Die Neuen Kriege – wenige wissenschaftliche Fachbegriffe wurden so schnell und so umfangreich aufgegriffen, wie dieser zur Abgrenzung der Kriege der letzen ca. 15 Jahre von vormals großer „Alter“ Kriege. Vermehrt dezentrale und auf eigene Rechnung agierende Gewaltakteure, Ressourcenallokation durch Marodieren, Erpressung und Extraktion von Hilfsgütern der Internationalen Hilfsorganisationen und der Zivilbevölkerung, ökonomisches Wirtschaften eingebunden in den Weltmarkt, die extreme Bereitschaft der Gewaltanwendung und etliche weitere, sind nur einige Merkmale, die im Speziellen die Neuen Kriege charakterisieren. Diese Arbeit konzentriert sich auf das Merkmal der Kriegsökonomie. Sowohl die unterschiedlichen Instrumentarien zur Ressourcenallokation, wie auch die notwendigen Rahmenbedingungen werden analysiert. Zum Spezifikum der Rahmenbedingung gehört eine spezielle Gesellschaftsstruktur, die sich der verändernden Umwelt in Gewaltkonflikten anpasst. Um diesem Anspruch näher zu kommen wird der theoretische Ansatz Waldmanns zur Eigendynamik von Gewalt angewendet.
In dieser Arbeit geht es mit dem analytischen Rahmen im Folgenden darum, anhand des Libanonkrieges zu zeigen, ob die im Wesentlichen von Kaldor ausgelöste Diskussion um die Neuen Kriege und derer Indikatoren, die im wissenschaftlichen Diskurs alle nach dem Zerfall der UdSSR stattgefunden haben, und der sich herauskristallisierte Faktor der geänderten Kriegsökonomie, auch auf den Bürgerkrieg im Libanon anwendbar ist. Ziel ist es, die internen Dynamiken, Prozesse und Strukturen des von 1975 bis 1990 dauernden Krieges zu untersuchen und damit einen Beitrag zur Erklärung zu entwickeln, ob die ungemein lange Dauer des libanesischen Krieges, mit den Instrumentarien der in den letzten Jahren entstandenen Diskussion über die Neuen Kriege, hilfreich erklärt werden kann? Gab es also einen signifikanten Zusammenhang zwischen der sich im Libanon entstehenden Formen der Kriegsökonomie und dem langen Fortbestehen des Krieges?
Zum Verständnis des Konfliktes werden dafür die historisch gewachsenen Kriegsursachen beleuchtet, im Folgenden die Akteursstruktur während des Krieges und zum Schluss die in die Rahmenbedingung Krieg eingebetteten Formen der libanesischen Kriegsökonomie analysiert. Mit der Konzentration auf die Kriegsökonomie soll gezeigt werden, ob abgesehen von etlichen oft untersuchten Spannungslinien, der Blickwinkel auf die ökonomischen Dynamiken in Kriegen einen weiteren Erkenntnisgewinn zulässt.
Gliederung
1. Einleitung
2. Theoretischer Zugang: Was ist so neu an den Neuen Kriegen?
2.1.Kriegswirtschaften in internen Konflikten als Besonderheit der Neuen Kriege
2.2.Mehrstufenschema zur Eigendynamik entfesselter Gewalt nach Peter Waldmann
3. Fallbeispiel Libanon
3.1.Struktur der libanesischen Gesellschaft und Akteure des Bürgerkrieges
3.2.Kriegsökonomie und Eigendynamik der Gewalt im Libanonkonflikt
3.2.1. Charakteristiker des Milizsystems
3.2.2. Kriegsökonomie und derer Profiteure
4. Fazit
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Die Neuen Kriege, The new Wars – wenige wissenschaftliche Fachbegriffe wurden so schnell und so umfangreich aufgegriffen, wie der von Mary Kaldor 2000 benutze und im wesentlichen vor allem durch Herfried Münkler weiter definierte Begriff zur Abgrenzung der Kriege der letzen ca. 15 Jahre von vormals großer „Alter“ Kriege. Der wissenschaftliche Diskurs versucht verstärkt, den Formenwandel der Kriege begreiflich und somit auch begrifflich zu machen. Vermehrt dezentrale und auf eigene Rechnung agierende Gewaltakteure, die Ressourcenallokation durch Marodieren, Erpressung und Extraktion von Hilfsgütern der Internationalen Hilfsorganisationen und der Zivilbevölkerung, ökonomisches Wirtschaften eingebunden in den Weltmarkt, die extreme Bereitschaft der Gewaltanwendung und etliche weitere, sind nur einige Merkmale, die im Speziellen die Neuen Kriege im ehemaligen Jugoslawien und im Herzen Afrikas - in Ruanda und im Kongo, um hier nur einige zu nennen - charakterisieren.
Diese Arbeit konzentriert sich auf eins der wichtigsten Charakteristiker der Neuen Kriege: Die Kriegsökonomie. Sowohl die unterschiedlichen Instrumentarien zur Ressourcenallokation in den Neuen Kriegen, wie auch die, zur Herausbildung der in dieser Arbeit im theoretischen Analyserahmen vorgestellten Kennzeichen der Kriegsökonomie, notwendigen Rahmenbedingungen werden analysiert. Zum Spezifikum der Rahmenbedingung gehört – wie versucht wird aufzuzeigen – eine spezielle Gesellschaftsstruktur, die sich der verändernden Umwelt in Gewaltkonflikten anpasst. Um diesem Anspruch näher zu kommen, werden in dieser Arbeit zuerst – immer in der hier notwendigen Kürze – die Merkmale von Kriegsökonomien analysiert, die Besonderheiten und verschiedenen Formen aufgezeigt. Zur Erklärung der sich verändernden Rahmenbedingungen wird der theoretische Ansatz Waldmanns zur Eigendynamik der Gewalt angewendet.
In dieser Arbeit geht es mit dem analytischen Rahmen im Folgenden darum, anhand des Libanonkrieges zu zeigen, ob die im Wesentlichen von Kaldor ausgelöste Diskussion um die Neuen Kriege und derer Indikatoren, die im wissenschaftlichen Diskurs alle nach dem Zerfall der UdSSR stattgefunden haben1, und der sich herauskristallisierte Faktor der geänderten Kriegsökonomie, auch auf den Bürgerkrieg im Libanon anwendbar ist. Ziel ist es, die internen Dynamiken, Prozesse und Strukturen des von 1975 bis 1990 dauernden Krieges zu untersuchen und damit einen Beitrag zur Erklärung zu entwickeln, ob
die ungemein lange Dauer des libanesischen Krieges, mit den Instrumentarien
– im Besonderen der sich geänderten Formen der Kriegsökonomie - der in den letzten Jahren entstandenen Diskussion über die Neuen Kriege, hilfreich erklärt werden kann? Gab es also einen signifikanten Zusammenhang zwischen der sich im Libanon entstehenden Formen der Kriegsökonomie und dem langen Fortbestehen des Krieges?
Zum Verständnis des Konfliktes werden dafür zunächst im dritten Abschnitt die historisch gewachsenen Kriegsursachen beleuchtet, im Folgenden die Akteursstruktur während des Krieges und zum Schluss die in die Rahmenbedingung Krieg eingebetteten Formen der libanesischen Kriegsökonomie analysiert. Mit der Konzentration auf die Kriegsökonomie soll allerdings nicht in Abrede gestellt werden, dass es eine viel umfassendere Gemengelage an Faktoren zum Kriegsfortbestehen gibt. Allerdings geht es in dieser Arbeit nicht um eine umfassende Darstellung des Libanonkrieges, vielmehr darum, zu untersuchen, ob abgesehen von etlichen oft untersuchten Spannungslinien, der Blickwinkel auf die ökonomischen Dynamiken in Kriegen einen weiteren Erkenntnisgewinn zulässt. Lock beschreibt diesen Blickwinkel wie folgt: „Ein ums andere Mal kann gezeigt werden, dass es sich bei der Radikalisierung von ethnischen, religiösen und sozialräumlichen Gruppenidentitäten im Verlauf der Konfliktgenese um instrumentelle Vorgänge handelt, bei denen reale oder perzipierte Ressourcenkonkurrenz auf den unterschiedlichsten Ebenen eine zentrale Rolle spielt.“2
2. Theoretischer Zugang: Was ist so neu an den Neuen Kriegen?
„Die Aushöhlung der Autonomie des Staates, in Extremfällen seine völlige Auflösung, bildet den Kontext, aus dem die Neuen Kriege erwachsen.“3 Staatszerfall, zumindest Staatsrückgang, sind die nach Kaldor nennenswerten Punkte der Neuen Kriege. Allerdings nur Punkte zur Determination der Rahmenbedingung, Staatszerfall hat es schon früher gegeben. Was sind also die weiteren Punkte, die die Klassifikation der Neuen Kriege vereinfachen?
Im historischen Vergleich grenzen die verschiedenen Autoren4 die Neuen Kriege von den
Alten Kriegen im Besonderen anhand ihrer Akteurskonstellation ab. So waren früher die
Akteure Staaten5 und der Krieg als Staatenkrieg völkerrechtlich definiert6. In den Neuen Kriegen hingegen trifft man zunehmend auf nicht-staatliche private Akteure, die für die „Verstetigung der Gewaltkonflikte“7 verantwortlich sind. Dies an sich betrachtet ist noch nicht neu, in der Geschichte trifft man bereits vermehrt auf Feudalritter und Condottiere. Der Unterscheid ist, dass diese „Milizionäre“ nicht Produzent ihrer genutzten Produktionsmittel waren. Sie bekamen einen Auftrag, eine Waffe, einen Lohn und zogen so ausgestattet in den Krieg. Neu an den Neuen Kriegen ist vielmehr der Selbstunterhalt8 der Milizen, Warlords u.ä. Kriegsakteure. Diese Neuerungen und die in dieser Arbeit anhand des Libanonkrieges aufzuzeigenden verschiedensten Optionen, vom Raub bis zum legalen Handel9, stellen eine der elementaren Besonderheiten der Neuen Kriege dar.
Die Neuen Kriege der letzten 15 Jahre entzünden sich laut Herfried Münkler an den Rändern und Bruchstellen einstiger Imperien. In hoch entwickelten Industrieregionen hat die Kriegswahrscheinlichkeit rapide abgenommen, die kapitalistischen Strukturen dieser Länder führen zu einem Kosten-Nutzen-Kalkül, das den Krieg nicht mehr lohnenswert darstellt. Neue Kriege sind laut Münkler jedoch höchst lukrativ.10 Durch die sich entziehende staatliche Steuerung auf die wirtschaftlichen Kreisläufe – eine wesentliche Erscheinung der Globalisierung11 – können Kriegsparteien ungehindert von staatlicher Kontrolle auf Ressourcen zurückgreifen, diese in den Welthandel bringen oder ihm abringen und somit entziehen sich die ehemals politischen Beweggründe für einen Krieg. An dessen Stelle treten nun die kontinuierliche Ressourcenallokation als Zielsetzung für gewalttätige Auseinandersetzungen. Durch den steten Staatszerfall12 als wesentlicher Indikator für neue Kriege, wird diese Allokation in nicht-staatliche Hände gegeben.
Die wirtschaftliche Komponente, der billige Krieg, wird immer wieder als Grund zur veränderten Kriegskonstellation und –dynamik genannt. Die Bedeutung allerdings wird unterschiedlich bewertet. Im Widerspruch zu Münkler verstehen Jean/Rufin ökonomische Ursachen nicht als konfliktbestimmend, sondern eher als die durch den Konflikt erzeugte Notwendigkeit, sich den geänderten Rahmenbedingungen auch ökonomisch anzupassen.13
Allen Autoren und Experten zum Thema Neuer Kriege gemein, ist der Bezug zur zunehmenden Entstaatlichung und die damit einhergehende Privatisierung von Gewalt. Dies am Beispiel des Libanonkrieges zu untersuchen, ist Ziel dieser Arbeit. Lässt sich der unheimlich lange Verlauf des Libanonkrieges anhand der geschaffenen Rahmenbedingungen und deren bedingter Kriegsökonomie erklären?
2.1. Kriegswirtschaften in internen Konflikten als Besonderheit der Neuen Kriege
Allen der so genannten Neuen Kriege gemein, ist das Faktum der im hohen Maße „in die globalen Waren- und Finanzzirkulation“14 integrierten Kriegsökonomien. Zu unterscheiden von den Kriegsökonomien der „Alten Kriege“ sind die Kriegsökonomien der Neuen Kriege im Speziellen anhand der differenzierten Betrachtung aus makro- und mikroökonomischer Sicht. Die klassische makroökonomische Sichtweise betrachtet Kriegsökonomien als Form und Ausrichtung einer Volkswirtschaft zur Verteidigungs- oder Angriffsvorbereitung. Die Kriegswirtschaften der zwei Weltkriege15 waren zentralisiert, allumfassend und autark.16 Mit dem mikroökonomischen Blickwinkel auf die „wirtschaftlichen Strategien zur Sicherung der für bewaffnete Kampfhandlungen notwendiger Ressourcen“17 aller beteiligter Akteure, ändert sich die Perspektive. Schlichte definiert es so: „Eine Kriegsökonomie ist… ein sozialer Raum, in dem die Verteilung und Aneignung von Ressourcen gewaltgesteuert läuft…“18 Mit dieser Perspektive werden im Folgenden die Strategien und Systeme der Akteure, die durch den Rahmen des Krieges – Zerfall der staatlichen Ordnung und Strukturen – bedingt, in Form von kollektivem Einsatz physischer Gewalt und der sich auflösenden Kontrolle des staatlichen Gewaltmonopols untersucht. Für die begriffliche Erfassung dieser Perspektive ist die Art der Strategien und die sich herausbildenden Systeme der Akteure eher nebensächlich. Vielmehr ist zu beachten, unter welchen Bedingungen die zu betrachtenden Strategien und Systeme entstehen. Es werden unterschiedliche Formen der wirtschaftlichen Reproduktion im Kriege untersucht, von dem organisierten Verbrechen zuzuordnenden Machenschaften wie auch dem Handel von kriegsunrelevanten Gebrauchsgütern. Das Hauptaugenmerk liegt allerdings auf den vorgegebenen Rahmenbedingungen im Konflikt sowie den Akteuren, die ihr wirtschaftliches Handeln durch den Umstand Krieg erst zur Kriegsökonomie werden lassen.
Krieg und Ökonomie greifen ineinander und zwar hinsichtlich zweier Kriterien: Einerseits hat Krieg verheerende Konsequenzen für die jeweilige Volkswirtschaft – Zerstörung von Infrastruktur, Produktionsausfälle, ausfallende Produktionskräfte, Verwüstung der Agrarstrukturen, etc. Andererseits erfordert ein bewaffneter Konflikt den Zugang zu verschiedenen Ressourcen. Sowie in der Vorbereitung als auch in der Aktion des Konfliktes müssen Waffen und Munition beschafft und die „Einheiten“ besoldet werden19.
Mit welchen Strategien, zu welchen Kosten, mit welchen Mitteln finanzieren sich Milizen oder andere nicht-stattliche Akteure in bewaffneten internen Konflikten? Diesen Fragen sind Jean/Rufin20 nachgegangen. Das Resultat innerstaatlicher (Neuer) Kriege ist die ökonomische Dynamik, die sich im Laufe der Konflikte entwickelt. Jean/Rufin bilden aus der Erkenntnis ihrer umfangreichen Länderstudien verschiedene Typen: Sie unterscheiden zwischen geschlossenen und offenen Kriegsökonomien, sowie bei den Instrumentarien zwischen Raub und Organisierter Kriminalität.
Unter geschlossenen Kriegsökonomien verstehen Jean/Rufin Kriegsökonomien, in denen innerhalb eines bestimmten Gebietes die Milizen ausschließlich auf die darin enthaltenen Ressourcen zurückgreifen können21. In dieser Form wird Gewalt gegen die lokale Bevölkerung, in deren Mitte sie operieren, aus Gründen der fortlaufend notwendigen Aneignung ökonomischer Ressourcen ausgeschlossen. Zwang zur Herausgabe allerdings nicht. Diese geschlossenen Systeme scheiterten jedoch. Mao Tsetung und „Che“ Guevara, die Begründer dieser Form laut Jean/Rufin, waren die einzigen Beispiele für eine „erfolgreiche“ Ausübung dieser Theorien. Desto stärker die Kämpfe und das damit einhergehende Leid der Zivilbevölkerung, desto weniger werdend die Bereitschaft zur Unterstützung der Guerillas durch die Bevölkerung, was wiederum zu größerem Zwang und schlussendlich doch zur Gewalt gegenüber der Bevölkerung führt.
Offene Kriegsökonomien hingegen zeichnen sich durch von „außerhalb“ zugefügten kriegsrelevanter Ressourcen für Kombattanten aus. Dabei unterscheiden sie zwischen militärischen und humanitären Rückzugsgebieten. Eine bewaffnete Bewegung ist „plötzlich weniger verwundbar“22, wenn sie ihre Basis oder ihr militärisches Rückzugsgebiet im Grenzgebiet eines Nachbarstaates hat. Die völkerrechtlich geschützten staatlichen Grenzen stellen die Garantie dar. Die wirtschaftliche Unterstützung, die Bewegungen durch das Gastland genießen und der Vorteil der Beendung der tödlichen Konfrontation mit der
Zivilbevölkerung sind die zu nennenden Gründe für solch eine strategische Orientierung. Das humanitäre Rückzugsgebiet in einem Nachbarstaat hingegen ist nicht nur durch die Staatsgrenze geschützt, es wird – da es sich innerhalb von Flüchtlingslagern befindet – auch durch die Internationale Staatengemeinschaft geschützt. Das humanitäre Rückzugsgebiet dient somit dem Schutz sowie als Versorgungsbasis durch internationale Hilfsgüter.23 Internationale Hilfe wird abgezweigt, erpresst, mit Zöllen belegt.
Seit dem Ende des Ost-West-Konfliktes und der damit eingeebbten Unterstützung von Konfliktparteien durch eine der Supermächte, basieren die Formen der Kriegsökonomie nur noch zu einem geringen Teil auf oben beschriebene externe Faktoren. Mit der fehlenden Unterstützung geht die Schwächung der Nationalstaaten24 einher. Stattdessen entwickelten sich Instrumentarien des Raubs und der Organisierten Kriminalität, beides charakteristisch in der direkten Ausbeutung eines Territoriums und der darin existierenden Bevölkerung durch die bewaffnete Bewegung. Bei Raub handelt es sich um „destruktive Methoden der Aneignung“25, bei der möglichst viele Ressourcen der Zivilbevölkerung entwendet werden. Organisierte Kriminalität stellt in Kriegsökonomien hingegen Alimentierungsmaßnahmen in Form von „illegaler Produktion, illegalen Abbau oder Handel von legalen oder illegalen Gütern oder Dienstleistungen“ dar, zeichnen sich durch „Berücksichtigung wirtschaftlicher Mechanismen aus“26. Als klassische Beispiele sind hier die Drogenproduktion, die Erhebung von Steuern und Abgaben durch die nicht-staatlichen Akteure oder die Ausbeutung natürlicher Ressourcen zu nennen.27
Jean/Rufin machen in ihrer Beschreibung deutlich, dass die nicht-staatlichen Akteure, die in den Neuen „innerstaatlichen“ Kriegen die entscheidenden Rollen spielen, ihre materielle Reproduktionsmaßnahmen an die veränderten internationalen Rahmenbedingungen28 nahezu perfekt angeglichen haben. Der Zerfall der UdSSR und die damit einhergehenden Veränderungen des Internationalen Systems haben zu einer Neuorientierung der Kriegsökonomie geführt. Jean/Rufin haben allerdings, wie auch in dieser Arbeit im Folgenden dargelegt, aufgezeigt, dass auch schon in Konflikten vor den 1990er Jahren diese Formen der
Kriegsökonomie herrschten. Betrachtet man besonders die Form des Raubes und der
Organisierten Kriminalität, wird die Rahmensetzung durch den Krieg und die Folgen der
Anpassung an diesen Zustand sowie an die Akteurskonstellation (meist nicht-staatlich vs. nicht-staatlich) als Fokus ersichtlich, den man benutzen muss, um die Notwendigkeit der veränderten materiellen Reproduktion zu erkennen. Die Rahmenbedingung Krieg produziert diese speziellen Formen der Kriegsökonomie, mit deren Hilfe die Akteure sich alimentieren sowie dadurch das Fortbestehen des Krieges sichern und auch suchen. Der mit dem ausgetragenen Konflikt einhergehende Staatszerfall ermöglicht erst die Formen der Kriegsökonomie und wird somit zum notwendigen Vehikel zur Sicherung der eigenen wirtschaftlichen Situation.
2.2. Mehrstufenschema zur Eigendynamik entfesselter Gewalt nach Peter Waldmann
Der Krieg an sich kann aufgrund seines „sich selbst perpetuierenden Charakters“ anhand Kausalanalysen im engeren Sinn nur unzureichend erklärt werden29. Die „unheimliche Eigendynamik“ ist für Kriege symptomatisch. Kriege brechen aus, Kriege eskalieren, der Kriegsprozess entzieht sich jedweder Kontrolle, Kriege ebben ab und eskalieren aufs Neue, sie entziehen sich im Kriegsverlauf ihrer urtümlichen Ursache30 und bürgen so immer die Gefahr, sich zu verselbstständigen. Im Folgenden wird versucht, anhand des theoretischen Ansatzes von Peter Waldmann, der sich zum Ziel gesetzt hat, die fortlaufende Beständigkeit von Kriegen anhand von Prozessen/Dynamiken zu erklären, diesem sich selbst perpetuierenden Charakter näher zu kommen.
Insbesondere in Bürgerkriegen verselbstständigt sich laut Waldmann die Gewalt. Die Konfliktdynamik wird zur veränderten Form und Funktionen der Gewalt in den Neuen Kriegen31 gesetzt. Waldmann unterscheidet in Hinsicht auf diesen Prozess der Dynamik drei Eskalationsstufen: 1. Verselbstständigung des Gewaltapparates, 2. Privatisierung der Gewalt,
3. Kommerzialisierung der Gewalt.32 Die von Waldmann untersuchten Fälle befinden sich allerdings nicht ausschließlich auf einer der konstatierten Stufen, vielmehr enthalten sie Elemente von mehreren Stufen, wandern im Laufe des Krieges die „Stufenleiter“ hinauf und herunter.
[...]
1 So meint u. a. Daase, dass Konflikte im Kalten Krieg meist als „Stellvertreterkriege der Supermächte“ und somit als klassische zwischenstaatliche Kriege gedeutet wurden. 2003; S.166
2 siehe Lock; http://www.peter-lock.de/txt/kriegsoekonomien.html , 9. März 2006
3 siehe Kaldor; S.12
4 u.a. Kaldor; Münkler; Daase; Lock; Schlichte
5 vgl. u.a. Daase; 1999; S. 77: „…dass der Krieg ein spezifischer Rechtszustand zwischen Staaten ist.“
6 Aufstände, Rebellionen, Befreiungskämpfe hingegen wurden delegitimiert und kriminalisiert. siehe Daase; 2003; S. 164
7 siehe Chojnacki; S. 197
8 Münkler; in Der Bürger im Staat; S.181
9 vgl. auch Elwert; Beobachtungen zur Zweckrationalität der Gewalt
10 Münkler; Die Neuen Kriege; S. 137ff.
11 Duffield; S. 163: “Under the impact of globalisation, such competence (to gover and maintain economic, social and welfare standards) has been qualified and attenuated...”
12 vgl. Rotberg et all; When States Fail
13 Jean/Rufin; S. 8ff.
14 siehe Lock; S. 191
15 vgl. auch Lock; S. 192: „Typisch für die meisten Kriegsökonomien des 20. Jahrhunderts war eine staatlich gelenkte Mobilisierung der Wirtschaft durch massive Forschungsanstrengung, Intensivierung und Expansion der Produktion….“
16 Kaldor; S. 19
17 siehe Lock; S. 193
18 Schlichte; S. 11
19 vgl. Elwert: „Ohne die kühle Planung des Nachschubs an Waffen, Munition, Nahrung und Kraftstoff kann das Morden keine Dauer haben.“ S. 86ff.
20 Jean/Rufin
21 ebenda S. 16 ff.
22 ebenda S. 19
23 Jean/Rufin; S. 22: „Die Hilfslieferungen…alimentieren die Kriegsökonomie und stärken die bewaffneten Bewegungen.“ Oder Götze S. 210 ff.
24 Jean/Rufin; S. 27
25 ebenda S. 27
26 ebenda S. 31
27 ebenda S. 31 ff.
28 Den Wegfall der externen Unterstützung durch die Supermächte im Ost-Westkonflikt sowie die veränderte internationale Wirtschaftlage durch die Globalisierung
29 vgl. Waldmann; S. 345
30 ebenda S. 344: „Die Wurzeln und Ursprungsmotive für langwierige Bürgerkriegskonflikte sind im nachhinein oft nur schwer auszumachen; und sie verlieren vor allem im Zuge der Auseinandersetzungen
an Bedeutung, da der Krieg seine eigenen Gründe erzeugt, die ihn an- und forttreiben.“
31 Gewalt insbesondere gegen die Zivilbevölkerung und die hier nicht näher definierte Form der Warlordherrschaft
32 Waldmann; S. 354
- Arbeit zitieren
- Oliver Beckmann (Autor:in), 2006, Kriegsökonomien der Neuen Kriege - Möglicher Grund des ungemein langen Fortbestehens des Libanonkrieges?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/110577