Die Frage, der ich in dieser Arbeit nachgehen möchte ist, ob die Neuformulierung der Theorie und die Einbettung der Gerechtigkeitsprinzipien – insbesondere des Differenzprinzips – in diese Theorie die von Nozick aufgeworfene Kritik an der Theorie und seinen Gerechtigkeitsprinzipien überwindet. Gelingt es Rawls durch die Neuformulierung seiner Theorie als politische Konzeption den Vorwurf des internen Widerspruchs zurückzuweisen oder bleibt Nozicks Kritik an der TdG auch für die in PL vertretene Version bestehen? Um diese Frage zu beantworten werde ich zunächst noch einmal die relevanten Teile der schon kurz skizzierte Theorie von Rawls in der TdG nachzeichnen und vertiefen, um daran die Kritik von Nozick anzuschließen. Daraufhin werde ich detailliert die Neuerungen in Rawls Theorie in PL darstellen, um in einer darauf folgenden kritischen Diskussion die aufgeworfene Frage zu erörtern und zu beantworten versuchen.
Inhaltsverzeichnis
0. Einleitung
1. Rawls Theorie der Gerechtigkeit und Gerechtigkeit als Fairness
2. Nozicks Kritik an Rawls und die Anspruchstheorie
3. Neuformulierung von Gerechtigkeit als Fairness in Politischer Liberalismus
4. Kann die Neuformulierung Nozicks Kritik widerlegen?
Literatur
0. Einleitung
Als John Rawls 1971 sein Werk „Eine Theorie der Gerechtigkeit“ (A Theory of Justice, TdG) veröffentlichte, war dies ein Meilenstein für die Politische Philosophie und die Diskussion um die Kriterien der Gerechtigkeit. Das Werk wird als das bedeu- tendste und tiefgreifendste seit dem Schaffen John Stuart Mills angesehen. Robert No- zick behauptete sogar, dass jeder Theoretiker in der Politischen Philosophie danach entweder in der Theorie John Rawls’ arbeiten oder zumindest erklären muss, warum er das nicht tut.1
Rawls legt mit seiner Theorie ein Konzept vor, das sich zunächst v.a. als ein Ge- genkonzept zum damals vorherrschenden Utilitarismus versteht. Rawls ist es ein Dorn im Auge, zu sehen, dass der Utilitarismus als Folge seiner zentralen Forderung nach dem „größten Glück, der größten Zahl“2 akzeptieren muss, dass eine Gesellschaft als gerecht und wünschenswert gilt in der die am besten Gestellten unter Umständen auf Kosten der weniger gut Gestellten noch besser gestellt werden, wenn dadurch der Ge- samtnutzen gesteigert werden kann. Rawls vertritt daher in seiner eigenen Konzeption einer gerechten Gesellschaft eine Form des Egalitarismus, der solche Ungleichheiten auf ein erträgliches Maß reduzieren soll. Rawls versteht die Gerechtigkeit als erste Tu- gend sozialer Institutionen3 und stellt ein Argument vor, das helfen soll diese Tugend zu finden und umzusetzen. Das Argument wurde bekannt als Gerechtigkeit als Fairness (Justice as Fairness, GaF). Es nimmt den Gedanken des klassischen Gesellschaftsver- trags in der Tradition Thomas Hobbes’4, John Lockes, Jean-Jacques Rousseaus5 oder Immanuel Kants wieder auf und erweitert ihn um eine hypothetische Komponente.
Bei Rawls gilt diejenige Gesellschaftsstruktur als gerecht, die in einem Gedan- kenexperiment hinter dem so genannten Schleier des Nichtwissens (Veil of Ignorance) von den Bürgern dieser Gesellschaft als gerecht angesehen wird. Rawls bezieht sich dabei auf die gesamte sozioökonomische Grundstruktur (Basic Structure) einer Gesell- schaft. Die Bürger unter dem Schleier des Nichtwissens wissen nichts über ihre wirkli- che Position in der Gesellschaft und über den Umfang der jeweiligen gesellschaftlichen
Gruppierungen. Daher entscheiden sie nach dem Maximin-Prinzip, was dazu führt, dass sie sich auf eine Gerechtigkeitskonzeption einigen, die die Förderung des Wohls der am schlechtesten Gestellten fordert und dieser Gruppe ein Auskommen garantiert. Konkret einigen sich die Akteure in Rawls Gedankenexperiment auf zwei Gerechtigkeitsprinzi- pien:
Das erste Prinzip besagt, jedermann soll ein gleiches Recht auf das umfangreichs- te System gleicher Grundfreiheiten haben, das mit dem gleichen System für alle anderen vereinbar ist.
Das zweite Prinzip besagt, soziale und wirtschaftliche Ungleichheiten sind so zu gestalten, dass (a) vernünftigerweise zu erwarten ist, dass sie jedermanns Vorteil dienen, und (b) sie mit Positionen und Ämtern verbunden sind, die jedem offen stehen.6
Das erste Prinzip scheint intuitiv eingängig und wenig widersprüchlich zu sein. Das zweite Prinzip allerdings, das üblicherweise als das Differenzprinzip bezeichnet wird, hat heftige Diskussionen ausgelöst. Einer der bekanntesten Kritiker dieses Prin- zips und der Rawls’schen Konzeption im Allgemeinen war Robert Nozick mit seinem Werk „Anarchy, State and Utopia“. Nozick vertritt eine so genannte libertäre Philoso- phie, die eine radikale Form des europäischen Verständnisses des Liberalismus dar- stellt.7 In Bezug auf die Gerechtigkeitsvorstellungen kritisiert Nozick Rawls in der Wei- se, dass er ihm eine Inkonsistenz seiner Theorie und seiner Gerechtigkeitsprinzipien vorwirft, weil sich diese auf die Grundstruktur beziehen.
[...]
1 Nozick (1974), 183. Vgl. auch Pies (1996).
2 Diese Maxime des Utilitarismus geht zurück auf Jeremy Bentham und wurde dann von John Stuart Mill weiterentwi- ckelt. Vgl. Mill (1998), 136ff.
3 Rawls (1999), 3.
4 Hobbes (1970), insbes. 118-129, 14. Kap.
5 Rousseau (2001), insbes. 46-64, Livre I.
6 Vgl. Rawls (1999), 53.
Häufig gestellte Fragen
Worum geht es in diesem Text?
Dieser Text ist eine umfassende Sprachvorschau, die den Titel, das Inhaltsverzeichnis, Ziele und Hauptthemen, Kapitelzusammenfassungen und Schlüsselwörter enthält. Er befasst sich mit John Rawls' Theorie der Gerechtigkeit, Robert Nozicks Kritik daran und der Weiterentwicklung von Rawls' Theorie.
Was ist der Kerngedanke von Rawls' Theorie der Gerechtigkeit?
Rawls' Theorie, bekannt als "Gerechtigkeit als Fairness", ist ein Gegenentwurf zum Utilitarismus. Sie besagt, dass eine gerechte Gesellschaft durch eine Form des Egalitarismus gekennzeichnet ist, die Ungleichheiten reduziert. Eine gerechte Gesellschaftsstruktur ist diejenige, die in einem Gedankenexperiment hinter dem "Schleier des Nichtwissens" als gerecht angesehen wird, wobei sich die Akteure auf Gerechtigkeitsprinzipien einigen, die das Wohl der am schlechtesten Gestellten fördern.
Welche sind die zwei Gerechtigkeitsprinzipien nach Rawls?
Das erste Prinzip besagt, dass jeder ein gleiches Recht auf das umfangreichste System gleicher Grundfreiheiten haben soll, das mit dem gleichen System für alle anderen vereinbar ist. Das zweite Prinzip besagt, dass soziale und wirtschaftliche Ungleichheiten so zu gestalten sind, dass sie (a) vernünftigerweise jedermanns Vorteil dienen und (b) mit Positionen und Ämtern verbunden sind, die jedem offen stehen.
Wer hat Rawls' Theorie kritisiert und was war der Hauptkritikpunkt?
Robert Nozick war einer der bekanntesten Kritiker von Rawls. Nozick wirft Rawls eine Inkonsistenz seiner Theorie und seiner Gerechtigkeitsprinzipien vor, da diese sich auf die Grundstruktur beziehen.
Was ist der "Schleier des Nichtwissens" in Rawls' Theorie?
Der "Schleier des Nichtwissens" ist ein hypothetischer Zustand in Rawls' Gedankenexperiment, in dem sich die Akteure hinter einem Schleier befinden, der ihnen ihr Wissen über ihre Position in der Gesellschaft und den Umfang der gesellschaftlichen Gruppierungen verbirgt. In dieser Situation treffen sie Entscheidungen über Gerechtigkeitsprinzipien, ohne ihre eigenen Interessen oder Vorteile zu kennen.
Was ist das Differenzprinzip?
Das Differenzprinzip ist das zweite Gerechtigkeitsprinzip von Rawls (Teil b) und das besagt, dass soziale und wirtschaftliche Ungleichheiten so zu gestalten sind, dass diese mit Positionen und Ämtern verbunden sind, die jedem offen stehen.
- Arbeit zitieren
- Jörg Viebranz (Autor:in), 2005, Überwindet Rawls' Politischer Liberalismus Nozicks Kritik?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/110847