Die herkömmliche harmonische Analyse, gleich ob nach Stufen- oder Funktionstheorie, betrachtet die Akkorde eines Musikstückes. Dabei ist neben ihrer Abfolge – dieser Punkt schließt Modulationen und Modulationswege ein – auch ihre klangliche Anreicherung durch dissonante Zusatztöne sowie die harmonische Gesamtanlage des Stücks von Bedeutung. Hohe künstlerische Avanciertheit kann die harmonische Analyse einem Stück zuschreiben, das raffinierte und entfernte Modulationen, spannungsreiche Klänge oder einen ungewöhnlichen Gesamtplan enthält.
Auch in Mozarts Schaffen wurden viele Stücke in dieser Weise gewürdigt, viele andere aber sind, betrachtet man ihr stufen- oder funktionstheoretisches Substrat, vollkommen unauffällig.
Das Quintett „Di scrivermi“ aus dem ersten Akt von Così fan tutte beispielsweise geht mit keinem Akkord oder Akkordverbindung über das harmonische Basismaterial hinaus. Dennoch schöpft es unglaubliche Ausdruckskraft aus der Harmonik. Es tut sich hier ein offensichtlicher Widerspruch auf zwischen dem durch die harmonische Analyse Beschreibbaren und dem, was bei dieser Musik augenscheinlich das Wesentliche ist. Denn es wäre mehr als töricht, den äußerst expressiven harmonischen Spannungshöhepunkt des Stückes mit der simplen Diagnose einer Doppeldominante für ausreichend analysiert und erklärt zu halten.
Daher wird sich die vorliegende Arbeit der Frage widmen, welche Parameter dazu beitragen, das harmonische Material derart wirkungsvoll in Szene zu setzen. So sollen anhand des Quintettos aus Così fan tutte Kategorien einer Theorie der Inszenierung von Harmonik entwickelt werden, die sich im Idealfall verallgemeinern und auf andere Musikstücke übertragen lassen werden.
Die Ausführungen fokussieren insbesondere auf die Passage T. 15 ff., „Mi si divide il cor, bell’ idol mio“.
Inhalt
1. Einleitung
2. Vorbemerkungen
3. Harmonische Analyse
4. Harmonie-Inszenierung
4.1 Funktionale Spannung
4.2 Zeitliche Ausdehnung
4.3 „Zyklische Höhe“
4.4 Instrumentierung
4.5 Lineare Gestaltung
5. Fazit
6. Literatur:
1. Einleitung
Die herkömmliche harmonische Analyse, gleich ob nach Stufen- oder Funktionstheorie, betrachtet die Akkorde eines Musikstückes. Dabei ist neben ihrer Abfolge – dieser Punkt schließt Modulationen und Modulationswege ein – auch ihre klangliche Anreicherung durch dissonante Zusatztöne sowie die harmonische Gesamtanlage des Stücks von Bedeutung. Hohe künstlerische Avanciertheit kann die harmonische Analyse einem Stück zuschreiben, das raffinierte und entfernte Modulationen, spannungsreiche Klänge oder einen ungewöhnlichen Gesamtplan enthält.
Auch in Mozarts Schaffen wurden viele Stücke in dieser Weise gewürdigt, viele andere aber sind, betrachtet man ihr stufen- oder funktionstheoretisches Substrat, vollkommen unauffällig.
Das Quintett „Di scrivermi“ aus dem ersten Akt von Così fan tutte beispielsweise geht mit keinem Akkord oder Akkordverbindung über das harmonische Basismaterial hinaus. Dennoch schöpft es unglaubliche Ausdruckskraft aus der Harmonik. Es tut sich hier ein offensichtlicher Widerspruch auf zwischen dem durch die harmonische Analyse Beschreibbaren und dem, was bei dieser Musik augenscheinlich das Wesentliche ist. Denn es wäre mehr als töricht, den äußerst expressiven harmonischen Spannungshöhepunkt des Stückes mit der simplen Diagnose einer Doppeldominante für ausreichend analysiert und erklärt zu halten.
Daher wird sich die vorliegende Arbeit der Frage widmen, welche Parameter dazu beitragen, das harmonische Material derart wirkungsvoll in Szene zu setzen. So sollen anhand des Quintettos aus Così fan tutte Kategorien einer Theorie der Inszenierung von Harmonik entwickelt werden, die sich im Idealfall verallgemeinern und auf andere Musikstücke übertragen lassen werden.
Die Ausführungen fokussieren insbesondere auf die Passage T. 15 ff., „Mi si divide il cor, bell’ idol mio“.
2. Vorbemerkungen
Einige Vorbemerkungen sind zur gattungsmäßigen Einordnung des Quintettos „Di scrivermi“ notwendig.
Die innovative Bedeutung des Opernensembles, wie es Mozart und Lorenzo DaPonte gemeinsam entwickelt haben, ist weithin bekannt. „Di scrivermi“ fällt jedoch aus diesem Rahmen, da es vom Librettisten nicht als geschlossene Musiknummer vorgesehen war. Der dem in der NMA mit der Nummer 8a versehenen Quintetto zugrundeliegende Text ist Teil des Rezitativs, das zwischen den beiden Wiederholungen des Chors „Bella vita militar“ (Nr. 8/9) liegt. Die Versstruktur, eine lose Mischung aus Sieben- und Elfsilblern („versi liberi“) ohne Reimschema, paßt ebenfalls zu der Konzeption der Passage als Rezitativ. Es war also Mozarts eigene Idee, den Moment des Abschieds als durchkomponierte Musiknummer zu gestalten.
Auf die außergewöhnliche Schönheit des Stückes ist immer wieder hingewiesen worden. Besonders frappierend wirkt diese Entfaltung von musikalischer Ausdruckskraft vor dem Hintergrund, daß sie dem zugrundeliegenden Text auf zweierlei Weise zuwiderläuft: Einerseits ist, wie oben erläutert, die Gestaltung der Passage als Ensemble statt als Rezitativ vom Text strukturell nicht vorgesehen. Andererseits läßt der buffonesk-überzeichnende Duktus der Textvorlage[1] alles andere als einen zutiefst bewegenden Moment menschlichen Empfindens, wie ihn Mozart gestaltet, erwarten. Die Frage nach Lüge und Wahrhaftigkeit in Così fan tutte ist eine häufig gestellte, und sie wird angesichts des Quintettos aus dem ersten Akt in dem Sinne beantwortet, daß es „musikalisch viel ehrlicher [sei], als der Text und die Situation erwarten ließe.“[2]
Der Status einer dem Rezitativ abgetrotzten Musiknummer ist deswegen für diese Arbeit von Bedeutung, weil dieser Umstand einen kausalen Zusammenhang mit dem Primat der Harmonik als Gestaltungsmittel hat.
Der Parameter der musikalischen Form beispielsweise tritt in den Hintergrund, schon weil Beginn und Schluß des Quintettos wenig definiert sind. Es erhebt sich nahtlos aus dem Rezitativ. Die Ultima der F-Dur-Kadenz auf die Worte „Muoio d’affanno“, die gleichwohl in der Stimme Fiordiligis den charakteristischen Quartfall enthält, der üblicherweise Rezitative beschließt, fällt auf die Eins des Taktes, in dem die Begleitfigur des Quintettos sich einschwingt:
Daß der instrumentale Zielakkord der das Rezitativ abschließenden Kadenz mit dem Beginn der folgenden Nummer identisch ist, ist als attacca -Anordnung recht verbreitet.[3]
Die Instrumente bereits auf dem Quartfall der Singstimme einsetzen zu lassen, ist jedoch eine eindeutige Überschreitung dieser Konvention.
Interessant ist in diesem Zusammenhang des Fehlen einer generellen b-Vorzeichnung bei Mozart.
Der Eindruck eines auskomponierten Augenblicks[4] anstatt eines dramaturgischen Prozesses (letzteres würde man von einer wirksamen musikalischen Form erwarten) bestätigt sich im längeren Beibehalten der im ersten Takt exponierten T-D-Pendelfigur sowie durch das Fehlen konziser Motivik.
In Analogie hierzu gleicht das Ende eher einem allmählichen Anhalten als einem formal definierten Schluß. Die Begleitung kehrt zum T-D-Pendel zurück. Das Abschiedswort „Addio“ wird wieder aufgegriffen (auch dies war im Libretto nicht vorgesehen) und dreimal wiederholt. Die letzte Wiederholung ist ein auskomponiertes Ritardando. Gleichzeitig bleibt die Pendelbewegung der Begleitung aus, F-Dur bleibt stehen.
Die Schlußwirkung wird abgeschwächt durch die Quintlage des ersten Soprans (Fiordiligi) sowie die weibliche Endung der Schlußworte Don Alfonsos („Io crepo se non rido“):
Dieser kontemplative musikalische Moment, den das Quintetto darstellt, bezieht seine Wirkung also nicht aus einer plastischen formalen Gestalt.
Prägnante motivische Elemente sucht man vergebens. Melodische Bögen erheben sich erst allmählich im weiteren Verlauf des Stückes, insbesondere an dem in dieser Arbeit weiter unten beschriebenen expressiven Höhepunkt auf die Worte „Mi si divide il cor, bell’ idol mio“.
Polyphonie als Gestaltungsmittel tritt nicht in Erscheinung. Die Stimmen wechseln sich entweder ab, oder sie singen in homophonen Akkorden. Die als Gegenstimme erkennbare Passage des Don Alfonso („Io crepo, se non rido“) beschränkt sich auf die Verdopplung der instrumentalen Baßstimme und erzeugt allenfalls eine Andeutung von Polyphonie, da sie versetzt zu den anderen Stimmen eintritt.
Diese Vorbemerkungen sollten zeigen, daß die Harmonik in diesem Stück ganz besonders im Zentrum der Aufmerksamkeit steht, da die anderen Parameter musikalischer Wirkungsweise – Form, Motivik, Melodik, Kontrapunktik – sich eher im Hintergrund halten.
3. Harmonische Analyse
Die Durchführung einer herkömmlichen harmonischen Analyse ist problemlos möglich.
Auf eine lange Basso-ostinato-Passage mit T–D–Pendel folgen einige Quintfällen, erst im Sekundabstand (die Allerweltsformel VI–II–V–I), dann im Terzabstand.
Letztere führen in die Subdominantregion (B-Dur, Takt 12, g-Moll, T. 13). Schließlich, nach einem Trugschluß in T. 14, das Herzstück der Nummer (T. 15ff.), das sich als ein zweimaliges Abwickeln der Kadenz
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Mit der Rückkehr zum T-D-Pendel endet das Quintett.
Ohne massive Erweiterungen durch andere, die Inszenierung von Harmonik betreffende Herangehensweisen würde diese Analyse äußerst wenig über die harmonische Gestaltung dieses Stückes aussagen. Gleichwohl ist dies das Stadium, mit dem man sich, beispielsweise in der Musikausbildung, allzu oft zufrieden gibt, da die Harmonie-Inszenierungs-Kategorien weniger leicht zu standardisieren sind als die Analysemethoden, die einzelne Akkorde betreffen. Besonders für die Unterrichtspraxis an Schulen und Hochschulen wäre also eine lehrbare Harmonie-Inszenierungstheorie wünschenswert.
4. Harmonie-Inszenierung
Gute harmonische Analysen widmen sich schon lange der Frage, was ein Klang im spezifischen Kontext bedeutet. Denkweisen in Richtung einer Inszenierungstheorie finden sich u.a. bei Ernst Kurth. Sie galten jedoch immer individuell am jeweiligen Stück und haben es nie zu einem allgemeinverbindlichen Begriffssystem gebracht, so daß trotz des geringen Erkenntnisgewinns immer noch hauptsächlich die herkömmliche harmonische Analyse auf Mozart angewandt wird.
Generell bestimmt die Umgebung eines Akkordes seine Wirkung. Diese Umgebung funktioniert auf der Basis von Hörerwartungen, die erfüllt werden können, oder eben nicht. Die Erwartungen können von der Komposition selbst aufgebaut werden oder aus der Kompositionsgeschichte in Form von Konventionen, Formeln und Topoi herrühren. Sie bilden eine Art Folie, durch die das Musikstück rezipiert wird. Eine Rezeption ohne Vorbedingungen gibt es nicht.
Es folgt der Versuch einer Annäherung an die Prinzipien, die Mozart befähigen, im Takt 15 seines Quintettos einen solch herzzerreißenden Effekt hervorzubringen, den die Analyseerkenntnis „Doppeldominante“ nicht zu erklären vermag.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
4.1 Funktionale Spannung
Der Doppeldominantakkord in Takt 15f ist sehr spannungsvoll. Doch was bedeutet dieser Begriff der Spannung genau?
Ein Aspekt der harmonischen Spannung kann als Beziehung eines Klanges zur Tonika definiert werden. Die Tonika ist das Zentrum des harmonischen Systems. Der Hörer erwartet, daß jede Fortschreitung in die jeweils gültige Tonika mündet. Die Hauptfunktionen des Dreiersystems der Funktionsharmonik können als Zentrum (T), gespannte Entfernung (D) und nicht gespannte Entfernung (S) zum Zentrum beschrieben werden.
Die Doppeldominante stellt nach dieser Kategorisierung einen Moment besonders großer Funktionaler Spannung dar, da sie Spannung und Auflösungsverpflichtung hin zu einem seinerseits gespannten und zur Auflösung verpflichteten Akkord ist. Dies trifft allerdings auf jede Doppeldominante zu und erklärt nicht die besondere Stärke der hier in Frage stehenden Passage.
4.2 Zeitliche Ausdehnung
Der Stellenwert, den ein Akkord oder eine Passage in einem Musikstück einnimmt, kann erst ermessen werden, wenn die Ausdehnung des Akkordes oder der Passage ins Verhältnis zur weiteren Umgebung gesetzt wird. In diesen Zusammenhang fallen einige verschiedene, voneinander unabhängige Parameter. Die Frage nach der harmonischen Gesamtanlage beschäftigt sich mit dem Modulationsplan und der Art, Anordnung und Ausdehnung harmonischer Regionen.[5]
Die zeitliche Ausdehnung harmonischer Prozesse kann auch mit stärkerem funktionsharmonischem Akzent betrachtet werden, so daß nicht nur die Tonart-Regionen, sondern auch das Einlösen oder Vorenthalten funktionaler Auflösungskonventionen berücksichtigt werden.
Diese Konventionen fallen weitgehend mit der Kadenz ineins, so daß diese Analyse mit den kadenzbezogenen Denkweisen der zeitgenössischen Theoretiker wie Riepel und Koch Gemeinsamkeiten haben wird.
Von Interesse ist daneben der harmonische Rhythmus. Etwaige Änderungen sind ein starkes Moment harmonischer Inszenierung.
Auf der mittleren Ebene (zwischen Einzelakkord und harmonischer Gesamtanlage) sind daneben verschiedene Anordnungsprinzipien von Harmonien zu unterscheiden, die ebenfalls für die Wirkungsweise der einzelnen Akkorde von entscheidender Bedeutung sind. Diese Prinzipien sind für die Epoche der Klassik kadenzierende Harmonik, Sequenzharmonik, Pendelharmonik sowie stehende Anordnungen wie Orgelpunkt-Harmonik. Die harmonischen Anordnungsprinzipien sind für „Di scrivermi“ als Pendel (T. 1 – 6), kadenzierende Sequenz (T. 8 – 13), kadenzierende Harmonik (T. 14 – 22) und wieder Pendel (T. 23 – 27) zu beschreiben. Die „mi si divide“- Stelle hebt sich als erstmaliges Auftreten ausführlicherer kadenzieller Prozesse hervor, ohne daß damit allein ihre besondere Ausdruckskraft erklärt würde. Die Erkenntnis ist immerhin in Kombination mit derjenigen über das Spiel mit den funktionellen Auflösungserwartungen von Belang, da so verständlich wird, warum ausgerechnet an dieser Stelle das Vorenthalten der Tonika so deutlich spürbar ist – außerhalb kadenzieller Prozesse sind funktionale Strebungen nur sehr bedingt wirksam.
Der Modulationsplan ist in der harmonischen Analyse (s.o. Kap. 3) dahingehend beschrieben worden, daß nicht moduliert wird. Die Kadenzen nach g-Moll in T. 9 und T. 13 sowie nach B-Dur in T. 12 sind wenig gefestigt[6] und müssen als bloße Ausweichungen gelten.
Die Regionen stellen sich dar als ein sechs Takte dauerndes Verweilen im T-D-Pendel, das Ausweichen in die Subdominantregion in T. 8ff, das Ansteuern der Oberquintregion in Form der beiden Kadenzen mit ausgedehnter Doppeldominante ab T. 15 sowie die Rückkehr zum Pendel ab T. 23. Bei wert- bzw. spannungsneutraler Betrachtung können aus der Analyse der Regionen kaum Erkenntnisse gewonnen werden. Dies geschieht erst in Kombination mit der Analyse der Führung der funktionalen Hörerwartungen durch die Kadenzen, sowie durch die Sensibilisierung für die „zyklische Höhe“ (s.u. Kap. 4.3.).
Die Untersuchung auf das Einlösen bzw. Vorenthalten funktionsharmonischer Erwartungen bringt einen Grund für die enorme Spannung der Takte 15ff. ans Licht.
Mozart verstärkt nämlich die Sehnsucht nach der Tonika, indem er sie eine lange Passage über dem Hörer vorenthält. Der letzte tonikale F-Dur-Akkord erscheint in T. 11. In T. 14 vermeidet Mozart die erwartete Tonika durch den bereits erwähnten Trugschluß[7]. Die erste „mi si divide“-Kadenz T. 15–19 endet wieder mit einem Trugschluß; sie muß wiederholt werden, damit endlich, in T. 23, die Tonika erreicht werden kann: Eine Passage von 11 Takten ohne Kadenz zur Grundtonart, das ist fast die Hälfte dieses nicht modulierenden Stücks von nur 27 Takten Gesamtlänge. Doch das Vorenthalten der Tonika wirkt nicht nur durch seine pure zeitliche Ausdehnung im Verhältnis zum ganzen Stück. Es wird auch durch einen Konventionsbruch besonders auffällig gemacht: Zwei Trugschlüsse hintereinander sind unüblich. Je exponierter ein Trugschluß inszeniert wird, desto dezidierter zielt die Hörerwartung auf die Auflösung der Kadenz beim nächsten Anlauf.
Nun ist der Trugschluß T. 14 mit einem crescendo recht stark in Szene gesetzt.
Um so stärker ist dementsprechend die Erwartung, daß die Kadenz T. 15ff, die erste vollständige Kadenz des gesamten Stücks inklusive Subdominante, sich auch wirklich in die Tonika auflösen werde. Im Trugschluß T. 19 finden wir also einen absoluten Höhepunkt des Vorenthaltens.[8]
.
Auch bezüglich des harmonischen Rhythmus tut sich die fragliche Passage ab T. 15 und insbesondere die „herzzerreißende Doppeldominante“ hervor. Der Beginn von „Di scrivermi“ etabliert nämlich einen konstanten harmonischen Rhythmus von zwei Akkorden pro Takt. Die Doppeldominante der ersten „mi si divide“-Stelle dauert dagegen zwei Takte lang, also viermal länger als erwartet. Die harmonische Bewegung wird also angehalten, und das just an einem funktional so gespannten und mit Auflösungserwartungen geladenen Punkt. Durch die Potenzierung der zeitlichen Ausdehnung wird gleichsam die harmonische Spannungswirkung ebenfalls potenziert.
4.3 „Zyklische Höhe“
Eine andere Kategorie, die den Effekt einer Harmonie beeinflußt und bezüglich welcher sich die „mi si divide“-Doppeldominante hervorhebt, ist die Höhe bzw. Tiefe im Quintenturm. Sie füllt die neutrale Analyse der harmonischen Regionen mit Leben. Diese Kategorie basiert auf der historischen Tatsache, daß unser Tonsystem aus der Schichtung von Quinten herrührt.
Die diatonische Leiter ergibt sich aus der Quintenschichtung F C G D A E H = CDEFGAH. Erweitert man die Quintenreihe nach beiden Seiten, kommen die Töne der chromatischen Leiter hinzu: As Es B F C G D A E H Fis Cis Gis = C Cis D Es E F Fis G Gis/As A B H.
Die enharmonische Gleichsetzung von Gis und As schließt die Quintenreihe zum Quintenzirkel. Die Zirkelstruktur (daher auch „zyklische Höhe“) der Töne ist ein theoretisches Konstrukt, das beispielsweise der Anordnung der Töne auf einem Tasteninstrument, aber auch der Modulation in entfernte Tonarten dient. Sie entspricht nicht dem ursprünglichen Sinn des Tonsystems, das nach unten, in b-Richtung, und nach oben, in #-Richtung, theoretisch beliebig erweiterbar ist. Auch sind bei der Aufeinanderschichtung reiner Quinten die Frequenzzahlen von As und Gis nicht identisch („pythagoreisches Komma“), was in den Jahrhunderten des Dur-Moll-tonalen Systems zu den unterschiedlichsten Lösungen bei Stimmungsverfahren geführt hat.
So trifft es den Charakter des Tonsystems besser, von einer Quintenreihe statt eines Quintenzirkels zu sprechen. Diese Reihe bewegt sich aber nicht beiordnend in der Horizontalen, sondern in der Vertikalen als Aufeinandertürmen immer höherer bzw. tieferer Töne, so daß der treffendste Ausdruck der des „Quintenturms“ ist.
Den Komponisten und gebildeten Rezipienten war die Turmstruktur des Tonsystems bis ins 19. Jahrhundert sehr bewußt, da die meisten theoretischen Werke mit der Konstruktion des Tonsystems anhuben. Der Quintenzirkel, seit dem 17. Jahrhundert eine denk- und komponierbare Kategorie, ist erst in der jüngeren Zeit als quasi höhenneutrale Denkweise in der Musiklehre zur dominierenden Vorstellung geworden.
Die Höhe eines Tones und mittelbar eines Akkordes, einer Tonart im Quintenturm ist also eine Komponente des Höhenempfindens, die nicht von der absoluten Tonhöhe („lineare Tonhöhe“), sondern von der Stellung im Tonsystem abhängt.
Je mehr Kreuze eine Tonart hat, desto höher steht sie im Quintenturm. Dieses Konzept ist historisch verbunden mit semantischen Bedeutungen wie „Helligkeit“, „Himmel“ bzw. „Dunkelheit“, „Erde“, „Wärme“, „Schlaf“ etc.
Die semantischen Implikationen des Quintenturms wurden von den zeitgenössischen Theoretikern implizit und explizit auf das Themengebiet der „Tonartencharaktere“ bezogen. Es finden sich aber auch in diesem Zusammenhang interessantere Belege für ein Bewußtsein des Wirkens „zyklischer“ Höheneffekte auf den Tonartenverlauf innerhalb eines Stückes. So schreibt Rameau in seinen Observations sur notre instinct pour la musique (1754) :
Souvenons-nous que le côté de la Dominante, celui de la Quinte en montant, est justement le côté de la force: de sorte que plus il y a de Quintes en montant, plus la force redouble : même raison à l’inverse pour le doux, côté de la Soudominante.[9]
Rameaus musiktheoretische Denkweise ist ungeheuer viel rezipiert worden, auch von Familie Mozart. Um die Relevanz des semantisch aufgeladenen Denkens in aufsteigenden und fallenden Quinten auch für den deutschsprachigen Raum der Mozart-Zeit zu belegen, sei als Beispiel Georg Joseph Voglers Artikel über musikalischen Ausdruck (1779) in der Deutschen Encyclopädie angeführt:
Steigen wir Fünftenweis G, D, A, E: so wächst immer die Stärke, der Eindruck, das schneidende und durchdringende. Fallen wir Fünftenweis F, B, Es, As: so sinkt alle Kraft, der Eindruck wird matter und dunkler.[10]
Die meisten zeitgenössischen Schriften beziehen sich mit ihren Ausführungen zur Wirkung der Tonarten auf die Wahl der Grundtonart für ein Stück. Auch in dieser Hinsicht ist „Di scrivermi“ aussagekräftig. Das Quintetto in F-Dur steht zwischen den beiden Wiederholungen des D-Dur-Chores „Bella vita militar“. Mit der Tonart D-Dur befindet sich Mozart ganz auf einer Linie mit den zeitgenössischen Theoretikern, die sie in aller Regel als „kriegerisch“ einstufen[11]. Grund für diese gewachsene Konvention sind wohl die physikalischen Gegebenheiten der harten Blechblasinstrumente, die für Kriegsmusiken eingesetzt wurden und in D-Dur besonders gut klingen. Der Tonartencharakter paßt aber auch zum Quintenturm (Steblin: „sharp-flat principle“ bzw. „sharp-flat-dichotomy“), wo D-Dur als Tonart mit zwei Kreuzen auf der Seite der Stärke, Helligkeit und Brillanz repräsentierenden Tonarten steht.
Die Wahl der Tonart F-Dur für das Quintetto stellt eine deutliche Distanzierung von diesem Charakter dar. Der Augenblick der Versunkenheit, wo die Zeit stillzustehen scheint, steht drei Quinten tiefer als der Militärchor. F-Dur steht gemäß Rameau auf der „weichen“ Seite und wird als ruhig und gefühlvoll eingestuft.[12]
Als Tonart mit nur einem Vorzeichen setzt F-Dur selbst noch keine sehr starke Farbe (im Gegensatz beispielsweise zum Terzettino „Soave sia il vento“ in E-Dur, das viele Autoren als „verwandt“ und zusammengehörig[13] mit „Di scrivermi“ ansehen). Aber vor ihrem Hintergrund können sich die an sich sparsamen harmonischen Farben zu großer Wirksamkeit entfalten:
Da das Quintetto nicht moduliert, werden im Quintenturm keine außergewöhnlich großen Bewegungen vollzogen. Der Beginn exponiert eine Fläche in der höhenneutralen Grundtonart. Eine Ausweichung führt, wie oben beschrieben, zum Wort „Addio“ (T. 12f.) in die Subdominantregion, also abwärts im Quintenturm.
Daher markiert die „mi si divide“-Doppeldominante den bei weitem höchsten Punkt im Stück. Höhe, Kraft, Helligkeit, Spannung: Dies bedeutet dieser Höhepunkt im Verständnis der Zeitgenossen und dem Höreindruck nach.
Ebenfalls ein Quintenturm-Effekt ist die Destabilisierung des G-Dur-Akkordes T. 15 durch die Umkehrung als Quintsextakkord. Mit dem Terzton liegt hier der zyklisch höchste Ton in der tiefsten Stimme. So verliert der Akkord quasi die Bodenhaftung, ist in der Schwebe.
4.4 Instrumentierung
Die „zyklische Höhe“ ist wird von Mozart betont durch andere Parameter seines Tonsatzes. So bedient er sich auch der „linearen Tonhöhe“, das heißt, er setzt die Passage in eine hohe Tonlage.[14] Der Eindruck von Höhe wird verstärkt durch die hohe Lage der Singstimmen. Fiordiligi befindet sich mit F´´ knapp unter dem Spitzenton des gesamten Stückes (G´´). Die Mittelstimmen sind unauffällig. Guglielmo, der Baß, singt mit dem kleinen H zwar nicht den höchsten Ton seiner Stimme, die bis D´ geht. An den anderen Stellen, wo Guglielmo hoch singt, wird jedoch der Tonsatz stabilisiert durch tiefere Töne in der instrumentalen Baßstimme. Dies ist hier nicht der Fall. 2. Fagott und 2. Bratsche bestätigen das kleine H als tiefsten Ton, während der instrumentale Baß auf jeder Zählzeit eine andere Note des gebrochenen Quintsextakkord zupft, so daß sie eher diffus als stabilisierend wahrgenommen wird.
Eine unverkennbare Heraushebung des „mi si divide“-Akkordes bedeutet der erstmalige Einsatz der Klarinetten – sie doppeln die beiden Frauenstimmen. Sie bringen eine neue Klangfarbe, und zwar durch ihren Obertonreichtum eine helle.
Interessant ist die Dynamik, die den beschriebenen Prozessen scheinbar zuwiderläuft. Über den Trugschluß in T. 14, der ja das vorläufige Ziel der Linie sein müßte, wird hinwegcrescendiert, der Lautstärkehöhepunkt befindet sich auf der harmonisch und metrisch unbedeutenden vierten Zählzeit von T. 14, während der anhand so vieler Parameter als Höhepunkt des Stückes herausgestellte Doppeldominantakkord T. 15 mit einem (subito) piano bedacht wird. Sänger wissen, welche besondere Konzentration und Kraftaufwendung es bedeutet, in hoher Lage leise zu singen. Die Zurückhaltung der Lautstärke bedeutet also ebenfalls einen Zuwachs an Intensität.
4.5 Lineare Gestaltung
Harmonische Prozesse sind, wie wir wissen, ohne ihre horizontale Dimension linear verlaufender, vorbereitender und auflösender Stimmen nicht verständlich. Die lineare Gestaltung gehört mit zur Inszenierung der Harmonik.
In der fraglichen Passage von „di scrivermi“ ist vor allem Fiordiligis Takt 16 hervorzuheben. Die auf ein vielfaches des erwartbaren ausgedehnte Doppeldominante wird in allen andern Singstimmen einfach auf einem Ton ausgehalten. Fiordiligi aber singt eine chromatisch aufsteigende Linie. Das ist insbesondere deswegen bemerkenswert, da ihr Akkordton, die Septime, eigentlich eine abwärts gerichtete Auflösungsverpflichtung hat. Das den kontrapunktischen Kräften entgegengestemmte Fis (auf der zweiten Zählzeit von Takt 16) gewinnt an Drastik durch das gleichzeitig immer noch präsente F in den zweiten Geigen. Diese beiden Töne repräsentieren ein Mi contra Fa, eine harsche Dissonanz, eine Spanneweite von sieben Quinten.
Eine Zählzeit später erreicht Fiordiligi mit G´´ den höchsten Ton des Stückes (und zwar nicht nur ihrer, sondern aller Stimmen). Daß die Auflösungsverpflichtung der Dominantseptime für dieses Stück noch besteht, wird aus der nachträglichen Auflösung F´´ zu E´´ in derselben Stimme, Takt 17 auf 1, deutlich.
Die Gestaltungsmittel, die der Harmonik von „Di scrivermi“ zu ihrer Ausdruckskraft verhelfen, sind beschrieben, auch ohne daß auf den weiteren Verlauf ausführlich eingegangen werden muß. Die Takte 19ff. gehören natürlich zu der beschriebenen Passage dazu, dieselben Gestaltungsmittel sind, teils in modifizierter Form, wirksam. Eine Steigerung des Pathos wird erreicht durch die schnellere Deklamation des „mi si di-“ auf einem crescendo. Ansonsten wird dieselbe harmonische Folge ein zweites Mal durchschritten. Die Doppeldominante dauert diesmal nur einen Takt, Fiordiligis melodische Figur ist diminuiert. Am Ende dieser Kadenz folgt endlich die Auflösung in die Tonika.
5. Fazit
Die außerordentliche Wirkung des fraglichen Doppeldominantakkordes wird erhellt durch die Erkenntnis, daß er sorgfältig in Szene gesetzt ist. Durch seine herausgehobene Stellung bezüglich der funktionalen Spannung, der zeitlichen Ausdehnung, der Position im Quintenturm, und der Instrumentation – immer bezogen auf die Verhältnisse im gesamten Stück – ist er als Höhepunkt gekennzeichnet.
Die gefundenen Parameter könnten den Anfang einer allgemein anwendbaren Harmonie-Inszenierungstheorie bilden. Ihre Gültigkeit bei anderen Komponisten, Kompositionen und Epochen muß jedoch noch überprüft werden. Zudem bedürfen sie gewiß noch der Ergänzung.
Eine erschöpfende Erklärung musikalischer Schönheit wird auch die Harmonie-Inszenierungstheorie nicht leisten. Aber sie ist besser als die Funktions-, Stufen- oder Schenkeranalyse allein in der Lage, das Augenmerk auf das zu lenken, worauf es bei einem Musikstück ankommt.
6. Literatur:
Bruce Alan Brown: Così fan tutte. Cambridge 1995.
Andreas Dorschel (Hg.): Dem Ohr voraus. Erwartung und Vorurteil in der Musik. Graz 2004.
Stefan Kunze: Mozarts Opern. Stuttgart 1984.
Silke Leopold: “Così fan tutte. Eine Oper hinter den Spiegeln” In: Staatsoper Unter den Linden Berlin (Hg.): Mozart. Così fan tutte. Frankfurt am Main etc. 2001, S. 10ff.
Rita Steblin: A History of Key Characteristics in the Eighteenth and Early Nineteenth Centuries. Rochester 1996.
Nicholas Till: Mozart and the Enlightenment. Truth, Virtue and Beauty in Mozart’s Operas. London 1992.
Werner Wunderlich: Mozarts Così fan tutte. Wahlverwandtschaften und Liebesspiele. Bern etc. 1996.
[...]
[1] Überzeichnet wirkt der gemeinsame dramatische Ausruf der Frauen („Muoio d´affanno!“), auf den sofort pragmatische Forderungen („Di scrivermi ogni giorno/ Giurami, vita mia!“) folgen. Die Überbietung der Forderung durch die Schwester („Due volte ancora/ Tu scrivimi, se puoi.“) ist eindeutig ein komisches Element, das noch verstärkt wird durch den zurückgehaltenen Lachanfall Don Alfonsos („Io crepo, se non rido“).
[2] Leopold 2001, S. 20.
[3] Vgl. z.B. Le Nozze di Figaro, 1. Akt, Szene IV, die Anbindung des Rezitativs an das Duettino “Via resti servita”.
[4] Vgl. Kunze 1984, S. 497: „Mit der ostinatohaft sechsmal wiederholten Baßfigur […] hält Mozart die Zeit vor dem Abschied an, eröffnet den Raum für die Entfaltung der `inneren Zeit´, mit der jegliche Erdenschwere, jegliche Fesselung an das Außen abgestreift scheint.“
[5] Der Begriff der harmonischen Region stammt von Arnold Schönberg und ermöglicht ein großräumigeres Argumentieren als die Akkord-für-Akkord-Analyse, wie sie von Stufen- und Funktionstheoretikern v.a. in der Musiklehre meist durchgeführt wird.
[6] Ein wichtiges Kriterium für die Stabilisierung einer neuen Tonika, die eigene Subdominante, fehlt.
[7] Die harmonische Deutung des Akkordes über Cis als Zwischendominante zur Tp zielt zwar dahin, daß es sich nicht um einen Trugschluß, sondern um einen Quintfall nach d-Moll handelt. Diese Argumentation ist jedoch zu kleinteilig und übersieht, daß die Note Cis im Baß nur eine Farbveränderung für die in ihrer Wirkung trugschlüssige Wendung bedeutet, keinen Wechsel ihrer Bedeutung.
[8] Die semantischen Zusammenhänge mit dem Thema Abschied und Trennung liegen auf der Hand.
[9] Rameau, Observations sur notre instinct pour la musique, Paris 1754. Zitiert nach Steblin 1996, S. 356.
„Erinnern wir uns, daß die Seite der Dominante, diejenige der steigenden Quinte, die Seite der Kraft ist: So, daß, je mehr steigende Quinten da sind, desto mehr die Kraft wächst: Das gilt umgekehrt auch für die Weichheit, die Seite der Subdominante.“ [LK]
[10] Georg Joseph Vogler: „Ausdruck (musikalisch)“ , in: Deutsche Encyklopädie, oder Allgemeines Real-Wörterbuch aller Künste und Wissenschaften, hg. von H.M.G. Köster und J.F. Roos, Bd. 2, S. 386, 1779. Zitiert nach Steblin 1996, S. 26.
[11] Mattheson 1713, Hawkings 1776, Schubart 1784, Vogler 1812, nach Steblin 1996, S. 237ff.
[12] Mattheson 1713, Vogler 1778, Schubart 1784, Knecht 1792, nach Steblin 1996, S. 260f.
[13] Kunze 1984, S. 495f.
Häufig gestellte Fragen
Worum geht es in diesem Text?
Dieser Text ist eine Analyse des Quintetts „Di scrivermi“ aus Mozarts Oper „Così fan tutte“, mit dem Fokus darauf, wie harmonisches Material wirkungsvoll in Szene gesetzt wird. Es werden Kategorien einer Theorie der Inszenierung von Harmonik entwickelt, die sich idealerweise verallgemeinern und auf andere Musikstücke übertragen lassen sollen.
Was sind die Hauptpunkte der harmonischen Analyse des Quintetts?
Die harmonische Analyse zeigt eine Basso-ostinato-Passage mit T–D–Pendel, gefolgt von Quintfällen und Ausweichungen in die Subdominantregion. Das Herzstück ist eine Kadenz, die zweimal abgewickelt wird. Die Analyse betont, dass eine herkömmliche Analyse allein die harmonische Gestaltung des Stückes nicht ausreichend erklären kann.
Was versteht der Text unter "Harmonie-Inszenierung"?
Harmonie-Inszenierung bezieht sich darauf, wie die Umgebung eines Akkordes seine Wirkung bestimmt. Diese Wirkung basiert auf Hörerwartungen, die erfüllt oder nicht erfüllt werden können. Der Text untersucht die Prinzipien, die Mozart verwendet, um harmonische Effekte zu erzielen, die über eine einfache Akkordanalyse hinausgehen.
Welche Parameter tragen zur Inszenierung von Harmonik bei?
Der Text identifiziert mehrere Parameter: funktionale Spannung (Beziehung eines Klanges zur Tonika), zeitliche Ausdehnung (Ausdehnung eines Akkordes oder einer Passage im Verhältnis zur Umgebung), "zyklische Höhe" (Position im Quintenturm), Instrumentierung und lineare Gestaltung (Verlauf von Stimmen).
Was ist die Bedeutung der "zeitlichen Ausdehnung" in Bezug auf die Harmonie-Inszenierung?
Die zeitliche Ausdehnung bezieht sich auf die Ausdehnung eines Akkordes oder einer Passage im Verhältnis zur Umgebung. Dies beinhaltet die harmonische Gesamtanlage, das Einlösen oder Vorenthalten funktionaler Auflösungskonventionen und den harmonischen Rhythmus. Das Vorenthalten der Tonika, insbesondere durch Trugschlüsse, wird als Mittel zur Erhöhung der Spannung hervorgehoben.
Was ist die "zyklische Höhe" und wie beeinflusst sie die Wirkung einer Harmonie?
"Zyklische Höhe" bezieht sich auf die Position im Quintenturm. Je mehr Kreuze eine Tonart hat, desto höher steht sie im Quintenturm. Dieses Konzept ist historisch mit semantischen Bedeutungen wie "Helligkeit" und "Kraft" verbunden. Im Quintett markiert die Doppeldominante den höchsten Punkt im Stück.
Welche Rolle spielt die Instrumentierung bei der Inszenierung der Harmonik?
Die Instrumentierung betont die "zyklische Höhe". Der Einsatz von Klarinetten und die hohe Lage der Singstimmen verstärken den Eindruck von Höhe und Intensität. Dynamische Kontraste, wie ein (subito) piano auf dem Doppeldominantakkord, tragen ebenfalls zur Wirkung bei.
Was ist die Bedeutung der linearen Gestaltung für die Harmonie-Inszenierung?
Die lineare Gestaltung bezieht sich auf den Verlauf der Stimmen. Fiordiligis chromatisch aufsteigende Linie in Takt 16, die der abwärts gerichteten Auflösungsverpflichtung der Septime entgegensteht, wird als Beispiel für lineare Gestaltung betrachtet, die zur Spannung des Akkords beiträgt.
Was ist das Fazit der Analyse?
Die außerordentliche Wirkung des Doppeldominantakkordes wird durch die Erkenntnis erhellt, dass er sorgfältig in Szene gesetzt ist. Die gefundenen Parameter könnten den Anfang einer allgemein anwendbaren Harmonie-Inszenierungstheorie bilden, die jedoch noch überprüft und ergänzt werden muss.
Welche Literatur wird in diesem Text angegeben?
Bruce Alan Brown: Così fan tutte. Cambridge 1995.
Andreas Dorschel (Hg.): Dem Ohr voraus. Erwartung und Vorurteil in der Musik. Graz 2004.
Stefan Kunze: Mozarts Opern. Stuttgart 1984.
Silke Leopold: “Così fan tutte. Eine Oper hinter den Spiegeln” In: Staatsoper Unter den Linden Berlin (Hg.): Mozart. Così fan tutte. Frankfurt am Main etc. 2001, S. 10ff.
Rita Steblin: A History of Key Characteristics in the Eighteenth and Early Nineteenth Centuries. Rochester 1996.
Nicholas Till: Mozart and the Enlightenment. Truth, Virtue and Beauty in Mozart’s Operas. London 1992.
Werner Wunderlich: Mozarts Così fan tutte. Wahlverwandtschaften und Liebesspiele. Bern etc. 1996.
- Arbeit zitieren
- Laura Krämer (Autor:in), 2001, Die herzzerreißende Doppeldominante - Inszenierung von Harmonik im Quintetto 'Di scrivermi' aus Così fan tutte, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/110586