Vernunft und Alkoholgenuss - Die Rolle der Bacchantinnen in Striggios 'La Favola d’Orfeo'


Hausarbeit (Hauptseminar), 2007

26 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhalt:

1. Einleitung

2. Der Festcharakter des Werkes

3. Die moralische bzw. wenigstens weltkluge Botschaft des Werkes

4. Erste Einschränkung des moralischen Charakters des Stückes

5. Wein und Vernunft - Fest und Ethos
5.1. Die Bacchantinnen
5.2. Ratio und Bacchus
5.3. Das Fest
5.4. Die Vereinbarkeit von tragischem Gegenstand und Festcharakter

6. Die Funktion der Musik

7. Schluss

8. Literatur

1. Einleitung

Bei der Lektüre von Alessandro Striggios La Favola d’Orfeo, Libretto zu der von Monteverdi in Musik umgesetzten Oper (Uraufführung 1607), fällt ein vermeintlicher Widerspruch ins Auge: Einerseits scheint in ihr die Mahnung zu Vernunft und Mäßigung in den Affekten im Vordergrund zu stehen, andererseits endet das Werk in Preisgesängen auf Bacchus.[1] Man kann diesen vermeintlichen Widerspruch natürlich als echten auffassen und / oder verschiedenen Teilen des Werkes unterschiedliche Funktionen und Sinne zuweisen, man kann ihn aber auch aufzulösen suchen und wird dabei - wie im Folgenden zu zeigen sein wird - auf eine Interpretation des Werkes stoßen, die einiges zeitgemäßer ist, als die, es handele sich im Kern um eine - beinahe schon aufklärerisch anmutende - Werbung für die ratio. Der sich gutteils auflösende bzw. wenigstens hinsichtlich der Funktionen der Teile des Werks nicht bestehende Widerspruch bzw. seine Erklärung erhellen zugleich auch die ambivalente Rolle der Musik, die sie sich als allegorische Figur im Prolog selbst zuschreibt und die so ambivalent eben nicht ist bzw. deren ihr im Text zugeschriebene ambivalente Funktion in Bezug zur Behandlung von Vernunft und Alkoholgenuss seitens Striggios an anderer Stelle einen Sinn des Textes ergibt, der zugleich natürlich - bei der hohen Bewertung der literarischen Vorlage einer Oper durch die Zeitgenossen[2] - auch zur Deutung der musikalischen Umsetzung durch Monteverdi herangezogen werden kann, ein Aspekt, auf den hier allerdings nur andeutungsweise eingegangen werden kann.

2. Der Festcharakter des Werkes

Das Erste, dessen wir gewahr sein müssen, ist, dass die Oper zu dieser Zeit Bestandteil und nicht unbedingt einmal Hauptbestandteil eines Festes ist und dass diese Funktion ihren Charakter prägt.[3] Dass das auch für dieses Werk gilt, legt schon der Umstand nahe, dass es wie viele andere seiner Zeit während des Karnevals erstmals aufgeführt wurde.[4]

Aber auch der Text selbst gibt zahllose Hinweise auf den Festcharakter des Stückes. So dürfen wohl der eigentliche Anfang[5] wie der Schluss[6] der Oper - mit klaren Parallelen in Inhalt wie Wortlaut - nicht nur als Aussagen in der textinternen Kommu­ni­kations­situation gewertet werden, sondern sind als Situationsbe­schreibung wie Aufforderung unmittelbar an den Zuschauer gerichtet, den sie anknü­pfend an die äußerlich gegebene Festsituation auf das Kommende ein­stimmen - „In questo lieto e fortunato giorno [...] cantiam, pastori, con sì soavi accenti / che sien degni d’Orfeo nostri concenti“ (V. 21 ff.) - sowie in angemessener Stimmung in das weitergehende Fest entlassen: „[...] te chiamiam con chiari accenti. / Evohè liete e ridente [...]“ (718 f.). Die offensichtlichen Parallelen in beiden Passagen, die nicht durch die Identität der Figuren im Stück oder Verwandt­schaft der an dieser Stelle gegebenen Situationen zu rechtfertigen ist, lässt kaum eine andere Deutung zu.[7]

Eindeutig festlichen Charakter in Text und Musik trägt auch der Chor „Lasciate i monti [...]“ V. 51 ff., der V. 100 ff. zum Teil noch einmal wiederholt wird, wie überhaupt der ganze erste Akt bis auf den Schlusschor (V. 125 - 151) desselben, der als Überleitung zu dem Geschehen des nächsten Aktes einen anderen Ton anschlägt, nichts anderes darstellt als eine einzige Feier des „lieto e fortunato giorno“, also auf der Bühne darstellt, was auch außerhalb von ihr geschehen und wozu die Oper einen Beitrag leisten soll. Nicht wesentlich anders verhält es sich mit dem folgenden Teil bis Vers 199,[8] in dem vor allem - neben der Schilderung der vergangenen (und darum das gegenwärtige Glück nur weiter erhöhende)[9] Liebesleiden Orfeos - die Schilderung der Freuden der arkadischen Landschaft im Vordergrund stehen. Das entrückt das Geschehen zwar der Realität[10], doch in gleicher Weise, wie ein Fest wenigstens der banalen Alltagsrealität entrücken[11] und, wenn schon nicht einen Raum, so doch wenigstens einen Zeitraum außerhalb derselben schaffen sollte.[12] Erst daran anschließend - nach fast 200 Versen, sprich etwa dreißig Prozent des Stückes - beendet die durch Silvia überbrachte Schreckensbotschaft (V. 200 ff.) die bis dahin ungetrübte Festesfreude auf der Bühne.[13]

Gerade auch in der freilich vom Text nahegelegten musikalischen Umsetzung prägen „ scherzi e parole, Lebensfreude, Gesang und Tanz“[14] den Beginn des zweiten Aktes, wobei Monteverdi – und mit bzw. vor ihm Striggio - hierbei die Grenzen des Florentiner Pastoraldramas, also der bisherigen Operngeschichte, überschritt.[15] Der Text besteht hier ausschließlich aus Strophen, die einem einheitlichen Reimschema (umarmender Reim) unterliegen, also den typischen Rezitativvorlagen relativ fern stehen.[16] Die Äußerungen Orfeos (V. 152 ff., V. 180 ff.) sind darüber hinaus ottonari, ein Metrum, das Tanzrhythmen nahe steht und durch Monteverdi so verstanden und umgesetzt wurde.[17] Damit kommt hier die bei Rinuccini letztlich nur narrativ vermittelte Festesfreude in direkter szenischer und musikalischer Umsetzung wesentlich unmittelbarer zum Ausdruck.[18] Dabei sind die „Tanzlieder“ dieser „freudigen Ballettszene“ von „tänzerischen“ Soloritornellen durchsetzt.[19] Könnte man also von Striggios Text aus unter Nichtbeachtung des Metrums noch argumentieren, die Festesfreude sei nicht ungetrübt, da des vergangenen Leides gedacht wird, so erlaubt dies eine Einbeziehung der musikalischen Umsetzung, des dadurch zu Tage tretenden Verständnisses des Textes seitens Monteverdis und der Elemente desselben, die sie - die musikalische Umsetzung dieser Passage - bestimmen, nicht mehr.

Vielleicht gerade weil das Geschehen im Mittelteil des Werkes schon allein auf Grund der Vorgaben des Stoffes an sich in direktem Gegensatz zur Feier eines Festes steht, sind die festlichen Züge, die sich auch in diesem Teil feststellen lassen, umso überzeugendere Argumente für einen ebensolchen Charakter des Gesamtwerkes. Auf solche stößt man erstmals zu Ende des dritten Aktes (V. 299 - 315) mit der Besprechung der Frage „Ma qual funebre pompa / degna fia d’Euridice?“

Sicherlich bestehen zwischen einer Bestattungsfeierlichkeit und einer ausgelassenen Karnevalsfeier gewisse und - zugegebenerweise - recht eindrucksvolle Unterschiede, aber auch Parallelen, wie der besondere Aufwand, der getrieben wird, Lieder, die gesungen werden etc.,[20] die allein erklären, warum gerade diesem Aspekt der möglichen Folgen von Euridices Tod an exponierter Stelle eine doch recht stattliche Zahl von Versen gewidmet werden. Zudem ein eigentlich doch erwartbarer lamento Orfeos, in dem er seiner Trauer Ausdruck gäbe, nicht folgt.[21]

Die Festesfreude kommt auch V. 437 ff. zum Tragen:

che s’agguagli e costui ch’oggi si vede per questi oscuri chiostri fra larve e serpi e mostri mover cantando baldanzoso il piede?

Der Umstand, dass Orfeo keineswegs frohgemut und heiter gestimmt ist, wird dabei an dieser Stelle durch die Opposition zu den Schrecken der Unterwelt außer Betracht gestellt: Wenn das „mover cantando [...] il piede“ in einem so offenbaren Gegensatz zu diesen steht, ist es kaum anders zu deuten als als fröhliches Tanzen bzw., da der Kontext eine solche Deutung nicht zulässt, soll zumindest ein in Anbetracht der Situation beinahe vergleichbares Verhalten suggeriert werden.

Darüber hinaus finden sich gerade in der Tristesse der Unterwelt sogar Bezüge zum konkreten festlichen Anlass, zur Karnevalszeit. Denn einer der wichtigsten Merkmale des Karnevalesken ist die Aufhebung der gewohnten Ordnung[22] und, dass sie aufgehoben wird, wird von Plutone ausdrücklich festgestellt: „La sua cara Euridice / contra l’ordin fatale Orfeo ricovri“ (V. 465 f.). Gleichartiges findet sich noch mehrfach, so in V. 497 ff.

Pietate oggi et Amore trïonfan ne l’Inferno ecco il gentil cantore che sua sposa conduce al ciel superno.[23]

Vor allem die musikalische Umsetzung kennt noch zwei weitere heiter gestimmte Stellen vor Eintreten des lieto fine, so V. 501 ff. - hier schon vom Text vorgegeben, doch von kurzer Dauer - und ein Instrumentalritornell zu Anfang des fünften Aktes - nicht unbedingt in Übereinstimmung mit dem auf es folgenden Text (V. 564 ff.), abgesehen von dem in ihm auch angesprochenen arkadischen, also freudvollen Charakter der Landschaft.[24] Im ersten Falle wird der festliche Charakter musikalisch noch weiter betont, da eine klare und gewollte Parallele zu den heiteren Canzonettenstrophen des zweiten Aktes vor Eintreffen der Unglücksbotschaft gegeben ist.[25]

Dass die so selbst in den entgegengesetztesten Passagen wenigstens so weit möglich gewahrte festliche Stimmung dann nach Eintreten des lieto fine (ab V. 614)[26] erhalten bleibt, braucht somit also kaum noch begründet werden.[27] Hinzuweisen ist vielleicht auf die Wiederholung von „cantando“ in Regieanweisung und Haupttext an entscheidender Stelle (V. 665 ff.) und der Verwendung von „diletto“ (V. 667), vielleicht nicht der nächstliegende Partner zu „pace“ (V. 667) und die üblichste Vokabel zur Beschreibung jenseitiger Freuden.

Dominant ist das festliche Element mit Einsetzen der Gesänge der Bacchantinnen ab V. 627, die ab V. 679 bis zum Schluss des Stückes die Szene allein beherrschen werden.[28] Gesänge von Bacchantinnen sind ja per se Bestandteil eines dem Weingott geweihten Festes[29] und können als solche auch auf der Bühne nur als Teil der Darstellung eines festlichen Geschehens gedeutet werden.

Auch was die musikalische Umsetzung im Ganzen anbelangt, kann man zusammenfassend sagen, dass Monteverdi in seiner Vertonung den Festcharakter generell durch reichlichen Einsatz von Tänzen und „Hirtenmadrigalen“[30], „leichte tänzerische Stücke“[31], in den entsprechenden Szenen[32], die, wie ja gezeigt worden ist, mehr als reichlich in der Textvorlage vorhanden sind, betont, besonders natürlich - aber nicht ausschließlich - im erste Drittel und im Schlussteil. Mehr noch, es kann ein solcher Charakter dem Stück in seiner musikalischen Umsetzung schon vor Einsatz des Textes attestiert werden, denn schon dem Prolog der Musica geht ein Ritornell - das zwischen den Strophen des Prologs erneut teilweise erklingt - voraus, das eine heitere und lichte Welt „ohne jede Tragik und Hintergründigkeit“ zur Darstellung bringt.[33]

3. Die moralische bzw. wenigstens weltkluge Botschaft des Werkes

Trotz des zweifelsfrei feststehenden und durchgehenden festlichen Charakter des Werkes hat es zugleich Züge, die diesen zumindest zu relativieren scheinen. Gier hat sicher Recht, wenn er betont, dass es der Tragödie verhältnismäßig nahe steht.[34] Dafür spricht allein schon der Umstand, dass im Gegensatz zur vorhergehenden Euridice des Rinuccini hier der endgültige Verlust derselben für Orfeo Darstellung findet V. 531 ff.). Gier hat damit auch weiterhin darin recht, dass das Stück offenbar auf eine kathartische Wirkung hin angelegt ist. Ein zentrales Element ist die Mahnung zur ratio mit Verweis darauf, dass Glück und Unglück von kurzer Dauer sind, es also unsinnig und unvernünftig ist, sich ihnen zu sehr hinzugeben.[35]

Diese Lehre durchzieht das ganze Stück. Angedeutet wird sie bereits in V. 125 ff., wo vor allem von dem Unglück, dem bestimmt ist vorüberzugehen, die Rede ist. V. 260 - 263 folgt der umgekehrte Fall:

Non si fidi uom mortale

di ben caduco e frale

che tosto fugge, e spesso

a gran salita il precipizio è presso

Als von einer Hauptbetroffenen des Geschehens gezogenes Resümee einer entscheidenden Wendung der histoire erscheint sie als Äußerung Euridices in V. 535: „Così per troppo amor dunque mi perdi?“ Eine regelrechte Moral, sprich Handlungsanweisung wird V. 560 ff. daraus:

Orfeo vinse l’Inferno e vinto poi fu dagli affetti suoi. Degno d’eterna gloria fia sol colui ch’avrà di sé vittoria.

Man solle sich also von seinen Affekten nicht beherrschen lassen, ein Lehre, die noch mehrfach von Apollo, dem Repräsentanten der ratio (gerade in Opposition mit den mit ihm zusammen auftretenden Bacchantinnen),[36] wiederholt wird, so V. 614 ff.:

Perch’a lo sdegno et al dolor in preda così ti doni, o figlio? Non è, non è consiglio di generoso petto servir al proprio affetto.

Auch im Falle Apollos ist eine solche Äußerung einem Wendepunkt, dem zweiten entscheidenden zum lieto fine, verbunden, nämlich in V. 640 ff., wo er sagt:

Troppo, troppo gioisti di tua lieta ventura, or troppo piagni tua sorte acerba e dura [...]

Die Lehre, sich im Namen der ratio nicht von seinen Affekten beherrschen zu lassen, da irdisches Glück wie Unglück ohne Bestand sind, findet also mehrfach Ausdruck und ist der histoire gerade an deren entscheidenden Punkten engstens verbunden. Den Zuschauer dazu zu führen, indem er im Verlust Euridices auf Ewigkeit die tragischen Folgen eines Zuwiderhandelns und im lieto fine die positiven der Folgsamkeit aufgezeigt bekommt, ist offenbar die hier intendierte kathartische Wirkung des Werkes.

4. Erste Einschränkung des moralischen Charakters des Stückes

Ist das Stück also auf diese Lehre hin konzipiert? Das erste, was bei Beantwortung dieser Frage auffallen muss, ist, dass im Prolog, von dem man erwarten darf, dass er wichtige Hinweise für das richtige Verständnis des Werkes enthält,[37] kein Bezug auf eine solche Lehre genommen wird, so also zu vermuten bleibt, dass die zentralen Anliegen des Textes in etwas zu suchen bleiben, das Gegenstand auch schon des Prologs ist.

Ferner finden sich in zentralen Passagen der tragischen Handlungen zahllose concetti:[38] So zum Beispiel die Begründung der Speranza in V. 334 ff., warum sie Orfeo nicht in die Unterwelt begleiten kann, die sich auf Dantes Beschreibung derselben im Inferno als Tatsachen beruft. Da kaum glaublich ist, dass Striggio Dantes Schilderung der Hölle für eine echte Vision gehalten haben dürfte, und auch ein erheblicher Unterschied zwischen dieser christlichen und der mythischen der Antike, die hier den Ort der Handlung darstellt, besteht, handelt es sich kaum um mehr als ein intellektuelles Spiel, ein concetto also.[39] Dies kann dann auch sogleich auf die Zitierung Dantes in Form der in den Terzinen der Comedia gehaltenen Anrede Orfeos an Caronte V. 364 ff. übertragen werden, eine Passage, die auch sonst durch und durch vom barocken concettismo geprägt ist, so die Scheinargumentationen[40] in V. 367 - 369:

non viv’io no, che poi di vita è priva mia cara sposa, il cor non è più meco e senza cor com’esser può viva?

oder in V. 370 - 372 („a l’Inferno non già, ch’ovunque stassi / tanta bellezza il Paradiso ha secco“), zugleich ein Spiel mit Gegensätzen und Unvereinbarkeiten,[41] oder der spielerische Umgang mit dem Wort „luci“ in V. 376 („O de le luci mie luci serene“),[42] um nur einige Beispiele zu nennen.[43]

Zweifelsfrei sind moralische oder philosophische Aussagen im Barock etwas, was die Literatur übernimmt, nicht selber hervorbringt und nur mit ihren Mitteln zur Darstellung bringt.[44] Doch diese Mittel sind gerade auch hier eindeutig dazu bestimmt, völlig unabhängig vom tragischen Inhalt intellektuellen diletto zu erzeugen, und damit hier nur geeignet, den tragischen Gehalt zu entdramatisieren. Ob dieser Effekt bewusst hier gesucht wird oder hier nur zu finden ist, weil er epochentypisch ist,[45] ist dabei für vorliegende Untersuchung weitgehend irrelevant. Entscheidend ist, dass die tragische Handlung in ihrer Darstellungsweise vor allem als ein Spiel mit der Sprache und der Tradition erscheint, das vorwiegend dem Zweck dient, intellektuelles Vergnügen zu bereiten, keinesfalls aber im aristotelischen Sinne ’ ελέος und / oder φόβος hervorruft, um eine Katharsis zu bewirken.[46]

Wichtig ist dies in diesem Zusammenhang vor allem wegen der engen Bindung der ‚Lehre’ des Stückes an zentrale Wendepunkte der histoire. Vor dem tragischen Hintergrund des ewigen Verlusts Euridices für Orfeo erhalten beispielsweise ihre Worte und die damit verbundene Lehre in V. 535 (vgl. o. S. 9) ihr volles Gewicht, genauso die Worte Apollos in V. 640 ff. (vgl. o. S. 10), schon da der Eindruck, den die Wendung zum lieto fine machen kann, abhängig ist von der Tragik der vorhergehenden Situation. Ist diese Tragik nun ‚entschärft’, ist es auch die von ihr mittelbar abhängige Lehre bzw. diese muss einen Platz finden, in dem sie in einer sinnvollen Beziehung zu dem intellektuellen Ergötzen steht, das die Darstellungsweise des tragischen Geschehens erzeugt und erzeugen soll.[47]

5. Wein und Vernunft - Fest und Ethos

5.1. Die Bacchantinnen

Entscheidend gegen eine Deutung des Stückes als Verkündigung der Lehre, man solle sich der Vernunft gemäß seinen Affekten nicht zu sehr hingeben, spricht aber, dass das Stück in Anrufungen Bacchus durch die Bacchantinnen endet und - dazu später - wie das geschieht. Man könnte zwar einwenden, sie seien nur als oppositioneller Hintergrund zu dem die ratio repräsentierenden Apollo vorhanden, doch diese Funktion ist durch sie bereits bis Vers 667 - in dem die Darstellung der histoire endet - erfüllt und damit erscheint es völlig überflüssig, dass sie von Vers 675 bis zum Schluss, Vers 722, die Szene allein beherrschen. Dabei handelt es sich um eine recht lange Passage, die überdies an entscheidender Stelle des Stückes steht. Klar ist der pragmatische Charakter im Sinne des oben genannten Festcharakter des Stückes. Andererseits besteht aber scheinbar ein Widerspruch zwischen dem „[...] colmo il core / del tuo divin furore“ (V. 681 f. u. ö.), mit dem Anliegen des Stückes, insofern es zu vernünftiger Mäßigung in den Affekten mahnt, der so noch nicht gelöst ist.

5.2. Ratio und Bacchus

Noch interessanter ist eine weitere Beobachtung, nämlich dass Bacchus bzw. dem Wein gerade die Eigenschaften zugeschrieben werden, das zu erreichen, was vernünftige Mäßigung erforderte. So singt eine Bacchantin:

Tu pria trovasti la felice pianta

onde nasce il licore

che sgombra ogni dolore,

et a gli egri mortali

del sonno è padre e dolce obblio de i mali. (V. 683 - 687)

Das entspricht der Forderung, in V. 125 - 132, sich dem Schmerz nicht hinzugeben, da das Leid nicht von Dauer sei, und der des Apollo als Repräsentanten der ratio, dem Leid, überhaupt den Affekten nicht allzu sehr nachzugeben (V. 614 ff.) bzw. seine Feststellung, Orfeo habe sich des günstigen Geschicks zu sehr gefreut, das bittere zu sehr beweint (V. 640 ff.). In die gleiche Richtung geht die Lobpreisung des Bacchus durch eine Bacchantin als „d’ogni afflitto cor dolce contento“ (V. 715).

Kurz, der Alkoholgenuss verspricht wenigstens in Hinsicht auf das Leiden genau das, was gesunde Einsicht fordert und mit sich bringen sollte.

5.3. Das Fest

Ist es nun also sinnvoll, als Botschaft des Stückes die Forderung nach Alkoholkonsum im Sinne und zu Zielen der ratio zu verstehen? Das ist schon dadurch auszuschließen, da die Opposition zwischen Apollo und den Bacchantinnen, Vernunft und Wein, bestehen bleibt:

Ma, ecco stuol nemico di donne amiche e l’ubriaco Nume: sottrar mi voglio a l’odiosa vista ché fuggon gli occhi ciò che l’alma aborre.

ist das Letzte, was Apollo zu diesem Thema zu sagen hat (V. 623 - 626) und in Folge auch ausführt. Vernünftige Mäßigung wie Trost im Alkohol eignen sich beide nicht, darin den zentralen Sinn des Textes zu sehen. Ihre Funktion bleibt untergeordnet und zwar dem zentralen Anliegen des Werkes, Bestandteil eines Festes zu sein.

Dazu sollte vor allem auch beachtet werden, dass der gemeinsame Nenner der beiden widerstreitenden Prinzipien die Minderung des Leidens ist, der - so betont - auch bei der rationalen Einsicht in die kurze Dauer von Glück und Unglück die höhere Bedeutung zufällt. Es bedarf - glaube ich - keiner weiteren Erläuterung, inwiefern das Leichtnehmen des Schmerzes durch rationale Einsicht und das Vergessen desselben im Wein als Zustand gelassener Ausgelassenheit einem Feste sehr zuträglich ist und die Oper zu einem integralen Bestandteil eines solchen werden lässt. Ganz im gleichen Sinne ist dann wohl die kathartische Wirkung intendiert. Ebenso wie Orfeo aufgibt, weswegen er litt, und dadurch höheren Glücks würdig wird (V. 634 ff.), so soll auch der Zuschauer von dem, was ihn belastet, befreit werden, um unbeschwert feiern zu können. Ebendies beschrieb bereits 1588 Guarini in seinem Verrato (primo) als Ziel der pastoralen Tragikkomödie bzw. als deren kathartische Wirkung,[48] als er schrieb:

[...] se mi sarà domandato che fine è quello della tragicomedia, dirò ch’è d’imitare con apparato scenico un’azione finta e mista di tutte quelle parti tragiche e comiche, che verisimilmente e con decoro possano star insieme corrette sotto una sola forma dramatica, per fine di pugar col diletto la mestizia degli ascoltanti; in modo che l’imitare, ch’è fine instrumentale, è quel ch’è misto, rappresentando egli cose comiche e tragiche giunte insieme, ma il purgare, ch’è fine architettonico, non è se non uno solo: di liberar gli ascoltanti dalla malinconia.[49]

Das soll nun nicht heißen, dass die ‚Lehre’ des Werks, insofern sie moralisch-philosophischer Natur ist, nicht gegeben wäre, sie ist gültig, aber neben ihrer allgemeinen Gültigkeit erfüllt sie hier aufs Werksganze gesehen vor allem eine untergeordnete Funktion. Dieses hat vor allem die, integraler Bestandteil eines Festes zu sein und den Zuschauer in eine entsprechende Stimmung zu versetzen.

Auch nicht aufgehoben ist die Opposition zwischen Apollo und Bacchus, sie ist nur aufgehoben in ihrem Ziel, in der Hauptfunktion, die ihnen in diesem Stück zukommt. Das entspricht genau der pluralistischen Weltsicht, die in Italien während der ganzen Frühen Neuzeit herrschte,[50] dass zwei antagonistische Gegensätze unter einem bestimmten Blickwinkel zusammenfallen können, bzw. - insofern dies gar nicht primär als Abbildung der Wirklichkeit bzw. als Darstellung der in ihr geltenden Regeln gedacht ist (was in recht hohem Maße der Fall sein dürfte) - den - freilich aus dieser Weltsicht entspringenden - Anforderungen an die Literatur im zeitgenössischen Italien, insofern zwei unvereinbare Dinge mit künstlerischen Mitteln, insbesondere der Scheinargumentation[51] als identisch dargestellt werden.[52] In wenigstens einer Hinsicht besteht allerdings auch eine ‚tatsächliche’ Übereinstimmung, nämlich in Hinsicht auf die Mythologie, Bacchus und Apollo mögen zwar für sich gegenseitig ausschließende Prinzipien stehen, stellen aber nichtsdestotrotz beide griechische Götter dar.[53] Dass diese Aufhebung der Opposition unter bestimmten Gesichtspunkten fest in der antiken Tradition begründet ist, dürfte bei der nach wie vor bestehenden Hochschätzung des klassischen Altertums,[54] die des weiteren bei der Entstehung der Oper selbst eine entscheidende Rolle spielte,[55] Striggios und Monteverdis Zeitgenossen als ein weiteres Plus dieses Werkes erschienen sein.

5.4. Die Vereinbarkeit von tragischem Gegenstand und Festcharakter

Diese Unterordnung (der ‚Lehre’ unter den Hauptsinn des Textganzen) bzw. die Art, wie das geschieht, hat zugleich noch eine weitere Folge: So und nur so kann der Festcharakter der Veranstaltung gewahrt bleiben und trotzdem ein im Prinzip tragischer Gegenstand zur Darstellung gebracht werden.[56] Bedenkt man, dass die Wurzeln der Oper einerseits in dem Willen, die antike Tragödie als gesungenes Theaterstück wiederzubeleben,[57] liegen, wie sie andererseits aus Festlichkeiten an den Fürstenhöfen erwachsen ist,[58] so ist es hier in einem Höchstmaß gelungen, den schwer miteinander zu vereinbarenden ver-schiedenen äußerlichen wie inhaltlichen Vorgaben zu entsprechen.

6. Die Funktion der Musik

Dass auch die Wirkung der Musik im Prolog (V. 5 - 8): Io la Musica son, ch’a dolci accenti so far tranquillo ogni turbato core, et or di nobil ira et or d’amore posso infiammar le più gelate menti.

ambivalent beschrieben wird,[59] ist ein erster Hinweis auf einen Zusammenhang mit dem funktionell gleich ausgerichteten Gegensatzpaar Bacchus-Apollo. Eben daher darf aber bezweifelt werden, „dass die Affektdarstellung [Orfeos durch die Musik] nur Mittel zum übergeordneten Zweck der Affektkontrolle ist“,[60] wobei das, was stört, das „nur“ ist, wozu wir nicht auf die Bacchantinnenchöre zum Schluss der Oper zurückgreifen müssen, als Gegenbeweis genügt, dass eben die Musica ihre Wirkung im Prolog als ambivalent darstellt.

Fruchtbarer scheint der Ansatz Müllers[61] der die Musik im Orfeo als Anspannung bzw. Steigerung des Affektgehalts kennzeichnet, mit stets anschließender Lösung, was hieße, dass Monteverdis Vertonung, seine Musik, das leistet, was aus vernünftiger Einsicht und durch Genuss des Weines gemäß dem Text zu leisten sei, eine Katharsis hin zu entspannter Festeslaune.

Doch kehren wir zur Ambivalenz der Musik zurück und prüfen ihr Verhältnis zu rationaler Einsicht und der Wirkung des Weins.

Beginnen wir mit Bacchus. Über ihn wird gesagt (V. 712 - 715): Senza te l’alma Dea che Cipro onora fredda e insipida fôra o d’ogni uman piacer gran condimento e d’ogni afflitto cor dolce contento.

Halten wir die Selbstbeschreibung der Musica (V. 5 - 8) dagegen: Io la Musica son, ch’a dolci accenti so far tranquillo ogni turbato core, et or di nobil ira et or d’amore posso infiammar le più gelate menti.

erkennen wir eine erstaunliche Übereinstimmung. Die Musik macht das „turbato cor“ „tranquillo“, Bacchus gibt dem „afflitto cor“ „dolce contento“, beide sind mit der Erregung oder Steigerung der Liebe eng verbunden, wobei sie die Kälte der Empfindungen überwinden. Die Ambivalenz der Musik ist also zugleich die des Bacchus und entsprechend ist ihre Funktion zu sehen, wobei - wie ja in gleicher Hinsicht schon für die Bacchus gezeigt wurde (s. o. S. 15), das Element, in dem sie mit dem dritten im Bunde, der Forderung der ratio, übereinstimmen als die entscheidende Funktion gesehen werden muss, nämlich dass der Weingott „d’ogni afflitto cor dolce contento“ ist und - was hier neu ist - die Musik wie er „far tranquillo ogni turbato core“ vermag.

Eigentlich wäre damit die Argumentation schon beendbar, doch ist es umso bemerkenswerter, dass die Musica nicht nur mit Bacchus über das Maß seiner Übereinstimmung mit Apollo hinaus übereinstimmt, sondern auch mit Apollo bzw. dem, was er verkörpert. Musica sagt nämlich im Prolog (V. 11 f.) weiterhin von sich: „e in guisa tal de l’armonia sonora / de le rote del ciel più l’alme invoglio”, was sogleich an die Erhebung Orfeos in den Himmel (V. 665 - 667) nach seiner Fügung in die ratio bzw. den Willen seines Vaters Apollo (V. 614 - 619, 651 - 653, v. a. auch 634 - 639) denken lässt.

Die Musik erweckt Lust nach dem, was Orfeo erreichen konnte, nachdem er von seinem irdischen Leiden (und mögliche Freuden), verkörpert in Euridice, Abschied genommen hatte (V. 647 - 653), nämlich (dauerhaften) „diletto e pace“ (V. 667).

Damit ist Kernfunktion und Hauptsinn des Stückes, wie er an Hand der Rolle der ratio und der Bacchantinnen herausgearbeitet wurde, auch die, die Striggio im Prolog die Musica sich selbst zuschrieben lässt, insofern sie in ihrer Wirkung mit der der vernünftigen Einsicht wie der des Alkoholgenusses weitgehende Übereinstimmung zeigt, im wesentlichen geht es also auch bei der Musik um die Erreichung gelassener Festesfreude bei den Zuschauern. Inwiefern Monteverdi dies in seiner Vertonung umgesetzt hat, liegt bis auf das Wenige, was dazu bereits gesagt wurde, leider außerhalb des Bereiches dieser Untersuchung.

7. Schluss

Was den Charakter des Werkes ausmacht, das Fest, ist auch sein Hauptsinn, gelassene Festesfreude zu erzeugen. Dazu leisten Wein, Vernunft und Musik je ihren eigenen Beitrag. So erklärt sich auch die concettistische Darstellung des tragischen Geschehens (vgl. o. S. 11 f.), denn auch die Erzeugung intellek-tuellen dilettos ist ein Beitrag zur allgemeinen Festesfreude. Letztlich passt eine solche Deutung besser zur barocken Auffassung vom Kunstwerk.[62] Auch wenn die Umsetzung einer Lebensweisheit genannter Art nicht undenkbar wäre, wäre es jedenfalls eine Umsetzung deren künstlerischer Anteil mit diesem Inhalt nur äußerlich verbunden wäre, also nicht wie hier in funktionaler Einheit.

Das schließt nicht aus, dass der Oper von Autor wie Komponisten eine Wirkung über das konkrete Ereignis hinaus zugedacht war. Und in dieser Hinsicht kommt die Lehre, es widerspräche der Vernunft, sich allzu sehr Leid wie Freude hinzugeben, sicher die größere Bedeutung zu, bzw. wohl noch mehr der Musik, insofern sie in der Lage ist, einen ebensolchen Zustand herzustellen bzw. Sehnsucht nach dessen Konsequenzen - der Erhebung in den Himmel - zu erwecken (vgl. o. S. 19 f.). So wie die Oper vorliegt - mit ihrem Ausklang in Bacchantinnenweisen - ist dies aber weder der Haupt- noch primäre Sinn, sondern diesem nachgeordnet.

8. Literatur

Primärtexte :

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Sekundärliteratur :

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- A. Lanfranchi, „La librettistica italiana del Seicento“, in: A. Basso (Hsg.), Storia dell’Opera, Bd. III, 2, Turin 1977, S. 3 - 45.

- S. Leopold, „Orpheus in Mantua und anderswo. Poliziano, Peri und Monteverdi“, in: A. Csampai, D. Holland (Hsgg.), Claudio Monteverdi. „Orfeo“. Christoph Willibald Gluck. „Orpheus und Eurydike. Texte, Materialien, Kommentare, Hamburg 1988, S. 83 - 109.

- S. Leopold, „Die musikalische Dramaturgie in Monteverdis ‚Orfeo’“, in: A. Csampai, D. Holland (Hsgg.), Claudio Monteverdi. „Orfeo“. Christoph Willibald Gluck. „Orpheus und Eurydike. Texte, Materialien, Kommentare, Hamburg 1988, S. 128 - 146.

- F. Mehltretter, Die unmögliche Tragödie. Karnevalisierung und Gattungs-mischung im venezianischen Opernlibretto des siebzehnten Jahrhunderts, Frankfurt 1994.

- R. Müller, Der stile recitativo in Claudio Monteverdis Orfeo. Dramatischer Gesang und Instrumentalsatz, Tutzing 1984.

- W. Osthoff, „Maschera e musica“, in: Nuova rivista musicale italiana 1 (1967), S. 16 – 44.

- N. Pirrotta, „Inizio dell’opera e aria“, in drs., Li due Orfei. Da Poliziano a Monteverdi, Turin 21981, S. 276 - 333.

- H. F. Redlich, „Der erste Opernkomponist: Claudio Monteverdi und seine ‚Favola d’Orfeo’, in: A. Csampai, D. Holland (Hsgg.), Claudio Monteverdi. „Orfeo“. Christoph Willibald Gluck. „Orpheus und Eurydike. Texte, Materialien, Kommentare, Hamburg 1988, S. 120 - 127.

- J. R. Snyder, L’estetica del Barocco, Bologna 2005

- F. W. Sternfeld, „The Birth of Opera. Ovid, Poliziano, and the lieto fine”, in: Analecta musicologica 19 (1979), S. 30 – 51.

- E. Voss, „Am Beginn der Operngeschichte. Orpheus ohne Mythos“, in: A. Csampai, D. Holland (Hsgg.), Claudio Monteverdi. „Orfeo“. Christoph Willibald Gluck. „Orp heus und Eurydike. Texte, Materialien, Kommentare, Hamburg 1988, S. 27 - 38.

[...]


[1] S. Leopold („Orpheus in Mantua und anderswo. Poliziano, Peri und Monteverdi”, in: A. Csampai, D. Holland (Hsgg.), Claudio Monteverdi. „Orfeo“. Christoph Willibald Gluck. „Orpheus und Eurydike. Texte, Materialien, Kommentare, Hamburg 1988, S. 99) spricht von der „drastischen, etwas unvermittelten Bacchusfeier“. Die Behauptung, das Stück habe wahrscheinlich bei der Erstaufführung tragisch geendet, findet sich zwar häufiger (N. Harnoncourt, „Zur Aufführung der ‚Favola d’Orfeo’ von Monteverdi“, in: A. Csampai, D. Holland (Hsgg.), Claudio Monteverdi. „Orfeo“. Christoph Willibald Gluck. „Orpheus und Eurydike. Texte, Materialien, Kommentare, Hamburg 1988, S. 173; A. Lanfranchi, „La librettistica italiana del Seicento“, in: A. Basso (Hsg.), Storia dell’Opera, Bd. III, 2, Turin 1977, S. 14, Anm. 1), doch stets ohne nachprüfbaren Beleg. Da Harnoncourt selbst einräumt, dass „der eigentliche Schluss der Orpheus-Sage [...] in nahezu allen Nachdichtungen der Renaissance und des Barock abgeändert“ worden ist und dass ein solches Ende damals nicht hätte befriedigen können, und von „wahrscheinlich“ und „aufgeführt worden sein soll“ spricht (aaO. S. 172), ist davon auszugehen, dass es weder einen hinreichenden Grund für eine solche Annahme gibt, eher schon hinreichend Gegenargumente, noch einen definitiven positiven Beweis, dass es so gewesen sei, weswegen davon auszugehen sein wird, dass es nicht so gewesen ist.

[2] L. Bianconi, T. Walker, „Production, Consumption and Political Function of Seventeenth-Century Opera“, in: Early Music History 4 (1984), S. 211 ff.; R. Müller, Der stile recitativo in Claudio Monteverdis Orfeo. Dramatischer Gesang und Instrumentalsatz, Tutzing 1984, S. 51; A. Gier, Das Libretto. Theorie und Geschichte einer musikoliterarischen Gattung, Darmstadt 1988, S. 41; P. Fabbri, „La parola cantata“, in: P. Besutti, T. M. Gialdroni, R. Baroncini (Hsgg.), Claudio Monteverdi. Atti del Convegno Mantova, 21 - 24 ottobre 1993, Florenz 1998, S. 513 f.; A. Solerti (Hsg.), Le origini del melodramma. Testimonianze dei contemporanei, Bd. 2, Mailand 1905, S. 46.

[3] „One of the pillars on which the newly constructed genre of opera rested was court patronage, and the happy expectations of the audience attending the „festa“.“ (F. W. Sternfeld, „The Birth of Opera. Ovid, Poliziano, and the lieto fine “, in: Analecta musicologica 19 (1979), S. 39).

[4] S. Leopold, „Die musikalische Dramaturgie in Monteverdis ‚Orfeo’“, in: A. Csampai, D. Holland (Hsgg.), Claudio Monteverdi. „Orfeo“. Christoph Willibald Gluck. „Orpheus und Eurydike. Texte, Materialien, Kommentare, Hamburg 1988, S. 145.

[5] Lanfranchi (aaO. S. 13) beschreibt die Stimmung zu Beginn der Oper als „clima festoso del giorno delle nozze di Orfeo e Euridice”.

[6] In ebensolcher Stimmung, vgl. N. Pirrotta, „Inizio dell’opera e aria“, in drs., Li due Orfei. Da Poliziano a Monteverdi, Turin 21981, S. 308.

[7] Vgl. a. S. Leopold („Orpheus in Mantua und anderswo. Poliziano, Peri und Monteverdi, in: A. Csampai, D. Holland (Hsgg.), Claudio Monteverdi. „Orfeo“. Christoph Willibald Gluck. „Orpheus und Eurydike. Texte, Materialien, Kommentare, Hamburg 1988, S. 103 ff.): „Denn wo Rinuccinis Orfeo in seinem Auftrittsrezitativ ‚Antri che a miei lamenti’ von der Schönheit des arkadischen Daseins gesungen hatte, führt Monteverdis Orfeo mit seinen Gefährten dieses Leben auf der Bühne vor, und der Zuschauer ist mittendrin; man lacht, man singt und tanzt, und das Rezitativ, der rhetorische Sprechgesang, ist meilenfern.“

[8] Lanfranchi (aaO. S. 13) spricht in Bezug auf die gesamte Oper bis zu diesem Vers von einer „lieta atmosfera di festa“.

[9] Vgl. S. 4, Anm. 13.

[10] Pirrotta aaO. S. 304.

[11] L. Deile, „Feste - eine Definition“, in: M. Maurer (Hsg.), Das Fest. Beiträge zu seiner Theorie und Systematik, Köln 2004, S. 4 ff.

[12] Leopold (aaO. S. 103) beschreibt den Beginn des zweiten Aktes - v. a. in Hinsicht auch auf die musikalische Umsetzung - als das „fröhliche Treiben der Hirten und Nymphen [...] rauschhafte Lebensfreude, ausgelassener Gesang und Tanz“. In der musikalischen Umsetzung und also in Monteverdis Verständnis bzw. Interpretation des Textes ist der Festcharakter des Stückes also offenbar noch unmittelbarer gewahrt.

[13] Nach Harnoncourt (aaO. S. 168 f.) dient auch die (heitere) Musik bis dahin nur der Darstellung der Freude. Die betrüblichen Töne, das vergangene Leid betreffend, seien in einer für den Barock bzw. die seconda prattica typischen Kontrastästhetik im wesentlichen nur dazu da, der Heiterkeit der anderen Passagen der Musik höhere Glaubwürdigkeit zu verleihen.

[14] S. Leopold, „Die musikalische Dramaturgie in Monteverdis ‚Orfeo’“, in: A. Csampai, D. Holland (Hsgg.), Claudio Monteverdi. „Orfeo“. Christoph Willibald Gluck. „Orpheus und Eurydike. Texte, Materialien, Kommentare, Hamburg 1988, S. 138.

[15] Leopold aaO. S. 136.

[16] Leopold aaO. S. 136.

[17] Leopold aaO. S. 136 ff.

[18] Leopold aaO. S. 137.

[19] Harnoncourt aaO. S. 172.

[20] Dazu, dass beides unter den Oberbegriff des Festes fällt, vgl. Deile aaO. S. 4.

[21] Egon Voss, „Am Beginn der Operngeschichte. Orpheus ohne Mythos“, in: A. Csampai, D. Holland (Hsgg.), Claudio Monteverdi. „Orfeo“. Christoph Willibald Gluck. „Orpheus und Eurydike. Texte, Materialien, Kommentare, Hamburg 1988, S. 27 - 38.

[22] M. Bachtin, Literatur und Karneval. Zur Romantheorie und Lachkultur, München 1969, S. 49.

[23] Es sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass W. Osthoff („Maschera e musica“, in: Nuova rivista musicale italiana 1 (1967), S. 30 ff.) auf die enge Verbindung zwischen der Venezianischen Oper, dem zeitgenössischen Karneval und - über die Stoffwahl - dem antiken Dionysoskult aufmerksam gemacht hat, wobei er auch auf die Bacchantinnen besonders erwähnte (aaO. S. 32). All diese Elemente finden sich schon hier - vor Entstehung der Venzianischen Oper im eigentlichen Sinne -, die Aufführung zur Karnevalszeit (s. o. S. 2), karnevaleske Elemente im Text und das Auftreten der Bacchantinnen. Da aber das dionysische Element doch nur einen Teil dieser Oper ausmacht, muss es mit diesem Hinweis hier auch sein Bewenden haben.

[24] N. Harnoncourt, Der musikalische Dialog. Gedanken zu Monteverdi, Bach und Mozart, Salzburg 1984, S. 170, 173.

[25] S. Leopold, „Orpheus in Mantua und anderswo. Poliziano, Peri und Monteverdi, in: A. Csampai, D. Holland (Hsgg.), Claudio Monteverdi. „Orfeo“. Christoph Willibald Gluck. „Orpheus und Eurydike. Texte, Materialien, Kommentare, Hamburg 1988, S. 106. Zum festlichen Charakter des Beginns des 2. Akts s. o. S. 3 ff., zu dem besonders festlichen Charakter dessen musikalischen Umsetzung s. o. S. 4 f.

[26] Pirrotta aaO. S. 308.

[27] Rinuccini begründet das lieto fine in seiner wenig älteren Euridice mit dem Anlass, einer Fürstenhochzeit, also dem festlichen Rahmen (Solerti aaO. S. 41; vgl. a. Leopold aaO. S. 131). Man könnte vielleicht argumentieren, Rinuccini hätte dabei mehr an die Eheschließung als an die sie begleitenden Festlichkeiten gedacht, doch dann wäre die Stoffwahl an sich äußerst unglücklich, während eine getrübte Festesfreude mit dem lieto fine wiederhergestellt wäre.

[28] Vgl. a.: Leopold aaO. S. 99.

[29] StW „Bacchanalien“, in: K. Brodersen, B. Zimmermann (Hsgg.), Antike Mythologie, Stuttgart 2005, S. 27.

[30] Harnoncourt aaO. S. 167.

[31] Harnoncourt aaO. S. 166.

[32] Harnoncourt aaO. S. 166 f.

[33] N. Harnoncourt, „Zur Aufführung der ‚Favola d’Orfeo’ von Monteverdi“, in: A. Csampai, D. Holland (Hsgg.), Claudio Monteverdi. „Orfeo“. Christoph Willibald Gluck. „Orpheus und Eurydike. Texte, Materialien, Kommentare, Hamburg 1988, S. 171.

[34] Gier aaO. S. 46

[35] Gier aaO. S. 47.

[36] Gier aaO. S. 48.

[37] Vgl. K. Kreimeier, G. Stanitzek, „Vorwort“, in: dies. (Hsgg.), Paratexte in Literatur, Film und Fernsehen, Berlin 2004, S. VII.

[38] Vgl. Gier aaO. S. 48.

[39] Vgl. H. Friedrich, Epochen der italienischen Lyrik, Frankfurt a. M. 1964, S. 541; A. Battistini, „La cultura del Barocco“, in: E. Malato (Hsg.), Storia della letteratura italiana, Bd. V, La fine del Cinquecento e il Seicento, Rom 1997, S. 484.

[40] Friedrich aaO. S. 643 f.

[41] Friedrich aaO. S. 637.

[42] Gier aaO. S. 259, Anm. 38.

[43] Dem entspricht die musikalische Umsetzung, die das Ohr mit „seinen wahrhaft akrobatischen Stimmleistungen“ „umschmeichelt und entzückt“ (S. Leopold, „Die musikalische Dramaturgie in Monteverdis ‚Orfeo’“, in: A. Csampai, D. Holland (Hsgg.), Claudio Monteverdi. „Orfeo“. Christoph Willibald Gluck. „Orpheus und Eurydike. Texte, Materialien, Kommentare, Hamburg 1988, S. 141).

[44] J. R. Snyder, L’estetica del Barocco, Bologna 2005, S. 51 f.

[45] Friedrich aaO. S. 561 ff., 670 f.; Battistini aaO. S. 497 f.

[46] Vgl. Aristoteles, Poetik, hsg. v. Manfred Fuhrmann, Stuttgart 1982, 6, 25.

[47] In anderer Hinsicht bemerkte bereits - wenig beachtet - Lanfranchi (aaO. S. 14), dass Tragik in diesem Stück entschärft wird. Und zwar werde die „intensità drammatica“ der Situation nach Verkündigung der Schreckensbotschaft (V. 200 ff.) dadurch teilweise wieder aufgehoben, dass wenige Verse später der Chor als Kommentator auf die Vergänglichkeit aller irdischen Angelegenheiten hinweist (V. 260 ff.). Dass es hier die ‚Lehre’ ist, die dies bewirkt, ändert selbstredend nichts daran, dass sie an den darauf folgenden Wendepunkten der histoire durch die Tragik des Geschehens ihr Gewicht erhält und ihre Begründung erfährt bzw. eben nicht.

[48] Vgl. F. Mehltretter, Die unmögliche Tragödie. Karnevalisierung und Gattungs-mischung im venezianischen Opernlibretto des siebzehnten Jahrhunderts, Frankfurt 1994, S. 39.

[49] B. Guarini, Opere, hsg. v. M. Guglielminetti, Turin 1971, S. 779.

[50] Battistini aaO. S. 495.

[51] Es handelt sich um eine Scheinargumentation, da ja wohl kaum ein und dieselbe Person zu ein und derselben Zeit in der Lage sein wird, ihre Sorgen im Rausch zu vergessen und die Wechselfälle des Lebens aus philosophischer Einsicht weniger schwer zu nehmen. Zur Bedeutung der Ineinssetzung unvereinbarer Gegensätze in der Barockliteratur Italiens vgl.: Battistini aaO. S. 498, zu der der Scheinargumentation: Friedrich aaO. S. 644. Genaugenommen handelt es sich nicht um eine Scheinargumentation, sondern um die Sonderform eines Enthymemons, da der Schluss, dass Wein wie Vernunft in gewisser Hinsicht dasselbe bewirken, nicht ausformuliert wird, sondern aus der Zuschreibung identischer Wirkung vom Zuschauer selbst zu ziehen bleibt. Diese verkürzte Form der Scheinargumentation ist aber eher noch epochentypischer, vgl. Friedrich aaO. S. 644.

[52] Es ist wohl zu unterscheiden: In pragmatischer Hinsicht soll die Botschaft, sich durch vernünftige Einsicht und / oder Alkoholgenus sich seiner Sorgen zu entledigen wohl tatsächlich unmittelbar ernst genommen und in Wirklichkeit umgesetzt werden. Die Art, wie diese Botschaft dargestellt und begründet wird, insbesondere aber der vermeintliche Zusammenfall der Folgen von Alkoholgenus und vernünftiger Einsicht, also das eigentlich Besondere und Raffinierte an diesem Text, sollen, wie aus Gesagtem folgt, kaum überzeugen, sondern literarisches diletto eher entgegen bzw. durch Verkehrung (vgl. vorige Anmerkung) der Verhältnisse in der Wirklichkeit erzeugen.

[53] Gier aaO. S. 48.

[54] Battistini aaO. S. 483 f.

[55] H. F. Redlich, „Der erste Opernkomponist: Claudio Monteverdi und seine ‚Favola d’Orfeo’, in: A. Csampai, D. Holland (Hsgg.), Claudio Monteverdi. „Orfeo“. Christoph Willibald Gluck. „Orpheus und Eurydike. Texte, Materialien, Kommentare, Hamburg 1988, S. 121.

[56] Die Lehre entspringt ja quasi dem tragischen Gegenstand (vgl. o. S. 9 f.), dient in erster Linie jedoch dazu, festliche Stimmung zu erzeugen (vgl. o. S. 15 f.).

[57] Redlich aaO. S. 121.

[58] Redlich aaO. S. 120 f.

[59] Gier aaO. S. 47 f.

[60] Gier aaO. S. 48

[61] aaO. S. 28 ff.

[62] Battistini aaO. S. 497 ff.

Ende der Leseprobe aus 26 Seiten

Details

Titel
Vernunft und Alkoholgenuss - Die Rolle der Bacchantinnen in Striggios 'La Favola d’Orfeo'
Hochschule
Eberhard-Karls-Universität Tübingen
Note
1,0
Autor
Jahr
2007
Seiten
26
Katalognummer
V111175
ISBN (eBook)
9783640092642
ISBN (Buch)
9783640256877
Dateigröße
465 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Vernunft, Alkoholgenuss, Rolle, Bacchantinnen, Striggios, Favola
Arbeit zitieren
Rainer Weirauch (Autor:in), 2007, Vernunft und Alkoholgenuss - Die Rolle der Bacchantinnen in Striggios 'La Favola d’Orfeo', München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/111175

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