Ziel dieser Arbeit ist ein kurzer Vergleich der Filme KILL BILL (Quention Tarantino/USA/ 2003/2004) und LA MARIEE ETAIT EN NOIR (Francois Truffaut/F/1967), der dem Leser neue Blickwinkel auf die beiden Filme eröffnen möchte.
Inhaltsverzeichnis:
Einführung und Plot
Szenenvergleich unter besonderer Berücksichtigung des Frauenbildes
Verwendete Literatur
Ziel dieser Arbeit ist ein kurzer Vergleich der Filme KILL BILL (Quention Tarantino/USA/ 2003/2004) und LA MARIEE ETAIT EN NOIR (Francois Truffaut/F/1967), dieser Vergleich erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern möchte dem Leser neue Blickwinkel auf die beiden Filme eröffnen.
Offensichtlich ist den beiden Filmen der Basic-Plot gemeinsam: eine Frau, deren Mann in der Kirche [KILL BILL] bzw. auf den Stufen vor der Kirche [LA MARIEE ETAIT EN NOIR] erschossen wird, beginnt einen Rachefeldzug gegen die Täter. Es geht um Unschuld und Schuld und um ein Bild der Frau [Uma Thurman in KILL BILL/Jeanne Moreau in LA MARIEE ETAIT EN NOIR] was zwei Regisseure hier von ihren Darstellerinnen entwerfen[1].
LA MARIEE ETAIT EN NOIR basiert auf einem Roman von Cornell Woolrich[2] The Bride Wore Black [unter dem Pseudonym William Irish veröffentlicht], Truffaut veränderte den Ablauf der Romanvorlage, in dem er die Aufklärung – warum die Heldin Julie Kohler (Jeanne Moreau) die fünf Männer umbringt – bereits nach dem zweiten Mord in Form einer langen Rückblende liefert[3]. Damit verfährt er ähnlich wie sein großes Vorbild Hitchcock und verzichtet auf eine vordergründige Who-dunnit -Spannung zugunsten der Suspense[4]. Unterstützt wird diese durch den grandiosen Soundtrack Bernard Herrmanns, der neben den bereits in den Fußnoten erwähnten Hitchcock-Filmen auch für NORTH BY NORTHWEST (USA/1959) die Musik schrieb und mit dem Truffauts bereits bei FAHRENHEIT 451 (F/1966) zusammengearbeitet hatte.
Während des dritten Mordes erfährt Jeanne Moreau von ihrem Opfer, dass das Ganze ein Versehen, ein Unfall war – während sie Moreau den Verschlag, in dem sie ihr Opfer eingesperrt hat, luftdicht abklebt, erzählt sie von der Liebe zu ihrem verstorbenen Mann.
Spätestens ab hier geht es nicht mehr um eine Ursache-Wirkungs-Prinzip[5], sondern nur noch darum, ob sie ihr Ziel erreichen wird – ähnlich wie bei PSYCHO ist der Zuschauer emotional bei der Heldin[6], die ihrerseits emotionslos an der Erfüllung ihres Planes arbeitet – Komplikationen erschweren den erfolgreichen Abschluss ihrer Mission, aber Julie siegt über die Männer und führt alle ihrem ‚gerechten’ Schicksal zu.
Sieht man sich die Grundkonstanten von KILL BILL an, so könnte man ihn durchaus für ein Remake[7] halten – ein sehr amerikanisches allerdings, was nach dem Motto ‚ larger than life’ funktioniert. Bei Tarantino wird nicht nur der Ehemann erschossen, sondern gleich die ganze Hochzeitsgesellschaft, Pfarrer und Organist – womit ein Zufall wie bei Truffaut ausgeschlossen ist – inklusive der schwangeren Braut Beatrix Kiddo [Uma Thurmann], die jedoch überlebt, wenn auch die nächsten vier Jahre im Koma. Als sie erwacht, macht sie sich auf ihren persönlichen Rachefeldzug für das, was ihr und ihrer Tochter [von der der Zuschauer annimmt, dass sie gestorben ist] angetan wurde.
Ihr Weg führt sie zu den verschiedenen Mitgliedern der ‚Deadly Viper Assassination Squad’[8], der sie selbst einmal angehört hat: angefangen bei der farbigen Vivica A. Fox, die sie zuhause tötet, über die Triaden-Chefin O-Ren[9] (Lucy Liu), zu der Uma Thurman aber erst gelangt, nachdem sie eine Armada von Kung-Fu-Kämpfern und –Kämpferinnen überwunden hat[10]. Es folgt der Mord an ihrer größte Rivalin Elle Driver (Darryl Hannah). Daraufhin verhindern auch hier Komplikationen das allzu schnelle Ende:
Beatrix wird von Michael Madsen über-wältigt und lebendig begraben. Nach ‚Tod und Wiedergeburt’ der Heldin tötet sie zunächst Michael Madsen und macht sich dann auf den Weg zu Bill (David Carradine) trifft. Dieser hat ihre Tochter aufgenommen und großgezogen, doch das bewahrt ihn nicht vor dem Tod – nach einem weiteren Schwertkampf kann Uma Thurman Bill mit einem tödlichen Karatetrick besiegen.
Im Folgenden möchte ich zwei Szenen vergleichen, da sie exemplarisch das Verbindende und das Trennende der beiden Filme zeigen.
Julie (Jeanne Moreau) ist auf dem Weg zu ihrem dritten Opfer – dem Politiker Morane (Michael Lonsdale), der Zuschauer hat durch eine Rückblende bereits erfahren, dass ihr Bräutigam vor der Kirche erschossen wurde und der Mord kündigt sich an[11]. Doch bevor es dazu kommt, trifft Julie auf Moranes Sohn, mit dem sie spielt – hier wirkt Jeanne Moreau plötzlich zärtlich, sanft, weiblich. Der anschließende Mord am Vater des Jungen wirkt umso brutaler, kälter, emotionsloser, böser – stilisiert sie vollends zur femme fatale, zur eiskalten Frau[12].
Eine ganz ähnliche Szene findet sich in KILL BILL in umgekehrter Form: als Uma Thurman bei ihrem ersten Opfer auftaucht wird der brutale Kampf der beiden Frauen durch die Ankunft der Tochter von Vivica A. Fox unterbrochen. Uma Thurman wird als alte Freundin vorge-stellt, das Kind nach oben geschickt – ein Plausch zwischen den beiden Frauen in der Küche, bis plötzlich Fox auf Thurman schießt und diese ‚in Notwehr’ Vivica tötet, vor den Augen der Tochter[13]. Und dann entschuldigt Thurman sich - nicht dafür, dass sie die Mutter der kleinen getötet hat, sondern, dass sie ihr diesen Anblick nicht erspart hat und sie erklärt ihr [der Kleinen], dass sie auf sie warten werde, wenn sie eines Tages kommt um Rache an ihr [Thurman] zu üben. Und das Kind blickt sie an und Thurman geht aus dem Haus, steigt in ihren Wagen und streicht den ersten Namen ihrer Widersacher aus einem Notizbuch…
In beiden Szenen werden Kinder ‚benutzt’ um die Hauptfigur zu charakterisieren, Truffaut verleiht seiner Hauptfigur jedoch dadurch etwas Warmes, Mütterliches und lässt damit die nachfolgende Tat in einem anderen Licht erscheinen. In LA MARIEE ETAIT EN NOIR wird dem Zuschauer klar, dass Julie sehr wohl Empfindungen hat und so sehr geliebt hat, dass sie nun um jeden Preis den ‚Blutzoll’ für ihre Liebe verlangt und ihre späteren Worte „Ich bin bereits tot“ - weil ihr Bräutigam tot ist und „erst wenn er völlig gerächt ist, werde ich vereint mit ihm sein“ ‚erklären’ oder besser machen die Besessenheit ihres Handelns verständlich.
In KILL BILL hingegen spricht aus Thurmans Haltung und Worten tiefes Mitgefühl für dieses Gefühl des Verlusts, jedoch gepaart mit einer konsequenten Logik, deren weibliche Seite sich allerhöchstens darin zeigt, dass sie das Kind am Leben lässt. Erst gegen Ende des zweiten Teils – nachdem sie ihre Mission fast zu Ende gebracht hat – erleben wir Thurman als sanfte Mutter gegenüber ihrer eigenen Tochter.
Das hier anklingende Frauenbild ist einerseits gekennzeichnet von tiefen Verletzungen der Seele und des Körpers[14], andererseits durch eine radikale Eigensinnigkeit und Gradlinigkeit, die sich von nichts in ihrem Ziel beirren lässt[15], sie sind Getriebene.
Gleichzeitig aber strahlen beide Figuren eine unglaubliche Selbstständigkeit und Selbstbe-herrschung[16] aus, die Ehe – in beiden Fällen der vorgezeichnete Weg der Gesellschaft für ein Zusammenleben von Mann und Frau – wird zerstört, so dass die Heldin ihren eigenen Weg gehen kann: dieser führt bei Truffaut in den eigenen Untergang, bei Tarantino auf Umwegen ‚zurück’ ins Mutterglück.
Es ist ein emanzipiertes Frauenbild, was Tarantino und Truffaut hier zeichnen, das Männer, egal ob in der Rolle des Liebhabers oder Vaters[17], nicht mehr braucht, allerdings gestattet es Truffaut seiner Heldin im Gegensatz zu Tarantino nicht, die ‚Früchte’ ihres Befreiungsschlags auch zu genießen – ohne die Rache hat Jeanne Moreau keinen Sinn mehr im Leben, keine Aufgabe.
Die Vorlage für dieses Bild der Frau findet sich natürlich im film noir, in Form der femme fatale bzw. des good-bad-girl – ersterer Typ entspräche hierbei Jeanne Moreau, zweiterer Uma Thurman. Als Vorbild für letzteren Typ kann Lauren Bacall gelten, sie verkörpert als selbstbewusste, sexuell attraktive, emanzipierte Frau ein Idealbild[18] – in ihr verschmelzen die Aspekte des ‚bad girl’ und des ‚good girl’ zu der neuen Figur des ‚bad-good-girl’, „die ihren Platz in der Welt einnimmt“[19], die dem Mann ebenbürtig ist; auf Tarantino gewendet könnte man sogar sagen, dass die Frau den Männern überlegen ist.
Ähnlich wie in den Vierziger Jahren des film noir und den späten Sechzigern Truffauts reflektiert auch Tarantinos Film die fortwährende Verschiebung des Geschlechterver-hältnisses innerhalb des patriarchalen Diskurses, deren veränderte Realitäten sich sowohl im Rollen- und Familienverständnis, in sexueller Freiheit, als auch im kulturellen Bereich spiegeln. Im Gegensatz zu Truffauts Film sind in KILL BILL fast sämtliche Antagonisten Frauen – mit Ausnahme des titelgebenden Bill und seines Bruders, dargestellt von Michael Madsen.
Dies ist natürlich nur ein Fokus, der weder LA MARIEE ETAIT EN NOIR noch KILL BILL in ihrer Gänze gerecht wird, denn gerade ein Film, wie KILL BILL, der sehr stark von seiner Visualität lebt und mit ihr und ihr ein Heer von feinstimmigen Querverweisen auffächert[20] ist sehr schwer zu fassen, ebenso könnte es durchaus spannend sein Truffauts high-key ausge-leuchtetem film noir unter dem Gesichtspunkt seiner Visualität zu untersuchen, die in vielem in krassem Gegensatz zu der ‚standartisierten’ Bildsprache des film noir stehen.
Beiden Filmen ist jedoch gemeinsam, dass sie ein extrem starkes und kompromissloses Frauenbild in Szene setzen, in denen man die Liebe für ihre Darstellerinnen spürt:
THE BRIDE IS BACK…
Verwendete Literatur:
Blumenberg, Hans C.: Die Kamera auf Augenhöhe. Begegnungen mit Howard Hawks; Köln 1979.
Fischer, Robert (Hrsg.): Mr. Truffaut, wie haben Sie das gemacht?, Köln 1991.
Truffaut, Francois: Die Lust am Sehen; Frankfurt/M., 1999.
[...]
[1] Raoul Coutard hat einmal gesagt, LE MEPRIS sein Jean-Luc Godards Eine-Million-Dollar-Liebesbrief an Anna Karina gewesen, ähnliches könnte man sicherlich von Truffaut [war dies doch nach JULES ET JIM [1962] sein zweiter Film mit Jeanne Moreau] behaupten. Vgl. dazu auch Truffauts Text über Jeanne Moreau in Francois Truffaut; Die Lust am Sehen; Frankfurt/M., 1999, S. 287. Sicherlich aber trifft dies auf Quentin Tarantino zu, dessen Bewunderung für seine Hauptdarstellerin überall publiziert wurde.
[2] Woolrich lieferte die Vorlagen für zahlreiche film-noir-Filme und für REAR WINDOW (Alfred Hitchcock/ USA/1954).
[3] In Woolrichs Roman steht die Aufklärung erst ganz am Ende.
[4] Der Wissensvorsprung des Zuschauers, in diesem Zusammenhang können als Beispiele hierfür insbesondere Hitchcocks PSYCHO (USA/1960) und VERTIGO (USA/1958) gelten.
[5] Wie Truffaut eh keinerlei Hintergrundinformation gibt, woher Julie die Namen und Aufenthaltsorte der Männer kennt.
[6] Obwohl wir es beide Male mit Mördern zu tun haben.
[7] Tarantinos Bewunderung und Kenntnis des französischen Kinos ist nicht nur in seinen zahlreichen Melville-Zitaten [z.B.:RESERVOIR DOGS (USA/1992)] zu erkennen, sondern auch an seiner Produktionsfirma ‚A bande apart’, die ihren Namen von dem gleichnamigen Godard Film erhielt.
[8] Einen frühen Verweis auf Tarantinos hier benutze Idee findet man bereits in PULP FICTION (USA/1994), wenn Uma Thurman (sic.) erzählt, dass sie in einem erfolglosen Pilotfilm um ein weibliches Spezialkommando - die ‚Fox Force Five’ - mitgespielt hat. In KILL BILL handelt es sich dann um eine Gruppe von Auftrags-killerinnen, die Bill unterstehen (angelehnt an CHARLIES ANGELS (1976-1981) und die 70’er-Jahre Eastern-Serie THE FIVE VENOMS).
[9] Lucy Liu entspricht in Outfit und Aussehen natürlich der LADY SNOWBLOOD [Toshiya Fujita/Japan/1973], der zur Zeit in den Videotheken mit den Worten: „Quentin Tarantino empfiehlt“ verliehen wird. Ein Film der ebenfalls von der grausamen Rache einer Frau handelt.
[10] Dieses Gemetzel wurde von Yuen Wo-ping choreographiert, der u.a. bei den frühen Filmen Jackie Chans Regie führte [DRUNKEN MASTER/HK/1978] und spätestens seit MATRIX [Larry und Andy Wachowski/USA/ 1998] und TIGER & DRAGON [Ang Lee/2000] auch international als einer der besten Choreographen für fernöstliche Kampfstile bekannt ist.
[11] Eine wiederkehrende Melodie, ein Paar schwarze Handschuh, ein ‚geheimnisvolles’ Notizbuch, Gewitter, eine durchtrennte Telefonleitung…
[12] Und spielt damit interessanterweise exakt das Gegenteil der leidenschaftlichen Catherine, die sie in JULES ET JIM unter Truffaut spielte.
[13] Uma Thurman sieht das Kind aber erst nach dem Mord.
[14] Beatrix Kiddo wurde während des Komas jahrelang vergewaltigt.
[15] Dazu Truffaut:„Die großen Hollywoodfilme stellen immer Menschen in den Mittelpunkt, die ein bestimmtes Ziel verfolgen. […] Keine Ahnung, warum dieses Motiv im europäischen Kino so verpönt ist. […] Von daher fehlt unseren Filmen oft die nötige Triebfeder, die die Handlung voranbringen würde, und an diese Leerstelle setze ich gerne die fixe Idee.[…] Das ersetzt, wenn Sie so wollen, das Ziel, das der amerikanische Held zu erreichen versucht.“ Zitiert nach: Robert Fischer (Hrsg.): Mr. Truffaut, wie haben Sie das gemacht?, Köln 1991, S. 99.
[16] Diese wird bei Thurman durch die Kampfsporteinlagen und die Rückblende in die Zeit ihrer Kampfsportaus-bildung visuell unterstützt.
[17] In diesem Sinn ist die Rolle David Carradines zu verstehen, der ihr ‚geistiger’ Vater ist, zumindest was ihre Ausbildung angeht und der Vater ihrer Tochter. Das lässt psychologisch vermuten, dass er genau aus diesem Grund das Massaker anzettelt, da Thurman Carradine ihrem Bräutigam als ihren Vater vorstellt.
[18] Exemplarisch sei hier auf die beiden Filmen von Howard Hawks TO HAVE AND HAVE NOT (USA/1945) THE BIG SLEEP (USA/1946) verwiesen.
[19] Howard Hawks in: Hans C. Blumenberg; Die Kamera auf Augenhöhe. Begegnungen mit Howard Hawks; Köln 1979; S. 66.
[20] Es sei nur kurz auf die schier unzählbaren Verweise aus Italo-Western, Eastern, Manga-Comis und deren Verfilmungen, chinesischen Martial-Arts-Filmen, japanischem Kino, sowie Fernsehserien, etc. verwiesen. Nicht zu vergessen die Musik, die ähnlich breit gefächert ist und natürlich die großartige Besetzung der Schauspieler (nicht zuletzt solche Eastern-Größen wie Sonny Chiba, oder auch David Carradine, der gerade in Deutschland vor allem durch die Serie KUNG FU (1972) bekannt ist.)
- Arbeit zitieren
- Johannes F. Sievert (Autor:in), 2005, Vergleich der Filme 'La mariée était en noir' und 'Kill Bill', München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/110649