Zeit und Zeitwahrnehmung


Seminararbeit, 2005

11 Seiten, Note: 1


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Die Zeitmessung und die Standardisierungsbewegung.

3. Die moralischen Aspekte

4. Die Deutung von Zeit und Geschichte – Ein kurzer Abriss

5. Die „neue“ Arbeitszeit

6. Literatur

1 Einleitung

Die gesamte Fülle von Faktoren, die für die umfassende Veränderung der Gesellschaft innerhalb der letzten 200 Jahre verantwortlich waren und noch immer sind, kann im Rahmen dieses Aufsatzes nicht wiedergegeben werden, einen kleinen Teilaspekt des umfassenden Faktors “Zeit” möchte ich hier aber näher beleuchten.

Vor allem unsere Kultur zeichnet sich durch permanenten Mangel an Zeit aus. Termindruck und die ständige Belastung, Ziele und Erwartungen fristgerecht zu erfüllen, diktieren die Arbeitszeit, aber auch die steigende Durchorganisiertheit der Freizeit lässt wenig Raum für richtiges “Nichts-Tun”. Ausschlaggebend für diese Probleme ist unter anderem der ökonomische Umgang mit der Zeit, also das Produktivitäts- und Effizienzdenken, das immer weitere Lebensbereiche umfasst. Jede Lücke wird mit Tätigkeiten gefüllt und so die Zeitknappheit erhöht.[1]

Das “die Zeit alle Wunden heilt”, wie dies in einem alten Sprichwort noch formuliert wurde, ist oft nicht mehr möglich, da für das vollständige Heilen von körperlichen Beschwerden und seelischen Verletzungen vielen die Zeit fehlt – der Übergang von der Zeit der Natur zu einer Zeit der Uhr.

2 Die Zeitmessung und die Standardisierungsbewegung

Ein Startschuss für die umfassende Orientierung des gesamten Spektrums des Lebens am Diktat der Zeit war sicherlich die Erfindung (und in weiterer Folge die durch Massenproduktion erreichte allgemeine Erschwinglichkeit) der mechanischen Zeitmessgeräte[2], die plötzlich die Möglichkeit boten, das Leben „eingeteilt und koordiniert“ zu gestalten. Zuvor orientierten sich die Menschen an den Gegebenheiten und Anzeichen der Natur, so, wie die Tätigkeiten und das Wissen der Bauern, wann welche Pflanzen gesät und geerntet werden müssen, noch immer vom Kreislauf der Natur abhängig sind und der Erfolg seiner landwirtschaftlichen Tätigkeiten mit der Richtigkeit seiner Interpretationen der Anzeichen in Verbindung steht.

Bevor die mechanischen Uhren nun ihren Siegeszug antraten, war es natürlich ungemein schwerer, Tätigkeiten verschiedener Menschen zu koordinieren. Oft richteten sie sich, wie bei Naturvölkern noch üblich, nach dem Auftreten von bestimmten Naturereignissen oder dem Stand der Sonne. Deshalb fanden viele historische Ereignisse wie Schlachten oder berühmte Duelle im Morgengrauen statt.[3]

Ein aktuelles Beispiel für die Orientierung an der Natur: „Die Bewohner der Trobriand-Inseln im Norden Neuguineas beginnen ihren Jahreskalender, der den Beginn der Pflanzzeit anzeigt, mit dem Auftreten eines bestimmten Ringelwurms.“ [4]

Die mechanischen Uhren verbreiteten sich in der westlichen Welt schneller, als sie von den Menschen im ländlichen Bereich, die eher nach der Naturzeit lebten, akzeptiert wurden. Ein großes Problem stellte die weit gehend fehlende Standardisierung der Uhrzeit dar und so kam es, dass in den meisten Bezirken, Städten und vor allem Ländern eine unterschiedliche Uhrzeit zur Anwendung kam.

In den USA gab es um 1860 mehr als 70 verschiedene Zeitzonen, in der Zeit um 1880 war die Anzahl aufgrund von Reglementierungsversuchen immerhin auf 50 gefallen. Die generelle Standardisierung der Zeit wurde damals vor allem von den Eisenbahngesellschaften und den Meteorologen gefordert.

Die Eisenbahnen wollten natürlich ihre Fahrpläne koordinieren und so gab damals es in den meisten Bahnstationen zwei Uhren: Eine zeigte die Eisenbahnzeit an, die andere die Ortszeit. Die Meteorologen wiederum wollten zeitlich gesicherte Daten erhalten, um relevante Wettervorhersagen treffen zu können.[5] Da aber auch die zunehmende Industrialisierung und davon betroffene oder profitierende Unternehmen (z.B.: Observatorien, die mit den Verkauf von genaue Uhrzeitsignalen verdienten), die Vereinheitlichung immer mehr vorantrieben und zudem mit moralischen Aspekten der korrekten Uhrzeit geworben wurde, wurden im Jahr 1883 in den USA von den Eisenbahngesellschaften schließlich die heute noch gültigen vier Zeitzonen eingeführt, die 1918 auch per Gesetz festgelegt wurden.[6]

3 Die moralischen Aspekte

Die Uhrzeit (und der damit verbundenen „Erfindung“ der Pünktlichkeit) wurde als Möglichkeit gesehen, den arbeitenden Menschen Genauigkeit bei der Verrichtung der täglichen Arbeit zu erlernen. Dies sollte in weiterer Folge auch zu „einer gesünderen Moral“ führen. Vor allem Uhrenproduzenten setzten sich für die „moralische Tugend der Pünktlichkeit“[7] ein, die später auch von der Firma „International Time Recording Company“ (später IBM), welche um 1900 Marktführer bei Stechuhrsystemen war, in Werbe und Imagekampagnen verwendet wurde.

„Der Zuspätkommende wurde als sozial tieferstehend und in einigen Fällen als moralisch minderwertig charakterisiert.“[8]

So wurde Pünktlichkeit einerseits zum Indikator für Leistung und Erfolg, sie ist aber nichtsdestotrotz auch eine Möglichkeit, um dem Gegenüber Respekt (oder eben keinen Respekt) zu zeigen.

Die Uhr, vor allem wenn es sich um ein besonderes Modell handelte, wurde dadurch neben dem dunklen Anzug zum Symbol für den sozialen Aufstieg. Auch heute noch ist eine teure Uhr vor allem bei Männern ein wichtiger Indikator für beruflichen Erfolg und, wie über Werbung auch immer wieder vermittelt wird, neben dem Auto, diversen technischen Geräten und einer Sammlung von guten Weinen, eine der großen Leidenschaften des erfolgreichen Geschäftsmannes.

4 Die Deutung von Zeit und Geschichte – Ein kurzer Abriss

Zur Geschichtsschreibung und dem Ablauf der Zeit gibt es unterschiedliche Denkschulen und Traditionen. Schon bei den griechischen Philosophen wurde über den Ablauf der Zeit nachgedacht („Alles fließt“). In der Tradition des Aristoteles unterschied man zwischen Historie, die nur einzelne Ereignisse meinte, und Geschichtsphilosophie, wo die Gesamtzusammenhänge beschrieben wurden. Augustinus sah Geschichte als Kampf zwischen Gottesreich und den gottfremden Mächten und in der mittelalterlichen Geschichtstheologie ist Geschichte und Zeit der Ablauf zwischen Schöpfung und dem jüngsten Gericht.[9]

Ein wichtiger Vertreter für die modernen Deutungen von Geschichte ist Giambattista Vico, der als zentrale Elemente Wachstum und Verfall, sowie die Wiederholung von Vergangenem und Handlungen, festmachte[10] (dies kann in allen Bereichen des menschlichen Lebens – z.B.: Politische Strömungen - und dessen Produkte – z.B.: Kunst, Mode - anhand der diversen „Neo- und Retrobewegungen“ festgestellt werden).

Laut Hegel bedeutet Weltgeschichte die Selbstverwirklichung des Geistes zu größerer Freiheit. Der Höhepunkt stellt für ihn die bürgerliche Gesellschaft mit seinen Institutionen dar, wo das Individuum im kollektiven Bewusstsein des bürgerlichen Staats eingebunden wird.

Comte wiederum geht wiederum von einer klaren linearen Vorstellung von Geschichte aus, was sich in seinem Erklärungsmodell, dem „Dreistadiengesetz“, ausdrückt. Im ersten Stadium, dem theologischen Stadium, dominierten Religion und Mythos, im zweiten, dem metaphysischen Stadium, eine philosophisch-meta­physische Weltsicht und das dritte, das wissenschaftliche Stadium, wird von Wissenschaft und Technik geleitet.

Natürlich gab es noch viele weitere Versuche, Zeit und Geschichtsabläufe theoretisch zu erfassen, so ist auch der Ansatz von Oswald Spengler zu erwähnen, der von einer Metamorphose ähnlich der Jahreszeiten der Natur ausging und bestätigende Vergleiche in vergangenen Kulturen suchte. Er beschrieb Kulturen als selbständige Organismen, die einen Zeit und Lebensrhythmus mit Anfang und Ende haben.[11]

5 Die „neue“ Arbeitszeit

Auf betrieblicher Ebene wurde und wird die Stechuhr, die (im Sinne der Taylorschen Arbeitslehre) nur in jenen Arbeitsfeldern einsetzbar ist, wo genormte Bewegungen in einem bestimmten zeitlichen Ablauf zu erledigen sind, meist durch flexiblere Arbeitszeitmodelle abgelöst.[12] Durch den verstärkten Einsatz von Arbeitsteams und die Ausrichtung an Projektarbeit sind andere (den Anspruch von Dynamik und Komplexität erfüllende) Strukturen und Orientierungen nötig geworden, die oft durch Selbstorganisation funktionieren (z.B.: Netzwerkorganisationen).

Es gibt also keinen umfassenden Zeitbegriff und vor allem (Zeit-) Maßstab, vielmehr existieren unzählige Teilsysteme (z.B. Natur, Zyklen der Wirtschaft usw.), die sich wiederum mit den individuellen Vorstellungen und (Lebens-) Rhythmen schneiden, überlagern oder in Konflikt geraten. In jedem dieser Systeme, in der sich das Individuum bewegt, herrscht demnach eine „innere Systemzeit“.[13]

Die fortschreitende Digitalisierung verkürzt neben der räumlichen Distanz auch die Zeit, da die Geschwindigkeit, mit der Daten bearbeitet werden können, durch den Fortschritt der Technik immer weiter zunimmt. Bernhard von Mutius stellt drei Arten von erhöhten Geschwindigkeiten fest, die in Unternehmen an Bedeutung gewinnen. Die Herstellungsprozesse werden durch Vernetzung beschleunigt, die Innovationsgeschwindigkeit steigt (was sich unter anderem durch kürzere Produktzyklen manifestiert) und die Veränderungsgeschwindigkeit von Unternehmen, also die Restrukturierung („Business Re-engineering), nimmt zu.[14]

Der Druck, schneller auf Marktveränderungen reagieren zu müssen, bedeutet für viele Firmen, dass der permanente Wandel als das einzig beständige in der Unternehmensentwicklung erscheint (was sich wiederum auf die persönliche Berufs und Lebensplanung auswirkt). Die Erhöhung des Tempos stellt jedoch nur einen Teilaspekt der Veränderungen dar.

Parallel dazu gibt es eine Tendenz zu Dauerhaftigkeit und Langfristigkeit im Umgang mit Wissen, vor allem in den Beziehungen zu den Trägern des Wissens, da erkannt wurde, dass Spezialwissen und Erfahrung nicht in Schnellkursen oder über Internet und Datenbanken gelernt bzw. vermittelt werden kann. In Bezug auf Wissen aus dem Internet stellt außerdem die Frage nach der Referenz der Informationen ein Problem dar, da diese oft aus zweiter oder dritter Hand stammen und somit nicht seriös verwendet werden können. Eine weitere Tendenz zu Langfristigkeit kann anhand der Pflege von Kundebeziehungen und Bindung der Kunden beobachtet werden[15].

Der Druck, in unserer schnellen Welt bestehen zu müssen, ist groß, aber dennoch sollten wir uns auf die Suche nach Möglichkeiten begeben, um uns von genormten Zeitvorgaben unabhängig machen können. Wie ein Musiker das Tempo eines Stücks verändern und es so spannend und ausdrucksstark machen kann, so sollten auch wir unser Leben manchmal schneller und manchmal langsamer leben, auf jeden Fall aber nach unserem eigenen Rhythmus.

6 Literatur:

Baeriswyl, Michel: Das Hexeneinmaleins des Zeitmanagements und die Angst, etwas zu verpassen. In: Globalisierung im Alltag. Frankfurt am Main, 2002.

Levine, Robert: Eine Landkarte der Zeit. München, 1999.

Mainzer, Klaus: Zeit. Von der Urzeit zur Computerzeit (4. Aufl.). München, 2002.

Von Mutius, Bernhard: Geschwindigkeit und Flexibilität. In: Globalisierung im Alltag. Frankfurt am Main, 2002.

[...]


[1] Vgl. Baeriswyl, 2002, S.65

[2] Vgl. Levine, 1999, S.88

[3] Vgl. Leivne, 1999, S.98

[4] Levine, 1999, S.99

[5] vgl. Levine, 1999, S.103

[6] vgl. Levine, 1999, S.105

[7] vgl. Levine, 1999, S.106

[8] Levine, 1999, S.108

[9] vgl. Mainzer, 2002, S.110

[10] vgl. Mainzer, 2002, S.111

[11] vgl. Mainzer, 2002, S.113

[12] vgl. Mainzer, 2002, S.119

[13] vgl. Mainzer, 2002, S.121

[14] vgl. Von Mutius, 2002, S.50

[15] vgl. Von Mutius, 2002, S.52

Ende der Leseprobe aus 11 Seiten

Details

Titel
Zeit und Zeitwahrnehmung
Hochschule
Universität Wien
Note
1
Autor
Jahr
2005
Seiten
11
Katalognummer
V110664
ISBN (eBook)
9783640088263
Dateigröße
444 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Zeit, Zeitwahrnehmung
Arbeit zitieren
Mag. Florian Josef Huber (Autor:in), 2005, Zeit und Zeitwahrnehmung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/110664

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