William Shakespeare´s "Hamlet" in den Inszenierungen von Peter Brook


Seminararbeit, 2002

17 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Inhaltsangabe von Shakespears "Hamlet"

3. Inszenierung Brook
3.1 Abfolge des Schauspiels
3.2 Einführung in die semiotische Analyse nach Erika Fischer-Lichte
3.3 Semiotische Analyse nach Erika Fischer-Lichte

4. Inszenierung Stemann
4.1 Abfolge des Schauspiels
4.2 Semiotische Analyse nach Erika Fischer-Lichte

5. Vergleich der beiden Inszenierungen

6. Schlußbetrachtung

Bibliografie

1. Einleitung

Die folgende Hausarbeit beschäftigt sich mit William Shakespeare´s Tragödie "Hamlet" in den Neuinszenierunen von Peter Brooks und Nicolas Stemann. Interessant bei diesem Thema ist, dass beide Regisseure mit wenigen Bühnenutensilien zurecht kommen, obwohl die beiden Inszenierungen unterschiedlicher kaum sein könnten. Wie ist es also möglich, dass zwei Regisseure, die mit ähnlichen Mitteln arbeiten, nämlich mit dem Mittel der Reduktion, in zwei gegensätzliche Terrains vordringen, nämlich das der Ernsthaftigkeit bei Brook und das der Satire bei Stemann?

Es stellt sich also die Frage, inwieweit sich die beiden Inszenierungen gleichen, und wo sie sich unterscheiden. Um dies herauszufinden, werde ich erst die Aufführung des Schauspielhaus Hannover, und anschließend eine englische Aufführung unter Regie von Peter Brook analysieren. Einen Vergleich der Inszenierungen werde ich anhand von Erika Fischer-Lichte´s "Semiotik des Theaters" vornehmen.

Brook´s Prinzip ist klar: "Reduktion auf das Wesentliche. Kein Pomp und keine Umstände, keine aufwendigen Bühnenbilder, keine prunkenden oder authentizitätssüchtigen Probleme, keine extravaganten Regieeinfälle. Nur das pure Theater 1. Auch Stemann setzt auf die Reduktion des Bühnenbildes, jedoch auf andere Art und Weise.

Zu was trägt diese Hausarbeit bei? Die Hauptaufgabe ist natürlich der Vergleich zweier Inszenierungen des gleichen Stückes. Aber sie kann auch als Anstoß dazu dienen, ob man immer aufwendige Bühnenbilder braucht, um eine perfekte Illusion zu schaffen, oder ob manchmal vielleicht "weniger mehr ist".

2. Inhaltsangabe von Shakespeare´s "Hamlet"

Hamlet, Prinz von Dänemark, ist entrüstet über das Verhalten seiner Mutter: schon zwei Monate nach dem Tod seines Vaters hat sie dessen Bruder Claudius geheiratet. Ein Geist in der Gestalt seines Vaters berichtet dem jungen Mann, dass er, der König, von Hamlets Onkel umgebracht worden sei. Er beschwört Hamlet, Rache zu üben. Um seinen Plan in die Tat umsetzen zu können, stellt er sich fortan verrückt. Ophelia, der Hamlet einst seine Liebe gestand, denkt, sie sei Schuld an seinem Wahnsinn - hat sie nicht auf Drängen ihres Vater Hamlet nicht mehr empfangen? Sie, ihr Vater und der König stellen ihn auf die Probe.

Um herauszufinden, ob der Geist die Wahrheit gesprochen hat, lässt Hamlet Schauspieler auf das Schloss kommen, die den Brudermord spielen. Der König ist so entsetzt, dass er das Schauspiel abbricht. Hamlet wird nach England geschickt, wo der König ihn enthaupten lassen will. Doch er kehrt zurück und das Schicksal nimmt seinen Lauf...

3. "Hamlet" in der Inszenierung von Peter Brook

Peter Brook schafft zweifellos etwas mit seinen Inszenierungen, das vorher so noch nicht dagewesen ist.

In seiner englischen Version von "Hamlet" stützt er sich auf sein allerseits bekanntes Prinzip: "Reduktion auf das Wesentliche" Das wirkt sich im Bühnenbild folgendermaßen aus: eine schlichte, aber ins Preziöse tendierende Bühne: ein rotes, rechteckiges Tuch, darauf wenige Requisiten als Spielsteine: Sitzkissen und Hocker, die von den Darstellern selbst durch die Gegend getragen werden. Die Requisiten sind so unspezifisch wie möglich, auf das die Fantasie des Betrachters mit Leichtigkeit aus ihnen macht, was sie sein sollen. Theater also als willfähiger Anlass für die Einbildungskraft, die Fiktion aus Worten und Personen lebendig zu machen. Eine Ideologie des Lebens also, nicht Aufdeckung der Illusion, sondern der Wunsch, aus der Nacktheit der Sprache und der Darsteller durch Zauberhand das Leben selbst auf die Bühne zu bringen. Die Sparsamkeit ermöglicht es dem Zuschauer, sich nichts vorschreiben, vorführen oder vormachen zu lassen.

Dennoch scheint Brook der ganzen Sache nicht völlig zu trauen, denn er fügt in die Ecke des Geschehens einen Live-Musik-Bauchladen, aus dem heraus ein Musiker illustrativ und strikt szenebegleitend trillert und pfeift, streicht und schlägt. Der Musiker ist in der englischen Version herausgeschnitten, in der französischen Erstaufführung von Peter Brook in Saarbrücken im E-Werk war er rechts am Rande platziert.

3.1. Abfolge des Schauspiels

"Theater im Theater" ist ein Ausdrucksmittel, das im Barockzeitalter erfunden wurde, und sowohl zu Shakespeare´s als auch zu heutiger Zeit seine Anwendung findet.

Das "Theater im Theater" wird fast wortgetreu vom Originaltext übernommen. Das Schauspiel wird von einigen „zusätzlichen“ Schauspielern inszeniert, derer unterschiedliche kulturelle Herkunft auch hier nicht zu übersehen ist. Aufgrund der Übernahme des Originaltextes ist Hamlet der „Spielführer“, der die Schauspieler ab und an unterbricht, um seiner Mutter und dem König das Stück näher zu bringen und derer Reaktion zu überprüfen.

In Brooks Inszenierung wird keine Extra-Bühne für die Schauspieler aufgebaut, alles was sie an Requisiten benötigen, bringen sie selbst mit auf die Bühne, die gleichzeitig auch die Bühne der Königsfamilie und anderer Schauspieler ist.

3.2. Einführung in die Semiotische Analyse nach Erika Fischer-Lichte

Unter kulturwissenschaftlichen Aspekten erscheint das Theater zunächst als ein mögliches kulturelles System. Es ist ein konstituierender Bestandteil dessen, was wir als Gesamtheit "Kultur" nennen. Theater ist, wenn eine Person A die Person X verkörpert, während S zuschaut. Um X darzustellen, nimmt A ein bestimmtes Äußeres an und agiert auf bestimmte Weise in einem bestimmten Raum. Die Funktion des Theaters ist es, Bedeutung zu erzeugen, und die Erzeugung von Bedeutung erfolgt mittels der Herstellung von Zeichen. Zeichen des Theaters werden auch als der "theatralische Code" bezeichnet.

3.3. Semiotische Analyse bei Peter Brook

Die Schauspieler in Brooks Inszenierung agieren Erstens mit bestimmtem Äußeren. Die Bewegung der Figuren mit Positionswechsel, also die proxemischen Zeichen, vollziehen sich in einem angemessenen Tempo, sie rasen nicht über die Bühne oder bewegen sich im Schneckentempo. gestische und mimische Zeichen hingegen scheinen Brook sehr wichtig zu sein, und dafür verwendet er auch seltsame Mittel: zum Beispiel in der Szene, als Polonius Hamlets Handeln erforschen will, so hebt Hamlet seine Arme und läßt Spucke von seinem Mund über sein Kinn auf den Boden tropfen. Hamlet verabschiedet sich in dieser Szene von Polonius mit den Worten "except my life".

Die mimischen Zeichen fallen besonders bei Hamlet auf: denn der dunkelhäutige Mann, der Hamlet spielt, scheint die mitwirkenden Figuren immer durchdringlich mit seinen Augen auzuschauen, was vielleicht auch daran liegt, dass ein besonders starker Kontrast zwischen dem weiß und dem dunklen Braun der Pupille entsteht.

Wie in jedem Theaterstück außer der Pantomime gibt es hier linguistische Zeichen. Brook übernimmt fast eine zu eins die Texte von Shakespeare, wobei er aber einige wenige Szenen und Sätze weglässt. Paralinguistische Zeichen werden bewusst hervorgehoben, denn bei den meisten Inszenierungen von Brook lässt er Mikrofone und Verstärker weg. Musikalische Zeichen sind die des Mannes, der am Rande des Schauspiels sitzt und zu den einzelnen Szenen Geräusche macht. Die Geräusche sind aber keineswegs Lieder, sie sind einzelne Paukenschläge oder das Rascheln des Windes. Die Figuren an sich lassen musikalische Zeichen weg.

Zum Zweiten agieren die Schauspieler mit spezifischem Äußeren. Auffällig ist, dass Brook sich gar keine Mühe gibt, die verschiedenen Äußerlichkeiten seiner Schauspieler zu verstecken, ganz im Gegenteil: Hamlet ist ein Schwarzer mit Rastazöpfen, Ophelia ist eine Inderin, die Königin ist weiß, der König ist schwarz. Die Maske der Schauspieler ist sehr dezent und eigentlich auch unauffällig. Die Kostüme sind einfach gestaltet, Hamlet trägt nur eine schwarze Hose und ein schwarzes Oberteil, König und Königin tragen zwar Umhänge, die jedoch keinesfalls pompös und machtvoll wirken. Im Grunde kommt Brook mit sehr wenigen Kostümen zurecht.

Zum Dritten agieren die Schauspieler in einem besonderen Raum. Das Bühnenbild besteht nur aus wenigen Utensilien: Ein rotes quadratisches Tuch, ein paar Kissen, zwei Treppenstufen im Hintergrund. Während der Aufführung bringen die Schauspieler oftmals die Bühnendekoration mit auf die Bühne, in einer aufgezeichneten Aufführung fallen diese Szenen der Schere zum Opfer. Auch die Beleuchtung ist durchweg simpel gestaltet, es gibt keine auffallenden Lichtreflexe, das Licht bleibt in seiner eigentlichen Bedeutung, nämlich die Schauspieler sichtbar machen zu können.

4. "Hamlet" in der Inszenierung von Nicolas Stemann

Nicolas Stemann transportiert William Shakespeare´s "Hamlet" aus dem 16. Jahrhundert in das Hier und Heute. Aus dem damaligen Schloss wird ein kalter, grauer Bühnenraum. Die pompöse Einrichtung musste ein paar Sesseln, mehreren Fernsehgeräten und aufgebauten Mikrofonen weichen. Die aufwendig bestickten Königskleider wurden ersetzt durch den Stil der 90er Jahre, die Krone wich einer schicken Krawatte. Aus Hamlet wurde ein posaunespielender Tollpatsch mit Pudelmütze, aus Ophelia ein Girlie mit schlechten Gesangsqualitäten. Claudius, Onkel und Stiefvater Hamlets verkörpert mit umwerfender Nonchalance den Optimismus ausstrahlenden Medienpolitiker der Neuen Mitte 2. "Konsequenterweise sind bei dieser Inszenierung Videos, Monitore und Sofas über die Bühne verteilt, auch Kameras, die die Verlautbarungen des smarten Medien-Königs einfangen 3.

Im Gegensatz zu den gewöhnlichen Inszenierungen ist nicht Hamlet, sondern dessen Onkel Claudius der Sympathieträger, der in seinem feinen Nadelstreifenanzug wie ein Manager aussieht und einwarmherziger Modernisierer ist, der die Rüstungspolitik seines halsstarrigen Bruders überwindet, mit den Feinden Frieden schließt und die Königin mit sanften Worten glücklich macht. Seinem zerstörerischen Stifsohn hält er vor: "Du liebst die Menschen nicht, sondern deine Prinzipien." Und jeder weiß, dass er recht hat. Doch Hamlet reißt sich in seiner Verzweiflung die Kleider vom Leib und sprintet als nackter Derwisch über die Bühne - ein gekränkter, pubertärer Junge, der sich nicht mit der Situation zurechtfinden will.

Da alle Beschwichtigungsversuche der toleranten Eltern nicht anschlagen, sondern lediglich dazu führen, dass sich Hamlet wie an die Wand gestellt fühlt, betreten auch sie entblößt die Bühne. Ein Akt verständnisvoller Solidarität, der nicht von ungefähr Nacktfotos alter Kommunarden zitiert.

Stemann hat mit dieser Inszenierung die Theaterwelt auf den Kopf gestellt: Der einstige König Hamlet ist der Bösewicht, wollte er ja nicht mit den Nachbarn Frieden schließen. Prinz Hamlet, in Brooks Inszenierung so ehrenvoll und aufrichtig dargestellt ist hier nur mehr eine Witzfigur, die ihren Argwohn gegen eine Wohlfühlwelt richtet. Aber die größte Überraschung ist Claudius, der charmante, Saxophon spielende Königsmörder.

Mit viel Witz und Charme wird hier eine alte Geschichte gegenwartsfähig und satirisch gemacht. Indem Stemann die Familientragödie mit der post-autoritären Kultur einer Mediendemokratie verknüpft, in der die Menschen nur Schauspieler ihres Schicksals sind, bekommt Hamlets überspannter Entlarvungsgestus fast etwas Heiliges. Er will sich nicht vereinnahmen lassen von einer Welt der Kompromisse und weichen Umarmungen. Er ist das erschreckend aktuelle Symbol einer Revolte, der die Worte fehlen, sodass sie blindwütige Gewalt anwendet.

4.1. Abfolge des Schauspiels

Ganz anders als bei Brook ist die Szenenabfolge des Schauspiels. Das Wichtigste ist aber, dass keine zusätzlichen Schauspieler auftreten, die als solche fungieren, sondern dass die jeweiligen Personen sich selbst spielen. So spielt Claudius den Bruder, der den König vergiftet und Gertrud die Mutter, die ihrem Mann Versprechungen macht. Einzig ist Polonius, der den sterbenden König spielen soll. Hamlet selbt überredet die jeweiligen Personen, diese Rollen zu spielen.

Zusätzliche Requisiten, die die Schauspieler zu Figuren machen, gibt es eigentlich nicht. Dafür gibt es von Hamlet Anweisungen und Erklärungen, wer wen spielen soll. Man könnte meinen, der Zuschauer wird durch solch eine Figurenänderung bei gleichbleibenden Personen verwirrt, doch durch Hamlets Erklärungen und die Zwischenfragen der Schauspieler wird dieses Argument zunichte gemacht.

Vom Originaltext dieser Szenen wird jedoch nur wenig übernommen, dafür werden aber gekonnt Lacher eingeführt, die das Publikum erheitern.

4.2. Semiotische Analyse bei Nicolas Stemann

Natürlich bedient sich auch Nicolas Stemann der theatralischen Zeichen, und er verwendet sicherlich in manchen Sachen das Minimalprinzip, nämlich mit wenig Aufwand möglichst viel erreichen, jedoch in ganz anderem Stil als Brook.

Zum Ersten gibt es das Agieren auf eine bestimmte Weise. Mimische Zeichen werden so eingesetzt, dass sie nicht nur zum Nachdenken anregen und uns über den Ernst der Sache informieren, sondern sie werden auch so eingesetzt, dass man über Hamlets komisches Naserümpfen lachen kann. Auch das Augenrollen der Figuren trägt zur Auflockerung des Stücks bei.

Bei den gestischen Zeichen lässt sich erkennen, dass der Vortragende (zum Beispiel Claudius am Anfang des Stücks, als er versucht, die momentane Lage zu erläutern) dann nicht mit sich selbst spricht wie etwa bei Brook, sondern er scheint das Publikum anzusprechen. Die proxemischen Zeichen sind bei Stemann besonders ausgeprägt: so lässt er die Figuren nicht nur vom einen zum anderen Bühnenrand rennen (z.B. Hamlet in seinem Wahn), sondern er lässt sie sogar tanzen, und natürlich begleitend auch singen (ein musikalisches Zeichen, dass so bei Brook nicht auftritt).

Stemann überrascht, denn auch er übernimmt große Teile von Shakespeares Originaltext, jedoch mit einem so bissigen Unterton, dass den Zuschauern das Lachen nicht so schnell vergeht. Dennoch besticht Stemann mit lockeren Sätzen wie: "Ach, Hamlet, nicht schon wieder..." und "Hat er sich schon wieder hinter dem Fernseher versteckt?"

Für die paralinguistischen Zeichen verwendet Stemann Mikrofone, die teils unsichtbar, teils sichtbar sind. So zum Beispiel als Gertrud Hamlet erklärt, er solle keinen Groll mehr hegen gegenüber ihr und seinem Onkel, denn schließlich sterbe jeder irgendwann einmal. Bei dieser Szene haben Gertrud und der König ein Mikrofon in der Hand, sie bewegen sich im Takt einer Diskomelodie und das ganze hat den Anschein einer Quizshow, nämlich ganz so, als, sage Hamlet jetzt die richtige Antwort, er eine Reisen in den Süden geschenkt bekäme. Auf der Bühne entsteht eine Show, die für Hamlet inszeniert wurde.

Stemann lässt Ophelia singen, die zwar gerade einer Girlieband entsprungen zu sein scheint, jedoch keinerlei Stimme dafür hat.

Zum Zweiten lässt er die Figuren mit spezifischem Äußeren Agieren. Alle Personen sind dezent geschminkt, außer die Maske der Königin und die der Ophelia, die wie ein popiges mit auffälligem Lidschatten geschminktes Girlie aussieht.

Die Frisuren sind modisch und schick, Ophelia mit einem lockeren Pferdeschwanz, Hamlet mit hochgegelten Haaren, Laertes mit einem Kurzhaarschnitt und der König mit einem Pagenkopf mit Seitenscheitel. Auch die Königin gefällt mit ihren Schulterlangen blonden Haaren, doch wird der Zuschauer später erschreckt, indem er feststellt, dass Gertrud nur eine Perücke trägt, denn sie nimmt sie im Laufe des Schauspiels ab, als wolle sie ihre Mitschuld am Tod ihres Mannes demonstrieren.

So wie die Frisuren sind auch die Kostüme: modisch und schick. Die Männer tragen Anzüge, Die Königin trägt ein Kostüm und Ophelia ein Rock mit einem hippigen Oberteil. Einzig Hamlet fällt anfänglich aus der Reihe: So kommt er zuerst mit einer orangefarbenen Schwimmweste und einer bis über die Augen gezogenen Strickmütze auf die Bühne. Damit nicht genug, "setzt" er sich auch noch seine Trompete auf den Kopf und fängt dann an in schrillen Tönen auf ihr herumzublasen. Auch später, im Laufe des Schauspiels fällt er nochmals aus der Reihe, denn er präsentiert sich in seinem Adamskostüm, worauf der König und die Königin es ihm gleichtun.

Zum dritten agieren die Schauspieler in einem besonderen Raum. Das besondere an Stemanns Bühnenraum ist, dass es quasi nichts besonderes gibt. Der Bühnenraum ist bis auf wenige Stühle, die am hintersten Bühnenrand stehen, fast leer. Jedoch eine große Auffälligkeit gibt es: Stemann benutzt auf der Bühne Fernseher, wo manchmal etwas aufgezeichnetes läuft, manchmal wird aber auch das, was gerade passiert, was der Zuschauer nicht sehen kann, von einem anderen Schauspieler per Videokamera aufgenommen. So zum Beispiel als Hamlet sich hinter dem Fernseher versteckt, und man ihn eigentlich nicht sehen kann, so kann man ihn in dem Medium "Fernsehen" beobachten.

Auch bei Stemann werden die Requisiten größtenteils von den Schauspielern selbst auf die Bühne gebracht. So bringt zum Beispiel Gertrude eine Lichtmaschine, die Diskolicht erzeugt, mit auf die Bühne und den dazupassenden Kassettenrekorder um den richtigen Sound zu erhalten.

Durch die Lichtmaschine ist auch die Beleuchtung nicht nur auf die handelnden Personen gerichtet, sondern das Licht wird "herumgewirbelt " um Stimmung zu erzeugen, und um eine surreale Umgebung zu schaffen.

5. Vergleich der beiden Inszenierungen

Um die beiden Inszenierungen miteinander zu vergleichen gehe ich noch mal auf die semiotische Analyse von Erika Fischer-Lichte ein. Zwar arbeiten beide Regisseure mit dem Minimalprinzip, nämlich mit wenig möglichst viel zu erreichen, jedoch legen sie auf ganz unterschiedliche Dinge Wert. So scheinen gerade die mimischen Zeichen bei Brook eine herausragende Rolle zu spielen, besonders in der Szene, als Hamlet sich Spucke über sein Kinn laufen lässt. Natürlich sind auch bei Stemann mimische Zeichen wichtig, jedoch verwendet er sie in nicht so extremen Maßen wie Brook. Stemann greift hier eher auf die üblichen Varianten zurück, wie zum Beispiel Naserümpfen, Augenrollen, oder die Zunge herausstrecken.

Auch im Hinblick auf die proxemischen Zeichen gibt es große Unterschiede: Während Brook seine Schauspieler vom einen zum anderen Bühnenrand gehen lässt, so lässt Stemann sie über die Bühne rennen, strampeln, stampfen, oder sogar tanzen. In Stemanns Inszenierung herrscht somit eine größere Bewegtheit, nämlich etwas Hektisches, was er sicherlich auch dazu verwendete, um die Verbindung zur heutigen Zeit herzustellen.

Im Hinblick auf die linguistischen Zeichen kann man sagen, dass Brook normalerweise keine Mikrofone zur Verstärkung der linguistischen Zeichen verwendet, dass das aber wahrscheinlich dieses Mal zum Zwecke einer Videoaufzeichnung der Fall war.

Stemann verwendet ganz offensichtlich Mikrofone, sowohl sichtbar, als auch unsichtbar. Die sichtbaren Mikrofone werden meist in der vorderen Bühnenmitte platziert, wo sie auch ganz offensichtliche ein „echtes“ Bühnenutensil darstellen sollen. Nämlich da, wo Ophelia das Lied „I´m a big big girl“ singt, nimmt sie den Mikrofonständer in ihre Hand und scheint für Hamlet eine kleine Showeinlage darbieten zu wollen. Auffällig ist auch, dass Stemann´s Schauspieler eine viel größere Tonskala gebrauchen als Brook´s. Die Schauspieler singen zu ersten, und zum zweiten wird die Stimmhöhen auch während des Sprechens gebraucht, wohingegen bei Brook´s Inszenierung die Schauspieler oft mit der gleichen Stimmhöhe ohne größere Unterschiede sprechen. Diese leichte „Monotonie“ wird bei Brook dafür eher mit der Lautstärke und mit den mimischen Zeichen wieder wettgemacht.

Maske, Frisur und Kostüm sind bei beiden Inszenierungen nicht besonders aufwendig. Sie verweisen beide auf das Prinzip „weniger ist mehr“. Bei Brook sind die Kostüme eher orientalisch angehaucht, was wohl vor allem mit seiner damaligen Afrikareise zu tun hatte, während Stemann´s Kostüme deutlich der heutigen Zeit entsprechen, sodass er Hamlet für die Gegenwart retten konnte, weil er einen Bezug zu ihr herstellte.

Die Maske ist bei beiden Regisseuren sehr dezent, die Haartracht ist bei Stemann modern und peppig frisiert, bei Brook dagegen sind die Haare in ihrem „Originalzustand“ gelassen, so zum Beispiel Hamlets Rastazöpfe.

Die Bühnendekoration ist in beiden Inszenierungen spärlich, wobei Brook auf sein bewährtes orientalisches Bühnenbild setzt: Ein rotes viereckiges Tuch, mehrere Kissen, im Hintergrund zwei Treppenstufen, und das ganze in den Farbtönen rot, orange, ocker. Stemann´s Bühnenbild hingegen ist viel kühler gestaltet: Die Farbe der Wände ist grau, doch „Licht ins Dunkle“ bringt eine Diskolichtmaschine, die in verschiednen Farben und in verschiedene Richtungen leuchtet.

Aber auch durch die vereinzelt stehenden Sessel, die Fernsehapparate, die Videokamera und die manchmal leicht Schief stehende Bühne tragen zur Modernität dieses Stückes bei.

Stemanns Bühnenbild, aber auch die Verwendung neuer Musikstücke (z.B. „I´m a big big girl“, das Ophelia singt) sind somit gänzlich in der heutigen Zeit angepasst.

Requisiten sind in beiden Fällen kaum vorhanden.

Letztlich zeigen sich noch Unterschiede in der Beleuchtung: Während es bei Brook keine aufwendigen Lichteffekte gibt und das Licht meist von der gleichen Stelle ausgestrahlt wird, wirkt Stemann mit der Lichtmaschine zwar kalt, aber weitgehend dynamischer. Das Licht, welches nicht von der Lichtmaschine produziert wird, kommt aus verschiedenen Lichtquellen, die über die gesamte Bühne verteilt sind.

Durch die unterschiedliche Anzahl der Schauspieler wird die Persönlichkeit bei Stemann auch etwas verschoben: im Gegensatz zu Brook gibt es keinen Geist, keine Schauspieler, und Rosenkranz und Güldenstern gibt es auch nicht. Durch den Wegfall der letzten beiden überträgt Stemann deren Eigenschaften auf Horatio, sodass Hamlet zu Horatio sagt, er könne nicht auf ihm spielen wie eine Flöte. Auch die Wortwahl der nicht originalgetreuen Stellen unterscheiden sich von Brook, denn seine Inszenierung ist beinahe vollkommen in Originaltext. Zusätzliche Stellen bei Stemann sind oft witzig, gleichzeitig aber auch bissig und mit einem satirischen Unterton.

Schließlich kann man erkennen, dass sowohl Brook als auch Stemann mit sehr wenigen Mitteln zurechtkommen, um ein wichtiges Werk Shakespeare´s auf die Bühne zu bringen. Dennoch ist es erstaunlich, wie sich doch beide Inszenierungen unterscheiden, nämlich dass Brook den Originaltext lässt und seine Inszenierung orientalisch beeinflusst ist, und dass Stemann einige neue Texte und Dialoge hinzufügt, die Bühnengestaltung modern macht, und somit auf die heutige Zeit überträgt.

6. Schlußbetrachtung

Wie schon in der Einleitung erwähnt, war es Ziel meiner Hausarbeit, die beiden Inszenierungen von Brook und Stemann miteinander zu vergleichen. Daher stellt sich die Frage, ob, im Zeitalter der Geldknappheit vor allem im kulturellen Bereich, man nicht öfter solche „Minimalinszenierungen“ aufführen könnte. Denn: Trotz aller nicht vorhandenen Effekte, trotz der Einfachheit der Bühnengestaltung und trotz der Einfachheit der Kostüme sind beide Inszenierungen durchaus gelungen und erfreuen sich schon seit langem größter Beliebtheit. Auch hat es sich gezeigt, dass man insbesondere ältere Theaterstücke anders interpretieren kann, und durch diese Anders- bzw. Neuartigkeit in neue Gefilden vorgestoßen werden kann, ohne dass das der Thematik des Stückes schadet, sei es auf Brooks „orientalischem Weg“ oder bei Stemann´s Inszenierung der Satire von heute.

Bibliografie

Videoaufzeichnung: „Hamlet” - Eine Aufführung in deutscher vom Schauspielhaus Hannover; Inszenierung: Nicolas Stemann

Videoaufzeichnung: „Hamlet“ - Eine Aufführung in englischer Sprache; Inszenierung: Peter Brook

Live: „Hamlet“ - Eine Aufführung in französischer Sprache der „Bouffe du Nord“ im E-Werk in Saarbrücken; Inszenierung: Peter Brook

Live: „Le Costume“ - Eine Aufführung in französischer Sprache der „Bouffe du Nord“ im Carreau in Forbach; Inszenierung: Peter Brook

www.jump-cut.de/hamlet.html <http://www.jump-cut.de/hamlet.html>

www.3sat.de/3satframe.php3?hrl=http://www.3sat.de/theater/programm/05673/ <http://www.3sat.de/3satframe.php3?hrl=http://www.3sat.de/theater/programm/05673/> (Stand: August 2002)

Fischer-Lichte, Erika: „Das System theatralischer Zeichen“ In: Einführung in das wissenschaftliche Arbeiten und die Textanalyse-Reader zur Übung. Zusammengestellt von Simone Greilich, Wintersemester 2001/02

Perrier, Jean-Louis: «Peter Brook et ses huit voltigeurs à la conquête d´ « Hamlet » » In : Le Monde. Samstag, 02. Dezember (2000) ; S. 28

[...]


1 www.jump-cut.de/hamlet.html (Stand: 18.08.02)

2 3 www.3sat.de/3satframe.php3?hrl=http://www.3sat.de/theater/programm/05673/ (Stand: 18.08.02)

Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
William Shakespeare´s "Hamlet" in den Inszenierungen von Peter Brook
Hochschule
Universität des Saarlandes
Veranstaltung
Proseminar " Theaterfestival Perspectives"
Note
1,7
Autor
Jahr
2002
Seiten
17
Katalognummer
V110124
ISBN (eBook)
9783640083015
ISBN (Buch)
9783656761525
Dateigröße
628 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Französische Kulturwissenschaft und interkulturelle Kommunikation
Arbeit zitieren
Sabrina Schirmer (Autor:in), 2002, William Shakespeare´s "Hamlet" in den Inszenierungen von Peter Brook , München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/110124

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