Miles Davis: Bitches Brew


Hausarbeit, 2003

18 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Die Musik
2.1.1 Entstehung/Ablauf der Sessions
2.1.2 Instrumentierung/Besetzung
2.3 Detaillierte Betrachtung des Tracks Spanish Key
2.3.1 Besetzung
2.3.2 Genereller Ablauf
2.3.3 Entwicklung des Stückes – Dynamik / Dichte / Atmosphäre
2.3.4 Einzelbetrachtung der Instrumente/Soli

3. Fusion? Einordnung von Bitches Brew in die Jazzgeschichte/ Einfluss auf nachfolgende Musiker / Gruppen

4. Schlussbetrachtung

5. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Das Album Bitches Brew spielt in der Karriere von Miles Davis eine außergewöhnliche Rolle. Entstanden und an drei aufeinanderfolgenden Tagen Mitte August 1969, in den Columbia Studios- New York aufgenommen markierte diese Musik einen Meilenstein der Jazzgeschichte. Hatte Davis in den Jahren und Jahrzehnten zuvor mit Cool Jazz, modalem Jazz und Free Jazz, sowie mit der Leitung zweier legendärer Quintette bereits Maßstäbe gesetzt und viele Strömungen und Stile mitbegründet, so gelang ihm nun eine erneute musikalische Erweiterung, die sich fast zwangsläufig auf Sound, Entstehung und Konzeption beziehen musste, waren doch mit den angesprochenen Stilen zuvor die harmonischen und melodischen Mittel ausgereizt worden.

Mit bis zu 13 Musikern gleichzeitig entstanden sechs Stücke, die teils in unverändertem Ablauf auf der Original LP erschienen, teils jedoch auch erst in der „postproduction“ zu ihrem bis heute bestehenden, auf Tonträger festgehaltenen Aufbau kamen.

Es sollen zunächst allgemeine Informationen zur Entstehung der Musik vorgestellt werden. Anschließend wird auf die Besetzung und Instrumentierung des Albums eingegangen, ehe in einem weiteren Unterpunkt Spanish Key als ein spezielles Stück genauer betrachtet und Ablauf, Struktur, Dynamik, etc. werden analysiert und benannt. In diesem Teil sind zusätzlich zwei Grafiken angeführt. Diese Analyse kann sicherlich nicht als ganz stellvertretend für das gesamte Album herangezogen werden, doch sie zeigt viele Gemeinsamkeiten auf und soll exemplarisch für die neuartige Konzeption und Kompositionsweise Miles Davis´ stehen, worauf später genauer eingegangen wird.

Am Schluss folgt eine kurze, allgemeinere Passage zum Phänomen der „Fusion“ und späterer Gruppen, die aus dem Ensemble von Davis hervorgingen.

2. Die Musik

2.1 Entstehung/Ablauf der Sessions

Musikalisch zieht Miles Davis mit „Bitches Brew“ die logische Folgerung aus der LP „In a Silent Way“. Mit recht abstrakten melodischen Verläufen der Soloinstrumente und einer sich chromatisch öfter verschiebenden Harmonik, sowie dem ständigen pulsierenden dynamischen Beat der Rhythmusgruppe wurde das Konzept des Vorgängeralbums aus dem gleichen Jahr noch fortgesetzt und intensiviert. Hatte Davis in seiner bisherigen Karriere durch die Modale Spielweise bereits nahezu alle harmonischen Möglichkeiten ausgekostet und teils mitbegründet, so kam es ihm bei Bitches Brew auf etwas anderes an. Das gewohnte Prozedere aus der Zeit der beiden großen Davis - Quintetts, nämlich die Aneinanderreihung von Improvisationen der Solisten über die Akkordwechsel nach der Vorstellung eines Themas, wurde nun ersetzt durch das Dirigieren von Davis (entweder durch sein Trompetenspiel oder im wahrsten Sinne durch Handzeichen und Aufforderungen an das Ensemble oder einzelne Musiker), der versuchte, die Interpretationen eines jeden Einzelnen zum Gesamtsound zu bündeln und den jeweiligen Stücken so je nach Rezeption der Entstehung immer wieder wechselnde Stimmungen und Entwicklungen einzuverleiben.

Das „Line Up“ bei den Bitches Brew - Sessions war derart gestaltet, dass sich bis zu 12 Musiker im Halbkreis postierten, in dessen Mitte sich Davis befand, der so bei allen Stücken Anweisungen und Aufforderungen an die einzelnen Mitwirkenden geben konnte. Davis selbst bezeichnete die Sessions als „living composition“[1], womit der unvorhersehbare, nicht planbare Prozess des „Sich-Entwicklens“ der Musik gemeint ist. Nachdem ein Stück begonnen hatte, schrieb Davis entweder ein paar Notenfragmente für einen bestimmten Instrumentalisten auf oder gab ihm kurze Anweisungen, wie er zu spielen hatte, um die musikalischen Ideen, die Davis während des Wachsens der Musik einfielen, umzusetzen.

„After it had developed to a certain point, I would tell a certain musician to come in and play something else“[2].

So trug jeder Musiker mit seinen individuellen Vorschlägen von dem, was er zu der sich entwickelnden Musik spielen wollte, zum Gesamtwerk bei, auch wenn es sich Davis als Bandleader vorbehielt, die Ideen mit seinen Vorstellungen zu vergleichen und entweder in eine andere Richtung lenkte oder von vornherein Anweisungen gab, die eine Hilfestellung für den jeweiligen Spieler sein sollten, sich orientieren zu können. Diese Mischung aus vorhandenem Groove, improvisierten Soli und ständigen vorausschauenden, die Richtung angebenden Einsätzen von Davis, machen diese Musik wirklich zu einer Art „brew“ („Gebräu“) und nicht umsonst beschreibt Lennie White den gesamten Ablauf der Sessions als ein „big, controlled experiment“[3].

Eine andere Mischung wurde sicherlich noch vollzogen als die Aufnahmen später von Produzent Teo Mecero im Studio editiert wurden. Während Spanish Key, Miles Runs The Voodoo Down (im Übrigen eine Anspielung auf Jimi Hendrix´ Voodoo Child)und Sanctuary alle live und am Stück eingespielt wurden und somit Davis die Möglichkeit und die Zeit gaben, den Stücken während ihrer Entstehung eine funktionale Struktur zu geben, wie oben beschrieben, so entstanden Pharao´s Dance und das Titelstück Bitches Brew in ihrer eigentlichen Form erst im Studio, da sie aus den jeweiligen Aufnahmen komplett zusammengeschnitten und editiert wurden.

„I could move anything around and what I would do is record everything, right from beginning to end, mix it all down and then take all those tapes back to the editing room and listen to them and say: ´This is a good little piece here, this matches with that, put this here,`etc and then add in all the effects-the electronics, the delays and overlays. [I would] be working it out in the studio and take it back and re-edit it - front to back, back to front and the middle somewhere else and make it into a piece. I was a madman in the engineering room. Right after I´d put it together I´d send it to Miles and ask, ´How do you like it?´And he used to say, `That´s fine,`or `That´s OK,` or ´I thought you´d do that.´ He never saw the work that had to be done on those tapes. I´d have to work on those tapes for four or five weeks to make them sound right.”[4]

Durch diese Überarbeitung, die in manchen Fällen eher als eine Neuerschaffung der Musik bezeichnet werden müsste, erhielten die angesprochenen Stücke erst ihre wirkliche Form. Diese sehr kreativen Eingriffe waren also auch nötig, um zum Schluss drei wirklich mehr oder minder abgerundete Stücke vorweisen zu können, und nicht die Aufnahmen der immer wieder durch Davis unterbrochenen Sessions, was sicher auch seinen Reiz gehabt hätte, aber nicht von Davis beabsichtigt wurde.

Neben extra für die Aufnahmen und die Bearbeitung produzierten Effekten, wie zum Beispiel eine „reverb machine that you couldn´t find“[5] oder einen „switcher“[6] mit dem linker und rechter Kanal (z.B. der E-Pianos) vertauscht werden konnten, erhielten die Aufnahmen der Trompete Davis´ ebenfalls eine besondere Aufmerksamkeit. Insgesamt wurde der Sound des Bandleaders dreifach abgenommen: ein Mikrofon direkt an der Trompete, einen Input durch einen Verstärker, und eine Verbindung, die direkt ins Mischpult ging. So konnte dann zum Schluss aus allen drei Spuren gemischt werden. Effekte wie „slap (tape) delay“[7], der von der ebenfalls für diese Aufnahmen von Technikern der Plattenfirma Columbia erfundenen „Teo One“ (nach dem „Auftraggeber“ Teo Macero benannt) erzeugt wurde. Dieser Effekt ist besonders deutlich zu Beginn von Bitches Brew, sowie bei Pharaos Dance bei 8:41 zu hören.

Der enorme Einfluss, den Produzent Teo Macero durch die geschilderten Postproduktionen hatte, kann sicherlich mit dem Einfluss von George Martin auf die englischen Popveteranen The Beatles verglichen werden; auch da Macero Davis über viele Jahre hin als Produzent begleitete (1958-1983), wie auch die Beatles über lange Zeit an Martin festhielten.

2.2 Instrumentierung/Besetzung

Das gesamte Album Bitches Brew nahm äußerlich vor allem schon wegen der vehementen Veränderung von Besetzung und Instrumentierung im Vergleich zum „gängigen Spätbop-Format“ eine besondere Rolle im damaligen Jazz ein. Hatte Davis bereits 1968 mit seinen Alben Miles In The Sky, Filles de Killimanjaro und Water Babies mit dem Hinzunehmen von E-Piano und E-Bass Neuland betreten, so führte er mit In A Silent Way durch die erste große Erweiterung - im Vergleich zum gewohnten Quintett der Sechziger Jahre - die Entwicklung hin zur fast vollständigen Elektrifizierung des Ensembles, die in Bitches Brew ihre Vollendung fand. Mindestens zwei Schlagzeuge, zwei E-Pianos und meist auch zwei Bässe plus Gitarre, Saxophon und Klarinette sowie Davis selbst an der Trompete schafften eine neue Vorstellung von Sound. Hinzu kamen noch neue Möglichkeiten der Soundbearbeitung und Postproduktion, die von Davis in nicht geringem Maß in Anspruch genommen wurden. So experimentierte er mit Hall- und Echoeffekten sowie mit Wah-Wah- oder Fuzz- Pedalen, die den Ton, den man von ihm aus der Zeit der modalen Spielweise und auch des Free Jazz gewohnt war, teilweise in weite Ferne rückten.

Generell ist eine Unterteilung in Rhythm Section und Solo-/ Melodieinstrumente möglich, nimmt man es genau, bleiben dann allerdings nur Saxophon und Trompete als Soloinstrumente, denen gegenüber eine Rhythmusgruppe bestehend aus vier Schlagzeugen/Percussion, zwei Bässen, E-Gitarre, und drei E-Pianos sowie Bassklarinette, die alle auch ihre Soloparts haben, generell aber eher eine stimmungsgenerierende und teilweise untermalende Funktion haben, steht.

2.2 Detaillierte Betrachtung des Tracks Spanish Key

Als Beispiel für die bereits angesprochene Entfaltung der Musik und ihre ständigen Richtungswechsel soll der Track Spanish Key genauer betrachtet werden.

Miles Davis griff mit diesem Stück nochmals seine spanischen Einflüsse auf, denen er sich auf der LP Scetches of Spain und bei dem Stück Flamenco Scetches auf In a Silent Way bewusst geworden war.

2.3.1 Besetzung

Bei diesem Stück spielt Miles Davis mit der gleichen Formation von 13 Musikern wie bei der

Aufnahme des ersten Tracks von Bitches Brew, dem von Joe Zawinul komponierten Pharao´s Dance.

Neben Davis´ Trompete kommen Sopransaxophon (Wayne Shorter) und Bassklarinette (Bennie Maupin) als Holzbläser zum Einsatz. Weiterhin stehen drei E-Pianos zur Verfügung, die mit Joe Zawinul, Chick Corea und Larry Young auf die Stereokanäle aufgeteilt sind; E-Gitarre (John McLaughlin) und E-Bass (Harvey Brooks) wird mit Dave Holland ein weiterer Bass zur Seite gestellt. Zwei Schlagzeuge, die ebenfalls auf linken (Lenny White) und rechten (Jack DeJohnette) Kanal aufgeteilt sind vervollständigen die Rhythmusgruppe, zu der noch Congas (Don Alias) und Shaker (Jumma Santos) hinzukommen.

2.3.2 Genereller Ablauf

Das Stück beginnt mit dem ersten Schlagzeug in einem auf großen Teilen der LP wiederzufindenden 8/8-beat. Nach ca. 10 Sekunden setzen Shaker, Bass, Gitarre und das zweite Schlagzeug ein, während wenige Sekunden später Bassklarinette und zwei der drei E-Pianos mit phrasenhaften Läufen und kurzen Einstreuungen den rhythmischen Hintergrund untermalen.

Bei 0:36 tritt Davis´ Trompete zum ersten Mal auf und spielt das aus sechs Tönen bestehende Hauptmotiv des Stückes, was fortan eine wichtige Signalfunktion einnimmt, ändert sich doch beim Wiederauftreten des Motivs später mehrmals das tonale Zentrum. Bedient sich Miles Davis bei anderen Stücken von Bitches Brew einem Wah-Wah Gerät, so sind es bei Spanish Key Hall und Echo, die Davis´ Experimentierfreude mit elektrischer Verstärkung und Effekten unterstreichen. Der Echoeffekt wird vor allem beim oben genannten Eingangsmotiv verwendet. Nachdem dieses Motiv drei Mal wiederholt wurde, wird es leicht abgeändert wieder aufgegriffen und zur Improvisation weitergeführt, die bei 3:23 ihr Ende findet.

Das tonale Zentrum E wird nach 1:19 um einen Ganzton nach oben versetzt, bei 1:40 wechseln sich der neue Grundton D und Eb ab, bis bei 2:40 nach einer weiteren Rückung E zum tonalen Zentrum wird, der Bass allerdings zwischen E und F als Grundton abwechselt. Hier ist auch eine erhebliche Steigerung der Dynamik erkennbar, die mit dem Tonartwechsel einsetzt. Bis 3:14 nehmen Dynamik und Dichte weiterhin zu und erreichen hier schließlich ihr Ziel, wenn das neue tonale Zentrum G- mixolydisch erreicht wird. In diesen drei ersten Minuten wurde eigentlich der gesamte harmonische Aufbau vorweggenommen, da später die gleichen Entwicklungen von E über D, hin zu G- mixolydisch wiederholt werden.

Bei 3:30 wechselt die Gitarre zum ersten Mal von ihrer rhythmischen Funktion zum Melodiespiel bzw. Solo, bis bei 5:22 wieder die bekannte Trompetensequenz auftritt und sich das tonale Zentrum zurück zum Grundton E bewegt. Gleichzeitig geht die Dynamik zurück, und der Beginn einer neuen Steigerung setzt ein. Kurz nach diesem Einschnitt setzt bei 5:38 das Klarinettensolo ein, während die Gitarre immer wieder mit kleineren Imitationen des eigenen Soloparts von vorher die Pausen des Solos füllt. Gleiches machen beide E-Pianos. Bei 6:49 wechselt das tonale Zentrum ein weiteres Mal, in diesem Fall von E zu D (vom Bass einen Ganzton tiefer gespielt; der Bass ändert an dieser Stelle auch seinen Rhythmus und hat seine neue Betonung eher auf geraden Vierteln).

Bei ca. 7:53 bricht die Entwicklung der Dynamik ab und bis ca. 8:10 entsteht eine ruhigere Phase, in der die Klarinette durch die Zurückhaltung aller anderen Instrumente mehr in den Vordergrund tritt. Der Bass gibt mit dem Grundton E schließlich wieder den Wechsel des tonalen Zentrums bekannt und eine neue Steigerung setzt ein, die bei 8:45 mit dem gewohnt vom Piano eingeleiteten Wechsel zu G-mixolydisch ihr Ziel erreicht. Beide Schlagzeuge spielen nun wieder eine betont synkopierte Art des 8/8-beat, mit Gewichtung auf den Snare- Schlägen auf drei und sieben. Das Klarinettensolo findet schließlich bei 9:15 ein Ende, und mit dem abermals einsetzenden Motiv der Trompete wechselt das tonale Zentrum wieder zu E zurück. Miles Davis spielt auch die zweite und dritte von vorher bekannte Tonfolge und endet bei 9:47 auf einem schnarrenden A, das sowohl die Einsätze für einen erneuten Wechsel zum Grundton D, als auch für Piano und Gitarre gibt, die bis 10:46 in den Vordergrund treten und eine Art „call-response“- Solo spielen, am Ende dessen die bekannte Trompetenmelodie (leicht variiert, aber dennoch mit extremem Signalcharakter) einen schon bei 10:45 vom Bass angekündigten kurzen Wechsel zum Grundton E deutlich macht, bis bei 10:56 wieder ein D erreicht wird. Die Trompete spielt nun zunächst recht schnelle, abgehackte Melodielinien, die vor allem aus den ersten vier Tönen der Skala D- phrygisch entnommen sind. Bis ca. 11:13 hat sich auch die Dynamik des Schlagzeugs gelegt, so als hätte Davis seine Musiker mit den immer sachteren Trompetentönen zwischen 11:04 und 11:12 dazu aufgefordert, in eine ruhigere Stimmung zu kommen. Diese bleibt jedoch nicht lange bestehen, vielmehr stellt der erneute Wechsel von Dichte und Dynamik - Schlagzeug im Hintergrund, weniger akzentuiert, Bass auf nur einem Ton, die Pianos mit liegenden Akkorden oder kurzen Floskeln - nur die Voraussetzung für eine erneute Steigerung dar, die bei ca. 11:46 durch die Erhöhung des Grundtons zu E zurück einen weiteren Impuls erhält, zwischen 12:01 (durch einen gebrochenen Asus2/E Akkord der Gitarre eingeleitet) und 12:10 abebbt, um dann wieder an Dynamik zuzulegen. Die Schlagzeuge im Hintergrund spielen den geraden Beat weiter und legen bei ca. 12:50 die Akzentuierung stark auf die Zählzeiten 2, 4, 6 und 8, wobei hier beide Hi-Hats den Rhythmus vorgeben. Wie schon vorher in D wird nun in E das für den phrygischen Modus entscheidende erste Intervall (hier die Töne E und F) von der Trompete umspielt. Gitarre und die Pianos beschränken sich auf eine harmonische Hintergrundfunktion und spielen (wie die Gitarre schon vorher) Akkorde oder Akkordbrechungen, die den Modus D-phrygisch unterstreichen und ihr Ziel harmonisch in der neuen Tonart A-Moll finden könnten („Andalusische Kadenz“). Hier tritt nun auch das Spanische des Stückes - im Titel vorweggenommen- am deutlichsten auf.

Diese „Andalusische Stimmung“ bleibt in ihrer Ruhe und Melancholie bis ca. 13:25 erhalten, an dieser Stelle wechselt Davis von den vorher gespielten längeren, malerischen Tönen zu viel schnelleren Trillern, vor allem zwischen den Tönen H-D und H-C, die von der Gitarre in rasenden Läufen imitiert werden und so die Steigerung vorantreiben, die schließlich durch einige Brush- Wirbel des Schlagzeugs und der bei 13:48 einsetzenden Melodie von Davis zum erneuten Ziel „G- mixolydisch“ weitergeleitet wird, das, wie üblich, vom bekannten E-Piano- Fill signalisiert wird. Im Folgenden spielen zwei der drei E-Pianos ein ebenfalls call-response- artiges Solo, das bei 13:59 wieder von Davis angekündigt wurde (dieses Mal mit dem von ihm gespielten Grundton G), wie bereits an voriger Stelle, als er quasi das Zeichen für Gitarre und E-Piano gegeben hatte.

Bei 15:05 beendet der erneute Wechsel des tonalen Zentrums von G zurück zu E das Solo der E-Pianos, und eine neue Ruhephase setzt ein, die allerdings nur den Übergang vom E-Piano-Solo zum Klarinetten-Solo aufzeigt. Sobald die Klarinette bei 15:11 eingesetzt hat, beginnen die Schlagzeuger wieder den Rhythmus voranzutreiben und auch die Gitarre spielt wieder rhythmische Patterns im Gegensatz zu den bei 15:08/09 gespielten Akkorden Asus2 und Asus2/F, die wie vorher wohl eher eine getragenere Stimmung ausdrücken sollen. Die Klarinette imitiert in ihrem Solo das Ausgangsstatement der Trompete, endet bei 15:42 und wird durch das Aufgreifen einer E-Piano- Phrase durch das Saxophon abgelöst. Bei 16:08 stoppt das Saxophon und die Klarinette setzt wiederum mit der bekannten Sequenz von Davis ein. Diese wird kurz weitergeführt und endet in einem schnarrenden Triller bei 16:18, der bei 16:20 vom Saxophon imitiert wird. Das Saxophon spielt noch eine Improvisation bis 16:48, vier Sekunden später setzt Davis wieder mit dem „Hauptmotiv“ ein, das er zweimal wiederholt; danach ertönt die ebenfalls bekannte Melodie aus sechs Tönen, die, wieder mit einem langen Echo versehen, das Ende einleitet, das von Schlagzeugen, Percussion, E-Pianos und Bass vollführt wird.

2.3.3 Entwicklung des Stückes- Dynamik/Dichte/Atmosphäre

Generell lässt sich sagen, dass mehrere verschiedene dramaturgische Stufen erkennbar sind, die alle unterschiedliche Ausprägungen, Wirkungen und Funktionen besitzen. Wie schon in 2.3.2 beschrieben, wird früher oder später immer wieder ein „Ziel“ erreicht, bei dem sich das tonale Zentrum hin zu G- mixolydisch verändert. Vor dem Erreichen dieses Ziels sind meist die vehementesten Steigerungen zu finden.

Einen anderen Teil bilden die ruhigeren Passagen, an denen die Musik auf der Stelle zu stehen scheint. Diese sind entweder Übergänge zwischen zwei Soloparts (wie bei 5:35- Einsatz des Saxophonsolos, nachdem das Gitarrensolo einige Sekunden vorher zu Ende gegangen ist), oder mehr oder minder plötzliche Stimmungsumschwünge (besonders hervorgehoben bei der „Andalusischen Atmosphäre“, s.u.), von denen dann immer ein erneuter Aufschwung und eine umso dramatischer wirkende dynamische Entwicklung ausgeht. Zwischen Steigerungen und den ruhigeren Phasen, finden sich immer mehrere Takte, in denen der Rhythmus nur gehalten wird, aber keine nennenswerte Änderung der Dynamik stattfindet. Diese „Phasen“ finden sich vor allem mit dem Erreichen des nun schon oft angesprochenen tonalen Zentrums G, von wo aus ein neuer Aufbau meist nur schleppend vorangetrieben wird.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten Abb.1 : Entwicklung der Dynamik

Die Grafik zeigt mehrere Extremstellen, auf die im Folgenden eingegangen werden soll.

Wie bereits an anderer Stelle beschrieben, setzt bei Spanish Key zuerst das Schlagzeug ein, gefolgt von Bass, Shaker, Gitarre, Klarinette, E-Piano und schließlich Trompete.

Durch den gleich recht treibenden Rhythmus des Schlagzeuges und das Hinzukommen der einzelnen Instrumente nacheinander entwickelt sich das Stück bis 1:58 kontinuierlich weiter, bis an dieser Stelle durch einen veränderten Basslauf eine gewisse Steigerung zu erkennen ist, die bei 2:40 einen erheblichen neuen Schub erhält. Diese Phase zwischen 2:40 und 3:14 ist signifikant für die jeweils letzten Takte vor dem Wechsel nach G- mixolydisch- der an insgesamt drei Stellen des Stückes vollzogen wird- ziehen die Musiker was die Dynamik betrifft doch jeweils an diesen Stellen am meisten an. So wirkt der durch Schlagzeug und E-Piano eingeleitete Wechsel des tonalen Zentrums hin zu G wirklich wie das Erreichen eines Ziels, wie die Auflösung der Spannung, die vorher aufgebaut wurde.

So geht nun logischerweise auch die Dynamik zurück, eine neue Entwicklung setzt ein. Diese führt eher schleppend zum nächsten einschneidenden Punkt, der in diesem Fall durch den Einsatz des Trompetensignals von Davis und den nachfolgenden Tonartwechsel dargestellt wird. Im Gegensatz zur Steigerung vorher, nimmt die Dynamik hier weniger stark zu, allerdings ist eine Steigerung durch die Entwicklung des Gitarrensolos, das gegen Ende immer schnellere Läufe aufweist, erkennbar.

Bei 5:34 lässt sich ein kurzer Einbruch feststellen, der Auslöser für eine abermals neue dramaturgische Steigerung ist, die sich zunächst schleppend, dann aber doch recht druckvoll gestaltet und bei 6:48 mit dem erneuten Wechsel des tonalen Zentrums eine erste Zwischenstation erreicht, von wo aus allerdings bis 7:52 die Dynamik wieder stark forciert wird. Hier entsteht nun so etwas wie eine Ruhepause, das Schlagzeug treibt im Hintergrund gedämpft weiter, die anderen Instrumente halten sich zurück, nur das Sopransaxophon spielt malerische Melodiebögen mit denen es das Schlagzeug zurückzuhalten scheint, bis es bei ca. 8:11 wieder weitergeht und sich die Dynamik mit dem abermaligen Erreichen des Ziels G- mixolydisch bei 8:45 zunächst nicht weiter entwickelt, sondern eher der Groove gehalten wird. Eine neue Stufe setzt bei 9:50 ein, die Dynamik wird wieder angetrieben, erhält nach 10:50 für ca. 10 Sekunden einen Schub, bleibt dann auf einem Niveau und bricht bei ca. 12:01 fast wieder ein, als erneut nur die Hi-Hats der Schlagzeuge weitertreiben wollen, doch dieses Mal Gitarre und Trompete durch ihr Spiel einhalten, um nach einigen Sekunden wieder die „Freigabe“ geben. Nun findet eine weitere kleine Entwicklung statt, die in die „Iberische Stimmung“, die dem Stück wohl seinen Namen gegeben hat, mündet. Die offenen Akkorde und Akkordbrechungen der Gitarre McLaughlins und die Beschreibung der ruhigen Atmosphäre durch Davis´ Trompete stehen wiederum in Kontrast zum Spiel der Schlagzeuge und des Shakers. Doch gerade durch diese Diskrepanz wird wieder die Spannung aufgebaut, die die vorher dagewesenen Eindeutig übertrifft, da das „Hinhalten“ dieses Mal wesentlich länger anhält und erst durch die allmähliche Entwicklung der Melodie durch Davis in Richtung Ziel geleitet wird. Trompete und Gitarre imitieren sich schließlich durch trillerartige Einwürfe, bis Davis bei 13:48 mit der Melodie einsetzt die alles das Zeichen gibt, dass es wieder zu G- mixolydisch geht. Wiederum schleppend vollzieht sich nun eine dynamische Steigerung bis zu 15:02, wo ein abermaliger Halt stattfindet, nach dem die Musik sich zwischen 15:10 und 16:45 nochmals vehementer vorantreibt, um sich dann gegen Ende hin nur leicht vorzutasten und mit einer kurzen Steigerung und dem dann recht abrupten Ende selbst zu beschließen.

2.3.4 Einzelbetrachtung der Instrumente/ Soli

Wie bereits erwähnt, sieht man sich bei einer Einteilung der Instrumente auf Bitches Brew einer Rhythmusgruppe gegenüber, die teilweise aus 11 Musikern besteht, so auch bei diesem Stück. Eine weitere Unterteilung in Soloinstrumente innerhalb der Rhythmusgruppe liegt jedoch nah, da E-Gitarre und Bassklarinette sicher zu großen Teilen eine rhythmische Funktion erfüllen, aber dennoch beide ihre Soloparts haben, gerade der Gitarre nimmt in dieser Hinsicht eine besondere Rolle ein. Die drei E-Pianos haben ebenfalls Solostellen, allerdings sind diese nicht so signifikant, so dass die Einteilung in Soloinstrumente nicht leicht fällt, da sie auch im Hintergrund ständige soloartige Passagen und melodische Gebilde spielen, die schwer „nur“ als Begleitung angesehen werden können.

In der folgenden Grafik ist der Einsatz der Instrumente zusammengefasst, um einen Überblick zu bekommen, wer wann spielt und wo die soloartigen Passagen liegen. Die drei Pianos sind wie auch Schlagzeuge und Percussion zusammengefasst. Schraffiere Balken stellen einen Solopart dar.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb.2: Aufteilung der Instrumente

Mit zwei Schlagzeugen sowie Shaker und Congas erscheint die Rhythmusgruppe zahlenmäßig als sehr dominant, doch die Art, wie hier zusammengespielt und im Verlaufe des Stückes ein „Boogaloo“[8] entwickelt wird, lässt manchmal den Eindruck entstehen, als wäre eigentlich nur ein Schlagzeug zu hören. Neben der Schaffung von jazztypischer Polyrhythmik, die bei den im Rock verwurzelten Grooves sicherlich eine andere Wirkung hat als zur Blütezeit des Bebop, war dies auch genau die Intention, die von den Schlagzeugern verfolgt wurde.

„I was trying to be very aware of wanting the music sound very organic and congruent, real tight and seamless, so that people couldn´t really hear that there were two drummers.”[9]

Bei der Aufteilung der beiden Bässe fällt auf, dass Harvey Brooks am E-Bass meist die Grundfigur spielt und der akustische Bass sein Spiel eher als frei versteht, hin und wieder ein paar Einwürfe bringt, Pausen einlegt oder mit dem E-Bass zusammenspielt, so dass auch hier teilweise nicht auffällt, dass es sich größtenteils um zwei Bassisten handelt.

Die Gitarre McLaughlins ist zu einem großen Teil Begleitinstrument, durch teils stark synkopierte Spielweise und der häufigen Beschränkung auf die Grundharmonie mit Ausrichtung auf den Basston, treibt sie den Rhythmus mit an oder greift ihn nach einem längeren Zurückziehen wieder auf. Beim Solo ab 3:30 wird relativ langsam und durch abgehackte Töne und Phrasen eine Melodie entwickelt, bis bei 5:19 wieder zum ganz rhythmischen Spiel zurückgefunden wird, das jeweils beim Erreichen der Stufe G-mixolydisch (s.o.) seinen Höhepunkt erreicht und dann absolut gerade und im Vierermetrum ist. Ein weiterer kleiner Solopart besteht im bei 9:51 einsetzenden Improvisationswechsel mit dem E-Piano, bis McLaughlins Gitarre bei 12:48 zu ihrem größten Einfluss auf das Stück findet, wenn sie mit gebrochenen Akkorden die von Davis intendierte und begonnene spanische Stimmung im phrygischen Modus zur eigentlichen Entfaltung bringt.

Die Einteilung der Bassklarinette erscheint schwierig, da sie sowohl als Soloinstrument angesehen werden kann, als auch als reines ausmalendes Instrument mit weniger solistischen Funktionen. Beides trifft zu. Während Bennie Maupin an besagtem Instrument zum Beispiel zwischen 2:02 und 3:38 im Hintergrund wirkt und hin und wieder lediglich die melodischen Phrasen von Miles Davis imitiert, aber ansonsten eher keine Rolle bei einer Führungsmelodie spielt, so kann die Spanne zwischen 15:11 und 15:42 sicherlich als Solo angesehen werden, das zwischen 16:08 und 16:18 wiederaufgegriffen und schließlich von einem äußerst schnarrenden, fast penetranten aber gerade deshalb sehr ausdrucksstarken, trillernden Ton beschlossen wird. Generell kommt der Klarinette jedoch hauptsächlich die Aufgabe zu, Stimmungen vorzubereiten (wie zum Beispiel zwischen 16:50 und 17:12; hier wieder mit der Imitation des „Trompetensignals“ und damit ihrer Vorbereitung), zu füllen (wie zwischen 6:14 und 9:21: Hinzukommen während des Saxophon Solos), oder durch ihr Fehlen den Klang nicht zu dicht werden zu lassen (wie durch das Zurückziehen bei 9:21 um den Weg für das E-Piano Solo zu ebnen; beim Gitarrensolo fehlt die Klarinette ganz).

Das Sopransaxophon, gespielt von Wayne Shorter, tritt vor allem durch seine beiden Soli in Erscheinung. Nach seinem ersten Einsatz bei 2:45 tritt es zwischen 3:11 und 5:38, sowie zwischen 9:42 und 15:44 gar nicht auf, hat aber dafür zwischen 5:38 und 9:19 das längste Solo aller beteiligten Instrumente. Zwischen 15:44 und 16:06 wird eine Art Wechsel mit der Klarinette eingegangen, die Soloparts in dieser Zeit folgen dicht aufeinander und Töne werden aufgegriffen und als Übergang gebraucht. Das wesentlich längere Solo in der Mitte des Stückes zieht sich über mehrere tonale Zentren und verschiedene Stimmungen in der Musik; charakteristisch für Spanish Key sind hier die Vorwegnamen des Tonartwechsels durch das Soloinstrument.

Bei der Analyse der E-Pianos fällt auf, dass sie, neben Bass und Schlagzeugen/Percussion fast während des gesamten Ablaufs beteiligt sind. Auch hier kommt den Instrumenten sowohl eine Raum füllende und die Grundharmonie angebende, als auch vereinzelt eine solistische Funktion zu. Zwischen 9:50 und 10:56 beginnt ein Piano ein Solo mit call-response Charakter, auf das die Gitarre eingeht, generell aber haben die melodischen Figuren und sehr abstrakten Gebilde, die im Hintergrund durch die E-Pianos geschaffen werden selbst fast solistische Züge, sind jedoch oft weit nach hinten gemischt oder durch die Fülle von Klängen, die durch teilweise drei gleichzeitig gespielte Pianos erreicht wird, kaum nachzuvollziehen. Doch es steht fest, dass die erreichten Stimmungen sehr nachhaltig vom Einfluss der Pianos geprägt sind. Die ruhigeren Phasen werden durch liegende Akkorde oder Töne -sehr oft mit Pedal- ausgedrückt, bis der Wechsel zu rhythmischen Einwürfen und spontanen kurzen Akkordimprovisationen wieder das Verlassen der ruhigen Stimmung und den Übergang zum gewohnten Groove oder einer Steigerung (s.o.) nach sich zieht. Besonders auffallend erscheint die Sequenz, die jeweils das Erreichen von G-mixolydisch kennzeichnet, hier wird jeweils deutlich, dass dem Piano eine sehr wichtige Stellung im Ablauf zukommt.

Während sich Miles Davis bei den anderen Stücken auf Bitches Brew nicht zurückhält, was den Einsatz seines Instrumentes betrifft, so wirkt es bei Spanish Key fast so, als hätte er sich hier eher auf das Dirigieren und Zusammenführen der Band konzentriert. Insgesamt kommt man auf einen knapp siebenminütigen Einsatz der Trompete, der sich aufteilt in das Spiel des mehrfach angesprochenen Hauptmotivs des Stückes (bei 0:36, 5:21 und 16:51) und in seine Improvisationen/Soli, die zwischen 0:36 und 3:23, 9:19 und 9:47 sowie zwischen 10:47 und 13:59 vorkommen. Das formulierte Statement wird am Anfang vier Mal wiederholt, dann leicht abgeändert und schließlich in die folgende Improvisation weitergeleitet. Bei 5:21 wird das Motiv lediglich einmal gespielt, bei 9:19 ebenfalls, hier allerdings im Anschluss imitiert und durch das akzentuierte hohe A, das den Beginn des Solos der Gitarre/des Pianos markiert, beendet. Auch die längere Improvisation ab 10:47 endet mit einem ähnlich gearteten G, das als Aufforderung an die anderen Musiker verstanden werden kann. Hier begründet Davis unterschiedliche Stimmungen, greift andere auf und führt die anderen Musiker so „spielend“ durch die - zum größten Teil entstehende- Komposition, so wie er dies auch bei allen anderen Stücken durch Anweisungen und Anregungen während seiner Spielpausen tat.

3. Fusion? Einordnung von Bitches Brew in die Jazzgeschichte/ Einfluss auf nachfolgende Musiker + Gruppen

Die Auswirkungen von Bitches Brew sind an vielen Stellen nachlesbar, Kritiker scheinen sich sehr einig darüber zu sein, dass mit dem besagten Album die Ära des Rock- oder Electric-Jazz, die Fusion eben, eingeläutet wurde. Egal, welche Bezeichnung nun für diese „neue“ Stilrichtung (die so neu gar nicht war, die Entwicklung, die spätestens mit In a Silent Way begonnen hatte und mit Bitches Brew ihren Höhepunkt fand wurde bereits angesprochen), gewählt wurde, die Veröffentlichung des Albums zog eine „musikalische Kettenreaktion“[10] nach sich, ganz zu schweigen von der immens steigenden Popularität von Miles Davis und dem neuen kommerziellen Horizont, der sich ihm eröffnete: Mit über 500.000 verkauften Schallplatten sprengte Davis alle Rekorde und hatte mehr oder minder über Nacht eine viel breitere Anhängerschaft, die ihren riesigen Zulauf nun sicherlich aus den Rock-Fans bezog, denen die bisherige Musik (die Strömungen um In a Silent Way eventuell ausgenommen) des Trompeters zu artifiziell gewesen sein dürfte. An dieser Stelle lässt sich fragen, ob die Vereinfachung und „Reduzierung der musikalischen Mittel“[11], die vor allem auf das Rhythmische zutraf, den Anhängern des Rock eine verständlichere Ebene der Musik eröffnete.

Vielleicht auch beflügelt vom kommerziellen Erfolg gründeten in den folgenden Jahren nahezu alle Mitglieder des Davis-Ensembles, die bei der Entstehung von Bitches Brew beteiligt waren, eigene Gruppen und führten so die begonnene Tradition fort. Joe Zawinul und Wayne Shorter waren Mitglieder bei „Weather Report“, Bennie Maupin spielte u.a. mit Herbie Hancock (langer Wegbegleiter Davis´ in den Jahren vor 1969/70) bei „Mwandishi“, John McLaughlin gründete das „Mahavishnu Orchestra“ und Chick Corea mit Lenny White die Gruppe „Return to Forever“. Die jeweiligen „Aussteiger“ aus der Davis-Group wurden meist sehr schnell ergänzt und Davis führte seine eigene Karriere mit neuen Musikern an seiner Seite fort und eröffnete durch Tourneen, bei denen er schließlich auch mit elektrisch verstärkter Trompete auftrat, vor allem auch dem Europäischen Publikum diese neue Stilrichtung des Jazz.

4. Schlussbetrachtung

Beginnend mit der Beschreibung der Umstände, unter denen Bitches Brew entstand, wurde als erste wichtige Erkenntnis deutlich, dass es sich bei diesem Album um eine neuartige, improvisative und spontane Kompositions- und Entstehungsidee handelt, die sich von der Vielfalt der Stile des Jazz, die wohl alle auf der Improvisation basieren am meisten dadurch abhebt, dass die Stücke keinen genauen Stil erkennen lassen, sondern dass sich Rockeinflüsse mit Jazz verbinden und sich durch mehrfach besetzte Instrumentengruppen ungeahnte Klangwelten eröffnen. Der Aspekt der Studiotechnik zu dem „Live“- benutzte Effekte ebenso zählen wie der gesamte Prozess der Postproduktion wurde, teils durch Zitate, als wichtiger Faktor für die Entstehung des Albums angeführt.

In der Analyse des Stückes Spanish Key wurden harmonische und melodische Aspekte, wie zum Beispiel die häufigen Wechsel des tonalen Zentrums betont und durch die Aufgliederung der einzelnen Instrumente samt ihrer Spielweisen die Form und Komplexität herausgearbeitet.

Durch den Schlusspart so wie während anderer Teile der Arbeit, sollte die Neuartigkeit und Besonderheit, die die Aufnahmen für die damalige Zeit beanspruchte verdeutlicht werden.

Alles in Allem fällt es schwer eine andere Meinung über das Album zu haben, als die Literatur vorgibt. An allen Stellen wird betont, welchen Einfluss Bitches Brew auf die Musikgeschichte und vor allem die des Jazz hatte. Zwar unterscheiden sich die Einschätzungen teilweise erheblich voneinander, werten doch manche zum Beispiel das Trompetenspiel von Davis auf der LP stark ab, während andere seine Genialität betonen, die jedoch an anderen Stellen seiner Laufbahn auch nie in Frage gestellt wird.

Die Hauptaussage, zu der alle kommen, nämlich dass die Kompositionen und Aufnahmen Jazz und Rock wesentlich näher zusammengebracht haben, trifft auch meiner Meinung nach zu. Es zeigt sich zu deutlich wie der meist gleichbleibende Rhythmus oder die teils sehr funkigen Patterns der Gitarre McLaughlins sowie viele andere musikalische Dinge diese Brücke schlagen und der Erfolg, den Davis im Lager der Rockfans hatte, spricht schon allein für sich und gibt an, dass hier etwas Neues entstanden sein muss, was allerdings sicherlich seine eigene Entwicklung und sich vorher angekündigt hatte.

Literaturverzeichnis

- Joachim E. Berendt, Das große Jazzbuch. Von New Orleans bis Jazz Rock, Frankfurt am Main 1982, S. 52-54
- Ian Carr, Miles Davis. Eine kritische Biographie, CH-Baden 1985, S.192-205
- Ekkehard Jost, Sozialgeschichte des Jazz in den USA, Frankfurt am Main 1982, S.227-244
- Joel Lewis: Miles Davis´ Bitches Brew. Running the voodoo down, in: The Wire, #130 (Dec.1994), S.20-22, 24, 26, 79
- Eric Nisenson, Now´s the Time. 25 Years of Bitches Brew, in: Jazziz, 12/6 (Jun.1995), S. 70-72
- Dan Quellette, Bitches Brew. The Making of the Most Revolutionary Jazz Album in History, in: Down Beat, 66/12 (Dec.1999), S. 32-34, 36-37
- Paul Tingen, Sorcerer´s Brew. The Making of Bitches Brew, in: Jazz Times, 13/4 (May 2001), S. 46-54, 56, 200-209, 252)
- Peter Wicke (Hg.), Rock und Popmusik, in: Handbuch der Musik im 20. Jahrhundert, Band 8, Laaber 2001
- Peter Wießmüller, Miles Davis. Sein Leben. Seine Musik. Seine Schallplatten, Gauting Buchendorf 1984

[...]


[1] Paul Tingen, Sorcerer´s Brew. The Making of Bitches Brew, in: Jazz Times, 13/4 (May 2001), S. 49

[2] Davis in: Ebda., S. 49

[3] Ebda., S. 50

[4] Macero in: Ebda., S. 52

[5] Macero in: Dan Quellette, Bitches Brew. The Making of the Most Revolutionary Jazz Album in History, in: Down Beat, 66/12 (Dec.1999), S. 34

[6] Macero in: Ebda.

[7] Macero in: Tingen [siehe Anm. 1], S. 52

[8] Peter Wießmüller, Miles Davis. Sein Leben. Seine Musik. Seine Schallplatten, Gauting-Buchendorf 1984, S. 156

[9] White in: Tingen [siehe Anm. 1], S. 50

[10] Wießmüller [siehe Anm. 8], S. 40

[11] Ekkehard Jost, Sozialgeschichte des Jazz in den USA, Frankfurt am Main 1982, S. 233

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Miles Davis: Bitches Brew
Hochschule
Universität Paderborn
Autor
Jahr
2003
Seiten
18
Katalognummer
V109350
ISBN (eBook)
9783640075317
Dateigröße
465 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Miles, Davis, Bitches, Brew
Arbeit zitieren
Johannes Bert (Autor:in), 2003, Miles Davis: Bitches Brew, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/109350

Kommentare

  • Gast am 2.11.2008

    Berichtigung.

    Unter Punkt 2.2 steht "[...]und bei dem Stück Flamenco Scetches auf In a Silent Way [...]", meines Wissens nach erschien Flamenco Sketches aber auf dem Album "Kind of Blue".

Blick ins Buch
Titel: Miles Davis: Bitches Brew



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