"Der Fall Glasenap" - Antifaschistische Literatur am Beispiel von Stefan Heyms Roman "Aus dem Exil" (1942)


Unterrichtsentwurf, 1994

15 Seiten


Leseprobe


Gliederung

1. Begründung des Rahmenthemas

2. Fachwissenschaftliche Orientierung

3. Didaktisch - methodische Überlegunge

4. Ziel der Unterrichtsreihe

5. Anmerkungen

6. Unterrichtssequenzen

7. Material

1. Begründung des Rahmenthemas

Nachdem Ende der 70er und Anfang der 80er Jahre antifaschistische und pazifistische Sozialbewegungen deutlich das öffentliche Leben in der Bundesrepublik Deutschland mitbestimmten und das Anliegen dieser Bewegungen in weiten Teilen der Bevölkerung positiv aufgenommen wurde, zeigt sich heute, da die damals befürchteten Gefahren reale Gestalt angenommen haben - sei es in Form von Brandschätzen auf Häuser und Wohnungen ausländischer Mitbewohner, wohlverpackter antisemitischer Propaganda oder gestiefelter Aufmärsche von Neonazis und Skin-Heads in Straßenräumen und Fußballstadien - eine große und weitgehende Apathie und Hilflosigkeit gegenüber solchen Ausschreitungen. Die Teile der Jugend, die gegen diese Erscheinungen protestieren, fühlen sich intellektuell , moralisch und sozial allein gelassen.

Mit dem folgenden Unterrichtsentwurf soll bewusst wertend Stellung bezogen werden, nämlich für einen aufklärerischen, an humanistischen Zielen orientierten Deutschunterricht, der nicht nur auf kognitive Wissensvermittlung abzielt, sondern auch die Gefühlswelt einbezieht, um zu einer abgerundeten sozialen, moralischen und ästhetischen Urteilsbildung zu gelangen.

Dafür wurde exemplarisch der antifaschistische Roman von Stefan Heym „Der Fall Glasenapp“, der 1942 erstmals unter dem Titel „Hostages“ (deutsch: „Geiseln“) in den USA erschien, dort zum Bestseller und auch verfilmt wurde, ausgesucht. (1)

Der Roman soll im Unterricht ganzheitlich behandelt werden, d.h. er wird unter historischen, biografischen, literaturwissenschaftlich-stilistischen und zeitgenössisch-rezeptionswirksamen Aspekten untersucht und als Ausgangspunkt für Übungen zur schriftlichen Textinterpretation sowie zu eigener Textproduktion benutzt.

2. Fachwissenschaftliche Orientierung

Der Roman, als „moderne bürgerliche Epopoe“ zunächst von Hegel charakterisiert, gilt als „das wichtigste Zeugnis der dichterischen Erfahrung und Darstellung des modernen individuellen und kollektiven Selbstbewusstseins“ (2). Dieses Selbstbewusstsein wird jedoch nicht empirisch analysiert sondern fiktional gestaltet, um eine Sinnhaftigkeit zu vermitteln, die es erlaubt, die Vielfältigkeit der Erscheinungen von Welt zu ordnen.

Um dieser Sinnhaftigkeit willen benutzt der Schriftsteller nicht nur Sujet und Figuren sondern auch typische Erzählhaltungen, Raum- und Zeitperspektiven sowie stilistische Mittel, „mit denen Erzähler, gegenständliches Material und Leserezeptivität zueinander in Beziehung gebracht und zugleich voneinander distanziert werden“ (3). Das In-Beziehung-Setzen zeichnet die Architektonik des Romans aus, die der Schriftsteller (zumeist über einen Bauplan) planmäßig entwirft.

Die Ausformung der Sinnhaftigkeit im Roman besitzt einen hohen Suggestivgehalt, woraus sich auch das Lesevergnügen nährt. Dieser Suggestivgehalt kann sowohl humanistische und aufklärerische Werte transportieren aber auch ihr Gegenteil. Deshalb ist es nicht willkürlich oder beliebig, welcher Roman als Unterrichtsgegenstand ausgewählt wird.

Für die vorliegende Unterrichtseinheit wurde ein Roman ausgewählt, der der antifaschistischen Literatur zuzuordnen ist. Der Begriff „antifaschistische Literatur“ wurde von Lutz Winckler in die Literaturwissenschaft eingeführt, um die Literatur zu kennzeichnen, „die durch ihren Humanismus und ihre Moral, durch die Wahl ihrer Sujets, durch das Wachhalten kultureller Traditionen, durch die Vertiefung des Geschichtsbewusstseins , durch die Methode ihrer Gesellschaftskritik zur Bekämpfung und Verhinderung des Faschismus beitragen wollte“(4). Der Begriff „antifaschistische Literatur“ wurde bewusst unterlegt, weil er über den der Exilliteratur, der die Gefahr besitzt, den Gegenstand dieser Literatur ins rein Historische zu verweisen, hinausgeht und er es auch erlaubt, eine internationale und gegenwartsbezogene Dimension einzuführen.

Wie der Definition zu entnehmen ist, kennzeichnet den antifaschistischen Roman neben der typischen Wahl des Sujets (Leiden unter einem und/oder Kampf gegen ein inländisches oder von außerhalb oktroyiertes faschistisches System)

1. die realistische Schreibweise, d.h. Wahrheitsverbundenheit, Volkstümlichkeit, Perspektivenbewusstsein und parteiliche Sozialkritik,
2. die Orientierung am literarischen Erbe, d.h. Anknüpfen an, Übernehmen von The-men, Figuren und formalen Elementen humanistischer Nationalliteratur
3. und die humanistische Grundüberzeugung, die sich in Personengestaltung und Geschehensablauf niederschlägt.

Natürlich werden auch autobiografische Erfahrungen verarbeitet, doch dieses Kennzeichen bildet nicht die Spezifik dieses Romantyps.

Jedenfalls erlauben diese Merkmale des antifaschistischen Romans literaturhistorische und gattungsspezifische Querverbindungen aufzuzeigen und vermögen dadurch ein Spektrum von Literatur aufzufächern. Damit lassen sich an diesem Romantyp unterschiedliche Formen der Textinterpretation und ihre Aussagekraft exemplarisch veranschaulichen.

All diese vorgenannten Merkmale lassen sich idealtypisch an Stefan Heyms Roman „Der Fall Glasenapp“ aufzeigen. Thematisiert werden die nationalsozialistische Willkür- und Terrorherrschaft im sogenannten Reichsprotektorat Böhmen / Mähren und der Widerstand des tschechischen Volkes.

Nachdem ein Wehrmachtsoffizier bei einem Cafébesuch in Prag verschwindet, werden willkürlich alle Tschechen, die sich im Café aufhalten, festgenommen und als Geisel festgehalten, um an ihnen ein Exempel zu statuieren. Auch als sich herausstellt, dass dieser Wehrmachtsoffizier, Leutnant Glasenapp, wegen einer unglücklichen Liebesgeschichte Selbstmord verübte, werden die Geisel nicht freigelassen. Vielmehr benutzt die Gestapo die Geiselnahme dazu, den Mythos des tapferen deutschen Soldaten, der heimtückisch von tschechischen Widerstandskämpfern ermordet wurde, aufzubauen und eine großangelegte Fahndung nach dem vermeintlichen Mörder durchzuführen, die die Opposition aufschrecken und die Bevölkerung veranlassen soll, mögliche und tatsächliche Widerstandskämpfer zu denunzieren. Der klug durchdachte Plan der Gestapo jedoch misslingt. Wohl werden die Geisel hingerichtet, darunter auch ein Widerstandskämpfer, Janoschik, doch einer antifaschistischen Zelle von Tschechen in Prag gelingt es, eine lang geplante Sabotageaktion, nämlich die Sprengung von Munitionszügen, erfolgreich durchzuführen.

Die Handlung in das Protektorat Böhmen / Mähren zu verlegen, lässt sich nicht nur als Reminiszenz Heyms an die CSR und Prag, wo der Schriftsteller in den Jahren 1933 bis 1935 politisches Asyl fand, deuten, sondern entspricht auch einer realistischen Einschätzung des antifaschistischen Arbeiterwiderstands, der in den 40er Jahren, nachdem er in Deutschland zerschlagen worden war, glaubwürdig nur in den besetzen Gebieten angesiedelt werden konnte.(5)

Auch die Form der Widerstandshandlungen ist nicht überzogen, sondern orientiert sich an tatsächlichen Geschehnissen, ebenso die Charakterisierung exponierter Nazitypen wie Heydrich und Reinhardt und die Differenzierung der Herrschaftsmethoden zwischen Gestapo und Wehrmacht.(6)

[...]

Ende der Leseprobe aus 15 Seiten

Details

Titel
"Der Fall Glasenap" - Antifaschistische Literatur am Beispiel von Stefan Heyms Roman "Aus dem Exil" (1942)
Autor
Jahr
1994
Seiten
15
Katalognummer
V109356
ISBN (eBook)
9783640075379
ISBN (Buch)
9783656067979
Dateigröße
415 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Ein Kursthema für den Oberstufenunterricht (SEK II) - Erprobt und durchgeführt in einem Leistungskurs 11 (II)/1994. Dr. W.-Ruth Albrecht ist Sprach- und Sozialwissenschaftlerin und unterrichtet/e seit 1990 unter anderen die Fächer: Deutsch, Geschichte und Sozialwissenschaft an der Heinrich-Böll-Gesamtschule. Sie hat sowohl spezielle Unterrichtseinheiten über 'produktive Rezeption' am Beispiel des 'Krimi' im Deutschunterricht als auch allgemeine pädadogische Beiträge zum schulischen Unterricht veröffentlicht.
Schlagworte
Fall, Glasenap, Antifaschistische, Literatur, Beispiel, Stefan, Heyms, Roman, Exil
Arbeit zitieren
Dr. Wilma Ruth Albrecht (Autor:in), 1994, "Der Fall Glasenap" - Antifaschistische Literatur am Beispiel von Stefan Heyms Roman "Aus dem Exil" (1942), München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/109356

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