppe junger Christen aus Scheideweg[12] einen Gottesdienst im Gefängnis zu gestalten. Aus diesem ersten Besuch entwickelte sich durch das anhaltende Interesse der Inhaftierten eine rege Kontaktgruppenarbeit. Es entstand eine Besuchergruppe, die regelmäßig zu Gesprächen in die JVA fuhr und Kontakte zu den Gefangenen aufbaute. Bald sahen sich die MitarbeiterInnen mit der Frage konfrontiert, was aus den Gefangenen nach deren Entlassung werden würde. In Gesprächen mit den Betroffenen wurde deutlich, dass straffällig Gewordene zu einem erheblichen Teil auf sich allein gestellt und durch die Stigmatisierung als ehemalige Häftlinge zusätzlichen Problemen ausgesetzt sind, was sich beispielsweise in der oft erfolgslosen Suche nach einer Wohnung und einem Arbeitsplatz widerspiegelt.

Den jungen Christen wurde klar, dass ein konsequentes christliches Engagement im Strafvollzug die Fortsetzung der entstandenen Beziehungen nach Beendigung der Strafhaft nötig machen würde (vgl. GFH Scheideweg e.V. 1998, S.27). So entstand der Gedanke Wohngemeinschaften aufzubauen. Im Jahr 1978 begann mit dem Erwerb des ersten Wohnhauses in Scheideweg eine Arbeit, die sich bis zum heutigen Tag weiter ausdehnt und auf immer größeren nationalen und internationalen Zuspruch stößt.

Inzwischen gibt es für Hilfesuchende 13 Wohngemeinschaften von der GFH Scheideweg (vgl. GFH Scheideweg e.V. 2003, S.3). Diese Wohngemein-schaften haben den Charakter einer Familie, in die straffällig gewordene und drogenabhängige junge Menschen integriert werden. Den Kern bildet das Hauselternehepaar, das von jungen MitarbeiterInnen aus nicht-kriminellem Hintergrund unterstützt wird. Durch das gemeinsame Leben entsteht für den gefährdeten Menschen die Möglichkeit, neue Bezugssysteme aufzubauen, persönliche Defizite aufzuarbeiten und seine Kräfte zu einer selbständigen Lebensbewältigung zu stärken.

Neben der Integration in eine Familie sollen dem Betroffenen die Aufnahme einer Berufsausbildung beziehungsweise der Wiedereinstieg ins Berufsleben ermöglicht werden. Vor diesem Hintergrund erfolgte ab 1984 die Gründung von gemeinnützigen Zweckbetrieben. Diese dienen der beruflichen Wiedereingliederung der gefährdeten Menschen und bilden die Grundlage für deren Vermittlung in ein neues Ausbildungs- oder Arbeitsverhältnis.

Die GFH Scheideweg versteht sich nicht als eine Therapieeinrichtung, sondern als eine christliche Lebenshilfe, die gefährdeten jungen Menschen offen steht, unabhängig von deren nationaler, weltanschaulicher oder sozialer Herkunft. Zu den konzeptionellen Grundentscheidungen zählen seit dem Beginn der Arbeit unter anderem die missionarische Diakonie[13] und das Prinzip der Ehrenamtlichkeit.

Ein zentrales Ziel der Arbeit ist es, dass der ehemals Straffällige soziales Leben in seiner Umwelt lernt und ein tragfähiges Beziehungsnetz aufbaut, das ihm ein eigenständiges und straffreies Leben in der Gesellschaft ermöglicht. Eine erfolgreiche Integration ins Erwerbsleben ist von ebenso großer Bedeutung. Darüber hinaus soll den gefährdeten jungen Menschen das Angebot gemacht werden, ein Leben in einer persönlichen Beziehung zu Jesus Christus zu beginnen. Die christliche Orientierung stellt für viele Betroffene ein wichtiges Motiv für einen dauerhaften Ausstieg aus der Kriminalität oder Sucht dar (vgl. GFH Scheideweg e.V. 1998, S.37). Das Wissen um die Liebe Gottes zu jedem Menschen und seine Bereitschaft zur Vergebung von Schuld kann Befreiung schenken und neues Leben möglich machen. Hier spiegelt sich ein grundlegender Aspekt der christlichen Arbeit wider, der in einer Aussage von Friedel Pfeiffer, dem Gründer der GFH Scheideweg, besonders zum Ausdruck kommt: "Als Christen wissen wir, dass auch ein Straftäter in Gottes Augen ein `kostbarer Edelstein` ist; er besitzt einen unverlierbaren Wert." (BSDG e.V. 2003, S.65) Ausgehend von diesem Hintergrund versuchen die MitarbeiterInnen der GFH Scheideweg, mit ihrem eigenen Leben den straffällig gewordenen jungen Menschen Orientierung zu geben.

3.2 Die BSDG und IACPR

Die GFH Scheideweg hat sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene Modellcharakter. Angeregt durch ihre Arbeit entstanden im In- und Ausland bisher insgesamt 27 Partnerorganisationen (vgl. GFH Scheideweg e.V. 2003, S.9), die zwar eng mit der GFH Scheideweg verbunden sind, jedoch personell und organisatorisch selbständig arbeiten. Über jährliche internationale Kontakttreffen der verschiedenen Gefährdetenhilfen und über Schulungen bei der GFH Scheideweg bleibt ein lebendiger Austausch untereinander erhalten. Im Mai 1994 wurde die "Bundesarbeitsgemeinschaft seelsorgerlich-diakonischer Gefährdetenhilfen (BSDG) e.V." gegründet, um gemeinsam Perspektiven für die christliche Straffälligenhilfe zu entwickeln. Die BSDG dient sowohl der Stärkung der einzelnen Vereine bei der Wahrnehmung ihrer diakonischen Aufgaben als auch dem Aufbau neuer Gefährdetenhilfevereine. Durch Publikationen sollen die Inhalte und Erfahrungen aus dieser Arbeit der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden (vgl. GFH Scheideweg e.V. 1995, S.87+113).

Besondere Bedeutung kommt den Kontakten ins Ausland zu. In der Absicht, über die bundesdeutschen Grenzen hinaus Hilfe zu leisten, wurde im Oktober 1997 die "International Association of Christian Charitable Prison und Rehabilitation Ministries" (IACPR) ins Leben gerufen. Es handelt sich dabei um den Verband der seelsorgerlich-diakonischen Gefährdetenhilfe-Vereine, der sich bisher in folgenden Ländern engagiert: Brasilien, Uganda, Ghana, Südafrika, Kenia, Schweiz, Österreich, Polen, Ungarn, Ukraine, Tschetschenien, Indien, Mongolei und Russland. Infolge regelmäßiger Missionseinsätze entstanden in einzelnen dieser Länder[14] eigenständige Gefährdetenhilfen. Der rege gegenseitige Austausch bildet eine wesentliche Grundlage für die Bemühungen um eine Internationalisierung der Straffälligenhilfe.

3.3 Die Internationalisierung der Straffälligenhilfe

Seit einigen Jahren beschäftigt sich die GFH Scheideweg mit der Frage, ob und in welcher Weise die Rückkehr abzuschiebender Gefangener in ihr Ursprungsland vorbereitet werden kann. Den diesbezüglichen Überlegungen liegt unter anderem der folgende Gedanke zugrunde: "Wer in Deutschland straffällige Ausländer ohne jede Perspektive in ihre Heimat zurückschiebt, sollte nicht zu erstaunt sein, dieselben Menschen bald wieder in Deutschland zu treffen." (GFH Scheideweg e.V. 1998, S.38) Die Wahrscheinlichkeit einer illegalen Wiedereinreise in die Bundesrepublik erhöht sich in einem solchen Fall beträchtlich. Eine erneute Inhaftierung ist oftmals die unmittelbare Folge. Laut Bechtold sind viele Haftplätze nur belegt, „weil ein Großteil der Insassen bei seiner letzten Haftentlassung weder über soziale Bindungen, noch über einen Arbeitsplatz verfügte und deshalb erneut straffällig wurde.“ (Bechtold 1989, zitiert nach Menil 1995, S.196) Hier wird ein Kreislauf deutlich, den es zu durchbrechen gilt.

Eine Internationalisierung der Straffälligenhilfe gewinnt zunehmend an Bedeutung. Im Zuge der Globalisierung hat eine Internationalisierung sowohl der Verfolgung von Straftaten als auch des Strafvollzugs stattgefunden. "In einer zusammenwachsenden Welt erscheint es daher erforderlich, nicht nur die Strafverfolgung, sondern auch die Straffälligenhilfe international zu organisieren und Erfahrungen auszutauschen." (GFH Scheideweg e.V. 1995, S.111) Auch unter Beachtung der fehlenden Integrationsvorbereitungen in den Herkunftsländern wird ein Handlungsbedarf deutlich. Die Mitgliedsvereine der BSDG und der IACPR haben durch ihre grenzüberschreitenden Kontakte bisher in Einzelfällen wichtige Hilfe leisten können, indem sie ausländische Inhaftierte aus deutschen Gefängnissen in Angebote von Gefährdetenhilfe-Vereinen ihrer Ursprungsländer vermittelten. Sie suchen für das zukünftige Vorgehen verstärkt nach Möglichkeiten, in Zusammenarbeit mit den Herkunftsländern Perspektiven für die Betroffenen entwickeln zu können. "Gerade Deutschland mit seinem – im internationalen Vergleich – hohen Anteil ausländischer Gefangener muss daran ein primäres Interesse besitzen und zum Motor grenzüberschreitender Zusammenarbeit werden." (BSDG e.V. 2003, S.81) Die BSDG kooperiert über die IACPR bereits mit Organisationen in Afrika, Asien, Südamerika und verschiedenen osteuropäischen Ländern. Die Hilfen, die für einzelne Betroffene bisher geleistet werden konnten, reichen von der Begleitung bei der Reise in den zukünftigen Aufenthaltsstaat über die Aufnahme in eine lokale diakonische Wohngemeinschaft und die Vermittlung von Wohnung und Arbeit bis hin zur Klärung rechtlicher Rückkehrvoraussetzungen (vgl. a.a.O.).[15]

Nach einer Umfrage der BSDG unter den deutschen Landesjustizministerien im Juni 2001 kann von jährlich ungefähr 7.000 Gefangenen ausgegangen werden, die aus Straf- und Untersuchungshaft abgeschoben werden (vgl. BSDG e.V. 2001, S.1). Im Zusammenhang mit §2 StVollzG, der die Befähigung des Gefangenen "zu einem verantwortlichen und straffreien Leben in Freiheit" als Vollzugsziel benennt, findet sich der Hinweis, dass dies „auch für Strafgefangene fremder Nationalität (gilt).“ (Schwind/Böhm 1999, S.65) Aus dem §74 StVollzG geht weiterhin hervor, dass dem Betroffenen bei der Suche nach "Arbeit, Unterkunft und persönliche(m) Beistand für die Zeit nach der Entlassung" zu helfen ist. Für den abzuschiebenden Häftling bedeutet dies, dass er Zugang zu entsprechenden Kontakten und Möglichkeiten in seinem zukünftigen Aufenthaltsstaat haben muss. Die Realität zeigt jedoch, dass solche Hilfen für eine erfolgreiche Integration des ausländischen Haftentlassenen weitgehend fehlen. An dieser Stelle empfiehlt die GFH Scheideweg, die bereits bestehende internationale Zusammenarbeit mit den Wohlfahrtsverbänden und der Justiz auszubauen (vgl. BSDG e.V. 2003, S.81). Hier findet gleichzeitig die Tatsache Beachtung, dass die Strafanstalt mit ihrer Aufgabe der Entlassungsvorbereitung keine so "langen Arme" haben kann, um auch in afrikanische oder asiatische Länder reichen zu können, was die Einschaltung freier Träger und ehrenamtlicher Helfer nötig macht.

Auf dieser Grundlage wurde auf dem Internationalen Gefährdetenhilfeforum 2001 in Lindau ein Positionspapier entworfen, das in einem nächsten Schritt dem nordrhein-westfälischen Justizministerium vorgelegt wurde. Ein Augenmerk lag dabei auf der erforderlichen Mitwirkung von Bund, Ländern und Verbänden. Die internationale Zusammenarbeit von in der Straffälligenhilfe tätigen Institutionen soll gefördert und transparent gemacht werden (vgl. BSDG e.V. 2001, S.2f.). Dieses Anliegen der BSDG wird vom Justizministerium ausdrücklich befürwortet.

Die Internationalisierung der Straffälligenhilfe war auch auf dem 17. Gefährdetenhilfeforum 2002 in Visegrád/Ungarn von maßgebender Bedeutung. Sie wurde zu einem Schwerpunktthema der zukünftigen Arbeit der BSDG erklärt. Projektziele sind

- die Erfassung bereits bestehender Kooperationen zwischen deutschen oder anderen europäischen und ausländischen Institutionen der Straffälligenhilfe,
- der Aufbau neuer Kontakte zu entsprechenden ausländischen Organisationen, insbesondere in die Länder, in die sehr häufig abgeschoben wird und
- der Aufbau einer Internet-Datenbank, die unter anderem wesentliche Informationen zu Möglichkeiten der sozialen Begleitung abzuschieben-der Gefangener bereitstellt. (Vgl. BSDG e.V. 2003, S.83f.)

Die Mitgliedsvereine der BSDG und der IACPR haben mit der Umsetzung dieser Ziele bereits begonnen. "Die Gefährdetenhilfevereine verstehen ihr Engagement dabei als Beitrag zu einem Prozess der Internationalisierung von Straffälligenhilfe, der das Engagement vieler gesellschaftlicher Kräfte erfordert." (a.a.O., S.84)

Das Anliegen der GFH ist es, dass von Abschiebung bedrohte Häftlinge eine Perspektive in ihrem Ursprungsland erhalten. Aus ihren bisherigen Erfahrungen wissen die MitarbeiterInnen, dass es sich bei den Betroffenen in vielen Fällen um Menschen handelt, die ihren Lebensmittelpunkt in Deutschland aufgebaut haben und teilweise ausschließlich die deutsche Sprache sprechen, weil sie entweder in der Bundesrepublik geboren oder als Kleinkinder nach Deutschland gekommen sind.

Ziel der GFH ist es, dass abgeschobene Gefangene direkt am Flughafen ihres Heimatlandes in Empfang genommen werden und eine Hilfe zur Wiedereingliederung in ihr Heimatland erhalten. Zu diesem Zweck sollen grenzüberschreitende Kooperationen entstehen, die eine Integration der Betroffenen in ihrem Herkunftsland erleichtern. Es wird die Schaffung eines flächendeckenden Netzes von internationalen Kontaktpersonen angestrebt, um dem Betroffenen einen Ansprechpartner in seiner früheren Heimat vermitteln zu können. Für den von der Abschiebung bedrohten Gefangenen bedeutet solches Wissen um eine Zukunftsperspektive eine erhebliche Entlastung.

Träger des Projektes "Internationalisierung der Straffälligenhilfe" ist die GFH Scheideweg in Verbindung mit der BSDG. Angesichts der umfangreichen Aufgabenstellung wurde vorerst ein zweijähriger Projektzeitraum veranschlagt. Über die schon angesprochene Internet-Datenbank sollen aktuelle und zentrale Informationen zu Eingliederungsmöglichkeiten und Kontaktadressen für abzuschiebende Häftlinge in den entsprechenden Herkunftsländern abrufbar sein. Zielgruppe der Datenbank sind neben MitarbeiterInnen des Strafvollzugs und der Ausländerbehörden die Wohlfahrtsverbände und ehrenamtlich engagierte BürgerInnen. Sie soll unter dem Aspekt der Internationalität nach Möglichkeit dreisprachig geführt werden (deutsch, englisch und französisch) und die NutzerInnen dazu animieren, eigene Informationen und Hinweise dort zur Verfügung zu stellen. Ein Terminkalender, ein "Schwarzes Brett", ein Diskussionsforum, Downloadangebote und ein Linkverzeichnis sind für die Initiatoren als weitere Elemente dieses Angebotes denkbar.[16]

[...]


[1] Erst im Jahre 1975 führte ein Urteil des BVerfG dazu, dass das seit 1913 geltende Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz dahingehend geändert wurde, dass man Deutscher mit Geburt wurde, wenn ein Elternteil deutsch war. In der Zeit zuvor erhielt das Kind immer die Staatsangehörigkeit des Vaters.

[2] siehe beispielsweise Schäfer/Sievering (1984) und Albrecht/Pfeiffer (1979)

[3] das heißt Ausländer, die eine Abschiebung erlebt haben

[4] BSDG = Bundesarbeitsgemeinschaft seelsorgerlich-diakonischer Gefährdetenhilfen. Eine Vorstellung des Vereins findet sich in Kapitel 3.2.

[5] IACPR = International Association of Christian Charitable Prison and Rehabilitation Mininstries. Eine Vorstellung des Verbandes findet sich in Kapitel 3.2.

[6] Die Ausweisungsverfügung ist der Verwaltungsakt, der den Ausländer zum Verlassen der Bundesrepublik auffordert. Wenn der Betreffende dem nicht freiwillig nachkommt, findet die Ausreisepflicht in der Abschiebung ihre Umsetzung. Die Abschiebung stellt somit den Vollzug der Ausweisungsverfügung dar.

[7] Spezialprävention ist der „Versuch, künftige Straftaten eines Straffälligen durch bestimmte Maßnahmen (z.B. Resozialisation) zu verhüten“ (vgl. Duden 1997, S.763).

[8] Generalprävention meint die „allgemeine Abschreckung von der Neigung zur strafbaren Tat durch Strafandrohung“ (vgl. Duden 1997, S.287).

[9] Unter http://www.gefaehrdetenhilfe.de/pages/227_williams.cfm (Stand: 26.09.2003) findet sich die exemplarische Darstellung eines Einzelfalles.

[10] bezüglich der Sprache des Herkunftslandes

[11] Vereinsgründung im Jahr 1975

[12] Vorort von Hückeswagen im Oberbergischen Kreis, zwischen Köln und Wuppertal

[13] "Mission (das Weitersagen der Guten Nachricht von Jesus Christus) und Diakonie (die christlich motivierte, praktische Nächstenliebe) sind in der Arbeit der Gefährdetenhilfe untrennbar miteinander verbunden." (GFH Scheideweg e.V. 1995, S.49)

[14] Brasilien, Kenia, Polen, Ungarn, Indien und Mongolei

[15] Ein Beispiel der GFH Scheideweg für die Rückkehrvorbereitung eines indischen Gefangenen: "So zum Beispiel im Kontakt mit Ohm, der mehrere Monate eine Gefährdetenhilfe-Kontaktgruppe im Strafvollzug besuchte. (...) Seine Abschiebung stand bevor, und so wurden indische Freunde durch die deutschen Gefährdetenhilfe-Mitarbeiter informiert. Als Ohm dann tatsächlich abgeschoben wurde, holten ihn die ebenfalls ehrenamtlich in der Straffälligenhilfe engagierten indischen Christen am Flughafen in Delhi ab und halfen ihm, in Poona ein College-Studium zu beginnen und neue Freunde zu finden. Und sie hielten während und nach dem Studium Kontakt zu ihm. Zu seinen Eltern hatte Ohm jeden Kontakt verloren." (GFH Scheideweg e.V. 1998, S.51)

Im Februar 2003 war ein Team der GFH Scheideweg zu einem dreiwöchigen Besuch in Indien. Sie konnten ein Treffen mit Ohm arrangieren, der mittlerweile Familienvater und Pastor einer Kirche in Bombay ist (vgl. Neuschäfer 2003, S.2).

[16] Die Datenbank ist seit November 2002 unter http://www.integrate-international.org im Internet präsent und lässt während der Aufbauphase zunächst die Projektentwicklung für alle Interessenten nachvollziehbar werden.

Ende der Leseprobe aus 201 Seiten

Details

Titel
Lebenswelt von Abschiebung bedrohter Gefangener - Eine empirische Studie
Hochschule
Hochschule Zittau/Görlitz; Standort Görlitz
Note
1,3
Autor
Jahr
2003
Seiten
201
Katalognummer
V109055
ISBN (eBook)
9783640072408
Dateigröße
1146 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Lebenswelt, Abschiebung, Gefangener, Eine, Studie
Arbeit zitieren
Ina Bonk (Autor:in), 2003, Lebenswelt von Abschiebung bedrohter Gefangener - Eine empirische Studie, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/109055

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Titel: Lebenswelt von Abschiebung bedrohter Gefangener - Eine empirische Studie



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