Inhalt
1. Einleitung
2. Der Wandel des Staates vom Mittelalter zur Frühen Neuzeit
3. Machiavellis Bild vom Staat
4. Schluss
5. Literatur
1. Einleitung
Nicocolò Machiavelli (1469-1527) lebte in einer politisch unruhigen Zeit. Im 14. bis frühen 16. Jahrhundert prägten in Norditalien Kriege das Leben der Menschen. Ähnlich dem 30-jährigen Krieg in Deutschland im 17. Jahrhundert (1618-1648), trugen die europäischen Großmächte im 15. und 16. Jahrhundert ihre Kämpfe auf Norditalienischem Boden aus. Dabei kämpften die französischen Savoyen gegen die österreichisch/spanischen Habsburger. Daneben versuchte der Kaiser, seine übergeordneten Machtansprüche als oberste weltliche Instanz zu behaupten. Gleichzeitig wurde das Papsttum mehr und mehr in die weltlichen Kämpfe verstrickt. In diesen Zeitraum fällt auch eine Entwicklung, die als Niedergang der Päpste von der übergeordneten geistlichen Autorität zu italienischen Provinzfürsten bezeichnet wird[1]: Kardinäle und selbst Päpste wurden von den führenden italienischen Familien gekauft, ein System, das erst durch Reformation und Gegenreformation beendet wurde.
Florenz, die Heimatstadt Machiavellis, und die anderen norditalienischen Stadtstaaten wurden zu Spielbällen der europäischen Machtkämpfen. Nach einer Phase wirtschaftlichen Aufstiegs und damit einhergehenden Entwicklungen in Kunst, Kultur und Wissenschaft[2] waren die Stadtstaaten die Leidtragenden dieser europäischen Entwicklungen. Doch mit den schwerwiegenden Umbrüchen gingen auch zentrale Wandlungen des Weltbildes der Menschen einher. So stellten sie die göttliche Ordnung der Dinge in Frage und besannen sich auf antike Vorstellungen vom Menschen und den Formen des menschlichen Zusammenlebens. Damit entstand auch ein grundlegend gewandeltes Staatsverständnis in dieser Zeit.
In dieser Arbeit soll Machiavellis bekanntestes Werk „Der Fürst“ auf diese Änderungen hin untersucht werden. Wie beschreibt Machiavelli den Staat? Lässt sich bei ihm bereits ein modernes Staatsverständnisses finden? Dabei soll nicht die viel diskutierte Idee der „Staatsraison“[3] im Mittelpunkt der Untersuchung stehen, sondern tatsächlich sein Bild des Staates. Um dieser Frage nachzugehen, soll jedoch in einem ersten Schritt mit Hilfe der Sekundärliteratur untersucht werden, welches die zentralen Veränderungen sind, durch die der mittelalterliche zum modernen Staat wird.
2. Der Wandel des Staates vom Mittelalter zur Frühen Neuzeit
Niccolò Machiavelli beschrieb die Politik an diesem Wendepunkt zwischen Mittelalter und Früher Neuzeit. Für sie gab er Handlungsanweisungen für den Fürsten, wie ein Staat am besten zu lenken sei. Doch nicht nur politisch erlebte Europa und besonders Norditalien eine unruhige Zeit, gleichzeitig wandelten sich Menschenbild, Religiosität, Kunst und Wissenschaft. Mit dem veränderten Menschenbild stellte sich auch ein neues Verständnis von den Aufgaben des Staates und seiner Funktionen ein.
Der bisher als Verband von Personen angesehene Staat, in dem Staatszugehörigkeit gleichbedeutend war mit der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Personengruppe (z.B. polnische Adelsrepublik) wandelte sich zum institutionellen Flächenstaat. In ihm war die Zugehörigkeit zu einem Staat bestimmt durch Territoriale Grenzen, innerhalb derer bestimmte politische Institutionen allgemeine Gültigkeit besaßen. Beispielhaft für die neue politische Ordnung waren allerdings nicht die italienischen Stadtstaaten, auf die Machiavelli sich in erster Linie bezieht, sondern die entstehenden zentralistischen Staaten England, Frankreich und Spanien.[4] Diese Entwicklung zum modernen Staat nahm zu Machiavellis Lebzeiten ihren Ausgang, war aber erst einige Jahrhunderte später abgeschlossen und verlief auch nicht überall in Europa zeitgleich und in gleicher Form. Dennoch lassen sich fünf zentrale Institutionalisierungsbereiche benennen, die den Übergang vom mittelalterlichen zum modernen Staat kennzeichnen.[5]
Erstens bildete sich eine Bürokratie, die nach allgemeinen Grundsätzen arbeitete, unabhängig von der Person des Herrschenden. Bis zu diesem Zeitpunkt war es die Regel gewesen, dass ein Herrscher mit Hilfe von Adligen im Lehensystem regierte. Den Herrscher direkt unterstützen einige persönliche Vertraute, Minister und Schreiber. Die konkrete Verwaltung der Untertanen blieb den Adligen in ihrem jeweiligen Herrschaftsbereich überlassen, die wiederum einen Stab von persönlich zugeordneten Mitarbeitern hatten. Mit wachsender Macht des Herrschers und dem Zuschnitt des Staates auf seine Person entstand eine ihm unterstellte Bürokratie, die den gesamten Staat regierte. So musste der Fürst nicht mehr die Konkurrenz durch mächtige Adlige fürchten. Gleichzeitig wurde die Verwaltung von der Person des Herrschers entkoppelt, ein Wechsel an der Spitze des Staates hatte nicht mehr zwangsläufig den Austausch der Verwaltung und damit auch der Verwaltungsstruktur zur Folge. Somit entstand eine Art objektivierte Verwaltungsform, deren Regeln einigermaßen unabhängig vom Fürsten waren.
Ein zweiter Institutionalisierungsbereich bildete das Steuerwesen: Im Mittelalter erhob der Herrscher in seinem Gebiet „fallbezogene Sonderabgaben“[6] etwa für Kriegsausgaben oder spezielle Projekte. Darüber hinaus erhob er Zölle und Steuern auf bestimmte Produkte oder von bestimmten Personengruppen, wie die Salzsteuer, Zölle für durchreisende Händler und Wegezölle. Gleichzeitig waren die Untertanen unter Umständen auch noch einem Feudalherren tributpflichtig.[7] Dieses System wurde mit dem Übergang zur Neuzeit durch Steuern ersetzt, die regelmäßig nach bestimmten Kriterien auf Besitz und Einkommen erhoben wurden. In diesem Bereich waren die italienischen Stadtstaaten führend: Bereits im 15. Jahrhundert wurden dort solche Steuersysteme eingeführt. Dazu mussten Register angelegt und Einkommen und Besitz nach festen Regeln bemessen werden, um so die Steuern eines jeden einzelnen festsetzen zu können. In den Flächenstaaten gestaltete sich dieser Prozess aufwändiger, brachte aber nach Erfassung aller Untertanen erhebliche Mehreinnahmen.
Drittens ist die Entstehung einer modernen Diplomatie zu nennen, mit deren Hilfe nun Staaten, die sich als gleichberechtigt begriffen, miteinander kommunizierten. So konnten sie ihre jeweiligen Interessen gegeneinander abwägen und die Eskalation von Konflikten in Grenzen halten. In dieser neuen Form der Diplomatie zeigt sich auch ein gewandeltes Bild der Staatenwelt als Ganzes. War im Mittelalter die Vorstellung einer hierarchisch geordneten Welt[8] auch auf die Staaten und ihre Fürsten angewandt worden, zeigt sich nun die Idee des Gleichgewichts der Kräfte. Im Mittelalter gab es eine Hierarchie der Herrscher: Der Kaiser herrschte als oberste Instanz über das weltliche Reich. Ihm untergeordnet waren – in der Vorstellungswelt des Mittelalters, wenn auch nicht zwangsläufig in der realen Politik – die Könige, die zwar über ihren Herrschaftsbereich Macht besaßen, sich aber dem Kaiser als Friedensstifter und Streitschlichter unterzuordnen hatten. Ihnen wiederum untergeordnet waren Feudaladlige. In diesem System nahm der Papst die zweite übergeordnete Position ein, er war das geistliche Oberhaupt der christlichen Welt. Seinem Urteil in religiösen Belangen musste sich selbst der Kaiser beugen.[9] Diese ideelle Vorstellung von Hierarchie wird nun zugunsten von Verhandlungen zwischen gleichberechtigten, an realen Machtverhältnissen orientierten Staaten abgelöst.
Damit einher gingen viertens Veränderungen im Militärwesen. Die bisherigen Formen des Heeres, im Kriegsfall ausgehobene Feudalheere, Bürgermilizen oder bezahlte Söldner wurden abgelöst durch stehende Heere der verschiedenen Staaten. In sie flossen die Einnahmen aus dem reformierten Steuerwesen. Heere setzten sich nun meist aus speziell ausgebildeten Untertanen aus dem eigenen Staatsgebiet zusammen. So konnten die Staaten die im Gleichgewichtssystem der neu entstandenen Diplomatie geforderten objektiven Machtbeweise durch die Größe und Schlagkraft ihres jeweiligen Heeres unter Beweis stellen. Dabei gewannen die größeren Flächenstaaten auf Grund ihrer höheren Einwohnerzahlen und besseren finanziellen Möglichkeiten die Oberhand über die Stadtstaaten, die sich militärisch nun nicht mehr behaupten konnten.
Den fünften Institutionalisierungsbereich bildete das Rechtswesen. An Stelle einer personengebundenen Rechtssprechung durch Herrscher, Adlige, kirchliche Würdenträger oder städtische Institutionen – je nachdem in wessen Zuständigkeitsbereich der Fall lag – trat ein einheitliches Rechtswesen für den gesamten territorial definierten Staat. Es garantierte die Verbindlichkeit von Entscheidungen und Rechtssicherheit, die besonders auch für wirtschaftliche Entwicklung notwendig war. Ein Widerspruch gegen eine Entscheidung im Rahmen des Rechtssystems mit dem Herrscher als oberster Instanz wurde so zum Hochverrat. Die alleinige Entscheidungsgewalt über die Rechtssprechung und Gesetzgebung lag somit beim Herrscher, der daher auch willkürlich Gesetze kassieren konnte. Dennoch war durch die Herausbildung einer letzten Instanz eine größere Rechtssicherheit der Untertanen gegeben.
3. Machiavellis Bild vom Staat
Machiavellis erteilt im „Principe“ Lorenzo de’ Medici Handlungsanweisungen für die Führung eines Staates. Im Folgenden soll untersucht werden, um welche Art von Staat es sich in dieser Beschreibung handelt, ob der von Machiavelli beschriebene Staat eher noch ein mittelalterlicher oder bereits ein moderner Staat nach den fünf oben genannten Kriterien ist.
Bereits im Kapitel über die gemischte Fürstenherrschaft[10] zeigt sich ein grundsätzlich modernes Staatsverständnis Machiavellis. Der von ihm beschriebene Fürst welcher Art auch immer herrscht über einen Staat. Dieser Staat wird als ein bestimmtes Gebiet aufgefasst, in welchem Untertanen leben. Diese fügen sich (meistens) in die Herrschaft ihres Fürsten, auch wenn dieser als Person von einem anderen Machthaber ersetzt wird. Der Staat als solcher ist also nicht an die Person des Fürsten gebunden. Er herrscht zwar über das Territorium und seine Institutionen, aber Machiavelli beschwört ihn eindringlich, an überkommene Regeln des Staates anzuknüpfen und nicht mit dem Wechsel des Herrscherhauses auch einen Wandel der Lebensumstände der Untertanen herbeizuführen.
Grundsätzlich scheint Machiavelli sich also bereits von mittelalterlichen Staatsvorstellungen verabschiedet zu haben: Der Staat ist bei ihm eine von Menschen geformte Einheit, die unterschiedliche Formen annehmen kann. Herrschaft über ihn ist nicht gottgegeben, sondern durch verschiedenste Umstände, die er ausführlich beschreibt, erreicht. Ein Fürst kann entweder seinen Staat erben, zum Herrscher gewählt werden oder ihn mit Hilfe von virtú (Geschick) oder fortuna (Glück) erobern. Auch die Form, die ein Staat annimmt, ist von Menschen gemacht. Dies zeigt sich besonders in Machiavellis Beschreibung der Institutionen verschiedener Staaten.
Machiavelli beschreibt verschiedene Möglichkeiten, einen Staat zu führen[11]: Das Lehensystem, als Beispiel dient ihm Frankreich, und ein System, in dem alle untergeordneten Beamten direkt vom König abhängig sind, sie sind von seinen Gnaden eingesetzt. Hierfür zieht er die Türkei als Beispiel heran. In einem solchen System mit vom Herrscher abhängigen Beamten sei es einfacher, das Herrscherhaus auszutauschen, so Machiavelli, da die Beamten weiterhin dem Staat dienen müssten oder zumindest keine Möglichkeit – da keinen Rückhalt im Volk – hätten, gegen den neuen Fürsten zu kämpfen. Andererseits sei solch ein Staat schwieriger zu erobern, da in ihm keine einflussreichen Feinde des Königs zu finden seien, mit denen sich ein Eroberer verbünden könnte.
Hier deutet Machiavelli die Entwicklung des ersten Institutionalisierungsbereiches moderner Staaten – der Bürokratie – an. Diese ist zwar nicht vom Herrscher unabhängig und ihm persönlich verpflichtet, aber sie garantiert dennoch eine gewisse Austauschbarkeit des Herrschenden. Die Regeln, nach denen ein solcher Staat geleitet wird, sind vom Herrscher relativ unabhängig. Der Beamten-Apparat leitet den Staat und ist an die Richtlinien des Herrschers gebunden – allerdings überlässt er ihnen, wie auch schon im Mittelalter dem an seine Person gebundenen Führungspersonal, die Details der Verwaltung. Ein solcher Staat hat für einen Fürsten, so beschreibt Machiavelli es, einige Vorzüge: Er ist nur sehr schwer und nur nach einem deutlichen militärischen Sieg von Außen zu erobern. Gleichzeitig lässt er sich gut regieren, da keine untergeordneten Fürsten mit eigener Machtbasis als Kontrahenten gefürchtet werden müssen. Der kluge Fürst – über den Machiavelli ja schreibt – wird also einen solchen Staat nur nach gründlicher Vorbereitung angreifen können, gleichzeitig kann ihn sein Herrscher gut behaupten. Für einen Fürsten, der über ihn herrscht, hat dieser Staat also nur einen Nachteil: sollte er jemals die Macht über ihn verlieren, wird es schwierig sein, sie wiederzuerlangen.
Für den zweiten Institutionalisierungsbereich, das Steuerwesen, äußert Machiavelli sich nicht. Er gibt dem Fürsten allerdings Ratschläge, die die Finanzierung seines Staates betreffen. So soll der Fürst sparsam sein, um in Krisenzeiten seinem Volk keine zu hohen Belastungen auferlegen zu müssen[12]. Gleichzeitig ermahnt Machiavelli den Fürsten mehrfach, das Eigentum der Untertanen zu respektieren, da sie sonst dem Fürsten feindselig gegenüberstünden.[13] Mit diesen Überlegungen ließe sich ein neuzeitliches Steuersystem, wie es Machiavelli aus seiner Heimatstadt Florenz bekannt war[14], begründen.
Der dritte Institutionalisierungsbereich der Diplomatie interessiert Machiavelli besonders. Als Gesandter der Stadt Florenz bei verschiedenen europäischen Herrschern hatte er selbst viel über das Mächteverhältnis zwischen Staaten und ihren Herrschern und die Möglichkeiten der Politik erfahren. Diese Erkenntnisse fließen im „Fürsten“ besonders in der Beschreibung des Cesare Borgia immer wieder in die Darstellung ein. Machiavelli beschreibt die Staaten Europas nicht entlang der mittelalterlichen Vorstellung von Hierarchie, sondern ordnet sie mit Hilfe von Fakten in ein realpolitisches Mächteverhältnis ein. So spielen bei seinen Betrachtungen die Person des Herrschers und seine Machtstellung innerhalb des eigenen Staates ebenso eine Rolle wie das Heer, die Staatsfinanzen und die Institutionen eines Staates.[15] Besonders der Frage, welche inneren Feinde ein Herrscher hat, ist für Machiavelli von Bedeutung. Besonders auch dem Kaiser gesteht er keine übergeordnete Macht zu, sondern analysiert dessen Möglichkeiten und Interessen ebenso nüchtern wie die aller anderen Fürsten. Den Papst als zentrale Figur in der mittelalterlichen Staatenwelt erwähnt er nur am Rande[16], eine übergeordnete Instanz ist dieser keinesfalls, auch wenn Machiavelli ihm als geistlichem Fürsten eine Sonderstellung einräumt. Damit ist dieser dritte Bereich derjenige, in dem Machiavelli am eindeutigsten eine neuzeitliche Staatsauffassung erkennen lässt.
Eine andere Einstellung zeigt sich im Bezug auf das Heer. Machiavelli spricht sich eindeutig gegen die in ganz Europa im Mittelalter vorherrschenden Söldner-Heere aus. Als Alternative fordert er stattdessen besonders für die Stadtstaaten Bürgermilizen, die zu regelmäßigen Wehrübungen herangezogen werden.[17] Diese Einrichtung hebt er als besonders lobenswert bei der Beschreibung der deutschen Städte hervor.[18] Die Heerführung ist nach Machiavelli eindeutig persönliche Aufgabe des Fürsten. Hier ist Machiavelli noch nicht klar zu modernen Vorstellungen übergegangen. Sowohl Söldner-Heere als auch Bürgermilizen waren Erscheinungen des Mittelalters, die den neuen stehenden Heeren der Flächenstaaten nicht gewachsen sein sollten. Da Machiavelli allerdings die Stadtstaaten Norditaliens beim Schreiben des „Fürst“ als Adressaten vor Augen hatte, scheint dies die vergleichsweise „modernere“ Lösung. Da die Stadtstaaten weder über die finanziellen Möglichkeiten noch über ausreichende Einwohnerzahlen für die Aufstellung eines stehenden Heeres verfügten, ist die Einbeziehung der Bürger in die Verteidigung ihrer eigenen Stadt dem Einsatz von bezahlten Söldnern vorzuziehen.
Über den fünften Institutionalisierungsbereich – das Rechtswesen – macht Machiavelli wiederum nur einige sehr allgemeine Angaben. Von einem einheitlichen, für alle verbindlichen Rechtssystem ist bei ihm nirgendwo die Rede. Allerdings erkannte er bereits die Bedeutung des Herrschers als letzter Instanz der Rechtsprechung: „hinsichtlich der privaten Streitigkeiten seiner Untertanen muss er [der Fürst] es durchsetzen, dass sein Urteil unwiderruflich ist.“[19] Das bedeutet jedoch nicht, dass das Recht kodifiziert und nach festen Regeln angewandt würde, sondern nur, dass der Fürst sein Wort als bindend in seinem Herrschaftsbereich durchsetzen muss.
4. Schluss
Machiavelli beschreibt die Politik, den Staat und die Aufgaben des Herrschers im Umbruch vom Mittelalter zur Frühen Neuzeit. Sein Bezugsrahmen sind die norditalienischen Stadtstaaten, in denen viele der modernen Vorstellungen vom Staat entstehen, die aber gleichzeitig ihrer Form und Ausdehnung nach mittelalterliche Städte sind. Aus diesem Widerspruch ergibt sich Machiavellis Beschreibung des Staates als ein Ergebnis menschlichen Handelns, dessen konkrete Form nicht von Gott vorgegeben ist. So ist sein Grundverständnis von Politik ein eindeutig modernes, welches von seinen Zeitgenossen teilweise scharf kritisiert wurde und auch heute noch als Inbegriff des Zynismus gilt. Gleichzeitig scheinen seine nüchternen Einschätzungen von Politik und Machtverhältnissen nach heutigem Maßstab sehr aktuell. Dennoch finden sich immer wieder mittelalterliche Vorstellungen, wenn Machiavelli die konkreten Formen von Staaten, Herrschaft oder Institutionen beschreibt. Dies zeigt sich besonders deutlich bei der Beschreibung des Heerwesens und der noch nicht ausgeprägten Form der Rechtssprechung. Auch die konkreten Formen der Bürokratie sind bei Machiavelli nicht greifbar – allerdings ist in einem Stadtstaat ein solch umfänglicher Apparat auch noch nicht notwendig.
Insgesamt lässt sich also zu Machiavellis Bild des Staates, wie er es im Principe zeichnet, feststellen, dass die grundlegenden Vorstellungen bereits neuzeitliche Elemente aufweisen. So ist vor allem die ordnende göttliche Vorsehung nicht zu erkennen. Gleichzeitig finden aber auch mittelalterliche Vorstellungen noch ihren Platz, wenn es um die Details der Ausgestaltung von Politik geht. Damit ist Machiavelli sicherlich ein Vordenker der modernen Staatlichkeit, wenn auch seine Wurzeln im Mittelalter noch zu erkennen sind.
5. Literatur
Machiavelli, Niccolò: Il Principe / Der Fürst. Italienisch / Deutsche Ausgabe, übersetzt und herausgegeben von Philipp Rippel. Stuttgart 1986.
Bosl, Karl: Staat, Gesellschaft, Wirtschaft im deutschen Mittelalter. Stuttgart 8 1985. (Gebhardt Handbuch der deutschen Geschichte, Band 7)
Deppe, Frank: Niccolò Machiavelli. Zur Kritik der reinen Politik. Köln 1987.
Meinecke, Friedrich: Die Idee der Staatsräson in der neueren Geschichte. München 3 1963.
Münkler, Herfried: Machiavelli. Die Begründung des politischen Denkens der Neuzeit aus der Krise der Republik Florenz. Frankfurt a.M. 1982.
Münkler, Herfried: Im Namen des Staates. Die Begründung der Staatsraison in der Frühen Neuzeit. Frankfurt a.M. 1987.
Münkler, Herfried: Einleitung. In: Ders. (Hg.): Niccolò Machiavelli. Politische Schriften. Frankfurt a.M. 1990. S. 15-47
Münkler, Herfried: Niccolò Machiavelli (1469-1527). In: Hans Maier, Horst Denzer (Hg.): Klassiker des politischen Denkens. Von Plato bis Thomas Hobbes (Bd. 1.). München 2001. (Überarbeitete Neuauflage). S. 119-134
Münkler, Herfried / Münkler, Marina: Lexikon der Renaissance. München 2000.
Stolleis, Michael: Friedrich Meineckes „Die Idee der Staatsräson in der neueren Geschichte“ und die neuere Forschung. In: Friedrich Meinecke heute. Berlin 1980. S. 46-66
[...]
[1] Vgl. Münkler/Münkler: Lexikon der Renaissance, S. 301.
[2] Auf die Entwicklungen in Renaissance und Humanismus kann im Rahmen dieser Arbeit nicht übergreifend eingegangen werden, sondern es soll nur ein Einzelaspekt herausgegriffen werden. Für einen Überblick sei auf die enorm umfangreiche Literatur verwiesen.
[3] Vgl. z.B. Friedrich Meine>
[4] Vgl. Münkler/Münkler: Lexikon der Renaissance, S. 372.
[5] Den folgenden fünf Absätzen liegt der Artikel Staat / Staatlichkeit aus dem Lexikon der Renaissance (besonders S. 373/374) zugrunde. Belegt werden nur noch zusätzlich Informationen oder wörtliche Zitate.
[6] Münkler/Münkler: Lexikon der Renaissance, S. 373
[7] Vgl. Bosl: Staat, Gesellschaft, Wirtschaft im deutschen Mittelalter.
[8] Münkler: Machiavelli, 1982, S. 184
[9] Dass weltlich und geistlich nicht immer klar voneinander zu trennen waren, zeigt sich in vielen Konflikten zwischen Papst und Kaiser im Mittelalter. Das wohl bekannteste Beispiel für einen solchen Konflikt ist der Investiturstreit von Kaiser Heinrich IV. und Papst Gregor VII., der 1077 im „Gang nach Canossa“ und der Unterwerfung des Kaisers unter den Papst endete. Der Streit entzündete sich an der Frage, wer das Recht habe, Bischöfe einzusetzen (Investitur). Der Kaiser berief der sich auf die fränkische Tradition, nach der der Kaiser die Bischöfe der Reichskirche einsetzte, die parallel zu ihrer geistlichen Macht auch territoriale Herrschaft in ihrer Diözese ausübten. Dieses Vorgehen wurde von den Reformpäpsten Alexander II. und vor allem Gregor VII. in Folge von Missbrauch und Ämterkauf (Simonie) als „Laieninvestitur“ verurteilt und bekämpft.
[10] Principe, III.
[11] Principe, IV.
[12] Principe, XVI.
[13] So z.B. in Principe, XIX.
[14] In Florenz war das catastro bereits 1427 eingeführt worden. Machiavelli als Staatsbeamten werden die Vorzüge eines solchen Systems bewusst gewesen sein. Da er sich im „Fürst“ direkt an Lorenzo de’ Medici als Herrscher von Florenz wendet, dürfte davon auszugehen sein, dass er dem Fürsten in erster Linie nahe legen wollte, dieses Steuersystem zu seinem Vorteil und ohne Ungerechtigkeit für die Masse der Untertanen anzuwenden. Gleichzeitig erteilt er Ratschläge zur Verwendung der eingenommenen Finanzen.
[15] Vgl. z.B. Principe, X.
[16] Principe, XI, Allerdings beschäftigt er sich mehrfach mit der Person von Papst Alexander VI., Vater von Cesare Borgia (Principe III, VII, VIII). Dieser wird jedoch in erster Linie als Beispiel für einen ehrgeizigen Fürsten angeführt, der mittels seiner Machtposition seinem Sohn diverse Vorteile verschaffen konnte. Eine geistliche oder gar übergeordnete Position gegenüber weltlichen Herrschern ist hier nicht zu erkennen.
[17] Principe, XII.
[18] Principe, X.
[19] Principe, XIX.
- Arbeit zitieren
- Helene Heise (Autor:in), 2004, Der Staat in Machiavellis 'Il Principe', München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/109222
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