Gewissensbetrachtung im Christentum - Charakter und Besonderheiten des christlichen Gewissens


Facharbeit (Schule), 2006

20 Seiten, Note: 2+


Leseprobe


1. Vorwort

Bei dem Thema „Gewissen“ handelt es sich um ein unglaublich facettenreiches Gebiet, welches daher eine Vielzahl von Möglichkeiten zur Auseinandersetzung mit sich bringt, was ich auch bereits aus eigener Erfahrung behaupten kann. Denn in meiner bisherigen Schulzeit gab es einige Fächer, in denen man dieses Thema behandelt hat, wobei dies im Bereich der Sozialwissenschaften natürlich noch am ausführlichsten geschah. Doch neben der Religionslehre unternahm man selbst im Deutsch-Unterricht einen ethischen Exkurs bezüglich des Gewissens während der Besprechung Lessings „Emilia Galotti“. Diese Tatsache zeigt schon allein, welch große Bedeutung dem Gewissen sowohl in der Geschichte als auch noch heutzutage zugewiesen wird.

Da ich die sozialwissenschaftliche Perspektive als zu nüchtern empfinde, das Fach Ethik an sich zudem nie zu meinem Stundenplan gehörte und auch im Religionsunterricht immer nur ansatzweise ethische Aspekte besprochen wurden, wollte ich meiner Facharbeit einen ethischen Schwerpunkt setzen. Zunächst dachte ich dabei an einen konkreten Fall der Tierquälerei - welche meines Erachtens ein immer größeres Ausmaß einnimmt -nämlich an die Tatsache, dass zum Wohlergehen der Menschheit Tierversuche durchgeführt werden, die an Brutalität kaum zu übertreffen sind. Angesichts der relativ hohen Spezifizierung und der Schwierigkeit, dies auf den Bereich der Religion zu beziehen, gab auch die Gesamtheit der Grausamkeiten unserer heutigen Welt Grund dazu, sich zu fragen, ob Menschen, die dafür verantwortlich sind, überhaupt ein „reines Gewissen“ haben können. Eine solche Fragestellung wurde jedoch in keiner Weise im schulischen Bereich bisher behandelt, weshalb das Thema „Gewissen“ als innere Instanz des Menschen zur Grundlage meiner Facharbeit wurde. Um dabei einen Bezug zum Fach Religion herzustellen, beschäftige ich mich allerdings nicht bloß mit dem Phänomen des Gewissens allein, sondern vorwiegend mit dem Gewissen eines Christen.

Nimmt die christliche Lehre auch Einfluss auf das Gewissen eines Menschen? Wie wird das Gewissen im Christentum gesehen? Unterscheidet sich ein christliches Gewissen von dessen Nichtgläubiger? All dies sind Fragen, zu denen ich mir Gedanken machen möchte. Ziel meiner Arbeit soll es daher sein, zu klären, was ein christliches Gewissen im Besonderen auszeichnet und darüber hinaus ebenfalls herauszustellen, ob auch jeder Christ zwangsläufig durch ein solches geprägt sein muss.

2. Gewissen – eine einleitende Definition

Da es sich bei dem Gewissen um ein Phänomen handelt, welches sich anscheinend sogar in unserer säkularisiert erscheinenden Gesellschaft behauptet, lässt sich keine einheitliche und genaue Definition von Gewissen aufstellen. Dessen synthetischer Charakter kommt sogar bereits bei alleiniger Betrachtung des Wortes zum Ausdruck, und zwar sowohl in dem lateinischen Begriff „con-scientia“ als auch im Deutschen „Ge-wissen“.

Doch um sich speziell mit dem christlichen Gewissen auseinandersetzen zu können, ist zumindest eine Abgrenzung des Begriffes notwendig. Denn zwar gibt es unterschiedlichste Auffassungen darüber, was dieser Begriff bezeichnet – vor allem aus soziologischer und kirchlicher Sicht – doch im Allgemeinen handelt es sich bei dem Gewissen um eine Instanz des menschlichen Bewusstseins, welche einem Menschen moralische bzw. ethische Aspekte vor Augen führt und ihn dadurch zu einem speziellen Handeln bewegt.

Es ist anzunehmen, dass eine solche Instanz bei jedem Menschen vorhanden ist. Denn „Jeder Mensch hat Gewissen“[1]. Davon ist nicht nur Immanuel Kant überzeugt, sondern auch der bundesdeutsche Gesetzgeber geht davon aus, da es im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, GG Artikel 4, Punkt 3 heißt: „Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden.“. Jedoch mögen die Forderungen, Mahnungen und Warnungen, die von ihr ausgehen, bei jedem jeweiligen Individuum unterschiedlich ausgeprägt sein.

Es erscheint dabei wichtig, herauszufinden, wie diese jeweilig verschiedenen Ausprägungen der innerlichen Stimme eines Menschen überhaupt entstehen und wodurch die Gewissensbildung im Leben einer Person beeinflusst wird.

Bei Betrachtung der relativ nüchternen Definition „die Reaktion des Individuums auf die moralischen Prinzipien und die Verhaltensnormen der sozialen Gruppe, der es angehört“[2] wird deutlich, dass vor allem Werte, Normen und Moral zur Gewissensbildung beitragen. Das bedeutet von daher, dass in erster Linie die Erziehung den Grundstein für die spätere Gewissensausprägung legt und deshalb die soziologische Perspektive zunächst einmal herangezogen werden sollte. In dieser Hinsicht erweist sich die Psychoanalyse nach W.J. Schraml (s.S.5) als interessant, da es mit den drei seelischen Funktionsbereichen von Siegmund Freud arbeitet: dem ES, dem ICH und dem ÜBER-ICH. Vor allen Dingen letzteres bezieht sich als anerzogener Funktionsbereich auf die bereits angesprochenen Komponenten Werte, Normen und Moral.1

3. Nach W.J. Schraml: Psychoanalytisches Persönlichkeitsmodell

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

4. Kennzeichen des christlichen Gewissens

Von dem psychoanalytischen Persönlichkeitsmodell ausgehend lässt sich nun das christliche Gewissen eingrenzen und damit ebenfalls eine Wende zur kirchlichen Gewissensbetrachtung herstellen.

Denn anhand des Modells ist zu erkennen, dass allein das „Über-Ich“ eine Möglichkeit bietet, Gewissensentscheidungen eines Menschen durch Vermittlung von Werten zu beeinflussen. Folglich muss die Vermittlung christlicher Werte der Reifung des „Ich“ einen vorrangig christlichen Charakter verleihen und damit zumindest den ersten Beitrag zur Ausprägung eines christlichen Gewissens leisten können.

Daher besteht die eigentliche Frage nach dem christlichen Gewissen zunächst einmal in den christlichen Werten, die einem Menschen in der Erziehung mit auf den Weg gegeben werden.

Zum einen zählen mit Sicherheit die Zehn Gebote zu diesen christlichen Werten, da sie als Gottes Forderungen an die Lebensart der Menschen angesehen werden und daher in der religiösen Ethik eine bedeutende Rolle einnehmen. Da dies aber nicht ausschließlich im Christentum der Fall ist, sondern ebenfalls im Judentum, gehen christliche Werte noch über die Zehn Gebote hinaus. Aus diesem Grund gehören zum anderen ganz besonders auch die Tugenden Glaube, Liebe und Hoffnung zu den Werten, die ein christliches Gewissen auszeichnen. Bei diesen Tugenden handelt es sich gegensätzlich zu den Zehn Geboten um ethische Leitsätze der Christen hinsichtlich ihres Verhaltens gegenüber ihrem Umfeld und nicht etwa um Vorschriften. Zudem basiert sozusagen die gesamte christliche Lehre auf diesen drei voneinander abhängigen Prinzipien, was ein weiteres Indiz für ihre herausragende Bedeutung in Bezug auch auf das christliche Gewissen ist. Denn von ihnen wird nicht nur in einer, sondern sogar in mehreren Bibelstellen geschrieben. „Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung und Liebe, diese drei, am größten jedoch unter ihnen ist die Liebe.“ (Paulus, 1 Kor 13,13), ist eine davon. Diesem Vers kann man darüber hinaus entnehmen, dass die Liebe die wohl bedeutendste Rolle unter ihnen einnimmt.

Während der Glaube den Menschen in keiner Lebenslage ohne Hoffnung lässt, welche ihm den Mut zur Überwindung auch sehr schwieriger Lebenslagen gibt, befähigt das Prinzip der Liebe ihn sowohl zur Liebe zu Gott und zu sich selbst, sowohl auch zur Nächstenliebe und zur Feindesliebe, die außerordentlich charakteristisch für die christliche Lehre erscheint. Eines der entscheidendsten Kriterien für ein christliches Gewissen lautet daher Nächsten- bzw. Feindesliebe.

5. Biblische Gewissensbetrachtung

Da es sich bei der Nächstenliebe auch um ein besonders wichtiges Thema der christlichen Lehre handelt, erweist es sich auch als äußerst sinnvoll, die Bibel zur weiteren Annährung an das christliche Gewissen hinzu zu ziehen.

Um einem Gewissen den Zusatz „christlich“ erst einmal überhaupt verleihen zu können, sollte ihm demnach zumindest die Goldene Regel „Alles, was ihr also von anderen erwartet, das tut auch ihnen! Darin besteht das Gesetz und die Propheten.“ (Mt 7,12) als eine Zusammenfassung jeglicher ethischen Moral zu Grunde liegen.

5.1 Das Gewissen in der Bibel – Altes Testament

Bei Betrachtung einiger alttestamentlicher Bibelverse wird jedoch deutlich, dass in ihnen keinerlei Fachausdrücke und auch keine exakte Definition für vertraute Gewissensvorstellungen vorhanden sind. Eine Erklärung hierfür mag die Tatsache sein, dass die Moral im Gegensatz zu dem Begriff „Gewissen“ eine wesentlich längere Existenz vorweisen kann. Dies zeigt, dass die biblische Gewissensauffassung an Erfahrung und Erkenntnis gebunden ist und aus diesem Grund werden bestimmte moralische Erfahrungen in der Bibel häufig metaphorisch dargestellt, und dies zwar in erster Linie dann, wenn von „Herz“ und „Nieren“ die Rede ist. Zur Veranschaulichung dienen einige Bibelverse des Alten Testaments, in denen dies zum Ausdruck kommt:

1. „Ich, der Herr, erforsche das Herz und prüfe die Nieren, um jedem zu vergelten, wie es sein Verhalten verdient, entsprechend der Frucht seiner Taten.“ (Jer 17,10).
2. „Denn das wird der Bund sein, den ich nach diesen Tagen mit dem Haus Israel schließe – Spruch des Herrn: Ich lege mein Gesetz in sie hinein und schreibe es auf ihr Herz. Ich werde ihr Gott sein und sie werden mein Volk sein.“ (Jer 31,33)
3. „Euer Herz aber bleibe ungeteilt beim Herrn, unserem Gott, sodass ihr seinen Gesetzen folgt und auf seine Gebote achtet, wie es heute geschieht. (1 Könige 8,61)

Anhand dieser Auszüge lassen sich nicht wenige Erkenntnisse über das Gewissen aus kirchlicher Sicht gewinnen. Zum einen geht daraus hervor, dass Gott sozusagen direkten Zugang zu dem Gewissen eines Menschen besitzt sowie auch gleichzeitig Einfluss auf dieses ausüben kann. Das alttestamentliche Bild des Herzens zeigt daher, dass die Vernunft des Menschen in gewisser Weise von Gott selbst ausgeht und angeregt wird.

5.2 Das Gewissen in der Bibel – Neues Testament

Im Gegensatz zu dem Alten Testament kommt der Gewissensbegriff im Neuen Testament durchaus vor. Trotzdem verwendet Jesus weiterhin den Ausdruck Herz, um von dem, was als Gewissen bezeichnet wird, zu sprechen. Dies kommt ganz besonders durch einen Teil seiner Seligpreisungen zur Geltung: „Selig, die ein reines Herz haben; denn sie werden Gott schauen.“ (Mt 5,8). Anhand dieses Verses lässt sich sehr eindeutig erkennen, dass „Herz“ anstelle von „Gewissen“ tritt, da der Ausdruck „reines Herz“ sofort in Verbindung mit der wesentlich geläufigeren Formulierung „reines Gewissen“ gebracht wird. Ein weiteres Beispiel, in dem Jesus in dieser Weise von dem Herzen spricht, findet sich im Lukas-Evangelium: „Ein guter Mensch bringt Gutes hervor, weil in seinem Herzen Gutes ist, und ein böser Mensch bringt Böses hervor, weil in seinem Herzen Böses ist. Wovon das Herz voll ist, davon spricht der Mund.“ (Lk 6,45).

Die Verwendung des Herzmotivs zeigt zwar, dass es einen Punkt im Menschen gibt, der zwischen gut und böse unterscheidet, jedoch wird an keiner Stelle eine innermenschliche prüfende Instanz beschrieben.

Die Vokabel „Gewissen“ an sich gebraucht erstmals Paulus und macht sie damit gleichzeitig zu einem Begriff der christlichen Theologie. Seiner Ansicht nach handelt es sich bei dem Gewissen allerdings nicht etwa um eine Instanz, welche dem eigenen Ich ethische Normen auferlegt, sondern um das Bewusstsein des eigenen Handelns bezüglich der existierenden Ansprüche für dieses. Auch hierfür gibt es einige Nachweise in der Bibel, in diesem Fall lassen sie sich in einigen Versen seiner Briefe finden, so zum Beispiel:

1. „Paulus schaute mit festem Blick auf den Hohen Rat und sagte: Brüder! Bis zum heutigen Tag lebe ich vor Gott mit völlig reinem Gewissen.“ (Apg 23,1)
2. „Ich sage in Christus die Wahrheit und lüge nicht und mein Gewissen bezeugt es mir im Heiligen Geist“ (Röm 9,1).

Mit Hilfe dieser Ausschnitte lässt sich erkennen, dass Paulus der Auffassung ist, dass das Gewissen erst im Verlaufe des Lebens eines Christen seine volle Bedeutung entfaltet, sofern er sowohl vom Glauben überzeugt ist als auch vom Heiligen Geist beeinflusst wird.

Dies wird auch in seiner folgenden Aussage deutlich: „Das Ziel der Unterweisung ist Liebe, aus reinem Herzen, gutem Gewissen und ungeheucheltem Glauben“. (1 Tim, 1,5). Dieser Vers stellt erstmals eine direkte Verbindung zwischen der christlichen Lehre und dem Gewissen her. Ihm kann man daher ganz eindeutig entnehmen, dass vor allem echte Liebe und wirklicher Glaube den Grundstein für ein Gewissen, das man wahrlich als christlich bezeichnen kann, legen.

6. Funktion des christlichen Gewissens

Bis hierhin ist lediglich der Charakter und die Grundlagen eines christlichen Gewissens erarbeitet worden, doch auch die Funktion eines solchen zählt des weiteren zu den interessanten Gesichtspunkten, da letztendlich auch diese allein für die Charakterzüge verantwortlich ist.

Dadurch dass Kant das Gewissen als „Bewusstsein eines inneren Gerichtshofes im Menschen“ (Metaphysik der Sitten, Tugendlehre §13, in Kant: Werke VII, 573) ansieht, stellt sich die Frage, wobei es sich bei diesem „inneren Gerichthof“ denn eigentlich handeln mag. Bereits die Betrachtung des christlichen Gewissens im Alten Testament führte zu dem Ergebnis, dass Gott Zugang zu dem menschlichen Gewissen besitzt, weshalb mit dem „inneren Gerichtshof“ dementsprechend Gott gemeint sein kann. Das Gewissen bildet daher ein Medium zwischen Gott und dem menschlichen Ich, wodurch die Spannung zwischen dem „Irdischen“ und dem „Überirdischen“ im Menschen selbst eine Verbindung findet. Weil sich hieraus eine Gewissensfunktion ableiten lässt, die dem Menschen Gott ins Bewusstsein ruft, kann man das Gewissen auch als eine „innere Stimme Gottes“ benennen, die dem Menschen sozusagen eine Hilfestellung bietet, indem sie versucht, ihm den richtigen Weg zu weisen.

Diese repräsentative Funktion des Gewissens bewirkt damit ein tatsächliches Mitwirken Gottes auf das Leben des jeweiligen Gewissensträgers, der sich entweder unbewusst oder womöglich sogar bewusst von ihm leiten lässt. Gott führt den Menschen demnach auch von innen her, und nicht etwa bloß von außen durch ein von ihm auferlegtes Gesetz und christlicher Lehre. Denn der Gottesgedanke an dieser Stelle zeigt, dass der Mensch nicht nur einem Fremdgesetz unterstellt ist, sondern auch vielmehr mit seiner eigenen Verantwortlichkeit in Konfrontation gerät, da er sich vor Gott gewissermaßen rechtfertigen können muss.

Diesen Tatsachen ist zu entnehmen, dass es zur Vollendung eines christlichen Gewissens gehört, dieses innerhalb eines gewissen Reifungsprozesses als „Stimme Gottes“ erfahren zu können. Ziel eines Christen ist es also, bedingungslos auf sein Innerstes hören und sich auf es verlassen zu können, da es mit der „Stimme Gottes“ völlig übereinstimmt und daher zwangsläufig zu der richtigen Entscheidung führt.

Die Religion übernimmt aus diesem Grund eine erhebliche Wirkung auf die innermenschliche Bewusstseinsinstanz, denn sie verstärkt die anerzogenen Werte und die gesellschaftliche Moral, die ein Mensch in seiner Erziehung und in seinem Lebensprozess erfahren hat, um ein weiteres.

7. Träger des christlichen Gewissens

Wie bereits aus der Einleitung hervorgeht, gibt es eigentlich keinerlei Zweifel daran, dass jeder Mensch ein Gewissen besitzt. In Anbetracht sowohl der heutigen als auch bereits historischen Zustände in der Welt erscheint dies aber keineswegs als selbstverständlich, denn dabei stellt sich die Frage, wie Menschen teilweise zu solchen grausamen Taten fähig sind.

Unter der Voraussetzung, dass tatsächlich alle Menschen über die Anlage eines Gewissens verfügen, kann die Ursache daher lediglich an der jeweiligen Ausprägung dieser Gewissensanlage liegen. Mit der Gewissensausprägung verhält es sich demnach in gleicher Weise wie mit anderen menschlichen Fähigkeiten auch, denn sie sind bei jedem Individuum unterschiedlich stark bzw. schwach herausgebildet. Denn das jeder Mensch ein einzigartiges Wesen darstellt, spiegelt sich auch in dessen Gewissen wider, so dass man sagen muss: „Jeder Mensch hat Gewissen, aber jeder Mensch hat ein persönliches Gewissen.“ Aus diesem Grund gibt es auf der einen Seite die Leute, die nachdenken, bevor sie etwas in die Tat umsetzen und sich auch über ihr eigenes Verhalten stets bewusst sind, aber auch auf der anderen Seite die Leute, die sich weniger Gedanken über Sachverhalte machen und ein dementsprechend weniger verantwortungsvolles Verhalten gegenüber ihrem Umfeld an den Tag legen. Bei den zuletzt Genannten liegt es daher wahrscheinlich auch nahe, anzunehmen, dass sie eine ziemlich hohe Neigung dazu haben, sich auch der Existenz ihres Gewissens nicht bewusst zu sein und sich damit ihrer eigenen Verantwortlichkeit zu entziehen. Da sie damit aber versuchen ihr Gewissen zu verdängen, es quasi abzustellen und es für gleichgültig zu erklären, begehen sie im gleichen Zug aber eine bewusste Handlung. Denn kein Mensch tendiert von Natur aus dazu, sich seiner inneren und instinktiven Stimme zu widersetzen, weshalb es sich dabei um eine beabsichtigte Entscheidung handeln muss. Aufgrund der Entwicklung unserer heutigen Lebensweise wird das Potenzial zu einer solchen „Abschaltung“ des Gewissens auch vermutlich um ein weiteres erhöht, weswegen die Zahl der gedankenlosen und gewaltsamen Geschöpfe auf der Welt augenscheinlich zunimmt.

Unsere gegenwärtige Gesellschaft zielt nämlich immer mehr darauf hin, jedem Individuum seine absolute Unabhängigkeit und Autonomie zu vermitteln und ihm einzugeben, dass es damit in der Lage sei, jegliche Situation zu beherrschen und unter Kontrolle haben zu können. Wer jedoch chronisch seine innere Stimme anfechtet, geht auf Dauer gesehen das Risiko ein, seine ihn eigentlich schützenden Grenzen zu überschreiten und so auf einen Weg zu gelangen, der ihn in eine Sackgasse führt, von dem aus es also kein Zurück mehr gibt.

Auf diese Weise können daher Menschen entstehen, die von Grund auf schlecht und verdorben erscheinen, da sogar ihr Innerstes durch permanente Verdrängung seine Wirkung und Funktionsfähigkeit verloren hat. Falls alle Lebewesen durch eine solche Gewissenlosigkeit bestechen würden, wäre unser Leben jedoch wahrscheinlich kein menschliches mehr und könnte daher auch nicht weiterhin als menschenwürdig benannt werden.

Mit der Kernfrage meiner Arbeit, ob jeder Christ auch zwangsläufig über ein christliches Gewissen verfügt, verhält es sich meiner Meinung nach ganz ähnlich. Bei vielen Christen ist das Bewusstsein ihrer Religion nämlich offenbar gleichfalls in Vergessenheit geraten. Dies wird schon allein durch die Tatsache, dass ein nicht gerade kleiner Teil wenn überhaupt nur wenig mit der Lehre des Christentums vertraut ist, deutlich. Wenn dies der Fall sein sollte, ist es einem Menschen demnach auch nicht möglich, sich bei seinen Entscheidungen wissentlich an christlichen Maßstäben zu orientieren. Doch betont sei das Wort „wissentlich“ – denn ich bin der Meinung, dass viele Menschen – unter ihnen auch Nichtchristen – häufig schlicht instinktiv christlich handeln. Denn es benötigt nicht immer notgedrungen das Wissen um etwas, um es in die Tat umsetzen zu können. Es können durchaus Menschen existieren, die sich ihrer Umwelt gegenüber außerordentlich hilfsbereit und nächstenliebend verhalten, ohne sich jedoch darüber im Klaren zu sein, dass sie damit versuchen, christliche Maxime zu praktizieren. Sie nehmen daher ihre innerliche Stimme Gottes nicht nur wahr, sondern folgen ihr ebenfalls, ohne jedoch über sein Gebot aufgeklärt zu sein. Derartige Personen sind zwar bezüglich ihres Handelns außerordentlich vorbildlich, aber trotzdem verfügen sie allein über christliche Wesenszüge, und nicht etwa über ein christliches Gewissen.

Denn man darf auch bei der Definierung des Gewissens als innere Stimme nicht vergessen, dass mit dem Begriff auch stets ein Erkenntnisorgan – welches also Wissen voraussetzt, das bei solchen Menschen aufgrund ihrer nur unbewussten Handlung nicht vorhanden ist – bezeichnet wird. Diese Tatsache zeigt aber auch, dass ein reines christliches Gewissen nicht ausnahmslos Bedingung für einen guten Menschen sein muss.

Völlig entgegengesetzt gibt es meiner bisherigen Erfahrung nach allerdings auch solche Leute, die sich sehr wohl mit dem Glauben auskennen – was sich zum Beispiel darin zeigt, dass sie den sonntäglichen Kirchengang niemals in ihrer Planung vergessen würden – , aber mit ihren Mitmenschen dennoch nicht demzufolge umgehen. Diesbezüglich empfinde ich die bereits von mir an anderer Stelle aufgeführte Feststellung des Apostels Paulus „Das Ziel der Unterweisung ist Liebe aus reinem Herzen, gutem Gewissen und ungeheucheltem Glauben“ (1 Tim 1,5) unheimlich zutreffend. Denn Menschen, die sich zwar der Lehre bewusst sind, aber in der Realität von ihr Abstand nehmen und sie nicht ausüben, weisen bloß einen geheuchelten Glauben auf und somit auch weder ein „reines Herz“ noch ein „gutes Gewissen“. Bei Ebensolchen ist es von daher ziemlich eindeutig, dass sie ferner auch kein christliches Gewissen vorweisen können.

Diese Betrachtung macht für mich deutlich, dass man Menschen in Bezug auf ihr Gewissen nicht bloß in Gläubige und Nichtgläubige unterteilen, sondern auch zwischen Christen differenzieren muss, und zwar zwischen sozusagen rein „formalen“ Christen, „unwissentlich echten“ und „echten“ Christen. Dabei verfügen nur die „echten“ Christen auch über ein christliches Gewissen, wobei allerdings sowohl „unwissentlich echte“ Christen als auch Nichtgläubige zumindest wesentlich mehr Charakterzüge eines christlichen Gewissen in sich vereinbaren können als die „formalen“ Christen.

Aus diesem Grund mag es für sie auch einfacher erscheinen, behaupten zu können, „mit ihrem Gewissen im Reinen zu sein“. Meiner Meinung nach ist nämlich genau dieses ein sehr entscheidender Punkt. Selbst Paulus sagte: „Deshalb bemühe auch ich mich, vor Gott und den Menschen immer ein reines Gewissen zu haben.“ (Apg 24,16).

Denn das oft sprichwörtlich gebrauchte „reine Gewissen“ ist im Prinzip das eigentliche Ziel aller Gewissensentscheidungen. Insofern ist es abschließend noch interessant, herauszustellen, was es denn eigentlich mit dem so häufig verwendeten Ausdruck des reinen Gewissens auf sich hat.

8. Kennzeichen eines reinen Gewissens

„Ein gutes Gewissen ist ein sanftes Ruhekissen“. Dieser metaphorische Spruch, mit dem man in früheren Zeiten Kopfkissen zierte, bringt die Bedeutung eines reinen Gewissens für den Menschen eigentlich bereits auf den Punkt. Auch der von Paulus verfasste Ausspruch „Alles, was nicht aus Überzeugung geschieht, ist Sünde.“ (Röm 14,23) zielt in dieselbe Richtung. Denn demnach ist es notwendig für ein unbeschwertes und sorgenfreies Leben, in dem man mit sich selbst im Gleichgewicht ist. Der Weg dorthin allerdings erscheint für die meisten Menschen wahrscheinlich alles andere als erholsam und entspannt. Vielmehr mag er des öfteren mit einigen Turbulenzen und Komplikationen verbunden sein, denn um mit seinem Gewissen im Reinen zu sein, bedarf es einer ihm entsprechenden Handlung. Doch diese Handlung entspricht nicht auch zwangsläufig zugleich der Einsicht von Mitmenschen. Da jeder ein individuelles Gewissen und dementsprechend auch unterschiedlich ausgeprägte Wertevorstellungen besitzt, kommt es in einer Gesellschaft nicht selten zu voneinander völlig abweichenden Einstellungen. Entscheidend dabei ist es aber vor allem, seine jeweilige Auffassung vor anderen vertreten und verantworten zu können, so dass man letztendlich zumindest die Einsicht – wenn auch nicht unbedingt die absolute Zustimmung – von Menschen, die einem besonders nahe stehen, gewinnen kann. Weil vermutlich kein durchschnittliches menschliches Wesen fähig dazu ist, ganz alleine zu wissen, was im Einzelfall richtig und falsch ist, benötigt es nämlich auch hin und wieder die Unterstützung und Hilfe von anderen. Falls man in der Lage ist, all diese Voraussetzungen zu erfüllen und darüber hinaus bei seinen Entscheidungen keine Grenzen zu überschreiten, steht der Behauptung „ein reines Gewissen zu haben“ eigentlich nichts mehr im Wege.

9. Zusammenfassung der Ergebnisse

Meine Untersuchungen haben gezeigt, dass sich das christliche Gewissen als ein Heiligtum des Menschen charakterisieren lässt, welches im Gegensatz zu dem nichtreligiöser Menschen vom Glauben geprägt wird, und daher sozusagen eine vollkommen auf Gott ausgerichtete Leitlinie darstellt. Wie jedes andere persönliche Gewissen auch, ist es nicht von Natur aus gegeben, sondern von Geburt an lediglich als Anlage, die im Laufe des Lebens ausgeprägt werden muss, vorhanden. Diese Ausbildung erfolgt in erster Linie mithilfe einer Erziehung, durch die christliche Werte vermittelt werden und ihr Ziel liegt darin, dass es mit der Zeit als Stimme Gottes im Menschen erfahren werden kann. Bei einem gut ausgeprägten christlichen Gewissen handelt es sich daher nicht um eine bloße Umsetzungsanstalt allgemeingültiger Normen, sondern um die Würde eines Christen, welche unbedingt als völlige Totalität respektiert werden sollte. Darüber hinaus genügt nicht die Tatsache allein, Anhänger des Christentums zu sein, um über ein dementsprechendes Gewissen zu verfügen, sondern vielmehr die tatsächliche Glaubensüberzeugung ist entscheidend.

Deshalb komme ich abschließend zu dem Ergebnis, dass es sich bei dem christlichen Gewissen um einen Indikator für den wahrhaftig christlichen Glauben handelt.

[...]


1 Immanuel Kant: Jeder Mensch hat Gewissen; aus: Lesehefte Ethik Gewissen

2 aus: Gewissen, Lexikon der Psychologie

1 aus: Lesehefte Ethik Gewissen

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Gewissensbetrachtung im Christentum - Charakter und Besonderheiten des christlichen Gewissens
Hochschule
Real Centro Universitario Maria Cristina
Note
2+
Autor
Jahr
2006
Seiten
20
Katalognummer
V110423
ISBN (eBook)
9783640085965
Dateigröße
557 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Gewissensbetrachtung, Christentum, Charakter, Besonderheiten, Gewissens
Arbeit zitieren
Bianca Janßen (Autor:in), 2006, Gewissensbetrachtung im Christentum - Charakter und Besonderheiten des christlichen Gewissens, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/110423

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