Ausführliche Auswertung einer Studie zur Untersuchung des Wandels der Transnationalität zwischen den Generationen mit 63 Teilnehmern aus drei Generationen, deren jüngste rund 25 Jahre alt ist. Der Wandel der Transnationalität beschreibt v.a. Auslandsreisen und -dauer, bezieht jedoch auch Fremdsprachenkenntnisse, internationale Bekanntschaften und Beziehungen sowie Wohnortwechsel auch nationaler Art ein. Die Ergebnisse, die einen starken Wandel im Grenzüberschreitungsverhalten zwischen den Altersgruppen erkennen lassen, differenzieren sehr stark und arbeiten den Wandel zu einer globalisierten Welt deutlich heraus.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Allgemeines zur Umfrage
3. Auswertung der Reisen
4. Auswertung der Sprachkenntnisse
5. Auswertung der Wohnorte
6. Auswertung der transnationalen Bekanntschaften
7. Fazit
1. Einleitung
Diese Arbeit stellt die Ergebnisse einer Familienumfrage der Teilnehmer des Hauptseminars „Transnationale Anthropologie“ dar. In der Weihnachtspause 2006/07 hatten die über 30 Seminarteilnehmer die Aufgabe, einen zuvor gemeinsam erstellten Fragebogen an sich, einen Eltern- und einen Großelternteil zu richten, so dass jeder Teilnehmer drei Bögen zurückliefern konnte. Der Fragebogen sollte die transnationalen Erfahrungen erforschen, die die befragten Personen vor ihrem jeweiligen 25. Lebensjahr gemacht hatten. Neben den Reisen sollten auch ihre Fremdsprachenkenntnisse, ihre internationalen Bekanntschaften und ihre Wohnorte miteinbezogen werden. Aufgrund der geringen Auswertungszeit von nur einer Woche können die Ergebnisse jedoch weniger tief greifend dargestellt werden, als es mit dem Umfang der Antworten möglich gewesen wäre. Die folgenden Kapitel entsprechen in ihrer Reihenfolge der Reihung der Fragen im Bogen; die Wohnorte wurden aufgrund ihrer größeren Aussagekraft nach vorne gezogen. Die Fragen zum Ausbildungsstand und Alter der Personen werden über einige Kapitel verstreut eingebracht.
2. Allgemeines zur Umfrage
Von den über 30 Teilnehmern des Seminars lieferten nur 21 ausgefüllte Fragebögen zurück, so dass wir eine Grundgesamtheit von 63 Datensätzen auswerten konnten. Da sich alle Teilnehmer an die von ihnen ausgehend gleichen Generationen über sich richteten, kann im Folgenden von der ersten bis dritten Generation gesprochen werden, wobei die dritte Generation die Studenten darstellt. Von den 63 Fragebögen wurden nur 14 von Männern ausgefüllt; der Überhang entstand durch die vorher erbetene Gleichgeschlechtlichkeit zwischen Befragenden und Befragten. Weibliche Seminarteilnehmer befragten also ihre Mütter und Großmütter, was mit einer Ausnahme eingehalten wurde. So ergibt sich ein Anteil „männlicher“ Fragebögen von etwa 22%. Daher und aufgrund der geringen Gesamtanzahl an Fragebögen, die aus einer ausgewählten Personengruppe stammen, kann diese Studie nicht als repräsentativ bezeichnet werden; sie stellt lediglich einen ersten Eindruck über ein interessantes Forschungsfeld dar. Die Ergebnisse entsprechen, wie im späteren Verlauf zu sehen sein wird, jedoch durchaus den Erwartungen.
Das Durchschnittsalter der Befragten der ersten Generation entsprach 80 Jahren, das der zweiten Generation 53 und der dritten Generation 25 Jahren. Auffällig war der große Anteil im Ausland geborener Teilnehmer; dieser lag bei in der Reihenfolge der Generationen sieben, sechs und vier Personen, also etwa 27% der Befragten. Dies erschwerte die Auswertung der Transnationalität der betroffenen Personen. Wir setzten daher die Prämissen, dass Reisen nach Deutschland, auch wenn sie vom Ausland ausgingen, und Aufenthalte innerhalb des eigenen Geburtslandes, sofern nicht als Reise angegeben, nicht als Reisen gezählt werden. Daher sind unlogischerweise, wie in späteren Kapiteln zu sehen sein wird, nur sehr wenige Befragte nach beispielsweise Rumänien gereist, obwohl eigentlich mehrere dort sogar geboren sind. Insgesamt gingen wir von heutigen Staatsgrenzen aus; DDR-Reisen konnten also ebenfalls nicht mitgezählt werden, dafür Reisen nach Polen, Russland und Kroatien.
Der Bildungsstand der Befragten spiegelt eine interessante Verteilung wider (siehe Abb. 1): Während alle Seminarteilnehmer über das Abitur oder einen höheren Abschluss verfügten, besaß in der ersten Generation ein Großteil der Personen nur einen Volksschulabschluss und/oder eine handwerkliche Berufsausbildung. Insgesamt hatten 55% der Befragten mindestens das Abitur erreicht. Obwohl die Stichprobe nicht repräsentativ ist, ergibt sich beim Anblick der Statistik zum Bildungsstand schon der Stoff für eine andere Untersuchung zum Wandel des Bildungsverlaufs zwischen den Generationen. Dieser scheint selbst in der vorliegenden, recht homogenen Stichprobe enorm zu sein.
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Abb. 1: Bildungsstand der Befragten.
3. Auswertung der Reisen
Der Fragebogen begann aus psychologischen Gründen mit diesem interessantesten und umfangreichsten Teil der Fragen. Ihre Ergebnisse sollen hier teils mit Grafiken, teils aber auch Platz sparend textlich dargestellt werden.
Die Anzahl der Personen, die gar keine Auslandsreisen vor ihrem 25. Lebensjahr angegeben hatten, lag in der dritten Generation bei Null, in der zweiten bei drei und in der ersten Generation bei 13 Personen. Es liegt jedoch der Verdacht nahe, dass gerade die kriegsbedingten Reisen, also vor allem Evakuierungen und Fluchten, von den Befragten der ersten Generation nicht als Reisen angegeben wurden, da die Absicht des Fragebogens missverstanden wurde. Deutlich ist jedoch der Abfall von der zweiten auf die dritte Generation: Für heutige Studenten ist es selbstverständlich, ihr Land zum Urlaub zu verlassen. Gerade im Süden Deutschlands kommen Strandhungrige heute nicht mehr auf den Gedanken, die deutsche Küste der italienischen oder spanischen vorzuziehen; insbesondere, da sprachliche Barrieren zunehmend wegfallen (siehe Kap. 4)
Insgesamt wurden von der dritten Generation 428 Reisen aller Art angegeben, was 20,4 durchschnittlichen Reisen pro Person entspricht. In der Elterngeneration wurden 130 Reisen aufgezählt, also 6,2 Reisen pro Person. Die 21 Befragten Großeltern zählten zusammen nur 15 Reisen auf, also etwa 0,7 pro Kopf. Zusammen genommen hatten alle 63 Befragten also durchschnittlich 9,1 Reisen vor dem 25. Lebensjahr absolviert. Bei der durchschnittlichen Urlaubsdauer lässt sich ein Trend nachvollziehen, den Freizeitforscher schon lange erkannt haben: Von 16 Tagen in der Großelterngeneration sinkt die durchschnittliche Urlaubsdauer der Befragten über 13,6 Tage in der zweiten auf 13 Tage in der dritten Generation. Diese abnehmende durchschnittliche Urlaubsdauer „hinter dem Komma“ ist umso bedeutender, als die kürzeren Reisen in wesentlich größerer Anzahl unternommen werden, auch von den Befragten der älteren Generationen, die ihre Urlaubszeiten ja nur bis zum 25. Lebensjahr aufzählen sollten. Die Effekte vor allem auf den Verkehr auf allen Ebenen sind ein bedeutendes ökologisches Problem.
Bei Betrachtung der Reisemotivation der Befragten ergibt sich ein differenziertes Bild. Der Fragebogen bot die Möglichkeit, neben Urlaub auch die Motive Ausbildung, Verwandtenbesuch, Beruflich, Kriegsbedingt oder Sonstiges anzugeben.
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Abb. 2: Anteile der Reisegründe an den Gesamtreisen
Während in der zweiten Generation 73% der Befragten Urlaub als Reisemotiv angaben, waren es in der dritten Generation 82%. Die Angaben der ersten Generation fallen hier insofern aus dem Rahmen, als die Anzahl der angegebenen Reisen nicht repräsentativ ist. Nur 40% der Reisen der ersten Generation waren urlaubsbedingt; 53% der 15 Reisen der ersten Generation waren durch den Krieg induziert. Anteilmäßig sinkt auch der Anteil der Ausbildungsreisen, der in der zweiten Generation 15% der Reisemotive abdeckt, in der dritten Generation aber nur noch 10%. Bei Betrachtung der absoluten Zahlen relativiert sich diese Darstellung aber: 20 Ausbildungsreisen der Eltern stehen 42 Ausbildungsreisen ihrer Kinder entgegen.
Eine interessante Korrelation hatte bereits bei der Erstellung des Fragebogens die vier Fragen nach Ausbildung und Beruf der Eltern der Befragten mit einfließen lassen. Wir wollten feststellen, ob Kinder von höher qualifizierten Eltern häufiger reisen. Dies könnte in deren höherem Reisebudget oder an beruflichen Reisen liegen, was in einer weiteren Untersuchung geklärt werden könnte. Um diese Korrelation vorzunehmen, war es zunächst nötig, die Angaben über die Elternberufe zu klassifizieren. Wir klassifizierten zunächst separat Vater und Mutter der Befragten in drei Klassen, wobei wir versuchten, sowohl Ausbildung als auch ausgeübten Beruf einfließen zu lassen. So fielen Fabrikarbeiter in die erste, Sekretärinnen in die zweite und Ingenieure in die dritte Klasse. Anschließend errechneten wir die durchschnittliche Elternklasse jedes Befragten, wobei auch halbe Zahlen herauskommen konnten. Zuletzt wurden die Reisen aller Befragten, die in die gleiche Klasse fielen, zusammengezählt und durch die Anzahl der Personen geteilt. Dieser Vorgang wurde für die zweite und dritte Generation durchgeführt; die Reisenanzahl der ersten Generation war dafür zu gering. Das Ergebnis (siehe Abb. 3) brachte für die zweite Generation den erwarteten Anstieg mit geringen, der kleinen Grundgesamtheit geschuldeten Unregelmäßigkeiten. Kinder von Eltern der ersten Bildungsklasse reisten im Durchschnitt nur drei Mal vor ihrem 25. Lebensjahr, während Kinder mit den am höchsten qualifizierten Eltern zwölf Reisen machten. Diese erwartete Zunahme spiegelte sich in der dritten Generation nicht wider. Hier lagen zwar die Gesamtreisezahlen höher, jedoch reisten Kinder aller Elternklassen etwa gleich häufig. Zu erkennen ist also ein Trend zum budgetunabhängigen Reisen von Eltern mit ihren Kindern (Billigreisen, -flüge usw.) oder auch ein häufigeres Reisen der Jugendlichen ab einem bestimmten Alter, wenn ihnen aus verschiedenen Gründen ausreichend Geld und Zeit zur Verfügung stehen. Die Elternbildung spielt in der dritten Generation keine Rolle mehr.
Eine klarere Differenzierung bei der Angabe der Reisegründe gäbe uns bei einer größeren Stichprobe die Möglichkeit, berufliche Reisen hoch qualifizierter Elternteile auszuwerten. Es besteht Anlass zu der Vermutung, dass zumindest Eltern der höchsten Bildungsklasse durchschnittlich häufiger beruflich verreisen als in den darunter liegenden Klassen. Auch die durchschnittliche Entfernung der (Urlaubs-)Reiseziele in Abhängigkeit vom Bildungsstand auszuwerten, wäre eine interessante Korrelation. Aufgrund der Unschärfe der Klassenbegrenzung bei der Abfrage der Reiseanlässe und der geringen Größe der Stichprobe konnten diese Auswertungen hier jedoch nicht vorgenommen werden.
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Abb. 3: Anzahl Reisen nach Bildungsstand der Eltern
Die Häufigkeit von Reisen in bestimmte Länder in der Summe aller Befragten soll im Folgenden vor allem anhand von Übersichtskarten dargestellt werden. Abb. 4 bis 6 zeigen beginnend mit der ersten Generation auf einer Europakarte die Gesamtanzahl an Reisen, die von allen Befragten der jeweiligen Generation bis zum 25. Lebensjahr in die dargestellten Länder unternommen wurden. Umso häufiger ein Land bereist wurde, desto dunkler der Rot-Ton, in dem es eingefärbt ist.
Der Vergleich der drei Europakarten lässt zunächst die Zunahme der Quantität der Reisen von einer Generation zur nächsten erkennen. Die Großelterngeneration hatte kaum die Möglichkeit, Reisen zu unternehmen; viele der angegebenen Reiseziele waren in Wirklichkeit kriegsbedingte Fluchten oder Evakuierungen. Obwohl, wie bei der Analyse der Wohnorte zu sehen sein wird, der Großteil der Großeltern aus Süddeutschland stammt, sind die angrenzenden fremdsprachigen Staaten Frankreich und Tschechien von Reisen der Großeltern ausgenommen. Es dominieren die deutschsprachige Schweiz und Italien, in dessen Norden ebenfalls deutschsprachige Regionen existieren, die möglicherweise Ziel der Reisen waren.
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Abb. 4: Von der Großelterngeneration bis zum 25. Lebensjahr bereiste Länder
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Abb. 5: Von der Elterngeneration bis zum 25. Lebensjahr bereiste Länder
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Abb. 6: Von der Studentengeneration bis dato bereiste Länder in Europa
In der zweiten Generation ist eine deutliche Zunahme der Reisen und auch der Reiseziele zu erkennen. Italien, Frankreich und die Alpenländer als beliebteste Reiseziele werden flankiert von den meisten touristisch erschlossenen europäischen Staaten. In der zweiten Generation treten mit Kenia und dem Iran auch erstmals außereuropäische Reiseziele auf.
Die dritte Generation setzt den Trend fort und verstärkt die Quantität der Reisen selbst sowie auch der Reiseziele. Wieder liegen Frankreich, Italien und Österreich an der Spitze der beliebtesten Reiseziele, jedoch folgen dicht die entfernteren, durch die zunehmende Mobilität der Gesellschaft nicht minder leicht erreichbaren Ziele Spanien, Kroatien und Großbritannien sowie die von Süddeutschland ebenfalls recht weit entfernten Niederlande. Innerhalb der EU-27 bereisten die Befragten alle Länder bis auf Lettland, Litauen und Zypern; ebenfalls nicht bereist wurden weiterhin nur Weißrussland, die Ukraine, Moldawien, die übrigen Nachfolgestaaten Jugoslawiens sowie Albanien und Island. Die Ausweitung der Reiseziele der dritten Generation erstreckt sich vor allem auf Ziele außerhalb Europas. So fanden bereits 18 Reisen in die USA statt, gefolgt von sechs Reisen nach Tunesien und drei nach Ägypten. Jeweils zwei Reisen erfolgten nach Kanada, Venezuela, Bolivien, Peru und Brasilien, wobei die südamerikanischen Länder, bedingt durch spezielle Studiengänge einiger Befragter, gehäuft auftreten. Jeweils ein Mal wurden Mexiko, Kuba, die Dominikanische Republik, Paraguay, Argentinien, Marokko, Kamerun, Israel, die VAE und China bereist; insgesamt waren also 18 außereuropäische Staaten Reiseziele der Studenten. Generell lassen die Reiseziele also einen Trend in Richtung Nordamerika (vor allem USA) und in Europa nahe liegende „winterwarme“ Reiseziele (Tunesien, Ägypten, Marokko) erkennen.
Um die Zunahme der Reisetätigkeiten zwischen den Generationen zu erklären, soll nicht einfach gestiegene Reiselust herangezogen werden. Vielmehr erklären höhere Mobilität, mehr Wohlstand und Freizeit dieses Verhalten, das durch von Medien geschürte Sehnsüchte, die so eher ausgelebt werden können, sicherlich noch verstärkt wird. Fraglich ist der Fortgang dieses Prozesses. Rational betrachtet scheinen mit durchschnittlich 20,4 Reisen pro Person in durchschnittlich 25 Lebensjahren die Grenzen zwar nicht erreicht, aber nicht weit entfernt. Interessant wäre diese Untersuchung zwei Generationen später, wenn die Kurve des Anstiegs der Reisetätigkeit langsam abflachen muss. Für eine Untersuchung in unserer Zeit wäre es interessant zu erfahren, wie viele der Reisen von den Befragten aus eigener Initiative erfolgt sind. Dies würde den Effekt herauskürzen, dass reiselustige Eltern bereits jungen Kindern ein prall gefülltes Reisekonto bescheren, das jedoch im Alter von 25 Jahren möglicherweise nicht deren Reisementalität widerspiegelt.
Zum Abschluss der Reiseauswertung wurden noch die Angaben über Reisegründe benutzt, um die Anzahl der ausbildungsbedingten Reisen auszuzählen. Dies ergab eine klare Führungsposition der Länder, in denen Sprachkurse und Austauschjahre am beliebtesten sind, nämlich Frankreich mit 15 und Großbritannien mit zwölf ausbildungsbedingten Reisen. Es folgen die USA mit fünf und die Niederlande mit vier Reisen. Ebenfalls als Ausbildungsziele angegeben wurden Belgien, Dänemark, Estland, Österreich, die Schweiz, Tschechien, Italien, Kamerun, Brasilien und Bolivien. Diese Auswertung machte als einziger Reisegrund Sinn; ebenso konnte sie nur in der dritten Generation vorgenommen werden. Alle anderen Korrelationen traten zu selten auf, um eine Aussage zu ergeben.
4. Auswertung der Sprachkenntnisse
Die Sprachkenntnisse einer befragten Person hängen nicht mit ihrer physischen Transnationalität, also ihrer Reisetätigkeit, zusammen. Gleich zu Beginn der Auswertung negierten wir einen solche These, indem wir die Sprachkenntnisse der viel- und wenig gereisten Personen aller Generationen miteinander verglichen und keinen signifikanten Zusammenhang feststellen konnten. Die Sprachkenntnisse stellen also eine andere, nicht minder interessante Ebene der Transnationalität dar, die sich aber in das Thema der Befragung gut einbauen ließ. Die Personen mussten sich entscheiden, ob sie Grund- oder fließende Kenntnisse einer Sprache besaßen, ein Mittelweg war nicht vorgesehen. Zusätzlich konnte die Muttersprache markiert werden, was in die Auswertung als fließende Sprachkenntnis einfloss und mangels regelhaft auftretender Besonderheiten nicht weiter ausgewertet werden konnte.
Von den 21 Befragten der dritten Generation gaben alle an, fließend Deutsch zu sprechen. Aufgrund des höheren Anteils der im Ausland Geborenen in den älteren Generationen sanken diese Anteile in den anderen Generationen: 19 Personen der zweiten Generation sprechen Deutsch, davon eine Person nur in Grundkenntnissen. In der ersten Generation sprechen 19 Personen fließend Deutsch.
Alle befragten Studenten sprechen Englisch, 19 von ihnen sogar fließend. In der zweiten Generation sind nur 15 Personen mit Englischkenntnissen vertreten, davon nur sieben fließend. Von den sechs des Englischen Mächtigen der ersten Generation spricht nur eine Person fließend Englisch. Hier ist deutlich der Einfluss des Schulunterrichts zu erkennen; einzelne Befragte der ersten Generation gaben sogar an, den ersten Jahrgang, in dem Englisch unterrichtet wurde, „gerade so“ verpasst zu haben.
In der zweiten Generation, die demnach zu 100% Englisch in der Schule gelernt haben müsste, ist von einem nahezu vollständigen Verlernen bei sechs Personen auszugehen, was in einzelnen Gesprächen bestätigt wurde.
In der Reihenfolge der Häufigkeit des Sprechens einer Sprache folgen nun vier romanische Sprachen. Allen ist gemeinsam, dass sie am häufigsten nur als Grundkenntnisse angegeben wurden, was einerseits auf den Anspruch romanischer Sprachen, andererseits auf ihre relativ geringe Bedeutung als gesprochene Sprachen außerhalb des Schulunterrichts und realen Lebens hindeuten kann. Das Französische hat dabei mit Abstand den größten Anteil an Sprechern: 18 Personen der dritten und 13 der zweiten Generation sprechen die Sprache, davon nur vier bzw. drei fließend. In der ersten Generation gibt es nur zwei Muttersprachler. An zweiter Stelle folgt das Lateinische, das als eigentliches Paradebeispiel für eine nur in Grundkenntnissen bekannte Sprache stehen sollte. Trotzdem gaben zwei der acht Personen der dritten Generation, die Lateinisch gelernt haben, fließende Kenntnisse an. In der zweiten Generation ist Lateinisch nur zwei, in der ersten nur einer Person bekannt. Den dritten Platz der selteneren Sprachen belegt das Spanische. Acht der Studierenden geben Spanischkenntnisse an, davon einer fließend. In der zweiten Generation kennen zwei Personen Spanisch, in der ersten niemand. Den vierten und gleichzeitig auffälligsten Platz der romanischen Sprachen belegt die rumänische Sprache. Diese wird von vier Personen der ersten und je drei der zweiten und ersten Generation gesprochen, es ist also ein umgekehrter Anstieg zwischen den Generationen zu erkennen. In Grundkenntnissen tritt es nur bei zwei der Studenten auf, sonst sprechen es alle als Muttersprache. Dies liegt in den rumänischen und banatischen Geburtsorten mehrerer Befragter begründet, was eine Besonderheit unseres Kurses darstellt und nicht weiter verallgemeinert werden sollte.
Zuletzt seien noch die selten auftretenden Sprachen aufgeführt. Quantitativ sind diese so vertreten, dass in jeder Generation vier bis fünf Mal seltene Sprachen fließend gesprochen werden, während sich in jeder Generation ein zusätzlicher Berg an Grundkenntnissen verschiedener Sprachen aufbaut, der in der dritten Generation mit acht am höchsten ist und zur ersten Generation hin auf zwei seltene Sprachkenntnisse abfällt. Zu den fließend gesprochenen seltenen Sprachen aller Generationen zählen Ungarisch (7 Mal), Russisch (2 Mal), Polnisch, Italienisch, Niederländisch und brasilianisches Portugiesisch. In Grundkenntnissen vorhanden sind in der dritten Generation Italienisch (3 Mal), Arabisch (2 Mal), Russisch, Schwedisch und Dänisch. In der zweiten Generation sind in Grundkenntnissen zwei Mal Russisch sowie Ukrainisch und Kasachisch vorhanden, wobei drei dieser vier Werte in einer Person vereint sind. In der ersten Generation treten Grundkenntnisse des Polnischen und Ungarischen auf.
Bei quantitativer Auswertung der Sprachkenntnisse ergibt sich ein differenziertes Bild des Wandels zwischen den Generationen (siehe Abb. 7).
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Nicht nur die Gesamtzahl der in einer Befragtengeneration gesprochenen Sprachen sinkt mit steigender Generation, sondern auch die Anzahl der gesprochenen und fließend gesprochenen Sprachen. Interessant ist, dass das Abfallen der insgesamt gesprochenen Sprachen zwischen dritter und zweiter Generation stärker ist als das der fließend gesprochenen, was auch an den „Bergen“ von Grundkenntnissen in der qualitativen Sprachenauswertung auffiel. Dies deutet auf einen allgemeinen Trend zu mehr Sprachkenntnissen hin, die dafür qualitativ geringer ausfallen und somit beispielsweise für regelmäßige Reisen in ein Urlaubsland qualifizieren, dessen Sprache ansonsten wenig interessiert. Durchschnittlich hat jeder der Studierenden 4,3 Sprachen angegeben, niemand jedoch weniger als drei. In den anderen beiden Generationen existieren dagegen Personen, die ausschließlich ihre Muttersprache sprechen.
Die Differenzierung zwischen den Sprachkenntnissen von Männern und Frauen deutet ebenfalls auf einen Wandel, der zwei Generationen später möglicherweise nicht mehr auftreten wird: Während entsprechend allgemeinen Studien zur Sprachbegabung von Frauen die weiblichen Studierenden durchschnittlich 0,4 Sprachen mehr beherrschen als die männlichen, kehrt sich dieser Trend schon in der zweiten Generation um und verstärkt sich in der ersten noch auf einen Vorsprung von 0,5 Sprachen bei den Männern. Dies deutet auf den geringeren Zugang zu Bildung für Frauen noch vor wenigen Jahrzehnten hin. Der Ausdruck „wenige Jahrzehnte“ ist insofern mit Vorsicht zu genießen, als das Durchschnittsalter der zweiten Generation bei immerhin 53 Jahren liegt und die Hälfte der Teilnehmer aus der Großelterngeneration geboren wurde, als Frauen in Deutschland nicht einmal Wahlrecht hatten.
Die Auswertung der Sprachkenntnisse bereitete Probleme aufgrund der heterogenen Muttersprachen und Nationalitäten der Befragten. Fremdsprachen werden in diesem Kontext anders bewertet; so sind für gebürtige Donauschwaben die zwei vom Sprachstamm völlig verschiedenen Sprachen Ungarisch und Rumänisch zu gleichen Teilen Muttersprache; die Einordnung des Deutschen in ein Kenntnisraster fällt diesen Personen allerdings schwer. Hier wäre wieder eine Kenntnis der Fortsetzung der Trends in der Zukunft wünschenswert. Die Anzahl der Sprachkenntnisse einer Person ist in stärkerem Maße als die der Reisen begrenzt und hat nach unserem Verständnis seine Grenzen bei einigen Personen bereits erreicht. Möglicherweise geht der Trend tatsächlich zu mehr Grundkenntnissen und weniger fließend gesprochenen Sprachen; für eine erneute Untersuchung wäre eine feinere Klassifizierung des Kenntnistandes sinnvoll.
5. Auswertung der Wohnorte
Die hierbei erzielten Ergebnisse setzen den allgemein erkannten Trend auf einer weiteren Ebene fort und werden deshalb nur kurz behandelt. Eine Auszählung der insgesamt bewohnten Orte der Personen einer Generation ergab, dass die dritte Generation bis zum 25. Lebensjahr bereits 77, die zweite 70 und die erste 52 verschiedene Orte bewohnt hat. Daraus ergeben sich als durchschnittliche Anzahl pro Person 3,7 Wohnorte für die Studenten-, 3,3 für die Eltern- und 2,5 für die Großelterngeneration. Im Gesamtschnitt hatte somit jeder Befragte schon an 3,2 Orten gewohnt. Die allgemeine Zunahme der Mobilität drückt sich nicht nur in diesen Zahlen aus, sondern auch in der jeweils angegebenen maximalen Anzahl an Wohnorten. Zwei der Studierenden hatte bereits an acht verschiedenen Orten gewohnt, während bei den Eltern nur maximal sieben und bei den Großeltern bis zu fünf Wohnorte bis zum 25. Lebensjahr auftraten.
Der durch diese Zahlen erkennbare Trend beantwortet nicht die Frage, warum bei den Studenten mehr Wohnortmobilität besteht als bei ihren Großeltern. Der Grund könnte einerseits die gestiegene Offenheit sein, andererseits aber auch der Zwang aus ökonomischen oder sozialen Gründen. Zudem muss die Wohnortmobilität bis zum 25. Lebensjahr immer eine Generation rückdatiert werden, da die meisten Umzüge im Rahmen von Wohnortwechseln der Eltern stattfanden. Trotzdem liegt die dritte Generation in der Anzahl der Wohnorte ein Stück weiter vorn.
Bezüglich der Lokalisierung der Wohnorte in Deutschland lässt sich ein klarer Fokus auf Baden-Württemberg erkennen.
An zweiter Stelle für die Herkunft folgt Bayern, bereits danach fällt Rumänien mehr auf als andere Bundesländer Deutschlands. Bei den Großeltern lagen nur sieben der deutschen Wohnorte nicht in Baden-Württemberg oder Bayern, davon zwei in der Schweiz. Weitere Auslandswohnorte lagen in Rumänien (8 Mal), Polen (4 Mal), Kasachstan und Österreich. In der zweiten Generation ist die Streuung über Deutschland am größten. 16 der 52 deutschen Wohnorte dieser Generation lagen außerhalb Süddeutschlands, weitere acht in Rumänien, je drei in Kasachstan und Peru, zwei in Polen und je einer in Großbritannien und Italien. In der dritten Generation ist gleichzeitig eine neuerliche Konzentration auf Baden-Württemberg sowie eine Streuung von Wohnorten in mehr Länder weltweit zu erkennen. Von den 64 in Deutschland liegenden Wohnorten liegen nur vier in Bayern und 15 in anderen Teilen Deutschlands. Es existieren neun verschiedene ausländische Staaten mit Wohnorten der Studenten, wovon vier außerhalb Europas liegen. Die meisten der Auslands-Wohnorte wurden durch Geburt oder Ausbildungsaufenthalte bewohnt, so dass deutlich eine Konzentration auf den „Herkunftsort“ Baden-Württemberg sichtbar wird, der nicht wie noch in der Elterngeneration aus möglicherweise ökonomischen Gründen verlassen werden musste.
6. Auswertung der transnationalen Bekanntschaften
Trotz der detaillierten Antwortmöglichkeiten auf die beiden Fragen war es in der kurzen Zeit nicht möglich, hier eine qualitative Auswertung vorzunehmen. Dies lag auch in der Heterogenität der Aussagen begründet, die es oft schwierig gemacht hätten, mehrere Werte zu akkumulieren. Wir beschränkten uns daher auf eine quantitative Auszählung der Antworten – wie viele Personen die Fragen mit Nein und wie viele mit Ja geantwortet hatten.
Auf die Frage, ob transnationale Beziehungen oder Auswanderungen in der eigenen Familie bekannt seien, antworteten in der ersten Generation 43% und in der zweiten 38% mit Ja. Diese nahe beieinander liegenden Werte stehen im Kontrast zur dritten Generation, in der 71% der Befragten mit Ja antworteten. Als Resümee aus dieser kurzen Auswertung lässt sich also ziehen, dass die Globalisierung und ihre Vorläufer der letzten 25 Jahre einen deutlichen Schub an transnationalen Beziehungen und Auswanderungen in die Familien der Befragten gebracht haben. Mehrere der Befragten der dritten Generation gaben an, Partner im Ausland oder von ausländischer Nationalität zu haben; Auswanderungen nach Deutschland, Großbritannien und in die USA wurden mehrfach genannt.
Noch stärker ist der gleiche Effekt bei der zweiten Frage zu beobachten. Die Frage, ob sie selbst Kontakt zu ausländischen Familien im Ort haben bzw. bis zum 25. Lebensjahr gehabt hatten, beantworteten 29% der ersten, 43% der zweiten und 90% der dritten Generation mit Ja. Oft wurden hier Spielplatz- oder Schulbekanntschaften aus Italien, dem ehemaligen Jugoslawien und China genannt; die Betrachtung würde jedoch auch die Angaben über zahlreiche Familienbekanntschaften aus weit mehr Ländern zutage fördern.
7. Fazit
Obwohl der Fragebogen völlig verschiedene Bereiche der Transnationalität abfragte, ergaben sich auf allen Ebenen Resultate mit etwa der gleichen, erwarteten Aussage. Transnationalität nimmt in jeder Hinsicht, sei es bei Reisen, Sprachkenntnissen, Wohnorten oder Bekanntschaften, von Generation zu Generation zu. Die heutige Studentengeneration verfügt über wesentlich globalere Erfahrungen als ihre eigenen Großeltern. Zum Ausgleich müssen jedoch die begleitenden negativen Trends ebenfalls genannt werden. So nehmen sowohl die Urlaubsdauer als auch die Intensität von Sprachkenntnissen empirisch beweisbar ab; zudem zeigt die Auswertung der Wohnorte, dass einer weiteren Streuung der Elterngeneration mit steigendem Wohlstand ihrer Kinder eine erneute Konzentration auf das Heimat-Bundesland Baden-Württemberg folgt. Dieser Vorgang der „Glokalisierung“ kann als sicherer Gegenpol zur steigenden Globalität und damit verbundenen Unsicherheit der dritten Generation verstanden werden, er ist jedoch auch eine „Ehrenrettung“ für die älteren Generationen, die zwar weniger globale Erfahrungen gemacht haben als ihre Kinder, dafür aber ihr Heimatland ausführlicher bereist haben und verschiedentlich bessere Möglichkeiten hatten, Hochdeutsch zu lernen.
Interessant bleibt, wie an verschiedenen Stellen angemerkt, die zukünftige Entwicklung. Dazu muss nicht auf die vierte Generation gewartet werden; es reicht sicherlich aus, heutige Erstsemester bei ihrem Eintritt ins Hauptstudium diesen Fragebögen zu unterziehen und mit den diesjährigen Ergebnissen zu vergleichen. Die Frage ist, wie lange der Trend der zunehmenden Glokalisierung anhält und auf welchem Niveau die steile Kurve der Zunahme der Reiseerfahrungen und Sprachkenntnisse zwangsläufig abflacht.
- Arbeit zitieren
- Benjamin Pape (Autor:in), Helmut Stadler (Autor:in), 2007, Untersuchungen zum Wandel der Transnationalität zwischen drei Generationen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/111290