Naturwissenschaften und Theologie haben sich in ihren Anschauungen der Welt und ihren Methoden in den letzten 300 Jahren auseinanderentwickelt. Sie haben sich weitgehend von einander abgegrenzt. Wenn ich nach dem pietistischen Verhältnis zu den Naturwissenschaften frage, begebe ich mich an die Anfänge dieser Entwicklung. Die Geschichte der Naturwissenschaften beinhaltet die Entwicklung naturwissenschaftlicher Theorien und deren praktische Umsetzung in der Technik. Mit Blick auf den Pietismus stelle ich zwei
Fragen: Wie haben pietistisch geprägte Persönlichkeiten die naturwissenschaftliche Entwicklung geprägt? Und andersherum: Wurden die Erkenntnisse der Naturwissenschaften innerhalb der pietistischen Gemeinschaften aufgenommen? Wenn ja: Warum?
Die Gestaltung des gelebten Pietismus geschah durch einzelne pietistische Persönlichkeiten. Die Geschichte des Pietismus ist daher schwer von der Geschichte der Pietisten zu trennen. Auch in
dieser Arbeit stehen einzelne Persönlichkeiten exemplarisch für einzelne Phänomene. Ich verwende den engeren Pietismusbegriff, wie er von Johannes Wallmann in der Diskussion um den Pietismusbegriff vertreten wird.1
Die Arbeit ist in drei Hauptteile gegliedert. Nach Annäherung an die Denkweisen der Zeit durch die Bestimmung zentraler Begriffe untersuche ich anhand von sieben Aspekten die Beziehung von Naturwissenschaften und Pietismus. Dabei betrachte ich sowohl den Diskurs naturwissenschaftlicher Erkenntnisse und deren Weitervermittlung durch Pietisten, als auch deren Anwendung. Anschließend analysiere ich den bei den Untersuchungen der Beispiele immer wiederkehrenden Gedanken der Nützlichkeit anhand der These von Robert K. Merton. Der Schwerpunkt der Untersuchungen liegt aufgrund der guten Quellenlage im Hallischen Pietismus.
[...]
_____
1 Vgl. WALLMANN: Der Pietismus, 21-27; WALLMANN: Pietismus, HWP; WALLMANN: Pietismus, RGG; WALLMANN: Was ist Pietismus?; BRECHT: Zur Konzeption der Geschichte des Pietismus; WALLMANN: Eine alternative Geschichte des Pietismus; LEHMANN: Engerer, weiterer und erweiterter Pietismusbegriff; WALLMANN: Pietismus - ein Epochenbegriff oder ein typologischer Begriff?
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkungen
- Begriffsbestimmungen
- Der Begriff der Natur in der frühen Neuzeit
- Der Begriff der Technik in der frühen Neuzeit
- Der Begriff der Technologie
- Die Emanzipation der Naturwissenschaften
- Konzeption und Triebkraft der Innovationen in der frühen Neuzeit
- Die Physikotheologie
- Naturwissenschaften und Technik im Pietismus
- Aspekt: Methoden des Informationstransfers
- Aspekt: Die Arbeits- und Berufspädagogik August Hermann Franckes
- Aspekt: Die Kunst- und Naturalienkammer in den Franckeschen Stiftungen
- Aspekt: Die Apotheke in den Franckeschen Stiftungen
- Aspekt: Das psychodynamische Medizinkonzept Georg Ernst Stahls
- Aspekt: Der Techniker-Theologe Philipp Matthäus Hahn
- Aspekt: Der pietistische Berufsethos nach August Hermann Francke
- Der Gedanke der Nützlichkeit und die pietistische Techniknutzung
- Die Prämisse der Zweckmäßigkeit
- Die Anwendung der Thesen Webers in der These Mertons
- Probleme der Merton-These
- Schlussbemerkungen
- Literatur
- Quellen
- zitierte Sekundärliteratur
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Arbeit untersucht das Verhältnis von Pietismus und Naturwissenschaften in der frühen Neuzeit. Sie analysiert, wie pietistisch geprägte Persönlichkeiten die naturwissenschaftliche Entwicklung beeinflusst haben und wie die Erkenntnisse der Naturwissenschaften innerhalb pietistischer Gemeinschaften aufgenommen wurden. Die Arbeit konzentriert sich dabei auf den Hallischen Pietismus, wobei auch andere Formen des Pietismus in den deutschen Ländern des 18. Jahrhunderts betrachtet werden.
- Die Bedeutung des Naturbegriffs in der frühen Neuzeit und seine Verbindung zur Technik
- Die Rolle des Pietismus in der Verbreitung und Anwendung naturwissenschaftlicher Erkenntnisse
- Die Bedeutung des Berufsethos im Pietismus und seine Verbindung zur Techniknutzung
- Die Rolle des Gedankens der Nützlichkeit in der pietistischen Techniknutzung
- Die Herausforderungen und Probleme der Merton-These in Bezug auf den Pietismus
Zusammenfassung der Kapitel
Die Arbeit beginnt mit einer Definition zentraler Begriffe wie Natur, Technik und Technologie im Kontext der frühen Neuzeit. Sie beleuchtet die Entwicklung des Naturbegriffs von der Antike bis zur Neuzeit und zeigt die Verbindung zwischen Natur und Technik auf. Die Arbeit stellt dar, wie die Mechanik zum Kern der neuen Naturwissenschaften wurde und wie das Natürliche mit dem Künstlichen, Technischen identifiziert wurde.
Im zweiten Teil der Arbeit werden sieben Aspekte der Beziehung zwischen Naturwissenschaften und Pietismus untersucht. Die Arbeit analysiert die Methoden des Informationstransfers, die Arbeits- und Berufspädagogik August Hermann Franckes, die Kunst- und Naturalienkammer in den Franckeschen Stiftungen, die Apotheke in den Franckeschen Stiftungen, das psychodynamische Medizinkonzept Georg Ernst Stahls, den Techniker-Theologen Philipp Matthäus Hahn und den pietistischen Berufsethos nach August Hermann Francke.
Der dritte Teil der Arbeit widmet sich dem Gedanken der Nützlichkeit und der pietistischen Techniknutzung. Die Arbeit analysiert die Prämisse der Zweckmäßigkeit und die Anwendung der Thesen Webers in der These Mertons. Sie diskutiert auch die Probleme der Merton-These in Bezug auf den Pietismus.
Schlüsselwörter
Die Schlüsselwörter und Schwerpunktthemen des Textes umfassen den Pietismus, die Naturwissenschaften, die Technik, die Technologie, die Physikotheologie, den Hallischen Pietismus, August Hermann Francke, Georg Ernst Stahl, Philipp Matthäus Hahn, den Berufsethos, den Gedanken der Nützlichkeit und die Merton-These.
- Arbeit zitieren
- Marcus Heydecke (Autor:in), 2005, Pietismus und Naturwissenschaften, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/110099