Der Ismus - linguistisch betrachtet. Eine humoristisch-linguistische Überlegung zur Verwendung einer missbrauchten Suffixendung


Essay, 2006

6 Seiten

Anonym


Leseprobe


Essay

Der Ismus – linguistisch betrachtet

Er ist es, vor dem man uns alle schon in der Grundschule warnt, denn er ist gefährlich.

Irgendwann, wenn kleine Menschen auf Schulbänken ihren Spracherwerb komplettieren, stoßen sie auf diese seltsamen Wörter und lernen: Ihre Funktion ist es, schlechte Dinge zu bezeichnen.

Ihre Bedeutung ist die Referenz auf schlechte Ideen und manche behaupten, sie allein trügen die Schuld daran, dass die Welt so schlecht ist, wie sie ist und man hüte sich vor ihnen und den Trägern ihrer Attribute.

Ich rede vom Ismus und seinen Isten, die - in welcher Weise auch immer, aber in jedem Fall - istisch unsere Welt beherrschen.

Unlängst las ich – und dies brachte mich dazu, eine Lanze für die Ismen zu brechen – in der Zeit, dass es eben die Ismen seien, die Ideologien prägen würden.

Nicht, dass es vielleicht umgekehrt sein könnte? Natürlich nicht! Wieder einmal die Ismen, die schuldig sind!

Es gibt Forschungsgruppen wie die der Universität Graz, die sich mit der Rolle der Ismen und ihrer speziellen Logik beschäftigen. Ganze Expertenteams erforschen den Ismus. In Graz wie auch anderswo tun sie dies mit dem Schwerpunkt, theoretische und methodologische Diskussion der Begriffe Weltanschauung, Weltbild und Ideologie (in Abgrenzung zu Wissenschaft) sowie die Auseinandersetzung mit entsprechenden geistigen Strömungen und Tendenzen der Jahrhundertwende anhand zeitgenössischer Quellentexte zu führen.

An anderer Stelle las ich heute in einem Forum diesen Satz: „Der Geist wird eingestellt, fixiert, polarisiert. Schalte einen Ismus ein, und jeder noch so friedfertige Mensch wird zum lebenden Rammbock.“

Dies zeigt doch, wie brisant der Ismus ist. Etwas pauschal ausgedrückt stimmt doch jeder zu, dass der Ismus nichts Gutes bringt. Denken Sie nur mal an den Nationalsozialismus oder den Terrorismus.

Vielleicht kennen Sie den US-Spielfilm „Ferris macht blau“, eine Komödie aus den 80er Jahren mit Mathew Broderick und Jennifer Grey. Dort ist zu hören: „Nicht dass ich Faschismus toll finde, oder irgendeinen anderen Ismus. Ismen sind meiner Meinung nach schlecht. Man sollte nicht an Ismen glauben. Man sollte an sich selbst glauben. John Lennon sagte zu seinem ersten Soloalbum: »Ich glaube nicht an die Beatles, ich glaube nur an mich selbst«. Beispiele dieser Art ließen sich noch beliebig fortführen, der Tenor ist immer der selbe.

Woran liegt es, dass ausgerechnet der arme Ismus zum sprachlichen Übeltäter geworden ist?

Linguistisch (also durch eine Istik, die dem Ismus nahe verwandt ist[1] ) betrachtet sind Ismen doch nichts weiter als Suffixe, als Wortanhängsel der abstrakten Art. Was unterscheidet sie aber von anderen Suffixen, wie den Keiten etwa? Nun das Problem der Ismen liegt in ihrem Gebrauch.

Der Ismus bezeichnet ein Abstraktum, oft ein Glaubenssystem, eine Ideologie oder eine geistige Strömung in Geschichte, Wissenschaft oder Kunst. Er kann sowohl an Substantive angefügt werden als auch an Adjektive, wodurch dann gleichzeitig neue istische Adjektive entstehen.

Da die Ismen häufig ein Kollektiv von Anhängern einer Bewegung bezeichnen, wird diese Form von Adjektiven häufig auch abwertend oder aufwertend als Zeichen der Gruppenzugehörigkeit verwendet, um sich von etwas zu distanzieren oder sich mit etwas zu identifizieren. Und hier erhält der Ismus seine negative Konnotation.

Es ist oft eine bestimmte Dogmatik (ja fast schon ein Dogmatismus), die sich der armen Ismen bedient.

Geisteshaltungen bekommen durch die Ismen Züge von wissenschaftlicher Methodik und erwecken allzu oft den Anschein, überprüfbar und richtig zu sein. Sie sind es oft nicht, wie der Nationalsozialismus eindrucksvoll bewiesen haben sollte.

Aber sind Ismen aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu Ideologien und dieser korrelativen Funktion denn immer gefährlich? Sind es denn nur die Ismen, die schlimme und grausame Adjektive bilden? Wer hat nicht schon die pauschale Abwertung dieser wichtigen und an sich doch so harmlosen Wörter gehört: „Ismen sind schlecht!“?

Ich sage: Nicht die Ismen sind schlecht, ihre Benutzer sind es, wenn von schlechten Ismen die Rede ist. Was stattfindet ist eine sprachliche Vergewaltigung der Ismen. Und die können sich nicht wehren. Das nennt man dann wohl Fatalismus und Sieg der Sprecher über die Suffixe.

Die bösen Sprecher besetzten einfach einen Teil der Wörter und nutzen sie für ihre Zwecke. Klassischer Imperialismus auf sprachlichem Territorium!

Ich ermahne, diese Dinge kritisch, gar kritizistisch zu betrachten.

Man ist ja schon fast geneigt zuzustimmen, dass der Ismus böse ist, wenn man sich die wichtigsten Ismen anschaut.

Es ist der Egoismus vielleicht auch der Narzismus, der eine Gesellschaft voller Singles hervorgebracht hat. Ohne den Kapitalismus gäbe es vielleicht mehr soziale Gerechtigkeit, doch hüte man sich auch vor dem Sozialismus, denn auch er ist nicht vollkommen. Gescheitert auch der Marxismus, auch er ist nicht perfekt.

In unserer Zeit und mit unserer Geschichte im deutsch-deutschen Rucksack wage man auch bitte nicht, einem allzu starken Nationalismus zu verfallen. Was für den Amerikaner noch gut, ist dem Deutschen schon ein schlechtes Attribut.

Konservatismus, ja damit kann man schon eher leben. Aber bitte auch nur in Maßen. Wie natürlich alles in Maßen sein muss. Die Gefahr des Radikalismus besteht gänzlich immer und muss gebannt werden. Die Vergangenheit hat uns gezeigt, was passiert, wenn wir unsere Ismen nicht im Griff haben; der Nationalsozialismus und seine Auslebung des Rassismus mit Mitteln des Faschismus war die Folge. Millionen Tote waren Folge des Antisemitismus.

In der neueren Geschichte ist es der Terrorismus, der vor nichts Halt zu machen scheint und dessen einzige Lösung der Militarismus zu sein scheint.

Es war religiöser Fanatismus, ja gar islamischer Extremismus, der am 11. September die Welt bis heute erschütterte.

Alles in allem scheint heute bei all dem Pessimismus nur der Zynismus noch zu wirken.

Der Islamismus kämpft, so lesen wir, gegen den Kapitalismus, gegen westlichen Theismus und gegen den vermeintlichen Absolutismus der westlichen Welt. Gerechtfertigt wird er durch den Fundamentalismus, er baut dabei ganz entscheidend auf den Aktivismus.

So viel Schlechtes und immer wieder der Ismus, der sich hier mit dem damit verbindet.

Also schaffen wir den Ismus ab. Zu diesem Ergebnis kam – man höre und staune – im Jahr 2003 die renommierte Tageszeitung Die Zeit, als sie am 25.8.2003 folgendes online veröffentlichte: „… [D]as wäre doch das wahre Ziel jeder (auch politischen) Aufklärung: Der Verzicht auf jeden „-Ismus“. Denn der „Ismus“ ist es doch, der eine vernünftige Idee ins Unvernünftige übertreibt. Wie im Fundamentalismus.“

Ausgangspunkt für diese kühne Forderung nach der Abschaffung der Ismen war die Aussage des Grünenpolitikers Wolfgang Thierse, der einen demokratischen Sozialismus forderte, obwohl doch der „echte“ Sozialismus bereits nicht mehr bestanden hat.

Die Zeit rügte dies, weil hier eine Ideologie eines humanen Sozialismus vertreten wurde, die überhaupt nicht mehr zeitgemäß war. Stattdessen sollte man – unter Auslassung von Ismen – eher eine Demokratie fordern. „Denn wenn der undemokratische Sozialismus dahin ist, was soll dann vergleichsweise besser sein am demokratischen Sozialismus?“, so die Zeit. Und sie hat ja Recht. Nur was können denn die Ismen dafür? Soll man also den entsprechenden Politikern den Gebrauch der Ismen verbieten? Das ginge vielleicht, aber was Die Zeit nun fordert ist – linguistisch betrachtet – haarsträubend: „Weshalb eigentlich „Sozialismus“ – und nicht gleich „Demokratie“. Also: Soziale Demokratie – oder eben: Sozialdemokratisch! Der einzige Nachteil: Dann hat man keinen „-Ismus“ mehr und auch keine Ideologie.“.

Ideologie – ob gut oder schlecht – braucht, ja fordert gar den Ismus? Ist es das, was uns der Autor sagen möchte? Soll das denn heißen, dass es ein Bedeutungsäquivalent zwischen (meist negativer) Ideologie und Ismen gibt? Und würde es denn dann nicht bedeuten, dass das Vermeiden der Ismen dazu führen würde, dass Ideologien untergehen oder gar nicht erst entstehen können? Hätte es geholfen, wenn der Dudenverlag im dritten Reich die Ismen aus den Büchern und aus den Köpfen gelöscht hätte? Kein Ismus, also auch kein Nationalsozialismus, kein Antisemitismus, kein Antijudaismus und kein Militarismus? Und wenn kein Ismus, dann ja auch keine dem Ismus immanente Ideologie, oder?

Also stimmt es doch, dass der Ismus am Übel der Welt Schuld ist. Es scheint, folgt man der Argumentation der Zeit, bewiesen!

Führer dieser Welt, Hände weg vom Ismus, damit die Welt nicht untergeht. Ideen, ja! Gute Ideen sowieso! Aber kommt der Ismus ins Spiel, so wird daraus direkt etwas Unvernünftiges und Übertriebenes.

Was ich hier so überspitzt kritisiere ist, dass oft so leichtfertig mit den Wörtern umgegangen wird und tendenziell immer auf den Ismen herumgehackt wird. Dies liegt daran, dass es eine starke Neigung zur Verallgemeinerung gibt, unter der die Existenzgrundlage der Ismen ganz besonders zu leiden hat.

Ist es denn nicht eher so, dass ein Ismus immer ein harmloser Ismus ist, solange er keinen Rückhalt bei den Menschen findet? Ist es nicht der Mensch, der den Wörtern ihre Bedeutung – nach Wittgenstein - durch den Gebrauch der Wörter in einer Sprache gibt? Und sind es nicht eher ein epistemische Parameter in der Regel des Gebrauchs der istischen Wörter, die dem Ismus seine Bedeutung geben.

Linguistisch betrachtet ist es doch nur eine Substantivierung, wenn aus sozial plötzlich Sozialismus und dann durch Zusammenziehung von sozial und national in der Substantivierung der Nationalsozialismus wird. Natürlich liegen diesen Nomen in aller Regel oft Adjektive zu Grunde und die sind doch oft idealistisch geprägt. Aber halt nicht immer!

Denn was ist denn so schlimm am Vegismus als neue Form der gesunden Ernährung? Was ist einzuwenden gegen sozialen Aktivismus, wenn man sich ohne finanziellen Anreiz für eine gemeinnützige Sache einsetzt? Schreien nicht alle nach einem Antifanatismus, gerade heute?

Streben nicht unsere Kultusminister seit Jahren an, dass es schon in der Grundschule eine Erziehung zum Bi- oder Multilinguismus geben soll? Soll man jemanden verurteilen, weil er nicht dem Katholizismus (auch schlecht?) sondern dem Buddhismus zugetan ist? Und wären wir nicht längst schon ausgestorben, gäbe es keinen Metabolismus?

Vieles in unserem Leben wäre ohne die Ismen nicht denkbar und erst recht nicht wünschenswert. Machen wir doch die Ismen zu guten Wörtern, indem wir sie einfach nicht für negative Zwecke missbrauchen und lernen mit Ihnen umzugehen. Damit in Zukunft niemand mehr behauptet: „Ismen sind schlechte Wörter!“.

[...]


[1] Die beiden aus dem Griechischen stammenden Endungen -ismus (latinisiert, ursprünglich -ισμός, ismós, substantivisch) und -istik (-ιστική, adjektivisch) werden oft gleichwertig gebraucht (Tourismus/Touristik). Doch weisen die Wörter, die auf -ismus enden, mehr auf eine Tendenz, Richtung oder Geisteshaltung hin, während sich die Wörter auf -istik mehr auf die Erscheinung und die Äußerungsform beziehen (Realismus/Realistik).

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Details

Titel
Der Ismus - linguistisch betrachtet. Eine humoristisch-linguistische Überlegung zur Verwendung einer missbrauchten Suffixendung
Jahr
2006
Seiten
6
Katalognummer
V110513
ISBN (eBook)
9783640086818
ISBN (Buch)
9783640492015
Dateigröße
462 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Ismus, Eine, Verwendung, Suffixendung
Arbeit zitieren
Anonym, 2006, Der Ismus - linguistisch betrachtet. Eine humoristisch-linguistische Überlegung zur Verwendung einer missbrauchten Suffixendung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/110513

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