Reinhold Baer definiert die Mathematik als "die Lehre von möglichen Beziehungen zwischen möglichen Dingen" (bzw. Objekten). Dabei sind im Zusammenhang mit der Philosophie Hegels vor allem dialektische Beziehungen interessant. Im ersten Abschnitt wird versucht, einen Weg aufzuzeigen, um die Gegensätze zwischen der inhaltlichen Logik Hegels einerseits und der mathematischen Logik andererseits zu überbrücken.
Zur Vorbereitung auf den dritten Abschnitt wird im Abschnitt "Ein Beispiel zum dialektischen Prinzip" ein im Vergleich zum Hegelschen System stark vereinfachtes Weltbild vorgestellt. Außerdem wird in einem Beispiel die philosophische Beschreibung bei Hegel der etwas detallierteren mathematischen Beschreibung gegenübergestellt.
Nach den beiden ersten Abschnitten, die eher einführenden Charakter haben, werden nun im Abschnitt "Dialektik und Physik" Details zum Übergang vom physikalisch Konkreten zum ideellen Abstrakten untersucht. Beispielsweise wird im Bild des Platonschen Höhlengleichnis der Übergang vom abstrakten Feuer zur konkreten Höhlenwand etwas vereinfacht als Projektion von Schatten beschrieben. Der Übergang vom Konkreten (Materie/Diesseits) zum Abstrakten (Geist/Jenseits) ist als Alternative dazu zu sehen. Ein Problem dabei ist die Grenze zwischen Geist und Materie, die in dem Aufsatz als "verbale Welt der Bewegung" bezeichnet wird, aber vereinfachend auch mit dem Begriff der Lichtgeschwindigkeit aus der Physik identifiziert werden kann.
Im letzten Abschnitt wird noch ein Beispiel für mögliche praktische Anwendungen beschrieben.
Häufig gestellte Fragen zu "Dialektik und Naturwissenschaft"
Was ist der Hauptgegenstand des Textes "Dialektik und Naturwissenschaft"?
Der Text untersucht die Anwendung des dialektischen Prinzips, insbesondere Hegels Konzept der Selbstbewegung der Begriffe, auf die Naturwissenschaften. Er argumentiert, dass die Bewegung der Begriffe vom Konkreten zum Abstrakten die Negation der a-priori-Vorstellungen Raum und Zeit impliziert und dies eine Hauptursache für den Gegensatz zwischen Natur- und Geisteswissenschaften darstellt.
Welche Rolle spielt die Mathematik im Text?
Der Text argumentiert, dass die traditionelle zweiwertige Logik der Mathematik mit Hegels dialektischem Prinzip unvereinbar ist. Als Lösung wird die Kategorientheorie vorgeschlagen, die eine mehrwertige Logik zulässt und Objekte durch ihre Beziehungen zueinander (Morphismen) beschreibt, anstatt durch ihre interne Struktur. Die Kategorientheorie ermöglicht somit eine holistische Denkweise und grobe Bestimmungen, die schrittweise verfeinert werden können.
Wie werden Raum und Zeit im Text betrachtet?
Der Text kritisiert die enge Fixierung der Naturwissenschaften auf den dreidimensionalen Raum und die eindimensionale Zeit. Mithilfe der Kategorientheorie werden Möglichkeiten aufgezeigt, Räume und Zeiten zu spezifizieren, denen keine Mengenstruktur zugrunde liegt. Es werden positive, negative und affirmative Dimensionen unterschieden, um Raum und Zeit als dialektische Prozesse zu verstehen.
Welches Beispiel wird im Text zur Veranschaulichung des dialektischen Prinzips verwendet?
Der Text verwendet die "drei Weltbilder" des Sprachkritikers Fritz Mauthner (substantivische, adjektivische und verbale Welt) als Beispiel. Diese drei Weltbilder repräsentieren verschiedene Betrachtungsweisen der Welt und veranschaulichen die dialektische Bewegung zwischen Abstraktion und Konkretion.
Welche Schlussfolgerung zieht der Text?
Der Text schließt, dass die Anwendung der Kategorientheorie in den Naturwissenschaften eine Brücke zwischen Natur- und Geisteswissenschaften schlagen kann, indem sie eine holistische Denkweise ermöglicht und die Grenzen der traditionellen, auf Raum und Zeit fixierten Betrachtungsweise erweitert. Die Selbstbewegung der Begriffe kann auch auf die a-priori-Vorstellungen angewendet werden.
Welche philosophischen Strömungen beeinflussten den Text?
Der Text ist stark von Hegels Dialektik und Kants Kritik der reinen Vernunft beeinflusst. Er bezieht sich auf Hegels Konzept der Selbstbewegung der Begriffe und Kants Vorstellung von Raum und Zeit als a-priori-Vorstellungen. Zusätzlich wird die Sprachkritik von Fritz Mauthner herangezogen.
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
Dialektik und Mathematik
Ein Beispiel zum dialektischen Prinzip
Dialektik und Physik
Dialektik und Biologie
Literaturverzeichnis
Einleitung
In seinem Werk Wissenschaft der Logik hat HEGEL die Selbstbewegung der Begriffe dargestellt. Diese Bewegung vollzieht sich vom Abstrakten zum Konkreten nach dem dialektischen Prinzip.
Als Beispiel dazu fällt mir der Euro ein. Jahrelang existierte dieser nur als Idee in verschiedenen Konkretisierungsstufen bevor er als konkrete materielle Äußerlichkeit in Form von Münzen und Scheinen realisiert war.
Aber wenn wir heute eine konkrete Euromünze in der Hand halten, wollen wir trotzdem wissen, welchen abstrakten Wert diese Münze symbolisiert, d.h. beim normalen Erkenntnisprozess erfolgt eine Begriffsbewegung vom Konkreten zum Abstrakten. In den Naturwissenschaften, in denen es darum geht, Messwerte und Sinneseindrücke richtig einzuordnen, ist diese Bewegungsrichtung nicht nur naheliegend, sondern sogar zwingend erforderlich.
Anschaulich gesprochen will ich auf folgendes hinaus:
In seiner Philosophie hat Hegel den Weg, der zur Wahrheit führt, mit seinen vielen Stufen und Windungen richtig gesehen und beschrieben. Als Ausgangspunkt wählte er die abstrakte Einheit von SEIN und NICHTS. Wenn wir diesen Weg aber beschreiten wollen, bleibt uns nichts anderes übrig als die Stelle, an der wir uns gerade befinden, z.B. die konkreten Tatsachen des naturwissenschaftlichen Weltbilds, als Ausgangspunkt zu nehmen. Dabei ändert sich der Weg nicht. Die einzige Änderung besteht in der Bewegungsrichtung.
Anstöße für die Bewegung vom Konkreten zum Abstrakten sind in der materiellen Welt mannigfaltig vorhanden. Das Problem, das sich dabei ergibt, liegt nun darin, dass diese Bewegung sehr schnell an die Grenzen der Vorstellungen a priori, d.h. Raum und Zeit, stößt.
Bekanntlich erfolgt bei Hegel die Bewegung der Begriffe nach dem Prinzip der Negation. Die These, die ich aufstellen möchte, ist ganz einfach folgende:
Bei der Bewegung der Begriffe vom Konkreten zum Abstrakten impliziert die Negation der Begriffe die Negation der Vorstellungen a priori.
In der Grenze der Vorstellungen a priori sehe ich nämlich eine der Hauptursachen für den derzeitigen Gegensatz zwischen den Natur- und Geisteswissenschaften.
Da die Begriffe Raum und Zeit eng mit der Mathematik verknüpft sind, ist es naheliegend, sich mit mathematischen Beschreibungsmethoden der Problematik zu nähern.
Dialektik und Mathematik
Schon der überragende Technikphilosoph Gotthard Günther hat darauf hingewiesen, dass eine zweiwertige Logik, wie sie in der Mathematik und den Naturwissenschaften verwendet wird, mit Hegels Prinzip der Negation der Negation unvereinbar ist. So schreibt HEGEL in seinem Werk Wissenschaft der Logik folgendes über die Negation:
„Indem das Resultierende, die Negation, bestimmte Negation ist, hat sie einen Inhalt. Sie ist ein neuer Begriff, aber der höhere, reichere Begriff als der vorhergehende; denn sie ist um dessen Negation oder Entgegengesetztes reicher geworden, ...“.
Daraus folgt, dass die Synthese als Negation der Negation sich grundlegend von der These unterscheidet, während man in der herkömmlichen mathematischen Logik wieder beim ursprünglichen Begriff landet (Widerspruchsfreiheit: „tertium non datur“). Das naturwissenschaftliche Weltbild kollidiert also schon mit den einfachsten philosophischen Grundbegriffen. Gotthard Günther versuchte das Problem zu lösen, indem er eine neue Art von Logik einführte, die er Polykontexturalitätslogik nannte.
Erst in der Mitte des vergangenen Jahrhunderts kamen in der Mathematik Konzepte auf, die hinreichend abstrakt waren, um eine mehrwertige Logik und damit das Prinzip der Negation der Negation zuzulassen. Um komplexe mathematische Sachverhalte, wie sie hauptsächlich in der Homologischen Algebra auftreten, besser beschreiben zu können, entwickelte man die Kategorientheorie.
Die Definition einer Kategorie findet man in sehr vielen Mathematikbüchern. Der folgende Text stammt aus dem Buch Topologie von K.P.GROTEMEYER:
„Eine Kategorie C besteht aus einer Klasse Ob(C ) von Objekten und aus Mengen Mor(A,B) zu je zwei Objekten A,B Î Ob(C ) und aus einer Abbildung
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Insbesondere ist mit der kategoriellen Logik eine mehrwertige Logik möglich. Neben der mehrwertigen Logik bietet die Kategorientheorie den Vorteil, dass Objekte nicht mehr durch ihre interne Elementstruktur beschrieben werden müssen, sondern die Objektstrukturen ergeben sich aus den Beziehungen zu anderen Objekten, sogenannte Morphismen, die man in Termen der Hegelschen Philosophie als Momente bezeichnen könnte.
In dem Buch von EHRIG,MAHR,CORNELIUS,GROßE-RHODE,ZEITZ, Mathematisch-strukturelle Grundlagen der Informatik, finden sich dazu die folgenden Ausführungen:
„Kategorielle Beschreibungen und Konstruktionen von Objekten sind immer strukturell, d.h., sie beziehen sich ausschließlich auf die Rolle, die das Objekt in der Kategorie (Gesamtstruktur) einnimmt. Das bedeutet, dass nur die Beziehungen zu den anderen Objekten benutzt werden, während der innere Aufbau des Objekts irrelevant ist. Die innere Komplexität der Objekte wird also vollständig gekapselt. Die Sprache der Kategorientheorie wird damit zu einer universellen Beschreibungssprache, die auf alle möglichen Bereiche angewendet werden kann. ... Da die Objekte einer Kategorie i. allg. keine Elemente haben, d.h. auf die innere Struktur nicht zugegriffen werden kann, können die kategoriellen Begriffe nur mit Hilfe der äußeren Struktur der Objekte beschrieben werden, die durch die Morphismen ... gegeben ist.“ D.h. mit der Kategorientheorie sind grobe Bestimmungen möglich, die entsprechend der Hegelschen Philosophie schrittweise verfeinert werden können. Die universelle Beschreibungssprache in der Mathematik ist also eine logische und exakte Methodik für eine holistische Denkweise. Diese kann man sich nun in der Mathematik und in den Naturwissenschaften zunutze machen.
Dazu möchte ich zunächst den folgenden Satz aus dem Werk Kritik der reinen Vernunft von I. KANT zitieren:
„Der Raum ist eine notwendige Vorstellung a priori, die allen äußeren Anschauungen zum Grunde liegt.“
Nun zeigt sich in den Naturwissenschaften und teilweise auch in den Geisteswissenschaften eine enge Fixierung auf den dreidimensionalen Raum in der Art, dass gesagt wird, dass nur Objekte, die im dreidimensionalen Raum erkennbar oder vorstellbar sind, als real und rational erfassbar gelten, alles andere wäre irrational.
Die Kategorientheorie bietet nun die Möglichkeit, zumindest grob, Räume zu spezifizieren, denen keine Mengenstruktur zugrundeliegt. Dabei kann man nach meiner Meinung drei Arten von Dimensionen unterscheiden:
- positive Dimensionen
- negative Dimensionen (erste Negation)
- affirmative Dimensionen (wegen der Negation der Negation)
Darüber hinaus sind noch Mischformen denkbar.
Ähnliches gilt auch für die Zeit.
Damit sind Raum und Zeit nicht mehr statisch, sondern ein dialektischer Prozess. Es ist also möglich und sinnvoll, die Selbstbewegung der Begriffe auch auf die Vorstellungen a priori anzuwenden. Als Ausgangspunkt der Bewegung sind die üblichen mathematischen Begriffe eines dreidimensionalen Raums und einer eindimensionalen Zeit durchaus ausreichend.
Ein Beispiel zum dialektischen Prinzip
Da in den Naturwissenschaften - bedingt durch die engen Grenzen bzw. Randbedingungen der Vorstellungen a priori Raum und Zeit - philosophische Grundprinzipien nur unzureichend berücksichtigt werden, ist es zweckmäßig, mathematische Beschreibungsmethoden zunächst einmal nur auf einfache philosophische Überlegungen anzuwenden.
Deswegen führe ich mit dem folgenden Auszug aus dem Text DIE DREI BILDER DER WELT, EIN SPRACHKRITISCHER VERSUCH (Autor: Fritz Mauthner, Bearbeiter: Djavid Salehi) den Begriff der drei Weltbilder, sogenannte Aussäglichkeiten, des Sprachkritikers Fritz Mauthner ein:
„Der Sprachkritiker Fritz Mauthner konnte für die Erkenntnis der Welt keine andern als sprachliche Kategorien finden. In drei Welten musste er sie gliedern: Substantiv, Adjektiv, Verbum.
Die substantivische Welt, das ist die Welt der Mystik, der Mythologie, der bloßen Erscheinung, das ist die Abstraktion der -heiten, -keiten, -schaften. Platon ist ihr Erfinder ...
Die adjektivische Welt, das ist das Reich des Sensualismus, des Materialismus, der Kunst, die sogenannte wirkliche Welt von Stoff und Kraft, in den Grenzen der Naturwissenschaften.
Die verbale Welt ist die Welt der Bewegung, Wirkung, Tätigkeit, mit verborgenen Zwecken, mit Sinneseindrücken, die zu Kräften und Energien werden, das Reich des Heraklit.
- Arbeit zitieren
- Dieter Breuninger (Autor:in), 2002, Hegels Wissenschaft der Logik, Mathematik und Naturwissenschaften, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/109515