Inhaltsverzeichnis
0. Einleitung
1. „Winners take all“
2. BEEPS, die Weltbank und state capture
3. Alternativen
4. Schwäche der Definition und Kritik an BEEPS
5. Einflussnahme als Kontinuum
6. Resümee
7. Literatur
0. Einleitung
Korruption wird häufig nur als der Missbrauch eines öffentlichen Amtes zum privaten Vorteil betrachtet. Diese verkürzte Sichtweise ist in den letzen Jahren zu Recht angegriffen worden. Korruption umfasst viel mehr als nur diesen Missbrauch. Im Entstehen befindet sich ein neuer, völlig veränderter Korruptionsbegriff, der die illegitime Einflussnahme von Firmen auf die Ausformung neuer Gesetze und Regulierungen mit einschließt. Diese Sichtweise selbst und die Analyse dessen stecken noch in ihren Kinderschuhen. Die herkömmlichen Meinungen und Ansichten aufzubrechen ist bislang in einem größeren Rahmen noch nicht gelungen. Trotzdem werden vor allem die ehemaligen sozialistischen Republiken, die sich auf ihrem Weg zu mehr Demokratie und Markwirtschaft befinden, von einem Phänomen geplant, das den Namen „state capture“ erhalten soll. Diese Arbeit will ihren Beitrag leisten, dieses Phänomen besser zu verstehen und Anhaltspunkte liefern, wie mit diesem Problem umgegangen werden kann.
Dafür wird zunächst die bisherige relevante Literatur vorgestellt und kritisch beurteilt. Dies wird als notwendig erachtet, um einen ersten Einblick zu bieten, der die Schwierigkeit offenbaren soll, innerhalb der bisher verwirrenden Versuche ein Konzept zu formen, Fuß zu fassen. Die Kritik und Analyse dieser Beiträge folgt in einem zweiten Schritt.
Die Arbeit beginnt mit der Darstellung von Joel Hellmans grundlegenden Gedanken, die eine Wende innerhalb der Korruptionsbekämpfung in den Reformländern Osteuropas zu forcieren versuchen. Nicht zu Unrecht kann man Hellmans Aufsatz als Geburtsstunde des state-capture-Konzepts betrachten.
Daran schließt sich im 2. Kapitel die Ausführung über die Fortsetzung von Hellmans Überlegungen innerhalb der Weltbank bzw. der EBRD an. Mithilfe neuer empirischer Daten konnte das Konzept zum ersten Male spezifiziert werden. In dieser Phase entstehen die maßgeblichen Definitionen mit all ihren Mängeln.
Das 3. Kapitel beendet die Vorstellung bisher getätigter Forschung und Analysen mit den Darstellungen von Alternativkonzepten bzw. Schriften mit anderer Schwerpunktsetzung, darunter auch die ersten Entwürfe von Oleksiy Omelyanchuk, dessen Theoriegerüst maßgeblich zum Verständnis des zu behandelten Phänomens beigetragen hat.
Das nächste Kapitel problematisiert und kritisiert die noch nicht gefundene Systematik und Stringenz des state-capture-Konzepts. Vor allem definitorische Mängel und die Problematik empirischer Analysemethoden werden angesprochen.
Im Anschluss daran werden die Erkenntnisse zusammengeführt, das Verständnis durch einen alternativen Definitionsvorschlag erhöht und ein Grundgerüst für Bekämpfungsstrategien der Korruption präsentiert.
Ein kurzes Resümee vollendet den Rahmen dieser Arbeit.
1. „Winners take all“
Den großen Anstoß die Ansichten über die Reformpolitik von Transitionsländern und deren Auswirkungen zu überdenken, setzte Joel Hellman 1998 mit seinem Aufsatz „Winners take all“[1]. Abgegebene Empfehlungen für politisches Verhalten basieren laut Hellman auf Analysen über die Kosten und den Nutzen von den Wirtschaftsreformen für die verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen. Ein althergebrachtes Modell, dessen Aussagekraft er infrage stellt, ist die sog. „J-Kurve“. Deren Hauptaussage lautet, dass Reformen zuerst Kosten bzw. materielle Einschnitte für die Gesellschaft mit sich bringen, bevor sie später Nutzen hervorbringen. Je umfassender die Reformen sind, desto höher werden die Kosten ausfallen. Die Gesellschaften in den Transitionsländern müssen erst, bevor sie die Vorteile des freien Wirtschaftens genießen können, ein Tal der Tränen, das „Tal der Transition“[2] durchschreiten.
Diese Annahmen bringen für die politischen Entscheidungsträger zwei Probleme mit sich. Das erste – das sog. Zeit-Inkonsistenz-Problem – setzt Politiker der Gefahr aus, dass die Vorteile der Reform zu spät einsetzen und sie vorher schon von ihren Wählern abgestraft bzw. Opfer von Putschen werden. Vor diesem Hintergrund beginnen sie gar nicht erst den Reformprozess. Das zweite Problem – das Problem der kollektiven Aktion – basiert auf der vermuteten ungleichen Verteilung von Vor- und Nachteilen der Reform. Die Nachteile treffen eine kleinere konzentrierte Gruppe, während die Vorteile als öffentliche Güter der Gesellschaft als Ganzer zugute kommen. Der kollektive Protest der Verlierer gegen die Reform kann aufgrund seiner Konzentration und Effizienz die Unterstützung der – nicht organisierten – Gewinner ausstechen und so die Politik zu einer Rücknahme der Reform zwingen.
Aus diesen Überlegungen heraus entsteht die These, je demokratischer ein politisches System ist, umso eher sind Politiker diesen beiden Gefahren ausgesetzt und schlagen nur einen moderaten Reformkurs ein. Den langfristigen Nutzen einer Radikalreform aber im Sinn werden daher Empfehlungen abgegeben staatliche Akteure von der Gesellschaft abzuschirmen. Die Demokratisierung des politischen Systems und damit die Aufhebung der Staatsautonomie soll dann erfolgen, wenn die Wirtschaftsreformen ihren Nutzen abwerfen.
Diese Annahmen überprüft Hellman hingegen an empirischen Daten, die ihm zur Verfügung stehen.[3] Dieser Test bringt nun andere Ergebnisse hervor als vom J-Kurven-Modell vorhergesagt. Transitionsländer mit radikaleren Reformen erleben weniger scharfe Einschnitte als andere, so dass keine positive Korrelation zwischen Intensität und Kosten der Reform besteht. Außerdem haben die Länder mit den häufigsten Regierungswechseln und kürzesten Legislaturperioden die umfangreichsten Reformen. Das vermutete Zeit-Inkonsistenz-Problem ist widerlegt. Auch das zweite Problem des Widerstandes gegen die Reformvorhaben entlarvt sich als falsch. Obwohl in Länder mit umfassenderen Reformen die Reformregierungen meistens abgewählt wurden, wurden die Reformen dennoch fortgesetzt. Gerade die demokratischeren Staaten haben radikalere Reform durchgesetzt als diejenigen, bei welchen die Regierung tatsächlich noch von der Bevölkerung abgeschirmt ist.
Nun steht Hellman vor dem Rätsel, dass sehr viele Transitionsländer nur halbherzige Reformen durchführen. Als Lösung präsentiert er sein Modell der partiellen Reform. Seine Annahmen beinhalten, dass die Gewinne einer partiellen Reform durchaus nicht allen zugute kommen, sondern sich stark auf eine kleine Gruppe konzentrieren. Je länger aber der Reformprozess andauert, desto eher gleicht sich die Verteilung innerhalb der Gesellschaft wieder aus. Außerdem besteht der Reformprozess nicht aus „Alles-oder-Nichts“-Entscheidungen, sondern aus vielen kleinen nacheinander folgenden Entscheidungen. Nun habeb aber die Gewinner Anreize den Prozess zu verzögern und den Zustand des sog. „Gipfels der Transition“[4], also ihre erhöhten Gewinne beizubehalten. Daher haben, laut Hellman, die Gewinner in diesem sequentiellen Reformprozess eine gewisse Art von Mitsprache (‚an implicit veto power’) erhalten. Sie sind das größere Hindernis für die Transition dieser Länder als die Verlierer der Reformen.
Folgerichtig richtet sich auch das Augenmerk seiner Empfehlungen an die Politik auf die Eindämmung dieses Einflusses der Reformgewinner. Die Daten sprechen für ihn eine klare Sprache. Je partizipativer, je pluralistischer ein politisches System ist, desto eher werde der Einfluss der Reformbremser geschwächt.
2. BEEPS, die Weltbank und state capture
Hellmans Warnung vor den Reformgewinnern veranlasste Forscher der Weltbank und der European Bank for Reconstruction and Development (EBRD) in diese Richtung weitere empirische Untersuchungen vorzunehmen.[5] Ihr Anliegen besteht darin die Korruptionsforschung auf dieses bisher unbeachtete Problem aufmerksam zu machen. Die Tatsache, dass Korruption eine Folge schwacher staatlicher Institutionen ist, bewirkte bisher eine Vielzahl von Untersuchungen, die sich mit der Rolle von Institutionen und Staatsbediensteten befassten.[6] Eine Analyse des Verhaltens von Firmen und deren Verbindung mit dem Staat jedoch blieb einseitig oder fand nicht statt.
Diesen Missstand soll nun die 1999 durchgeführte Business Environment und Enterprise Performance Survey (BEEPS)[7] beheben. In ihr wurde die Qualität von Governance in 20 Transitionsländern von der Sicht der Firmen her gemessen. Erkenntnisse über die Arten von Interaktionen von Firmen unterschiedlichster Qualität mit dem Staat konnten gewonnen werden. Außerdem ergibt sich nun die Möglichkeit die Charakteristik der Bestechungszahlungen genauer zu untersuchen. Ein zusätzlicher Vorteil von BEEPS gegenüber anderen Korruptionsindizes, wie dem Corruption Perceptions Index von Transparency International, liegt darin, dass nun direkte Erfahrungen und Aktionen von Firmen gemessen wurden und nicht das Ergebnis von Einschätzungen externen Beobachter abhängt. Dies soll einen besseren Einblick in das Phänomen Korruption bieten und helfen, die bisherige Definition von Korruption zu revolutionieren. Darunter fällt auch die genauere Bestimmung von Hellmans ‚veto power’ der Reformgewinner. Für dieses Problem wird nun durch BEEPS der Begriff „state capture“ geprägt. Eine erste Begriffsdefinition sieht in state capture, „die Bemühungen von Firmen die bestehenden Spielregeln (d.h. Gesetzgebung, Gesetze, Verordnungen und Dekrete) durch private Zahlungen an öffentliche Bedienstete zu formen und zu beeinflussen“[8].
Eine tiefergehende Analyse von BEEPS folgte mit der Publikation „Seize the State, seize the Day“[9]. In ihr wird nun die Ankündigung den Korruptionsbegriff aufzuschlüsseln vollzogen, was das alte Bild vom Staat als ‚grabbing hand’ ergänzen soll. Dafür entwickeln die Autoren drei verschiedene Kategorien der Interaktionen zwischen Firmen und dem Staat: 1) administrative Korruption, 2) influence[10] und 3) state capture.
Administrative Korruption wird definiert als private Zahlungen an Beamte, um die Umsetzung von existierenden bürokratischen Bestimmungen zu verzerren. Nutznießer sind hier vor allem die Beamten. Diese Art der Interaktion ist diejenige, welche am ehesten noch dem Bild vom Staat als korruptem Ausbeuter nahe kommt. Influence und state capture hingegen sind Vorgehensweisen der Firmen, um die Ausformung von neuen Gesetzen, Verordnungen und Regulierungen für sie vorteilhaft zu beeinflussen. Der Unterschied zwischen den beiden Kategorien besteht darin, dass state capture explizit illegale und nicht transparente Zahlungen beinhaltet, während influence ohne solche Zahlungen ausgeübt wird. So definiert ähnelt zwar influence sehr dem tatsächlichen Einfluss, welchen Unternehmen permanent auf den politischen Entscheidungsprozess haben. Dennoch wird influence als eine Unterart von Korruption betrachtet.
Um state capture richtig zu erfassen muss noch zwischen Ausmaß und Konzentration in dem einzelnen Land differenziert werden.[11] Wie sehr eine Volkswirtschaft eine ‚capture economy’ ist, hängt davon ab, wie viele Firmen durch state capture negativ betroffen sind[12], während die Konzentration durch die tatsächliche Anzahl state capture betreibender Firmen bestimmt wird. Das Ergebnis[13] lässt den Schluss zu, dass in Ländern mit nur partiellen politischen wie wirtschaftlichen Reformen state capture ein deutlich größeres Problem ist als in den anderen Staaten.
Die Trennung von state capture und influence bestätigt sich für die Autoren darin, dass bei der Differenzierung von state capture betreibenden Firmen (‚captor firms’) und „einflusshabenden“ Firmen (‚influential firms’) kaum bis gar keine Überschneidungen zu erkennen sind. State capture und influence sind demnach zwei definitiv unterschiedliche Firmenstrategien. Detaillierte Untersuchungen ergeben, dass influence vor allem durch die alten, ehemals sozialistischen Konglomerate betrieben wird, state capture hingegen eher die Strategie von Neugründungen ist, weil diese eine größere Unsicherheit bezüglich ihrer Eigentumsrechte verspüren. Kleinere Firmen sind primär mit administrativer Korruption konfrontiert bzw. müssen sie betreiben.
Hellmans Modell folgend wird der Ursprung von state capture im Reformprozess gesehen. Als Beweis dient eine Korrelationsanalyse zwischen dem Grad der capture economy und dem „Ausmaß“ der Bürgerrechte und -freiheiten. Es wird die oben genante Vermutung bestätigt, dass in den Ländern mit partiellen Reformen state capture am häufigsten vorkommt. Sobald aber ein gewisses Maß an Rechten und Freiheiten gewährt wird, sinkt das Ausmaß wieder. Als erste Bekämpfungsmaßnahmen werden empfohlen, das gesellschaftliche Monitoring zu verbessern und den wirtschaftlichen Wettbewerb zu stärken. Doch wird zugleich der provisorische und vorläufige Charakter dieser Untersuchungen betont.[14]
Neben diesen beiden Grundlagentexten veröffentlichte die Weltbank bzw. die EBRD weitere Publikationen, die diesen Mangel ein wenig beheben sollten. Einen größeren Beitrag zur Weiterentwicklung des state-capture-Konzepts leistet „Intervention, corruption and capture“[15] nicht. Vielmehr ist beachtenswert, dass trotz der zeitlichen Nähe zu „Seize the State“ die Kategorie des influence stillschweigend getilgt wurde bzw. in der state-capture-Definition aufgegangen ist.[16] Diese wird ein wenig spezifiziert. Erfolgreiches state capture bedarf zweier Bedingungen: Zum einen müssen Firmen tatsächlich in der Lage sein, illegalen Einfluss ausüben zu können und zum anderen dürfen es nicht zu viele Firmen sein, die dies machen. State capture kann nur durch eine kleine konzentrierte Gruppe wirkungsvoll praktiziert werden.[17]
Eine andere Veröffentlichung[18] konzentriert sich primär auf den Zusammenhang zwischen ausländischen Direktinvestitionen (FDI) und state capture. Auch hier kommt influence als Firmenstrategie nicht vor.[19] Aber bezüglich state capture werden einige interessante Schlussfolgerungen gezogen. Korruption senkt im Generellen die FDIs und zieht vor allem Investoren mit minderer corporate-governance-Qualität an. In high capture economies sind diese ausländischen Firmen sogar häufiger in state capture aktiv als Einheimische und verschlimmern dadurch die Situation. In low capture economies hingegen sind ausländische Firmen ehrlicher als Einheimische. Folglich ist das Betreiben von Korruption eine bewusst gewählte Firmenstrategie, um im Konkurrenzkampf besser überleben zu können. Selbst internationale Verhaltenskodizes haben nichts gegen diese Rationalität bewirken können.[20] Folglich muss von dem Vertrauen auf freiwillige Selbstkontrolle der Firmen abgegangen werden und mehr Wettbewerb und leichterer Marktzugang hergestellt werden, damit die Kräfte des Marktes selbst zur Senkung der Korruption beitragen können.[21]
Die umfangreichste Verarbeitung der BEEPS fand in dem Weltbank-Dossier „Anticorruption in Transition“[22] ihre Gestalt. Um den eigenen Anspruch, wirkungsvollere und passendere Antikorruptionsmaßnahmen zu entwerfen, gerecht zu werden, entwickelt die Studie eine 4-Typologie[23], in welchen sie die von BEEPS untersuchten Länder einordnet. Für jede der vier Gruppen werden dann spezifizierte Vorschläge abgegeben.[24]
Als Folgen von state capture werden u.a. ein langsameres Wirtschaftswachstum, die Vergrößerung der Wohlstandsschere, die Schwächung staatlicher Institutionen und der Verlust der Glaubwürdigkeit von Politikern angeführt. Ursachen für state capture sind vor allem die Entscheidungen, welche während der Transition gefallen sind. Darunter fallen ein eventueller klarer Bruch mit der alten politischen Elite und deren Auswechslung, die Schnelligkeit und das Ausmaß der Umsetzung der notwendigen Reformen und auch die Art und Weise, wie die Privatisierung von den alten Staatsbetrieben vonstatten ging. Die größte Gefahr für diese Länder, in welchen das Problem ein extensives Ausmaß angenommen hat, besteht darin in einen Teufelskreis von state capture und Schwächung des politischen Systems, in die sog. „partial reform trap“[25], zu geraten.
Gegenrezepte werden v.a. in erhöhtem und transparenterem wirtschaftlichen sowie politischen Wettbewerb gesehen. Der Rechtfertigungsdruck auf die Politik muss steigen, um ehrlichere Politik möglich zu machen. Die Partizipation der Zivilgesellschaft muss aktiviert und erweitert werden. Die Konzentration innerhalb der Wirtschaft soll durch bessere Liberalisierung, wirksamere Regulation von Privatisierungen und leichteren Marktzugang verringert werden.
3. Alternativen
Neben den state-capture-Schriften der Weltbank bzw. EBRD gibt es noch weitere, die sich mit dem Problem beschäftigen, aber andere Akzente setzen. In „The Injustice of Inequality“[26] setzen die Autoren den Schwerpunkt darauf, wie Ungleichheit des Reichtums dazu beiträgt die staatlichen Institutionen zu unterminieren. Ihnen zufolge gibt es zwei Wege den Staat zu schwächen: Die sog. Robin-Hood-Umverteilung, bei welcher die Verlierer bzw. Habenichtse durch Gewalt oder anders ihren Anteil am Reichtum einfordern, und die sog. König-John-Umverteilung – vergleichbar mit dem state-capture-Konzept – bei der die Besitzenden das politische System zu ihren Gunsten beeinflussen.[27]
Bei letzterer verlieren die Nichtbesitzenden im Laufe der Zeit das Vertrauen ins System, wenden sich ab und schwächen es somit, wodurch das Ausmaß der Ungleichheit weiter wächst. Voraussetzung hierfür ist aber bereits eine institutionelle Schwäche des Systems, da in starken Systemen, wie der USA, Ungleichheit keine negative Konsequenzen hat. Das Patentrezept der Autoren lautet demnach: Institutionelle Reform anstatt materieller Umverteilung.
Diesen negativen Aspekt von Ungleichheit greifen Hellman und Kaufmann[28] auf, aber argumentieren, die Reduzierung des Vertrauens in die staatlichen Institutionen geschieht nicht durch die Ungleichheit von Reichtum, sondern durch die Ungleichheit von Einfluss. Das Ausmaß wie sehr Reichtum in Einfluss konvertiert werden kann, hängt vom politischen System ab. State capture wird hierbei als eine, aber nicht alleinige, partikulare Teilerscheinung von Einfluss aufgefasst.[29] Analog zu „Injustice of Ineqality“ haben einflussreichere Firmen mehr Vorteile, wodurch die restlichen Firmen sich vom Staat entfremden. Hier überraschen Hellman und Kaufmann mit dem Bekenntnis, dass sie zwar vermuten, politische Institutionen können das Ausmaß von Einflussunterschieden beeinflussen, es aber nicht genau wissen und deswegen auf weitere Untersuchungen hoffen. Nichtsdestoweniger geben sie zu bedenken, dass Ungleichheiten in Ländern mit partiellen Reformen am größten sind.[30]
Ein weiterer Autor, Oleksiy Omelyanchuk, sieht sich in der Tradition der Weltbank/EBRD-Literatur, nimmt für sich aber in Anspruch bezüglich state capture eine konsistente Theorie abgeben zu können.[31] Die Definition von state capture und influence vermischt er jedoch, um seine Theorie besser untermauern zu können.[32] Gleichzeitig sieht er in der vermeintlichen Überbetonung von kleinen und mittleren Firmen durch BEEPS einen sehr großen Nachteil. Für ihn betreiben vor allem große Firmen, die Oligarchen, state capture. Seine Theorie von den Ursprüngen von state capture rechnet zwei strukturellen Variablen Erklärungskraft zu: 1) die Korrelation der Konzentrationen von ökonomischer sowie politischer Macht und 2) den Entwicklungsgrad von Zivilgesellschaft in dem jeweilige Land.[33]
Die Korrelation der beiden Konzentrationen bestimmen den Grad des dem state-capture-Ausgesetztseins (‚exposure to state capture’), während dann das Entwicklungsstadium der Zivilgesellschaft auf das Risiko des Eintretens von state capture einwirkt.[34] Unterstellt wird, dass die Firmen egoistische, rationale Nutzenmaximierer sind und dass sie, sobald genügend Ressourcen zu Verfügung stehen, also ökonomische Macht konzentriert ist, versuchen state capture zu betreiben und es umso leichter fällt, je konzentrierter die politische Macht ist.
Damit sind für Omelyanchuk, entgegen der herkömmlichen Theorie, state capture economies Produkte der Interessen mächtiger Oligarchenfirmen in einem strukturellen Umfeld, welches dies ermöglicht. Als notwendige Gegenmaßnahmen wird empfohlen, die Konzentration der politischen Macht durch mehr checks and balances zu reduzieren und die öffentlichen Kontrollmechanismen zu perfektionieren.
Die neueste Publikation in dieser Reihe ist ein Diskussionspapier von Daniel Kaufmann[35]. Die prominenteste Erkenntnis darin ist die Tatsache, dass die Weltbank, einige Jahre nach Hellmans These, immer noch gegen die alten Sichtweisen angehen muss. Diese Schrift basiert zwar nicht mehr auf BEEPS, sondern auf einer Studie des Global Competitiveness Report, liefert aber im Großen und Ganzen die gleichen Ergebnisse, nachdem Kaufmann die alten Definitionen übernimmt. In seinem Kampf gegen die Orthodoxie fordert er auf, die Rolle der Firmen in der Gestaltung des Geschäftsklimas näher zu analysieren; den Staat-Gesellschaft-Nexus besser zu verstehen; Korruption nicht nur als Folge von Missständen zu sehen, sondern auch als eine bewusste Entscheidung von Akteuren; und vor allem eine bessere und genauere Untersuchung von Einfluss![36] Dies ist unbedingt notwendig, da eine Beeinflussung des Staates durch Privatpersonen oder Firmen alltäglich sei, nur muss erkannt werden, was illegal ist und was nicht. Darunter muss auch die Parteienfinanzierung subsumiert werden, da durch sie auch der politische Wille, ob Reformen durchgesetzt werden oder nicht, geformt wird.
4. Schwäche der Definition und Kritik an BEEPS
Die bisherige Abhandlung über die verschiedenen Herangehensweisen an das Phänomen des state capture hat bislang aufgezeigt, dass noch einige Probleme und Ungenauigkeiten mit diesem Thema verbunden sind. Wahrscheinlich ist dies noch der relativen Aktualität des neuen Bewusstseins geschuldet, aber selbst die Autoren der Weltbank und der EBRD, die diesen Paradigmenwechsel initiierten und ein erstes Konzept schufen, waren bisher nicht in der Lage eine systematische und stringente Theorie zu formulieren.
Unter den Mängeln des state-capture-Konzepts sticht vor allem die Schwierigkeit hervor klare Definitionen zu setzen. Angeleitet durch Hellmans Analysemodell der partiellen Reform bestand der Anreiz darin, die Einflussmöglichkeiten der großen Firmen zu identifizieren. Die offenkundlichen negativen Begleiterscheinungen dieses Einflusses für die betroffene Gesellschaften ließen die Kategorie des state capture entstehen, welche darauffolgend als eine bestimmte Art der Korruption betrachtet wurde. Doch die Autoren der ersten weitergehenden Analyseschrift trennten nun die Möglichkeiten, welche Firmen haben auf den Staat einzuwirken, mit scharfen Trennlinien in gute, legale und schlechte, korrupte.[37] Letztere unterteilten sie wiederum in state capture und influence. Differenzierungskriterium ist die Art und Weise des Einflussausübens, einmal durch Geld und einmal ohne. Worin der genaue Unterschied zwischen dem so definierten korrupten Einfluss, influence, und dem ganz legalen Einfluss, wie z.B. Lobbyarbeit, besteht, wird nicht erläutert. Ganz im Gegensatz dazu wird dem illegalen Einfluss mehr Ähnlichkeit zu state capture zugesprochen als zu dem legalen Einfluss. Gleichzeitig wird aber die strikt getrennte Existenz dieser beiden Definitionen des illegalen Einflusses, nämlich state capture und influence, betont und ein Nebeneinander dieser Arten als legitim angesehen.
Darin bestärkt sehen sich die Autoren auch durch die Ergebnisanalyse von BEEPS. Firmen wurden nach ihrer Strategie der Einflussnahme auf den Gesetzgebungsprozess gefragt und die Kriterien wiederum in monetären, wie dem Kauf von Abgeordnetenstimmen, und nicht monetären getrennt. Bei letzterem aber entfällt nun eine weitere Differenzierung, sondern ein Firma gilt bereits als „einflussreich“, also influential, wenn sie in irgendeiner Form Einfluss ausübt.[38] Die analytisch interessantere Frage, ob der Einfluss durch persönliche Beziehungen, durch die Dominanz der Firma in ihrem Wirtschaftssektor des Landes oder durch legitimes und sinnvolles Lobbying erfolgt, wird nicht beantwortet bzw. nicht weiter verfolgt.
Eine weitere Ungenauigkeit innerhalb der Definitionen betrifft die vermutete Illegalität der Zahlungen von Firmen an Politiker, Beamte oder Parteien. Als ein Kriterium des state-capture-economy-Index ist ausdrücklich die illegale Parteienfinanzierung mitaufgenommen.[39] Nur stellt sich die Frage, was eigentlich genau „illegal“ ist. Vor allem mit dem Hintergrund, dass ein Korruptionsphänomen untersucht wird, welches die Formung und Ausgestaltung von Gesetzen, somit die Legalität, betrifft. Aus den Angaben geht nicht hervor, ob es illegale Zahlungen im Sinne der Gesetze des untersuchten Landes sind oder auch nur als illegal von den befragten Managern empfundene Zahlungen sind.
Weiterhin ist es wenig nachvollziehbar, warum aus der Kategorie des state capture, welche entwickelt wurde, um Hellmans vermutete veto power zu erklären, der nicht monetäre Einfluss ausgesondert wurde, obwohl das Konzept des regulatory capture, auf welches sich ausdrücklich berufen wird,[40] diesen extra miteinbezieht. Das Konzept des regulatory capture zählt neben monetären Zahlungen noch weitere Mittel auf öffentliche Entscheidungsträger zu beeinflussen: Versprechungen auf zukünftige Beschäftigung in ihrer Firma; persönliche Beziehungen; das Versprechen, die Politik des Angesprochenen nicht öffentlich zu kritisieren, also quasi passive Wahlkampfhilfe; und außerdem noch aktive Wahlkampfhilfe. Dies sei aber auch nur die Spitze des Eisbergs von möglichen Einflussmöglichkeiten.[41]
Vor allem erstaunt weiterhin, dass selbst die diese Definitionen setzenden Autoren nicht sonderlich stringent mit ihnen umgehen, aber gleichzeitig nie eine Revision von ihnen vornehmen. „Seize the State“ war zwar die erste, aber auch die einzige Schrift, die sich dem korruptiven, nicht monetären Einfluss gewidmet hat. In den anderen Weltbank/EBRD-Publikationen wird nur noch auf state capture alleine rekurriert. Die influence-Kategorie bleibt unbeachtet, wenn nicht sogar nur noch zwischen state capture als korrupte Handlung und Einfluss als solchem dichotom unterschieden wird.[42]
Verkompliziert wird dieses definitorische Dilemma dadurch, dass die Alternativpublikationen in dieser Hinsicht nichts beizutragen haben, sondern für ihre Herangehensweisen einfach state capture und Einfluss ineinander führen.[43] Nur allzu gut lässt sich deswegen Kaufmanns Forderung nach einem besseren Verständnis der Kategorie Einfluss nachvollziehen.[44]
Mitschuld an diesen Mängeln in den Konzeptdefinitionen hat sicherlich auch die empirische Grundlage BEEPS. Bei Hellman dienten empirische Daten als Testmaterial, um die bisher ungetesteten J-Kurven-Annahmen zu widerlegen. BEEPS und state capture stehen im genau entgegengesetzten Verhältnis: zuerst die Daten, dann die analytische Theorie.
Der Anspruch von BEEPS besteht darin Korruption in den Transitionsländern zu messen und damit die beiden Seiten der Staat-Firmen-Beziehung zu identifizieren und zu analysieren. Dies fällt bei administrativer Korruption noch relativ leicht, da tatsächlich die Manager danach befragt werden können, ob sie Bestechungszahlungen leisten oder nicht.[45] State capture zu messen hingegen ist mit zwei Problemen konfrontiert. Wie oben näher ausgeführt kann state capture durch eine Vielzahl von Möglichkeiten bewirkt werden, die den Spielraum des Monetären weit hinter sich lassen. Problematisch ist nur, dass man diesen nicht monetären Einfluss schlecht oder gar nicht messen kann, sich daher die BEEPS größtenteils auf den durch illegale Geldzahlungen erfolgten state capture konzentriert. Dass dadurch in der Auswertung ein verzerrtes Bild der Wirklichkeit entsteht, versteht sich von selbst.[46]
Zum anderen resultieren die schädlichen Konsequenzen von state capture nicht daher, wie viele Firmen state capture – im monetären Sinne – betreiben, sondern wie sehr die anderen ehrlichen Firmen davon betroffen sind. Die Identifikation von captor firms alleine reicht nicht aus. Es wird angeführt, dass im Extremfall ein einziges mächtiges Monopolkartell den Grad der capture economy stärker beeinflussen kann als viele kleinere Firmen, die auf legalem Wege Einfluss ausüben wollen.[47] Aus diesem Grund müssen die anderen Firmen nun befragt werden, wie sehr state capture sie schädigt. Diese Ergebnisse beruhen also auf den subjektiven Meinungen der befragten Manager. Dadurch verliert BEEPS den Anspruch objektiver gegenüber anderen Korruptionsindizes zu sein, wie er allerdings erhoben wird.[48]
Durch diese engen Grenzen der empirischen Forschung – gemessen wird das, was tatsächlich messbar ist – fallen sehr viele Arten der Korruptionsausübung unter den Tisch. Sobald Einflussnahme subtilere, höher entwickelte Formen angenommen hat, kann BEEPS das nicht nachvollziehen. Die Gefahr besteht darin, dass das Bild von Korruption dadurch verzerrt wird und die falschen Gegenmaßnahmen ergriffen werden. State capture deswegen nur als monetär abgewickelte Korruption und den Rest irgendwie als influence zu sehen ist zwar eine schmeichlerische Lösung, dient aber der Wahrheitsfindung nicht wirklich. Den einzigen Schluss, den diese Betrachtungsweise zuließe, wäre der, solange sich noch die Korruption auf state-capture-Ebene abspielt und noch nicht so ausgefallene und trickreiche Variationen wie in den OECD-Ländern hervorgebracht hat, sind noch erhebliche wirtschaftliche und politische Reformen durchzusetzen. Dadurch wäre zwar state capture bekämpft, aber nicht die Korruption.
Eine weitere Verzerrung präsentiert BEEPS dadurch, dass nur Firmen befragt werden. Das hat den Vorteil, dass nun ausdrücklich die Verbindung zwischen Staat und Firmen, der sog. public-private-nexus, analysiert werden kann. Gleichzeitig folgt daraus, dass der public-public wie auch der private-private-Bereich außer Acht gelassen werden, wenn man sich der Korruption nähert.[49] Durch die Befragung von Firmen alleine wird auch verschleiert, dass nicht nur Firmen state capture, im Sinne von Pervertierung der Gesetzgebung zum Wohle einiger weniger und zum großen Schaden für die Allgemeinheit, betreiben können, sondern auch andere Gruppen oder auch Individuen. Beispiele wären Militärregime, kleptokratische Regierungen und vielleicht gehört hier auch Silvio Berlusconi eingereiht.[50]
Wie sehr solche Ungenauigkeiten Verzerrungen hervorrufen wird deutlich an den beiden Ländern Weißrussland und Usbekistan. Sie werden nicht gerade zu den reformfreudigsten Ländern gezählt, haben aber erstaunlicherweise einen niedrigen state-capture-Index – vergleichbar mit dem der am weitest fortgeschrittenen Ländern. Unzweifelhaft hat dennoch in beiden Staaten jeweils eine kleine Gruppe sich wortwörtlich des Staates bemächtigt und ihn zu ihren Nutzen gebraucht, zum großen Schaden für das restliche Volk. Daher wird zugegeben, dass die Ergebnisse aus diesen beiden Ländern nicht wirklich mit denen der schnelleren Reformländern vergleichbar seien.[51]
Zusätzlich problematisch bei den Firmeninterviews scheint zu sein, dass tendenziell mehr mittlere und kleinere Firmen befragt werden und größere Unternehmen außen vor bleiben.[52] Folge davon ist, dass auch mehr mittlere und kleine Firmen als captor firms identifiziert werden, entgegen den üblichen Annahmen. Diesen Mangel will vor allem Omelyanchuk dafür gesehen haben, seine eigene – vermeintlich bessere – Theorie zu entwickeln.[53] Letztendlich aber wird in den meisten Texten unterstellt, dass nur eine kleine Gruppe von mächtigen Firmen sich die Fähigkeit Einfluss nehmen zu können erworben hat, die ökonomische Macht der Gesellschaft konzentriert ist und dass die anderen Firmen darunter zu leiden haben.
5. Einflussnahme als Kontinuum
Trotz all dieser aufgeführten Ungenauigkeiten und Mängel bieten die herangezogenen Publikationen Orientierung in der Handhabung des neu erkannten Phänomens des state capture. Nähert man sich diesen Ausführungen mit der gebotenen Vorsicht und beäugt kritisch manche Nachlässigkeit beim Definieren, lassen sich einige Schlüsse ziehen, welche bereits im embryonalen Zustand den bisherigen Analysen unbewusst unterstellt waren, aber nie klar formuliert und präsentiert wurden. Hier soll nun das Flickwerk der Erkenntnisse über state capture zusammengeführt werden und eine Alternativdefinition vorgeschlagen werden, die helfen soll das Verständnis darüber zu verbessern.
Der Korruption analytisch Herr zu werden setzte die Aufschlüsselung des Begriffes voraus. Die Trennung in gesetzumgehende und gesetzbeeinflussende Korruption ist sinnvoll und notwendig. Nur letztere ist mit Hellmans veto power identifizierbar. Gesetzumgehende Korruption als administrative Korruption in feste definitorische Formen zu gießen ist ebenfalls angebracht, da solche Aktionen tatsächlich gemessen werden können bzw. Manager können genau angeben, ob sie solche Zahlungen leisten oder nicht. Die andere Seite hingegen kann durch eine solche starre Betrachtungsweise nicht vollständig erkannt werden. Gesetzbeeinflussende Korruption ähnelt nicht nur gesetzbeeinflussendem Einfluss, sondern ist solcher. Eine Differenzierung ist nur in legalen und illegalen Einfluss, oder gar nur in legitim und illegitim, möglich. Daher ist es sinnvoller Einflussnahme von Firmen – und nur von Firmen, was man bei der Analyse von Korruption und Ausarbeitung möglicher Gegenstrategien beachten muss – als generellen Oberbegriff zu sehen und sie als ein Kontinuum zu betrachten. Extreme, und damit Untereinheiten von Einfluss, sind zum einen die „primitivste“ Form der Korruption – monetäre Geldzahlungen, die die Weltbank-Literatur als state capture definiert hat – und zum anderen der legitime Einfluss von Firmen auf die Politik in Form von ordentlichem und transparentem Lobbying und Beratung. Auf diesem Kontinuum lassen sich in einem nächsten Schritt alle Arten von Einflussnahme auftragen. Dadurch kann auch die Kategorie des influence wieder ihren Platz finden als eine sublimiertere Form der Korruption. Dass dies möglich ist, bewies „Seize the State“ bei der Identifizierung der unterschiedlichen Firmenstrategien.[54]
Versuchte Einflussnahme von Firmen auf den Gesetzgebungsprozess ist eine alltägliche Geschichte, welche in jedem Land vonstatten geht. Man muss davon ausgehen, dass kapitalistisch organisierte Unternehmen rationale und egoistische Nutzenmaximierer sind. Ihr Ziel ist die Renditemehrung. In der Literatur wurde bewiesen, dass sich die Strategie jeweils dem Umfeld bzw. den Begebenheiten eines Landes anpasst.[55] Auf besseres corporate governance und Appelle an das Ethikempfinden der Manager sollte das Vertrauen nicht beruhen. Ein einziges Unternehmen kann im Extremfall aufgrund seiner illegalen Aktionen die Performance aller anderen Firmen vermindern, welche sich dann eventuell der administrativen Korruption als ihrer Strategie zuwenden oder es sogar müssen. Eine Erosion der staatlichen Institutionen wäre die Folge. Vor dem Problem, dass Einzelinteressen von Unternehmen meist oder oft nicht dem Gemeinwohl einer Gesellschaft entsprechen, aber das Einzelinteresse durchaus versucht eine Deckungsgleichheit zu erreichen, stehen auch die OECD-Länder. Da selbst hier ca. 18 % der Firmen von state capture berichten,[56] muss davon ausgegangen werden, dass Korruption eine Unternehmensstrategie ist und diese auch angewandt wird, sobald dies möglich oder sogar nötig wird.
Die Umstände haben bewiesenermaßen Einfluss darauf, welche Strategie gewählt wird. Der Zusammenhang zwischen den Konzentrationen von politischer sowie wirtschaftlicher Macht und dem Ausmaß und der Art der Einflussnahme zieht sich wie ein roter Faden durch die behandelte Literatur. Je „primitiver“ – primitiv im Sinne von demokratischen Standards – ein Staat organisiert ist, desto primitiver ist auch die Art der Korruption. Primitivste Form ist Einfluss durch Geld – state capture.
Wenn durch die institutionelle Beschaffenheit eines Staates die Entscheidungsbefugnisse auf wenige Organe oder gar wenige Personen konzentriert sind und Kontrollinstanzen oder eifersüchtige institutionelle Gegenspieler fehlen bzw. nicht wirklich funktionstüchtig sind, dann liegt es auf der Hand, dass sich in solchen Szenarien state capture häufiger ereignet. Werden checks and balances bestärkt und gefördert, mehr Kontrollorgane, wie Rechnungshöfe oder Ombudsmänner, installiert, die politische Opposition gestärkt, mehr Personen an der Gesetzgebung beteiligt, wächst zum einen die Notwendigkeit mehr Bestechungen zu leisten und zum anderen die Gefahr der Aufdeckung. Daher wandelt sich die Art der Einflussnahme von beispielsweise state capture zu parochialer Korruption, sublimiert sich in ihrem kriminellen Charakter, oder wechselt in das Lager der Legalität.
Den Anreiz zu verhindern, dass ein singuläres Interesse ungerechtfertigerweise als dem Gemeinwohl dienend klassifiziert wird, haben selbstverständlich auch die Konkurrenten der Firmen, welche diese Umwertung durch Korruption erreichen wollen. Voraussetzung allerdings ist, dass diese Konkurrenten überhaupt existieren. Ist also die ökonomische Macht in der Gesellschaft derart konzentriert, dass einige wenige mächtige Oligopole (oder Oligarchen) mehrere Wirtschaftssektoren so dominieren, dass sich eine Investition bzw. Firmengründung dort nicht lohnt, bleibt die der freien Marktwirtschaft inhärente Kontrolle durch Konkurrenz aus und Korruption ist im verstärkten Maße möglich. Die Einschätzung, dass vor allem innerhalb des wirtschaftspolitischen Bereichs Gerechtigkeit herrscht, und das Gefühl, dass alle gleiche Chancen haben, ist eine Grundvoraussetzung, dass sich die Firmen nicht in einen Korruptionswettkampf begeben, sondern die allgemeinen Spielregeln akzeptieren. Die Ausgestaltung und Zusammensetzung der Wirtschaft eines Landes ist also ebenso relevant wie die der politischen Institutionen. Privatisierungen müssen transparenter, gerechter und einflussfreier vonstatten gehen, Barrieren für das freie Wirtschaften für kleinere Firmen beseitigt werden, Wettbewerb gefördert werden und für einen leichteren, besseren und schnelleren Marktzugang muss gesorgt werden.
Für diese Überlegungen waren die Ausführungen von Omelyanchuk sehr hilfreich, der diese beiden Konzentrationen als Gradmesser ansieht, in welchem Maße sich eine Gesellschaft der Gefahr aussetzt Opfer von state capture zu werden. Zu beachten ist nur, dass Omelyanchuk als Beleg für seine These auf BEEPS zurückgreift und somit nur die monetär fassbare Korruption betrachtet.[57] Zuspruch findet auch seine analytisch zweite Phase, die Abhängigkeit von state capture von dem Ausbildungsgrad einer Zivilgesellschaft.
Gesellschaftliche Kräfte haben einen ungeheuren Wert, wenn es darum geht Kontrolle auszuüben. Voraussetzung ist das Wissen davon den Nexus Staat-Unternehmen überhaupt kontrollieren zu müssen. Die Erkenntnis, dass nicht jedes Firmeninteresse der Gesellschaft als Ganzer hilft, muss dem Volk zu Bewusstsein kommen. Zum anderen bedarf es auch Aktivität innerhalb der Gesellschaft. Das Problem nur erkannt zu haben reicht kaum aus. Organisationen, die sich als kritische Dritte neben Staat und Unternehmen etablieren, wie Medien, Wirtschaftsverbände, Gewerkschaften, NGOs in ihrer vielfältigsten Form, müssen der Gesellschaft die Möglichkeit geben, die Einflussnahme der Unternehmen auf den Staat selbständig beurteilen zu können. Daraus folgt, dass im Großen und Ganzen die jeweilige Gesellschaft selbst entscheiden sollte, was für sie auf dem Einflusskontinuum noch als legitim empfunden wird und was nicht. Je intensiver eine Gesellschaft demokratisiert und je intensiver die Wirtschaft liberalisiert ist, desto stärker wächst das Bedürfnis der Gesellschaft immer mehr Arten der Einflussnahme zu verbieten, weil sie nicht mehr akzeptiert werden. Die Korruption im Staat-Firmen-Nexus sinkt und der Test der Firmeninteressen an den Interessen des Gemeinwohls fällt objektiver aus.
Durch BEEPS wurde offenbart, dass in vielen Transitionsländern der Zustand des politischen wie wirtschaftlichen Systems so mangelhaft ist, dass state capture ein Flächenphänomen ist und so diese Staaten noch auf der untersten Ebene des Einflusskontinuums stehen. Die progressiveren Reformstaaten konnten sich hingegen schon ein wenig weiter begeben. Die ständige Revision der Situation in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft ist notwendig, um bereits erreichte Ebenen der Korruptionsbekämpfung beizubehalten. Dass immer Verbesserungen vorzunehmen sind, zeigt u.a. das Bemühen von Transparency International in einem Land wie der Bundesrepublik Deutschland Informationsfreiheitsgesetze etablieren oder die Parteienfinanzierung reformieren zu wollen, um eben jenen Staat-Firmen-Nexus noch wirkungsvoller zu kontrollieren.
Zusammenfassend lässt sich sagen: Es liegt in der Natur von Firmen, Einfluss auf die Gesetzgebung ausüben zu wollen. Es ist davon auszugehen, dass, egal wie hoch die corporate-governance-Verpflichtungen gesteckt sind, mehrere schwarze Schafe Korruption als Strategie wählen werden. Lassen die institutionellen Rahmenbedingungen von Politik und Gesellschaft dies zu, wird es auf kurz oder lang geschehen. Einflussnahme ist ein vager und weiter Vorgang. Die Definition über Illegitimität sollte der Gesellschaft überlassen bleiben, insofern sie in der Lage ist, überhaupt wirkungsvoll solche Definitionen setzen zu können. Reformen wie auch ein Bewusstseinswandel durch Bildung und Information sind nötig und möglich. Vor allem das Wissen über nicht monetären, aber dennoch korrumpierenden Einfluss ist wichtig. All zu verlockend sind die Analysen der BEEPS, welche suggerieren, Korruption beschränke sich nur auf den monetären Bereich. Aber ein erster Schritt in die richtige Richtung sind sie sicherlich.
6. Resümee
Seit Hellmans grundlegendem Aufsatz sind bereits einige Jahre vergangen. Abgesehen von einigen Ausnahmen jedoch beschränkte sich sie Analysetätigkeit auf die Weltbank und die EBRD. Selbst 2003 musste Kaufmann noch mit „Rethinking Governance“ eine Publikation veröffentlichen, die im Grunde auch nicht mehr fordert als Hellman 1998. Das Phänomen der illegitimen Einflussnahme von Firmen ist anscheinend, trotz seines Ausmaßes, noch nicht wirklich als ein wissenschaftlicher Untersuchung würdiges Forschungsfeld erkannt worden.
Die meisten der relevanten Publikationen sind in dieser Arbeit vorgestellt, betrachtet und untersucht worden. Durch die Zusammenführung der einzelnen Annahmen und Resultate ist es möglich gewesen state capture besser zu verstehen. Die definitorischen Mängel hingegen verzerrten zum größten Teil das Bild und erschwerten das Durchdringen der Materie. Eine Lösung dieser Probleme wird in der Umdefinierung von state capture zu einer bloßen Untereinheit von Einfluss von Firmen auf die Politik gesehen. Die bisherigen Definitionen waren nicht hilfreich bzw. sogar hinderlich state capture im richtigen Lichte zu erblicken.
Nichtsdestoweniger decken sich in einem größeren Maße die Bekämpfungsstrategien der Vorgängeranalysen mit den hier vorgeschlagenen, obwohl verschiedene Definitionen verwendet wurden. Als wichtigstes Element der Bekämpfung wird die Überwachung und Kontrolle des Staat-Firmen-Nexus betrachtet. Primäres Ziel der Transitionsländer sollte also sein, die Grundvoraussetzungen zu schaffen, dass jene Kontrolle auch durchgeführt werden kann.
Eine tiefergehende Gesamtanalyse bezüglich der Antikorruptionsmaßnahmen ist nicht sinnvoll, die Länder befinden sich auf verschiedenen Niveaus, so dass Vergleiche kaum möglich sind bzw. keine Schlussfolgerungen zulassen. Die Ausarbeitung eines Konzepts mit einer besseren Definition des zu bekämpfenden Problems stellt nur eine Art Grundlagenforschung dar und kein Allheilmittel. Einzelne Länderstudien müssen die Analysearbeit vollenden und ihren jeweiligen Beitrag leisten, die Korruption in diesen Staaten zu bekämpfen.
Ebenso kritisch sollte auch die Art und Weise der Datenerhebung betrachtet werden. Anhand von BEEPS konnten einige Probleme der empirischen Politikforschung und deren Folgen erläutert werden. BEEPS spiegelt zwar nicht die Realität wider, indiziert aber zumindest ein wenig die Probleme, die noch in den Transitionsländern ausgefochten werden müssen.
7. Literatur
Glaeser, E./ Scheinkman, J./ Shleifer, A.: The Injustice of Inequality, Harvard Institute of Economic Research, Discussion Paper Nr. 1967, Harvard University 2002.
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Hellman, J./ Jones, G./ Kaufmann, D.: Far from Home: Do Foreign Investors Import Higher Standards of Governance in Transition Economies?, Draft, Washington DC. 2002.
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Kaufmann, D.: Rethinking Governance. Empirical Lessons Challenge Orthodoxy, Draft, Washington DC. 2003.
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Laffont, J./ Tirole, J.: A Theory of Incentives in Procurement and Regulation, Cambridge 1993.
Omelyanchuk, O.: Explaining State Capture and State capture Modes: The Cases of Russia and Ukraine, Budapest 2001.
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World Bank: Anticorruption in Transition. Confronting the Challenge of State Capture, Washington DC. 2000.
(Online: www.worldbank.org/wbi/governance/pdf/contribution.pdf)
[...]
[1] Vgl. Hellman, J.: Winners Take All. The Politics of Partial Reform in Post Communist Transition, in: World Politics 50, Nr. 2 (1998), S. 203-234.
[2] Ebd., S. 203.
[3] Details siehe ebd., S. 208, Anm. 8.
[4] Ebd., S. 223.
[5] Hellman, J. et al.: Measuring Governance and State Capture: The Role of Bureaucrats and Firms in Shaping the Business Environment, World Bank Working Paper 2312, Washington DC. 2000.
[6] Vgl. ebd., S. 4.
[7] Eine kritische Auseinandersetzung mit BEEPS folgt im 4. Kapitel.
[8] Measuring, S. 4.
[9] Vgl. Hellman, J./ Jones, G./ Kaufmann, D.: Seize the State, Seize the Day: State Capture, Corruption and Influence in Transition, World Bank Working Paper 2444, Washington DC. 2000.
[10] Die Problematik dieser Definition wird im 4. Kapitel beschrieben. Influence bleibt unübersetzt, um diese Kategorie deutlicher von dem generellen Einfluss von Firmen abzugrenzen.
[11] Seize the State, S. 8.
[12] Art und Weise von state capture siehe ebd.
[13] Siehe ebd., S. 9, Tabelle 2.
[14] Ebd., S. 32f.
[15] Hellman J./ Schankerman, M.: Intervention, corruption and capture: the nexus between enterprises and the state, EBRD Working Paper Nr. 58, London 2000.
[16] Ebd., S. 3f.
[17] Vgl. ebd., S. 8.
[18] Hellman, J./ Jones, G./ Kaufmann, D.: Far from Home: Do Foreign Investors Import Higher Standards of Governance in Transition Economies?, Draft, Washington DC. 2002.
[19] Vgl. ebd., S. 6, Anm. 9.
[20] Vgl. ebd., S. 4.
[21] Ebd., S. 21f.
[22] Vgl. World Bank: Anticorruption in Transition. Confronting the Challenge of State Capture, Washington DC. 2000.
[23] Zum einen die Aufteilung in state capture und administrativer Korruption und zum anderen eine Differenzierung jeweils in mittleren und hohen Grad.
[24] Eine genauere Betrachtung dieser muss jedoch entfallen, da dies den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde. Daher wird allein den Ausführungen über state capture Augenmerk geschenkt.
[25] Anticorruption, S. 36.
[26] Vgl. Glaeser, E./ Scheinkman, J./ Shleifer, A.: The Injustice of Inequality, Harvard Institute of Economic Research, Discussion Paper Nr. 1967, Harvard University 2002.
[27] Eine tiefergehende Definition dieses Vorganges wird nicht präsentiert.
[28] Vgl. Hellman, J./ Kaufmann D.: The Inequality of Influence, Draft, Washington DC. 2002.
[29] Vgl. ebd., S. 2, Anm. 2.
[30] Ebd., S. 25.
[31] Omelyanchuk, O.: Explaining State Capture and State capture Modes: The Cases of Russia and Ukraine, Budapest 2001, S. 1.
[32] Ebd., S. 8.
[33] Ebd., S. 11.
[34] Omelyanchuk, O.: Explaining State Capture in Transition Countries, Working Paper, Paris 2003.
[35] Kaufmann, D.: Rethinking Governance. Empirical Lessons Challenge Orthodoxy, Draft, Washington DC. 2003.
[36] Ebd., S. 21f.
[37] Seize the State, S. 5-11.
[38] Die genauen Kriterien siehe ebd., S. 10, Anm. 23.
[39] Ebd., S. 8.
[40] Ebd., S. 6, Anm. 24; Anticorruption, S. 3, Box 1.1.
[41] Laffont, J./ Tirole, J.: A Theory of Incentives in Procurement and Regulation, Cambridge 1993, S. 476f.
[42] Anticorruption, S. 3; Far from Home, S. 6, Anm. 9.
[43] Omelyanchuk 2001, S. 8; The Injustice of Inequality, S. 3; The Inequality of Influence, S. 2, Anm. 2.
[44] Rethinking Governance, S. 22.
[45] Seize the State, S 6f.
[46] Anticorruption, S. 7.
[47] Ebd., S. 12.
[48] Measuring, S. 4f.
[49] Anticorruption, S. 4.
[50] Vgl. ebd., S. 9, Box 1.3.
[51] Vgl. ausführlicher ebd., S. 9ff., insbesondere S. 11, Box 1.4.
[52] Seize the State, S. 16.
[53] Omelyanchuk 2001, S. 5.
[54] Seize the State, S. 10f.
[55] Vgl. Far from Home.
[56] Rethinking Governance, S. 9, Diagramm 2.
Häufig gestellte Fragen
Was ist das Hauptthema des Textes?
Der Text befasst sich mit dem Phänomen der "State Capture", also der Einflussnahme von Unternehmen auf die Gesetzgebung und Regulierung in Transitionsländern, insbesondere in Osteuropa. Es werden verschiedene Definitionen, Theorien und Kritiken zu diesem Konzept vorgestellt und analysiert.
Wer sind die Hauptakteure in der Diskussion um "State Capture"?
Zu den Hauptakteuren gehören Joel Hellman, die Weltbank und die EBRD (European Bank for Reconstruction and Development). Der Text beleuchtet auch die Beiträge von Oleksiy Omelyanchuk und Daniel Kaufmann.
Was ist "State Capture" laut Joel Hellman und den Weltbank-Forschern?
Laut Hellman und den Forschern der Weltbank und der EBRD bezieht sich "State Capture" auf die Bemühungen von Unternehmen, die bestehenden Spielregeln (Gesetze, Verordnungen usw.) durch private Zahlungen an öffentliche Bedienstete zu formen und zu beeinflussen.
Was ist die BEEPS-Studie und welche Rolle spielt sie im Text?
Die Business Environment and Enterprise Performance Survey (BEEPS) ist eine Umfrage, die von der Weltbank und der EBRD durchgeführt wurde, um die Qualität von Governance in Transitionsländern aus der Sicht von Unternehmen zu messen. Sie spielt eine zentrale Rolle im Text, da die Analysen und Ergebnisse von BEEPS zur Definition und Erforschung von "State Capture" verwendet werden.
Welche Kritik wird an der Definition und der empirischen Grundlage von "State Capture" geübt?
Der Text kritisiert die Schwierigkeit, klare Definitionen für "State Capture" zu finden, sowie die Problematik empirischer Analysemethoden, insbesondere die Verzerrungen, die durch die BEEPS-Studie entstehen. Es wird bemängelt, dass BEEPS sich hauptsächlich auf monetäre Zahlungen konzentriert und subtilere Formen der Einflussnahme außer Acht lässt.
Welche Alternativen zur herkömmlichen Definition von "State Capture" werden vorgestellt?
Der Text schlägt vor, Einflussnahme von Unternehmen als generellen Oberbegriff zu betrachten und sie als ein Kontinuum zu sehen, mit "primitiven" Formen der Korruption (monetäre Geldzahlungen) auf der einen Seite und legitimem Lobbying auf der anderen Seite. Es werden auch die Theorien von Oleksiy Omelyanchuk diskutiert, der die Konzentration von ökonomischer und politischer Macht sowie den Entwicklungsgrad der Zivilgesellschaft als entscheidende Faktoren für das Auftreten von "State Capture" ansieht.
Welche Gegenmaßnahmen gegen "State Capture" werden vorgeschlagen?
Zu den vorgeschlagenen Gegenmaßnahmen gehören die Stärkung des wirtschaftlichen und politischen Wettbewerbs, die Verbesserung des gesellschaftlichen Monitorings, die Reduzierung der Konzentration der politischen Macht durch mehr Checks and Balances, die Perfektionierung öffentlicher Kontrollmechanismen und die Förderung einer aktiven Zivilgesellschaft.
Welche Rolle spielt die Zivilgesellschaft bei der Bekämpfung von "State Capture"?
Der Text betont die wichtige Rolle der Zivilgesellschaft bei der Kontrolle des Staat-Unternehmen-Nexus. Organisationen wie Medien, Wirtschaftsverbände, Gewerkschaften und NGOs können dazu beitragen, die Einflussnahme von Unternehmen auf den Staat zu beurteilen und zu überwachen.
Was ist die "partial reform trap" und wie hängt sie mit "State Capture" zusammen?
Die "partial reform trap" beschreibt eine Situation, in der Länder aufgrund von "State Capture" und der damit einhergehenden Schwächung des politischen Systems in einem Teufelskreis gefangen sind. Partielle Reformen führen zu einer ungleichen Verteilung von Vorteilen, wodurch mächtige Akteure Anreize haben, den Reformprozess zu behindern.
Welche Bedeutung haben ausländische Direktinvestitionen (FDI) im Zusammenhang mit "State Capture"?
Der Text stellt fest, dass Korruption im Allgemeinen die FDI senkt und vor allem Investoren mit minderer Corporate-Governance-Qualität anzieht. In "high capture economies" sind ausländische Firmen häufiger in "State Capture" aktiv als Einheimische.
- Arbeit zitieren
- Philipp Mikschl (Autor:in), 2004, Der Umgang mit dem State Capture-Konzept und Ansätze der Korruptionsbekämpfung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/109353