Die spontanen und künstlichen Elemente des Ordoliberalismus von Walter Eucken


Hausarbeit (Hauptseminar), 2003

20 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung
1.1 Zur Person Walter Euckens
1.2 Die historische Einordnung des ordnungsökonomischen Ansatz Euckens
1.3 Der klassische Liberalismus
1.4 Die Wirtschaftspolitik der Experimente
1.5 Euckens Kritik

2. Das ordoliberale Grundverständnis
2.1 Die Lenkung des Wirtschaftsprozesses
2.2. Die Freiheit und deren Bedeutung

3. Der neue Ansatz Euckens
3.1 Spontane Elemente: Die Wettbewerbsordnung
3.2 Die konstituierenden Prinzipien
3.2.1 Das Grundprinzip: Herstellung eines funktionierenden Preissystems
3.2.2 Primat der Währungspolitik – der währungspolitische Stabilisator
3.2.3 Offene Märkte
3.2.4 Privateigentum
3.2.5 Vertragsfreiheit
3.2.6 Haftung
3.2.7 Konstanz der Wirtschaftspolitik
3.3 Die regulierenden Prinzipien
3.3.1 Das Monopolproblem in der Wettbewerbsordnung
3.3.2 Einkommenspolitik
3.3.3 Wirtschaftsrechnung
3.3.4 Anomales Verhalten des Angebotes
3.4 Die potenziellen Ergänzungsprinzipien und die tragenden Kräfte

4. Schlussbemerkungen

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Der Begriff Ordoliberalismus steht für die Denkrichtung der Freiburger Schule, deren Begründer Walter Eucken vor allem mit seinen Grundsätzen der Wirtschaftspolitik einen Vorschlag für eine Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung gegeben hat. Diese können als sog. „dritter Weg“, als Antwort auf den Liberalismus und die Zentral-verwaltungswirtschaft gesehen werden.

In dieser Hausarbeit werden, nach Vorstellung des Hauptvertreters, die historische Wirtschaftspolitik des Liberalismus und die Wirtschaftspolitik der Experimente kurz dargestellt. Daran anschließend werden die Grundprobleme, die bei einem Aufbau einer Wirtschaftsordnung lt. Eucken beachtet werden müssen, umrissen, bevor dann die ordoliberale Konzeption Walter Euckens mit seinen konstituierenden und regulierenden Prinzipien vorgestellt wird. Abschließend werden einige Probleme, die diese Konzeption beinhaltet, kritisch hinterfragt.

1.1 Zur Person Walter Euckens

Walter Eucken wurde am 17.01.1891 als Sohn des Philosophen Rudolf Eucken und der Malerin Irene Eucken geboren. Er studierte in Bonn und Kiel Nationalökonomie, Geschichte und Rechtswissenschaften. 1913 promovierte er in Bonn, 1921 habilitierte er in Berlin. Nach einer Professur in Tübingen folgte er einem Ruf nach Freiburg im Jahre 1927, wo er bis zu seinem Tod 1950 lehrte.[1]

Er gilt mit seinen Mitstreitern, den Rechtswissenschaftlern Franz Böhm und Hans Großmann-Doerth zu den Begründern des Ordoliberalismus der Freiburger Schule nach der die Wirtschaftsordnung nicht unabhängig von Gesellschafts-, Staats- und Rechtsordnung besteht, sondern mit diesen einen unauflösbaren Gesamtzusammenhang bildet.[2] Als eines seiner Hauptwerke gelten die 1952 posthum veröffentlichten „Grundsätze der Wirtschaftspolitik.“

1.2 Die historische Einordnung des ordnungsökonomischen Ansatz Euckens

Euckens Konzeption ist vor dem Hintergrund des Laissez-faire-Liberalismus, der Wirtschaftspolitik des 19. Jahrhunderts und der darauf folgenden Politik der Experimente, die ab 1914 einsetzte und als Abkehr von der Politik des Laissez-faire gesehen werden kann, entstanden.[3]

1.3 Der klassische Liberalismus

Der klassische Liberalismus entstand in England und ist als Reaktion auf das Versagen des protektionistischen Merkantilismus zu sehen.[4] Als Begründer ist Adam Smith anzusehen, auf den sich sämtliche liberale Ökonomen beziehen. Im Zentrum dieser Idee steht der Konsument. Er entscheidet und herrscht über den alltäglichen Wirtschafts-prozess. „Zweck und Ziel aller Produktion ist der Verbrauch“ (A. Smith). Die Lenkung des Wirtschaftsprozesses erfolgt über einen Preisautomatismus, der die einzelwirt-schaftlichen Pläne koordiniert.[5]

Zwar brachte der Liberalismus immense Verbesserungen wie die Bauernbefreiung, den Abbau von Zunftprivilegien und eine verbesserte Güterversorgung mit sich, jedoch warf er auch die „soziale Frage“ auf.[6] Die soziale Frage trat erstmals in den 40er Jahren des 19. Jahrhunderts auf und bezeichnet die Summe der ökonomischen Probleme, die aus der industriellen Revolution resultierten.[7]

Den Vorwurf, den man den Liberalisten machte, war, keine Antwort zur Lösung der sozialen Frage aufzeigen zu können, da sie ein geradezu mechanistisches Verständnis von der Harmonie der Gesellschaft hätten.[8]

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die Wirtschaftspolitik des Laissez-faire ein Versuch gewesen ist, mit verkehrswirtschaftlichen Methoden das Ordnungsproblem zu lösen.[9] War man ursprünglich der Meinung, dass sich durch die Freiheit überall die Marktform der Konkurrenz einstellen würde, zeigte der Blick in die Realität, dass es verstärkt zur Monopolbildung kam.

1.4 Die Wirtschaftspolitik der Experimente

Nach dem 1. Weltkrieg kam es zu einer Abkehr vom Liberalismus. Wirtschaftsprozess und –ordnung wurden nicht mehr dem Einzelnen überlassen, sondern mehr oder weniger vom Staat bestimmt.[10] Kennzeichen dieser Politik sind regelmäßige, mehr oder weniger improvisierte, punktuelle Eingriffe, die oftmals nicht oder nur unzureichend durchdacht waren. Der Druck der Tagesprobleme zwang den Staat zu immer neuen Eingriffen. Es kam zu handelspolitischem Protektionismus und wachsenden sozialpolitischen Interventionen, kombiniert mit zunehmenden Aktivitäten der öffentlichen Hand.[11]

1.5 Euckens Kritik

Durch die zunehmende Arbeitsteilung und die damit einhergehende Komplexität des Wirtschaftsprozesses bleibt dem Einzelnen die Wirtschaftsordnung unbekannt – ist sie auch noch so entscheidend für seine Existenz. Machtgruppen, Monopolbildung und Ideologien lenken heute den Wirtschaftsprozess – nicht der Konsument. „Unbrauchbare Ordnungen, reflektierendes Geschwätz und Doktrinen von Schwärmern“[12], sowie punktuelles Eingreifen und Denken führten zum Scheitern des Liberalismus.

Der Fehler der Liberalisten war ihr zu starker Glaube in die Selbstverwirklichung der natürlichen Ordnung. Das Vertrauen, dass der Wirtschaftsprozess durch Konkurrenzpreise gelenkt und sich spontan auch ohne Vorgabe einer bestimmten Wirtschaftsordnungspolitik von selbst verwirkliche, war zu groß.

„Der Fehler liegt darin: es wurde nicht von vornherein für die Bedingungen einer stabilen Ordnung gesorgt und damit prophylaktisch die Unstabilität verhütet, sondern man lies es durch ein Gehenlassen erst zur Unstabilität kommen, nahm die Unstabilität dann als Datum und suchte mit nachträglichen Eingriffen die Schäden zu reparieren und ein Quasi-Gleichgewicht herzustellen.“[13]

2. Das ordoliberale Grundverständnis

Die Weltwirtschaftskrise, der ungezügelte Liberalismus und die negativen Erkenntnisse aus der Zeit der nationalsozialistischen Planwirtschaft haben gezeigt, dass es regelmäßig der Faktor Macht ist, der die effiziente Faktorallokation verhindert.

Die Ordoliberalen der Freiburger Schule kamen vor diesen Erfahrungen zu dem Schluss, dass weder der ungezügelte Kapitalismus, noch die zentral geleitete Planwirtschaft zu einem funktionsfähigen und menschenwürdigen Ergebnis wirtschaftlicher Tätigkeit führen kann.[14]

Deswegen ist der Wirtschaftsprozess durch einen straffen Ordnungsrahmen in richtige Bahnen zu lenken. Bezugspunkt ist die liberale Wettbewerbsordnung, die jedoch durch diesen Ordnungsrahmen davor geschützt werden muss, sich selbst zu zerstören. Eucken stellt dazu konstituierende und regulierende Prinzipien auf (siehe Abschnitt 3).

Bevor man sich jedoch mit diesen Prinzipien auseinandersetzen kann, ist es wichtig, ein gewisses Grundverständnis für eine Wirtschaftsordnung zu erlangen.[15]

2.1 Die Lenkung des Wirtschaftsprozesses

Wirtschaften ist Anpassen. Produktion ist die Kombination zueinander komplementärer Güter. Durch die zunehmende Arbeitsteilung hat sich die Wirtschaft im Laufe der Zeit so sehr verkompliziert, dass es dem Einzelnen nicht mehr möglich ist, den gesamten Wirtschaftsprozess zu überblicken. Wurden die notwendigen Anpassungen in einer Eigenwirtschaft durch dessen Leiter, der den Gesamtprozess überblickt, durchgeführt, ist dies in der heutigen industrialisierten Welt schon lange nicht mehr möglich. Das Lenkungsproblem erhält somit einen lebenswichtigen Stellenwert.

Die Aufgabe einer Wirtschaftsordnung ist es nunmehr, „ die einzelnen Arbeitsschritte aller arbeitenden Menschen und die unübersehbar vielen sachlichen Produktionsmittel alltäglich so ineinander greifen zu lassen, dass die wirtschaftliche Knappheit so gut wie möglich überwunden wird. Je weiter die Arbeitsteilung greift und je intensiver sie ist, umso größer werden die Anforderungen, die an die Wirtschaftsordnung gestellt werden.“[16] Notwendig ist somit ein Knappheitsmesser als Recheneinheit durch den in einer Wirtschaft sämtliche Güter disponiert werden. Nur wenn dieser Knappheitsmesser einwandfrei arbeitet, kann es zu einer bestmöglichen Überwindung der Knappheit kommen.

Die Lenkung der Wirtschaft ist ein dynamischer Prozess, da es keine unabhängigen Teilordnungen gibt – alles ist mit allem verbunden. Folglich ist auch jeder wirtschaftspolitische Akt in Zusammenhang mit dem Gesamtprozess zu sehen, was die Lenkung erschwert. Die Funktionsfähigkeit der Wirtschaft ist aus diesem Grund nur sicherzustellen, wenn das Wirtschaften im Rahmen einer einheitlichen Verfassung durchgeführt werden kann.

„Die Wirtschaftsordnung ist die Gesamtheit der Formen, in denen die Lenkung des alltäglichen Wirtschaftsprozesses in concreto jeweils erfolgt. Und diese Formen stehen in naher Verbindung zur Ordnung der Gesellschaft.“[17] Darüberhinaus besteht neben der soeben erwähnten ökonomischen Interdependenz von Handlungen und Ordnungen, eine Interdependenz der Wirtschaftsordnung mit der Staats-, Gesellschafts- und Rechtsordnung. Man kann nicht sagen, dass die Wirtschaftsordnung als Unterbau der anderen Ordnungen gesehen werden kann. Es besteht keine einseitige, sondern eine wechselseitige Abhängigkeit der verschiedenen Ordnungen. Dies lehrt die Geschichte.[18]

2.2. Die Freiheit und deren Bedeutung

Resultat der Aufklärung und der französischen Revolution war die Hinwendung und Durchsetzung der individuellen Freiheit, deren Stellenwert bereits in dem Schlagwort „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ zum Ausdruck kommt. Mit den Worten Kants galt es, die Befreiung des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit zu realisieren.

Im Zuge dieser Freiheit kam es zur Industrialisierung, d.h. sie entstand sozusagen auch erst aus den Möglichkeiten, die die neue Freiheit gewährte.

Gleichzeitig ist die Industrialisierung auch zu einer Bedrohung für die Freiheit geworden. Diese große Bewegung befindet sich lt. Eucken in Gefahr oder ist bereits misslungen. Der Grund hierfür ist, dass die Freiheit oftmals als Recht gesehen wurde, die Freiheit anderer einzuschränken oder gar zu unterdrücken. Die zentrale Bedrohung für die Freiheit ist das Herrschen von Machtblöcken, die sich mit Beginn des 20. Jahrhunderts rasant entwickelten mit der Folge, dass das Individuum nur noch als Glied eines Kollektivs existiert und nur wenig Freiheit besitzt.

Insgesamt ist eine dreifache Bedrohung der Freiheit festzustellen: Durch private Macht der Marktgegenseite, durch Macht eines Kollektivs und durch den Staat.

„Die Wirtschaftspolitik aber soll die freie, natürliche gottgewollte Ordnung verwirklichen. Sowenig der Mensch, der in dieser Ordnung steht, seine eigene Freiheit selber aufheben darf, sowenig darf er die Freiheitssphäre der anderen missachten.“[19] Wenn er die Freiheit des anderen achtet, übt er gleichzeitig Humanität und Recht aus. Folglich darf niemand dazu berechtigt sein, seine eigene Autonomie aufzugeben und sich bloß zum Werkzeug zu machen. Ebensowenig darf er dazu gezwungen werden. Die abstrakten Freiheitsrechte dienen nicht einem Selbstzweck, sondern dienen dem freien, selbstverantwortlichen Menschen.

Es kann nun gesagt werden, dass die Freiheit je nach Wirtschaftsordnung verschiedene Ausgestaltungen annimmt. Dabei stellt sich die Frage, ob Freiheit und Ordnung überhaupt miteinander vereinbar sind. Eucken bejaht diese Frage eindeutig, wenn er sagt, dass ordnen in Freiheit ordnen heißt. Freiheit und Ordnung bedingen sich einander.

Das Ziel muss es sein, Prozesse so zu ordnen, dass sie sich in der gewünschten Richtung vollziehen; es soll geordnet und nicht geregelt werden.

Dazu ist es erforderlich, die Notwendigkeit einer gewollten Ordnung zu bejahen. Nur dann kann die Koordination aller Wirtschaftenden zustande kommen, im Wesen einer Wettbewerbsordnung. Aus dieser Freiheit heraus werden dann auch neue, spontane Ordnungen entstehen, die gerechtfertigt sind, solange sie als wettbewerbskonform angesehen werden können.

3. Der neue Ansatz Euckens

3.1 Spontane Elemente: Die Wettbewerbsordnung

Die spontane Ordnung ist eine sich selbst erzeugende Ordnung. Sie entsteht durch wiederholte Transaktionen der Individuen miteinander ohne Eingriffe von außerhalb, wie beispielsweise den Staat. Die spontane Ordnung hat ihren Ursprung im frühen Utilitarismus, der das menschliche Handeln nach dem Nutzen für den Einzelnen wie für die Gesamtheit bewertet. Darin enthalten ist die Idee der persönlichen Freiheit, die den Liberalismus am Ende des 17. Jahrhunderts entfachte. Zu den Vertretern, die diese Idee ausarbeiteten gehören u.a. David Hume, Adam Smith, Immanuel Kant, Friedrich von Schiller und John Marshall. Zentrales Anliegen aller dieser Denker und Staatsmänner ist es, die private Sphäre der Individuen vor willkürlichem Eingreifen des Staates zu schützen.[20]

Die spontane Ordnung ist nach von Hayek als ein Bestehen von Beziehungen zwischen wiederkehrenden Elementen zu verstehen. - was sich bewährt, wird beibehalten und in gesellschaftsvertraglichen Vereinbarungen fixiert.

Wirtschaften bedeutet Anpassungen vornehmen, um Knappheiten zu überwinden. Aufgrund der Arbeitsteilung und der damit einhergehenden höheren Produktivität der Wirtschaft, kann in der industrialisierten Welt der Einzelne den gesamten Wirtschaftsprozess nicht mehr überblicken. Die Anpassungen können demnach nicht mehr unmittelbar durch eine Person vorgenommen werden. Es bedarf somit eines Knappheitsindikators, der die Lenkung des Wirtschaftsprozesses und damit die Anpassungen vornimmt. Dies ist auch der Erklärungsansatz von Adam Smith: Die Erwartung der Individuen werden wie von einer „unsichtbaren Hand“ gelenkt und in Erfüllung gehen, ohne zentral geplant zu sein. Die Rationalität im menschlichen Verhalten und deren Handeln im Eigeninteresse lassen eine spontane Ordnung entstehen, sobald allgemeingültige Verhaltensregeln durchgesetzt würden und es eine klar umrissene Privatsphäre gebe.[21] Eine zweckmäßige Wirtschaftsordnung entwickelt sich „von unten her aus den spontanen Kräften der Gesellschaft von selbst [..], wenn Freiheit bestehe und das Rechtsprinzip gewahrt werde.“[22]

Kennzeichnend für eine spontane Ordnung ist, dass das Wissen über das wirtschaftlich richtige und das wirtschaftlich falsche Verhalten erst im Wettbewerb gewonnen wird.[23] Somit ist als spontanes Element der Markt in einer Wettbewerbsordnung zu sehen, in der sich Angebot und Nachfrage treffen und sich bei Vollkommenheit des Marktes ein stabiles Gleichgewicht einstellt.

Ein Problem der spontanen Ordnung ist jedoch die Tatsache, dass sich diese nicht von selbst trägt. Die Klassiker vertrauten darauf, dass die natürliche Ordnung in welcher der Wirtschaftsprozess automatisch durch Konkurrenzpreise gelenkt würde, sich spontan verwirkliche, und eine bestimmte Wirtschaftsordnung somit unnötig sei. Die Erfahrung hat jedoch gezeigt, dass dieses Vertrauen wohl zu groß ist. Es bedarf einer künstlichen Ordnung, die zur Stabilisierung des Systems darüber installiert werden muss, eine Rahmengesetzgebung für die Akteure in der Gesellschaft, die eine funktionierende Wettbewerbsordnung realisieren soll.

Der Gedanke der Wettbewerbsordnung durch Konkurrenz ist aus der alltäglichen, geschichtlichen und wissenschaftlichen Erfahrung hervorgetreten und stellt nach Eucken die einzig sinnvolle Ordnungsform zur Lenkung des Wirtschaftsprozesses dar. Weder die Lenkung und Ordnung des Wirtschaftsprozesses durch staatliche Zentral-stellen, noch durch Gruppen (dies sind die beiden anderen Möglichkeiten) haben in der Vergangenheit zu befriedigenden Ergebnissen geführt. Bei diesen beiden Alternativen besteht das Problem in der Tatsache, dass die Koordination durch vertikale Organisationsstrukturen und Subordination erfolgt und es zwangsläufig zu Machtkämpfen zwischen den Gruppen kommt. Diese Probleme verhindern eine bestmögliche Ressourcenallokation – soweit die Erfahrungen aus der Geschichte.

In einer Wettbewerbsordnung sind horizontale Organisationsmechanismen dominierend. Die Koordination sämtlicher Teile des Wirtschaftsprozesses erfolgt über Märkte. Nur so lassen sich alle individuell und frei erstellten Pläne und Entscheidungen der Individuen sinnvoll integrieren.[24] Dem Staat kommt dabei die Aufgabe zu, die Spielregeln und Formen, in denen sich der Wettbewerb abspielt, zu gestalten. Durch Rechtsstaat und Wettbewerbsordnung muss ein Rahmen geschaffen werden, der die freie Betätigung des Einzelnen sichert. Die Freiheit des Einzelnen muss allerdings dort aufhören, wo die Freiheit des Anderen beginnt. Es gilt also, die beiden Freiheitsbereiche ins Gleichgewicht zu bringen. Um diese Aufgabe zu lösen, ist ein starker, von Interessen- und Machtgruppen unabhängiger Staat notwendig.[25]

Die dominierende Marktform der Wettbewerbsordnung ist die „vollständige Kon-kurrenz“, welche eine exakt bestimmbare Marktform ist. Sie tritt in Gestalt des Leistungswettbewerbes, nicht Behinderungswettbewerb auf. Der einzelne Markt-teilnehmer rechnet zwar mit bestimmten auf dem Markt zu erzielenden Preisen und wird auch annähernd schätzen können, dass sie sich in gewissen Grenzen bewegen, jedoch wird er keinen direkten Einfluss auf sie ausüben können – die Preise auf dem Markt hat der einzelne Marktteilnehmer aufgrund seiner geringen Größe als Datum hinzunehmen.

„Wenn sowohl Anbieter als auch Nachfrager in Konkurrenz miteinander liegen und wenn sie danach ihre Wirtschaftspläne aufbauen, so ist die Marktform der vollständigen Konkurrenz realisiert.“[26] Durch diesen Grundsatz rückt der Konsument in das Zentrum nach dem das wirtschaftliche Handeln der Marktteilnehmer ausgerichtet wird.

Der Wettbewerb ist als Aufgabe zu sehen und zu begreifen, die durch den Staat zu lösen ist, damit die zur Selbstzerstörung neigende Wettbewerbsordnung gesichert und erhalten werden kann. Aufgrund der Inderdependenz der Ordnungen, ist der Wettbewerbsordnung auch eine freiheitlich, demokratische Gesellschaftsordnung zur Seite zu stellen.[27]

Hierzu formulierte Eucken konstituierende und regulierende Prinzipien, auf die im Folgenden nun eingegangen wird.

3.2 Die konstituierenden Prinzipien

Ziel der Wirtschaftspolitik ist es, der modernen, arbeitsteiligen Wirtschaft eine funktionsfähige und menschenwürdige Ordnung zu geben, in der ein selbstverant-wortliches Leben und Handeln möglich ist.[28]

Um dies zu realisieren, sind nach Eucken die folgenden Prinzipien unabdingbar.[29]

3.2.1 Das Grundprinzip: Herstellung eines funktionierenden Preissystems

Das Grundprinzip der Wirtschaftspolitik zur Lenkung des Wirtschaftsprozesses ist die Herstellung eines funktionsfähigen Preissystems bei vollständiger Konkurrenz.

Punktuelle Eingriffe in den Wirtschaftsprozess sind zu vermeiden, wenn diese das Preissystem und damit die Lenkung des Wirtschaftsprozesses behindern oder gar stilllegen. Beispiele solcher Eingriffe sind die Gewährung von Subventionen, Ausrufen eines allgemeinen Preisstopps, Einfuhrverbote, Monopol- oder Kartellbildung. Es ist eine Wirtschaftsverfassungspolitik notwendig, welche die Marktform der vollständigen Konkurrenz zur Entwicklung bringt, denn nur diese Marktform gewährleistet, dass der Wirtschaftsprozess durch den Konsumenten gelenkt wird. Der Preis zeigt bei dieser Marktform die Knappheit eines Gutes am Besten an.

Jede Wirtschaftspolitik, die es nicht schafft den Preismechanismus funktionsfähig zu machen und zu erhalten, ist zum Scheitern verurteilt.

Dieses Grundprinzip haben alle weiteren Prinzipien als Mittelpunkt.[30]

3.2.2 Primat der Währungspolitik – der währungspolitische Stabilisator

In einer Wettbewerbsordnung besteht für die Währungspolitik ein Primat, denn ohne eine gewisse Geldwertstabilität kann eine Wettbewerbsordnung nicht verwirklicht werden.

Das Problem eines instabilen Geldwertes ist, dass beispielsweise durch Inflation die Preise nicht mehr exakt, sondern nur noch zufällig die Güterknappheiten widerspiegeln. Das Preissystem verliert seine Lenkungswirkung.

Anders gesprochen: Ist eine gewisse Geldwertstabilisierung möglich, erhält der Wirtschaftsprozess auch ein brauchbares Lenkungsinstrument. Damit hat die Wettbewerbsordnung, laut Eucken, auch gleichzeitig eine immanente Tendenz zum Gleichgewicht, sodass permanente Konjunkturen ausgeschlossen werden können.

Bei einem stabilen Geldwert funktioniert die Preiskostenrechnung der Unternehmen. Um diese stabile Währungsverfassung zu installieren, schlägt Eucken eine Abkehr von der damaligen Geldordnung vor. Die Geldschöpfung darf nicht den Noten- und Privatbanken überlassen werden, die durch die Ausgabe von neuem Geld und die Gewährung von Krediten (Giralgeldschöpfung) Einfluss auf die sich im Umlauf befindliche Geldmenge nehmen. Die Schwäche dieses Systems besteht in der Gefahr, dass die Notenbank eine Politik zum Schaden der ihr anvertrauten Aufgabe und zu Gunsten von Interessengruppen und der öffentlichen Meinung betreibt. Andererseits wird die Geldmenge durch die Giralgeldschöpfung abhängig von der Liquidität und Kreditbereitschaft der Banken bzw. der Kreditnachfrage und Investitionsbereitschaft der Unternehmen und nicht in allen Formen vom Sparvolumen in der Volkswirtschaft.

Aus diesem Grund schlägt Eucken vor, eine Waren-Reserve-Währung einzuführen, bei der eine zentrale Agentur ein bestimmtes Warenbündel, eine „Wareneinheit“ zu einem festgelegten Preis kauft und verkauft. Die einzelnen Preise der Waren in der Wareneinheit können sich zwar ändern, jedoch bleibt der Preis der Wareneinheit jeweils konstant. Sobald sich die Preise der einzelnen Waren von den jeweils festgelegten Preisen entfernen, wird die Agentur durch Käufe und Verkäufe auf den Märkten tätig und steuert somit die sich im Umlauf befindliche Geldmenge. Der Wert des Geldes ist somit mit dem Wert vieler Waren verbunden und nicht der Zufall, sondern die durchschnittliche Knappheit der Waren determiniert den Geldwert. Somit reguliert ein automatischer Stabilisator die Geldmenge, sie ist nicht durch alltägliche Entscheidungen politischer Stellen festlegt.

Um ein Nebeneinander von Geldschöpfung und –vernichtung durch die Agentur und die Notenbank zu verhindern, muss die Kreditpolitik der Notenbank an die Käufe und Verkäufe von Wareneinheiten durch die Agentur gebunden werden. Bei sinkenden Preisen (= steigendem Warenbestand bei der Agentur) erhöht sich die sich in Umlauf befindliche Geldmenge. Parallel dazu wird die Kreditgewährung der Notenbank ausgeweitet. Umgekehrt kommt es bei steigenden Warenpreisen zu einer Kontraktion der Geldmenge, verbunden mit einer restriktiveren Kreditvergabe durch die Notenbank. Die Giralgeldschöpfung durch die Banken ist durch eine 100%-ige Mindestreserve-pflicht zu unterbinden.

Wird dieses Währungssystem auch von anderen Ländern mit identischer Wareneinheit und gleichen Proportionen übernommen, stabilisiert dieses System auch die Wechselkurse.

Zusammenfassend kann also gesagt werden, dass es auf die Überwindung der Instabilität durch Beseitigung der eigentlichen Ursache der Instabilität, nämlich die vollständige Abhängigkeit der Geldversorgung der Volkswirtschaft von der Kreditver-gabepolitik der Banken, ankommt. Dies wird durch Herstellung eines rationalen Auto-matismus zur Regulierung der Geldmenge gewährleistet.[31]

3.2.3 Offene Märkte

In der Vergangenheit und Gegenwart gab und gibt es zahlreiche Methoden und Möglichkeiten der Marktschließung, die ein Entstehen oder auch Bestehen der vollkommenen Konkurrenz verhindert bzw. behindert.

Man kann zwischen staatlichen Maßnahmen wie Einfuhrverboten, Prohibitivzöllen, Errichtungsverboten, Behinderung der freien Berufswahl und Maßnahmen privater Machtgruppen in Form von Behinderungswettbewerb durch Exklusivverträge, Treuerabatte und ruinösem Preiskampf unterscheiden.

Daneben kann es aber auch durch Zusammenarbeit beider Seiten zu einer Marktschließung kommen, beispielsweise in Form des Patentschutzes, des Markenrechtes oder durch die Preisbindung der zweiten Hand.

Man kann nicht generell sagen, dass der Konkurrenzmechanismus in geschlossenen Märkten grundsätzlich nicht funktioniert. Es spricht jedoch für den Abbau von Marktzu-trittshemmnissen, dass zum einen durch geschlossene Märkte die Monopolbildung erleichtert wird und zum anderen das Gesamtsystem der vollkommenen Konkurrenz auf den Weltmärkten in diesem Fall nicht voll funktionsfähig ist.

Ein allgemeines Gleichgewicht kann sich nicht einstellen, wenn die Preise nicht alleine durch die Konsumenten, sondern zum Teil durch die Stellen, welche die Schließung der Märkte vorgenommen haben, festgelegt wird.

Die Durchsetzung dieses Prinzips ist schwierig und wirft einige Probleme wie beispielsweise die Wirkung von Zöllen und dem Patentrecht auf.

Zölle zerstören lt. Eucken die Wettbewerbsordnung nicht unmittelbar, sie verschieben lediglich die Preisrelation. Dadurch erleichtern sie die Monopolbildung, was als Gefahr angesehen werden muss. Ein Abbau der Zölle kann damit als wettbewerbskonforme Handelspolitik angesehen werden.

Auch das Patentrecht begünstigt die Monopolbildung bei den Patentinhabern und die Konzentration in der Industrie, auch wenn sie nicht unmittelbar das Angebot schließen. Demnach ist es notwendig, das Patentrecht beispielsweise durch Kürzung der Schutz-frist oder den Aufbau eines Zwangslizenzsystems zu modifizieren.[32]

3.2.4 Privateigentum

Die Eigentumsfrage ist von eminenter wirtschaftspolitischer Bedeutung, da Kollektiveigentum ein wesentliches Beherrschungsinstrument einer Führungsschicht ist.

Somit gehört das Privateigentum zu den Voraussetzungen der Wettbewerbsordnung, was nicht ausschließt, dass sich einzelne Betriebe in staatlicher Hand befinden können, solange sich auch diese Unternehmen in den Wettbewerbsprozess einordnen.

Die Institution des Privateigentums ist allerdings nicht gefahrenlos. Führt Privateigentum zu bedeutenden ökonomischen Machtpositionen der Eigentümer, kann dies große soziale Probleme aufwerfen, die selbst der Rechtsstaat nicht bewältigen kann.

Normalerweise entscheiden die Privateigentümer anhand von Marktsignalen über Produktions- und Investitionsprojekte. Durch Ausnutzen von Machtpositionen wird die positive Lenkungswirkung, die das Privateigentum gewährleistet, in volkswirtschaftlich negative Effekte gekehrt.

Nur im Zustand der vollkommenen Konkurrenz besteht ein Gleichgewicht wirtschaft-licher Machtverteilung, wenn der Charakter des Privateigentums wettbewerbskonform ist, und keine angebots- oder nachfragemonopolistischen Gebilde bestehen.

Privateigentum bedarf der Kontrolle durch die Konkurrenz. Dort, wo diese nicht gewährleistet ist, muss die Verfügungsmacht über das Privateigentum beschränkt werden.[33]

3.2.5 Vertragsfreiheit

Die Vertragsfreiheit stellt einen unverzichtbaren Faktor in der Wirtschaftsordnung der vollständigen Konkurrenz dar. Verträge regulieren in einer Wettbewerbsgesellschaft, je nach Marktform in unterschiedlicher Art und Weise, den wirtschaftlichen Alltag. Damit dies immer in wettbewerbskonformen Wegen erfolgen kann, bedarf es bei der Vertrags-freiheit, wie auch schon zuvor beim Privateigentum, eines Kontrollmechanismus. Fehlt dieser, muss eine andere Kontrollinstanz diese Aufgabe übernehmen: Die staatliche Monopolkontrolle.

Es muss jedoch die folgende Einschränkung gelten: Es dürfen nicht solche Verträge abgeschlossen werden, deren Zweck es ist, die Vertragsfreiheit zu beschränken oder zu beseitigen. Der Einzelne kann nur solche Verträge abschließen, die konform mit der wirtschaftsverfassungsrechtlichen Grundentscheidung sind.[34]

3.2.6 Haftung

Wer den Nutzen hat, muss auch den Schaden tragen. Von diesem Grundsatz hat sich die industrialisierte Welt durch immer weitergehende Haftungsbeschränkungen entfernt. Das Streben nach Haftungsbeschränkungen kommt einem Streben nach Monopol-situationen gleich, welche einer Wirtschaftsordnung der vollkommenen Konkurrenz zuwiderlaufen. Durch das Prinzip der Haftung wird auch das Entstehen von Machtpositionen, die Bildung von Konzernen, erschwert. Sie verhindert zwar keine Fusionen, jedoch birgt ein Unternehmenskauf bei voller Haftung ein weitaus größeres Risiko als bei Haftungsbeschränkungen.

Eine wettbewerbskonforme Ordnung kann ohne persönliche Verantwortung nicht funktionieren. Durch die Haftung behält das Preissystem die vollständige Kontrollfunktion im Wirtschaftsprozess und der Sanktionsmechanismus, der unrentable Unternehmen zum Ausscheiden aus dem Markt bringt, bleibt bestehen.[35]

3.2.7 Konstanz der Wirtschaftspolitik

In einer Volkswirtschaft beruht alles auf Plänen, die zur Überwindung der Knappheit an Gütern und Dienstleistungen dient.

Die vielen individuellen Pläne müssen zusammengefügt und koordiniert werden. Dies ist durch das Preissystem zu bewerkstelligen. Die Relation der Preise für Produktionsmittel zu den Preisen der Produkte darf nicht gestört werden, damit die Lenkung des Wirtschaftsprozesses optimal durchgeführt werden kann und das gesteckte Ziel erreicht wird.

Damit Investitionen jedoch eher in die Pläne der Unternehmen aufgenommen werden, braucht das Unternehmen zusätzlich Planungssicherheit. Wird, wie in der Vergangenheit, eine Wirtschaftspolitik der Experimente praktiziert, führt dies zu großer Unsicherheit, denn die Plandaten weichen von den faktischen Daten ab; das Ingangsetzen der Investitionstätigkeit wird gehemmt, da kein Vertrauen in die Wirtschaftspolitik des Staates besteht.

Somit ist auch die Wettbewerbsordnung nicht funktionsfähig.

3.3 Die regulierenden Prinzipien

Der Sinn der regulierenden Prinzipien ist, die Wettbewerbsordnung funktionsfähig zu halten, denn auch die vollkommene Konkurrenz ist nicht frei von Schwächen.[36]

3.3.1 Das Monopolproblem in der Wettbewerbsordnung

Das Ausnutzen wirtschaftlicher Macht wirkt schädlich auf die Volkwirtschaft; es wirkt einem Aufrechterhalten der Wettbewerbsordnung entgegen. In einem System der Wettbewerbsordnung unterliegt die ökonomische Macht einer alltäglichen, strengen Kontrolle – dem Preismechanismus. Jedoch kann es auch in diesem System Situationen geben, wo dieser Kontrollmechanismus nicht greift, beispielsweise bei der Existenz von natürlichen Monopolen. Diese sind, auch als unvermeidbare Monopole, unter die staatliche Monopolaufsicht zu stellen.

Die Erfahrung hat gezeigt, dass eine wirksame Monopolaufsicht in einem System, in dem der politische Einfluss von Interessengruppen groß ist, kaum sinnvoll durchgeführt werden kann. Aus diesem Grund ist es umso wichtiger, durch Etablierung einer Wirtschafts- und Rechtspolitik, die starken Kräfte des Marktes voll zur Geltung zu bringen. Dadurch befreit sich der Staat auch gleichzeitig vom Einfluss dieser privaten Machtgruppen und wirkt dem Entstehen von Monopolen entgegen. Die Arbeit des Monopolamtes kann sich dann auf die Kontrolle der wenigen, unvermeidbaren Monopole konzentrieren.

Zwei Dinge sollten bei der Monopolaufsicht lt. Eucken bedacht werden:

Ebenso wie die Verstaatlichung von Monopolen, bringt die Mobilisierung der Arbeiterschaft zur Monopolkontrolle keine Fortschritte zur Lösung des gestellten Problems. Aufgabe des Monopolamtes, welches nur dem Gesetz unterworfen sein sollte, ist die Auflösung von Monopolen. Der Monopolbegriff ist dabei umfassend zu definieren. Das Monopolamt wird bei Vorliegen bestimmter Tatbestände aktiv und hat die Träger wirtschaftlicher Macht zu einem Verhalten zu veranlassen, als ob vollständige Konkurrenz bestünde, es ist ein wettbewerbsanaloges Verhalten zu unterstellen.[37]

3.3.2 Einkommenspolitik

Im System der vollkommenen Konkurrenz erfolgt sämtliche Lenkung und Zuordnung von Gütern durch den Markt, über einem anonymen Preismechanismus. Kritiker dieses Systems geben zu bedenken, dass somit auch die Einkommensverteilung nicht nach ethischen und sozialen Grundsätzen erfolgt. Eucken hält dem entgegen, dass diese Form der Zuteilung immer noch besser und mitunter auch gerechter sei, als wenn die Verteilung durch private und öffentliche Machtkörper aufgrund von mehr oder weniger willkürlichen Akten vollzogen wird. Er erkennt aber dennoch die Schwächen dieses Systems an, die zu korrigieren sind. So stellt Eucken fest, dass es bereits zur Produktion von Luxusgütern kommt, während Teile der Bevölkerung noch nach Befriedigung der existenziellen Bedürfnisse verlangen. Um diesen Missstand teilweise zu korrigieren, ist das Instrument der Steuerprogression anwendbar; sie soll den Verteilungsprozess in eine soziale Richtung lenken. Allerdings darf die Progression nicht so weit gehen, dass die Investitionsbereitschaft der Unternehmen nachlässt.[38]

3.3.3 Wirtschaftsrechnung

In einem System der vollkommenen Konkurrenz kann es durch die Tatsache, dass es individuelle Pläne sind, die auf individuellen Plandaten basieren und koordiniert werden müssen, zu Schäden kommen. Was einzelwirtschaftlich sinnvoll sein mag, muss noch lange nicht von gesamtwirtschaftlichem Interesse sein. Die gesamtwirtschaftlich unerwünschten Wirkungen individueller Handlungen, die sogenannten externen Effekte, sind zu internalisieren. Dazu sind staatliche Ge- und Verbote erforderlich. Als Beispiel nennt Eucken den Umweltschutz, Frauen- und Kinderarbeit, Arbeitsschutz- und Arbeitszeitbestimmungen.[39]

3.3.4 Anomales Verhalten des Angebotes

Da normalerweise in Fällen der vollständigen Konkurrenz ein Druck auf den Lohn auszuschließen ist, ist prinzipiell ein Sinken des Lohnes bei gleichzeitiger Angebotsausweitung nicht zu erwarten. Auch die Arbeitsschutzbestimmungen sowie die Regelungen zu Fragen der Kinderarbeit wirken dem entgegen. Sollte es dennoch einmal zu einer anomalen Reaktion des Arbeitsangebotes kommen, wird die Festsetzung von Mindestlöhnen akut, da dies ansonsten zu Instabilitäten und sozialen Problemen führen kann.[40] [41]

3.4 Die potenziellen Ergänzungsprinzipien und die tragenden Kräfte

Ein wichtiger Punkt ist, die Interdependenz aller Ordnungen zu erkennen. Deshalb bedarf es einer kompatiblen Konjunktur- und Sozialpolitik.

Das Fundamentalprinzip der Wirtschaftspolitik sollte

1. in seiner unmittelbaren Wirkung auf die Wirtschaftsordnung und den Wirtschafts-prozess,
2. in seinen Tendenzen zur Veränderung der Wirtschaftsordnung, der er auslösen kann und
3. in seiner Weiterwirkung auf andere Ordnungen gesehen werden.[42]

Aus diesem Grund sind punktuelle Eingriffe in den Wirtschaftsprozess nach Möglichkeit zu vermeiden.

Eucken erkennt zwar makroökonomische Instabilitäten an, jedoch sind, da der Markt eine Tendenz zum Gleichgewicht hat, konjunkturpolitische Maßnahmen wahrscheinlich nicht erforderlich.[43]

Auch die Sozialpolitik ist in diesem Zusammenhang nicht isoliert zu betrachten.[44]

Es kommt also auf die Durchsetzung der hier dargestellten Prinzipien an. Dies ist nur durch einen starken, unabhängigen Staat möglich. Dieser hat sich auf die Gestaltung des Ordnungsrahmens zu konzentrieren. Insoweit besteht ein Primat der Ordnungspolitik. Deshalb ist es unerlässlich, die Macht von Interessengruppen zu brechen, damit der Staat nicht in Versuchung gerät, verstärkt mittels Prozesspolitik zu Gunsten irgendeiner Interessengruppe in den Wirtschaftskreislauf einzugreifen und damit Gefahr zu laufen, die Wettbewerbsordnung auszuhöhlen.[45]

4. Schlussbemerkungen

Die Entstehung der Grundsätze der Wirtschaftspolitik muss man vor ihrem historischen Hintergrund sehen. Den politisch und wirtschaftlich instabilen Zeiten der Weimarer Republik folgte die Phase des Nationalsozialismus, die mit dem 2. Weltkrieg und dem Zusammenbruch der deutschen Volkswirtschaft endete. Vor diesem Kontext zeigt Eucken neue Wege einer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung auf.

Aus heutiger Sicht muss man allerdings feststellen, dass dies einer Wunschvorstellung, einer Utopie näher kommt als der Realität. Die Grundidee Euckens, die Freiheit und den Wettbewerb in das Zentrum zu stellen, sind meiner Meinung nach richtig. Jedoch sind die Implikationen, die Eucken daraus entwickelt, kritisch zu durchleuchten.

Es ist mehr als fraglich, ob beispielsweise die Marktform der vollständigen Konkurrenz als die perfekte und einzig akzeptable Marktform angesehen werden kann.

Abgesehen von der Frage, ob die Durchsetzung der vollkommenen Konkurrenz in der Gesellschaft realistisch ist, ist m.E. diese Markform, gerade auch aus heutiger Sicht, nicht immer sinnvoll. Die immer weitergehende technische Entwicklung und die immer höher werdenden Kosten für Forschung und Entwicklung, können in der Marktform der vollständigen Konkurrenz oftmals nicht mehr aufgebracht werden.

Auch das Entstehen von ökonomischen Machtpositionen und das „rent-seeking“ von Interessengruppen, so schädlich sie auch sein mögen, kann in einer Gesellschaft nicht verhindert werden.

Euckens Vorschlag zur Monopolkontrolle und deren Arbeitsweise ist auch mehr Wunschdenken als realitätsnah, wie die heutigen Schwierigkeiten des Kartellamtes zeigen. Diese beginnen bei der Frage der Abgrenzung des relevanten Marktes und hören bei der Frage, wie multinationale Konzerne reguliert werden sollen auf.

Ein weiterer Gesichtspunkt ist die fortschreitende Globalisierung und die Verflechtung der verschiedenen nationalen Volkswirtschaften miteinander. Zu den hieraus resultierenden Problemen, die zur Entstehungszeit von Euckens Grundsätzen noch gar nicht vorhanden und abzusehen waren, äußert sich Eucken (logischerweise) auch nicht. Euckens Sicht bleibt auf die nationale Volkswirtschaft beschränkt, was aus heutiger Sicht nicht haltbar ist.

Dennoch stellt Eucken wichtige Grundsätze einer Wirtschaftspolitik auf, die auch heute Beachtung finden sollten. Als „bestes“ Beispiel mag da das Primat der Ordnungspolitik und die Konstanz der Wirtschaftspolitik gelten. Die Nichteinhaltung dieser Prinzipien wird uns in diesen Tagen von der Politik tagtäglich vor Augen geführt und trägt sicherlich auch in bedeutendem Maße zu den Problemen unserer Volkswirtschaft bei.

Literaturverzeichnis

Eucken, Walter: Grundsätze der Wirtschaftspolitik, 6. Auflage 1990

Gutmann, Gernot: Ideengeschichtliche Wurzeln der Konzeption der sozialen Marktwirt-schaft; in D. Cassel: 50 Jahre soziale Marktwirtschaft – Schriften zu Ordnungsfragen der Wirtschaft, Band 57, 1998

Mestmäker, Ernst-Joachim: Vorwort zur 6. Auflage der Grundsätze der Wirtschafts-politik

Schlecht, Otto: Das Bundesministerium für Wirtschaft und die deutsche Ordnungs-politik der Nachkriegszeit; in ORDO Bank 48

Starbatty, Jochen: Ordoliberalismus; in O. Issing: Geschichte der Nationalökonomie

Thuy, Peter: 50 Jahre soziale Marktwirtschaft: Anspruch und Wirklichkeit einer ordnungspolitischen Konzeption; in ORDO Band 49

Oberender, Peter: Der Einfluss ordnungstheoretischer Prinzipien Walter Euckens auf die Wirtschaftspolitik nach dem zweiten Weltkrieg: Eine ordnungspolitische Analyse; in ORDO Band 40

Woll, Arthur: Freiheit durch Ordnung: Die gesellschaftspolitische Leitidee im Denken von Walter Eucken und Friedrich-August von Hayek; in ORDO Bank 40

http://www.weg.fr.bw.schule.de/walter.htm

http://www.eucken.de/freiburgertradition/eucken.htm

http://www.geschi.de/artikel/sozfrage19j.shtml

[...]


[1] http://www.weg.fr.bw.schule.de/walter.htm

[2] http://www.eucken.de/freiburgertradition/eucken.htm

[3] vgl. Eucken, Walter, Grundsätze, S. 27f

[4] vgl. Gutmann, Gernot, Ideengeschichtliche, S. 52

[5] vgl. Eucken, Walter, Grundsätze, S. 27

[6] vgl. Gutmann, Gernot, Ideengeschichtliche, S. 53

[7] http://www.geschi.de/artikel/sozfrage19j.shtml

[8] vgl. Starbatty, Jochen, Ordoliberalismus, S. 254

[9] vgl. Eucken, Walter, Grundsätze, S. 29

[10] vgl. Eucken, Walter, Grundsätze, S. 55

[11] vgl. Eucken, Walter, Grundsätze, S. 193ff

[12] Eucken, Walter, Grundsätze, S. 193

[13] Eucken, Walter, Grundsätze, S. 197

[14] vgl. Thuy, Peter, 50 Jahre, S. 283

[15] vgl. Eucken, Walter, Grundsätze, S. 2ff und 30ff

[16] Eucken, Walter, Grundsätze, S. 7

[17] Eucken, Walter, Grundsätze, S. 180f

[18] vgl. Eucken, Walter, Grundsätze, S. 175ff

[19] Eucken, Walter, Grundsätze, S. 176

[20] vgl. Woll, Arthur, Freiheit, S. 89

[21] vgl. Woll, Arthur, Freiheit, S. 89f.

[22] Eucken, Walter, Grundsätze, S. 27

[23] vgl. Mestmäcker, Ernst-Joachim: Vorwort, S. XII

[24] vgl. Euken, Walter, Grundsätze, S. 245f

[25] vgl. Schlecht, Otto, Bundesministerium, S. 93

[26] Eucken, Walter, Grundsätze, S. 248

[27] vgl. Thuy, Peter, 50 Jahre, S. 283

[28] vgl. Oberender, Peter, Einfluss, S. 323

[29] vgl. Eucken, Walter, Grundsätze, S. 254f

[30] Eucken, Walter, Grundsätze, S. 255ff

[31] vgl. Eucken, Walter, Grundsätze, S. 264ff

[32] vgl. Eucken, Walter, Grundsätze, S. 270ff

[33] vgl. Eucken, Walter, Grundsätze, S. 275ff

[34] vgl. Eucken, Walter, Grundsätze, S. 279ff

[35] vgl. Eucken, Walter, Grundsätze, S.285ff

[36] vgl. Eucken, Walter, Grundsätze, S. 291ff

[37] vgl. Eucken, Walter, Grundsätze, S. 300f

[38] vgl. Eucken, Walter, Grundsätze, S. 302f

[39] vgl. Eucken, Walter, Grundsätze, S. 303f

[40] vgl. Oberender, Peter, Einfluss, S. 325

[41] vgl. Oberender, Peter, Einfluss, S. 325

[42] vgl. Eucken, Walter, Grundsätze, S. 221

[43] vgl. Oberender, Peter, Einfluss, S. 325

[44] vgl. Eucken, Walter, Grundsätze, S. 313

[45] vgl. Eucken, Walter, Grundsätze, S. 325ff

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Die spontanen und künstlichen Elemente des Ordoliberalismus von Walter Eucken
Hochschule
Universität zu Köln
Veranstaltung
Hauptseminar WS 2003/04
Note
1,7
Autor
Jahr
2003
Seiten
20
Katalognummer
V109480
ISBN (eBook)
9783640076611
Dateigröße
387 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Elemente, Ordoliberalismus, Walter, Eucken, Hauptseminar
Arbeit zitieren
Guido Bourtscheidt (Autor:in), 2003, Die spontanen und künstlichen Elemente des Ordoliberalismus von Walter Eucken, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/109480

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