Die aristotelische Tragödienstruktur in Gotthold Ephraim Lessings Trauerspiel Emilia Galotti


Hausarbeit, 1998

10 Seiten, Note: 2


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Vorbemerkung

1. „Ich gebe zu, daß Sie dem Prinzen unbedingtern Gehorsam schuldig wären. Ich aber nicht.“

2. Die Exposition „Bei Gott! Wie aus dem Spiegel gestohlen.“

3. Die Steigerung „Wohl mir! Wohl mir! Jetzt bin ich in Sicherheit.“

4. Der Höhepunkt „Zu ihren Füßen, gnädiger Herr.“

5. Die fallende Handlung „Der Prinz ist ein Mörder.“

6. Die Katastrophe „Eine Rose gebrochen, ehe der Sturm sie entblättert“

Bibliographie

Vorbemerkung:

Ziel der Hausarbeit ist es, den aristotelischen Dramenaufbau in Lessings „Emilia Galotti“ darzustellen. Ich widme mich dabei jedem der fünf Teile eines Dramas mit einem Kapitel meiner Arbeit. Da es mir wichtig erscheint, gehe ich in der Einführung kurz auf die Zeit, in der das Stück spielt, und die verschiedenen Personen ein.

1. „Ich gebe zu, daß Sie dem Prinzen unbedingtern Gehorsam schuldig wären. Aber nicht ich.“ (II,10)

Lessings „Emilia Galotti zählt zu den klassischen geschlossenen Dramen, an denen sich der aristotelische Dramenaufbau untersuchen läßt. Die erzählte Geschichte über die Heldin des Dramas, Emilia Galotti, spielt in der spätabsolutistischen Gesellschaft des 18. Jahrhunderts. Kernpunkt des Stückes sind die problematisierten Gegensätze zwischen einem absolutistischen Herrscher, der die gesamte Staatsmacht verkörpert, und des Adels, der von ihm Abhängig ist. Die Personen in Lessings Stück verkörpern verschiedene Parteien in der spätabsolutistischen Gesellschaft.

Emilia und ihre Eltern gehören dem Landadel an, der untersten gesellschaftlichen Stufe innerhalb des Adels. Odoardo Galotti ist, wie viele andere, gezwungen, sich als Oberst abhängig von der Gunst des Fürsten zu machen, um den sozialen Abstieg seiner Familie, beziehungsweise die Gleichstellung mit dem Bürgertum, zu verhindern. Der Prinz wird zuerst als ein Mensch mit Gefühlen, ganz dem Idealbild des aufgeklärten Herrschers, dargestellt. Seine Gefühllosigkeit und Kälte, wie sie einen absolutistischen Herrscher charakterisiert, wird später offenbar, als er seinen Kammerherren Marinelli beauftragt, Emilias Heirat zu verhindern. Marinelli wird somit zum eigentlichen Antagonisten des Stückes. Im Auftrag des Prinzen, der sich dadurch letztendlich an der Tragödie mitschuldig macht, spinnt er die Intrigen. Angelo wird zu Marinellis Werkzeug. Im Gegensatz dazu steht der aufgeklärte Rat Camillo Rota, der den Prinzen ein Todesurteil nicht ohne Prüfung des Falles unterschreiben läßt. Der Gegenspieler des Prinzen, Graf Appiani, zählt zum Adel, der vorabsolutistische Werte vertritt und sich nicht vom Hof abhängig machen läßt:

„Ich gebe zu, daß sie dem Prinzen unbedingtern Gehorsam schuldig wären. Aber nicht ich. – Ich kam an seinen Hof als ein Freiwilliger. Ich wollte die Ehre haben, ihm zu dienen, aber nicht sein Sklave werden. Ich bin der Vasall eines größern Herrn.“ (II,10)

Appiani verbindet somit die Tugenden des vorabsolutistischen Adels mit den moralischen Prinzipien der Aufklärung.

2. Die Exposition

„Bei Gott! Wie aus dem Spiegel gestohlen!“(I,4)

Der Leser (oder Zuschauer) des Stückes erfährt in der Einleitung (Exposition), um welches Problem sich die Handlung des Stückes dreht. In der „Szene der Exposition“ (Freytag) bringt der Maler Conti zwei Gemälde dem Prinzen zur Ansicht. Eines davon ist das Auftrags-Portrait von der Gräfin Orsina, der Mätresse des Prinzen. Auf dem anderen erblickt der Prinz Emilia Galotti, die er schon einmal getroffen hatte. Die Person Conti tritt im Übrigen nur im ersten Aufzug auf. Das Kernproblem des Stückes: Der Prinz hat sich in Emilia verliebt. Noch im fünften Auftritt schwärmt er für sie, schon im ersten Auftritt wird deutlich, daß er sich in Emilia verliebt hat. Ein paar Zeilen darunter wird deutlich, daß seine bisherige Geliebte, die Gräfin Orsina, längst in Ungnade gefallen ist. Der „Einleitende Akkord“ nach Gustav Freytag ist an dieser Stelle zu finden.

Mit dem Ende des ersten Aufzuges ist die Exposition des Stückes längst nicht beendet. Sämtliche Personen, die nicht zur Umgebung des Prinzen gehören, wurden noch nicht vorgestellt. Auffällig ist aber, daß das erregende Moment schon im sechsten Auftritt des ersten Aktes liegt. Dort erfährt der Prinz nämlich von der bevorstehenden Heirat seiner Angebeteten:

„Nein, sag ich; das ist nicht, das kann nicht sein. – Sie irren sich in dem Namen. – Das Geschlecht der Galotti ist groß. – Eine Galotti kann es sein: aber nicht Emilia Galotti, nicht Emilia!“

„Sprich dein verdammtes ,Ebendie´ noch einmal und stoß mir den Dolch ins Herz!“

Kurz nach dieser schlechten Nachricht, im selben Auftritt, folgt die erste Intrige, welche die Handlung des Stückes in seine Bahnen lenkt. Der Prinz beauftragt Marinelli, alles zu tun, um die Heirat zu verhindern und läßt ihm dabei völlig freie Hand. Marinelli heckt die erste Intrige aus, eine Falle, die den Grafen Appiani dazu zwingt, die Hochzeit zu verschieben.

Marinelli. „Wollen Sie mir freie Hand lassen, Prinz? Wollen Sie alles genehmigen, was ich tue?“

Prinz. „Alles, Marinelli, alles, was diesen Streich abwenden kann.“

Dieser Dialog, die zweideutige Frage des Marinelli und das darauf folgende rasche Handeln der beiden erzeugt schon jetzt Spannung. Im siebten Auftritt, in dem der Prinz alleine beschließt, Emilia Galotti in der Messe der Dominikaner aufzusuchen, beginnt die erste Steigerung des Stückes. Doch die Exposition ist erst zur Hälfte vorüber, wenn man davon ausgeht, daß die Exposition erst dann beendet ist, wenn alle Personen des Stückes vorgestellt wurden.

3. Die Steigerung

„Wohl mir! Wohl mir! Jetzt bin ich in Sicherheit!“ (II,6)

In einigen einleitenden Szenen werden im zweiten Aufzug die Eltern der Dramenheldin und sie selbst vorgestellt. Eine weitere Steigerung erhält das Drama, als Emilia von der Kirche zurückkommt und ihrer Mutter vom Zusammentreffen mit dem Prinzen erzählt:

„Es klagte, daß dieser Tag, welcher mein Glück mache – wenn er es anders mache – sein Unglück auf immer entscheide.“ (II,6)

Die Handlung steigert sich weiter, als der Graf berichtet, Freunde hätten ihm geraten, dem Prinzen seine Hochzeit mitzuteilen (II,8). Im zehnten Auftritt des zweiten Aufzuges findet die erste Intrige statt, es kommt zum Streit zwischen Marinelli und dem Grafen Appiani. Appiani weigert sich, die Hochzeit zu verschieben:

„So tut es mir leid, daß ich die Ehre, welche der Prinz mir zugedacht, verbitten muß.“ (II,10)

Die von Marinelli im Auftrag des Prinzen ausgeheckte Intrige ist somit fehlgeschlagen.

4. Der Höhepunkt

„Zu ihren Füßen, gnädiger Herr“ (III,5)

Auch zu Beginn des dritten Aufzuges setzte Lessing eine einleitende Szene. Der Prinz scheint kein Glück zu haben, er will es kaum glauben, als Marinelli berichtet, daß seine Intrige fehlgeschlagen ist:

„Und so bleibt es dabei? So geht es vor sich? So wird Emilia noch heute die Seinige?“ (III,1)

In der folgenden Szene wird durch den Bericht Angelos deutlich, daß die Befürchtung des Prinzen durch den Überfall nicht bewahrheitet wird. Der ungewollte Tod des Grafen Appiani dramatisiert jedoch die Handlung. Die Gipfelszene in der Mitte des dritten Aufzuges beginnt, als Emilia in das Lustschloß eintritt. Seinen Höhepunkt findet das Stück im fünften Auftritt, in dem Emilia dem Prinzen zu Füßen fällt und der Prinz sich für dein Verhalten in der Messe entschuldigt:

„Ich bin äußerst beschämt. - Ja, Emilia, ich verdiene diese stummen Vorwurf. - Mein Betragen diesen Morgen ist nicht zu rechtfertigen: - zu entschuldigen höchstens.“ (III,5)

Das tragische Moment findet man gegen Ende des dritten Aufzuges als Übergang in die fallende Handlung. Im siebten Auftritt verlangt Claudia, die Mutter Emilias, zu ihrer Tochter gebracht zu werden. Angesichts des letzten Wortes des Grafen Appiani, der im letzten Atemzug „begleitet mit einer Verwünschung“ den Namen des Marchese Marinelli nannte, ahnt Claudia, was sich zugetragen hat. Sie reimt sich die Geschehnisse zusammen und kommt zu dem Schluß, daß Marinelli, den sie Kuppler und Mörder nennt, hinter dem Überfall steckt:

„Ha, Mörder! Feiger, elender Mörder! Nicht tapfer genug, mit eigner Hand zu morden, aber nichtswürdig genug, zu Befriedigung eines fremden Kitzels zu morden! – morden zu lassen! – Abschaum aller Mörder! – Was ehrliche Mörder sind, werden dich unter sich nicht dulden!“ (III,8)

Die Peripetie, also das Umschlagen der Glücksumstände der Heldin, liegt schon im zweiten Auftritt des dritten Aktes, als bekannt wird, daß der Graf tot ist. Das Glück Emilias wendet sich an dieser Stelle unumkehrbar. Angelo, der das Werkzeug für Marinellis neue Intrige ist, berichtet dies dem Kammerherrn:

Marinelli. „Geschwind sage mir, was du mir zu sagen hast! – ist er tot?“

Angelo. „Es tut mir leid um den guten Herrn.“ (III,2)

5. Die fallende Handlung

„Der Prinz ist ein Mörder!“ (IV,5)

In der Einleitungsszene verurteilt der Prinz das Vorgehen seines Kammerherrn und vor allem den Tod des Grafen, beide Streiten sich um die Schuldfrage. In den darauffolgenden Szenen, geschieht etwas ungewöhnliches, das eigentlich nicht in den aristotelischen Dramenaufbau paßt: Eine neue Person tritt auf. Zwar wurde die Gräfin Orsina schon im ersten Aufzug quasi angekündigt - der Zuschauer oder Leser weiß, wer sie ist - dennoch war sie zuvor noch nicht sichtbar. Sie wurde durch ihr Portrait „in Abwesenheit“ vorgestellt. Ihr plötzliches Auftreten hat eine bestimmte Funktion: Sie leitet gegen Ende des vierten Aufzuges den Untergang der Heldin ein. Zuvor jedoch spielen sich die Szenen kurz nach ihrer Ankunft im Lustschloß ab, die den Untergang der Heldin im Stück verzögern. Das Gespräch Orsinas mit Marinelli über Zufall oder Absicht des Treffen mit dem Prinzen in seinem Lustschloß wird zum retardierenden Moment des Stückes.

Die Gräfin wird in der zweiten Hälfte des vierten Aufzuges zur Gegenspielerin des Prinzen und ersetzt damit den gestorbenen Grafen. Orsina macht Publik, was im vorherigen Aufzug schon Claudia vermutete: Der Prinz steckt hinter dem Mord. Indem sie es Odoardo berichtet und ihm den Dolch gibt, macht sie ihn zu ihrem Werkzeug gegen den Prinzen:

Odoardo. „Da steh ich nun vor der Höhle des Räubers. Wunder, daß ich aus Eilfertigkeit nicht auch die Hände zurückgelassen!

Orsina. Ha, ich verstehe! – Damit kann ich aushelfen! – Ich hab einen mitgebracht Da nehmen Sie!“ (IV,7)

6. Die Katastrophe

„Eine Rose gebrochen, ehe der Sturm sie entblättert.“ (V,8)

Die fallende Handlung setzt sich noch im fünften Aufzug fort. Die Auftritte, in denen Odoardo, Marinelli und der Prinz um den künftigen Verbleib von Emilia diskutieren, bilden den letzten Teil der fallenden Handlung. Odoardo wird im fünften Auftritt durch das geschickte Vorgehen Marinellis in eine ausweglose Lage gedrängt, denn einer kommenden gerichtlichen Untersuchung des Überfalls durch den Prinzen kann sich Odoardo nicht entgegensetzen. Er muß wohl oder übel gute Miene zum bösen Spiel machen und weiß sehr wohl, daß das er seine Tochter nicht mehr aus den Fängen des Prinzen befreien kann.

„Das Spiel geht zu Ende. So oder so!“ (V,6)

Im sechsten Auftritt zweifelt er sogar an seiner Tochter. Dieser Zweifel wird jedoch in der nächsten Szene ausgeräumt. Zum Ende des siebten Auftrittes kommt es, nach einer langen Unterredung zwischen Odoardo und Emilia, zur Katastrophe: Odoardo sticht Emilia den Dolch in die Brust. Nicht weil er ihren Tod gewünscht hätte, sondern weil sie den Freitod wählte. Odoardo wollte sie durch seine Tat vor der Schande (Selbstmord ist ein Sünde) bewahren.

Emilia. „Ehedem gab es wohl einen Vater, der seine Tochter von der Schande zu retten, ihr den ersten, den besten Stahl in das herz senkte – ihr zum zweiten Male das Leben gab. Aber solche Taten sind von ehedem! Solcher Väter gibt es keinen mehr!“

Odoardo. „Doch, meine Tochter, doch! – Gott, was hab ich getan!“

Emilia. „Eine Rose gebrochen, ehe der Sturm sie entblättert. – Lassen Sie mich küssen, diese väterliche Hand.“ (V,7)

Bibliographie

Primärliteratur:

- Lessing, Gotthold Ephraim: Emilia Galotti. Stuttgart: Reclam 1994

Sekundärliteratur:

- Freytag, Gustav: Die Technik des Dramas. In: Gustav Freytag, Gesammelte Werke. Neue wohlfeile Ausgabe 1. Serie, Band 2. Leipzig/Berlin

- Lützeler, Paul Michael: Geschichte in der Literatur. Studien zu Werken von Lessing bis Hebbel. München: Piper 1986.

Ende der Leseprobe aus 10 Seiten

Details

Titel
Die aristotelische Tragödienstruktur in Gotthold Ephraim Lessings Trauerspiel Emilia Galotti
Hochschule
Eberhard-Karls-Universität Tübingen
Veranstaltung
Einführung in die NDL
Note
2
Autor
Jahr
1998
Seiten
10
Katalognummer
V109214
ISBN (eBook)
9783640073955
Dateigröße
348 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Tragödienstruktur, Gotthold, Ephraim, Lessings, Trauerspiel, Emilia, Galotti, Einführung
Arbeit zitieren
Karsten Dyba (Autor:in), 1998, Die aristotelische Tragödienstruktur in Gotthold Ephraim Lessings Trauerspiel Emilia Galotti, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/109214

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