Die Pädagogik des August Hermann Francke und wie sie in den Frankeschen Anstalten angewandt wurde


Hausarbeit, 2002

15 Seiten, Note: 2


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. Historischer Hintergrund

2. Leben des August Hermann Francke

3. Gründung der Anstalten

4. Seine Pädagogik
a) Die Erziehung der Kinder zum wahren Glauben
b) Erziehung zur rechten Arbeit

5. Ordnung der Anstalten

6. Gewinnbringende Institute

7. Bewertung

Literaturverzeichnis

Einleitung

August Hermann Francke war ein Mann, der in seiner Zeit Großes geleistet hat.

Er war Christ mit ganzer Seele, ein Mitbegründer einer neuen Glaubensrichtung.

Er war Gelehrter und Pädagoge. Und genau dort vollbrachte er sein größtes Werk.

Er revolutionierte die Pädagogik seiner Tage und schuf eine Schulstadt riesigen Ausmaßes.

Doch nicht allen erscheint Franckes Pädagogik als positiv.

„Den einen gilt sie als der Inbegriff christlicher Erziehungsweisheit, den anderen als finsterer Methodismus, als Vergewaltigung des Individuums, als pädagogischer Krampf“[1]

Im folgenden soll nun das Werk Franckes betrachtet und bewertet werden .

1. Historischer Hintergrund

Das ausgehende 17. Jahrhundert war stark geprägt von den Anfängen der Aufklärung. Die Naturwissenschaften hatten durch die Theorien von Kepper, Galilei und Kopernikus große Fortschritte erlebt, im sozial-pädagogischen Bereich hatte der böhmische Bischof Johann Amos Comenius (1592-1670)neue Denkmuster eröffnet. Er vertrat die Auffassung, dass jeder die Möglichkeit zur Bildung erhalten müsste und dass die theoretischen Lerninhalte durch praxisbezogenes Lehren erweitert werden sollten.

Kinder und Jugendliche wurden zu dieser Zeit zum ersten Mal als solche anerkannt und nicht wie kleine Erwachsene behandelt.

Im kirchlichen Bereich entstand aus Protest gegen die Scheinheiligkeit der lutherischen Orthodoxie eine neue Richtung: der Pietismus. Er verlangte nach dem lebendigen Glauben, der nicht bloß aus leeren Formeln bestand.

Man wollte durch Nächstenliebe und der Entsagung von weltlichen Versuchungen das Reich Gottes auf Erden schaffen.

Die Pietisten hatten viele Gegner, nur in Preußen fanden sie Zuflucht, da der König früh erkannte, welchen Nutzen er aus deren Potential konnte. Francke war einer der wichtigsten dieser Leute und, von all dem fortschrittlichen Geist seiner Zeit geprägt, hinterließ er uns ein großes Werk.

2. Leben des August Hermann Francke

Als Sohn eines Juristen am 22.03.1663 in Lübeck geboren, wuchs August Hermann Francke in Gotha auf. Sein Vater hatte hier eine Stelle am Hofe des Fürsten Ernst des Frommen inne. Francke kam dabei in Berührung mit den dort vor sich gehenden Versuchen einer pädagogischen Reform.

Schon im Alter von 14 Jahren erhielt Francke seinen Gymnasialabschluss und begann zwei Jahre später in Erfurt das Studium der Theologie und Philosophie.

Er wechselte weiter nach Kiel und Hamburg, wo er zusätzliche Studien in hebräischer, französischer und englischer Sprache betrieb.

Seinen Abschluss als Magister machte er schließlich 1685 in Leipzig.

Hier arbeitete er bis zu einer für seinen späteren Lebensweg wichtigen Reise nach Lüneburg.

Bei der Vorbereitung einer Predigt, erlebte Francke dort eine entscheidende

persönliche Wandlung und fand zu seinem wahren Glauben.

Einige Zeit nach diesem Wiedergeburtserlebnis, kehrte er nach Leipzig zurück, wo er aber bald aufgrund seiner pietistischen Bestrebungen entlassen wurde.

Das gleiche Schicksal erlitt er in seiner nächsten Stelle als Pfarrer in Erfurt.

Durch die Vermittlung seines Freundes und Vorbildes Spener, dem eigentlichen Begründer des Pietismus, erhielt er schließlich 1692 die Pfarrstelle in Glaucha, einer äußerst verkommenen Vorstadt Halles.

An der 1694 gegründeten Universität in Halle wurde er zunächst Professor für Orientalische Sprachen, ab 1698 Professor der Theologie.

In Glaucha selbst gründete er nach einigen Anfangsschwierigkeiten die „Hallischen Anstalten", eine revolutionäre Schulstadt, in der er bis zu seinem Tod am 08.06.1727 seine großen pädagogischen und sozialen Leistungen vollbrachte.

3. Gründung der Anstalten

Bis es allerdings zur Gründung der Anstalten kam, hatte Francke noch einige Hindernisse zu überwinden.

Schon vor seinem Amtsantritt verfassten die lutherische Orthodoxie und Gegner aus dem Adel Hetzschriften gegen ihn.

Auch der katastrophale Zustand Glauchas machte ihm zu schaffen.

Die Nachwirkungen des 30-jährigen Krieges und der Pest im Winter 1682/83 hatten das Gesicht der Vorstadt stark verändert.

Es herrschte große Armut, nur ein Drittel der Bevölkerung hatte die Pest überlebt, viele Kinder hatten ihre Eltern verloren. Eine Armenschule und andere soziale Einrichtungen dieser Zeit gab es nicht mehr.

Franckes Vorgänger hatte sich lieber in einer der 37 (!) Wirtshäusern, die es in dem kleinen Städtchen gab, amüsiert, als sich um seine Pflichten zu kümmern.

So litt die Bevölkerung auch unter einem starken Sittenverfall, der sich vor allem in Alkoholismus und täglichen Schlägereinen ausdrückte.

Angesichts dieser Zustände wurde jedoch Francke seine weitere Lebensaufgabe erst offensichtlich: nämlich „die materielle, wie die geistige und sittliche Not"[2] der Menschen in Glaucha zu bekämpfen.

Anfängliche Versuche, den armen Kindern den Schulbesuch zu ermöglichen, schlugen fehl. Francke bezahlte ihnen das Schulgeld aus dem Klingelbeutel,

aber weder die Kinder, noch das Geld kamen je in der Schule an. 1695 erhielt Francke eine sehr großzügige Spende, mit der er eine kirchliche Armenschule gründete. Auch hierbei gab es ein paar Hindernisse zu bewältigen, aber dank seiner unermüdlichen Willenskraft und seinem unerschütterlichen Gottvertrauen überstand Francke auch diese.

Die Schule hatte bald einen guten Ruf, so dass auch Bürgerkinder, gegen Bezahlung, am Unterricht teilnehmen durften.

Francke kam früh zu der Erkenntnis, dass sein Unterricht wenig Erfolgschancen hatte, da die Kinder außerhalb der Schule schlechten Umgang pflegten und das Gelernte wieder vergessen wurde. So gründete er ein Waisenhaus, um die Kinder rund um die Uhr beaufsichtigen zu können und vor dem Übel in der Welt abzuschirmen.

Als Lehrer waren Studenten angestellt, die an den 1696 gegründeten Freitischen kostenlose Mahlzeiten erhielten und im Gegenzug unterrichteten.

Weitere Einrichtungen folgten: im gleichen Jahr entstand eine Adelsschule, das

„paedagogium regium“, und eine lateinische Bürgerschule.

Platz fand all dies zunächst in den Nachbarhäusern der Pfarrwohnung.

Bald reichten aber die Räume nicht mehr aus und so war man zum Bau eines großen Gebäudes gezwungen, in das alle Einrichtungen passten.

Im Jahr 1698 schon wurde der Grundstein des späteren Hauptgebäudes der Franckeschen Anstalten gelegt, das nach holländischem Vorbild entstand.

Über die Jahre wuchs die Anstalten zu einer regelrechten „Schulstadt” heran.

[1] Hertzberg S.15 Z.5f.

Bei Franckes Tod waren dort über 2300 Kinder untergebracht, 167 Lehrer und

8 Lehrerinnen angestellt und 255 Studenten, die den Freitisch genossen.

4. Seine Pädagogik

Die Grundlage seiner Pädagogik bildete der Pietismus, mit dem Ziel, die Kinder zur Gottseligkeit und christlichen Klugheit zu erziehen, den Voraussetzungen für die Ehre Gottes.

Gottseligkeit bedeutete für Francke folgendes:

„Der recht erzogene Mensch gibt Gott die Ehre, d.h. er vertraut ihm und er dient ihm. Nicht mehr und nicht weniger soll der Begriff >>Gottseligkeit<< ausdrücken. Er bezeichnet nicht einen entrückten Gemütszustand, sondern den Glaubensgehorsam." [3]

Christliche Klugheit hieß seine von Gott geschenkten Begabungen zum Wohl seines Nächsten, also dem Gemeinwohl zu entwickeln und zu gebrauchen.

Das beinhaltete auch pausenlose Aktivität, da Gott möchte, dass wir unsere Zeit effektiv nutzen.

Francke räumte zwar ein gewisses Maß an Ruhe als berechtigt ein, meinte damit aber ausschließlich die Nachtruhe und keine Arbeitspausen tagsüber. Das wäre Müßiggang, wonach nur der schwache und sündige Mensch strebt.

Seine Schüler sollten Fleiß, Gehorsam und Ehrlichkeit lernen.

Franckes Pädagogik lässt sich in zwei Bereiche einteilen, nämlich in die „irdische" und in die „überirdische" Erziehung.

Das heißt, auf der einen Seite sollte der Schüler zum Christentum geführt werden, auf der anderen sollte ihm ein großes Allgemeinwissen vermittelt werden, das ihm in seinem weiteren irdischen Leben hilfreich sei.

a) Die Erziehung der Kinder zum wahren Glauben.

Für den Pietismus war der Mensch von Natur aus böse, sündhaft und auf das Weltliche fixiert. Dieser Wille musste zunächst gebrochen werden, bevor man zum wahren Glauben finden konnte.

Francke wollte die Kinder bei ihrer Glaubensfindung unterstützen und leiten, also gab er Anweisung, eben diesen sündhaften Willen zu brechen.

Er schuf für sie ein wohlbehütetes Umfeld, damit sich das Wort Gottes in ihren Herzen frei entfalten konnte. Der internatsähnliche Aufbau der Anstalten bewirkte eine völlige Abschirmung gegenüber der 'boshaften' Außenwelt.

Rund um die Uhr wurden sie von Erziehern beaufsichtigt, die sie mit dem Wort Gottes vertraut machten.

Nach Franckes Ansicht läuft die Glaubensfindung immer nach dem gleichen

Schema ab. Die ständige Konfrontation mit Gottes Wort bewegt das Kind zur

Einsicht der „Notwendigkeit der Umkehr des Herzens"[4].

Es kommt zum Bußkampf: Erlösung durch Gott oder weltliche Versuchungen?

Nur Gottes Wort kann den Durchbruch herbeiführen. Durch die Bekehrung zum lebendigen Glauben und das Lösen vom Weltlichen wird das Kind als neuer

Mensch „wiedergeboren“.

Im Alltag muss sich nun das Kind als Christ bewähren, was den eigentlichen Glaubenskampf darstellt. Der Glaubende muss alle Laster ablegen und nach Gottes Wort leben und handeln.

Am Ende steht ein unbeirrbarer, unermüdlicher Kämpfer für das Reich Gottes.

Für den Pietismus begeht der Glaubende Sünde nur noch unbewusst und aus Unwissenheit.

Diesen Menschen sah Francke in einem zur Sonne aufsteigenden Adler symbolisiert. Eine Tafel mit diesem Adler hing daher über dem Haupteingang der Stiftungen.

Wichtig war für ihn auch die Rolle des Erziehers. Er sollte Vorbild sein und durch häufige Ermahnung an Gottes Wort erinnern. Weiter sollte er den Kindern helfen ihre menschliche Schwäche zu überwinden und zu kontrollieren.

Francke sah, dass Erziehung nicht durch übertriebene Strenge und Brutalität erfolgreich sein konnte. Vielmehr sollte der Erzieher als väterlicher Freund auftreten,

der die Kinder mit viel Geduld und Wohlwollen belehrt.

Revolutionär waren vor allem Franckes Ansichten über die Prügelstrafe. Sie sei zwar nicht unerlässlich, aber doch nur bei besonders schweren Vergehen anzuwenden.

Hätte Franckes pädagogisches Konzept allerdings nur aus diesem Teil bestanden, wäre sie wohl nie so erfolgreich und berühmt geworden.

Denn neben der richtigen „Nahrung für Geist und Seele", sorgte er auch für die leibliche Nahrung seiner Schützlinge.[5]

b) Erziehung zur rechten Arbeit

Der Pietismus wurde von seinen Gegnern als geistig abgehoben und weltfremd dargestellt. Als wäre er gegen jede Form weltlicher Arbeit.

Doch das war ganz und gar nicht der Fall. Jeder Mensch besaß nach pietistischer Auffassung sogar zwei Berufe.

Das Christsein als allgemeinen und je nach individueller Begabung einen speziellen Beruf im eigentlichen Sinn.

Arbeit galt dem Pietisten als dringende Notwendigkeit, aller Müßiggang als Sünde.

Notwendig, da die göttliche Ordnung jedem, der essen wollte, das Arbeiten vorschrieb.

„Ein Reicher, so argumentierte Francke, könne demnach nicht "mit gutem Gewissen" essen, wenn er nicht arbeitete. Hatte er genug für seinen eigenen Bedarf, dann sollte er dennoch arbeiten, damit er seinem bedürftigen Nächsten etwas geben könne."[6]

Erster Grund für die Arbeit war also die eigene Existenzerhaltung, zweiter seinem Nächsten durch die eigene Arbeit zu dienen.

Existenzerhaltung war nur auf das irdische Leben beschränkt.

Arbeit aber war auch eine Prüfung für das Leben nach dem Tod. So sollte sie immer in einem bestimmten Geist verrichtet werden. Als Arbeitender hatte man sich auf Gott zu konzentrieren und sich zu fragen, ob die gerade zu verrichtende Arbeit der Ehre Gottes diente. Der Mensch konnte so ruhiger und ungestörter arbeiten, mit der Gewissheit keine Arbeit zu verrichten, die Gott missfiel.

"Gemüths-Arbeit "[7] nannte Francke diese Besinnung, Arbeit kam dadurch einem Gebet gleich.

Der Erfolg einer Arbeit war ein Geschenk Gottes. Nur der bekehrte, nach Gott strebende Christ konnte wirklich erfolgreich werden. Die Früchte des Erfolgs waren aber nicht zum Eigennutz bestimmt, sondern sollten in den Dienst der Nächstenliebe gestellt werden und somit wieder Gott zur Ehre gereichen.

Von dieser Arbeitsanschauung leitete Francke den zweiten Bereich seiner Pädagogik ab. Er setzte die Schulausbildung und den späteren Beruf der Schüler in Bezug zueinander.

Neben den rein kognitiven Fächern, wie Lesen, Schreiben, Rechnen und Religionslehre, gab es noch sogenannte “Recreationsübungen”. Der Name rührt daher, dass sie eine Art Erholung für den Geist darstellen sollten.

Es gab Werkunterricht in Drechseln, Glasschleifen und in der Papp-Herstellung.

Es wurden Naturwissenschaften gelehrt, um den Schülern Nützliches für ihr Leben beizubringen. Einige Beispiele sind Botanik, Physik, Astronomie und Grundlagen in Medizin und Anatomie.

In eine Art Hauswirtschaftslehre wurde den Schülern Wesentliches über das

Wirtschaften gelehrt, was praktisch gleich in der anstaltseigenen Vieh- und Ackerwirtschaft umgesetzt wurde.

Schließlich wurden regelmäßige Besuche bei den ortsansässigen Handwerkern und Künstlern gemacht, zum Zweck der Berufsorientierung und um den Kindern wichtige Einblicke in die Praxis ihres späteren Berufs zu verschaffen.

Zum besseren Verstehen gab es noch spezielle Einrichtungen, wie die Naturalienkammer (eine Art Museum mit exotischen Pflanzen und ausgestopften Tieren, etc.), ein Observatorium eine Werkstatt und ein Botanischer Garten.

Wichtig war immer die Theorie mit der Praxis zu verknüpfen, ganz nach Comenius` Vorstellungen.

Francke legte also zum einen großen Wert auf Allgemeinbildung, aus der seine Schüler ein Leben lang Nutzen ziehen konnten, zum anderen wollte er sie, je nach Abstammung und Begabung, auf ihren Beruf oder auf ihr Studium vorbereiten.

Es entstand bei seinen Schülern ein einmaliges Arbeitsethos, welches von Fleiß, christlicher Dienstgesinnung und wissenschaftlicher Experimentierfreude geprägt war und viel zum wirtschaftlichen Erfolg Preußens beigetragen hat.

Franckes pädagogische Konzept war eine Revolution in Didaktik und Methodik, welches das spätere Schulbild bis in unsere Zeit stark beeinflusst hat.

5. Ordnung der Anstalten

Wie schon erwähnt, gab es verschiedene Schulen, die den einzelnen Ständen zugeordnet waren.

Francke hatte für die Anstalten ein völlig neues Schulsystem entwickelt.

An allen Schulen wurde das gleiche Grundwissen vermittelt.

Nach der Regel der ständigen Beschäftigung, die für ihn so von Bedeutung war, hatten die Kinder jeden Tag bis zu sieben Stunden Schule. Hierbei wurde darauf geachtet, dass sich die sog. “schweren” Studien mit den “leichten” Studien in sinnvoller Weise abwechselten. Denn Francke verlangte von seinen Schülern immer äußerste Konzentration und nur so konnte dies überhaupt verwirklicht werden.

Als schwere Studien galten die für den Geist anstrengenden Fächer, wie Elementarunterricht und Sprachen, als leichte die bereits erwähnten Recreationsübungen.

Mittwoch und Samstag waren der Wiederholung des gelernten Stoffs vorbestimmt.

In der unterrichtsfreien Zeit strickten Mädchen und Jungen Strümpfe und bekamen von ihrem Erzieher biblische Geschichten erzählt.

Francke entschied sich für das Fachsystem. In jedem Fach gab es mehrere Kurse mit unterschiedlichem Niveau. Die Schüler konnten, mit gewissen Einschränkungen, je nach Begabung und Interesse die einzelnen Fächer und Kurse wählen, ganz unabhängig von ihrem Alter.

So hatten auch begabte Waisenkinder die Möglichkeit sich ihren Interessen zu widmen und ihre Begabung auszubauen.

Francke gab ihnen die Möglichkeit, sich auch auf eine handwerkliche Ausbildung oder gar ein Studium vorzubereiten. Durch das Wohlwollen des Preußischen Königs gelang es sich gegen den Widerstand der Zünfte durchzusetzen und so konnte sogar einmal ein uneheliches Kind eine Handwerkslehre machen; für die damalige Gesellschaft unvorstellbar.

Als Lehrer waren, wie oben schon erwähnt, Studenten angestellt. Da diese fast keine pädagogische Erfahrungen besaßen, richtete man das “seminarium praeceptorum” ein. Hier erhielten sie zunächst eine zweijährige Ausbildung und unterrichteten anschließend drei Jahre lang. Sie waren weiter dazu verpflichtet sich in ihrem Fach stetig fortzubilden. Außerdem wurden die Studenten von “Inspectores” beaufsichtigt, mit denen sie wöchentliche Besprechungen hatten.

So wurden sie zu ausgebildeten Pädagogen, die später sehr gute Berufschancen hatten, denn zu dieser Zeit gab es eigentlich keine Lehrer mit pädagogischen Kenntnissen.

6. Gewinnbringende Institute

Bemerkenswert ist auch die Finanzierung der Franckeschen Anstalten.

Hatte Francke seine Stiftungen zu Anfang nur aus Spendengeldern seiner Gönner unterhalten, wurde schnell klar, dass dies als einzige Finanzierungsgrundlage zu unsicher war.

Zwar bezahlte der Grossteil seiner Schüler Schulgeld, aber das reichte lediglich für deren tägliche Versorgung. Der preußische König hatte derweil das große Potential der Anstalten erkannt und sprach ihnen einige Privilegien zu.

So konnte 1700 eine Buchhandlung mit eigener Druckerei und Versandhandel

aufgemacht werden, die bald aufgrund ihrer niedrigen Preise erfolgreich wurde. Schon 1702 wurde eine Filiale in Berlin gegründet, weitere in Leipzig und

Frankfurt a.M. folgten. Neben Franckes eigenen Schriften, wurden die seiner Freunde und Mitarbeiter, wie Spener u.a., und einiger Professoren der Universität Halle verlegt. Um noch preiswerter verkaufen zu können, wurde 1725 eine Papiermühle hinzu gekauft, sodass die Buchhandlung nun vollständig unabhängig war. Seit dem Jahr 1710 lieferte die Buchhandlung einen jährlichen Durchschnittsgewinn von 2500 Talern ab.

Eine weitere gewinnbringende Einrichtung war die Cansteinschen Bibelanstalt.

Sie basierte auf der Idee des Freiherrn Carl Hildebrand von Canstein, der durch ein neues Druckverfahren, dem stehenden Satz, die Herstellung sehr billiger Bibeln und somit deren weite Verbreitung ermöglichen wollte.

Stehender Satz bedeutet, dass die einmal gesetzten Seiten für immer neue Drucke aufbewahrt und dadurch viel Zeit und Arbeitsaufwand eingespart wurde.

So kam es, dass 1712 der erste Druck des Neuen Testaments für zwei Groschen erschien.

Die bedeutendste Einnahmequelle der Anstalten waren aber Apotheke

und die sogenannte Medikamentenexpedition.

Die Apotheke entstand 1699 während einer Fleckfieberepidemie. Aus verschiedenen Rezepten, die Francke geschenkt bekommen hatte, entwickelte der Arzt der Anstalten die "essentia amara" und die "essentia dulcis"8, die die Apotheke bald sehr berühmt machten.

So hatte sie von Anfang an großen Erfolg. Zum einen deckte sie den Bedarf der Anstalten und der Bewohner Glauchas - vorher hatte es keine Apotheke gegeben -, zum anderen kamen bald viele Bestellungen von außerhalb.

Seit 1702 gab es dann die sogenannte Medikamentenexpedition, die, unabhängig von der Apotheke, den Vertrieb der Medikamente übernahm. Zu ihren bekanntesten Kunden zählte der russische Zar Peter I..

Diese Einrichtung war die sicherste Geldquelle der Anstalten, die zwischen 9000 und 15000 Talern im Jahr einbrachte.

Weiter hatten die Anstalten zur Eigenversorgung die vorher schon erwähnte Acker- und Viehwirtschaft, sowie eigenes Wasser aus zwei Quellen und ein eigenes Krankenhaus.

Durch all diese Einrichtungen wurden Die Anstalten gänzlich unabhängig von Spenden und konnten stetig wachsen.

7. Bewertung

Francke begeisterte vor allem durch seine herausragende Persönlichkeit. Er war erfüllt von Glaubenseifer und Vertrauen auf Gott. Er sah seine Aufgabe darin, die orientierungslosen Menschen auf den rechten Weg zu führen. Deppermann sagte über ihn: „Er zählt zu den ganz seltenen Gestalten unserer Geschichte, die männliche Härte und demütige Liebe, unerschrockenen Mut und weitsichtige Klugheit miteinander verbanden und all diese Kräfte in den Dienst am Nächsten zu stellen.“[8] 9

Er hat es geschafft, eine für seinen Zeit revolutionäre Sicht der Pädagogik in die Praxis umzusetzen. Er setzte sich für die Bildung breiter Bevölkerungsschichten ein und versuchte, Standesunterschiede zu überwinden. Begabte Armenkinder erhielten ihre Chance zum gesellschaftlichen Aufstieg. Den Adligen wurde gelehrt, dass der Stand vor Gott nicht von Bedeutung sei und der Große dem Geringeren dienen solle. So trug Francke zur Entfeudalisierung Preußens bei. Sein Schulsystem war durch die Verbindung von Aufklärungsgedanken mit dem Christentum nicht religiös abgehoben. Vielmehr war sie fest im Leben verankert und schenkte dem Pietismus Glaubwürdigkeit.

Er führte in seinen Schulen die Naturwissenschaften als neue Unterrichtsfächer ein und schuf ein völlig neues Lehrerbild.

Doch weisen seine Theorien auch einige Schwachstellen auf. Francke verhakt sich in Widersprüche, wenn er zum Beispiel von der Bekehrung zum Christentum spricht.

Nach eigener Theorie ist die Bekehrung ein Prozeß, der nur durch den Menschen selbst und mit Gottes Hilfe vollzogen werden kann. In seinen Schulen aber sollen die Lehrer aktiv in die Bekehrung der Kinder eingreifen.

Weiter erscheinen uns viele seiner Methoden heute als unsinnig. Einem Kind den Eigenwillen brechen zu wollen oder es dazu zu zwingen, den ganzen Tag hochkonzentriert zu bleiben, würde keinem mehr einfallen. Francke erkannte zwar das „Kind-Sein“ an, verlangte aber Leistungen wie von einem Erwachsenen und respektierte nicht das Kind als Individuum.

Aufgrund dieser aus heutiger Sicht überholten Methoden und Anschauungen und der Tatsache, dass sich die religiöse Grundhaltung der Gesellschaft stark verändert hat, ist Franckes Pädagogik nicht mehr anwendbar.

Franckes Schüler aber trugen seinen Geist in die Welt hinaus. Sie wirkten als Missionare in der ganze Welt und waren auch am kulturellen Wiederaufbau

Preußens beteiligt. Durch ihren Einfluß wurde die allgemeine Schulpflicht in Preußen eingeführt. Hecker und Semler z.B. gründeten die deutsche Realschule.

Die „Hallischen Anstalten“ waren Vorbild für viele andere Schulen und Waisenhäuser in ganz Europa.

Und schließlich kann es wohl kein Zufall gewesen sein, dass der Lehrstuhl für Pädagogik 1779 in Halle eingerichtet wurde.

Literaturverzeichnis

- Deppermann, Klaus(1992): Protestantische Profile von Luther bis Francke.

Göttingen.

- Francke, August Hermann (1885): Pädagogische Schriften. Langensalza.
- Gudjons, Herbert (2001): Pädagogisches Grundwissen. Bad Heilbrunn.
- Hertzberg, Gustav Friedrich (1898): August Hermann Francke und sein Hallisches Waisenhaus. Halle.
- Lenhart, Volker(1998): Protestantische Pädagogik und der „Geist“ des Kapitalismus. Frankfurt a.M..
- Oschlies, Wolf (1969): Die Arbeits- und Berufspädagogik August Hermann Franckes. Witten.

[...]


[1] Deppermann S.91 Z.2ff.

[2] Hertzberg S.15 Z.5f.

[3] Deppermann S.97 Z.1ff.

[4] ebd. S100 Z. 15

[5] vgl. oben Hertzberg.

[6] Oschlies S. 162 Z. 5ff.

[7] ebd. S.166 Z.4

[8] Oschlies S.32 Z.13f. und Z.16

[9] Deppermann S.107, Z.22ff. S.107, Z.22ff.

Ende der Leseprobe aus 15 Seiten

Details

Titel
Die Pädagogik des August Hermann Francke und wie sie in den Frankeschen Anstalten angewandt wurde
Hochschule
Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg  (Erziehungswissenschaftliches Seminar)
Note
2
Autor
Jahr
2002
Seiten
15
Katalognummer
V11114
ISBN (eBook)
9783638173674
Dateigröße
493 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Pädagogik, August, Hermann, Francke, Frankeschen, Anstalten
Arbeit zitieren
Katharina Albrecht (Autor:in), 2002, Die Pädagogik des August Hermann Francke und wie sie in den Frankeschen Anstalten angewandt wurde, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/11114

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