Die Anfänge der Waldorfpädagogik


Hausarbeit, 2006

21 Seiten, Note: 1,5


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis:

Einleitung

1. Die Person Rudolf Steiner
1.1. Die Geschichte eines Namens

2. Reformstreben als Ausgangssituation der Begründung von Waldorfpädagogik
2.1. Der Begriff „frei“

3. Rudolf Steiner und die Anthroposophie
3.1. Kritik an Rudolf Steiner

4. Vergleich von pädagogischer Grundlage bei Pestalozzi und Steiner
4.1. Unterrichtsstruktur und einzelne Fächer an der Freien Waldorfschule

5. Resümee

Schlusswort

Literaturverzeichnis

Einleitung

Ich möchte mich in meiner Hausarbeit zum Seminar „Theorien der Sozialen Arbeit“ mit der Waldorfpädagogik auseinandersetzen. Da die Waldorfpädagogik ein sehr großes Gebiet ist, das viele Bereiche, nicht nur in Bildung und Erziehung, sondern auch in der Medizin, der Agrarwirtschaft, in der Religion und der Kunst umfasst, will ich mein Hauptaugenmerk auf die Entstehung des Gedankens der Waldorfpädagogik richten.

Ich möchte deswegen mehr als hundert Jahre vor Gründung der ersten Freien Waldorfschule beginnen, weil es mir ermöglicht, die inneren Gegebenheiten, die zur Gründung einer anthroposophischen Pädagogik führen konnten, nachzuzeichnen.

Dabei will ich bei Johann Heinrich Pestalozzi den Faden aufnehmen und mit Wilhelm von Humboldt und Ignaz Paul Vital Troxler, als Theoretiker und Bildungsreformer, zu dem Begriff „frei“ hinführen, der auch bei Rudolf Steiners in verschiedener Weise eine Rolle spielt.

Im Folgenden will ich versuchen Rudolf Steiners Begriff von Anthroposophie darzustellen und auf die vier „kosmischen Wirkkräfte“ eingehen.

Im Weiteren werde ich mich mit Kritik auseinandersetzen, die sich auf die Lehre der Anthroposophie und Lehrmethoden an Waldorfschulen beziehen soll und auf kritische Aspekte die Person Rudolf Steiner betreffend, nicht nur in seiner Eigenschaft als Generalsekretär der theosophischen Gesellschaft, eingehen.

Obwohl Johann Heinrich Pestalozzi und Rudolf Steiner in keinem direkten Zusammenhang zueinander stehen, will ich anhand der pädagogischen Grundsätze die Pestalozzi prägte, den Bezug zur Praxis Steiners aufzeigen. Anschließend möchte ich die Struktur der Waldorfschule und deren einzelne Fächer kurz vorstellen.

In einem kurzen Resümee möchte ich die Waldorfpädagogik der Anthroposophie als Geisteswissenschaft gegenüberstellen, sie gewissermaßen als nur bedingt abhängig voneinander betrachten.

Im Schlusswort will ich mich mit Fragen beschäftigen, die auf Eltern im Zuge der Umgestaltung des Bildungswesens einstürmen und möglichen Argumenten sich für oder gegen eine Waldorfschule zu entscheiden. Abschließend will ich noch in Kürze auf den Umstand eingehen, dass an Waldorfschulen offenbar keine Schulsozialarbeit angesiedelt ist.

Beginnen will ich mit der Person Rudolf Steiner, der Geschichte des Namens „Waldorf“ und den äußeren Gegebenheiten, die die Gründung der ersten Waldorfschule möglich machten.

1. Die Person Rudolf Steiner

Rudolf Steiner wurde am 25.02.1861 in Kraljevic (Grenzlinie zwischen Mittel- und Osteuropa, heute Kroatien) als erstes von drei Kindern geboren, gibt aber später seinen Tauftag, den 27.02. als offizielles Geburtsdatum an (Drewes/Jakob, S. 216). Als Steiner zwei Jahre war trat der Vater (zuvor Jäger) in den Dienst bei der Bahnstation an der Semmeringbahn. Im achten Lebensjahr siedelte die Familie nach Neudörfel, Nähe Wien über. Mit neun Jahren bekam er sein erstes Geometriebuch in die Hand und war seit dem von der Mathematik fasziniert. Er bestand das Abitur mit Auszeichnung und begann als Stipendiat an der Technischen Hochschule in Wien zu studieren. Er belegte hauptsächlich naturwissenschaftliche Fächer. Mit der Zeit wendete er sich aber verstärkt den Philosophen des deutschen Idealismus zu.

Er unterrichtete als Hauslehrer in der Familie Specht einen zehnjährigen Jungen, der an Wasserkopf litt und als kaum bildungsfähig galt.

Entscheidend für den weiteren Lebensweg Steiners war die Begegnung mit Karl-Julius Schroer, welcher Vorlesungen über die deutsche Literatur hielt und als erster Goethes „Faust“ heraus gab. Schroer empfahl Steiner an Josef Kirschner weiter, der den 21jährigen Steiner beauftragte, Goethes naturwissenschaftliche Schriften heraus zu geben. Dabei erkannte Steiner Goethes eigentliche Leistung: den ganzheitlichen Forschungsansatz.

Dieser Methode folgt auch der anthroposophische Forschungsansatz, welcher den forschenden Menschen selbst reflektiert. Der Anteil des Menschen am Erkenntnisprozess soll damit deutlich werden und die Erkenntnisfähigkeit soll durch bewusste Wahrnehmbarkeit erhöht werden (vgl. Hellmich/Teigeler).

1889 erfolgte die Berufung Steiners nach Weimar. Dort gab er, als freier Mitarbeiter am Goethe- und Schiller-Archiv, die naturwissenschaftlichen Schriften Goethes in der „Sophienausgabe“ heraus.

1891 erfolgte die Promotion zum Doktor der Philosophie in Rostock.

1894 gab er sein grundlegendes Werk „Philosophie der Freiheit“ mit dem Untertitel „Seelische Beobachtungsresultate nach naturwissenschaftlicher Methode“ heraus, ohne in der philosophischen Fachwelt Resonanz zu finden; die wenigen zeitgenössischen Beurteilungen waren vernichtend.

1897, im Alter von 36 Jahren, zog der arbeitslos gewordene Steiner nach Berlin und wendete sich der Berliner Welt mit ihren geistigen Strömungen, Spannungen und Persönlichkeiten zu. Er verkehrte weniger mit der angesehenen Professorenschaft, sonder vornehmlich mit Berliner Künstlern. Zusammen mit Otto-Erich Hartleben gab er das „Magazin für Litteratur“ (sic!) heraus (vgl. Tenorth, Bd. 2, S. 62). Er wohnte zunächst als Untermieter bei Anna Eunike, einer wohlhabenden Kapitänswitwe mit fünf Kindern, welche ihn gut versorgte. Später wurde die Freundschaft zu Eunike in eine „bürgerliche Ehe“ (Steiner) umgewandelt (vgl. Drewes/Jacob, S. 218).

Im Herbst 1900 lernte er im „Theosophischen Kreis“ um Gräfin und Graf Brockdorff die baltendeutsche Schauspielerin und spätere Ehefrau Marie von Sivers kennen. „Hier fand Steiner ein begeistertes Publikum für seine Spekulationen und hellseherischen Fähigkeiten. Marie von Sivers war es dann auch, die Steiner darin bestärkte, eine neue, geisteswissenschaftliche Bewegung ins Leben zu rufen, die an den abendländischen Okkultismus anknüpfte“ (vgl. Kayser/Wagemann; in: Grandt, S. 14).

Gemeinsam gründeten sie 1902 die „Deutsche Sektion der Theosophischen Gesellschaft“, die Marie von Sivers leitete und bei der Steiner Generalsekretär wurde.

Am 08.10.1902 hielt er im Giordano-Bruno-Bund einen Vortrag mit dem Titel „Monismus und Theosophie“, mit dem er eine Welle der Ablehnung auslöste, als er einen Monismus forderte, der materielle und geistige Welt gleichermaßen anerkennt.

Steiner ging auf Vortragsreisen und schrieb seine grundlegenden Bücher „Theosophie“ 1904 und „Geheimwissenschaft im Umriss“ 1910.

Im Jahre 1906 kam es zur ersten Berührung mit dem wohl berühmtesten Okkultorden der Neuzeit, dem „Ordo Templi Orientis“ (O.T.O.).

1912/13 trennte er sich von der Theosophischen Gesellschaft, da ihn die stark spiritistisch-medialen Tendenzen störten und die Bindung an ostasiatische Traditionen zu eng war (vgl. Grandt, S. 15)

1913 gründete er die Anthroposophische Gesellschaft. (Neubegründung 1923 unter dem Namen „Allgemeine Anthroposophische Gesellschaft“).

1914 heiratete Steiner Marie von Sivers (Anna Eunike, war 1911 gestorben).

In seinem Buch „Von Seelenrätseln“ arbeitete er die Grundlage seiner pädagogischen Menschenkunde weiter aus und 1919 wird die erste Freie Waldorfschule in Stuttgart gegründet, die Steiner bis zu seinem Tod leitet.

Die letzten Jahre waren von großer Arbeitsintensität geprägt. Er ging weiterhin unermüdlich auf Vortragsreisen durch Europa und leitete die Allgemeine Anthroposophische Gesellschaft. Nebenher war er als Künstler, Autor, Wissenschaftler und Architekt tätig und ließ das Goetheanum in Dornach errichten, wo auch seine Mysteriendramen inszeniert wurden.

Am 30. März 1925 erlag Rudolf Steiner einem Krebsleiden, noch bevor er seine begonnene Autobiographie fertig stellen konnte.

Sein Ideenwerk ist in Schriften und Vorträgen enthalten, das über 350 Bände umfasst. Das lebensreformerische Programm der Anthroposophie entfaltet sich ebenfalls in zahlreichen Vortragsmitschriften, welche von einer wachsenden, spirituell orientierten Anhängerschaft in einer oft fremdartig esoterisch anmutenden, eher bildhaften als begrifflichen Terminologie verfasst wurden (vgl. Tenorth, Bd. 2, S. 61).

Die anthroposophische Bewegung war von Anfang an international orientiert und ihre Einrichtungen sind weltweit vertreten. Es gibt anthroposophische Krankenhäuser und Heime, Camphill-Dörfer, Kirchen der Christengemeinschaft, Demeter – Landwirtschaft, Kindergärten und Schulen. Allein in Deutschland gibt es rund 150 der weltweit 500 Waldorfschulen angesiedelt.

1.1. Die Geschichte eines Namens

Der Name „Waldorf“ hat eine Geschichte von mehr als 200 Jahren. Er ist heute weltweit bekannt, wozu die Waldorfschulen in großem Maße beigetragen haben. Doch was umfasst dieser Begriff? Auf dem historischen Hintergrund will ich in Kürze die Herkunft und Bedeutung umreißen.

Am 17.07.1763 wurde Johann Jakob Astor in Walldorf bei Heidelberg geboren. Der Sohn eines Metzgermeisters folgte schon im Alter von 15 Jahren seinem älteren Bruder nach London, um die Kunst des Instrumentbaus zu lernen, doch schon nach fünf Jahren suchte er nach neuen Herausforderungen in der Neuen Welt. Nachdem er festgestellt hatte, dass den in New York ankommenden Einwanderern nicht der Sinn nach Musikinstrumenten stand, wandte er sich dem Handel mit Fellen und Pelzen zu. Bald beherrschte er diesen Markt, schuf sich eine Monopolstellung und kam durch zusätzliche Bodenspekulationen zum größten Privatvermögen seiner Zeit. Sein unternehmerischer Geist zeigte sich aber nicht nur in ökonomischer Hinsicht: Johann Jakob Astor stiftete eine Bibliothek, eine Astor–Stiftung, welche für Jugend- und Altenhilfe in seinem Heimatort tätig ist und ließ das legendäre Waldorf–Astoria-Hotel 1889 in New York entstehen.

Bei einer derartigen Vielseitigkeit blieb es nicht aus, dass die Astors auch mit Tabak zu tun bekamen, der auch in Europa inzwischen zum Alltag gehörte.

Auf diesem Hintergrund entstand also in der Alten Welt, genauer gesagt in Stuttgart, die Waldorf–Astoria–Zigarettenfabrik, deren Direktor und Mitinhaber Emil Molt 1919 mit Rudolf Steiner zusammen die erste Waldorfschule (für Kinder der Arbeiter in der Zigarettenfabrik) begründete. Sie trug den Namen Waldorfschule. Nicht Rudolf-Steiner-Schule, auch nicht Emil–Molt–Schule oder Astoriaschule, was die Konsequenz gehabt hätte, dass wir heute von Astoriapädagogik sprechen würden.

Die Gründung der ersten Waldorfschule war ein schöpferischer Akt, bei dem sich die geistigen Vorstellungen Rudolf Steiners mit den wirtschaftlichen Gegebenheiten, repräsentiert durch Emil Molt, verbinden konnten. Damit ist Rudolf Steiner der Begründer der Waldorfpädagogik und Emil Molt der Gründer der Waldorfschule. Rudolf Steiners umfassende Vision einer gesellschaftlichen Neuordnung, die dem Kulturleben, zu dem der schulische Bereich ja gehört, die notwendige Freiheit einräumt, fand eine erste Verwirklichung (vgl. Hofrichter; in: Waldorf : die Geschichte eines Namens).

2. Reformstreben als Ausgangssituation der Begründung von Waldorfpädagogik

Eine kleine Exkursion, angefangen beim ganzheitlichen Ansatz Johann Heinrich Pestalozzis, über den Neuen Humanismus bei Wilhelm von Humboldt, bis hin zur Erweiterung der Anthropologie durch eine Anthroposophie bei Ignaz Paul Vital Troxler, ermöglicht mir das Reformbestreben der Erziehungstatsache an sich in dieser Zeit zu skizzieren.

Johann Heinrich Pestalozzi (1746 – 1827)

Das anthropologisch/pädagogische Denken Pestalozzis wurde von ihm unter anderem in anschaulichen Kreisen dargestellt. Seiner Bildungsidee liegt der Gedanke zugrunde, dass der Mensch für ein Leben in seinen Lebenskreisen gebildet werden muss und sich erzieherische Bemühungen an der Individuallage des Kindes auszurichten hat.

Mit der „Wohnstube“, im Sinne von Häuslichkeit und Liebe (und als Symbol ein Heiligtum bei Pestalozzi), will ich mit einer kurzen Zusammenfassung der vier verschiedenen Lebenskreise beginnen:

- Der erste äußere Kreis, Wohnstube und Familie, ist der Ort der natürlichsten Bildung des Menschen. Mit Festigung des Urvertrauens als Voraussetzung wirkungsvoller, frühkindlicher Erziehung, ist die „Wohnstube“ die primäre Erziehungsanstalt im Leben eines Menschen.
- Im zweiten äußere Kreis, Beruf und Individualbestimmung, nimmt der Einzelne Anteil an einem größeren Zusammenhang. Der Mensch soll durch Eltern, Lehrer oder Gesellschaft nicht gezwungen werden etwas zu tun, wofür er sich nicht berufen fühlt.
- Der dritte äußere Kreis, Staat und Nation, ist das Vater-Sohn-Verhältnis auf den Staat erweitert. Bekennend zur patriarchalischen Familie, ist das Verhältnis Vater-Kind entsprechend dem Verhältnis Fürst-Untertan und Garant für das Funktionieren eines Staates.
- Im ersten inneren Kreis , innerer Sinn, ist „innere Ruhe“ der Weg zu der inneren Wahrheit, aus der man richtig handelt. Zu dieser „inneren Ruhe“ gelangt der Mensch durch Befriedigung der natürlichen Bedürfnisse, Triebe und Anlagen, wobei Pestalozzi ausdrücklich auf die Unterscheidung von natürlich und künstlich geweckten Bedürfnissen hinweist.

Die Lebenskreisphilosophie war Pestalozzis Rahmenkonzeption, an die später weitere Überlegungen gehängt wurden (vgl. Reinert, S. 45ff).

Pestalozzi hat die „Wohnstubenluft“, als durch Liebe, Wärme und Wohlwollen gekennzeichnete Atmosphäre zu einer guten, menschengemäßen Erziehung und Bildung manifestiert. Treu seinem Grundsatz sollen Kopf, Herz und Hand gleichermaßen in die Pädagogik mit einbezogen werden und so waren auch seine weiteren Leitgedanken (aus dem Seminar):

1. versichere dich des Herzens deines Kindes
2. das Leben selbst ist das Fundament des Unterrichts
3. die Menschensprache muss der Büchersprache vorausgehen
4. die Lernmittel sollen einfach sein
5. Erziehung muss ohne Härte und Demütigung erfolgen
6. Unterrichtsmethode soll spielerisch und kindgerecht sein
7. Je mehr Sinne eine Aufgabe erfordert, desto vertiefter wird die Erkenntnis.

Johann Heinrich Pestalozzi hat mit einer heiligen Inbrunst immer wieder auf die Tatsache hingewiesen, dass der Mensch nur durch menschengemäße Bildung und Erziehung das Ziel seiner Bestimmung erreichen kann (vgl. Brotbeck, S. 137).

Wilhelm von Humboldt (1767 – 1835)

Aus Wilhelm von Humboldts Auffassung der Humanität entspringt seine Überzeugung von der wirkenden Individualität, hin zur Universalität. Gemeint ist die Einmaligkeit des Menschen, die sich nach seinen eigenen, immanenten Gesetzen von innen heraus entwickelt und seinem Streben nach äußerer, „alles umfassender“ Bildung. Ein weiterer, Humboldtscher Begriff ist in diesem Zusammenhang die Totalität. Diese sei dann vorhanden, wenn die „höchste und proportionierlichste Bildung seiner Kräfte zu einem Ganzen“ erreicht sei (Brotbeck, S. 95).

Obgleich Humboldts Reformpläne maßgebend bei der Einführung des staatlichen Schulmonopols waren, war es ihm wichtig, den Staat nicht als „Erziehungsinstitut“ sondern als „Rechtsinstitut“ zu belassen. Sein Schulgedanke war nach neuhumanistischem Denken „allgemeine Menschenbildung“, die nicht standesgebunden sein sollte und durch die Idee der Elementarbildung bei Pestalozzi mitbegründet war.

Er teilte mit Pestalozzi die Bedenken, dass in einer Staats–Schule der Mensch dem Bürger geopfert werden könne. Dass der Staat den Menschen als für sich nützlichen Bürger heranziehen und dass diejenigen, die die Macht zu erziehen haben, sich auch das Recht nehmen könnten zu bestimmen, wie und wofür sie die ihnen anvertrauten Kinder erziehen und bilden wollen. Mit der Betonung, dass der Staat sich am Menschen zu prüfen habe und nicht umgekehrt, weil der „Staat letztlich nur um des Menschen willen da ist, als Mittel zu einem menschlichen Zusammenleben und nicht als Ziel dieses Zusammenlebens“, plädierte Humboldt für eine Schule ohne die Gebundenheit durch staatliche Trägerschaft, die sich frei und unabhängig um geistige, politische und wirtschaftliche Verhältnisse herum ständig weiter entwickeln kann (vgl. Brotbeck, S. 257-266). Er begrenzte damit die staatliche Ordnung auf die Sorge für die innere und äußere Sicherheit und forderte, dass die Gestaltung des Erziehungs- und Bildungswesens zum Zweck des Menschen organisiert werden müsse. Es solle die „freieste, so wenig als möglich schon auf die bürgerlichen Verhältnisse gerichtete Bildung des Menschen überall vorangehen“ (Tenorth; Bd. 1, S. 146).

Ignaz Paul Vital Troxler (1780 – 1866)

Ein überzeugter Befürworter der freien Schule war auch Ignaz P. V. Troxler, Schweizer Arzt und Philosoph, der befand, dass der herkömmlichen Anthropologie, die nur den Leib und die Lebensprozesse berücksichtige, durch eine Anthroposophie erweitert werden müsse (Brotbeck, S. 157). Einige Jahre Präsident eines Erziehungsinstitutes (1819, auf Anregung von Heinrich Zschokke durch die aargauische „Gesellschaft für Vaterländische Kultur“ ins Leben gerufen), vertrat er den Gesichtspunkt, dass im Erziehungs- und Bildungswesen die freie Initiative eines einzelnen viel mehr wiegt und wirkt, als ein von der Regierung verordneter Auftrag und forderte von daher, dass Unterricht „öffentlich und frei“ zu sein habe (vgl. Englert-Faye, S. 38)

Dass der Mensch nicht von sich aus, nicht von Natur aus, Mensch werden kann, sondern dass er der Erziehung und Bildung bedarf, haben sowohl Pestalozzi (der Mensch hat Freiheit, wenn er sich das was er soll, zum Gesetz dessen macht, was er will), als auch Troxler (den Menschen zu sich selber führen bedeutet, ihn frei seiner Naturbestimmung und Begabung zu erkennen und zu fördern) festgestellt.

In etwa diese Zeit spielt auch die Aussage von Johann Gottfried Herder (1744–1803) der, Charles Darwin widerlegend, darauf bestand: „Kein einzelner von uns ist durch sich selbst Mensch geworden. Das ganze Gebilde in ihm hängt durch eine geistige Genesis, die Erziehung, mit seinen Eltern, Lehrern, Freunden, mit allen Umständen im Lauf des Lebens…zusammen“ (Vgl. Brotbeck, S. 132).

2.1. Der Begriff „frei“

Der oftmals vorangegangene Begriff Freiheit oder „frei“ ist bei Rudolf Steiner zwar auch auf staatliche Unabhängigkeit als „freie“ Schule mit privater Trägerschaft bezogen, jedoch nicht nur.

Im Zeitraum zwischen 1906 und 1909 entwickelt Steiner seine Grundgedanken über Erziehung in einer reihe von Vorträgen vor seiner theosophischen Zuhörerschaft. „Aus dem Wesen des werdenden Menschen heraus werden sich wie von selbst die Gesichtspunkte für die Erziehung ergeben“. (Tenorth, Bd. 2, S.66)

Steiner entwirft den Plan der Erziehung gänzlich aus seiner kosmisch-spiritualistischen Anthropologie, aus der Betrachtung der „verborgenen Natur“ des Menschen. Die Entwicklung des Kindes und des Jugendlichen ist demnach als ein Prozess von Wachstum und Metamorphosen zu begreifen, in welchem sich stufenweise nacheinander die mineralischen, vegetativen, animalisch-seelischen und geistigen „Wesenskräfte“ entfalten. Darauf begründet sich auch später der medizinische Gesichtspunkt der Weiterentwicklung nach durchlebten Kinderkrankheiten. Eine Krankheit bekommen, sich mit ihr auseinandersetzen müssen und sie überwinden als drei Schritte, die auch bei jedem Lernvorgang zu finden sind, nämlich: eine Aufgabe bekommen, mit dem zu Lernenden ringen und tatsächlich das Lernziel erreichen, im Sinne von neue Fähigkeiten erwerben (Glöckler/Goebel, S. 19).

Der innere Prozess von Wachstum lässt sich nach Steiner am äußeren Gestaltwandel des Kindes und Jugendlichen, der sich im kosmischen Rhythmus von je sieben Jahren vollzieht, ablesen. Am Ende des ersten Jahrsiebts ist der Aufbau des „physischen“ kindlichen Leibes durch die Wirkung der „ätherischen“ Wachstumskräfte von den Zehenspitzen bis zu den bleibenden Zähnen abgeschlossen. Es werden nun die körperlichen Wachstumskräfte „frei“, d. h. sie metamorphosieren sich nun zu Kräften des Lernens. Das Kind entfaltet seine inneren Kräfte und ist jetzt Schulreif.

Im zweiten Jahrsiebt gestalten die noch verborgenen „astralischen“ Seelenkräfte die Welt der Triebe, Leidenschaften und Gefühle aus. Mit der Geschlechtsreife werden diese astralischen Kräfte „frei“ und verwandeln sich in die Fähigkeiten des begrifflichen Denkens und der menschlichen Urteilskraft. Sie dienen den noch im Verborgenen wirkenden „Ich-Kräften“ zur Erlangung der intellektuellen und moralischen Mündigkeit, die nach deren „Geburt“ am Ende des dritten Jahrsiebts erreicht wird (vgl. Tenorth, Bd. 2, S. 66-67).

„Frei“ sei der Mensch, nach Rudolf Steiner, wenn er sein Denken nicht an Dinge der Außenwelt hingibt, sondern dieses auf das Denken selber richtet. Das Wort „Freiheit“ als beständiger Teil vieler seiner Werke, zielt auch auf „freies Handeln“. Vom Denken des Denkens und von dort aus zum Denken des Denkenden, lasse den Mensch sein Ich in einem völlig leibfreien Zustand erfahren. Das Erlebnis der Tatsache, dass es etwas gibt, das leibfrei, unmateriell und doch wirklich und real ist, sei das überwältigende Erlebnis, dass der Mensch aus dem Ich-geführten Denken heraus frei handeln könne (vgl. Brotbeck, S. 171)

Die Freie Waldorfschule letztendlich, ist nach den Grundsätzen der Dreigliederung des sozialen Organismus aufgebaut, die da lauten: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit.

Freiheit der Kultur, Gleichheit in der politischen Gemeinschaft und Brüderlichkeit im wirtschaftlichen Leben. Die Waldorfschule, die Steiner in Stuttgart gründete, war eine „freie, selbstverwaltete, einheitliche Volks- und Höhere Schule für die Kinder der Arbeiterschaft der Waldorf-Astoria-Zigarettenfabrik“.

3. Rudolf Steiner und die Anthroposophie

Anthroposophie ist für den theosophischen Steiner Erkenntnisweg, Weltanschauung und Lebensreform zugleich (griech. „anthropos“ ist der Mensch, „sophia“ die Weisheit). Als Erkenntnisweg soll Anthroposophie „das Geistige im Menschenwesen zum Geistigen im Weltall führen“, indem sie die normalwissenschaftliche Erforschung der physischen Welt um diejenige einer zunächst unsichtbaren, übersinnlichen geistigen Welt erweitert.

Insofern ist das neuhumanistische Bildungsideal nach Steiner „fremd dem Leben“, da dessen Lehrprogramm die Wichtigkeit praktisch-künstlerischer Bildungsinhalte nicht anerkennt.

Der naturwissenschaftlich versierte Rudolf Steiner als überzeugter Verfechter der Realität außerhalb experimentell berechenbaren Naturwissenschaften: Wenn der Intellekt Mühe habe für die höheren Wesensglieder die entsprechenden Begriffe und Vorstellungen zu finden, so liege das daran, dass sich unser Verstand vorwiegend an physikalischen und chemischen Prozessen, an mathematischen Beziehungen und am Leitbild der materiellen toten Gegenstände geschult habe und darum gewohnt sei, alles Geistige von Körpern aus zu denken (vgl. Brotbeck, S. 164).

Inspiriert durch Goethes Auffassung, dass in den Urphänomenen der Farben-, der Pflanzen- und der Tierwelt die Manifestationen von Ideen, welche der Mensch in seinem Bildungsprozess verstehend zur Sprache bringen soll, stecken, hat der Mensch alle Naturreiche in sich, doch er überragt sie durch seinen Geist.

Als „Krone der Schöpfung“ vereinigt die menschliche Wesenheit die vier Seinstufen bzw. „kosmischen Wirkkräfte“ in sich:

- den sichtbaren „physischen Leib“, in dem die mechanischen Gesetze des Mineralreichs gelten
- den verborgenen „ätherischen“ bzw. Lebens-Leib, in dem die Wachstums- und Fortpflanzungskräfte wie im planzlich-vetegativen Bereich wirken
- den okkulten „astralischen“ bzw. Empfindungs-Leib, den Träger der animalischen Seelenkräfte der Triebe, Begierden, Leidenschaften
- und das sich reinkarnierende Ich bzw. den Ich-Leib, welcher die anderen Glieder dominiert, gestaltet und vergeistigt.

Diese vier Wesenheiten sind für Steiner der wichtigste Schlüssel für das Verständnis von Mensch und Welt (vgl. Tenorth, Bd. 2, S. 64ff). An verschiedenen Stellen wurden sie auch als die „vier Geburten“ des Menschen beschrieben, wobei der Mensch jeweils frei von, bzw. frei für etwas wird.

Ihnen entsprechen u. a. die vier Elemente, die vier Jahreszeiten und die vier Temperamente, die später noch einmal Erwähnung finden werden.

Die Anthroposophie wurde vom einstigen Leiter der „Pädagogischen Forschungsstelle beim Bund der Freien Waldorfschulen“ Wolfgang Schad, als von ihrem Selbstverständnis her exakte Wissenschaft beschrieben, bei der sich lediglich die Forschungsgegenstände von denen der Naturwissenschaft unterscheiden (vgl. Grandt, S. 20).

Richard Schneider sagte in einem Beitrag des „Esoterik-Almanach 86/87“, dass die Anthroposophie nicht als Lehre, sondern als ein Erkenntnisweg zu verstehen sei, auf dem der einzelne Mensch die Geistesforschung mit seinem Erkenntnisvermögen durchdringen könne (ebd.).

Der Schlüssel zu Rudolf Steiners Weltanschauung und somit seiner Auffassung von Anthroposophie ist, dass es eine tatsächlich existierende geistige Welt gibt.

3.1. Kritik an Rudolf Steiner

Freie Waldorfschulen – fast jeder hat schon mal davon gehört, gelesen oder eines der Gebäude wahrgenommen, welche in ihrer rechten Winkel meidenden Architektur „die kleine Welt der Schule organisch nach der kosmischen Gliederung der großen Welt“ gestalten (Tenorth, Bd. 2, S. 69). Wobei die Gründe der Bauweise dem Betrachter normalerweise verschlossen bleiben. Das gilt allerdings auch für die „Ab – Gründe“ dieser Geisteswissenschaft, welche von Rudolf Steiner als „Wissenschaft vom Menschen“ und genauer als die „Weisheit des Menschen vom Menschen“ getauft wurde.

Doch obgleich der geneigte Betrachter meistens nur am Rande etwas über diese Waldorfpädagogik hört oder sieht, ist es doch fast immer nur Gutes. Erstaunlich schon allein deswegen, da es sich hierbei um eine Wissenschaft handelt, die sich kaum mit für andere Wissenschaften üblichen Maßstäben und schon gar nicht nach „allgemeingültigen“ Naturgesetzen erklären lässt und somit an sich genügend Raum für Kritik gibt.

Erklärungsansatz hierfür könnte sein, dass Lehrer und Eltern, die aktiv an der Waldorfgemeinschaft teilhaben, sich im Beisammensein unter Gleichgesinnten wohl fühlen und, sofern sie in die Menschenkunde Steiners eingeflochten sind, dort nichts vermissen und somit keinerlei Kritik hegen.

Nach Erfahrungsberichten ist das Hinterfragen von manifestierten Bräuchen und Ansichten auch kaum erwünscht; es geht um ein familiäres Gemeinschaftsgefühl, welches im Rahmen einer gewissen Anpassung entsteht. Dieser Anpassungsmechanismus wird vom ehemaligen Waldorflehrer Paul-Albert Wagemann wie folgt beschrieben: „Zuerst sagt man nicht, was man denkt. Dann denkt man, was man nicht sagt. Schließlich sagt man, was man nicht denkt und zuletzt denkt man das, was man sagt“ (Drewes/Jacob, S. 43).

Hans-Jürgen Ruppert (Anthroposophie und ihre Praxis heute. In: Grandt, S. 53) bemerkt gleich zu Beginn seines Buches, dass Verfasser entsprechender Texten und Schriften sich zu keiner Diskussion über dieselben einlassen und dass das anthroposophisches Gedankengut vorurteilslos zu prüfen unerwünscht, ja, unnötig sei, da Anthroposophen sich die alleinige Kompetenz für die Auslegung der Vorträge Steiners zubilligen.

Es kommt auch vor, dass Schüler einer staatlichen Schule auf eine Waldorfschule wechseln, prekärerweise nicht selten dann, wenn der Unterrichtsstoff an der „Staatsschule“ sie überfordert hat. So haben Waldorfschüler, die an eine staatliche Schule wechseln möchten zumeist so große Schwierigkeiten den Anschluss zu finden, dass sie um mindestens ein Jahr zurückgestuft werden müssen.

Tatsächlich haben Unterrichtsinhalte und Lehrtexte mit „normalen“, an staatlichen Schulen vermittelten Inhalten so gut wie nichts gemeinsam. Waldorfschüler stellen nicht selten fest, dass ihre Selbstverständlichkeiten außerhalb der Waldorfschule kaum jemandem verständlich sind. Nicht selten kommt sich ein Waldorfschüler, in die Berufswelt entlassen, verloren oder gar dumm vor, da er sein Wissen, aus zwei Weltbildern und Denksystemen bestehend, sozusagen „entmischen“ muss. Für den (ehemaligen) Waldorfschüler ist es tatsächlich kaum ersichtlich, welche Inhalte zu welchen Themen gehören: fragen Sie ihn, was die Menschheit im Mittelalter bewegte (oder gar wann es historisch einzuordnen ist), fragen Sie ihn nach den Grundbegriffen der Grammatik oder gar nach allgemeinen Grundsätzen der Mathematik oder einer anderen Naturwissenschaft, wird offensichtlich, dass eigenes führen der Hefte nicht durchweg das Arbeiten mit Lehrbüchern ersetzen kann. Der Schüler taumelt im unübersichtlichen Chaos von Tafelabschriften und lückenhaften Kopien, die keinerlei systematische Vernetzung zuließen.

Steiner: „Für das Leben brauchbarere Leute werden sie ohne Matura, denn sie werden das, was sie für das Leben brauchen, ja hier finden“ (Drewes/Jacob, S. 143).

Doch sicherlich ist es für (ehemalige) Waldorfschüler nicht selten problematisch, wenn sie in einer Runde von Nicht-Waldorfschülern einige Selbstverständlichkeiten von sich geben, von denen sie nicht ahnen, dass es für andere keine Selbstverständlichkeiten sind. Sich dann nicht erklären zu können, da vernetzendes und systemisches Denken und Argumentieren an Waldorfschulen nicht gerade groß geschrieben wird, lässt sie zu Außenseitern und „Spinnern“ werden. „Anthroposophisches Selbstbewusstsein“ ist kaum eine Hilfe, wenn esoterische Wissensfetzen sich mit Bruchstücken wissenschaftlich nicht nachgewiesener Völkergeschichten versponnen hat. „Die Waldorferziehung gettoisiert Kinder nicht nur. Sie raubt ihnen auch einen Teil des Lebens“ (Charlotte Rudolph, ehemalige Waldorfschülerin in: Drewes/Jacob, S. 162).

Befremdlich und selbst unter Mitgliedern des Waldorf Vereins und ausgebildeten Lehrkräften kaum bekannt oder gern verdrängt, sind einige weitere Wirkungsfelder Rudolf Steiners: Die Esoterik (religiöse Lehre vom Geheimnisvollen), der „Rosenkreuzer-Weg“ und vielfältige okkultistische Bereiche.

Bedenklich sind auch seine, für heutige Begriffe, äußerst rassistischen Äußerungen in einigen Vorträgen und seine Ausführungen zu Rasse („Wurzelrasse“ oder „Unterrasse“), die durchweg haarsträubend sind: „Zuletzt würden nur mehr Braun- und Schwarzhaarige da sein können; aber wenn nicht abgeholfen wird, so bleiben sie zugleich dumm. Denn je stärker die Körperkräfte sind, desto weniger stark sind die seelischen Kräfte. Und die Erdenmenschheit würde vor der Gefahr stehen, wenn die Blonden aussterben, daß die ganze Erdenmenschheit eigentlich dumm würde…Die blonden Haare geben eigentlich Gescheitheit…“ (Vortrag von 1923 in: Grandt, S. 187). Oder an anderer Stelle: „Wenn man aus dem Leben heraus Grundsätze aufstellt, weiß man, wie das Leben mannigfaltig ist…selbst die Neger müssen wir als Menschen ansehen, und in ihnen ist ja die menschliche Gestalt in einer ganz anderen Weise verwirklicht als in uns, zum Beispiel“ (Grandt, S. 184). Indianer und Asiaten kommen bei ihm genauso schlecht weg; die Islamische Kultur findet erst gar keine Erwähnung.

Große Ideale setzte Rudolf Steiner in den „Rosenkreuzer-Weg“, dessen Lehre als kosmischer, bindungsloser Weg zur individuellen Initiation angesehen werden soll. 1916 gründete er den „Alten mystischen Orden vom Rosenkreuz“ (AMROC, gilt heute als größte Rosenkreuzer-Organisation mit europäischer Zentrale in Baden-Baden) in der Gewissheit, dass sich im 20. Jahrhundert alle Religionen im Rosenkreuzermysterium vereinigen würden (vgl. Grandt, S. 97).

Wie bereits oben, unter Punkt eins, erwähnt, war Rudolf Steiner Generalsekretär der Theosophischen Gesellschaft. 1904 wurde er sogar zum Leiter der „Esoterischen Schule“ gemacht, womit er zum engsten Zirkel der Theosophischen Gesellschaft aufstieg. All jene Bücher, die Grundlage der Anthroposophie sind, entstanden in dieser Zeit („Theosophie“ 1904, „Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?“ 1904/05, „Aus der Akasha-Chronik“ 1904-08, „Die Geheimwissenschaft im Umriss“ 1910 und zahlreiche Aufsätze und Vortragszyklen in der von ihm herausgegebenen Zeitschrift „Luzifer“ bzw. „Luzifer-Gnosis“ 1903-08).

Die Theosophie gilt als Vorläufer der New-Age-Bewegung, da sie sich als Vermittlerin zwischen westlich-okkulter und östlich-religiöser Anschauungen versteht. Die drei Grundsätze sind: 1.) Bildung einer überkonfessionellen „Bruderschaft der Menschheit “, 2.) Studium der östlichen Weltanschauungen und zu guter Letzt, 3.) Studium des Okkultismus (vgl. Grandt, S.169ff).

So ist kaum verwunderlich, dass Steiner ebenso im okkultistischen Bereich langjährige Mitgliedschaften pflegte. So war er neben Theodor Reuß und Aleister Crowley sogar eines der Oberhäupter des „Ordo Templi Orients“ (O.T.O), der 1895 von Dr. Carl Kellner begründet worden war. Der Orden wurde als Geheimgesellschaft konzipiert, die alle erdenklichen mystisch-maurerischen und okkult-magischen Strömungen unter einem Dach zusammenfasste. Aus dem Jahr 1912 heißt es: „Unser Orden besitzt den Schlüssel, der alle Maurerischen und Hermetischen Geheimnisse erschließt, besonders die Lehre der Sexual-Magie“ und weiter „Die O.T.O.-Religion ist die Rückkehr zur frohen Kultur der Freude, des Lebens, der Liebe, im Gegensatz zur düsteren Kultur des Gottes der Rache, der Strafe, der Vernichtung“ (Grandt, S. 119). Das Reizvolle an diesem Orden war (ist) sicherlich der Flair des Geheimen, Mystischen, Verschwiegenen, der ihn umgibt.

Horst E. Miers ist einer von vielen, die Steiners Leitung als „Großmeister“ und „Supremus Rex“ des Ordenszweiges „Mysteria Mystica Aeterna“ erwähnen (in seinem Buch: Lexikon des Geheimwissens. In: Grandt, S. 121) und führt weiter an, dass es sich hierbei um den höchsten „X°O.T.O“, sozusagen das oberste Stockwerk des Systemgebäudes handelte. Sich weiter in dieses Thema zu vertiefen, würde den Rahmen dieser Hausarbeit sprengen.

4. Vergleich von pädagogischer Grundlage bei Pestalozzi und Steiner

Vom atomistisch-mechanischen Denken hin zu einem organisch-genetischen Denken umzusteuern, war schon Johann Heinrich Pestalozzis Anliegen, dem „Lehrer der Menschheit“. Der „Boden“, auf dem organisch-genetisches Denken gedeihen könne, müsse frei von Dogmen, Glaubenssätzen und autoritär übernommenen Lehrgebäuden sein, vor denen das mündige Denken zwangsläufig kapitulieren müsse. Dieser Boden müsse für waches, bewusstes und selbständiges Denken tragfähig sein. Es müsse sich um eine Wissenschaft handeln, die das Geistige ebenso real nimmt wie das Materielle. Eine innere Moralität wird gegenüber dem empirischen Wissen bevorzugt. Was unter der Überschrift dieser Moralität steht, kennt weder institutionelle noch soziale Einschränkungen, sondern wird zur angestrebten Lösung (vgl. Tenorth, Bd. 1, S. 107).

Die Aufklärung richtete den Blick auf die Vernunft. Eindeutig schien, als unterscheidendes Merkmal zwischen Mensch und Tier, die Vernunftbildung der Menschenbildung gleich zu setzen.

Nach Pestalozzi genügte es schon nicht mehr schreiben, lesen, rechnen, kritisch denken zu lernen und möglichst viele Kenntnisse zu erwerben. Das macht den Menschen zwar fähig, in der Gesellschaft zu leben, aber es macht ihn nicht zum Menschen. Es ist die Rede von „Sittlichkeit“, die zur Menschwerdung notwendig ist.

Eine „Menschenschule“ zu konzipieren war das Anliegen Rudolf Steiners. So stellt sich der Bildungsgang des zu Erziehenden bei Steiner nicht nur als ein Prozess der Entfaltung der Naturkräfte dar, vielmehr durchdringt den Menschen ein „überzeitliches, geistiges Ich“ vom Kopf, über Herz bis zur Hand, was dem Grundsatz Pestalozzis ähnelt, dass Kopf, Herz und Hand gleichermaßen in die Pädagogik mit einbezogen werden sollen (s.o.); wobei Pestalozzi sicherlich einen anderen Hintergrund dafür hatte. Nach der vollständigen Verkörperung kann, nach Steiner, ab dem dritten Jahrsiebt das Ich mit der Vergeistigung der Seele und der Gedankenwelt beginnen.

Zur weiteren Ausgestaltung seines Persönlichkeitskonzepts knüpft Steiner an die alteuropäische Lehre von den vier Temperamenten an. Er geht davon aus, dass sich die körperliche Konstitution und charakterologische Eigenart eines Menschen eindeutig mit einem der Temperamentstypen (melancholisch, phlegmatisch, sanguinisch, cholerisch) erfassen lasse. Im Falle des melancholischen Temperaments dominiere der „erdschwere“ physische Leib, beim phlegmatischen der „wässrige“ Äther-Leib, beim sanguinischen der „luftige“ Astral-Leib und beim cholerischen Temperament das „feurige“ Ich.

Als die zentralen Aufgaben der Erziehung ergeben sich daraus die entwicklungsgemäße Pflege und Stärkung der physischen, psychischen und intellektuellen „Wachstumskräfte“ der Person und der harmonisierende Ausgleich der Einseitigkeiten von Temperament und Konstitution. Die Tätigkeit des Erziehers ähnelt hier der des Gärtners und des Heilkünstlers (vgl. Tenorth, Bd. 2, S. 67).

Schon Pestalozzi war sich deutlich bewusst, dass der Mensch in erster Linie zum Menschen erzogen werden muss und kritisierte die fehlende Fragestellung der Veranlagung jedes einzelnen Menschen, die bestimmen sollte was er wird und nicht diejenigen, die die Macht zu erziehen haben (vgl. Brotbeck, S. 141). In der Waldorfpädagogik ist das Grundkonzept einer menschengemäßen Erziehung, die im Menschen vorhanden Anlagen, Kräfte und Talente in gesunder, harmonischer Weise zu entwickeln, zu „befreien“ und zu stärken (vgl. Brotbeck, S.169).

Weiterhin scheint es, als mögen Pestalozzis Leitgedanken sich beinah nahtlos in die Unterrichtsform an der Freien Waldorfschule einfügen. Dem weiter oben angeführten 1. Leitgedanken, versichere dich des Herzens deines Kindes, entspricht die Absicht des speziell ausgebildeten Klassenlehrers(in) an einer Waldorfschule, individuell auf das einzelne Kind einzugehen. Die Tatsache, dass der Klassenlehrer(in) in den ersten beiden Stunden jeden Tages für die Klasse und das Kind da ist, fördert den persönlichen Bezug und lässt ein Vertrauensverhältnis zwischen Lehrer(in) und Kind entstehen.

Im 2. Leitgedanken ist das Leben selbst Fundament des Unterrichts, da hinter dem einzelnen Kind mit seinen Anlagen und seiner Persönlichkeit auch soziales und gesellschaftliches Umfeld eine Rolle spielen. Gewünscht ist ein enger Kontakt zwischen Klassenlehrer(in) und Elternhaus, um wirkungsvoll die Entwicklung des Kindes zu fördern und zu pflegen. Laut Rudolf Steiner solle die Zufriedenheit mit einer Unterrichtseinheit den Lehrer(in) nicht dazu verleite, diese später zu wiederholen, da sich auf der lebendigen und am Leben orientierten Ausgestaltung des Unterrichts die natürliche Autorität des Lehrers(in) begründet.

Diesen beiden Leitgedanken kann aus Pestalozzis Rahmenkonzeption der Lebenskreisphilosophie der zweite äußere Kreis, Beruf und Individualbestimmung, angeschlossen werden, in welchem der Mensch nicht durch Eltern, Lehrer oder Gesellschaft gezwungen werden soll etwas zu tun, wofür er sich nicht berufen fühlt. Die Waldorfschule will grundsätzlich Talente und Stärken des Schülers wecken und stärken.

Der 3. Leitgedanke Pestalozzis, bei dem die Menschensprache der Büchersprache vorangehen soll, zeigt sich deutlich in der Tatsache, dass an der Waldorfschule keine Bücher verwendet werden, sondern das Erlernte in selbst geführten Heften festgehalten wird, was auch künstlerisch spielerisch der Neigung zum formal umgrenzten Denken entgegenwirken soll.

Aus dem selber führen der Hefte ergibt sich zum Teil schon der nächste Leitgedanke, die Lernmittel sollen einfach sein, was sich u. a. auch bei zur Hilfenahme von Kastanien oder getrockneten Samen im Rechenunterricht der ersten Klasse zeigt.

Der 5. Leitgedanke, dass Erziehung ohne Härte und Demütigung zu erfolgen hat, ist längst nicht mehr revolutionär und versteht sich auch an der Waldorfschule von selbst. Ebenso ist es Usus, dass der Waldorflehrer(in), nachdem er (sie) die Klasse acht Jahre lang begleitet hat, ein „Sabbatjahr“ einlegt in welchem z. B. in einem wirtschaftlichen Beruf gearbeitet werden soll, um damit dem Burn-out-Syndrom entgegenzuwirken.

Ganz besonders ausgeprägt scheint der 6. Leitgedanke Pestalozzis, Unterricht soll spielerisch und kindgerecht sein, an Waldorfschulen zu leben. Es wird darauf geachtet, dass der Übergang vom Kindergarten in die Schule kindgerecht verläuft, was sich im waldorflichen Sinne darin äußert, dass der Hauptunterricht im ersten Schuljahr mit ritualisierten spielerischen Momenten angereichert wird. Da der Klassenlehrer(in) diesen Teil des Unterrichts selbst gestalten kann, sind die Möglichkeiten vielfältig; er (oder sie) geht z. B. täglich für kurze Dauer mit den Kindern in einen dafür geeigneten Raum, um einige kleine Reigen- und Bewegungsspiele zu machen, was die Konzentration fördert und dem sozialen Kontakt zwischen den Kindern zuträglich ist. Die Diskussion um früheres Einschulen der Kinder ist der Waldorfpädagogik ein rotes Tuch – die Schulreife des Kindes ergibt sich aus der Beschreibung der Jahrsiebte (s.a. 2.1. weiter oben).

Insgesamt wird an Waldorfschulen großer Wert darauf gelegt, dass Lernen unter Einsatz aller Sinne geschieht.

4.1. Unterrichtsstruktur und einzelne Fächer an der Freien Waldorfschule

Waldorfschulen entstehen aus örtlichen Elterniniativen und werden vom jeweiligen Lehrerkollegium in Selbstverwaltung zusammen mit den Eltern geführt. Der pädagogische Grundriss der freien Waldorfschule ist strukturell eine kollegial geleitete Einheitsschule ohne Leistungsauslese, mit stabilen Jahrgangsklassen vom 1. bis zum 12. Schuljahr.

Das gesamte Unterrichtsgeschehen ist methodisch und inhaltlich aus der Entwicklung des Kindes heraus aufgebaut. Für den Großteil des Unterrichtsstoffes ist ein epochenweises Arbeiten dem stundenplanmäßigen Arbeiten vorzuziehen. Dadurch entsteht ein längerer Zeitraum, in dem ein Thema intensiv bearbeitet werden kann. Die Aufmerksamkeit der Kinder richtet sich über eine größere Zeitspanne auf ein Thema.

Der Grundunterricht wird vom Klassenlehrer(in) in zwei Stunden jeden Morgen in freier Weise gehalten; in der Regel werden die Schüler von der ersten bis zu achten Klasse von ihrem Klassenlehrer(in) begleitet. Andere Lehrplangegenstände, wie Fremdsprachen (ab der ersten Klasse), Musik, Eurythmie und handwerklich-praktische Fächer erfolgen dann stundenplanmäßig und können nur durch gleichmäßig geführte Übung ihr Ziel erreichen.

An die Stelle der Lehrbücher treten die Epochenhefte der Schüler, in denen diese das grundlegende Wissen festhalten. Durch vielfältige Formen des bildnerischen Gestaltens, der handwerklichen und technischen Arbeit, des Musizierens und darstellenden Spiels, soll jeder Schüler spezifisch gefördert werden. Vor allem jedoch will damit erreicht werden, dass der Schüler das Lernen als eine Sinnesübergreifende Einheit begreift.

Jede Stunde des Unterrichts ist in der Regel so aufgebaut, dass in einem rhythmischen Teil der Wille, im mittleren das Gefühl und im abschließenden Teil das Denken des Kindes angesprochen wird.

In einer guten Unterrichtsstunde wird ein Waldorflehrer(in) nicht alles bis zu Ende erklären, sondern bewusst wichtige Fragen offenlassen. So gehen die Schüler mit der Frage in die Nacht. In einer gesund durchschlafenen Nacht kann eine Frage im Unterbewussten geistig aufkeimen, so dass sie am nächsten Tag mit einem ganz anderen Tiefgang von den Schülern aus behandelt werden kann. Daran kann wiederum der Lehrer nur aus Geistesgegenwart heraus seinen Unterricht anknüpfen, wobei er bereit sein muss, eventuell seinen vorbereiteten Stoff über Bord zu werfen.

Im zeitlichen Rhythmus der Jahrsiebte richtet sich die Erziehung jeweils auf einen anderen Teil der Persönlichkeit des Schülers, von den äußeren Sinnen bis zu innersten Ich fortschreitend. Der Jahreskreislauf wird durch ritualisierte Feste und bewusstes Wahrnehmen der Jahreszeiten, der Monat durch die „Monatsfeiern“ strukturiert, in denen die Schüler vor der gesamten Schulöffentlichkeit Ergebnisse des Unterrichts darbieten. Der Wochenrythmus des einzelnen Tages entsteht durch Aufsagen des „Zeugnisspruches“, den der Lehrer(in) dem Kind in das Zeugnis schreibt und welchen das Kind am Wochentages seiner Geburt der Klasse vorträgt. Die Leistungen der Schüler werden nicht mit Zensuren beurteilt, sondern bis in das 12. Schuljahr durch jährliche Berichtszeugnisse in freiem Wortlaut gegeben.

Der pädagogische Lehrplan der Freien Waldorfschule bezieht alle Inhalte und Arbeitsweisen der Fächer organisch aufeinander und zugleich genetisch auf die Entwicklungsstufe der Schüler. So sollen auf jeder Altersstufe bestimmte Erzählstoffe den fächerübergreifenden Konzentrationspunkt für alle übrigen Inhalte des Schuljahres bilden, vom „Urwissen“ der Märchen im ersten, bis zur selbstreflexiven Subjektivität der Moderne im achten Schuljahr (vgl. Hardorp).

Neben Formenzeichnen und Gartenbau ist Eurythmie eines der Fächer, die es in dieser Form nur an Waldorfschulen gibt. Obwohl auch die Musik mit einbezogen wird, ist es Anliegen der Eurythmie als Bewegungskunst- und therapie Sprache durch Bewegung sichtbar zu machen. Es werden Gebärden zu Lauten gebildet, Formen und Buchstaben dargestellt, ohne Erklärungen, die sich an den Intellekt richten. Es soll damit angelegt werden, was später zum Bewusstsein kommt: „die innige Verbindung des Menschen mit der Welt und ihren Gesetzen, die er zunächst in ihren Wirkungen erfährt aber zunehmend erlebt, dass er diese Kräfte handhaben kann“ (vgl. Patzlaff in: Rundbrief, März 2006). So werden, lange bevor die Geometrie den Begriff des Dreiecks oder Vierecks gedanklich bearbeitet, diese Figuren als Formen im Raum bereits erlebt und erfahren.

Als Mittelpunkt der Waldorfpädagogik und Quelle, von der alles Weitere seinen Ausgang nehmen kann, will Eurythmie den Kindern ein Gefühl für die Einheit von Empfinden und Denken vermitteln.

Resümee

Wie sich gezeigt hat ist die Waldorfpädagogik, welche in den zahlreichen Einrichtungen lebt, mit dem Lebensweg ihres Begründers Rudolf Steiner schwer in Einklang zu bringen.

Ideengeschichtlich gesehen, erscheint die anthroposophische Geisteswissenschaft Steiners mit ihrer „lebendigen Logik der Bilder“ ihrem Animismus, dem Analogiezauber und der Zahlensymbolik wie ein Versuch, mythische Denk- und Lebensformen inmitten einer verwissenschaftlichen Zivilisation wieder aufleben zu lassen (vgl. Tenorth, Bd. 2, S. 66).

Es stehen auf der einen Seite der theosophische, okkultistische und sogar neo-satanische Hintergrund Steiners und seine rassistische Einstellung, auf der anderen Seite der Erfolg und das Fortbestehen der Waldorfpädagogik rund um den Globus.

Es kann jedoch kaum von einer „Sektenschule“ ausgegangen werden. Obwohl es durchaus zu kritischen Momenten kommt (kam), was dem autonomen Wirken des Waldorflehrers(in) und der mangelnden Hierarchie und Kontrolle an Waldorfschulen zugeschrieben werden kann.

Als diejenigen Spezifika der Pädagogik Steiners, welche nach wie vor Aktualität beanspruchen können, erweisen sich (wiederum) die Schulautonomie, die Vielfalt der Formen praktischen Lernens und die Ausgestaltung der sozialen Beziehungen durch das Klassenlehrerprinzip.

Der intensivere wissenschaftliche Diskurs über die Waldorfschulen mit möglicher Indoktrination im Unterricht, hat sowohl das Befremdliche an der Pädagogik Rudolf Steiners deutlicher gemacht, als auch die Fruchtbarkeit einer ganzheitlichen Erziehung, welche sich indes als ungleich stärker erwiesen hat (vgl. Tenorth, Bd. 2, S. 71).

Schlusswort

„Schule ist zum Lernen da“ – ein Satz, den jeder unterschreiben kann. Doch seit Pisa wieder aktuell geworden sind Fragen wie: was soll eigentlich gelernt werden und wann? Je früher desto besser? Sind Wettbewerbstreben und großer Ehrgeiz wohlwollend zu betrachten oder ist die Anerkennung der Individualität und Entwicklungsstufe des Kindes die Voraussetzung für den Bildungs- und Erziehungsvorgang?

Eltern haben es nicht leicht, für ihre Sprösslinge das optimale Förderkonzept zu finden.

Es ging mir nicht anders. Jahrelang trieb mich die Frage um: soll mein Kind später wirklich in eine Waldorfschule gehen? Ich war selbst Waldorfschülerin, bis es mir zuviel wurde und ich aus eigenem Antrieb mit 15 Jahren die Schule wechselte. So war meine Einstellung „Waldorf“ gegenüber zwar kritisch, jedoch konnte ich es mir auch nicht gänzlich ohne vorstellen. Das Dilemma war, dass die eine Methode mir zu lapidar und mangelhaft an wichtigen Lerninhalten war, die andere Methode jedoch zu engstirnig und mangelhaft an Fähigkeiten, die über die Anforderungen der Leistungsgesellschaft hinausgehen.

Um aus dieser Zwickmühle herauszukommen zog ich Literatur zu Rate, war in Gesprächen für differenzierte Meinungen und Ansichten dankbar und besah mir mein Kind aufs Genaueste: Wo es wohl besser hinpasst; wo wird es sich wohler fühlen? Wo seinem Charakter und seiner Persönlichkeit entsprechend am besten gefördert werden? Wo wird es am besten aufs Leben vorbereitet? (Es ist dies schließlich eine Entscheidung die sich grundlegend auf das ganze weitere Leben auswirkt!) Geholfen hat letztendlich jedoch nur das Gegenüberstellen und gewissermaßen „abwiegen“ der Pro und Contra Seiten. Und letztendlich wird, so oder so, mein persönlicher Mix „beider Seiten“ weiterhin in unserem Alltag bestehen.

Um einige Dinge bin ich der Waldorfschule dankbar, z.B. dem künstlerischen und handwerklichen Geschick das ich entwickeln konnte, dem Bezug zum singen, zum musizieren und zur Natur. Ich denke auch, dass im Waldorfschüler ein gewisser Pioniergeist aufkeimen kann, wenn er allzu sehr im „pädagogisch-unklaren“ gelassen wird. Der Schuss kann allerdings auch nach hinten losgehen, so dass sich der vage, schwammige Erziehungsrahmen in völliger Unselbstständigkeit und gar Angst vor der Welt und dem Leben auswirkt.

Worüber ich ganz und gar nicht glücklich bin, sind die mangelnden Grundkenntnisse in den Naturwissenschaften, die sich nicht nur bei mir, sondern generell bei Waldorfschülern niederschlagen, wenn sie nicht gerade von klein auf effektiv Nachhilfe bekommen.

Insgesamt hängt das Glück jedes einzelnen Waldorfschülers von mehr Faktoren ab, als das an staatlichen Schulen der Fall ist. Es zählen nicht nur Klassenkameraden oder Äußerlichkeiten wie Schulweg oder Schulgebäude, sondern ganz besonders das Verhältnis zum Klassenlehrer(in), das Verhältnis Klassenlehrer und Eltern, die Einstellung der Eltern zur Schule und wie die Schule organisatorisch und wirtschaftlich gestellt ist.

Den Lebensweg Rudolf Steiners aufzuzeigen gestaltete sich schwieriger als ich vermutet hatte. Ich bezog meine Informationen aus vier verschiedenen Büchern, in denen jeweils Passagen enthalten sind, welche die anderen Bücher nicht aufführen.

Etwas über Steiners Hintergrund in Erfahrung zu bringen war für mich äußerst interessant, zumal diese kritischen Aspekte ungleich schwieriger zugänglich sind als die übliche Literatur zur Waldorfpädagogik.

Abschließend möchte ich die Frage in den Raum stellen, warum es an Waldorfschulen keine Schulsozialarbeit gibt, wie sie an staatlichen Schulen nach und nach überall eingeführt wird.

In Gesprächen wurde ich meistens auf mangelnde finanzielle Mittel hingewiesen, aber auch auf den Umstand, dass die Notwendigkeit für Schulsozialarbeit an Waldorfschulen nicht bestehe. Das Künstlerische in der Waldorfschule ist hierfür als ein pädagogisches Mittel anzuführen, das sich als geeignet erwiesen habe, Verhaltensauffälligkeiten und Gewalttendenzen in der Jugend entgegenzuwirken und auch die Kontaktpflege zwischen Elternhaus und Lehrer(in) sei präventiv maßgebend.

Ich begnüge mich vorerst mit diesem Standpunkt und bin mehr denn je gespannt, wie sich Waldorfschulen im Allgemeinen und meine (unsere) Haltung dazu im Besonderen weiterhin entwickeln.

Literaturverzeichnis

Brotbeck, Kurt: Durchbruch zur Menschenschule : Entwicklungswege zur Waldorfpädagogik. Schaffhausen : Novalis Verlag, 1982

Drewes, Detlef; Jacob, Sybille-Christin: Aus der Waldorfschule geplaudert : Warum die Steiner-Pädagogik keine Alternative ist. 2., überarb. Aufl. Aschaffenburg : Alibri Verlag, 2004

Englert-Faye, Curt: Vom Menschen Johann Heinrich Pestalozzi : Gesammelte Aufsätze. Basel : Zbinden Verlag, 1967

Freie Waldorfschule Uhlandshöhe (Hg.): Rundbrief : Sonderheft Bildung. Stuttgart, März 2006

Glöckler, Michaela; Goebel, Wolfgang: Kindersprechstunde. 12. Aufl.; Stuttgart : Verlag Urachhaus, 1997

Grandt, Guido und Michael: Schwarzbuch Anthroposophie : Rudolf Steiners okkult-rassistische Weltanschauung. Wien : Ueberreuter, 1997

Hardorp, Detlef: Was will Waldorfpädagogik? Stuttgart : Bund der Freien Waldorfschulen (Hg.), 1998

Hellmich, Achim; Teigeler, Peter (Hg.): Montessori-, Freinet- und Waldorfpädagogik : Konzeption und aktuelle Praxis. 4. Aufl., Beltz Verlag, Weinheim und Basel, 1999

Hofrichter, Hansjörg; in: Waldorf : die Geschichte eines Namens. Hg.: Pädagogische Forschungsstelle beim Bund der Freien Waldorfschulen e. V.; 3. erw. Aufl.; Stuttgart, 2003

Reinert, Gerd-Bodo (Hg.): Johann Heinrich Pestalozzi : Anthropologisches Denken und Handeln. Donauwörth : Auer Verlag, 1996

Tenorth, Heinz-Elmar: Klassiker der Pädagogik : Von Erasmus bis Helene Lange. Bd. 1; München : Verlag C. H. Beck, 2003

Tenorth, Heinz-Elmar: Klassiker der Pädagogik : Von John Dewey bis Paulo Freire. Bd. 2; München : Verlag C. H. Beck, 2003

Ende der Leseprobe aus 21 Seiten

Details

Titel
Die Anfänge der Waldorfpädagogik
Hochschule
Fachhochschule Esslingen Hochschule für Technik Esslingen
Veranstaltung
Seminar: Theorien der sozialen Arbeit
Note
1,5
Autor
Jahr
2006
Seiten
21
Katalognummer
V110201
ISBN (eBook)
9783640083770
Dateigröße
439 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Anfänge, Waldorfpädagogik, Seminar, Theorien, Arbeit, Thema Waldorf-Pädagogik
Arbeit zitieren
Sandra Johnston (Autor:in), 2006, Die Anfänge der Waldorfpädagogik, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/110201

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