Normative Grundlagen der Medienethik


Hausarbeit (Hauptseminar), 2005

39 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhalt

1.Warum normative Grundlagen?

2.Gesetze, Kodizes und weitere Normen
2.1.Definition einer „normativen Grundlage der Medienethik“
2.2.Eine offene Typisierung
2.3.Gesetze und Presserecht
2.4.Kodizes

3.Vergleich von Kodex und Recht
3.1.Grundlage für den Vergleich
3.2.Zerlegung der Normen-Geflechte und Vergleich der einzelnen Normen
3.3.Exklusive Normen des deutschen Pressekodex

4.Zusammenfassung

5.Anhang
5.1. Anhang A: Normen des Pressekodex
5.2. Anhang B: Normen der Pressegesetze

6. Literatur

1. Warum normative Grundlagen?

„Für den Journalismus bedeutet Ethik die Frage nach dem journalistisch Richtigen und Guten. Entscheidend sind dabei auch die Funktionen, die den Massenmedien innerhalb einer Gesellschaft zugeschrieben werden. In Demokratien hat der Journalismus eine öffentliche Aufgabe. Er soll zu Angelegenheiten von öffentli- chem Interesse Nachrichten beschaffen und verbreiten, dazu Stellung nehmen und Kritik üben ...“ (Kunczik & Zipfel, 2001, S. 198).

Mit diesen Worten sollte eigentlich jedem Journalisten klar sein, was er in seinem Job zu tun hat. Warum also über Normen im Journalismus diskutieren?

Abseits theoretischer Idealvorstellungen kennt der Journalismus eine Fülle von Zielen und Re- striktionen. Nicht nur, dass bei der oben genannten „Beschaffung von Nachrichten“ die Grundrechte anderer Menschen beachten werden müssen, nein sogar für die Finanzierung einer Publikation muss der Journalismus selbst sorgen. Und zu allem Überfluss besteht noch eine Diskrepanz zwischen dem „öffentlichen Interesse“ (aus einer demokratietheoretischen Perspektive kann dies nur Politik sein) und den tatsächlichen Interessen des Publikums.

Damit Medienakteure die „öffentliche Aufgabe“ trotz des täglichen Geschäfts erfüllen – und der Gesellschaft bzw. deren Mitgliedern dabei möglichst wenig schaden – existieren Gesetze und Kodizes: Pakete von Handlungsnormen, teilweise sogar mit einer Begründung dieser Nor- men. Solche teils verbindlichen „normativen Grundlagen“ sind Steuerungsinstrumente der Gesellschaft gegenüber den Medien und zugleich der erste Ansatzpunkt einer theoretischen Diskussion über Medienethik.

Allerdings muss bei dieser Diskussion stets bewusst sein, dass ihr Gegenstand nicht die Mo- ralvorstellungen von Medienakteuren sind. Vielmehr werden schriftlich fixierte Handlungsan- weisungen (Normen) diskutiert, die im Idealfall in die Moralvorstellungen der Medienakteure einfließen (vgl. Abbildung 1). Innerhalb dieser Normen wird wiederum nur ein kleiner Teil gesellschaftlicher Moralvorstellungen betrachtet. Nämlich jener Ausschnitt, der nur für Medi- en gilt und für andere Organisationen oder Privatpersonen kaum oder keine Bedeutung hat.

Darüber hinaus beschränkt sich diese Arbeit auf die gedruckte Presse. Zum einen, weil hier ein sehr elaborierter Kodex entwickelt wurde. Zum anderen wegen der Verbindung von Zeitung und Journalismus, denn Medienethik, das ist inhaltlich vor allem Journalismus-Ethik.

Abbildung 1: Einordnung normativer Grundlagen in die Moral eines Medienakteurs

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Die (Gesamt-)Moral eines Medienakteurs (gestrichelte „Wolke“) wird von unzähligen normativen Grundlagen geprägt, dar- unter allgemeine Moralvorstellungen der Gesellschaft (gepunktete Umrisse), z.B. allgemeine Gesetze, „die 10 Gebote“, medi- al vermittelte Rollenbilder, etc. Für Mitarbeiter einer Organisation gelten darüber hinaus organisationsspezifische berufliche Normen (ebenfalls gepunktet), wie z.B. ein Arbeitsvertrag oder die Wertvorstellungen der Kollegen.

Für Medienakteure gelten weitere „medienspezifische normative Grundlagen“ (durchgezogen umrissen), wie Mediengesetze, Kodizes des Berufsstands oder Forderungen der Politik.

All diese normativen Grundlagen können durch die einzelnen Normen und Werte beschrieben werden, die sie umfassen (in der Abbildung sind beispielhaft einzelne Werte eingetragen). Dabei kann es zu Überschneidungen kommen – und ebenso kann der Medienakteur eine normative Grundlage auch nur teilweise akzeptieren.

In dieser Arbeit werden die normativen Grundlagen der Medienethik zunächst grob katego- risiert, wichtige „Normen-Pakete“ beschrieben und anschließend zwei typische Vertreter ver- glichen: der deutsche Pressekodex und das deutsche Presserecht. Im Folgenden soll kurz der Begriff „normativer Grundlagen“ umrissen werden, um im Anschluss daran näher auf deren verschiedene Typen einzugehen.

2. Gesetze, Kodizes und weitere Normen

2.1. Definition einer „normativen Grundlage der Medienethik“

Eine Norm ist eine Verhaltensregel, die innerhalb einer Gemeinschaft entsteht und von dieser weitgehend akzeptiert wird. Sie macht eine Aussage über richtiges und falsches Verhalten. In Sinne von Medienethik ist eine Norm also eine Aussage über das richtige Handeln eines (Me- dien-)Akteurs im Kontext seiner professionellen Medien-Tätigkeit. Für die Betrachtung ist eine Beschränkung auf jene Normen sinnvoll, die ausschließlich (oder zumindest überwie- gend) auf Medienschaffende bzw. deren berufliche Tätigkeit anzuwenden sind1.

Allerdings sind bei weitem nicht alle Normen, welche die obigen Voraussetzungen erfüllen, der Ethik zuzurechnen. Das Bayerische Pressegesetz (BayPrG) verpflichtet die Presse in Arti- kel 3(2) beispielsweise „zu wahrheitsgemäßer Berichterstattung“ – sicherlich eine hoch mo- ralische Anforderung. In Artikel 5 hingegen heißt es: „Bei jeder Zeitung muss mindestens ein verantwortlicher Redakteur bestellt werden.“ Damit wird ebenfalls eine Aussage über das richtige Verhalten eines Medienschaffenden – in diesem Fall eines Verlegers – getroffen. Doch das moralisches Element scheint hier zu fehlen.

Eine exakte Abgrenzung moralischer und nicht-moralischer Normen kann hier nicht gegeben werden. Doch ein Kriterium, welches den moralischen Gehalt einer Norm beeinflusst ist si- cher ihr Konfliktgehalt. Die Bestellung eines verantwortlichen Redakteurs oder die Pflicht zum Impressum (z.B. BayPrG, Art. 7) schränkt die Arbeit eines Journalisten nicht ein – zu- mindest so lange er sich im Rahmen geltenden Rechts bewegt. Eine Gegendarstellung (Art. 10) hingegen kann das Ansehen der Publikation beeinträchtigen und die „Kennzeichnung ent- geltlicher Veröffentlichen“ (Art. 9) kann den Interessen eines werbetreibenden Kunden widerstreben. Insgesamt scheint es so, dass die Wahrnehmung des moralischen Anspruchs einer Norm eng damit zusammenhängt, wie sehr sie mit opportunistischen individuellen oder partiellen Interessen konkurriert.

Mit der Frage, wo diese normativen Grundlagen – also die Normen – zu finden sind, setzt sich der folgende Abschnitt auseinander.

2.2. Eine offene Typisierung

Heinz Pürer (1996, S. 369-371) unterscheidet drei Kategorien von normativen Grundlagen: Kommunikationsgrundrechte (sanktioniert durch das Bundesverfassungsgericht), das Recht der Massenmedien (sanktioniert durch Gerichte) sowie Pressekodizes und Berufsgrundsätze (sanktioniert und entwickelt durch Presseräte).

Es liegt im Auge des Betrachters, ob die normativen Grundlagen durch Gesetzen und Kodizes vollständig beschrieben sind. Die oben angebotene Definition bindet Medien-Normen nämlich nicht an eine schriftliche Fixierung. Informelle Verhaltensnormen (Traditionen) können ge- nauso wichtig sein wie Standard-Klauseln in den Arbeitsverträgen von Journalisten. Und selbst außerhalb des eigentlichen Mediensystems wird man fündig: So erklären Forscher und Philosophen, wie sich ein Journalist korrekt zu verhalten habe (z.B. Stolte, 1996), Universitä- ten verleihen Preise für vorbildliche journalistische Arbeit2 und Interessenverbände aus Poli- tik, Kultur und Wirtschaft stellen stetig Forderungen an Form und Inhalte von Medienproduk- ten: So forderte z.B. der ehemalige Bundespräsident Rau in einer Rede vom 05.06.2004 die ökonomische Unabhängigkeit von Journalisten sowie das Unterlassen von Manipulation im Interesse eigener politischer Interessen3. Der Vorsitzende der deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Lehmann, als weiteres Beispiel, fordert in einem Pressegespräch vom 4.10.2004, dass Journalisten auch über Menschen in der zweiten Reihe berichten sollten4.

Die Akzeptanz solcher Forderungen muss im Einzelfall untersucht werden, denn erst durch Akzeptanz wird solch eine Forderung zur „Norm“. Doch insgesamt stellt es sich so dar, dass parallel zu formalisiertem Recht und Kodizes noch ein Feld informeller medienethischer Nor- men existiert. Da diese aber über verschiedenste Quellen verstreut sind, häufig nicht in Schrift fixiert wurden oder der Gesellschaft gar nicht bewusst sind, können sie bislang wissenschaft- lich kaum untersucht werden.

Die nähere Betrachtung normativer Grundlagen wird somit auf auf zwei Bereiche verkürzt: Gesetze (Grundgesetz sowie das Recht der Massenmedien) und Kodizes. Diese sollen im Folgenden kurz umrissen werden.

2.3. Gesetze und Presserecht

Frank G. Fechner (2001) gibt einen Überblick über das Medienrecht. Das ist insofern sehr nützlich als das Medienrecht kein einheitliches Rechtsgebiet ist (S. 5). Es setzt sich vielmehr

aus den medienrelevanten Rechtssätzen einer Vielzahl unterschiedlicher Gesetze zusammen. Für die Presse in Deutschland sind dies:

- Grundrechte
- Kommunikation- und Persönlichkeitsgrundrechte im Grundgesetz (Art. 5, 1 und 2 GG)
- Rechte in den jeweiligen Länderverfassungen – als Beispiel im Folgenden die Baye- rische Verfassung (BayV)
- Landespressegesetze5 – am Beispiel des Bayerischen Pressegesetzes (BayPrG)
- Urheberrecht (UrhG und Kunsturheberrechtsgesetz KUG)
- Jugendschutzgesetz (JuSchG)6 in Verbindung mit dem „Staatsvertrag über den Schutz der Menschenwürde und den Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien“ (JMStV)

Darüber hinaus sind der Tendenzschutz (§ 118 BetrVG) sowie das europäische Recht zu nennen. Allerdings bezieht sich der Tendenzschutz auf die betriebliche Mitbestimmung und ist kaum als moralischer Anspruch zu verstehen. Und das Europarecht bezieht sich vor allem auf wirtschaftliche Sachverhalte und ist deshalb ebenfalls nicht als normative Grundlage im Sinne einer Medienethik zu sehen.

Häufige Anwendung gegenüber Medienschaffenden finden allgemeine Gesetze des Strafge- setzbuchs (StGB) oder des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB). Als Beispiele wären die Beleidi- gung (§§ 185-200 StGB) oder ein Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch (§ 1004 BGB)

z.B. begründet durch „Schmähkritik“ zu nennen. Allerdings handelt es sich hier gerade nicht um medienspezifische Gesetze. Die spezielle Wirkung dieser allgemeinen Gesetze entsteht erst durch Urteile des Bundesverfassungsgerichts und in Verbindung mit dem Grundgesetz7.

Die Struktur der Presse wurde im Gegensatz zur Struktur des Rundfunks kaum durch das Bundesverfassungsgericht beeinflusst. Die Entscheidungen hinsichtlich moralischer Normen sind dafür umso wichtiger8, weil sich die (Schutz-)Rechte des Bürgers gegenüber den Medien fast ausschließlich aus dessen Persönlichkeitsgrundrechten ergeben. Da die Urteile des Bundesverfassungsgerichts in direktem Zusammenhang mit dem Grundgesetz stehen, werden sie hier ebenfalls den „Gesetzen“ und nicht den weiteren extramedialen Normen zugeordnet.

Normative Aspekte von Gesetzen

Es wurde bereits erwähnt, dass bei weitem nicht alle Normen der Moral zuzuordnen sind. Eine saubere Trennung fällt allerdings sehr schwer. Artikel 12(1) UrhG besagt beispielsweise:

„Der Urheber hat das Recht zu bestimmen, ob und wie sein Werk zu veröffentlichen ist.“ Ohne Frage stellt dies eine Einschränkung des Journalismus dar, denn weil auch Fotografien

„Werke“ sein können, darf ein fremdes Foto nicht einfach veröffentlicht werden. Selbst dann nicht, wenn es einmalig ist und ein wichtiges Ereignis dokumentiert (man denke an die Terror- anschläge des 11. September 2001). Abgesehen von der Frage, ob es sich hier überhaupt um ein medienspezifisches Gesetz handelt, widerstrebt es der subjektiven Auffassung, hier eine moralische Norm zu sehen. Allenfalls eine übergeordnete Regel, wie „Journalisten sollen nicht das schöpferische Eigentum anderer stehlen“ mag man als Moral akzeptieren.

Wesentlich einfacher verhält sich der Fall z.B. mit Artikel 3(1) des bayerischen Pressege- setzes: „Die Presse dient dem demokratischen Gedanken“ oder Artikel 111(1) der bayerischen Verfassung: „Die Presse hat die Aufgabe ... wahrheitsgemäß zu berichten“. Doch derartige Formulierungen stellen nur einen sehr kleinen Teil des Medienrechts dar.

Im Medienrecht sind also durchaus normative Grundlagen des Medienethik zu suchen. Aber sie verstecken sich in ungezählten Rechtssätzen oder ergeben sich erst aus der Gesamtheit mehrerer Einzelregelungen. Dies stellt an einen „normalsterblichen“ Journalisten freilich große Herausforderungen.

Eigenheiten von Gesetzen

Wie eben gezeigt wurde, eignen sich Gesetze im Allgemeinen nicht zur einfachen und ver- ständlichen Vermittlung von Normen. Nicht zuletzt deshalb, weil große moralische Ansprüche

neben trivialen Regelungen (z.B. dem detaillierten Inhalt eines Impressums, Art 7 BayPrG) und der Bestimmung zu amtlichen Prozessen (z.B. „Anordnung der Beschlagnahme“, Art. 15, BayPrG) stehen. Lediglich das Grundgesetz bietet knappe und klare Aussagen, die für die kor- rekte Anwendung aber die Abwägung von Rechtsgütern notwendig machen. Und so ist für die Interpretation von (Grund-)Gesetzen im Sinne gültigen Rechts (also gültiger Norm) eine fun- dierte Kenntnis relevanter Gerichtsurteile notwendig.

Die wichtigste Besonderheit eines Gesetzes gegenüber anderen Normen ist dessen gerichtliche Sanktionierbarkeit. Es existieren staatliche Organe, welche das Recht bei Bedarf mit physischer Gewalt (z.B. Beschlagnahmung oder Haftstrafe) durchsetzen. Im Gegenzug ist der Erlass und die Änderung von Gesetzen an vergleichsweise hohe Hürden gebunden. Im Rahmen der repräsentativen Demokratie wird außerdem versucht, die gesamte Gesellschaft an der Entstehung gesetzlicher Normen zu beteiligen.

Medienrecht – ein Sonderfall

Eine umfassende Moral für Medienakteure darf man vom Medienrecht nicht erwarten – trotz unzähliger Regelungen. Die Gründe dafür liegen nicht etwa in der Unvollständigkeit der Gesetze – vielmehr verhindert das Grundgesetz mit der garantierten Kommunikationsfreiheit staatliche Eingriffe gegenüber Medienschaffenden (Art. 5 in Verbindung mit Art. 19, vgl. Fechner, 2001, S.24-25, 27, 28). „Insgesamt unterliegen Journalisten in Demokratien ... relativ geringen rechtlichen Einschränkungen, die nur einen groben Rahmen für ihr Handeln abste- cken.“ (Kunczik & Zipfel, 2001, S. 198)

Das Mediensystem befindet sich damit in einer Situation, in der es selbst Verantwortung über- nehmen muss. Denn einen breiten Missbrauch der gewährten Sonderrechte dürfte der Gesetz- geber im Interesse der Gesellschaft nicht akzeptieren. Er müsste mit Gesetzen Einfluss nehmen, was aber nicht im Sinne des Grundgesetzes wäre. Zugleich haben die Medienschaf- fenden selbst ein großes idealistisches (Pürer, 1996, S. 371; Wunden, 2003, S. 169) und öko- nomisches Interesse9 daran, gesetzliche Einschränkungen zu vermeiden. Als Lösung gilt die Selbstkontrolle: „Medienethische Selbstregulierungssysteme sollen die Autonomie des Me-

diensystems verstärken und zugleich die Übereinstimmung der Medienaktivitäten mit sittli- chen Vorstellungen der Medienumwelt sicherstellen.“ (Saxer, 1996, S. 76)

2.4. Kodizes

Innerhalb der Selbstkontrolle sind große Unterschiede zu beobachten. So werden Unterhal- tungsangebote vorrangig am sittlich Vertretbaren gemessen: Die Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen (FSF) legt den Schwerpunkt ihrer Aktivität genauso wie die Freiwillige Selbstkon- trolle der Filmwirtschaft (KSF) sehr deutlich auf den Jugendschutz10. Im Gegensatz dazu wird bei Informationsangeboten, also journalistischen Produkten, primär auf die Korrektheit der In- formation geachtet (Saxer, 1996, S. 81).

Der deutsche Presserat, das Kontrollorgan für Presseprodukte in Deutschland, wurde 1965 von Zeitungsverlegern und Journalisten gegründet11. Im Vergleich zu den Kontrollorganen von Film und Fernsehen kann er damit auf eine lange Geschichte zurückblicken. Entsprechend ausgereift ist der Pressekodex, jene Sammlung von Normen, auf die der Presserat sich beruft. In seiner Bedeutung entspricht der Pressekodex den oben diskutierten Gesetzen: Er ist die Ba- sis für Entscheidungen durch einen Beschwerdeausschuss, die auch Sanktionen zur Folge haben können. Allerdings gibt es maßgebliche Unterschiede zwischen Gerichtsbarkeit und der Selbstkontrolle des deutschen Presserats:

- Die Sanktionen des Presserats sind weder rechtsverbindlich noch durch Anwendung von Gewalt durchsetzbar. Die Entscheidung zum Abdruck einer öffentlichen Rüge (der schwer- sten Sanktion) unterliegt prinzipiell dem gerügten Medium – der Presserat veröffentlicht sie nur in einem Jahrbuch.
- Während Gesetze nur gegenüber (natürlichen oder juristischen) Personen angewandt werden können, ist der Pressekodex ausschließlich auf Organisation bzw. deren Publika- tionen anwendbar.

[...]


1 Eine allgemeine Norm wie „Du sollst die Wahrheit sagen“ soll also nicht der Medienethik zugerechnet werden, eine spezifische Norm wie „Die Presse soll wahrheitsgemäß berichten“ hingegen schon. Allgemeine Tabus sind mit dieser Einschränkung nicht mehr Bestandteil der Medienethik – auch wenn sich die Diskus- sion um das Programm des privaten Rundfunks in den 90er Jahren genau daran entzündete. Vielmehr müsste über die spezifische Norm „im Fernsehprogramm sollen keine Tabus gebrochen werden“ diskutiert werden.

2 Der Studiengang Medienwirtschaft an der Hochschule der Medien (Stuttgart) verlieh 2004 beispielsweise den Medienethik Award META. In einem „Wertekanon zur Ermittlung wertorientierter Berichterstattung“ wird in 26 Punkten erklärt, wie gute Berichterstattung aussieht.

3 vgl. Netzwerk Recherche e.V. (2004). Rede von Bundespräsident Johannes Rau. URL (Stand 23.07.2005): http://www.netzwerkrecherche.de/html/jtagung2004_rau.htm

4 vgl. Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz. (2004). Statement des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Karl Lehmann, beim Pressegespräch am 4.10.2004 in Hamburg. URL (Stand 23.07.2005): http://dbk.de/presse/pm2004/pm2004100402.html

5 „Der Bund hat zwar aus Art. 75 Nr. 2 GG eine Rahmengesetzgebungskompetenz für die allgemeinen Rechtsverhältnisse der Presse, er hat indessen von dieser Kompetenz keinen umfassenden Gebrauch gemacht.“ (Fechner, 2001, S. 10)

6 „Aufgrund langjähriger Forderungen der Fachbasis nach Änderungen im Bereich des Jugendschutzes tritt zum 1.4.2003 das neue Jugendschutzgesetz (JuSchG) in Kraft, das nicht nur das Gesetz zum Schutz der Jugend in der Öffentlichkeit (JöSchG), sondern auch das Gesetz über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften und Medieninhalte (GjS) ersetzt.“ (Bayerisches Landesjugendamt, 2004).

7 Diese Beschränkung hängt damit zusammen, dass die Pressefreiheit im Grundgesetz verankert ist. Somit erfolgt eine Rechtsgüterabwägung meist zwischen den hierarchisch gleichwertigen Gesetzen innerhalb des Grundgesetzes. Diese Abwägung auf höchstem Niveau wurde ermöglicht durch die „Lüth-Entscheidung“ des Bundesverfassungsgerichts von 1958, nach der Grundrechte (eigentlich Abwehrrechte des einzelnen gegenüber dem Staat) auch mittelbar zwischen Bürgern wirken (Fechner, 2001, S. 32).

8 Obwohl Urteile der obersten Gerichte (BverfG, BGH) für nachfolgende Gerichte nicht bindend sind, haben sie im Allgemeinen eine starke richtungsweisende Bedeutung.

9 Eine Einschränkung beispielsweise des Rechts auf Zeugnisverweigerung würde die Recherche massiv erschweren und damit verteuern. Eine regelmäßige Haftung für unwahre Nachrichten oder die Aussetzung des Auskunftsrechts gegenüber Behörden würden ebenfalls hohe Mehrkosten bedeuten.

10 „Ziel der Prüfungen ist der Schutz von Kindern und Jugendlichen vor Sendungen, die geeignet sind, ihre Entwicklung oder Erziehung zu eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeiten zu beeinträchtigen oder zu gefährden, sowie der Schutz vor solchen Sendungen, die die Menschenwürde oder sonstige durch das Strafgesetzbuch geschützte Rechtsgüter verletzen” (Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen e.V., 2005).

11 „20. November 1956: Als Reaktion auf die geplante Einführung eines Bundespressegesetzes gründen fünf Zeitungsverleger und fünf Journalisten den Deutschen Presserat und rufen damit eine freiwillige Instanz der publizistischen Selbstkontrolle ins Leben. Vorbild ist der bereits 1953 gegründete British Press Council.“ (Deutscher Presserat, 2005a)

Ende der Leseprobe aus 39 Seiten

Details

Titel
Normative Grundlagen der Medienethik
Hochschule
Ludwig-Maximilians-Universität München
Veranstaltung
Medienethik
Note
1,3
Autor
Jahr
2005
Seiten
39
Katalognummer
V110546
ISBN (eBook)
9783640087136
Dateigröße
871 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Normative, Grundlagen, Medienethik
Arbeit zitieren
Dominik Leiner (Autor:in), 2005, Normative Grundlagen der Medienethik, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/110546

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