Wie rational ist Konsum?


Hausarbeit, 2005

30 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

0. Einleitung
0.1. Context
0.2. Content

1. Elemente von Konsumkonzeptionen
1.1. Rationalität
a. Abgrenzung zum Irrationalen
b. Soziale Rationalität
1.2. Konsum
1.3. Nutzen und Präferenzen
1.4. Handeln und Verhalten

2. Gary S. Beckers Konsumkonzept
2.1. Der ökonomische Ansatz
2.2. Die Haushaltsproduktionsfunktion
2.3. Produktionsfaktoren der Haushaltsproduktionsfunktion
2.4. Konsum bei Becker – ein Zwischenstand

3. Soziologische Ansätze als Kontrastfolien
3.1. Colemans Rational Choice
3.2. Bourdieus Ökonomie der Praxis

4. Zusammenfassung

Literaturverzeichnis

Zur Zitierweise

Die Quellen von wörtlichen Zitaten sind direkt hinter dem Zitat im Text angegeben, wobei bei Autoren, von denen lediglich eine Quelle verwendet wurde, auf die Angabe der Jahreszahl verzichtet wurde. Sinngemäße Zitate sind in den Fußnoten belegt.

0. Einleitung

Konsum ist assoziativ mit der bunten Warenwelt, bestehend aus dem Waren und deren Be- werbung, verknüpft. Bei dem Versuch Konsum als Gegenstand sozialwissenschaftlicher Ana- lyse zu fassen gibt es zwei widerstreitende Thesen. Einerseits wird Konsum als Mittel zur Bedürfnisbefriedigung modelliert, wobei das gegebene Budget nutzenmaximierend eingesetzt wird. Andererseits gilt Konsum als Äußerung des Menschen als soziales Wesen, mit der er seine gesellschaftliche Position reflektiert und reproduziert.

Welche Fragen bei der Überprüfung der Thesen geklärt werden müssen machen Luhmanns Kategorien für die Unterscheidung funktional differenzierter Systeme deutlich. In der vorlie- genden Arbeit wird die Verortung des Sinns von Konsum auf der Skala zwischen individuel- ler und sozialer Referenz untersucht, dessen Programm zwischen rationaler Steuerung und sozialer Determiniertheit gesucht und als Code zwischen Geld oder Nutzen unterschieden.

Dies gibt vielleicht ein Bild von der Mehrdimensionalität der scheinbaren Dichotomie der eingangs aufgeführten Thesen. Annhand der Konsumkonzeptionen von Gary Becker, James

S. Coleman und Pierre Bourdieu soll der Verortung von Konsum entlang dieser Dimensionen nachgegangen werden.

0.1. Context

Das Aufeinandertreffen von Soziologie und Ökonomie habe ich bisher durchaus als Quelle anregender Impulse verstanden. Durch den unterschiedlichen Fokus auf das rationale Indivi- duum einerseits und das soziale Wesen Mensch andererseits besteht fortwährend die Gefahr von Missverständnissen gefolgt von Verstimmungen. Vernon W. Ruttan hat versucht dieses Aufeinandertreffen zu systematisieren und hat dabei in Imperialismus, also die Ausweitung des Einflusses auf andere Disziplinen, Kolonialismus, verstanden als „establishing colonies as strategic locations in the periphery of foreign territory that can serve as a base for commercial or intellectual interchange“ (Ruttan 8), und Kollaboration, als Überwindung der traditionellen Grenzen hin zur Zusammenarbeit, unterschieden. Gary S. Becker, um den es hier im Kern gehen soll, wird dabei als Anführer des „most ambitionous imperialist crusade“ (Ruttan 4) bezeichnet. Was negativ besetzt scheint, sieht Ruttan (13) als Folge des Problems von Sozio- logen „to overcome their often self paralyzing biases against other professionals and their disciplines“. Gleichwohl zeigt sie aber Strategien auf, dieses Problem zu überwinden und die Möglichkeiten der Zusammenarbeit zu eröffnen. Dies ist notwendig, weil erstens die Soziolo-

gen versäumt hätten, entsprechende Gegenangriffe zu starten und weil es zweitens meist bei schnellen Erfolgen der Imperialisten in „collecting the low hanging fruit“ (Ruttan 6) bleibt.

Unabhängig davon, ob Ruttans Unterscheidung bei der Einordnung und Bewertung Beckers in die Sozialwissenschaften hilft, so gibt sie einen Hinweis auf einen möglicherweise unbeab- sichtigten Verdienst Beckers, der darin besteht, die soziologischen Fragestellungen in die Sprache der Ökonomen zu übersetzen1 und damit zum einen die Fragen als für die Ökonomie relevant kenntlich zu machen und zum anderen einen Ansatz für die Verarbeitung zu liefern.2 In einer Arbeit über Bourdieu habe ich versucht solche Übersetzungsarbeit zu leisten.3 Die

„communication across disciplinary boundaries“ (Ruttan 10) ist allerdings nicht störungsfrei und ausgewogen. Bei der Beschreibung struktureller Veränderungen im Gesundheitssystem habe ich solche Störungen ausgemacht und exemplarisch beschrieben.4 Auch diese Arbeit soll vermitteln und Wege für die Einbettung der Wirtschaftswissenschaft in ihr soziales Umfeld aufzeigen.

0.2. Content

Die Arbeitshypothese lautet, dass es bei der Einbeziehung des Sozialen in die Wirtschaftswis- senschaften ein Kommunikationsproblem gibt. Beckers formal gestützte Arbeit am ökonomi- schen Ansatz, der Verhalten mit der Methode eines als-ob -Maximierers erklären will, wurde in den 80er Jahren vom Soziologen Coleman begleitet, der Rational-Choice als Handlungs- theorie erarbeitete und den formalen Teil auslagerte – so kommt er bis dahin ohne die An- nahme des Maximierers aus. Was hat der gefeierte und kritisierte Becker aus dieser Zusam- menarbeit mitgenommen und in seinen „analytical framework“ eingebaut? Worin unterschei- den sich die beiden in ihrer Erklärung von Konsum nach diesen Implementierungen? In seinem letzten Buch Accounting for tastes erkennt Becker: „Average person’s choice of con- sumption […] depends on childhood and other experiences, social interactions, and cultural influences” (Becker 1998: 3).

Die aus dieser Einsicht entwickelten Bausteine heißen Personalkapital, als Erweiterung des kritisierten Humankapital-Begriffs, und Sozialkapital. Diese baut er in eine erweiterte Nutzen- funktion ein, die die Wahl der konkurrierenden Einzelnen strukturiert. Bourdieu, der von einer

Ökonomie der Praxis als wahrhaften Gegenstand der Soziologie5 (im Vergleich Becker: Öko- nomie des Alltags 6 ) spricht, verwendet ähnliche Begriffe: kulturelles und soziales Kapital werden in (Kampf)Felder eingebracht, um spezifische Interessen (illusio) zu verfolgen. Dies wiederum wird durch erlernte Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsschemata strukturiert. Auf den ersten Blick scheinen nicht nur die Begriffe sondern auch die Funktionszusammen- hänge ähnlich. Gleichwohl geht die Literatur davon aus, Becker und Bourdieu würden nahezu diametral gegeneinander stehen, und Bourdieu selbst sieht seine Arbeit als eine gegen den Ökonomismus und „bestimmte, besonders hartnäckige Ökonomen wie Gary Becker“ (Bour- dieu 1998b: 27).

Im ersten Teil werde ich ausführlich auf die den Konsumkonzeptionen zugrunde liegenden Begriffe eingehen, die zum Teil verschieden besetzt werden. Manche Probleme bei der Arbeit mit den verschiedenen Ansätzen entstehen daraus, dass die Begriffsinhalte des einen auf die Begriffe des anderen angewendet werden. Im zweiten Teil werde ich den Ansatz Beckers mit Fokus auf die Konsum-relevanten Teile darstellen und einer ersten kritischen Würdigung un- terziehen. Im dritten Teil werde ich Colemans Ansatz als eine Art Folie darüber halten, um wesentliche Unterschiede deutlich zu machen und Überblendungen und Überschneidungen zu identifizieren. Bourdieus Begriffe sollen auf die Unterschiede zum späten Becker hin unter- sucht werden, um zu prüfen, was von der Kritik an Beckers Ökonomismus bleibt. In der Zu- sammenfassung im vierten Teil wird hinsichtlich des Konsums deutlich, dass Becker und Bourdieu die Rolle der persönlichen Geschichte und des sozialen Umfelds bei individuellen Wahlhandlungen ernst nehmen. Der große Unterschied besteht in der Bewertung der Rolle rationaler oder vernünftiger Entscheidungen bei der Genese dieser Erfahrungen und des Um- felds, also der Funktion von Gesellschaft.

1. Elemente von Konsumkonzeptionen

1.1. Rationalität

Vernunft heißt im Kontext von Zweck-Mittel-Relationen Leidenschaften mit einer Wahl in Handlungen zu übersetzen. Diese Wahl ist rational ”or supported by reason if it coheres with what I prefer“ (Allingham 2). Eine notwendige Bedingung für diese Kohärenz ist, dass das Ergebnis einer Handlung mindestens genauso gut ist wie das Ergebnis aller anderen mögli- chen Handlungen. Die hinreichende Bedingung ist aber erst gegeben, wenn die Ergebnisse konsistent sind, das heißt nach Allingham, dass den Ergebnissen ein Nutzen zuzuschreiben ist und das Ergebnis meiner Handlung als das mit dem höchsten Nutzen zu identifizieren ist.

Wirkt sich meine Handlung auf Handlungen anderer aus und umgedreht, sind in einer Kette unendlicher Antizipation der Handlungen des jeweils Andere]n neue Anforderungen an eine rationale Wahl gestellt, die unter anderem mit dem Instrumentarium der Spieltheorie bearbei- tet wurden.7 Entscheidend für die Bedingungen von Rationalität ist weiterhin die Informati- onslage. Der Nutzen kann bei unsicherer Umwelt auch ein erwarteter Nutzen sein, der wie- derum mit Fragen des Risikos verbunden ist. Rationale Wahl bei bekannten Eintrittswahr-

scheinlichkeiten der Ergebnisse unterscheidet sich von Wahlhandlungen, bei denen selbst diese Wahrscheinlichkeiten oder die Ergebnisse unbekannt sind. Die Folgen asymmetrischer Informationsausstattung wurde in der Informationsökonomie untersucht.

a. Abgrenzung zum Irrationalen

Rationales Verhalten im ökonomischen Kontext ist die „konsistente Maximierung einer wohlgeordneten Funktion, etwa einer Nutzen- oder Gewinnfunktion“ (Becker 1993: 167). Wie Becker selbst bemerkt ist dagegen kritisch anzumerken, dass Präferenzen nicht wohlge- ordnet seien. Bei Becker wird „jede Abweichung vom Prinzip der Nutzenmaximierung als irrational bezeichnet: ein präzisere oder abgeklärtere Definition“ sei für seine Zwecke nicht notwendig. Um eine Spanne des Irrationalen aufzumachen, verwendet er zwei Verhaltenswei- sen als Pole einer Skala. Haushalte würden zum einen oft „als impulsiv, unberechenbar und ständigen Launen unterworfen charakterisiert, während sie andererseits als unbeweglich, ge- wohnheitsmäßig handelnd oder träge beschrieben werden“ (Becker 1993: 173).

7 Dort bedeutet individuelle Rationalität, dass jeder Spieler sich einen individuellen Nutzen sichert, der mindes- tens so hoch ist wie der Nutzen, den er aus eigener Kraft erreichen kann.

Becker zeigt aber, dass im Rahmen der ökonomischen Preistheorie im Aggregat irrationales Verhalten zu den gleichen Ergebnissen führt wie rationales, man also mit einer als-ob An- nahme arbeiten könne8:

Nimmt man als realisierten Konsumpunkt nicht wie üblich den Tangentialpunkt von Nutzenfunktion und Budgetgerade sondern den Mittelpunkt der Budgetgera- den und lässt die Indifferenzkurve weg, bleibt die Schlussfolgerung der Preisthe- orie, dass bei relativ höherem Preis eines Gutes die Nachfrage sinkt, erhalten. Der Mittelpunkt lässt sich als Mittelwert aller Punkte interpretieren, die bei ir- rationalen Konsumenten als Konsumpunkte zufällig gewählt werden würden und damit auf der Budgetgeraden gleichverteilt sind.

Positive Einkommens- und negative Preiseffekte erweisen sich als eine Folge von Knappheit, nicht jedoch als Folge der Rationalität, da sie auch aus irrationalem Verhal- ten resultieren “ (Pies 1998: 9). Rationalität ist für Becker also „nicht länger eine quasi natu- ralistische Annahme über die Qualität der Bewusstseinsprozesse“ sondern „theoretisches, d.h. prä-empirisches, Konstrukt, mit dessen Hilfe sich empirische Aussagen analytisch herleiten lassen“. In einem ersten Schritt kann Becker bei seinen Untersuchungen auf die Frage ver- zichten, ob „Verhalten bewusste, halb-bewusste oder unbewusste Entscheidungen zugrunde liegen, ob es emotional oder traditional bestimmt wird usw.“ (Pies 1998: 9).

Damit wird die klassische Unterscheidung Webers zwischen den Idealtypen rationaler, wert- rationaler, affektiver und gewohnheitsmäßiger Handlungen (Fararo 265) in einer Theorie für nicht relevant erklärt, die immerhin ein Rahmen für die Erklärung allen menschlichen Verhal- tens sein will.

Kann Parsons Reduktion der Weberschen Handlungstypen auf rationale (instrumentelle) und nichtrationale (expressiv-moralisch) Handlungen weiter auf ersteres reduziert werden oder muss „the social level as non-reducible“ (Fararo 269) angesehen werden? Becker meint, so- lange die Reduktion eher zu einer Erweiterung des Erklärungsgehaltes führt, weil dadurch ein schärfes Instrumentarium konstruiert werden kann, wäre sie zulässig.

[...]


1 Im Sinne Luhmanns als Grenzstelle zwischen den Systemen, die das Rauschen aus der Soziologie für die Pro- gramme der Ökonomie nutzbar macht.

2 So auch Pies (1998: 16): „Nicht seine Außenwirkung, sondern seine Binnenwirkung ist von primärer Wichtig- keit.“.

3 Vgl. Sygnecka (2004).

4 Vgl. Sygnecka (2003).

5 Vgl. Bourdieu (1998b: 35).

6 Vgl. Becker / Becker Nashat.

7 Vgl. Pies (1998: 8f)

8 Vgl. Pies (1998: 8f)

Ende der Leseprobe aus 30 Seiten

Details

Titel
Wie rational ist Konsum?
Hochschule
Universität Potsdam
Veranstaltung
Konsum und soziologische Theorie
Note
1,3
Autor
Jahr
2005
Seiten
30
Katalognummer
V110854
ISBN (eBook)
9783640185719
ISBN (Buch)
9783640337286
Dateigröße
512 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Um zu klären, inwieweit Konsum über rationale Handlungen modellierbar ist, werden in der vorliegenden Arbeit die zum Teil impliziten Konsumkonzeptionen von Becker, Bourdieu und Coleman erarbeitet und wie Folien übereinander gelegt, um Überschneidungen, Kontrastierungen und Erweiterungen zu erkennen. Vorher werden grundlegende Begriffe erläutert. Im Ergebnis entsteht zwar ein klareres Bild von Konsum als rationale Handlung im sozialen Umfeld, grundlegende Differenzen bleiben aber bestehen.Um zu klären, inwieweit Konsum über rationale Handlungen modellierbar ist, werden in der vorliegenden Arbeit die zum Teil impliziten Konsumkonzeptionen von Becker, Bourdieu und Coleman erarbeitet und wie Folien übereinander gelegt, um Überschneidungen, Kontrastierungen und Erweiterungen zu erkennen. Vorher werden grundlegende Begriffe erläutert. Im Ergebnis entsteht zwar ein klareres Bild von Konsum als rationale Handlung im sozialen Umfeld, grundlegende Differenzen bleiben aber bestehen.
Schlagworte
Konsum, Theorie
Arbeit zitieren
Sven Sygnecka (Autor:in), 2005, Wie rational ist Konsum?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/110854

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