Der neue Süden, Begriff, Begründung, Wirklichkeit


Seminararbeit, 2001

15 Seiten, Note: 2


Leseprobe


Der neue Süden, Begriff, Begründung, Wirklichkeit

Begriff

Der Begriff " der neue Süden" wurde im Zuge der Globalisierungsdebatte eingeführt und weist auf die durch die Globalisierung bewirkten strukturellen Veränderungen hin. Diese strukturellen Veränderungen erlauben es nicht länger, in ausschließlich länderbezogenene Kategorien zu denken, wodurch viele Theorien der Entwicklungspolitik neu gedacht oder neu erfunden werden müssen. Die Dependenztheorien, sowie das von Wallerstein skizzierte Moderne Welt-System der Neuzeit z.B. fördern die containertheoretischen Vorstellungen von als geschlossenen Einheit auftretenden und handelnden Nationalstaaten.

In diesem Sinne wurde auch der Begriff des Südens oder besser gesagt der Länder des Südens geprägt. Im Rahmen der in den 70er Jahren aufkommenden Idee der Collective Self-reliance propagierte vor allem Julius Nyerere eine verstärkte Süd- Süd-Kooperation, so daß es zur Bildung einer Süd Kommission kam. Seitdem bevorzugen die bis dahin als Entwicklungsländer oder Dritte Welt Länder bezeichneten Ländergruppen die Bezeichnung "der Süden" als neuen Sammelbegriff (vgl. Nuscheler 1995: S. 68).

Der zuvor verwandte Sammelbegriff "Entwicklungsländer" wurde von Ihnen kritisiert, weil er etwas vortäuschte was nicht stattfinde, nämlich Entwicklung. Der Begriff "Dritte Welt" - ursprünglich eingeführt als Bezeichnung für eine Dritte Welt, die zwischen der westlich-kapitalistischen Ersten Welt und der östlich sozialistischen Zweiten Welt steht - wurde bemängelt, weil die so bezeichneten Ländergruppen nicht durch das definiert werden, was sie sind, sondern durch das, was sie nicht sind. Die jungen Staaten, die in diese Kategorie fallen, haben als gemeinsames Merkmal, daß sie entkolonialisiert und unterentwickelt sind und weder der Ersten noch der Zweiten Welt angehören.

All diese Sammelbegriff haben das Problem, daß sie versuchen, unterschiedliche und sich ausdifferenzierende Ländergruppen anhand politisch begründbarer oder irgendwie meßbarer Kategorien zusammenzufassen. Der Begriff des Südens suggeriert zudem den Irrtum, daß die ihm zugehörigen Länder auf der südlichen Halbkugel liegen. Dennoch fand dieser Begriff Eingang in das politisch korrekte Deutsch von Entwicklungspolitikern, nicht zuletzt, weil es der von der so bezeichneten Ländergruppe selbst gewählte Begriff ist (vgl. Nuscheler 1995: S. 71). Was für den folgenden Diskurs aber am bedeutsamsten sein soll, ist die Tatsache, daß diese Begriffe allesamt als Bezeichnungen für zusammenzufassende Ländergruppen gedacht werden, was dem für den entwicklungspolitischen Handlungskontext bedeutsamen Zustand, daß die soziale Schere innerhalb dieser als homogen gedachten zusammengefaßten Länder immer größer wird, nicht gerecht wird.

Diesem Zustand und der Tatsache, daß nicht nur in den Ländern des Südens, sondern auch in den Ländern des Nordens die Kluft zwischen arm und reich immer größer wird, soll der Begriff der "Neue Süden" Rechnung tragen. Hiermit soll darauf hingewiesen werden, daß vormals dem Süden zugeordnete typische Erscheinungen wie "hohe Einkommensdisparitäten, soziale Unsicherheit, bleibende Armut, Überschuldung der öffentlichen Hand, Herausbildung eines gesamtwirtschaftlichen informellen Sektors" (Brock 1997: S. 131) im Zeitalter der Globalisierung in zunehmenden Maße auch in den Ländern des Nordens Realität werden, d.h. man kann heutzutage nicht länger von einer nur auf Länder bezogenen Aufteilung von arm und reich, Nord und Süd sprechen.

Nach Beck (1997: S. 63, 106) hat der topographische Begriff "Süden" die Kategorie des Sozialen angenommen. Der "Süden im Sinne von "Neuer Süden" ist damit zur weltweiten Realität geworden (Vgl. Scholz 2000a: S. 13)

Begründung

Um die Entstehung des "Neuen Südens" zu begründen, möchte ich zunächst auf Wallersteins Systemtheorie (Vgl. Balibar; Wallerstein 1991) zurückgreifen, um anschließend das durch den Globalisierungsprozeß fortentwickelte Entstehen von "Neuem Zentrum" und "Neuer Peripherie", bzw. "Neuem Süden" zu beschreiben.

Die Länder des Südens und die Länder des Nordens als funktionale Einheiten des modernen Weltsystems der Neuzeit?

Ergänzend zu dem Begriff "der neue Süden" wird in Anlehnung an die Dependenztheorien sowie Wallersteins moderner Welt-System Theorie oft auch der Begriff "neue Peripherie" verwendet, der zugleich auch die funktionale Umstrukturierung sowohl auf Weltebene als auch auf Länder- und Regionalebene miteinbezieht.

Um die ökonomische Struktur der Weltgesellschaft zu analysieren, durch welche die Weltsystemstruktur dominiert wird, unterscheidet Wallerstein zwischen dem Zentrum, der Peripherie und der Semiperipherie.

Wallerstein argumentiert, daß aus der globalen Perspektive der Wirtschaft die Bildung eines Zentrums notwendig wird, um das Kapital, das im gesamten Akkumulationsraum zirkuliert, kontrollieren zu können. Die Form, in der sich diese Konzentration manifestiert, ist Gegenstand eines permanenten Kampfes. In der Geschichte des Kapitalismus traten so die Form des Reiches und vor allem die des transnationalen politisch-kommerziellen Netzes, das um eine oder mehrere Städte konzentriert war, ebenso auf, wie die staatliche Form des Nationalstaats (Vgl. Balibar, Etienne 1991: S.111).

Die grobe Einteilung der Welt in Länder des Südens und Länder des Nordens vernachlässigt diesen permanenten Kampf um die Form und stellt die derzeit vorherrschende Form des Nationalstaates als allgegenwärtige und endgültige Form dar. Diese Form wird von Wallerstein als "Modernes Weltsystem der Neuzeit" (Vgl. Antweiler 1999: S. 254) bezeichnet. Die Struktur dieses Systems setzt sich aus den Komponenten: Wirtschaftliche Zonen, Nationalstaaten, Soziale Klassen und Statusgruppen zusammen.

Es handelt sich um eine kapitalistische Wirtschaftsordnung, die in einem Interstaatensystem organisiert ist, wobei sich die Nationalstaaten gegeneinander als konkurrierende Instrumente der Herrschaft des Zentrums über die Peripherie konstituieren (Vgl. Balibar, Etienne 1991: S. 110).

In diesem Sinne werden die Begriffe Zentrum und Peripherie oft gleichbedeutend mit Länder des Nordens für Zentrum und Länder des Südens für Peripherie verwendet. Hierbei wird vernachlässigt, daß diese Begriffe vor allem funktionalen Charakter in Bezug auf das kapitalistische System innehaben und die ihnen zugeordneten Zonen keineswegs Länder oder Ländergruppen sein müssen. Diesen Zonen müssen nun im Globalisierungsprozeß neue Einheiten zugeordnet werden, wie z.B. durch die Bezeichnung der "Neue Süden" erfolgt ist.

Der Übergang von der Ersten zur Zweiten Moderne

Die Bezeichnung der "Neue Süden" trägt der Tatsache Rechnung, daß sich neue Kräfte gebildet haben, die zum Entstehen neuer Formen der Kapitalakkumulation geführt haben, die nicht weiter vernachlässigt werden können. Wobei der Begriff der "Neue Süden" hervorhebt, daß typische Erscheinungen, die vormals den peripheren Ländern des Südens zugeschrieben wurden, nun länderübergreifend in solchem Maße auftreten, daß sie zur Kenntnis genommen werden müssen. Diese neue Kräfte bekamen Stärke, da ein wesentliches Moment der Globalisierung der Übergang von der Ersten Moderne zur Zweiten Moderne ist. Dieses Begriffspaar wurde von Beck (1998) eingeführt, hierbei steht die Zweite Moderne im Gegensatz zur Ersten Moderne, die als nationalstaatlich-klassenzentrierte, später als wohlfahrtsstaatliche Industriegesellschaft charakterisiert werden kann.

Die Zweite Moderne hingegen ist globalisiert und transnational. Der Prozeß der

Entgrenzung, d.h. der Übergang von einem nationalen zu einem globalen Kapitalismus, ist der historisch fundamentalste Prozeß der zweiten Moderne, der zudem als unumkehrbar betrachtet wird. Finanzströme, Märkte, Marktsysteme, der Wettbewerb, die Regulierungsmechanismen der Nationalstaaten sowie Konsumverhalten und alle weiteren denkbaren Funktionen unterlaufen derzeit den Prozeß der Entgrenzung und machen gemeinsam den Prozeß der Globalisierung aus.

Als konstituierende Elemente für diesen Prozeß werden die neuesten elektronischen Kommunikationstechniken, ihre weltweite Ausbreitung und ihr ubiquitärer Zugang, die Entsofflichung der Produktion, der Abbau von Distanzen, die Standortmobilität von Produktions- und Informationssystemen sowie das supranationale Zusammenspiel ausgemacht (Vgl. Scholz 2000: S.2).

Diese Entgrenzung hat also zur Folge, daß sich neue konkurierende Einheiten um Zentrum und Peripherie bilden, die nicht an den Nationalstaat als Territorium gekoppelt sind.

Welche Form haben aber nun diese neuen konkurierenden Einheiten und was sind die Ursachen für die Schwächung der Einheit des Nationalstaates?

Der Untergang des keynesianischen Wohlfahrtstaates und die Schwächung der Einheit des Nationalstaates

Im Globalisierungsdiskurs wird oft argumentiert, daß der Nationalstaat durch Internationalisierung, Entnationalisierung und Entstaatlichung (Vgl. Jessop, R. 1996) einen Souveränitätsverlust erleidet. Im folgenden soll genauer auf die durch Entstaatlichung bewirkte Schwächung der Einheit des Nationalstaates eingegangen werden. Es wird in diesem Zusammenhang oft angeführt, daß der Abbau des Sozialstaates die hierdurch zuvor künstlich aufrechterhaltene Einheit schwächt.

Wallerstein und Balibar (1991) argumentieren, daß sich die Durchsetzung der "Nation-Form" (im Welt-System Modell der Neuzeit) gegen andere mögliche Formen nicht nur durch die "reine ökonomische Logik" erklärt, sondern vor allem durch "die konkreten Konfigurationen des Klassenkampfes" bedingt ist. Einzig die Form des Nationalstaates erlaubte "zumindest auf lokaler Ebene die Eindämmung der heterogenen Klassenkämpfe" und ließ Staatsbourgoisien entstehen, "die fähig waren, die politische, ökonomische und kulturelle Hegemonie auszuüben".(Vgl. Balibar 1991: S. 112). Diese Begründung für die Durchsetzung der "Nation-Form" kann ebenso für deren Durchsetzung im Norden nach der Krise des Feudalismus als auch für deren spätere Durchsetzung im Süden nach der Entkolonialisierung herangezogen werden.

Ähnlich wird oft im Zusammenhang der Funktionalität des Ost-West Gegensatzes argumentiert. Hier wird konstatiert, daß durch die Auflösung des durch diesen Gegensatz bewirkten Systemwettbewerbs, der soziale Legitimationszwang des Westens gegenüber dem Osten bedeutungslos geworden ist. Nach der Wende 1989 konnte der entgrenzende Prozeß der Liberalisierung, Deregulierung und Privatisierung endlich ohne Vorbehalte durchgesetzt werden und der Abbau des Sozialstaates konnte in Gang gesetzt werden. Das nationale Territorium verliert in diesem Prozeß seine Rolle als strategischer Wirtschafts und sozialer Verantwortungsraum, wodurch der Süden in die Länder des Nordens Eingang erhält. Gemeint sind hiermit nicht Migrantenströme, die fürwahr auch zum Entstehen neuer Raumkonzepte sowie transnationaler Räume beitragen, sondern die bereits oben erwähnten typischen Erscheinungsformen der Länder des Südens.

Dieser Prozeß wird oft auch als der Untergang des keynesianischen Wohlfahrtstaates bezeichnet, welcher im folgenden kurz skizziert werden soll. In der Nachkriegszeit entwickelten sich alle westlichen Industrienationen zu Wohlfahrtsstaaten, wobei das Ausmaß der sozialen Absicherung durchaus unterschiedlich war Um die soziale Absicherung zu erreichen, griff der Staat in die auf seinem Territorium stattfindenden Wirtschaftsabläufe ein - der regulierende Staat war geboren (Regulationstheorie); Mindestlöhne, Kündigungsschutz, steuerliche Umverteilung, Versorgung im Alter und im Krankheitsfall sind nur einige Beispiele dafür. Um die Ziele zu erreichen, die mit dem Begriff des magischen Vierecks umschrieben werden - angemessenes Wirtschaftswachstum, hohe Beschäftigungsrate, außenwirtschaftliches Gleichgewicht und Preisstabilität - bediente man sich der Instrumente, die den Nationalstaaten gemeinhin zur Verfügung standen: Geld- und fiskalpolitische Maßnahmen, Währungs- und Zinspolitik, steuerlich organisierte Umverteilung und Sozialversicherungswesen. Die wirtschaftspolitischen Aktivitäten des Staates bezogen sich - innenpolitisch wie außenpolitisch- stets auf die nationale Ökonomie.

Diese nationale Ökonomie wird in der Zweiten Moderne durch die globale Ökonomie überlagert und ausgehöhlt, d.h. die Weltwirtschaft läßt sich nicht mehr als Addition der Volkswirtschaften berechnen, genausowenig wie sich die Volkswirtschaft aus der Wirtschaft der nationalen Unternehmen bestimmen läßt. Die wirtschaftspolitischen Eingriffsmöglichkeiten des Staates werden hierdurch enorm beschränkt. Das Paradoxe an der Situation ist, daß die von Politikern oft beklagte sogenannte Übermacht der Wirtschaft über den Staat erst durch in Kraft treten politischer Entscheidungen zustande kommen konnte, wie z.B. durch die weltweite Durchsetzung des Paradigmas des Neoliberalismus.

Denn im Zuge der weltweiten Durchsetzung dieses Paradigmas wurden Weichen für einen beispiellosen Abbau internationaler Handelshemmnisse gestellt. Die 1944 stattgefundene Gründung des IWF und der Weltbank ist hier als Weichensteller ebenso zu nennen, wie das Inkrafttreten des 1948 konstituierten GATT, welcher 1995 durch die WTO abgelöst wurde. Die Strukturanpassungsmaßnahmen des IWF zwangen immer mehr „Entwicklungsländer“ sich fast bedingungslos der Außenwirtschaft zu öffnen. Viele multinationale Unternehmen konnten daraufhin absatzorientierte und kostenorientierte Direktinvestitionen in diesen ausländischen Standorten durchführen.

Bis dahin national verankerte Großunternehmen entwickelten sich so zu multinationalen Konzernen und Global Players. So ist seit Anfang der achtziger Jahre “der internationale Handel in seiner Bedeutung für die grenzüberschreitende Produktion u. Verteilung von Gütern und Dienstleistungen zunehmend von einem System aus langfristigen Kapitalverflechtungen überlagert“ (Neyer, J., 1995: S. 13). Das unternehmerische Leitmotiv jener Unternehmen wird durch den shareholder value bestimmt, d.h. sie sind gezwungen, die Aktionäre durch ausreichende Gewinnprognosen davon abzuhalten, ihnen ihr Kapital zu entziehen. Die dafür erforderliche Kostenminimierung der Unternehmen erfolgt meist durch soziale oder ökologische Kostenexternalisierung. „Ein Schiff als Produktionsstandort, mit dem man dort vor Anker geht, wo die Löhne, Steuern und andere Rahmenbedingungen am günstigsten sind“ wurde das Leitbild für viele Unternehmer (Martens, E., 1997: S.65). Diesem Leitbild getreu wird zumeist nur noch in Niedriglohnländern produziert und in Niedrigsteuerländern versteuert.

Hierdurch treten die einzelnen Staaten untereinander in einen Wettbewerb, wodurch dem modernen Wohlfahrtsstaat die Existenzgrundlage entzogen wird, denn die meisten Staaten reagieren auf den Konkurrenzdruck mit Deregulierung und Abbau des Sozialstaates. Durch die gestiegene Mobilität von Kapital haben die Regierungen zudem auch immer größere Probleme, ihre Ökonomien zu besteuern, um somit die Umverteilung von Reich zu Arm zu gewährleisten. Unter den Bedingungen entstofflichter weltwirtschaftlicher Interaktionen hat das klassische nationalstaatliche außenwirtschaftliche Regelwerk aus Zöllen, Quoten und anderen Handelshemmnissen somit seine Funktionalität weitgehend verloren.

„ Während der internationale Handel sich lange Zeit ganz überwiegend aus stofflichen Produkten zusammensetzte (Agrargüter, Rohstoffe, Halb- und Fertigwaren), die gemessen, gewogen und besteuert werden konnten, hat die Revolution des Kommunikationswesen dem internationalen Handel fast den gesamten Bereich der professionellen Dienstleistungen erschlossen. (...) Seit Mitte der achtziger Jahre wächst der internationale Handel mit Dienstleistungen (...) und beträgt heute fast 30% des Welthandels.“ (Neyer, J. 1995: S.14).

Unter diesen Bedingungen folgen die Unternehmen einem eigenen Standortmuster, das von Saskia Sassen (1996) folgendermaßen beschrieben wird: Strategisch bedeutsame Standorte sind die Stätten der exportorientierten Produktion und die Offshore- Bankenzentren und insbesondere neuerdings die Global Cities als Kommandozentralen der Kapitalakkumulation und Produktionsstätten der heute führenden Wirtschaftssektoren, dem tertiären und quartären Sektor.

Neue Formen von konkurierenden Einheiten

Der Gegensatz zwischen Zentrum und Peripherie ist nun modellhaft auf jedes einzelne Land an sich übertragbar, denn Prozesse der Peripherisierung treten nunmehr in Bereichen auf, die einst als Kerngebiete galten genauso wie Prozesse der Zentrierung in ehemaligen Bereichen auftreten, die bisher als peripher galten. Zentrum und Peripherie werden quer zur althergebrachten Scheidelinie zwischen armen und reichen Ländern geographisch neu verteilt.

So finden in den Städten der sogenannten Länder des Nordens, insbesondere in den Global Cities; sowohl das Zentrum als auch die Peripherie das strategische Terrain für ihr Unternehmungen.

Die Umorganisation der Arbeit in den alten Wirtschaftssektoren (neue weltweite Formen der Arbeitsteilung) und der Wachstum der neuen Wirtschaftsektoren hat steigende Arbeitslosigkeit und hohe Einkommensunterschiede zur Folge, was zu Veränderungen in der gesellschaftlichen Reproduktions- und Konsumsphäre führt, die wiederum auf die wirtschaftliche Organisation und Einkommensverteilung zurückwirken. Trug dieser Rückkoppelungseffekt im Fordismus zur Reproduktion der Mittelschicht bei, so reproduziert er derzeit wachsende Einkommensunterschiede, unsichere Arbeitsverhältnisse und eine veränderte Konsumstruktur. Die Tertiärisierung der Beschäftigung in den ehemaligen Industrieländern führt einerseits zu einem polaren Wachstum der Beschäftigung und vergrößert anderseits die Lücke zwischen Nachfrage und Angebot an Arbeitsplätzen, denn Massenarbeitsplätze aus der Produktion sind hier durch Auslagerung weitgehend verschwunden (Vgl. Häußermann, H. 1998: S.137). Dies führt dazu, daß sich im Zentrum großer Städte der entwickelten Länder, nicht weit von den weltweit teuersten Gewerbeflächen entfernt, sogenannte Ghettos oder Orte der sozialen Exklusion bilden. Der techno- logische Fortschritt, die neue Arbeitsteilung und die Rationalisierung von Stellen zieht eine Milliarden zählende überflüssige Bevölkerung nach sich. Das neue an dieser "redundant population" ist, daß sie nicht einmal mehr im Marxschen Sinne als Reservearmee fungieren kann, sondern einfach nur überflüssig ist (Vgl. Scholz 2000a: S. 5). Die Hegelsche Herr-Knecht-Dialektik zerfällt somit, und es findet eine neuartige Polarisierung und Stratifizierung der Weltbevölkerung in globalisierte Reiche und lokalisierte Arme statt. Diese Polarisierung beinhaltet sich verschärfende soziale und regionale Disparitäten im Norden wie im Süden. Der neue Süden, bzw. die neue Peripherie verortet sich im Süden wie im Norden (wobei hier angemerkt werden muß, daß der neue Süden in Form eines Meeres der Armut wohl doch eher in den Ländern des Südens vorzufinden ist, wohingegen der neue Süden in den Ländern des Nordens wohl eher in Form von Inseln der Armut im Meer des Reichtums verortet ist). Der neue Süden schlägt sich in lokaler Standortschwäche und exzessiver Standortfluktuation, in Arbeitslosigkeit und Exklusion, in Marginalsierung, Verelendung und lokaler Massenarmut nieder, der neue Norden bzw. das neue Zentrum verortet sich gleichzeitig und oft in unmittelbarer Nähe zum neuen Süden (auf gleichem Terrain sozusagen) uns schlägt sich dort in individuellem Reichtum, in ökonomische Partizipation, bewußter Abgrenzung (Inklusion) und sozialem Aufstieg nieder (vgl. Scholz 2000a: S.7ff).

Die Umstrukturierung verändert also nicht nur die Situation in den Ländern des Nordens, denn der Prozeß der Fragmentierung findet weltweit statt. In den Ländern des Südens äußert er sich in Form von zunehmender regionaler Dsiparität. In globalisierten Orten werden nun aufgrund der neuen Arbeitsteilung einzelne Regionen in abgestufter Form in die globale Wertschöpfungskette integriert wohingegen andere Stadtfragmente ganz ausgegrenzt werden. So kommt es in diesen Städten zur Herausbildung von durch Zäunen geschützten Inseln des Wohlstands (no entrance area), welche sich in unmittelbarer Nähe zu Orten der sozialen Exklusion (no go area) befinden.

Man könnte in diesem Sinne also von einer doppelten Umstrukturierung von Zentrum und Peripherie sprechen: Zum einen bilden sich die neuen Zentren, nämlich die Global Cities und die globalisierten Orte heraus, zum anderen entstehen in diesen neuen Zentren neuartige Formen von Peripherien.

Fazit

Der eben skizzierte Übergang von der Konsenswelt der Ersten Moderne, in der die Wohlfahrtstaaten des Nordens den jungen unterentwickelten Staaten des Südens übergeordnet werden, zur globalisierten Welt der Zweiten Moderne, führt also zu einer fragmentierten Welt, in der sich neuartige Zonen von Zentrum und Peripherie ausbilden. Diese neue Struktur wird in Abbildung 1 verdeutlicht.

Wirklichkeit

Zur Hinterlegung der Wirklichkeit der oben beschriebenen Prozesse möchte ich nur kurz auf das Beispiel Berlin verweisen, in dem der neue Süden unübersehbar an Orten der sozialen Exklusion als neues Phänomen zu beobachten ist. Berlin zählt zu den Großstädten, die sich derzeit am prekärsten im Umbau zur global konkurrenzfähigen Dienstleistungsmetropole befinden.Infolge des Strukturwandels auf dem Arbeitsmarkt und einer neolioberalen Wirtschafts- und Sozialpolitik vollzierht sich in Berlin seit einigen Jahren eine Verschärfung sozialer Gegensätze die mit der Zunahme von materieller Armut innerhalb großer Teile der Bevölkerung einhergeht.

Die folgenden Daten sollen diese verdeutlichen:

Die Arbeitslosenquote liegt in Berlin 1999 bei 16,1 %. In absoluten Zahlen waren 1999 ca. 271.000 Personen als arbeitslos gemeldet, kurzfristige Beschäftigte nicht eingerechnet. (Sozialstrukturatlas 1999)

Die Zahl der Sozialhilfeempfänger hat sich im Zeitraum von 1991-1999 verdoppelt. 285.000 Menschen beziehen 1999 in Berlin Sozialhilfe. (Sozialstrukturatlas 1999) Die geschätzte Zahl der Menschen, die in Obdachlosigkeit leben, schwankt in verschiedenen Publikationen zwischen 40.000 und 60.000.

Im Zusammenhang mit der funktionalen Umstrukturierung der Stadt, führt dies zu einem Entstehen neuer sozialräumlicher Muster und zum Entstehen von Orten der sozialen Exklusion, wie sie z.B. im Stadtbezirk Friedrichshain zu beobachten sind. Daß heute die Länder des Nordens in wachsendem Maße von ungleicher Entwicklung betroffen sind, zeigt sich nicht zuletzt darin, daß deren Armutszonen zum Gegenstand von Förderungsmaßnahmen werden, die im Umgang mit der Dritten Welt entwickelt wurden (z.B. Tauschringe oder die Gewährung von Kleinkrediten zur Existenzgründung für arbeitslose oder für Menschen aus dem informellen Sektor).

Die Entwicklungsproblematik verallgemeinert sich dadurch und die Entwicklungspolitik kehrt sich zum Teil nach Innen.

Abb. 1 (Scholz 2000b S. 261) :

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Literaturverzeichnis

Altvater, Elmar/ Mahnkopf, Birgit 1996: Grenzen der Globalisierung. Ökonomie, Ökologie und Politik in der Weltgesellschaft. Münster.

Antweiler, C. 1999: Imanuel Wallerstein (1930-). Alle Entwicklung ist eingebettet im kapitalistischen Weltsystem. In: E+Z, Jg. 40, Heft 9. S. 253-255) Balibar, Etienne 1991: Die Nation-Form: Geschichte und Ideologie. In: Balibar/Wallerstein (Hrsg.): Race, Nation, Class. London. S. 106-131. Beck, Ullrich 1988: Gegengifte. Die organisierte Unverantwortlichkeit. Frankfurt/M. Beck, Ulrich 1998 : Was ist Globalisierung? Irrtümer des Globalismus - Antworten der Globalisierung. 5. Aufl., Frankfurt/Main

Brock, Lothar 1997: Dritte Welt weltweit. Die Verallgemeinerung der

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Häußerman, Hartmut 1998: Armut und städtische Gesellschaft. In : Geographische Rundschau Jg. 50, 1998, H.3, S. 136-138.

Hoogvelt, Ankie 1997: Globalization and the Postcolonial World. The New Political Economy of Development. Baltimore: John Hopkins.

Jessop, Robert 1996: The Future of the National State: Erosion or Reorganisation? Lancaster Academy.

Korten, David 1995: When Corporations Rule the World. Connecticut. Kumarian Press.

Mahnkopf, Birgit 1998: Soziale Demokratie in Zeiten der Globalisierung? Zwischen Innovationsregime und Zähmung der Marktkräfte. In: Blätter für deutsche und internationale Politik. 11/1998. S. 1318 - 133.

Martens, E. 1997: Ein Zug ohne Bremsen. In: ZEITpunkte: Die mageren Jahre. ZEITmagazin, H. 1/97.

Martin Hans/ Schuhmann, Harald 1997: Die Globalisierungsfalle. Hamburg, Rowohlt.

Neyer, N. 1995: Das Ende von Metropole und Peripherie? Soziale Inklusion und Exklusion in der entgrenzten Weltwirtschaft. In: Peripherie, Nr. 59/60, Jg. 1995, S. 10-29.

Nohlen, Dieter (Hrsg.) 1984: Pipers Wörterbuch zur Politik. Band 5 Internationale Beziehungen. München & Zürich

Nuscheler, Franz 1995: Lern- und Arbeitsbuch Entwicklungspolitik. Bonn: Politisches Bildungszentrum.

Sassen, Saskia 1996: Metropolen des Weltmarktes. Die neue Rolle der Global Cities.Campus Verlag. Frankfurt/M, New York. .

Scholz 2000a: Perspektiven des "Südens" im Zeitalter der Globalisierung. In: Geographische Zeitschrift, 88 Jg. 2000, Heft 1, S. 1-20. Stuttgart. Franz Steiner Verlag.

Scholz 2000b: Globalisierung versus Fragmentierung. In Nord-Süd aktuell. 2.Quartal 2000.S.255-271.

Treibel, Annette 2000: Kapitalistische Weltwirtschaft (Wallerstein). In: Treibel, Anette 2000: Einführung in soziologische Theorien der Gegenwart. Leske + Budrich, Opladen.

Ende der Leseprobe aus 15 Seiten

Details

Titel
Der neue Süden, Begriff, Begründung, Wirklichkeit
Hochschule
Freie Universität Berlin
Note
2
Autor
Jahr
2001
Seiten
15
Katalognummer
V110645
ISBN (eBook)
9783640088072
Dateigröße
563 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Süden, Begriff, Begründung, Wirklichkeit
Arbeit zitieren
Nikola Rass (Autor:in), 2001, Der neue Süden, Begriff, Begründung, Wirklichkeit , München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/110645

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