Organisationen wandeln sich permanent als Reaktion auf externe und interne Einflussfaktoren mit dem Ziel, ihre Existenz und Weiterentwicklung nachhaltig sicherzustellen, also Kundenbedürfnisse effektiv zu erfüllen, Produkte anforderungsgerecht und wirtschaftlich herzustellen sowie eigene Ressourcen effizient einzusetzen. Gewinnorientierte
Unternehmen müssen insbesondere Änderungen der gesetzlichen, finanziellen, technologischen, ökologischen und marktbezogenen Rahmenbedingungen analysieren und notwendige Anpassungen zeitgerecht implementieren, um Akzeptanz, Kooperation und Unterstützung ihrer Stakeholder weiterhin zu gewährleisten. Der erforderliche Wandel wird idealerweise durch ein proaktives und strukturiertes Change Management betrieben.
In der vorliegenden Arbeit werden sowohl der inkrementale als auch der radikale Wandel vorgestellt und mögliche Überlegenheitspunkte der verschiedenen Konzepte herausgearbeitet und verglichen.
1 Wandel in Unternehmen - Konzepte des Change Managements
Organisationen wandeln sich permanent als Reaktion auf externe und interne Einflussfaktoren mit dem Ziel, ihre Existenz und Weiterentwicklung nachhaltig sicherzustellen, also Kundenbedürfnisse effektiv zu erfüllen, Produkte anforderungsgerecht und wirtschaftlich herzustellen sowie eigene Ressourcen effizient einzusetzen. Gewinnorientierte Unternehmen müssen insbesondere Änderungen der gesetzlichen, finanziellen, technologischen, ökologischen und marktbezogenen Rahmenbedingungen analysieren und notwendige Anpassungen zeitgerecht implementieren, um Akzeptanz, Kooperation und Unterstützung ihrer Stakeholder weiterhin zu gewährleisten. Der erforderliche Wandel wird idealerweise durch ein proaktives und strukturiertes Change Management betrieben.1
Kurt Lewin2 entwickelte schon früh das klassische Drei-Phasen-Modell des Change Managements mit dem Auftauen einer starren Struktur, dem aktiv gesteuerten Wandel und dem anschließenden erneuten Einfrieren zur Stabilisierung des Erreichten. In allen Phasen beeinflussen treibende und widerstrebende Kräfte die Veränderungen und das letztendlich entstehende neue Gleichgewicht. Das Modell basiert aufgruppendynami- schen Konzepten und Methoden der Feldtheorie mit der bedeutsamen Erkenntnis, dass das Verhalten von Individuen in Organisationen auf Gruppennormen und Gewohnheiten beruht, die sich meist nur langsam ändern3. Daher wird radikaler Wandel nur unter besonders drängenden Umständen erfolgreich sein.
Das aus der Evolutionslehre stammende "Punctuated Equilibrium Model“ (dt. "Interpunktiertes Gleichgewichtsparadigma”)4 wurde von Tushman & Romanelli5 auf den Bereich der Organisationsentwicklung übertragen. Es beschreibt die Wechselwirkung zwischen längeren, durch kleine Veränderungen gekennzeichneten stabilen Phasen inkrementalen Wandels und kurzen, große Umbrüche umfassende Phasen radikalen Wandels. Beugelsdijk et al.6 unterteilen beide Phasen weiter in jeweils zwei Typen: inkrementalen Wandel in andauernden Feinschliff bzw. schrittweise Anpassungen, radikalen Wandel in modulare bzw. organisationsweite Veränderungen. Als zusätzliche Unterscheidungsmerkmale des Wandels werden zeitliche Reihenfolge (radikal inkremental versus inkremental radikal) sowie Initiatoren (Top- versus Mittel-Management, intern versus extern) beschrieben7. Aufschlussreich ist darüber hinaus die Erkenntnis von Taylor8, dass Veränderungen im Nachhinein je nach Managementlevel unterschiedlich beurteilt werden. Was Senior Manager als radikalen Wandel beschreiben, wird von Mitarbeitern9 ohne Führungsverantwortung oft eher als inkrementale Änderung wahrgenommen. Dies impliziert eine differenzierte Kommunikationsstrategie, um die Mitarbeiter auf allen Ebenen der Organisation zielgerichtet durch die Phasen des Wandels zu führen.
Insbesondere für den radikalen Wandel haben sich bestimmte Managementverfahren und Verhaltensweisen als unverzichtbar für eine erfolgreiche Veränderung erwiesen. Kotter10 hat dies anhand zahlreicher Fallstudien untersucht und in seinem Acht-Pha- sen-Modell kategorisiert. Führungskräften und Mitarbeitern sind vom Top-Management in erster Linie die Dringlichkeit und Chancen der Veränderung sowie die Bedeutung ihrer eigenen aktiven Beiträge zu vermitteln. Dadurch werden ausgewählte Protagonisten, die sich durch exzellente Kooperation und Teamorientierung auszeichnen, Teil der Führungskoalition für den Wandel, in die sie ihre Positionsmacht, Expertise, Glaubwürdigkeit und Leadership-Fähigkeiten einbringen. Dieses Team muss sodann die Vision und Strategie des für die wichtigsten Stakeholder wie Kunden, Eigentümer und Mitarbeiter attraktiven Zielzustands entwickeln und diesen nachhaltig in die Organisation kommunizieren. Strukturelle Barrieren sind zu beseitigen und die Beschäftigten müssen ermächtigt und befähigt werden, den radikalen Wandel zu verstehen und mitzugestalten. Erste schnelle Erfolge sind essentiell für die Plausibilität des Wandels und müssen konsolidiert werden, um weitere Veränderungen einzuleiten. Nicht zuletzt verlangt der radikale Wandel eine Transformation der Unternehmenskultur hin zu mehr Eigenverantwortung, Unternehmergeist und lebenslangem Lernen.
Es wird deutlich, dass radikaler Wandel einen länger andauernden systematischen und strukturierten Change-Prozess erfordert. Fehlen auch nur einzelne der dargestellten Elemente, ist der Erfolg fundamental gefährdet. Es besteht das Risiko, in vorherige Denk- und Handlungsweisen zurückzufallen und damit den existenziellen Herausforderungen für das Unternehmen nicht entschlossen zu begegnen.
Inkrementaler Wandel läuft demgegenüber auf einer kürzeren Zeitskala ab. Ständige, risikobegrenzte Optimierungen ermöglichen ein tentativ-iteratives Vorgehen, das die Mitarbeiter mit deutlich weniger rigiden Anpassungen und Prozessänderungen konfrontiert, aber über längere Zeiträume beachtliche und nachhaltige Erfolge zeigt. Ein zentrales Beispiel ist das sogenannte Lean Management, das ursprünglich von Womack et al.11 auf Basis der Analyse des von Ohno12 entwickelten Toyota-Produkti- onssystems propagiert wurde und über die Autoindustrie hinaus seinen Siegeszug in vielen anderen Branchen und operativen Funktionsbereichen bis heute fortsetzt.
Lean Management beruht auf dem Konzept, wo immer möglich Verschwendungen in Fertigungs-, Dienstleistungs- und Verwaltungsprozessen zu vermeiden, sei es an zeitlichen, maschinellen, materiellen, finanziellen oder personellen Ressourcen. Es wird alles vermieden, was keinen Nutzen für den Kunden schafft. Ziele sind höchste Qualität der Produkte, Liefertreue und optimale Kosten basierend auf höchster Produktivität. Die Risiken des Lean Managements als Muster des inkrementalen Wandels bestehen in der übermäßigen Fokussierung auf betriebsinterne Effizienzsteigerung unter Nichtbeachtung potentiell disruptiver externer Entwicklungen. Eklatante Beispiele sind die Firmen Kodak und Agfa zu Beginn der 2000er Jahre. Es machte keinen Sinn, die Herstellung chemisch entwickelter analoger Filme immer weiter zu optimieren, als digitale Bildaufnahme und -Verarbeitung das Fotografieren schon grundlegend vereinfachten und verbilligten. Die Entwicklung des iPhones beschleunigte diesen Trend noch um ein Vielfaches. Beide Firmen mit ehemals vielen zehntausend Beschäftigten existieren heute nicht mehr. Ein aktuelles Beispiel ist die Herausforderung der über mehr als einhundert Jahre aufVerbrennungsmotoren fokussierten, sehr "lean” arbeitenden Autoindustrie durch den regulatorischen Zwang zur drastischen Reduktion der CO2-Emis- sionen, welche nur mit batteriegespeisten Elektromotoren zeitnah realisierbar ist.
Als Zwischenfazit ist zunächst festzuhalten, dass zu beiden Ansätzen umfangreiche wissenschaftliche Literaturquellen existieren und praktische Erfahrungen gesammelt wurden, mit jeweils ermittelten "Best Practices“. Neben Unterschieden in Dringlichkeit, Timing und Projektmanagement gibt es aber auch wichtige Gemeinsamkeiten. Beide Veränderungsansätze erfordern insbesondere eine klare Vision und Strategie, die effektive Kommunikation durch die Geschäftsleitung und den strikten Fokus auf die konsequente Realisierung der vereinbarten Umsetzungsschritte. Entscheidend für beide Alternativen sind die erfolgreiche Motivation und Einbindung möglichst vieler Mitarbeiter.
2 Standpunkt - Überlegenheit des inkrementalen Wandels
Durch inkrementalen Wandel verbessern Organisationen stetig und schrittweise ihre Struktur, betrieblichen Prozesse und Leistungen für die Kunden, ohne deren Wertschöpfungsprozesse zu gefährden. Durch die Analyse der Märkte, der Wertschöpfungsketten, der relevanten Technologien sowie dezidiertes Management der Stakeholderwird die Unternehmensstrategie kontinuierlich angepasst und nachhaltig umgesetzt. Genau dies stellt der inkrementale Wandel sicher.
Welche Erfolgsprinzipien stehen hinter dem Konzept des inkrementalen Wandels? Dieser umfasst zunächst oft einzelne Unternehmensbereiche, die ihre Strukturen und betrieblichen Abläufe laufend optimieren, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Schnittstellen zu anderen Einheiten werden ebenfalls adaptiert, um interne Reibungen zu vermeiden. Im Erfolgsfall werden Veränderungen in weiteren Bereichen durchgeführt.
Ein aufmerksames Risikomanagement erkennt bedrohliche interne und externe Entwicklungen und leitet schnell wirksame Gegenmaßnahmen ein. Diese basieren auf bewährten Strategien, Strukturen und Prozessen und gelten bereichs- oder unternehmensweit. Für die Umsetzung der beschlossenen Maßnahmen sind das Linienmanagement oder dedizierte Projektteams verantwortlich, denen angemessene Ressourcen und Zeitpläne zugewiesen werden.
Der inkrementale Wandel erfordert ein hohes Maß an Flexibilität und Anpassungsbereitschaft aller Beteiligten, um oft schmerzhafte Einschnitte in Kauf zu nehmen. Hierfür sind insbesondere eine konsequente Führung und Kommunikation seitens des TopManagements notwendig. Andererseits wird die Mehrheit der Mitarbeiter auf dem Weg der Veränderung mitgenommen und ist nicht grundsätzlich verunsichert oder hat gar Angst, dass ihr weiterer Karriereweg in ihrer traditionellen Rolle in Frage gestellt wird. Eine erfolgreiche Veränderung ist nur mit ihnen machbar, nicht gegen sie.
Der inkrementale Wandel hat durch permanente technologische und organisatorische Optimierung entscheidend zum Wachstum bestehender Branchen beigetragen und insbesondere auch geholfen, Konjunkturzyklen und tiefgreifende Krisen wie das Platzen der Internetblase Anfang der 2000er Jahre und die Finanzkrise 2008 zu meistern. Tab. 1 zeigt die Veränderung wirtschaftlicher Kennziffern über zwei Jahrzehnte für drei Schlüsselbranchen in Deutschland, die in sehr unterschiedlich strukturierten Märkten dem intensiven Wettbewerb und gravierenden technologischen Wandel erfolgreich begegneten.
Tabelle 1
Änderung wirtschaftlicher Kennziffern unterschiedlicher Branchen in Deutschland, Zeitraum 1995-2015
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: RWI (2018); MA = Mitarbeiter.
[...]
1 Lauer(2019).
2 Vgl. Lewin (1947), URL.
3 Lewin, in Cartwright, Hrsg. (1963).
4 Vgl. Martin (2014), URL.
5 Vgl. Tushman & Romanelli (1985), URL.
6 Vgl. Beugelsdijk et al. (2002), URL.
7 Vgl. Romanelli &Tushman (1994), URL.
8 Vgl. Taylor(1999), URL.
9 Zum Zweck der besseren Lesbarkeit wird auf die geschlechtsdifferenzierende Schreibweise verzichtet.
10 Kotter(1996).
11 Womack et al. (1990).
12 Ohno(1988).
- Quote paper
- Dr. Hans-Walter Höhl (Author), 2021, Change Management. Radikaler oder inkrementaler Wandel?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1112193