Der Epos ‚Orendel‘, oder trefflicher ‚Der Graue Rock‘, wird in der wissenschaftlichen Diskussion sehr vielseitig dargelegt und gilt in seiner literarischen Qualität als umstritten. Insbesondere in den Anfängen der Auseinandersetzung mit dem Text im 19. Jahrhundert und Anfang 20. Jahrhundert, kritisierte man ihn häufig als „Dichtung ohne Grundsatz“1. Im Zuge dessen, ordnete man ihn der heute desolat gewordenen Gattungsbezeichnung Spielmannsepik zu. Unter diesem Sammelbegriff gruppierten -und gruppieren- sich Texte, welche als mittelalterliche Trivialliteratur abgetan wurden und somit keinen ernst zunehmenden Gegenstand wissenschaftlicher Forschung bildeten. Dazu gehören fernerhin die Epen Salman und Morlof, Sankt Oswald, König Rother und Herzog Ernst.2 Neben dieser herablassenden wissenschaftlichen Meinung, gab es die Auffassung, dass es sich bei dem Grauen-Rock-Epos um einen alten, jedoch theologisch verklärten, Sagenstoff handle, welcher auf ursprüngliche germanisch-nordische Mythologie beruht.3 Beide Meinungen wiederspiegeln geradezu exemplarisch den Zeitgeist des 19. Jahrhundert. In der wissenschaftlichen Diskussion des 20. Jahrhundert wurden sie relativiert und niviliert. Vor allem wurde der Begriff des Spielmannsepos stark angefeindet. Man kritisiert besonders das Gattungsmerkmal des spielmännischen Vortrages. In der heutigen Forschung werden jene Texte und somit auch der Graue Rock vor allem als Auftragswerke von gebildeten Klerikern verstanden. Man nimmt an, dass die anonymen Schreiber der Epen sich älterer Erzähltraditionen aus schriftlichen und mündlichen Quellen bedienten. Allen Texten ist dabei die Verknüpfung von gefahrvoller abenteuerliche Brautfahrt und die Wunderwelt des in den Kreuzügen erschlossenen Orients gemein.4
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1 Hans Steinger: Orendel. Halle/Saale 1935, S.XXVII.
2 Uwe Meves: Das Gedicht vom Grauen Rock und die Trierer Reliquientratition. In: Kurtrierisches Jahrbuch 15 (1975). S. 5 - 19, S. 5ff.
3 Uwe Meves: Studien zu König Rother, Herzog Ernst und Grauer Rock (Orendel). Frankfurt am Main 1976. S. 228.
4 speziell zum ‚Grauen Rock‘ Ganter, Meves 1975.
Inhaltsverzeichnis
- I. Einleitende Bemerkungen...
- II. Erkenntnisse über die Entstehung des, Grauen Rockes' im groben Überblick..
- III. Merkmale der Quellengattung Translationsbericht im Grauen Rock.
- 1. Die grundlegenden Merkmale
- 2. Entsprechungen zur äußeren Form
- 3. Charakteristika des inhaltlichen Aufbau..
- 4. Zusammenfassung und abschließende Bemerkung
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die vorliegende Arbeit untersucht den "Grauen Rock" unter dem Aspekt der Reliquientranslationsberichts-Tradition. Ziel ist es, diese Tradition anhand des Textes aufzuzeigen und ihre Prägung auf das Epos zu analysieren.
- Die Vermittlung der Reliquientranslation als zentrale Intention des Epos
- Die Relevanz der Gattungsdefinition von Heinzelmann für die Analyse des "Grauen Rocks"
- Die Einordnung des "Grauen Rocks" in verschiedene literarische Traditionen
- Die Entstehung des "Grauen Rocks" im Kontext seiner Zeit
- Die Interpretation des Epos als Auftragswerk von gebildeten Klerikern
Zusammenfassung der Kapitel
- I. Einleitende Bemerkungen: Die Arbeit stellt den "Grauen Rock" als umstrittenes Werk vor und beleuchtet verschiedene wissenschaftliche Ansätze zu seiner Interpretation. Dabei werden unterschiedliche Ansichten über die Epoche und die Rolle des Textes in der mittelalterlichen Literatur betrachtet.
- II. Erkenntnisse über die Entstehung des, Grauen Rockes' im groben Überblick: Dieser Abschnitt analysiert die Entstehungszeit des "Grauen Rocks" und geht auf die Quellen ein, auf die sich das Epos stützt. Die frühesten erhaltenen Textzeugen, die Handschrift H von 1477 und zwei Druckfassungen aus dem Jahr 1512, werden vorgestellt.
Schlüsselwörter
Die zentralen Schlüsselwörter des "Grauen Rocks" sind: Reliquientranslationsbericht, Spielmannsepik, Mittelalterliche Literatur, Gattungsdefinition, Entstehungskontext, Erzähltradition, Heiligenlegenden, Brautwerbungsromane, Kleriker, Auftragswerk, metrischer Aufbau. Die Arbeit fokussiert auf die Interpretation des "Grauen Rocks" als Teil der Erzähltradition des Reliquientranslationsberichts und analysiert die Prägung des Epos durch diese Tradition.
- Quote paper
- Andreas Taut (Author), 2002, Die Erzähltradition des Reliquientranslationsberichts im Grauen Rock (Orendel), Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/10940