Gliederung
1. Einleitung
2. Parteien vs. Fraktion
3. Parlamentarische Mittel der Fraktionen
4. Parlamentsfunktionen und Medien
4.1. Artikulation und Herstellung von Öffentlichkeit
4.2. Gesetzgebung
4.3. Kontrolle
4.4 Die aktuelle Stunde
5. Die fraktionsinterne Organisation von Öffentlichkeitsarbeit
6. Resümee
Literaturangaben
1. Einleitung
Was tun Parlamentarier in ihrer Arbeit?
Welche Rolle spielt die Partei im Parlament?
Welche Funktionen werden von einem Parlament erfüllt?
Wie ermöglichen moderne Medien die Funktionserfüllung?
Welche positiven / negativen Rückkopplungen gibt es von den Medien zum Parlament?
Was wünschen sich Parlamentarier von den Medien?
Wie wird Öffentlichkeitsarbeit im Bundestag organisiert?
Die hier vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit dem Thema, welche formellen Tätigkeiten die Abgeordneten des Deutschen Bundestages im Parlament ausüben und welche Rolle die Medien bei diesem parlamentarischen Handeln spielen. Es soll aufgezeigt werden, auf welche Weise formelle Instrumente des parlamentarischen Alltags in und durch Medien beeinflusst, instrumentalisiert und inszeniert werden. Dabei soll die Tätigkeit der Parteien in ihrer parlamentarischen Erscheinungsform als Fraktionen im Vordergrund stehen.
Zuerst wird dabei das Verhältnis von Partei zu Fraktion geklärt werden. Dann stellt sich die Frage über welche Instrumente Fraktionen im Deutschen Bundestag verfügen und welche Spezifika es dabei gibt. Danach werden die Parlamentsfunktionen exemplarisch erläutert und auf ihre Wechselwirkungen mit dem Mediensystem untersucht. Besonders der Unterschied zwischen Regierungsmehrheit und Opposition in ihrer parlamentarischen Arbeit unter öffentlicher Aufmerksamkeit soll beleuchtet werden. Abschließend wird die fraktionsinterne Organisation von Öffentlichkeitsarbeit näher unter die Lupe genommen.
2. Parteien vs. Fraktion
Wenn es um die formalen Mittel der Einflussnahme der Parteien im Bundestag gehen soll, so muss zunächst festgestellt werden, dass Fraktionen im Bundestag sitzen, nicht Parteien. Eine Fraktion ist zwar parteidominiert, ist aber nicht die Partei. Laut der Definition des Grundgesetzes in Artikel 21 besteht die Aufgabe der Parteien darin an der politischen Willensbildung des Volkes mitzuwirken, das heißt Parteien sind offen für das Volk, Mitarbeit und Mitgliedschaft sind problemlos möglich. Fraktionen sind nach Konukiewitz und Wollmann „auf Dauer angelegte organisatorische Zusammenschlüsse aller der gleichen Partei zugehörigen Abgeordneten“.[1] Sie sind speziell mit der Mitwirkung an den Entscheidungsprozessen des Parlamentes beauftragt, durch Wahlen legitimiert und an Aufträge und Weisungen nicht gebunden. Die Akteure in Parteien sind also nur kraft eigenen Antriebes in der Partei aktiv, während Parlamentarier nach der Wahl von jenen, die sie wählten unabhängig agieren. Fraktionen sind keine Parteiorgane und kein Bestandteil der Partei. Wahlprogramme, Parteitagsbeschlüsse und Koalitionsaussagen sind formal rechtlich nicht verbindlich für Abgeordnete und ihre Fraktionen im Parlament. Trotzdem ergibt sich durch die Doppelmitgliedschaft Partei/Fraktion und die häufig vorkommende Ämterüberschneidung Parteiamt/Mandat eine Überlappung der Interessen.
Parlamentarier haben in Deutschland in aller Regel die sogenannte Ochsentour hinter sich, der langwierige Aufstieg durch die Parteihierarchie bis zur Bundestagskandidatur. Richard von Weizäcker sagt zum parlamentarischen Rollenverhalten: „Der Hauptaspekt des ‚erlernten’ Berufs unserer Politiker besteht in der Unterstützung dessen, was die Partei will, damit sie einen nominiert, möglichst weit oben in den Listen und in der behutsamen Sicherung ihrer Gefolgschaft, wenn man oben ist. Man lernt, wie man die Konkurrenz der anderen Parteien abwehrt und sich gegen die Wettbewerber im eigenen Lager durchsetzt“.[2] Es wird also nicht nur sicher gestellt, dass dem Akteur die Unterstützung der Parteibasis gegeben ist, sondern zum anderen erfährt der Akteur auch eine sehr gründliche Sozialisation in den ideologischen Ansichten seiner Partei. Nur überzeugte und verdiente Parteimitarbeiter werden für das Parlament ins Rennen geschickt und erhalten die notwendige finanzielle Unterstützung. Die Fraktion wird von Seiten der Partei dabei als Instrument gesehen, ihre politischen Zielvorstellungen im zentralen Entscheidungsorgan umzusetzen. Oder wie Eckhard Jesse präzise formuliert:
„Was die Partei außerhalb des Parlaments propagiert, versucht ihre Fraktion im Parlament durchzusetzen“.[3] In der Regel ist dazu nicht einmal Druck notwendig. Durch die schon angesprochene innerparteiliche Sozialisation ist die Fraktion meist freiwillig einmütiger Auffassung, ein Phänomen, welches oft als Fraktionsdisziplin bezeichnet wird. Dieses Verhalten wird, laut Patzelt, von der Öffentlichkeit unterstützt, indem geschlossenes Auftreten gewünscht, Streit und Konflikt kritisiert wird.[4] Deshalb ist es aus Sicht der Abgeordneten auch kein Widerspruch sich selbst als Repräsentanten ihrer Wähler und freie Abgeordnete zu sehen und trotzdem nach Partei- und Fraktionslinie abzustimmen.[5] Oder systemtheoretisch formuliert, die Rollenorientierung (d.h. das Selbstverständnis) der MdB und die Rollenerwartung der Partei an den MdB stimmen in aller Regel von selbst überein. Allerdings gibt es hier Unterschiede zwischen den einzelnen Parteien. Während FDP und CDU/CSU traditionsgemäß weniger Dissens zwischen Partei und Fraktion verzeichnen, kommt es bei den Grünen häufig zu Richtungsstreits. Auch bei der SPD verzeichnet sich seit der Übernahme der Regierung 1998 und speziell seit der Umsetzung der Reformpolitik durch das Kabinett Schröder eine Zunahme von Partei- vs. Fraktions-Konflikten.
Wie nicht anders zu erwarten, gibt es unterschiedliche Meinungen über Sinn und Unsinn der engen Anbindung der Fraktionen an die Partei. Während Günther Gillessen, Publizistikprofessor und Redakteur der FAZ meinte: „Die Fraktionen waren einmal der Anfang der Parteien gewesen. Wenn es so weitergeht, sind sie doch bald nur noch Ausschüsse der Parteien im Parlament“[6], so beschwor Franz Joseph Strauss im bayrischen Landtag: "Es gibt nur eine Einigkeit, meine Herren. Ich warne vor der verhängnisvollen Entwicklung, dass zwischen Fraktion und Partei, zwischen Fraktion und Wählerschaft der Partei ein Unterschied auftreten sollte. Ich glaube, es ist noch nicht der Fall. Dieser Unterschied aber macht sich im Untergrund in einem leisen Donner und Grollen bemerkbar".[7]
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Fraktion und Partei aufeinander angewiesen sind. Auch wenn in der Regel die programmatische Arbeit von der Partei ausgeht, die Unterstützung der Akteure in der Fraktion durch die Partei konstant gewährleistet sein muss, so gab es auch Fälle in denen die Bundestagfraktion auf eine politische Leitlinie einschwenkte und die Partei erst folgte. Und ohne die Fraktionen wäre eine Partei nie in der Lage ihre Politikvorstellungen in die Realität umzusetzen. Auch Medienöffentlichkeit kann am leichtesten durch die jeweilige Fraktion hergestellt werden. Die Fraktion ist der medial wahrnehmbare Kopf der Partei. Dies sieht man immer dann besonders stark, wenn eine Partei nicht in einem Landtag vertreten ist. Die verbliebene Partei wird medial marginalisiert. Hat eine Partei jedoch eine Fraktion im Parlament vertreten, so wird die Erfolgsbilanz der Partei über die Fraktion nach Außen projiziert, womit wiederum der zukünftige Wahlerfolg der Partei beeinflusst wird. Die Abhängigkeiten sind wechselseitig und mehrschichtig, aber ausreichend stark gegeben um in einem Seminar über das Verhältnis der Parteien zu den Medien die formalen Mittel der Fraktionen in Hinblick auf ihre Öffentlichkeitswirksamkeit lohnenswert zu untersuchen.
3. Parlamentarische Mittel der Fraktionen
Zuerst soll geklärt werden, welche Rechte die Fraktionen eigentlich haben. In der wissenschaftlichen Diskussion wird der Bundestag oft als „Fraktionenparlament“[8] bezeichnet, was darauf hindeuten soll, dass die Fraktion gegenüber Einzelabgeordneten eine dominierende Rolle spielt. 5% der Abgeordneten können gemeinsam eine Fraktion bilden, kleineren Zusammenschlüssen von Parlamentariern kann Gruppenstatus gewährt werden. Die Vergabe von Mitteln und Privilegien ist auf diese Organisationsform in Fraktionen zugeschnitten, die parlamentarische Praxis und die Geschäftsordnung schränken den Spielraum von Einzelkämpfern bewusst ein. So liegt das Initiativrecht für Gesetzesvorhaben bei Fraktionen und Gruppen, während Einzelparlamentarier erst in 2. Lesung Änderungsanträge stellen dürfen. Sie können weiterhin keine kleinen und großen Anfragen an die Bundesregierung richten und haben kein Stimmrecht in Ausschüssen. Sie können lediglich Einzelanfragen zur mündlichen und schriftlichen Beantwortung stellen, sich an Aussprachen und Abstimmungen beteiligen und Akteneinsicht bei Ausschüssen nehmen. Das Bennennungsrecht für Ausschüsse, also die Zentren der realen gesetzgeberischen Arbeit, liegt ebenfalls bei den Fraktionen. In der Regel wird hier internen Hierarchien gefolgt, Neulinge in der Fraktion bekommen Ausschüsse zugewiesen, die nicht unbedingt ihren Interessensschwerpunkten folgen müssen, während altverdiente Parlamentarier ihre Ausschüsse wählen können.
Doch auch scheinbar profane Dinge, wie die Nutzung der parlamentarischen Hilfsdienste, der Vergabe von Büroräumen in den Bundestagsgebäuden werden Einzelparlamentariern im Vergleich zu Fraktionen erschwert. Ein fast schon amüsantes Beispiel ist hier der Kampf der beiden PDS MdB, Petra Pau und Gesine Lötzsch, in der aktuellen Wahlperiode. Mehrfache Anträge auf Gruppenstatus wurden abgelehnt. Ein Streitpunkt u.a. war die Tatsache, dass die beiden Frauen nur Stühle in der linken Ecke des Parlaments zugewiesen bekamen und keine Tische, sowie kein Telefon. Dies bedeutete wohl nicht nur eine Erschwernis beim Verstauen der Akten, Zeitungen u.ä. im Parlament und bei der Kontaktierung von Mitarbeitern, sondern wurde von den Frauen auch als Diskriminierung aufgefasst. Der Streit, welcher in Debatten im Ältestenrat, im Parlament und in den Medien geführt wurde, dauerte über ein Jahr und erlebte solch skurrile Höhepunkte wie die Räumung eines Behelfsklapptisches Frau Paus durch die Hausverwaltung mit nachfolgender Anhörung, da Tische nur bis Reihe 6 im Bundestag stehen dürfen.[9]
Auch ohne formelle Festschreibung diktieren die Fraktionen parlamentarische Spielregeln. Sprechbeiträge und Anträge im Plenum werden mit der Fraktion in der vorgelagerten Fraktionssitzung abgesprochen, selbst die Absicht eine persönliche Erklärung abzugeben (weil ein MdB z.B. nicht mit der Fraktionslinie in einer Abstimmung übereinstimmt), wird vorher angekündigt und abgesegnet. Ein Abgeordneter beschreibt dies so: „Weil das System nur die Fraktionskontingente kennt und es nach der Geschäftsordnung außerordentlich schwierig ist, überhaupt mit persönlichen Ansichten hineinzukommen – da müssen sie schon einen Apparat durchlaufen, anmelden, erklären warum; weil das gehört zum fair play innerhalb der Fraktion, dass man die nicht überfällt mit einer eigenen Meinung“.[10]
Angesichts solcher Beobachtungen ist es interessant das Selbstbild der Mitglieder des Bundestages zu untersuchen und zu schauen, ob die beobachteten Abläufe und die Selbsteinschätzung der Parlamentarier übereinstimmen. Dietrich Herzog befragte dazu Vertreter der Parteien, ob sie sich „in erster Linie als Vertreter meiner Wähler / Repräsentant der Ziele meiner Partei / niemandem besonders verpflichtet / als Sprecher für die Belange bestimmter gesellschaftlicher Gruppen“ verstehen. Die Angabe, dass sich nur wenige MdB als freie Abgeordnete verstehen, während die Mehrzahl angibt ihre Wähler zu vertreten, lässt sich damit erklären, dass dies zum einen das vom Volk gewünschte Bild ist und zum anderen der Funktionslogik einer parlamentarischen, repräsentativen Demokratie entspricht. Der Grundsatz „alle Macht geht vom Volke aus“ lässt sich in einer derart professionalisierten Volksrepräsentation wie in Deutschland wohl nur realisieren, wenn von Seiten der MdB bewusst Responsivität gelebt wird; durch Aufnahme von Themen und Interessen, vor allem aber durch Kommunikation und Politikvermittlung. Interessant ist die Spalte mit der Frage nach Repräsentation der Parteiziele. Die konservativen Parteien haben hier niedrigere Werte als die beiden kleinen Parteien, der Durchschnitt liegt bei gerade mal 15%. Der Grund für die höhere angegebene Parteibindung der Vertreter der kleinen Parteien könnte die Tatsache sein, dass diese fast vollständig über die Parteilisten in den Bundestag kommen, während die der großen Fraktionen häufiger Direktmandate haben. Trotzdem verwundert die niedrige Zahl der Nennungen. Herzog und Ismayr meinen beide, dass diese Antwort mehr von der „Idealvorstellung, als von der verhaltensprägenden Realität“[11] ausgeht.
Wie im vorherigen Kapitel bereits beschrieben, spielt vermutlich die Tatsache, dass einzelne Akteure die Parteimeinung sozusagen verinnerlicht haben und nunmehr als ihre eigene wahrnehmen ebenfalls eine Rolle.
Rollenverständnis der MdB (Herzog 1990)
[12]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
4. Parlamentsfunktionen und Medien
Wie bereits angesprochen beruht ein wesentlicher Teil der Volksvertretung in einem komplexen politischen System mit professionellen Repräsentationsstrukturen auf Kommunikation. Kommunikation, verstanden als Botschaft eines Senders mittels Zeichen an einen Adressaten zeigt sich im Parlament folgendermaßen: Das Plenum als Ganzes ist ein Kollektivsender, er sendet an seine eigenen Mitglieder (die Abgeordneten) und vermittelt durch Massenmedien an die Öffentlichkeit der Bürger als Adressaten parlamentarischen Handelns. Durch das Prozedere der Auswahl der Redner wird die Botschaft jeweils immer von einem Sender kommuniziert. Durch die enge Bindung der einzelnen MdB an die Fraktion ist der Inhalt dessen, was in den einzelnen Redebeiträgen kommuniziert wird, immer auch Sprachrohr für die Fraktion und die dahinter stehende Partei. Armin Burkhardt spricht deshalb davon, dass der Parlamentarier als ‚Doppelagent’ fungiert, als kollektiver Sender, welcher Botschaften an einen Doppeladressaten (Parlament und Öffentlichkeit) sendet. Die Nachricht wird damit ebenfalls zur Doppelbotschaft, sie sagt dem Bürger etwas anderes als dem Mitabgeordneten. Dieses Kommunikationsmuster im Politischen System bezeichnet Walther Dieckmann als „trialogische Kommunikation“.[13]
Betrachtet man die Struktur, die diese trialogische Kommunikation trägt, so ist klar, dass das Subsystem der Medien die Verknüpfung vom zentralen politischen Entscheidungssystem hin zur Gesellschaft bildet. Dabei erreichen Massenmedien fast eine Monopolstellung. „Für fast die Hälfte der Bundesbürger stellen lediglich die Massenmedien die ‚Brücke zur Politik’ dar. Die von ihnen wahrgenommenen Medieninhalte werden nicht durch Gespräche mit anderen interpretiert. Ihre soziale Koordinierung über die ‚world outside’ erfolgt ausschließlich über die Medienrealität“, so Brettschneider.[14]
Moderne Massenmedien sind also der Transmitter des Inputs aus der Gesellschaft. Sie bringen die Forderungen nach Entscheidungen, Änderungen, Problemlösungen ins Parlament ein. Der Output des Parlaments, d.h. die Prozesse politischer Willensbildung und Entscheidungen und gegebenenfalls entstehende Rückkopplungen werden ebenfalls größtenteils über Medien transportiert. Die Erfüllung der Funktionen eines Parlamentes hängt also entscheidend von den Leistungen, die das Mediensystem erbringt, ab. Damit formt sich natürlich die Ausgestaltung des parlamentarischen Handelns hin zu Medientauglichkeit, d.h. die internen Abläufe der Parlamentsarbeit passen sich teilweise an die Medienlogik an. Natürlich finden umgekehrt auch Anpassungsprozesse des Mediensystems an das zentrale politische Entscheidungssystem statt.
Hier soll untersucht werden, wie die üblichen Parlamentsfunktionen im Hinblick auf die Medien genutzt werden. Schon seit der Mitte des 19. Jh existiert in der Politikwissenschaft wenig verändert die Einteilung der Parlamentsfunktionen in grundlegende Kategorien.[15] Diese sind Rekrutierung (politischen Führungspersonals), Regierungsbildung (in parlamentarischen Systemen, sowie die Wahl anderer Verfassungsorgane), Gesetzgebung und Willensbildung (inklusive Haushaltsgebung), Kontrolle (der Regierung und Verwaltung, Folgenabschätzung und Wirkungskontrolle) und Artikulation (der öffentlichen Meinung und Interessen, Publizität staatlicher politischer Informationen). Die letzten drei sollen nachfolgend beleuchtet werden. Dabei muss im Auge behalten werden, dass ein und der selbe parlamentarische Akt durchaus multifunktional ist, eine Aktuelle Stunde zum Beispiel also sowohl der Herstellung von Öffentlichkeit dient, als auch der Kontrolle. Die Herausgegriffenen formalen Mittel der Fraktionen dienen zur Veranschaulichung der jeweiligen Parlamentsfunktion.
4.1. Artikulation und Herstellung von Öffentlichkeit
Diese Funktion wird im Parlament durch zwei Aktivitäten symbolisiert: Debatten im Plenum und Stellungnahmen. Eine Sonderform der Debatte stellt die Aktuelle Stunde dar, auf die unter Kapitel 4.4 gesondert eingegangen wird.
Stellungnahmen stellen eine Möglichkeit der einzelnen Parlamentarier dar, im Parlament Positionen öffentlich zu machen und gegebenenfalls zur Fraktion abweichende Haltungen zu erläutern. Außer in wenigen Ausnahmen, wo offen innerfraktioneller Druck zur Einigkeit (und damit Konfliktpotential) herrscht, finden diese Stellungnahmen selten großes Medienecho. Präsente Beispiele für Ausnahmen der letzten Zeit, sind der Wirbel um das Abstimmungsverhalten der Abweichler in der Frage der Bereitstellung der Bundeswehr für den Krieg gegen den Internationalen Terrorismus und die Berichte Anfang März 2004 über die SPD beim Beschluss zur Rentenreform. Langfristig schadet dem Abgeordneten solches Handeln auch eher, selbst wenn kurzfristig öffentliche Bekanntheit hergestellt wird.[16] Die Stellungnahmen dienen einer Art Gewissenserleichterung der betreffenden Abgeordneten und mussten nicht zwangsläufig auch mit einem abweichenden Stimmverhalten einher gehen. Wie bereits im Abschnitt 2 zu den Fraktionen beschrieben, ist der Weg, sich öffentlich anders als die eigene Fraktion zu äußern auch umständlich und aufreibend. In der Regel lohnt es deshalb die Mühe nicht sehr. Aufgetreten sind Stellungnahmen in der Regel nur bei brisanten, wichtigen Themen im Zusammenhang mit Generaldebatten und Grundsatzentscheidungen.
Das öffentliche Bild vom Parlament wird stärker durch Generaldebatten bestimmt als durch politikfeldspezifische Spezialdebatten, obwohl erstere selten vorkommen und letztere den Löwenanteil der Debatten ausmachen. Dies lässt sich leicht damit erklären, dass Generaldebatten inhaltlich weniger komplex sind und zugleich meist eine höhere Aktualität besitzen, oft normative Elemente beinhalten und bedeutendere, zukunftswirksame Entscheidungen gefällt werden. Sie sind die „Sternstunden des Parlaments“.[17] Natürlich ist damit der Nachrichtenwert höher (siehe z.B. Winfried Schulz’ Faktoren der Nachrichtenwerttheorie 1976).[18] Beeinflussende Faktoren der Medienwirksamkeit der Debatten sind weiterhin der Zeitpunkt auf der Tagesordnung und die Redezeit. Zu Beginn der Wahlperiode wird ein Schlüssel ausgehandelt, der die Redezeit im Parlament verteilt. Damit kommt die Regierungskoalition auf 35 Min., die CDU/CSU auf 21 Min., die FDP auf 7 Min. und die PDS MdB auf 3 Min.. In der Regel haben die großen Parteien somit eine höhere Chance ihre politische Arbeit im Parlament darzustellen. Auch der Zeitpunkt eines Diskussionspunktes spielt eine Rolle. Die Tagesordnung wird von den Parlamentarischen Geschäftsführern besprochen und im Ältestenrat vereinbart. Unliebsame Punkte werden dann gern mal auf Zeiten gelegt, in denen wenige Parlamentarier und Pressevertreter anwesend sind. Die Tagesordnung stellt somit auch ein Macht- und Disziplinierungsinstrument der Fraktionsführung dar.
Zusätzlich lässt sich feststellen, dass die erhöhte Medienaufmerksamkeit einhergeht mit einer anderen Ausrichtung der Sprache, die Politiker in Debatten gebrauchen. Man unterscheidet gemeinhin zwischen drei verschiedenen Typen parlamentarischer Kommunikation.[19] Ein Politiker nannte dies so: „Es gibt ja eine Sprache nach innen ... und eine Sprache nach draußen“.[20] Zum einen gibt es die politische Arbeitskommunikation, welche für den internen Gebrauch innerhalb nichtöffentlicher Parlamentsarbeit (z.B. in Ausschüssen) und im Zusammenspiel mit anderen politischen Institutionen wie Behörden und Regierung benutzt wird, um komplexe Probleme zu erfassen und zu behandeln. Oft ist jene Sprache gespickt mit technischen Spezialbegriffen und Abkürzungen. Die zweite Form, die Darstellungskommunikation, ist das Gegenstück zur ersten und jene, die in den Debatten am ehesten zu finden ist. Sie zielt auf öffentliche Wirkung. Damit enthält sie weniger die umständlichen, problemadäquaten Feinheiten und fasst sich so kurz, dass z.B. in wenigen Sekunden in der „Tagesschau“ alles wichtige gesagt ist. Die dritte Form ist die Durchsetzungskommunikation. Sie ist eng verbunden mit Darstellungskommunikation und konzentriert sich auf taktische und instrumentelle Zwecke. Angriff, Übertreibung, Herunterspielen von Problemen und Degradierung sind die Mittel. Die Akteure im Parlament passen sich also in ihrem Ausdruck der Funktionslogik der Medienberichterstattung ohne Probleme an.
Ein Phänomen, wo die Medienberichterstattung negative Rückkopplung für das Parlament bereitet ist die Darstellung leerer Bänke. Während bei Generaldebatten die Bänke im Parlament in aller Regel gut gefüllt sind, so stellt sich bei den alltäglichen Debatten oft gähnende Leere im TV dar. Beim Zuschauer bewirkt dies den Eindruck, dass MdB ihre Arbeit vernachlässigen würden und faul wären. Begründet ist die Abwesenheit im Plenum häufig durch Ausschussarbeit (dem eigentlichen Zentrum parlamentarischer Arbeit) oder andere Verpflichtungen. Diese jedoch sind medial schwer oder gar nicht darstellbar, und deshalb nicht vermittelbar. Jenes Problem mangelnden Wissens des Zuschauers und Politikempfängers über die Gründe der leeren Bänke im Parlament, die unsinnige Fixierung aufs Plenum als Politikstätte lässt sich gleichwohl schwerlich über die Medien lösen. Denn diese berichten aus der eigenen Funktionslogik heraus in aller Regel über politische Prozesse (politics) und Entscheidungen (policy) und nicht über die zugrundeliegenden Strukturen (polity). Als erste Abhilfe des Problems einigte sich der Bundestag im Zuge der Parlamentsreform 1995 deshalb darauf, für grundlegende, zentrale Themen am Donnerstag eine ‚Kernzeit’ mit regelmäßiger Live- Übertragung durch die Medien zu schaffen. In dieser Debatte ist die Redezeit auf maximal zehn Minuten begrenzt, um vielen Parlamentariern die Möglichkeit zu Sprechen zu geben.
4.2. Gesetzgebung
Eng verknüpft mit der Artikulation ist die Gesetzgebung und Willensbildung im Parlament, denn natürlich kann nur etwas öffentlich dargestellt werden, das als Gesetzesvorschlag existiert. Das Ziel eines Gesetzgebungsprozesses lässt sich grob zusammenfassen als Gestaltung des Gemeinwohls. Die spezifische ideologische Prägung der Regierenden, sowie die von außen an die Politik gestellten Forderungen, definieren behandelte Politikfelder und die zulässigen Mittel der Umsetzung von Entscheidungen. Ein Gesetzgebungsprozess läuft im Parlament grob gesagt folgendermaßen ab: erste Lesung im Plenum, Überweisung in den betreffenden Ausschuss, Bearbeitung in den thematisch entsprechenden Arbeitskreisen und Arbeitsgruppen der Fraktionen mit anschließender Meinungsbildung, Debatte im Ausschuss mit Meinungsbildung, Fraktionssitzungen mit Abstimmungsempfehlung der Ausschussmitglieder, zweite und dritte Lesung im Plenum, ggf. Änderungsanträge und Rücküberweisung an den Ausschuss, Schlussabstimmung.
Ein Merkmal des Gesetzgebungsprozesses ist auch hier die Tatsache, dass die meisten Gesetzentwürfe Spezialprobleme behandeln und damit einen geringen Nachrichtenwert besitzen, das System aber abhängig von den Vermittlungsleistungen der Massenmedien ist. Die Fähigkeit zur Komplexitätsreduzierung der Gesetzgebungsprozesse ist eine der wichtigsten Fertigkeiten, sowohl bei Abgeordneten, als auch von Journalisten. Die Selbsteinschätzung eines MdB dazu: „Und dann versuchen sie gar nicht erst, vollständig zu argumentieren, sondern das ihrer Meinung nach plastischste Beispiel ’rüberzubringen“.[21] Man sollte hier nicht gering schätzen, welchen Nutzen Zeitungen wie z.B. ‚Bild’ erbringen, in ein, zwei Schlagzeilen die Essenz eines Gesetzes dem Volk verständlich zu machen.
Die Regierungsfraktion nutzt den Gesetzgebungsprozess um in der Öffentlichkeit ihre konzeptionelle Arbeit darzustellen, die Opposition um Alternativen aufzuzeigen, Kritik und Forderungen anzubringen und um für ihre Lösungsvorschläge zu werben. Gesetzgebung wird damit Teil des ständigen Wahlkampfes der Parteien. Dazu eignet sich besonders die letzte Phase der Gesetzgebung, wo die Parlamentsdebatte O-Töne für Medienberichte generiert. Deshalb ist die Parlamentsdebatte, neben dem legitimierenden Akt der Abstimmung, eben nicht primär darauf angelegt die anderen Parteien zu überzeugen, sondern sie rhetorisch anzugreifen und für die anwesenden Medienvertreter die eigene Position kurz und prägnant darzulegen um möglichst Berichterstattung zu erhalten. Es wird also trialogische Kommunikation ausgeübt.
Ein hoher Aufmerksamkeitsgrad der Medien für Krisen, Personalisierung und Konflikte, sowie die mediale "Aktualitätssucht" (Sarcinelli)“[22] prägen das Diskussionsklima, Durchsetzungs- und Darstellungssprache sind vorherrschend. Leider ist die Bevölkerung größtenteils im Unklaren über diesen Fakt und glaubt im Parlament würde unnötig gestritten und nicht gearbeitet, was sich in Verdruss über die Parlamentarier und Vertrauensverluste ins Parlament bemerkbar machen kann. Aber auch die Konzentration der Bürger auf das Medium Fernsehen als Informationsquelle birgt einige Gefahren verzerrter Wahrnehmung in sich. Die stark visuelle Vermittlung bedingt einen Komplexitätsverlust, der einen Verlust gewisser Teile parlamentarischer Realität einschließt. Diese reduzierte Politikwahrnehmung steht in scharfem Kontrast mit den hohen Transparenzansprüchen einer modernen demokratischen Gesellschaft. Abgeordnete und Politikberichterstatter sind hier in der Position dieses Dilemma soweit wie möglich zu überbrücken.
Auch in der Phase der Einbringung von Entwürfen in den Bundestag lässt sich feststellen, dass die Arbeit teilweise nach Medienwirkung hin ausgerichtet wird. So geht der Einbringung eines bedeutenden Gesetzesvorhabens meist eine Pressekonferenz voraus. Vor allem dann, wenn der Initiator die Regierung ist. An manchen Punkten geht es so weit, dass gewöhnliche Abgeordnete erst aus der Pressekonferenz erfahren, dass die Regierung dieses oder jenes plant, also vorher nicht informiert wurden.[23] Ein Spezifikum oppositioneller Parlamentsarbeit ist die Entwicklung von Gesetzesvorschlägen allein für die Öffentlichkeit. Gerade wenn die Entwürfe der Opposition besonders plakative und überzogene Forderungen enthalten (bei denen sie ja sowieso keine Angst haben brauchen, in die Lage zu geraten, jene umsetzen zu müssen) dienen die Medien dazu die Regierung unter Druck zu setzen. Auch an solche Entwürfe angehängte und inszenierte Pseudoereignisse, wie zum Beispiel der Oppositions-Reformgipfel der Oppositionsführer Merkel, Stoiber und Westerwelle im Oktober 2003 dienen diesem Ziel. Sprich, es kommt oft gar nicht darauf an, ein Gesetzesvorhaben durchzusetzen, sondern Sympathie in der Wählerschaft zu erlangen, öffentlichen Druck zur Aufnahme einzelner Punkte durch die Regierung zu erzeugen und sich selbst im Gespräch zu halten.
Während der Ausschussarbeit wird in der Regel nichtöffentlich verhandelt, was den Akteuren größeren Spielraum ermöglicht, an der Sache, also jenseits von Fensterreden und Parteiideologie zu argumentieren. Der Ausschuss ist jener Raum in welcher Arbeitskommunikation vorherrscht. Im Zuge der Debatte um eine Parlamentsreform wurde auch eine stärkere Öffnung der Ausschussarbeit für die Öffentlichkeit und dadurch für die Medien thematisiert. Damit sollte eine stärkere Wahrnehmbarkeit parlamentarischer Arbeit ermöglicht und die Plenarsitzungen als primäres Instrument der Herstellung von Öffentlichkeit entlastet werden. Die Frage wäre jedoch, in wie weit sich die Massenmedien überhaupt für das Informationsangebot weiterer öffentlicher Sitzungen interessieren würden (welchen Ereignischarakter haben Ausschuss-Empfehlungen) und ob die negativen Effekte, die durch die Medienöffentlichkeit hervorgerufen würden, die Vorteile nicht aufheben. Die Parlamentarier hegen teilweise die Befürchtung, eine stärkere mediale Öffentlichkeit der Ausschüsse würde, ähnlich wie im Plenum, die Tendenz zu Fensterreden (also Darstellungs- und Durchsetzungskommunikation) verstärken und die inhaltliche, kooperative Arbeit nur in andere Gremien verlagern. Ein Abgeordneter dazu: „Ich rede mit Sicherheit, wenn ich im Ausschuss debattiere anders, als ich rede, wenn ich hier in der Mitgliederversammlung oder in einer öffentlichen Versammlung spreche“.[24] In einer Befragung zeigte sich, dass die Zustimmung und Ablehnung sich grob in ein rechts - links Schema gliedert.[25] Während die Grünen und SPD eine erhöhte Öffentlichkeit im Ausschuss befürworteten, lehnten die anderen drei Parteien sie ab. Auch nach längerer Diskussion um eine solche Reform zeichnete sich deshalb kaum Einigkeit ab und es wurden nur sehr geringe Änderungen eingeführt.[26] Einige andere Punkte jedoch fanden einhelligere Zustimmung, wie z.B. die verbesserte Parlamentsberichterstattung in den Medien. Der stark vom Bundestag unterstützte Fernsehsender Phoenix könnte dies Rolle übernehmen. Trotzdem ist die Antwortmöglichkeit zur ‚verbesserten Berichterstattung in den Medien’ kritisch zu betrachten, da eine Vorgabe der Medieninhalte, außer bei einem eigenen Parlamentskanal und gewissen Bindungen bei öffentlich-rechtlichen Anstalten, weder legal noch wünschenswert ist. Insofern können die Fraktionen zwar versuchen, professionelle, und an den Medien ausgerichtete Pressearbeit zu machen sowie einige Medien selbst zu publizieren, aber letztlich bestimmen die etablierten Massenmedien die öffentliche Meinung. Und dort befindet sich die Quantität und Qualität der Parlamentsberichterstattung außerhalb des parlamentarischen Einflussbereiches.
Bewertung einzelner Reformvorschläge durch MdB
(Herzog 1990)[27]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Frage: Im folgenden haben wir einzelne Elemente aufgelistet, die in eine Parlamentsreform Eingang finden könnten. Bitte nennen Sie uns diejenigen Maßnahmen, die Sie persönlich für wirklich wichtig oder eher nicht so wichtig halten.“
4.3. Kontrolle
Die letzte hier zu betrachtende Parlamentsfunktion ist die Kontrollfunktion. Interpellation, oder Fragerecht gilt als entscheidendes Mittel diese Kontrollfunktion auszuüben. Der Fokus wird deshalb auf dem Fragerecht liegen. Es gibt dabei vier Bereiche: Große und Kleine Anfragen, die Fragestunde und Einzelanfragen. Das Fragerecht dient im Wesentlichen der Beschaffung von Informationen, aber auch der Kontrolle durch Herstellung von Öffentlichkeit. Seit der 10. Wahlperiode (Regierungswechsel) hat die Anzahl der Interpellationsaktivitäten stetig zugenommen. Gerade in der Zeit nach der Wiedervereinigung mit der PDS neu im Bundestag hat sich die Anzahl der Anfragen noch einmal erhöht. So stammten in der 12. WP 48% und in der 13. WP 37% aller kleinen Anfragen von der PDS.[28] Das formale Fragerecht wird also sehr viel häufiger von den Mitgliedern der Opposition benutzt, als von der Regierungsmehrheit.
Anzahl der Anfragen, Fragestunden und Aktuellen Stunden der letzten 9.-13. Wahlperiode
(Schindler)[29]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Anfragen, sind wie bereits in Kapitel 3 erwähnt ein Privileg der Fraktionen. Große Anfragen müssen dabei wie von 5% der MdB bzw. der Fraktion unterzeichnet sein. Es reicht hier die Unterschrift des Fraktionsgeschäftsführers um eine Anfrage in die Wege zu leiten. Größtenteils werden große Anfragen von den jeweils verbündeten Koalitionsfraktionen gemeinsam gestellt, ein Indiz dafür, dass die Anfrage als Werkzeug der Auseinandersetzung verstanden wird. Inhaltlich sind große Anfragen in eine Vielzahl (30 bis 60) von Einzelfragen unterteilt, die auch von verschiedenen Ministerien einzeln beantwortet werden. Sie dienen dazu, die politischen Zielvorstellungen der Regierung und ihr Gesamtkonzept zu Problemfeldern detailliert offen zu legen, sowie die Handlungsgrundlagen und die Wirkung bisheriger Programme zu überprüfen.[30] Auch politische Richtungskontrolle der Regierung baut auf die erfragten Daten und Statistiken auf. Öffentliche Debatte und Kritik an den Antworten ist in der Regel das Ziel der Großen Anfrage, da die grundsätzliche programmatische Ausrichtung der gegnerischen Parteien sowieso bekannt sein dürften. Weil die Antwort schriftlich erfolgen muss, zwingt sie die Regierung dazu detailliert Stellung zu nehmen und dient des weiteren oft als Instrument der Opposition eine Plenardebatte innerhalb von drei Wochen zum Thema zu erzwingen.
Deshalb muss in der Wirkung der Antwort und der anschließenden Plenardebatte unterschieden werden. Erstere dienen oft dazu Zahlenmaterial aus der Antwort heraus zu greifen und Fehler in der Arbeit zu diskutieren. Es wird also in aller Regel keine globale Grundsatzdiskussion geführt, sondern die politischen Konzepte anhand der gelieferten Sachinformationen auseinander genommen. Wichtig ist, dass die Oppositionsfraktion in jenem Zeitraum von 3 Wochen genügend aussagenstarke Informationen zur Untermauerung ihrer Positionen sammelt und veröffentlicht, ansonsten „dominiert in den Massenmedien die Regierung mit ihren Äußerungen“.[31] In der folgenden Debatte geht es dann eher in die Richtung, dass grundsätzlicher über Konzepte und Maßnahmen gestritten wird. Durch die Dynamik der Debatte (die Regierung kann selbst wieder antworten, die Opposition reagieren) lässt sie sich auch eher medial verarbeiten.
Eine Besonderheit stellen jene großen Anfragen dar, die von der Regierungsmehrheit selbst gestellt werden. Bei diesen großen Anfragen kann man kaum mehr davon sprechen, dass ein Informationsbedürfnis der Grund des Einsatzes wäre, denn die Parlamentarier haben in der Regel andere, informelle Wege der Informationsbeschaffung beim Kabinett. Trotzdem stellte die Regierungsmehrheit in den vergangenen Wahlperioden zwischen 25% (SPD/FDP in der 9.WP) und rund 10% (CDU/CSU, FDP in der 13.WP) der großen Anfragen.[32] Bei diesen Gelegenheiten lobt sich die Regierung selbst, preist ihre vergangenen Leistungen an und stellt für sie positive neue Berichte und Studien vor. Aus Sicht der Opposition ist es problematisch, dass die Fragen dieser Anfrage im Vorfeld von den beantwortenden Ministerien selbst vorgegeben wurden.
Kleine Anfragen übertreffen in ihrer Anzahl große Anfragen um mehr als das Zehnfache. Sie sind relativ einfach in die Wege zu bringen, können aber ebenfalls nur von einer Fraktion oder entsprechend 5% der MdB gestellt werden. Meist initiiert eine kleine Gruppe Parlamentarier einer Fraktion die Anfrage, die faktische Entscheidung wird vom zuständigen Arbeitskreis getroffen und danach formell von der Fraktionsversammlung abgesegnet. Erfahrungsgemäß gibt es dabei keine innerfraktionellen Konflikte oder Diskussionen. Inhaltlich richtet sich eine kleine Anfrage auf spezifische Politikbereiche und muss innerhalb von 14 Tagen schriftlich von den zuständigen Fachreferenten beantwortet werden. Kleine Anfragen stellen ein komplett von der Opposition ausgeübtes Instrument dar. Weniger als 1% der kleinen Anfragen werden von der Regierungskoalition gestellt.[33] Das Ziel der Opposition ist es Beschwerden und Forderungen nach Problemlösungen in Politikbereichen beim Ministerium einzubringen, sowie Informationen zu erhalten, die der Vorbereitung einer großen Anfrage und der parlamentarischen Arbeit (vor allem im Plenum) dienen. Auch die Profilierung im eigenen Wahlkreis durch Thematisierung regionaler Belange spielt eine Rolle. Etwa jede siebte kleine Anfrage behandelt Regionales oder Lokales.[34] Hier bekommt eine Anfrage die Bedeutung eines Verbindungsmittels zwischen Abgeordneten und seiner Basis. Häufig geht der Anstoß zur Erfragung von einer dem MdB nahestehenden Interessensgruppe oder der regionalen Vertretung der Partei aus, selbst bei jener Mehrzahl von Themen, die keine regionalen Belange haben.
Während bei großen Anfragen eine Kooperation der Fraktionen üblich ist, gibt es bei kleinen Anfragen äußerst selten ein gemeinschaftliches Stellen einer Anfrage. Trotz gleicher Auskunftsinteressen und dem gemeinsamen Ziel der Regierungskontrolle lohnt es sich für die Opposition nicht, bei kleinen Anfragen den Aufwand der Koordination zwischen Fraktionen zu betreiben. Auch unterscheidet sich die Nutzung des Frageinstruments deutlich zwischen den einzelnen Parteien. Die Spitzenreiter im Stellen kleiner Anfragen sind Grüne und PDS. In der 11. Wahlperiode halten die Grünen den Rekord, 85% aller kleinen Anfragen gestellt zu haben. In der näheren Vergangenheit zeigte die PDS mit knapp der Hälfte der Anfragen in der 12. und 13. Wahlperiode ebenfalls eine sehr hohe Aktivität.[35] Ein Grund dieser hohen Interpellationsaktivität ist die Tatsache, dass kleine Parteien mehr als große auf Informationen aus den Ministerien angewiesen sind, da sie naturgemäß weniger Mittel zur Beschäftigung eines eigenen Hilfsdienstes bereitstellen können. Aber auch eine Fundamentalopposition zur Regierung kann über regelrechtes Bombardieren der Ministerien mit kleinen Anfragen zum Ausdruck gebracht werden.
Während auf der Ebene nationaler Berichterstattung große Anfragen durchaus Chancen medialer Aufmerksamkeit haben (vor allem mit dem zusätzlichen Mittel der anschließenden Plenardebatte), zieht eine kleine Anfrage diese nur in kleinem Rahmen auf sich. Vor allem Berichterstattung in lokalen Medien des Wahlkreises und in fachspezifischen Publikationen mit begrenztem Leserkreis spielt hier eine Rolle. Entscheidend für die Wirkung kleiner Anfragen nach außen ist, ob die Fragesteller es geschickt vermögen, die Antwort für weitere umfassendere Initiativen, wie Gesetzentwürfe, große Anfragen und vor allem öffentlichkeitswirksame (Plenar-) Aktivitäten zu nutzen. Nach innen in das zentrale politische System hinein können kleine Anfragen wirken, indem ihr wiederholtes Auftreten nach und nach die zuständigen Fachreferenten für angesprochene Probleme sensibilisiert, wobei es schwer messbar ist wie große diese Effekte wirklich sind.
Ein zusätzliches Mittel der Regierungsbefragung stellt die Mittwoch stattfindende zweistündige Fragestunde dar. In ihr werden ein Teil der Einzelfragen beantwortet, die von Einzelabgeordneten zur mündlichen oder schriftlichen Beantwortung eingereicht werden können. In einer Legislaturperiode werden ungefähr 20.000 Einzelanfragen gestellt. Der Anteil der schriftlichen Fragen überwog in den letzten zwanzig Jahren deutlich, mit etwa 15.500 pro Wahlperiode.[36] Inhaltlich vorbereitet werden die Einzelfragen in den Arbeitsgruppen. Obwohl es laut Geschäftsordnung jedem MdB frei steht solche Fragen zu stellen, nimmt auch hier die Fraktionsleitung erheblich Einfluss. Jeder Bundestagsabgeordnete hat das Recht zur Einbringung zweier mündlicher Fragen pro Woche und von vier schriftlichen im Monat. Durch fraktionsinterne Regelungen bestimmt, müssen Parlamentarier ihre Fragen zuerst beim Parlamentarischen Geschäftsführer bzw. dem Fraktionsbüro einreichen, bevor sie von dort an das Parlamentssekretariat weiter gereicht werden. Innerhalb der Fraktion koordinieren eigene Beauftragte die Fragen und sammeln sie entsprechend inhaltlich ähnlichen Punkten. In der Fragestunde ist es ebenfalls üblich, bis zu einem Dutzend gleichartige Einzelfragen zu einem Schwerpunktthema zusammen zu fassen. Deshalb bereiten die Fraktionen den jeweiligen Komplex sehr sorgfältig vor, formulieren Zusatzfragen und entwickeln ihre Standpunkte. Diese systematische Vorbereitung verbessert die Chance von Massenmedien wahrgenommen zu werden.
Wie zuvor dominiert auch hier die Opposition im Einsatz der Fragen. So gingen beispielsweise in der 13. Wahlperiode 63% der mündlichen und 62,7% der schriftlichen Einzelfragen von der SPD aus. Die Grünen kamen auf 13,6% und 11,6%. Die PDS stellte 3,6% mündliche und 4,2% schriftliche Fragen. Damit ergibt sich, dass rund 80% der Einzelfragen von der Opposition in die Wege geleitet wurden, wobei auf eine mündliche Frage vier schriftliche kommen.[37] Stellt die Regierungsfraktion Einzelfragen, so dienen diese wiederum als Beistand für die Regierung sich öffentlich zu profilieren. Auch hier fehlt es an Distanz der regierungstragenden Parlamentarier zur Ministerialbürokratie, die Fragen werden von Ministerien vorformuliert. In Bezug auf die Medienwirkung lässt bei sich Einzelfragen ähnliches feststellen wie bei kleinen Anfragen – sie können originär nur begrenzt für Medien genutzt werden, dienen aber als Basis für weitere, öffentlichkeitswirksamere Initiativen. Die Fragestunde selbst, ist wiederum von der Konfrontation zwischen Opposition und Regierungsfraktion geprägt. Die Abgeordneten der Oppositionsfraktionen bemängeln oft unzureichende Auskünfte zu erhalten, die Frageform erlaubt es nur wenig, dass die Fraktionen ihre Kritik an der Regierung zum Ausdruck bringen. Die laut eines Abgeordneten oft „herablassende und ausweichende Nichtbeantwortung von sachlich berechtigten Fragen“[38] in der Fragestunde liefert dementsprechend auch nur begrenzt Nachrichtenwerte für eine Medienberichterstattung.
4.4 Die aktuelle Stunde
Die ‚Aussprache zu Themen von allgemeinem aktuellen Interesse’ oder knapp als Aktuelle Stunde bezeichnete Debatte wurde 1965 auch auf Bestreben der Massenmedien als parlamentarisches Großereignis eingeführt. Spontan soll der Bundestag auf aktuelle Themen reagieren können und die parlamentarische Debatierkultur wieder belebt werden. Damit wollte der Bundestag sich selbst gegenüber der Regierung stärken, welche sich bei Bedarf jederzeit und brandaktuell per Pressekonferenz und Stellungnahmen der Öffentlichkeit präsentiert. Stattfinden kann eine Aktuelle Stunde wenn dies vom Ältestenrat vereinbart oder von einer Fraktion bzw. 5% der MdB verlangt wird. Mittlerweile werden um die hundert solcher Aktuellen Stunden jährlich abgehalten. Den Anstoß zu einer Debatte kann eine Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage darstellen oder sie wird einfach ohne zusätzliche Gründe verlangt. Inhaltlich zeigt sich bei Aktuellen Stunden eine leichte Konzentration auf die Themenbereiche Außenpolitik, Soziales und Wirtschaft.
Thematische Schwerpunkte Aktueller Stunden der 10. und 13. WP
(Ismayr 2001)[39]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Die Besonderheit einer Aktuellen Stunde ist der rasch wechselnde Debattenrhythmus, jeder Redner hat 5 Minuten Zeit seine Sichtweise darzulegen. In solch einer kurzen Zeit kommt es besonders darauf an einfach, knapp und am besten pointiert zu formulieren – die idealen Zutaten für mediale O-Töne. Es wird immer nur zu einem Thema gesprochen, Beschlussfassungen oder Vorlagen gibt es für eine Aktuelle Stunde nicht. Geprägt ist die Aktuelle Stunde (wie alle öffentlichen Parlamentsaktivitäten) vom Gegensatz der Regierungsmehrheit zur Opposition. Erfolge der Regierung sollen positiv herausgestellt bzw. kritisiert werden. Auch wenn ursprünglich die Aktuelle Stunde einfachen Abgeordneten und Hinterbänklern die Gelegenheit geben sollte, mediale Aufmerksamkeit zu erlangen, so zeigt sich eine Dominanz der Spitzenpolitiker in der Rednerauswahl. Begründbar ist das sehr häufige Auftreten der führenden Fraktionsmitgliedern mit der politischen Brisanz der Themen, wird doch meist der Regierung mangelnde Handlungsfähigkeit und Glaubwürdigkeit vorgeworfen. Für die Medien hat dies wiederum den Vorteil bereits bekannte Gesichter im Parlament abbilden zu können. Aber auch die Kürze der Redebeiträge, der pointierte Schlagabtausch und die hohe Aktualität kommen natürlich der Nachrichtenlogik entgegen. Besonders der Ping - Pong Effekt aus Rede und Widerrede und der allgemein höhere Unterhaltungswert sind besonders fernsehtauglich. Verglichen mit normalen Debatten wird über Aktuelle Stunden deshalb auch regelmäßig und relativ ausführlich berichtet.
Hier hat das Parlament sich sehr positiv die Möglichkeiten des Mediensystems zu Nutze gemacht. Entgegen der ursprünglichen Hoffnungen der Abgeordneten sind unter den Medienberichten jedoch nur selten Live-Übertragungen zu finden. Kritisch zu sehen ist zudem die zunehmende Häufigkeit des Gebrauchs von Aktuellen Stunden. Bei steigender Anzahl solcher Debatten gelangen auch weniger geeignete Themen zu Erörterung. Dies kann die Aktuelle Stunde entwerten. Zusätzlich ist häufig eine mangelnde Anwesenheit der Parlamentarier zur Aktuellen Stunde festzustellen, besonders bei jenen, die von der Opposition beantragt wurden. Das Verhältnis der Aktuellen Stunden, welche die Regierungsmehrheit initiierte, zu denen der Opposition beträgt dabei etwa 1 zu 4. Bei einem ‚parlamentarischen Großereignis’ mit hoher medialer Präsenz sind demnach leider all zu oft nur wenige Abgeordnete im Plenum zu finden.
Letztlich ist festzustellen, dass die Idee, eine Aktuelle Stunde könnte gegen die Medienmacht einer Regierung stehen, wohl nicht realisierbar war. In den letzten Jahren zeichnet sich mehr und mehr der Trend ab, dass sich der Ort zentraler politischer Auseinandersetzung vermehrt in außerparlamentarische Gruppen und Kommissionen verlagert. Auch wurden und werden nach wie vor Regierungserklärungen stets live übertragen, während laut Ismayr von 138 Aktuellen Stunden lediglich 4 live gesendet wurden.[40] Nur der quotenschwache Fernsehsender Phoenix nimmt regelmäßig Aktuelle Stunden in sein Programm auf. Ob in Zeiten von Polittalkshows und Medienkanzlern das Parlament, sei es mit dem Mittel der Aktuellen Stunde oder anderen Darstellungsformen parlamentarischer Aktivitäten, jemals jene Medienaufmerksamkeit generieren kann, die es sich wünscht, ist fraglich.
5. Die fraktionsinterne Organisation von Öffentlichkeitsarbeit
Der letzte Punkt, welcher bei der Betrachtung parlamentarischen Handelns in Bezug auf Medien eine Rolle spielt, ist die innerfraktionelle Organisation der Öffentlichkeitsarbeit. Dabei zeigt sich eine erstaunlich geringe Organisationsdichte innerhalb der Fraktionsstruktur für professionelle Öffentlichkeitsarbeit. Die Fraktionen beschäftigen zwar Pressesprecher und Personen für Medienkontakte und Medienarbeit, jedoch leisten diese nur einen vergleichsweise geringen Teil der Öffentlichkeitsarbeit. Im Vergleich mit dem umfangreichen personellen und finanziellen Mitteln der Regierung in Ministerien und dem Presse- und Informationsamt, sehen die Ressourcen der Fraktionen recht kläglich aus. Einige wenige bis zu reichlich ein Dutzend Mitarbeiter (inklusive studentischer Praktikanten und Hilfskräfte) stehen zur Verfügung. In Landesparlamenten sind es sogar meist nur ein, zwei Mitarbeiter.
Statt dessen übernehmen die Parlamentarier, mit Hilfe ihrer Büroangestellten, eigenverantwortlich Pressearbeit in ihrem jeweiligen Politikfeld.[41] Es wird dabei nach dem Subsidiaritätsprinzip gearbeitet, nur grundlegende und aufwendige Tätigkeiten und Veröffentlichungen werden vom Pressestab der Fraktion selbst koordiniert und ausgeführt. Speziell in der Betrachtung des Zusammenhangs parlamentarischen Handelns und Medien spielt deshalb der einzelne Abgeordnete die wichtigere Rolle. Deshalb stellt sich die Frage, welche Qualifikationen im Hinblick auf Medienarbeit diese besitzen. Mit der Entwicklung des Berufspolitikertums und der stärkeren Verbreitung von Massenmedien nahm die Professionalität der Akteure im Umgang mit Medien zu. Politische Spitzenämter auszuüben, ohne zumindest einige Talente in der öffentlichen Darstellung sind kaum noch denkbar. Politischer Aufstieg geschieht qua Kommunikation. Derjenige oder diejenige, die öffentliche Resonanz bringt oder zu haben verspricht, wird fürs Parlament aufgestellt und verbleibt dort. Auch werden die MdB zunehmend in Umgangstechniken für die Medien geschult. Diese Rolle haben die parteinahen think-tanks übernommen, welche gerade seit dem Umzug des Parlaments nach Berlin, sehr viel größer, einfluss- und zahlreicher werden. Die SPD Fraktion betreibt eine eigene Parteischule zur Weiterentwicklung ihres Personals. Dort werden Medien-, Presse- und Öffentlichkeitsarbeits-Schulungen für Mandatsträger angeboten.
Die anderen Fraktionen nutzen stark das Angebot der parteinahen Stiftungen zur personellen Weiterbildung. Auch professionelle Berater und Trainer werden von den Fraktionen regelmäßig beauftragt. Und nicht zuletzt engagieren viele MdB ehemalige Journalisten oder Medienanalytiker als Büropersonal, welche dann ihren Abgeordneten schulen.
Unter älteren Parlamentariern, wenn sie nicht gerade zu den ‚Medienstars’ der Fraktionsvorstände gehören, stoßen solche Praktiken teilweise noch auf Unverständnis und Widerstand. Sie befürchten Medientraining würde ihre Authentizität gefährden.[42] Ein MdB dazu: „Also ich habe keine spezielle Techniken. Aber es gibt – glaube ich – schon welche, die, vielfach bei jüngeren Leuten, die sich auf den Beruf des Abgeordneten mehr oder minder auch vorbereiten. [...] Nur wenn Antworten dann gestellt wirken, [...] dann haben sie nicht mehr die Originalität und Ursprünglichkeit, und ich glaube, die kommen dann noch schlechter an, als wenn’s wirklich einmal etwas ungelenker zu geht“.[43] Es gibt aber auch Kritiker in den eigenen Reihen, die auf mehr mediale Professionalität drängen: „Ich glaube da machen viele Abgeordnete einen großen Fehler. Die meinen, weil sie im Parlament sind, könnten sie das. Und wenn sie einem Parlamentarier vorschlagen, einen Rednerkurs zu belegen oder es mal zu üben, sich mediengerechter zu verhalten [...] im Fernsehen oder so; die meisten würden dies, meine ich, entrüstet zurückweisen, weil sie der Auffassung sind, gerade sie sind prädestiniert dafür, das zu können. [...] Und das ist ein Trugschluss. Es wird viel Handwerkliches falsch gemacht“.[44]
Es wäre wichtig solche Vorbehalte abzubauen und Abgeordnete an Medientraining heran zu führen. Denn eine gute Ausbildung in Kommunikation und Umgang mit Medien beruht eben nicht darauf, eine Person künstlich mit neuer Gestik und vorgefertigten Phrasen zu versehen. Sondern Selbstanalyse im Umgang mit Presse, Vertiefung des eigenen Stils und einfach eine bessere Kenntnis der Bedürfnisse von Medienvertretern stehen im Vordergrund eines guten Trainings. Das mediale System und das politische System sind, wie bereits beschrieben, nun einmal aufeinander angewiesen. Ein Verstehen der gegenseitigen Funktionslogik dürfte die Zusammenarbeit nur erleichtern, trotz gelegentlicher (unvermeidbarer) Reibungen.
Bei der Vielzahl von Fraktionsmitgliedern, die alle ihre eigene Pressearbeit betreiben, stellt sich die Frage, wie das Durcheinander koordiniert wird und welche Dynamiken unter den Abgeordneten durch ihre unterschiedliche Handhabung der Medien entstehen. Ein Punkt sind in der Fraktionssitzung diskutierte und beschlossene Schweigevereinbarungen. Auch wenn angesichts schnelllebiger Arbeit und der Vielzahl an Akteuren eine langfristige und strategische Planung nicht durchgeführt wird, so einigt sich die Fraktion in der Regel doch zumindest darauf problematische Punkte nicht zu thematisieren. Ein Abgeordneter der FDP Fraktion dazu: „Wüsste nicht, dass es meiner Zeit irgendwas fraktionsgemeinschaftlich irgendwie abgesprochen wurde. [...] Das es natürlich Probleme gibt, wo man sagt, damit gehen wir nicht an die Öffentlichkeit [...], aber das gibt es natürlich schon“.[45] Allerdings wird der Gang an die Öffentlichkeit bei strittigen Themen durchaus genutzt um innerfraktionell Druck aufeinander auszuüben. Indem vor allem bekanntere Parlamentarier öffentliche Statements zu noch in Schwebe befindlichen Politikprozessen abgeben, drängen sie ihre Kollegen dazu diese Meinung zu übernehmen. Die Presse indes nimmt solche Äußerungen sehr gern auf, innerfraktionelle Querelen verstärken den Nachrichtenwert. Auf lange Sicht schadet ein MdB sich mit dem verfrühten Gang an die Öffentlichkeit jedoch schnell selbst. Unkollegiales (oder als solches empfundenes) Verhalten erfährt subtile Abstrafung im Fraktionsalltag. Größere politische Popularität und Bekanntheit gehen dann einher mit geringerem Durchsetzungsvermögen in Partei und Fraktion. Damit jedoch ergibt sich schnell folgende Situation: „Es werden Ankündigungen gemacht, die vielfach auch gut gemeint sind, die aber hinterher nicht Politik werden“.[46] Geschieht dies häufiger, gibt es Vertrauensverluste in der Öffentlichkeit in den Wert solcher Art Ankündigungen.
Innerhalb kleinerer Gruppen von Parlamentariern wird teilweise Öffentlichkeitsarbeit koordiniert. So besprechen beispielsweise Arbeitsgruppenmitglieder ihre Pressearbeit, tauschen Informationen aus, laden gemeinsam zu Hintergrundgesprächen. Auch nutzen kleinere Fraktionen, die in der Regel eine geringere lokale Vernetzung als große Fraktionen haben, und damit auf nationale Medien stärker angewiesen sind, berühmte Persönlichkeiten in den eigenen Reihen, um Themen medial zu befördern. So sagt ein MdB der Grünen aus: „Deswegen gingen häufig auch Kollegen [...], wenn es ein besonderes Thema war, zu einem und sagten: ‚Du, kannst du das nicht mal versuchen unterzubringen? [...] Weil ja ein Thema immer auch nur, wenn es nicht aufgrund der Machtposition läuft, nur mit dem Namen zu verbinden ist, damit es überhaupt Meldung wird“.[47] Ähnliches trifft auch für die PDS zu, welche über viele Jahre hinweg Themen über die Person Gregor Gysi transportierte.
Zusammengefasst zeigt sich die Öffentlichkeitsarbeit der Fraktionen also charakterisiert durch: hohe Personalisierung, geringe Koordination der Akteure, wenig langfristiger Planung und ein ambivalentes Verhältnis zu professioneller Medienausbildung bei den Aktiven.
6. Resümee
Demokratische Legitimation beruht auf transparenter Willensbildung und Entscheidung. In diesem Prozess ist Kommunikation zwischen Bürger und Parlament der entscheidende Faktor. Gleichsam stellt die Verbesserung der Kommunikationsfähigkeit ein Dauerthema in Reformdebatten im Bundestag dar. Die größte Abhängigkeit in der Vermittlung jener Kommunikation von und zum Parlament besteht dabei zu den Massenmedien. Obwohl Abgeordnete in hohem Maße mit anderen politischen und nicht-politikbezogenen Akteuren um mediale Aufmerksamkeit konkurrieren, zeigt sich meines Erachtens nach keine schlechte Erfolgsbilanz. Beide Systeme zeigen deutlich Anpassungserscheinungen an die jeweils andere Funktionslogik. Und dies findet statt, ohne das eigene System groß zu destabilisieren. Die Kernzeit für Plenardebatten oder die Aktuelle Stunde werden von Parlamentariern und Medienvertretern gleichsam positiv angenommen. Es zeigt sich beispielhaft, wie sich Institutionen aufgrund eines äußeren Einflusses wandeln und trotzdem bewährte interne Strukturen bewahrt bleiben. Die wiederkehrenden Debatten um verbesserte Medienberichterstattung mögen stressig sein, sie sind definitiv positiv zu bewerten. Gleichsam mag der häufige Konflikt zwischen nichtöffentlicher gesetzgeberischer Arbeit und öffentlicher Darstellung von Politik, die Akteure und Adressaten verwirren und ermüden. Jedoch er wird wohl ausgehalten werden müssen. Es ist schwierig, dass die öffentliche Erwartung an das zentrale Politische Entscheidungssystem viele normative Vorstellungen über Prozesse, Entscheidungen und beteiligte Akteure beinhaltet, während die Medien keine solche Wertvorgaben erfüllen. Auch wenn die Beziehung zwischen beiden Systemen noch so symbiotisch sein mag, hier finden sich unweigerlich Reibungspunkte. Die Herausforderung an die Parteien im Bundestag ist, ihrer Aufgabe des legitimierten Gestaltens von Gemeinwohl nachzugehen und dabei die Bedürfnisse der Öffentlichkeit mitzubedenken.
Das Verhältnis der Bundestagsfraktionen zu den Medien weist meines Erachtens eine sehr vielversprechende Dynamik solcher Anpassungsprozesse auf. Die zu beobachtende verstärkte Nutzung symbolischer und personalisierter Politikelemente kommt den Medien entgegen und erleichtert dem Bürger das Verständnis komplexer Prozesse. Auch wenn der Kampf um Medienaufmerksamkeit für politische Akteure schwierig ist, es wird in Deutschland ausführlicher und transparenter über Politik berichtet als es in vielen anderen Ländern überhaupt möglich ist.
Auch hat sich generell das Angebot an medialer Berichterstattung eher erhöht als verringert, selbst wenn Kritiker aufgrund der allgegenwärtigen TV- Orientierung auf kurze pointierte Aussagen, Qualitätsverluste fürchten.[48] Letztlich liegt es am Rezipienten, wie stark und wie qualitativ hochwertig er das Angebot medialer Berichterstattung nutzen möchte. In einer Demokratie ist es eben auch akzeptabel, dass Jene, welche die Adressaten der Politik sind, sich gar nicht für diese interessieren, egal wie stark sich die Akteure auch um Öffentlichkeit bemühen.
Literaturangaben
Burkart, Roland (1998): Kommunikationswissenschaft. Grundlagen und Problemfelder. 3.Aufl., Böhlau: Wien/Köln/Weimar.
Dörner, Andreas / Vogt, Ludgera [Hrg.] (1995): Sprache des Parlaments und Semiotik der Demokratie. De Gruyter: Berlin/New York.
Hölscheidt, Sven (1992): Frage und Antwort im Parlament. NDV: Rheinbreitbach.
Ismayr, Wolfgang (1982): Parlamentarische Kommunikation und Abgeordnetenfreiheit. Haag + Herchen Verlag: Frankfurt a.M.
Ismayr, Wolfgang (2001): Der Deutsche Bundestag. 2.Aufl., Leske + Budrich: Opladen.
Kranenpohl, Uwe (1999): Mächtig oder Machtlos. Kleine Fraktionen im Deutschen Bundestag 1949-1994. Westdeutscher Verlag: Opladen/Wiesbaden.
Marschall, Stefan (1999): Parlamentsreform. Ziele. Akteure. Prozesse. Leske + Budrich: Opladen.
Marshall, Stefan (1999a): Öffentlichkeit und Volksvertretung. Theorie und Praxis der Public Relations von Parlamenten. Westdeutscher Verlag: Opladen/Wiesbaden.
Olzog, Günter / Liese, Hans-J. (1999): Die politischen Parteien in Deutschland. 25.Aufl., Olzog: München.
Patzelt, Werner J. (1998): Wider das Gerede vom Fraktionszwang! In: Zeitschrift für Parlamentsfragen. Nr. 2, Jg. 29, S.323-347
Sarcinelli, Ulrich (1993): Öffentlichkeitsarbeit der Parlamente – Politikvermittlung zwischen Public Relations und Parlamensdidaktik. In: Zeitschrift für Parlamentsfragen, Nr. 24, Jg. 24, S. 464-473.
Sarcinelli, Ulrich (1994): Öffentlichkeitsarbeit der Parlamente. Nomos: Baden Baden.
Schick, Rupert / Zeh, Wolfgang (2002): So arbeitet der Deutsche Bundestag. NDV: Rheinbreitbach.
Schulz, Bert (2002): Speerspitze auf der Hinterbank - Die fraktionslosen Abgeordneten Petra Pau und Gesine Lötzsch, In: Das Parlament. Nr. 48, Jg. 52., 2002.
Schüttemeyer, Suzanne (1998): Fraktionen im Deutschen Bundestag 1949-1977. Westdeutscher Verlag: Opladen.
Herzog (1990) Der moderne Berufspolitiker, Karrierebedingungen und Funktion. In: Der Bürger im Staat, Nr. 1, S. 9-16.
Schindler, Peter (1999): Datenhandbuch zur Geschichte des Deutschen Bundestages 1949-1999. Nomos: Baden-Baden.
[...]
[1] Olzog 1999, S.15.
[2] Dörner 1995, S. 77.
[3] Eckhard Jesse, Die Demokratie in der BRD 1986, zit. in Olzog 1999, S.16.
[4] Patzelt 1998, S.332ff.
[5] mehr zum Rollenverständnis der MdB auf Seite 8.
[6] Günther Gillessen, Die Parteien und ihr Personal, FAZ 23.11.1988; zit. in Olzog 1999, S. 15.
[7] F.J. Strauss in der ersten Sitzung des bayrischen Landtages 09.12.1946 [http://www.csu-landtag.de/htmlexport/379.html)
[8] Schüttemeyer 1998, S. 12.
[9] Schulz 2002, S. 14.
[10] Dörner 1995, S. 28.
[11] Ismayr 2001, S. 53.
[12] Herzog 1990, S. 9ff.
[13] Dörner 1995, S. 78.
[14] Marshall 1999a, S. 56.
[15] Vertreten z.B. durch Walter Bagshot 1867 und J.Stuart Mill.
[16] Eine Ausnahme bildet z.B. MdB Christian Ströbele von den Grünen, der mit öffentlichen Stellungnahmen und Kritik an der eigenen Fraktion erfolgreich einen ganz eigenen Politikstil pflegt.
[17] Schick / Zeh 2000, S. 53.
[18] Burkart 1998, S. 275f.
[19] siehe Patzelt: Politiker und ihre Sprache. In: Dörner 1995, S. 17ff.
[20] Dörner 1995, S. 23.
[21] Dörner, S. 30.
[22] Sarcinelli 1993, S. 465f.
[23] So die Aussagen eines SPD Abgeordneten aus Thüringen bei Befragungen durch Studenten der TUD im Rahmen eines Seminars des Instituts für Politikwissenschaft im Juni 2003.
[24] Dörner 1995, S. 26.
[25] Ismayr 2001, S. 324.
[26] Marshall 1999, S. 114f.
[27] Herzog 1990, S. 127
[28] Schindler, S. 2642f.
[29] Schindler 1999, S. 2638f.
[30] Hölscheidt 1992, S. 47ff.
[31] Ismayr, S. 336.
[32] Schindler 1999, S. 2640f. Der Anteil der Anfragen der Regierungskoalition betrug: 9. WP: 25%, 10. WP: 15,4%, 11. WP: 12,4%, 12. WP: 11,2%, 13.WP: 9,6%.
[33] Ismayr 2001, S. 340.
[34] Ismayr 2001, S. 341.
[35] Ismayr 2001, S. 339
[36] Ismayr 2001, S. 332.
[37] Alle Daten siehe Ismayr, 2001, S. 344.
[38] H. Müller zit. in Ismayr 2001, S. 345.
[39] Ismayr, S. 349.
[40] Ismayr 2001, S.350. Gezählt sind die Aktuellen Stunden von 1977 bis 1986.
[41] Siehe dazu Kranenpohl 1999, S. 234f.
[42] So Peter Tovar, Trainer der SPD Parteischule bei Befragungen durch Studenten der TUD im Rahmen eines Seminars des Instituts für Politikwissenschaft im Juni 2003.
[43] Dörner 1995, S. 22.
[44] Dörner 1995, S. 22.
[45] Kranenpohl 1999, S. 235
[46] Kranenpohl 1999, S. 236.
[47] Kranenpohl 1999, S. 237f.
[48] siehe Marshall 1999a, S. 37ff.
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