Zwischen Arbeitslosigkeit und altem Rollenbild
WEITERBILDUNG -DER RETTENDE ANKER?
Was bedeutet berufliche Weiterbildung für die Teilnehmerinnen? Was bringt sie ihnen und inwieweit, wenn überhaupt, verändert sie ihre Handlungsautonomie in Bezug auf den Umgang mit der eigenen Arbeitslosigkeit? Dies sind angesichts des guten Rufes von Fortbildungs- und Umschulungskursen einerseits und den katastrophalen Eingliederungszahlen bei Frauen andererseits Fragen, die sich immer mehr Personen stellen, die in irgend einer Weise professionell mit beruflicher Weiterbildung beschäftigt sind.
Dass Frauen um ihr Recht auf Arbeit kämpfen, zeigen die Weiterbildungszahlen eindeutig. So sind beispielsweise allein in der Bundesrepublik jährlich rund zwei Drittel aller Weiterbildungsteilnehmer weiblich. Sie verfolgen hierbei eher die Strategie, auf ihrem Beruf aufzubauen und wählen eine Fortbildung, häufig im kaufmännischen Bereich, statt einer Umschulung.
ZURÜCK ZUR TRADITIONELLEN ROLLE
Doch schon von Beginn an ist die Situation für sie weitaus problematischer als für die männlichen Betroffenen. Dies zeigt sich sowohl in der subjektiven Verarbeitung der Situation «Arbeitslosigkeit» als auch in der gesellschaftlich vorherrschenden Einstellung und den Effekten in Familienbeziehungen, die unter Umständen weiteren Druck erzeugen. Betrachtet man die Auswirkungen von Arbeitslosigkeit wird auch hier schnell klar, dass sich die Voraussetzungen und Motive zur Teilnahme an einer Fortbildung oder Umschulung bei Männern und Frauen völlig voneinander unterscheiden. So kommt es zwar in den meisten Familien bei Arbeitslosigkeit zu einer Verschiebung der Rollen. Doch während die Arbeitslosigkeit des Mannes seine familiale Position in Frage stellt und latente Konflikte häufig erst jetzt ausbrechen, kehrt die Familie bzw. Partnerschaft bei Stellenverlust der Frau meist sehr schnell wieder zur traditionellen Aufgabenverteilung der bürgerlichen Familie zurück. Während ein arbeitsloser Mann also häufig mit seinen Bestrebungen gleichermassen versucht, die in Frage gestellte Rollenverteilung wieder herzustellen, probieren Frauen auch unter dem Aspekt des Ausbrechens aus alten «neuen» Mustern Zuhause, wieder eine Stelle zu finden.
Arbeitslosigkeit wirkt sich bei Frauen schneller auf das Selbstvertrauen aus als bei Männern. Dies hat unter anderem zur Folge, dass sie ihre Chancen auf Wiedereingliederung von Beginn an viel schlechter einschätzen als Männer. Auch vor diesen Aspekten entwickelt sich bei ihnen eine, von den angestrebten Effekten weit entfernte, Motivation zur Teilnahme. Nicht unbedingt die Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt steht bei vielen Frauen im Vordergrund, sondern der hier mögliche soziale Kontakt zu anderen Betroffenen sowie die finanzielle Absicherung.
Bei der Auswertung biographischer Interviews im Rahmen eines wissenschaftlichen Projekts (Böhmer 1997; Meier et al. 1998) konnte herausgearbeitet werden, dass es aber nicht unbedingt zu einem Motivationsverlust infolge geringer Wiedereingliederungschancen kommen muss. Vielmehr ist es häufig der Fall, dass sich Ziele verschieben und im Bereich der qualitativ unabhängigen Bewertungen ansiedeln. Gerade Frauen betonten in Interviews immer wieder, wie wichtig ihnen die Weiterbildung im Hinblick auf soziale Kontakte und ein gewisses Sicherheitsgefühl sei.
OFFENSIV MIT SITUATIONEN UMGEHEN
Um auf ihre Situation immer wieder hinzuweisen, sind Frauen eher bereit, über ihre Probleme im Hinblick auf Arbeitslosigkeit und Weiterbildung zu sprechen. Bei der erwähnten Studie (Meier et al. 1998) erklärten sich überwiegend Frauen zu einer zweiten Befragung bereit. Bei ihnen wurde seitens der Weiterbildungseinrichtungen auch eine hohe Motivation beobachtet — und dies, obwohl ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt nachweislich schlechter sind als für ihre männlichen «Mitschüler».
WEITERBILDUNG ALS STELLENERSATZ
Insgesamt muss hier ganz klar gesagt werden, dass Frauen längst versuchen, die angebotenen Kurse in ihrem Sinne zu verwerten. Der Gebrauchswert der Fortbildung oder Umschulung wird hoch eingeschätzt, auch dann noch, wenn nach ihrem Abschluss die neu erworbene Qualifikation keine Anwendung im Beruf finden kann. Demnach gibt es durchaus eine «Weiterbildung um der Weiterbildung willen»: Für einen beträchtlichen Anteil der Beteiligten nicht zuletzt auch wegen fehlender Alternativen.
Vor allem für Frauen nehmen die sozialen Komponenten die ersten Ränge ein: Die sinnvolle Überbrückung die Pflege sozialer Kontakte mit Menschen in ähnlicher Bedrängnis. Doch während Männer die Bildungsmassnahme überwiegend als Sprungbrett betrachten — von dem sie bei sich bietenden Möglichkeiten auch vorzeitig abspringen, identifizieren sich Frauen viel mehr mit den Kursen und betrachten diese häufig selbst als «Beruf». Diese Identifikation mit der Weiterbildung birgt aber auch eine Reihe von Gefahren. Je mehr ich mich in einer Situation sicher und «aufgehoben» fühle, desto grösser ist die Leere, die das Verlassen zurücklässt. Statt also die Weiterbildung als Zwischenstation zu betrachten, wird sie zum Ziel — eine Grundeinstellung, die im Hinblick auf die angestrebte Reintegration fatale Folgen haben kann.
RESIGNATION ALS FOLGE
Kommt zur prekären Situation und einer bereits besuchten Fortbildung noch das Argument “Ihr Mann hat ja noch eine Stelle», überlegt sich jede dritte Frau spätestens nach Auslaufen des Arbeitslosengeldes, ob sie sich überhaupt noch als arbeitssuchend registrieren lassen soll. Der Versuch, Frauen massenhaft zurück in Familie und Haushalt zu drängen, ist allerdings nicht neu – war aber schon immer mit Konflikten verbunden. So entwickelte das Kriegsministerium des Deutschen Reiches 1918/19 beispielsweise eine spezielle Vorgehensweise für «Frauenarbeit in der Übergangswirtschaft»: Berufstätige Frauen sollten heimkehrenden Soldaten Platz machen. Nach Ende des Zweiten Weltkrieges gab es dann in den USA grosse Konflikte, als auch hier Mittelschichtfrauen ihre Arbeitsplätze für heimkehrende Soldaten räumen mussten.
Belegt ist, dass Frauen, die arbeitslos werden, noch immer viel eher das Problem haben, völlig aus dem Erwerbsleben herauszufallen als Männer. Bisher konnte die Arbeitslosigkeit die Tradition kontinuierlicher Berufstätigkeit in den Vorstellungen betroffener Frauen allerdings noch nicht beseitigen.
Literatur
- Böhmer, 5. (1997): «Vom (lrr-)Glauben, durch arbeitspolitische Massnahmen eine Chance zu erhalten». In: Sozialwissenschaften und Berufspraxis (SUB) Zeitschrift des Berufsverbandes Deutscher Soziologen eV., Heft 20/2, 1997, 141—1 53.
Häufig gestellte Fragen
Worum geht es in dem Artikel "Zwischen Arbeitslosigkeit und altem Rollenbild"?
Der Artikel untersucht die Rolle der beruflichen Weiterbildung für arbeitslose Frauen in Deutschland. Er analysiert, inwieweit Weiterbildung ihre Handlungsmöglichkeiten im Umgang mit Arbeitslosigkeit verbessert und ob sie zu einer veränderten Rollenverteilung innerhalb der Familie führt.
Welche Rolle spielt Weiterbildung für arbeitslose Frauen laut dem Artikel?
Weiterbildung wird von arbeitslosen Frauen häufig als eine Möglichkeit gesehen, soziale Kontakte zu pflegen, finanzielle Absicherung zu erhalten und dem traditionellen Rollenbild zu entfliehen. Allerdings steht die tatsächliche Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt oft nicht im Vordergrund.
Wie unterscheidet sich die Situation arbeitsloser Frauen von der arbeitsloser Männer?
Frauen sind häufig stärker von den psychologischen Auswirkungen der Arbeitslosigkeit betroffen und schätzen ihre Wiedereingliederungschancen geringer ein. Außerdem tendieren Familien eher dazu, bei Arbeitslosigkeit der Frau zur traditionellen Rollenverteilung zurückzukehren, während die Arbeitslosigkeit des Mannes seine Position innerhalb der Familie in Frage stellt.
Was sind die möglichen negativen Folgen der Identifikation mit Weiterbildungskursen?
Wenn Frauen Weiterbildungskurse als "Beruf" betrachten und sich stark mit ihnen identifizieren, kann das Verlassen dieser Kurse zu einer Leere führen. Statt die Weiterbildung als Zwischenstation zu sehen, wird sie zum Ziel, was die Reintegration in den Arbeitsmarkt erschweren kann.
Welche Rolle spielen soziale Kontakte in Weiterbildungskursen für Frauen?
Soziale Kontakte zu anderen Betroffenen sind ein wichtiger Faktor für die Teilnahme von Frauen an Weiterbildungskursen. Sie bieten die Möglichkeit, sich auszutauschen und sich nicht isoliert zu fühlen.
Warum melden sich arbeitslose Frauen möglicherweise nicht mehr arbeitssuchend?
Nach dem Auslaufen des Arbeitslosengeldes und dem Argument, dass der Ehemann bereits eine Stelle hat, überlegen sich viele Frauen, ob sie sich überhaupt noch als arbeitssuchend registrieren lassen sollen. Dies deutet auf den Versuch hin, Frauen zurück in Familie und Haushalt zu drängen.
Welche historischen Beispiele gibt es für den Versuch, Frauen aus dem Erwerbsleben zu drängen?
Der Artikel nennt Beispiele aus dem Deutschen Reich (1918/19) und den USA nach dem Zweiten Weltkrieg, in denen Frauen aufgrund heimkehrender Soldaten ihre Arbeitsplätze räumen mussten.
Was ist die generelle Schlussfolgerung des Artikels bezüglich Arbeitslosigkeit und Frauen?
Arbeitslose Frauen haben nach wie vor ein höheres Risiko, vollständig aus dem Erwerbsleben herauszufallen als Männer. Dennoch hat die Arbeitslosigkeit die Vorstellung der betroffenen Frauen von einer kontinuierlichen Berufstätigkeit bisher nicht beseitigen können.
- Arbeit zitieren
- Dr. Sabrina Böhmer (Autor:in), 2000, Weiterbildung - Der rettende Anker?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/110345