Vorstellung, Aufbau und Entwicklung des MEDEF


Seminararbeit, 2005

14 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Chronologie

3. Vorstellung und Aufbau des MEDEF
3.1 Daten zur französischen Unternehmenslandschaft
3.2 Die interne Organisation des MEDEF

4. Die Entwicklung des MEDEF
4.1 Aktuelle Situation
4.2 Entwicklungen der letzten Jahrzehnte
4.3 Der aktuelle Präsident

5. Aktuelles Thema: Die Nachfolger Seillières

Anhang

Bibliographie

1. Einleitung

In der vorliegenden Arbeit soll ein Überblick über Geschichte, Funktionsweise und aktuelle Themen des Mouvement des Entreprises de France (MEDEF), Frankreichs größten Arbeitgeberverbandes, gegeben werden. Dabei geht ein erster Teil auf die Chronologie des MEDEF ein, die von den Anfängen bis zur heutigen Zeit fast ein Jahrhundert umspannt. Nach einer kurzen Analyse der Größenverhältnisse französischer Unternehmen werden die Hauptorgane der nationalen Vereinigung, ihre Zusammensetzung sowie ihr Verhältnis zu den regionalen MEDEF vorgestellt. Der dritte Abschnitt befasst sich mit der Entwicklung des MEDEF im Hinblick auf Strömungen, die durch interne und externe Ereignisse beeinflusst wurden. Abschließend wird ein aktuelles Thema behandelt, das sowohl in der französischen Öffentlichkeit als auch im MEDEF selbst im Zentrum des Interesses steht: die Nachfolge des derzeitigen Präsidenten Ernest-Antoine Seillière.

2. Chronologie

Der MEDEF existiert in verschiedenen Formen seit über 85 Jahren. In seiner Geschichte hat er viele Veränderungen durchgemacht, die sich auch in zahlreichen Umbenennungen widerspiegeln.

Gegründet wurde er im Anschluss an den Ersten Weltkrieg als Confédération Générale de la Production Française (CGPF). Die Erfahrungen der Kriegsjahre, in denen sich das Fehlen einer staatlichen Institution zur Steuerung der Wirtschaft als nachteilig erwies, sowie die in Deutschland und Großbritannien bereits stattgefundenen Gründungen von Arbeitgeberverbänden führten 1919 zur Gründung des ersten französischen Arbeitgeberverbandes CGPF (vgl. Lefranc 1976: S.53); Dies geschah auch auf Veranlassung von Ministerpräsident Clémenceau, der die Bildung einer Industriellenvereinigung für notwendig erachtete, um Stimmungen und Meinungen innerhalb des französischen Unternehmertums zu erfahren (vgl. ebenda: S. 59). Im Gegensatz zu den Unternehmern waren die Arbeiter bereits seit dem auslaufenden 19. Jahrhundert in zahlreichen Gewerkschaften organisiert.

Zu den Zielen des Verbandes gehörten kurz- bis mittelfristig der Wiederaufbau und die Stärkung von Frankreichs Wirtschaft nach den enormen Verlusten des Ersten Weltkriegs sowie langfristig die Lösung sozialer Probleme, besonders die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit (vgl. ebenda: S. 54). Zu diesem Zweck sollten alle Arbeitgeberverbände unter einem Dachverband in eine gemeinsame Richtung arbeiten. Die Hauptaufgaben des CGPF bestanden demzufolge in der Koordination der Tätigkeiten der einzelnen Verbände und der Vertretung der Interessen der Unternehmer beim Staat.

Im Mai1936 stellte der Wahlsieg der Sozialisten in Gestalt des Front Populaire das Patronat im Allgemeinen und die CGPF im Speziellen vor neue Bedrohungen. Zur Überraschung sämtlicher Institutionen reagierte die Arbeiterschaft auf den Regierungswechsel mit Massenstreiks und Fabrikbesetzungen[1] ; Unter dem Druck der Gewerkschaften stimmte die CGPF umfassenden Reformen der Arbeitsbedingungen zu. Es folgten Wochen innerer Streitigkeiten, die schließlich im August zur Neugründung der CGPF als Confédération Générale du Patronat Français führte (vgl. ebenda S. 109). Von nun an wurde der Lösung sozialer Probleme große Bedeutung zugewiesen, die gemeinsam mit dem großen Gewerkschaftsverband Confédération Générale du Travail (CGT) erreicht werden sollte.

Unter der deutschen Besatzung kollaborierte das französische Unternehmertum trotz seiner geringen ideologischen Affinität. Der Opportunismus des Patronats wird besonders an seiner Hinwendung zur Résistance deutlich, nachdem die anfängliche militärische Fortune der Deutschen ausblieb. Im Sommer 1940 deutete dagegen noch alles auf einen raschen Sieg Deutschlands hin, und „pour que leurs entreprises continuent à tourner, beaucoup d’employeurs estiment qu’il leur faut accepter les commandes allemandes“ (ebenda: S. 125).

Nach der Befreiung entstand 1946 aus der von der Kollaboration belasteten CGPF der Conseil National du Patronat Français (CNPF). Seine Ziele änderten sich im Vergleich zu denen der CGPF kaum: Koordination zwischen den vielen Handels- und Industrieverbänden, Repräsentation der Unternehmer in der Öffentlichkeit und vor dem Staat und, wie auch nach der Grande Guerre, die Instandsetzung der Wirtschaft und die Verbesserung der Wirtschaftsbedingungen in Frankreich. Im Unterschied zur Situation in Deutschland und Großbritannien war keine Trennung zwischen den Organisationen zur Repräsentation von Arbeitgebern und Industrie vorgesehen, wie etwa in Deutschland die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände und der Bundesverband der Deutschen Industrie unterschiedliche Aufgaben wahrnehmen. 1958 ist der CNPF eines der sechs Gründungsmitglieder des Europäischen Unternehmerverbandes UNICE (vgl. www.unice.org).

Der jüngste Wandel des CNPF fand 1998 statt. 1997 plante die Regierung Jospin die Einführung der 35-Stunden-Woche; Jean Gandois, Präsident des CNPF seit 1994, protestierte von Anfang an vehement gegen eine derartige Änderung. Doch Jospin setzte sich gegen den größten Arbeitgeberverband durch und das Gesetz zu den 35 heures, das im Januar 2000 in Kraft treten sollte, wurde beschlossen. In diesem Zusammenhang dürfte auch die politische Nähe des CNPF zu konservativen Parteien eine Rolle gespielt haben. Angesichts dieser Niederlage sprach Gandois brüskiert von einem „complot organisé entre le gouvernement et les organisations syndicales pour nous marginaliser“ (vgl. www.medef.fr) und trat zurück. Als Nachfolger präsentierte sich Ernest-Antoine Seillière; Dieser kündigte an, die Meinung der Unternehmer zukünftig mit mehr Nachdruck zu vertreten. Im Dezember 1997 wählte ihn der Conseil Exécutif des CNPF mit 82% der Stimmen zum neuen Präsidenten. Ein Jahr später wurde in Straßburg der neue Name der Vereinigung vorgestellt: Um der geplanten Modernisierung und der Vorbereitung auf die neuen Wirtschaftsbedingungen mit ihren Problemen und Herausforderungen Ausdruck zu verleihen, benannte sich der CNPF um in Mouvement des Entreprises de France (MEDEF); Dies ist die vierte Namensänderung in der Geschichte des größten französischen Arbeitgeberverbandes.

3. Vorstellung und Aufbau des MEDEF

Der MEDEF ist der Dachverband von rund 840 lokalen und regionalen Branchenvereinigungen (vgl. ebenda). Er vertritt vornehmlich die Interessen der Großunternehmen, während die klein- und mittelständischen Unternehmen (petites et moyennes entreprises, PME) seit 1944 von einer eigenen Organisation vertreten werden, der Confédération générale des petites et moyennes entreprises (CGPME). Beide Verbände nehmen jedoch ähnliche Aufgaben wahr und interagieren stark miteinander.

3.1 Daten zur französischen Unternehmenslandschaft

An dieser Stelle ist ein kurzer Überblick über die Größenordnungen der französischen Unternehmen sinnvoll[2]. Je nach Quelle werden als PME alle Unternehmen mit bis zu 500 Angestellten oder nur Unternehmen mit zehn bis 500 Angestellten bezeichnet[3]. Betrachtet man die höchst ungleichmäßige Verteilung der Angestelltenzahlen, so lassen sich jedoch innerhalb dieser Gruppe mindestens zwei Untergruppen erkennen. Die größte Gruppe bilden die ca. 2.300.000 kleinen Unternehmen mit bis zu neun Angestellten, wobei zu erwähnen ist, dass davon 1.300.000 Unternehmen keinen einzigen Angestellten beschäftigen[4]. Die Gruppe der Unternehmen von zehn bis 500 Angestellten umfasst dagegen lediglich rund 190.000 Betriebe. Insgesamt beschäftigen die PME 89% der ca. 16 Mio. Arbeitnehmer. Echte Großunternehmen mit über 500 Angestellten existieren in Frankreich etwa 1.900, sie beschäftigen 11% aller Arbeitnehmer[5].

Von den aufgelisteten Betrieben sind 700.000 bis 750.000 Unternehmen im MEDEF organisiert. 35% der Unternehmen haben weniger als zehn, 70% weniger als 50 Beschäftigte (vgl. www.medef.fr).

3.2 Die interne Organisation des MEDEF

Der MEDEF ist in der vertikalen Ebene nach dem Industrieverbandsprinzip strukturiert: Er umfasst insgesamt 85 Industrieverbände (syndicats professionnels), die ihrerseits in über 600 Wirtschaftsverbänden (syndicats primaires) alle Betriebe nach Branchen vertreten. In der horizontalen, territorialen Ebene ist der MEDEF in 155 Vereinigungen gegliedert. Diese arbeiten auf departementaler und regionaler Ebene sowie in den DOM-TOM wie Abbilder der nationalen Vereinigung. Außerdem sind einige eigenständige Mitgliedsorganisationen mit dem MEDEF assoziiert (vgl. ebenda).

Auf nationaler Ebene ist der MEDEF wie folgt strukturiert: Seine Hauptorgane sind der Conseil exécutif und die Assemblée générale. Der Conseil exécutif besteht aus 45 Mitgliedern, die um den Präsidenten herum gewissermaßen die Regierung des MEDEF darstellen. Aus diesem Kreis repräsentieren 22 Mitglieder die Industrieverbände, was in der Verbandsstruktur der Vertikalen entspricht. Weitere zwölf Mitglieder vertreten die horizontale Struktur, d.h. die territorialen Verbände. Zusätzlich ernennt der Präsident zehn Personen des öffentlichen Lebens. Alle Mitglieder des Conseil exécutif müssen zu mindestens 75% aktive Unternehmer sein. In seinen mindestens monatlichen Sitzungen bestimmt er die groben Linien der Politik des MEDEF (vgl. ebenda).

Der Präsident wird von der Assemblée générale gewählt, sein Mandat von fünf Jahren kann einmalig um weitere drei Jahre verlängert werden. Als höchster Vertreter des MEDEF in der Öffentlichkeit hat er eine hervorgehobene Position, deren Anforderungen weiter unten näher beschrieben werden.

Die Assemblée générale besteht aus 591 Mitgliedern, bei denen sich die Struktur des Conseil exécutif wiederholt: Die Vertreter der Industrieverbände erhalten 380, die territorialen Organisationen 170 Sitze. Gemeinsam mit den zehn Personen des öffentlichen Lebens, die auch Mitglieder des Conseil exécutif sind, bilden sie die Gruppe der 560 Wahlberechtigten. Die übrigen 31 Mitglieder haben lediglich beratende Funktion. Die Assemblée versammelt sich einmal im Jahr, um ihren Aufgaben nachzukommen: sie wählt den Präsidenten und die Mitglieder des Conseil exécutif, sie ratifiziert Eintritte und Streichungen von Unternehmen und beurteilt die Finanz- und Tätigkeitsberichte.

Weitere Organe des MEDEF sind die Assemblée permanente, das Comité statutaire und das Comité financier. Die Assemblée permanente ist ein ständiger Ausschuss mit einer variablen Stärke bis zu 235 Mitgliedern, die in monatlichen Sitzungen Informationen mit den Unternehmen austauschen und die gegenseitige Beratung organisieren. Das Comité statutaire wacht über die Anwendung der Statute, kommentiert Zugänge und Streichungen von Unternehmen und Pläne zur Änderung der Statute, der internen Ordnung und des Verhältnisses zwischen nationalem und territorialen MEDEF. Das Comité financier bearbeitet Entscheidungen, die das Budget oder die Beiträge betreffen, zudem sorgt es für finanzielle Gleichbehandlung der Mitglieder und für die Transparenz der finanziellen Strukturierung (vgl. www.medef.fr).

Die Kernbereiche, in denen der MEDEF tätig ist, werden in den Kommissionen (groupes de propositions et d’actions) koordiniert. Sie behandeln Themen wie Ausbildung, Forschung und Entwicklung, Wirtschaftswachstum und Soziale Absicherung.

4. Die Entwicklung des MEDEF

4.1 Aktuelle Situation

Der MEDEF ist der größte und mächtigste Unternehmerverband Frankreichs; In seinen verschiedenen Arbeitsgruppen und Kommissionen arbeiten 7000 Unternehmer und 10.000 Unternehmensleiter und 35.000 von Unternehmen Beauftragte. Eine große Rolle spielt in diesem Zusammenhang die staatlich anerkannte Repräsentativität der Vereinigung; Diese wird nach der Prüfung von bestimmten Kriterien wie Mitgliederzahl, Erfahrung und Einfluss verliehen. Nur vom Staat als repräsentativ anerkannte Organisationen können an der Tarifpolitik teilnehmen. Außer dem MEDEF wurden unter den Arbeitgeberverbänden nur noch der CGPME und das Syndicat National du Patronat Moderne et Indépendant SNPMI anerkannt. Die drei Organisationen treten als Wirtschaftsverbände und als Arbeitgeberorganisationen in den Tarifverhandlungen auf.

Die Interessenvertretung vor dem Staat ist hoch politisch: Treffen mit dem Staatspräsidenten, dem Premierminister oder Fachministern sind Ausdruck eines offiziell anerkannten Verfahrens zur Entscheidungsfindung. Es erweist sich jedoch oft als schwer, zwischen den Organisationen eine einheitliche Linie zu finden. An der Existenz von Konkurrenten und den häufigen internen Unruhen zeigt sich deutlich der Dualismus zwischen den unterschiedlichen Auffassungen von Wirtschaft, die von zwei Lagern vertreten. Die Gruppe der Konservativen vertritt ein traditionelles Verständnis von Unternehmertum und steht damit für eine administrierte Wirtschaft, für eine restriktive Außenhandelspolitik und gegen kollektivvertragliche Regelungen. Dagegen stellt sich auf der anderen Seite jene Gruppe der Modernisierer, die das moderne Unternehmertum fördern will und sich daher für Internationalisierung, für dynamische Beziehungen zu den Gewerkschaften und gegen protektionistische Maßnahmen ausspricht. Die Politik des MEDEF nach außen ändert sich je nachdem, wie sich im Moment das Kräfteverhältnis zwischen beiden Lagern darstellt.

4.2 Entwicklungen der letzten Jahrzehnte

Lange Zeit vertrat der CNPF das Bild des Unternehmers als patron, der über seine Mitarbeiter wacht, ohne ihre Mitsprache bei betrieblichen Fragen zuzulassen. In den 68ern konnten sich dann angesichts von Massenstreiks und Betriebsbesetzungen die Modernisierer durchsetzen, wie etwa das bereits 1938 gegründete Centre des Jeunes Dirigeants d’Entreprise (CJD)[6]. Das CJD wollte den Wechsel vom patron zum Manager und setzte den bislang familienbetrieblichen Strukturen das moderne Unternehmen entgegen. 1970 bildete sich der Groupe Entreprise et Progrès. Sie forderte die Anpassung des CNPF an die neue gesellschaftliche Situation. Noch heute setzt sie sich für die Vereinbarung des wirtschaftlichen mit dem gesellschaftlichen Fortschritt und die Förderung des Dialoges von Staat und Unternehmern ein (vgl. www.entreprise-progres.net). Doch bei allen Uneinigkeiten zwischen den Gruppierungen bleibt der generelle Kurs mit folgenden Eckpfeilern: Gegen die unternehmerische Freiheit beschränkende rechtliche Regelungen, also für eine liberale Wirtschaftspolitik, für die freie unternehmerische Preisgestaltung und für die Verbetrieblichung der Tarifverhandlungen.

Jean Gandois, der Vorgänger des derzeitigen Präsidenten Ernest-Antoine Seillière, setzte sich für eine neue Unternehmensphilosophie ein. Er forderte von den Unternehmen die Öffnung für die EU und den Verzicht auf Protektionismus. Gemeinsam mit Staat und Gewerkschaften sollten sie verantwortungsvoll zusammenarbeiten, um die sozialen Probleme zu lösen.

Lange Zeit gaben innerhalb des MEDEF die Großunternehmer den Ton an. Dagegen wurde den kleineren Unternehmen wenig Beachtung geschenkt, obwohl sie, wie oben gezeigt, die absolute Mehrzahl der Betriebe stellen. Als jedoch in den 70er Jahren mehr Unternehmer aus dem Mittelstand in wichtige Positionen rückten, führte dies zu einem Wandel in der Wahrnehmung zugunsten der PME.

Außer durch den MEDEF werden die PME noch durch den CGPME vertrete; In ihm sind ca. 1,5 Mio. Unternehmen organisiert. Der CGPME ist eng mit dem MEDEF verbunden, die unterschiedlichen Voraussetzungen und damit verbundenen Zielsetzungen führten jedoch immer wieder zu Spannungen. Seit in den 70ern die Bedeutung der kleinen Betriebe besonders für den Arbeitsmarkt erkannt worden war, ist das Verhältnis der Verbände einigermaßen harmonisch. Mittlerweile kämpfen beide Organisationen für ähnliche Ziele, d.h. allgemein für die unternehmerische Freiheit.

4.3 Der aktuelle Präsident

Ernest-Antoine Seillière ist seit 1997 Präsident des CNPF und ab 1998 des MEDEF, zuvor war er von 1988 bis 1994 Vizepräsident des Conseil exécutif. Er wurde zunächst auf fünf Jahre gewählt, 2002 wurde sein Mandat gemäß Satzung um drei Jahre verlängert. Dies bedeutet, dass an der Spitze des MEDEF ein Wechsel bevorsteht. Die Frage um den Nachfolger wird zurzeit diskutiert, insbesondere da sie gravierende Auswirkungen auf die bevorstehenden Wahlen des französischen Staatspräsidenten hat (siehe unten). Seillière selbst stammt aus einer Familie mit langer unternehmerischer Tradition und ist heute noch mit anderen Familien der wirtschaftlichen Elite Frankreichs eng verbunden. Er ist PDG von Wendel Investissement, einem Unternehmen, das seit fast 300 Jahren in der Hand der Familie Seillière ist, außerdem ist der Mitglied mehrerer Aufsichtsräte, unter anderem von Peugeot und Hermès (vgl. Le Monde diplomatique, November 2001).

5. Aktuelles Thema: Die Nachfolger Seillières

Der zukünftige „patron des patrons“ muss einige Kriterien erfüllen: Er muss sowohl für die Masse der PME sprechen können als auch von den Großunternehmen anerkannt sein; Er muss das Schwergewicht Metallindustrie mit aufstrebenden Branchen wie den Dienstleistern in Einklang bringen; Er muss Lobbyismus betreiben können und das Verhandeln beherrschen; Er muss Autorität besitzen und in Gemeinschaft arbeiten können. Zudem tritt er in große Fußstapfen, denn unter Seillière ist der MEDEF zu einem sehr wichtigen politischen und wirtschaftlichen Akteur geworden (vgl. Le Monde vom 17.01.2005).

An potentiellen Nachfolgern mangelt es laut Seillière selbst nicht: „Une bonne quinzaine a le profil“ (Libération vom 18.1.2005). Ein besonders wahrscheinlicher Kandidat ist der Vizepräsident des MEDEF seit 2004, Guillaume Sarkozy, Bruder des aktuellen UMP-Präsidenten Nicolas Sarkozy. Doch in eben dieser Blutsverwandtschaft liegt auch sein größtes Handicap. Während Guillaume der nächste MEDEF-Präsident werden will, spekuliert Nicolas auf das Amt des Staatspräsidenten. Diese mögliche Kumulierung von Ämtern in einer Familie wird in der Öffentlichkeit argwöhnisch betrachtet. Im Fall des Erfolges beider Brüder wären dann die politische Rechte und die Vertretung des Großunternehmertums unter einem Namen vereinigt, was den heftigen Widerstand der Linken hervorrufen würde. So schein im Moment einer von beiden auf seine Karriere verzichten zu müssen. An Motivation mangelt es jedenfalls keinem der beiden. Guillaume ist hoch motiviert, seinem älteren Bruder zuvor zu kommen, der seinerseits auf Seillière Druck macht, dieser solle einen anderen Kandidaten nominieren. Auch wenn Guillaume als unberechenbar und ungeschickt in Verhandlungen gilt, so hat er doch gegenüber Nicolas einen gewissen Vorsprung: Zunächst liegt der Termin für die Wahl des MEDEF-Präsidenten 15 Monate vor dem der éléction présidentielle, zeitlich gesehen ist er also im Vorteil. Bei den Unternehmern ist er hoch angesehen, denn sie können sich mit ihm identifizieren: Er ist keiner der unbeliebten Enarques, sondern im Gegenteil patron eines mittelständischen Betriebs. Schließlich unterstützt Chirac persönlich seine Kandidatur, denn so kann er Nicolas Sarkozy den Weg zur Präsidentschaft um einiges erschweren (vgl. L’Expansion vom 21.12.2004).

Doch Guillaume Sarkozy ist nicht der einzige denkbare Nachfolger von Seillière. Es kommt beispielsweise auch Denis Gautier-Sauvagnac in Frage, bislang Vizepräsident der mächtigen Union des industries et métiers de la métallurgie (UIMM), die großen Einfluss auf die Wahl des Präsidenten hat. Er gilt als Verhandlungskünstler und Arbeitstier, hat aber als Unternehmer einen weniger guten Ruf und ist Absolvent der ENA, was bei den PME für Argwohn sorgt. Laurence Parisot ist eine der wenigen Frauen im engeren Kreis um Seillière; Sie hat einen guten Stand bei den PME, was sich als großer Vorteil erweisen kann. Allerdings arbeitet sie erst seit kurzem im MEDEF und hat daher wenig Erfahrung im Verhandeln mit den Gewerkschaften. Auch der gegenwärtige Präsident der BNP, Michel Pébereau, ist kein unwahrscheinlicher Kandidat, doch als Bankier ist er bei den PME relativ unbeliebt. Bleibt als möglicher Nachfolger noch Louis Schweitzer, Präsident von Renault. Er ist einer der bekanntesten patrons überhaupt, zudem ein Favorit von Seillière – und auch von Raffarin, die sich beide wenig Sympathie entgegenbringen (vgl. Le Monde vom 17.1.2005). Als Vorteil für den MEDEF könnten die gleichermaßen guten Beziehungen Schweitzers zur politischen Rechten wie zur Linken herausstellen; Nicht zuletzt wegen der ungleichen politischen Ansichten von Premierminister Jospin und MEDEF-Präsident Gandois war es 1997 zu dessen Rücktritt gekommen.

Im Moment stehen die Karten für Guillaume Sarkozy gut. Doch bis zur Wahl, die spätestens im Januar 2006 stattfinden wird, wird sich Ernest-Antoine Seillière über seine Nachfolge wohl bedeckt halten. So bleibt zu beobachten, ob und wie sich die Brüder Sarkozy über ihre jeweiligen Karrierepläne einigen können.

Anhang

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabelle: Französische Unternehmen nach Angestelltenzahl (Quelle: INSEE).

Bibliographie

Homepage des CGPME: www.cgpme.fr (letzter Zugriff: 2.3.2005)

Homepage des CJD: www.cjd.net (letzter Zugriff: 2.3.2005)

Homepage des Groupe Entreprise et Progrès: www.entreprise-progres.net (letzter Zugriff: 4.3.2005)

Homepage des INSEE: www.insee.fr (letzter Zugriff: 28.2.2005)

Homepage des MEDEF: www.medef.fr (letzter Zugriff: 7.3.2005)

Homepage des UNICE: www.unice.org (letzter Zugriff: 6.3.2005)

Kempf, Udo (1997): Von De Gaulle bis Chirac, Opladen, Westdeutscher Verlag.

Kempf, Udo (1999): „Das politische System Frankreichs“, in: Ismayr, Wolfgang (Hrsg.): Die politischen Systeme Westeuropas, Opladen, Leske + Budrich.

Lefranc, Georges (1976): Les organisations patronales en France, Paris, Payot.

Mény, Yves (1999): „Interessengruppen in Frankreich: von Pluralismus keine Spur“, in: Christadler, Marieluise, Uterwedde, Henrik (Hrsg.) (1999): Länderbericht Frankreich, Bonn, Bundeszentrale für politische Bildung.

Nauschütz, Mirjam (1992): Beschäftigungspolitische Konzeptionen verschiedener gesellschaftlicher Gruppen in Frankreich, Pfaffenweiler, Centaurus.

Reutter, Werner, Rütters, Peter (Hrsg.) (2001): Verbände und Verbandssysteme in Westeuropa, Opladen, Leske + Budrich

Weber, Henri (1986): Le parti des patrons, Paris, Seuil.

[...]


[1] Lefranc spricht in diesem Zusammenhang gar von „expropriation spontanée“, was die Schockwirkung der Ereignisse gut verdeutlicht: „L’humiliation ne sera pas oubliée de sitôt“ (1976: S. 103).

[2] Die Zahlen beziehen sich auf die Sektoren Industrie, Handel und Dienstleistungen.

[3] Im Allgemeinen meint PME alle Unternehmen bis 500 Angestellte, doch die große Heterogenität der Gruppe macht bei einer volkswirtschaftlichen Analyse weitere Unterteilungen notwendig. Seit dem 1. Januar 2005 gilt die offizielle Definitionsempfehlung der EU, nach der PME zwischen zehn und 250 Angestellte und einen Umsatz bis zu 50 Mio. Euro umfassen (http://europa.eu.int/comm/enterprise/ enterprise_policy/sme_definition/index_fr.htm)

[4] Siehe Tabelle im Anhang.

[5] Quelle aller Zahlen: INSEE (www.insee.fr), Stand: Januar 2003.

[6] Das CJD vertritt dabei ein nahezu humanistisches Bild von Unternehmen und Wirtschaft: „l'économie doit être au service de l'homme et (…) la finalité économique de l'entreprise est indissociable de sa finalité sociale et humaine“ (www.cjd.net).

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Details

Titel
Vorstellung, Aufbau und Entwicklung des MEDEF
Hochschule
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
Veranstaltung
Politisches System Frankreichs
Note
1,3
Autor
Jahr
2005
Seiten
14
Katalognummer
V109268
ISBN (eBook)
9783640074495
Dateigröße
373 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
MEDEF, Politisches, System, Frankreichs
Arbeit zitieren
Simon Martin (Autor:in), 2005, Vorstellung, Aufbau und Entwicklung des MEDEF, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/109268

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