Parodie, Persiflage, Karrikatur - Formen des Uneigentlichen in Gustav Mahlers Symphonien.


Seminararbeit, 2001

19 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

Die Begriffe des Komischen innerhalb der Literaturwissenschaft

Die Begriffe des Komischen innerhalb der Musikwissenschaft

Formen des Uneigentlichen

Klassifikation des Uneigentlichen

Funktion des Uneigentlichen

Resümee

Literaturverzeichnis

Einleitung

Das Thema dieser Arbeit eröffnet eine Vielzahl möglicher Fragestellungen, die in keinesfalls gelöste, sondern eher noch gar nicht als solche erkannte Problemfelder führen. Der Untertitel "Formen des Uneigentlichen in Mahlers Sinfonien" verweist auf Phänomene der Uneigentlichkeit die der Musik immanent zu sein scheinen. Daß Musik aber Uneigentlichkeit enthalten könne, war und ist durchaus umstritten. Vielmehr wird vielfach angenommen, daß sich Uneigentlichkeit erst durch die uneigentliche Auffassung einer Passage durch den Rezipienten konstituiert.[1] Es ließe sich also der Frage nachgehen, ob sich Spielarten des Komischen nachweisen lassen, die nicht auf seiten des Rezipienten entstehen und von dessen Verfaßtheit abhängig sind.

Die Ausdifferenzierung "Parodie – Persiflage – Karrikatur" wirft nicht nur die generelle Frage auf ob sich musikalische Komik so genau differenzieren läßt wie dies beispielsweise im Bereich der Literaturwissenschaft der Fall ist, sondern auch welche Attribute dazu herangezogen werden dürfen: der reine Notentext – Kommentare des Komponisten – Publikumsreaktionen? Sichtet man nun das Wortfeld des Komischen und versucht die Begriffe voneinander abzugrenzen stößt man auf ein weiteres Problem. Die spezielle Semantik der Begrifflichkeiten ist im Gebrauch musik- wie sprachwissenschaftlicher Literatur nicht immer eindeutig und klar umrissen. Besonders die Musikwissenschaft scheut sich vor einer definitorischen Festlegung und beschränkt sich zumeist auf den Begriff des Humors, unter den alle Phänomene musikalischer Komik subsumiert werden. So finden sich in den einschlägigen Lexika auch lediglich die Stichworte Parodie (hauptsächlich im Sinne Kontrafaktur) und Humoreske. Damit ergibt sich zusätzlich zu den Problemen die Mahler mit seiner Musik aufwirft das wissenschaftsinterne Problem eines Mangels an differenzierter, definierter, passender und relevanter Fachsprache zum Phänomen des Komischen innerhalb der Musik.

Im Rahmen dieser Arbeit möchte ich aber weder in eine Diskussion um musikwissenschaftliche Termini einsteigen, noch die Frage nach der Möglichkeit differenzierter musikimmanenter Komik erörtern. Zu diesen Aspekten sei auf das umfassende und ertragreiche Buch von Michael Stille verwiesen.[2] Ein Rezipientenzentrierter Ansatz der Humortheorie, der auf seiten des persönlichen und individuellen Erfahrungshorizonts anknüpfen würde um am Beispiel der Uneigentlichkeit in Mahlers Sinfonien in das Feld der Wirkungsforschung und populären Bedeutungsproduktion nach Vorbild der cultural studies vorzudringen wäre zwar generell höchst reizvoll, würde sich aber zu weit vom gestellten Thema entfernen. Nichts desto trotz halte ich eine Analyse der Wirkung und Bedeutung von Musik für und populärer Aneignung und Funktionalisierung durch den Rezipienten entgegen der Werk- und Komponistenzenrtriertheit der Musikwissenschaft allgemein für geboten.

Es verbleibt eine vierte Möglichkeit sich dem gestellten Thema zu nähern. Mit Hilfe des literaturwissenschaftlichen Verständnisses der verschiedenen Ausprägungen des Komischen und des ihnen innewohnenden Zeugnisses der Geisteshaltung des Schaffenden ist es möglich ein Spannungsfeld sozialer Funktion und intellektueller Weltsicht aufzuziehen, das sowohl mit der Semantik, als auch mit der Intention korreliert. Damit würde sich sich die Frage nach der Verortung Mahlerscher Uneigentlichkeit innerhalb dieses Spannungsfeldes stellen. Ließe sich Mahler in diesem Sinne positionieren, wäre die Ableitung der zutreffenden Kategorisierung des Komischen ohne Rückgriff auf "trügerische" Publikumsreaktionen oder "persönliche" Analysen des Notentextes als von Mahler intendierte Kategorie möglich.

Aus diesem Grunde habe ich mich dazu entschlossen einen Überblick über die Begrifflichkeiten aus dem Verständnis der Literaturwissenschaft heraus voranzustellen, der ohne auf die jeweilige Geschichte und Diskussion des Begriffs einzugehen den Schwerpunkt auf dessen Funktionalisierung und Verortung legt. In wieweit die Begriffe auch im musikalischen Sinne anwendbar, sinnvoll, fruchtbar oder sogar für das Verständnis notwendig sein können bleibt abzuwarten.

Die Begriffe des Komischen innerhalb der Literaturwissenschaft

Um eine erste Orientierung über die Ordnung und Beziehung der wichtigsten Begriffe aus dem Bereich des Komischen zu ermöglichen habe ich im Anhang eine Skizze angefügt. Dabei zeichnet sich die Polarisierung zwischen Humor und Groteske als Vertreter einer humanistisch-lebensbejahenden resp. dämonisch-fatalistischen Weltsicht ab. Zwischen diesen Polen finden sich die Entwicklungslinien eines steigenden hegemonialen Kunstanspruchs /-verständnisses auf horizontaler und einer Trivialisierung auf vertikaler Ebene. Unterschieden werden kann zudem zwischen Idee, Gattung und Mittel (z.B. "das Komische" – "Satire" – "Ironie"), wobei Gattung oder Mittel hier nicht im Sinne einer ausschließlichen Verwendungen zu verstehen sind. Vielmehr kann z.B. die Parodie nicht nur als kreatives Mittel verstanden werden, sondern auch in Werken mit dominierender Verwendung zum Gattungstitel emporsteigen. Bei Persiflage und Karrikatur ist diese Verwendung zwar nicht auszuschließen, jedoch wenig gebräuchlich. Das semantische Spannungsfeld der Begrifflichkeiten, das uns im weiteren quasi als Koordinatensystem künstlerischer Attitüde dienen soll, entfaltet sich zwischen Aspekten wie Harmlosigkeit und Aggressivität, Unterhaltung und Kritik, konservativer und revolutionärer Einstellung.

Zum Begriff des Komischen (gr. komos – Festzug, Gelage) gibt es eine Vielzahl unterschiedlicher Erklärungsansätze aus Philosophie (Ästhetik), Komödientheorie und Psychologie. Gemeinsam ist ihnen, daß die Idee des Komischen ganz ähnlich dem Tragischen im Grundsatz auf dem Konflikt widersprüchlicher und ungleichwertiger Prinzipien (das Erhabene/ das Niedrige) beruht. Komik wird durch den provokanten Ausbruch aus dem hierarischen (Gesellschafts-) System und seinen Gesetzen erzeugt, der als Exzeß selbst und als Spiel mit der gebrochenen Erwartungshaltung ein menschliches Bedürfnis befriedigt. Gesellschaftliche und private Frustration findet in der Komik ein Ventil, daß (imaginäre) Freiräume eröffnet und den auf dem Menschen lastenden Druck erträglich macht. Freud weist in seinem Buch über den Witz gerade auf dessen Funktion als "Auflehnung gegen den Denk- und Realitätszwang"[3] hin und betont die Funktion des Komischen als Lustgewinn und "psychische Erleichterung".[4] Besagter Konflikt wird nun durch die mögliche Wiedereingliederung in das System beigelget, ohne daß dem auslösenden, provokanten Prinzip ernsthafter Schaden zukommen darf. Ansonsten würde statt Komik Mitleid, Trauer und Zorn ausgelöst, das Komische ins Tragische umschlagen. Die Möglichkeit der Provokation und des zeitweisen Ausscherens aus dem System suggerieren Liberalität und mögliche Kritik, die Gesamtfunktion (besonders am Pol des Humors) ist aber konservativ und systemstabilisierend.[5]

Humor (lat. Feuchtigkeit) läßt sich analog zum Komischen am Besten als Idee begreifen, deren Wirkung sich erst in den Mitteln und Gattungen des Komischen entfaltet. Ich habe den Humor als Extremposition funktionalisierter und "hegemonialer" Komik angesetzt, weil nicht nur der Humor aus dem Überbegriff der Komik verständlich wird, sondern auch alle weiteren Begrifflichkeiten als unterschiedliche Abtönungen der Grundidee und -funktion Humor gesehen werden können. Selbst die Groteske, die dem Humor als Pol gegenübersteht kann als Ableger des Humors, als pervertierter Humor gesehen werden.

Die bereits angeführte gesellschaftsstabilisierende Funktion des Komischen trifft in gesteigertem Maße auf den Humor zu. So evoziert die positive Wertung der Diskrepanz zwischen Eigentlichem und Uneigentlichen die humoristische Werthaltung, geprägt durch: "Lächeln, Heiterkeit, Versöhnlichkeit, gelassene Betrachtung menschlicher Schwächen und irdischer Unzulänglichkeiten, Kraft zur Erduldung von Leid und sogar Grauen."[6] "Das erschütterte Gemüt sucht einen Ausgleich für alle Leiden und alles Grauen [...] und findet ihn nur in einer Weltbetrachtung, die tapferen Herzens den Glauben an den Wert des Lebens und den Adel der Menschheit nicht verliert."[7] Humoristisches Lachen setzt aber voraus, "daß die, welche lachen, beständig sicher und wohlgeborgen auf der Seite der Vernunft und der Macht stehn."[8]

[...]


[1] Vgl.: Mirijam Schadendorf: Humor als Formkonzept in der Musik Gustav Mahlers, Stuttgart 1995, S.115.

[2] Michael Stille: Möglichkeiten des Komischen in der Musik, Europäische Hochschulschriften, Reihe 63, Band 52, Bern 1990.

[3] Sigmund Freud: Der Witz und seine Beziehung zum Unbewussten, 2. Auflage, Leipzig 1912, S.108.

[4] ebd. S.109.

[5] Vgl: das Komische, in: Metzler Literaturlexikon: Begriffe und Definitionen, hrsg.von Günther und Irmgard Schweikle, 2., überarbeitete Auflage, Stuttgart 1990.

[6] Humor, in: Metzler Literaturlexikon, S.212.

[7] Harald Höffding: Humor als Lebensgefühl. Eine psychologische Studie, Leipzig 1918, S.3.

[8] ebd. S.54.

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Parodie, Persiflage, Karrikatur - Formen des Uneigentlichen in Gustav Mahlers Symphonien.
Hochschule
Ruhr-Universität Bochum
Veranstaltung
Gustav Mahlers Symphonien
Note
2,0
Autor
Jahr
2001
Seiten
19
Katalognummer
V110177
ISBN (eBook)
9783640083534
ISBN (Buch)
9783656217008
Dateigröße
631 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Parodie, Persiflage, Karrikatur, Formen, Symphonien, Musikalischer Humor, Gustav Mahler, Humor, Uneigentlich
Arbeit zitieren
Claas Hanson (Autor:in), 2001, Parodie, Persiflage, Karrikatur - Formen des Uneigentlichen in Gustav Mahlers Symphonien., München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/110177

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