Ethik und Handlungsrationalitäten nach Max Weber in der Bundestagsdebatte zu Gentechnik und Bioethik vom 31.5.2001


Hausarbeit, 2001

19 Seiten, Note: Sehr Gut


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. Webersche Begriffe
Handlungstypen
Politik als Beruf
Wissenschaft und Politik

2. Die Debatte zur Gentechnik und Bioethik im Bundestag (31. Mai 2001)

3. Zusammenfassung

Literaturverzeichnis

Einleitung

In dieser Arbeit geht es um eine politische Entscheidung über wissenschaftliche und technische Entwicklungen. Nachdem ein Forscher bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft 2000 die Forschung mit importierten menschlichen Stammzellen beantragte, mußte eine politische Entscheidung über den Import embryonaler Stammzellen gefällt werden. Es ging um gesetzliche Grundlagen für eine neue Forschungsrichtung völlig neuer Qualität, deren Folgen völlig unterschiedlich eingeschätzt werden. Es geht um die Nutzung von menschlichen Embryonen zu Forschungszwecken.

Die Abgeordneten des deutschen Bundestages versuchten in einer freien Diskussion die ethischen Probleme der Gentechnik aufzuzeigen und eine Einschätzung nach eigenem Gewissen abzugeben.

Jede(r) Abgeordnete mußte sich dazu zu seiner eigenen Ethik befragen. Welche Stanpunkte vorgetragen wurden, und aus welchen Ethiken und Handlungsrationalitäten sie folgen, ist Thema dieser Arbeit.

Dazu benutze ich den Begriff des Handlungstypus aus Max Webers Kategorienlehre. Ihn werde ich im ersten Teil erläutern. Anschließen stelle ich in Politik als Beruf einige Ansichten Webers über Politikerethiken dar, die in Zusammenhang mit den Handlungsrationalitäten stehen. Auf die Funktion der Abgeordneten in dieser Frage gehe ich in Wissenschaft und Politik ein, wo ich die Bundestagsdebatte mit Webers Ausführungen vergleiche.

Im zweiten Teil untersuche ich die konkreten Redebeiträge zur Bundestagsdebatte vom 31.5.2001 zur Gentechnik und Bioethik, ordne ihre Standpunkte ein und versuche, ihre Handlungsrationalitäten herauszuarbeiten. Dabei habe ich mich auf einige beschränkt, die ich für aussagekräftig halte.

1. Webersche Begriffe

Handlungstypen

Um die verschiedenen ethischen Standpunkte genauer erklären zu können, will ich die Idealtypen des sozialen Handelns benutzen. Max Weber hat sie in seiner „Soziologischen Kategorienlehre“[1] eingeführt. Diese Handlungstypen unterscheiden sich durch ihre Handlungsorientierung, also nach dem Grund, warum so und nicht anders gehandelt wurde. Dieser ‚Grund’ liegt im subjektiv gemeinten Sinn, dieser muß dem Akteur aber nicht bewußt sein. (Vgl. Weber S.12)

Das traditionale Handeln liegt oftmals jenseits des sinnhaften Handelns, da der Sinn des Handelns dem Handelnden selbst verborgen bleibt. Der Akteur wiederholt dabei nur eingeübtes, gelerntes Handeln. Dieser Idealtyp des Handelns bleibt für meine Zwecke unbedeutend, da alle Teilnehmer der Stammzellendebatte sich bewußt mit der Thematik auseinandersetzen und die neuartige Qualität dieser Aufgabenstellung kein Zurückfallen in gewohnte Handlungsmuster erlaubt.

Das affektuelle Handeln bewegt sich an der Grenze des sinnhaften Handelns, da es eine emotionale, spontane Handlung, z.B. eine Reaktion auf einen Reiz, ist. Dies ist eine unbewußte Handlung; wenn affektuelles Handeln bewußt stattfindet, ist es schon im Übergang zu wertrationalem oder zweckrationalem Handeln. Auch dieser Idealtyp interessiert mich im Folgenden nicht mehr, da die Stammzellendebatte im Bundestag ja keine Abstimmung nach Gefühlslage darstellt, sondern als Debatte einen Dialog mit Argumenten einschließt. Natürlich kann die vertretene Ethik auf einem ‚Gefühl’ fußen, das aber dann durch eine Werthaltung erklärt wird. Damit sind wir beim wertrationalen Handeln.

Wertrational handelt, wer einen Wert zu seiner Handlungsmaxime macht und darüber nicht die Folgen seines Handelns oder dessen Nebeneffekte kalkuliert. Dieser Wert kann aus „Pflicht, Würde, Schönheit, religiöse Weisung“[2] und also auch ethischen Werten bestehen. Daß eine streng wertrationale Handlungsweise einer religiösen vergleichbar ist, werde ich später noch ansprechen. Rein wertrationales Handeln ist laut Weber kaum zu finden, vielmehr treten alle Handlungstypen in der Empirie immer fließend und gemischt auf. Darauf weist Weber immer wieder hin und nennt die Handlungstypen daher auch Idealtypen. Als Klassifizierung sind die Begriffe aber sehr nützlich, denn gerade wertrationales und zweckrationales Handeln führen zu sehr unterschiedlichen Argumentationsweisen und also Ethiken in der untersuchten Stammzellendebatte.

Das zweckrationale Handeln ist streng genommen das einzige rationale Handeln: der Handelnde wägt Zwecke, Mittel und Nebeneffekte gegeneinander und untereinander ab. Allein die Entscheidung zwischen konkurrierenden Zwecken tendiert zum Wertrationalen, dann bleibt die Mittelwahl zweckrational.

Besonders zwischen wertrationalem und zweckrationalem Handeln ist also die Grenze fließend.

Vom Standpunkt der Zweckrationalität aus aber ist Wertrationalität immer, und zwar je mehr sie den Wert, an dem das Handeln orientiert wird, zum absoluten Wert steigert, desto mehr: irrational, weil sie ja um so weniger auf die Folgen des Handelnsreflektiert, je unbedingter allein dessen Eigenwert (reine Gesinnung, Schönheit, absolute Güte, absolute Pflichtmäßigkeit) für sie in Betracht kommt.[3]

Die Idealtypen dienen also dazu, Handlungen einen Sinn zuzuordnen. Das Grenzgebiet zwischen Wertrationalität und Zweckrationalität ist für die Analyse der Redebeiträge zur Stammzellendebatte besonders prekär. Zudem kann aus zwei gleichen Handlungen nicht auf einen gemeinsamen subjektiven Sinn geschlossen werden.[4] Auch wenn ich den Bundestagsrednern unterstelle, ihnen sei der Sinn ihrer Handlung immerhin selbst bewußt, so kann sich aus zwei verschiedenen Ethiken bzw. Handlungsrationalitäten derselbe Standpunkt in der Stammzellendebatte ergeben. Kompliziert wird es, wenn der subjektive Sinn durch einen anderen, laut ausgesprochenen Sinn verdeckt wird, etwa, wenn ethische Argumente dazu benutzt werden, zweckrationale Ziele wie wirtschaftlichen Erfolg zu erreichen.

Politik als Beruf

Eine für mich brauchbare Verwendung seiner Handlungstypen nimmt Max Weber selbst vor, indem er politisches Handeln untersucht. Ungeachtet seines umstrittenen politischen Standpunktes hat er zwei allgemeine Typen des politischen Handelns unterschieden, die auf bestimmten Handlungsrationalitäten beruhen.

Die Grundeigenschaften des Politikers sind für Weber Leidenschaft und Verantwortungsbewußtsein.[5] Die Leidenschaft ist der Glaube an bestimmte politische Ziele. Dieser Glaube ist natürlich nicht rational erklärbar. Wie mit diesen Zielen umgegangen wird, läßt sich bei Weber mit den Begriffen des Gesinnungsethikers und des Verantwortungsethikers darstellen.

Der Gesinnungsethiker orientiert sich in seinem Handeln an einem ethischen Wert (z.B. Liebe, Frieden), der im Moment befolgt wird; mögliche unintendierte Handlungseffekte können diesem Wert aber zuwiderlaufen, werden vom Gesinnungsethiker aber nicht einkalkuliert, er legt jeder Handlung diesen absoluten Wert zugrunde. Man kann ihn als Idealist bezeichnen. Der Gesinnungsethiker folgt also einer wertrationalen Handlungsorientierung. Eine Zweck-Mittel-Abwägung ist für den Gesinnungsethiker somit unmöglich, er kann keine Mittel einsetzen, die seinen Werten entgegenstehen, um ein Ziel zu erreichen, das seinem Wert entspricht.

Diese Problematik zeigt sich zum Beispiel in der unmöglichen Abwägung zwischen verschieden Leben in der Stammzellendebatte: soll man Kranke heilen durch das Töten von Embryonen, oder soll man Kranken die mögliche Heilung verweigern, um kein Leben zu einem außer ihm liegenden Zweck zu benutzen?

Weber sieht in dieser Nichtbeachtung möglicher Folgen des Handelns eine gewisse Verantwortungslosigkeit, sogar „weltfremde Romantik“ (Meurer S.65). „Reine Gesinnungsethik ist im Bereich des Politischen unmöglich, wenn man versuchen wollte, nach absoluten moralischen Prinzipien zu handeln, müßte man unweigerlich scheitern.“ (ebenda) Es ist einleuchtend, daß das Individuum nicht seine Werte gegen alle „Sachzwänge“ durchsetzen kann. Gesinnungsethik muß aber vom Individuum ausgehen, wie Thomas Möller am Beispiel der Bergpredigt Jesu erklärt.

Die Bergpredigt (Matthäus 5) verkörpert eine Gesinnungsethik, da sie sich an einem Ideal orientiert, aber nur durch das Handeln des Einzelnen erfüllbar ist und niemandem auferlegbar ist.[6] Somit kann reine Gesinnungsethik nicht in ihrem Sinne als Gesetz funktionieren. Daraus schließt Weber, daß nur die Verantwortungsethik in der Politik einen Platz habe.

Die Verantwortungsethik zeichnet sich in Abgrenzung zur wertrationalen Gesinnungsethik durch eine zweckrationale Handlungsorientierung aus. Der Verantwortungsethiker kalkuliert Zwecke, Mittel und Folgen seines Handelns und geht bei Verfolgung seiner Ziele Kompromisse ein, die auch seinen Werten widersprechen können.

Der Verantwortungsethiker ist an der konkreten Welt orientiert, während die reine Gesinnungsethik nach Weber die Struktur der Religion annimmt (Vgl. Möller S.37 f.).

Erst die Säkularisierung macht Verantwortungsethik möglich: der Dualismus Gesinnungsethik-Religion versus Verantwortungsethik-Welt ist eine Folge der Rationalisierung und Entzauberung der Welt. Es entstehen mit der Bürokratisierung Sachzwänge, die das politische Handeln einschränken und das Parlament entwerten.

Angesichts der Bürokratisierung aller politischen Verbände und des zunehmenden Auftretens organisierter materieller Interessen hatte nach Weber das Parlament frühzeitig aufgehört, der Ort der freien politischen Auseinandersetzung zu sein.[7]

Tatsächlich findet die gesamte Gentechnikdebatte ja nicht (nur) im Parlament statt: Wissenschaft und Wirtschaft melden Ansprüche an, Kirchen und Interessenverbände (Umweltverbände, Ärztekammer) und eigens eingesetzte Kommissionen und Räte nehmen Stellung. Der Einfluß dieser Gruppen schlägt sich in den Argumentationen der Politiker nieder. In der Bundestagsdebatte zu Gentechnik und Bioethik, speziell Forschung an embryonalen Stammzellen (31. Mai 2001), sehe ich einen Versuch, dem Parlament diese freie Auseinandersetzung zurückzubringen. Jeder Abgeordnete war wirklich nur seinem Gewissen bzw. seiner Position verpflichtet und nicht an Partei- oder Fraktionszwänge gebunden. Dieses Vorgehen bestätigt nur die neue Qualität der ethischen Fragestellung:

[...]


[1] Weber, Max: Wirtschaft und Gesellschaft: Grundriß der verstehenden Soziologie. J.C.B.Mohr 1972

[2] Weber S. 12

[3] Weber S. 13

[4] Vgl. Käsler, Dirk: Einführung in das Studium Max Webers. Beck 1979. S. 153

[5] Dr. Meurer, Bärbel: Mensch und Kapitalismus bei Max Weber. Zum Verhältnis von Soziologie und Wirklichkeit. Duncker & Humblot 1974. S.65 ff.

[6] Möller, Thomas: Ethisch relevante Äußerungen von Max Weber zu den von ihm geprägten Begriffen der Gesinnungs- und Verantwortungsethik. Minerva-Publikation 1983. S. 7 ff.

[7] Möller S. 27

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Ethik und Handlungsrationalitäten nach Max Weber in der Bundestagsdebatte zu Gentechnik und Bioethik vom 31.5.2001
Hochschule
Technische Universität Berlin
Veranstaltung
PS Einführung in die Techniksoziologie
Note
Sehr Gut
Autor
Jahr
2001
Seiten
19
Katalognummer
V110033
ISBN (eBook)
9783640082100
Dateigröße
487 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Ethik, Handlungsrationalitäten, Weber, Bundestagsdebatte, Gentechnik, Bioethik, Einführung, Techniksoziologie
Arbeit zitieren
Carla Herwig (Autor:in), 2001, Ethik und Handlungsrationalitäten nach Max Weber in der Bundestagsdebatte zu Gentechnik und Bioethik vom 31.5.2001, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/110033

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