Der erkenntnistheoretische Ansatz der „Evolutionären Epistemologie“


Hausarbeit, 2005

31 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Abstract:

2. Einführung: ein geschichtlich-literarischer Abriss:
Epistemologie
Die Hausarbeit
Philosophie und Biologie
Struktur

3. Evolution als erkenntnistheoretischer Ausgangspunkt:
Darwins Evolutionslehre
Neurobiologische Ansätze
Genotyp, Phänotyp und Dawkins „egoistisches Gen“
Die Meme und die Sprache
Das 3-Welten-Modell

4. Erkenntnis und Bewusstsein:
Das Problem des dualistischen Interaktionismus
Form und Medium
Das Bewusstsein – konstruierte Einheit vieler Zustände
AGIL – ein biologisch-kulturelles Evolutionsmodell
Energie, Information, Tod
Bewusstsein als Qualität
Dissipative Strukturen oder: Das Gleichgewicht von Unordnungen
Vorläufigkeit

5. Der Aufbau einer evolutionären Erkenntnislehre:
Kulturelle Evolution
Medien
Relativer und absoluter Raum
Kulturevolution als Paradigmenwechsel
Negativselektion
Höherentwicklungen

6. Schlußfolgerungen und Ausblick:
„Intelligent Design“
Möglichkeit von Gott

7. Literaturangaben:

1. Abstract:

This homework is dealing with the so-called „Evolutionary Epistemology“ as an interdisciplinary approach between philosophy and biology. Content is the relationship between brain, self, consciousness, behaviour and environment as parts of an epistemology based on the natural sciences and the system theory. Goal is the construction of an epistemology able to contain and integrate results of examinations of different disciplines, such as philosophy, biology, mathematics, linguistics, sociology, psychology and physics. Last point is to demonstrate its pragmacy for actual discussions about life, death and the existence of a creator.

2. Einführung: ein geschichtlich-literarischer Abriss:

Epistemologie

Die ursprünglich aus der Philosophie stammende Erkenntnislehre ist in den vergangenen Jahren in vielen unterschiedlichen Wissenschaften thematisiert worden, darunter u.a. natürlich in weiteren Geisteswissenschaften. Auch in der Mathematik als Grenzfall zwischen Geistes- und Naturwissenschaften, der Physik und eben auch der Biologie und ihrem Untergebiet der Neurologie wird sie inzwischen ansatzweise untersucht. Es ist kein Zufall, dass der bedeutende Philosoph Charles Peirce, dessen Zeichen- und Erkenntnistheorie weit über die Semiotik hinaus große Bedeutung erlangte, auch studierter Chemiker und Mathematiker war. Popper hat mit seinem Werk „The Self and its Brain“ mit dem Neurobiologen John Eccles zusammen erkenntnistheoretische Problemstellungen aus philosophischer und neurologischer Sicht erörtert und damit ein vortreffliches Beispiel an interdisziplinärer Zusammenarbeit geliefert. Dies gilt als Meilenstein auf dem Weg zu einer „evolutionären Epistemologie“, wie sie von Donald Campbell später als theoretischer Ansatz namentlich etabliert wurde. Einer der wesentlichen Aufsätze, die in diesem Zusammenhang auch genannt werden müssen, ist der von dem Ethologen Konrad Lorenz verfaßte über „Kants Lehre vom Apriorischen im Lichte gegenwärtiger Biologie“ (in Lorenz 1977, 162-192). Hier wurde ein erstes Mal ein Brückenschlag zwischen der klassischen Philosophie auf der einen und den modernen Forschungsergebnissen der Biologie (im Teilbereich der Ethologie) auf der anderen unternommen. Dort findet sich die berühmte Textpassage, die auf die Wichtigkeit einer evolutionären Sichtweise einer Epistemologie hinweist, einer biologischen Deutung des auf Kant zurückgehenden Apriorischen:

„Diese zentralnervöse Apparatur schreibt keineswegs der Natur ihr Gesetz vor, sie tut das genau so wenig, wie der Huf des Pferdes dem Erdboden seine Form vorschreibt. Wie dieser stolpert sie über nicht vorgesehene Veränderungen der dem Organ gestellten Aufgabe. Aber so wie der Huf des Pferdes auf den Steppenboden paßt, mit dem er sich auseinandersetzt, so paßt unsere zentralnervöse Weltbild-Apparatur auf die reichhaltige reale Welt, mit der sich der Mensch auseinandersetzen muß, und wie jedes Organ, so hat auch sie ihre arterhaltend zweckmäßige Form in äonenlangem stammesgeschichtlichem Werden durch diese Auseinandersetzung von Realem mit Realem gewonnen.“ (Lorenz 1977, 166; oder auch Radnitzky / Bartley 1993, 85)

Aber auch Quine sah die Notwendigkeit, eine Theorie der Erkenntnis auf ihre biopsychologischen „Wurzeln zurückzuführen“ (zit. nach Wuketits 1984, 91) und nannte eine solche Unternehmung eine „naturalisierte Epistemologie“ (Epistemology Naturalized).

Die Hausarbeit

So ist auch diese Hausarbeit interdisziplinär angelegt. Dem Aufbau des Studiums der Kulturwissenschaften an der Viadrina folgend wäre es sinnvoll, sich Themen von wissenschaftlichem Interesse interdisziplinär zu nähern, um ihre mögliche Komplexität herauszustellen. Widersprüche, die aufgrund unterschiedlicher Paradigmen vor allem in den Geistes- und Naturwissenschaften[1] auftreten, sollten dabei aufgezeigt werden. Der Versuch einer darüber hinausgehenden Auflösung von Widersprüchen fiele schon in den Bereich wissenschaftlicher Forschung. Das würde den Rahmen dieser Hausarbeit sprengen, in der eine reine Klärung des Gegenstandes der evolutionären Epistemologie in der Form einer Übersicht des gegenwärtigen Forschungs- und Theoriestandes vorgenommen wird.

Philosophie und Biologie

Die von dem Linguisten de Saussure eingeführte Unterscheidung zwischen Synchronie und Diachronie, zwischen Parallelentwicklungen im Sinne von Analogien auf der einen und Prozessen auf der anderen Seite, bilden vereinfacht formuliert die Grobunterscheidung des philosophischen und des biologisch-evolutionären Ansatzes. Phänomenologen wie Edmund Husserl oder auch Martin Heidegger führten gewissermassen eine Bestandsaufnahme menschlicher Seins- und Erkenntnismöglichkeiten durch, die sich aus der Reflektion des Hier und Jetzt, des Bestehenden, ergibt. Dem gegenüber steht die Evolutionsbiologie mit der Frage, wie es eigentlich dazu kam, dass die Menschen zu Vorgängen wie gedanklicher Reflektion und Sprache fähig wurden. Damit ist aber keinesfalls das Problem gelöst, was Bewusstsein bzw. Seele überhaupt ausmacht, und an dieser Stelle weichen gelegentlich sogar Neurobiologen auf metaphysische Erklärungen aus. So geht der Neurobiologe John Eccles von einer Interaktion zwischen dem „freischwebenden“ Bewusstsein und dem ganz diesseitigen Gehirn und seinen kognitiven Funktionen aus (dem sogenannten dualistischen Interaktionismus). Das stellt eine Theorie dar, die sich aber mit naturwissenschaftlichen Methoden schwerlich unterfüttern und nur mit freundlicher Unterstützung von Systemtheoretikern wie Humberto Maturana und seinem Konzept der strukturellen Kopplung oder auch Luhmanns (ursprünglich auf Parsons zurückgehenden) Begriff der Interpenetration überhaupt vorstellen läßt.

Struktur

Der folgende Abschnitt der vorliegenden Hausarbeit beschäftigt sich mit den zum Verständnis dieser Konzepte notwendigen evolutionstheoretischen Grundlagen. Abschnitt 4 widmet sich der Klärung dessen, ob und was das Bewusstsein eigentlich mehr ist als eine vorgestellte Einheit, die sich -soziologisch betrachtet- aus der sozialen Notwendigkeit von statischen Identitätszuschreibungen ergibt. Abschnitt 5 behandelt danach die Erörterung weiterer Erkenntniskonzepte.

3. Evolution als erkenntnistheoretischer Ausgangspunkt:

Darwins Evolutionslehre

Die Evolutionstheorie ist eng mit dem Namen Darwin und seinem Werk „On the Origin of the Species“ verknüpft. Es gibt dazu auch alternative Evolutionstheorien, wie die von Lamarck (Vererbung erworbener Eigenschaften) und anderen, die sich aber nicht durchsetzen konnten. Inzwischen ist Darwins Ansatz in der Theorie des Neodarwinismus wie auch in der synthetischen Theorie aufgegangen. Das wird im Folgenden in knapper Form diskutiert.

Folgt man der Evolutionstheorie, so lässt sich sagen, dass alles Lebendige und Organische generell, also auch das Nichtlebende, auf diesem Planeten in einer engeren oder weiteren verwandtschaftlichen Beziehung steht. Aus unbelebter Materie entstanden durch physikalisch-chemische Prozesse die ersten einzelligen Lebewesen und aus denen entwickelten sich Tiere und Pflanzen. Die Entstehung der Arten gleicht einem fortlaufenden Differenzierungsprozess. Umwelteinflüsse förderten oder hemmten auf der interspezifischen Ebene die Ausbreitung von Arten wie ein Filter, mit dem sich die Verzweigungen des phylogenetischen Baumes erklären lassen, wie auch die intraspezifische Etablierung einer neuen Art gegenüber ihren stammesgeschichtlichen Vorgängern. Die synthetische Theorie liefert außerdem eine Beschreibung der intraspezifischen Selektion bestimmter Gattungsexemplare aufgrund genetischer Dispositionen. Als Schlüsselbegriffe zum Verständnis der modernen Evolutionstheorie müssen Genotyp, Phänotyp und Ökologie genauer betrachtet werden. Es geht also um das Verhältnis von Ausprägungen (von Merkmalen), Veranlagung und Umwelteinflüssen. Die genetische Veranlagung, also die latent möglichen Kombinationen des intraspezifischen Genpools, entscheidet über die Variation von Merkmalen und möglichen Merkmalen innerhalb einer Gattung. Die ausgeprägten Merkmale sichern den Bestand der Gattung (oder Sippe, wenn von einer lokal isolierten Population ausgegangen wird) in der Gegenwart. Die Umwelteinflüsse entscheiden über die Wichtigkeit der einzelnen ausgeprägten Merkmale für das Überleben. Manchmal entscheiden sie sogar über den Bestand einer Gattung in direkter Weise. So gab es in der Geschichte der Menschheit phänotypisch verschiedene Hominiden, von denen sich aber nur der Homo sapiens in der genotypischen Variationsbreite, wie sie sich heute auf dem Planeten findet, durchsetzen konnte. Dazu befähigte ihn nicht etwa sein extraordinäres Gehirn sondern vielmehr seine langen Beine, die ihm eine zunehmende Mobilität ermöglichten und mit denen er bei der Durchquerung von Steppen vielen Gefahren ausweichen und entkommen konnte. Es wird sich zeigen, dass das evolutionäre Modell nicht nur für die Stammesgeschichte in der Biologie gilt, sondern allgemein für Prozesse steht, die sich durch die Einteilung in Variation, Selektion und (Re)stabilisierung erst beobachten und beschreiben lassen.

Neurobiologische Ansätze

Bezogen auf den Menschen bilden die Kategorien der genetischen Disposition und Sozialisation und dem Verhältnis beider Faktoren für die Ausprägung von Merkmalen und Fähigkeiten die „Brille“, die ihm Erkenntnis im Sinne subjektiven und als Erfahrung und Logik objektivierten Wissens überhaupt erst ermöglicht. Neurologisch betrachtet ist das, was der Mensch als Welt oder Wirklichkeit betrachtet, die Repräsentation (zum Begriff der Repräsentation siehe insbes. Dretske 1995, 13-49, Bergen 2000, 31-35, Changeux 1984, 341-355, Friederici 1996 und Zimmer 1996) von in bestimmter Weise priorisierten elektrochemisch codierten Reizen im Nervensystem. Bevor sich die Empfindung einer Welt einstellt muss erst eine Struktur geschaffen werden, die in der Lage ist, die Welt als Information über die Welt zu repräsentieren[2]. Klaus (Klaus 1969, 269) zufolge bedeutet eine Information eine Einschränkung für ein Element aus einer Vielfalt von Möglichkeiten aufgrund einer schon vorhandenen Struktur. Diese Struktur ist das, was sich im ersten Lebensabschnitt nach der Geburt auf der Basis von Sozialisation und genetischer Disposition ausprägt, um Repräsentationen der Welt und des Selbst in der Welt als Informationen aufbauen zu können. Um als Information verarbeitet zu werden muss ein Reiz einen Schwellenwert übersteigen, denn sonst bleibt er unbeachtet bzw. unterschwellig. Die elektrochemische Aufladung und Kodierung im Nervensystem bestimmt die weitere Verarbeitung der Information. Was als wichtig empfunden wird, kommt an. Was wichtig wird bestimmt die Struktur, die in den zur Verarbeitung der Information aktivierten Repräsentationen besteht. Zwei Beispiele mögen dies verdeutlichen: sicher ist der plötzlich einsetzende Schmerz eines Wespenstiches wichtig, was sich in den sofort erfolgenden motorischen Reaktionen zeigt, die nach erfolgter Identifikation und Einordnung schließlich in ein präzises Verhalten des weiteren Verfahrens münden. Umgekehrt kann es sein, dass ein gedanklicher Anstoss eines vertrauten Menschen sich erst nach und nach im Nervensystem einrichtet und entfaltet, was sich durchaus auch beobachten lassen kann, wenn er die entsprechende Wichtigkeit erlangt hat. Beide Beispiele zeigen, dass Erkennen und Verhalten wesentlich durch neuronale Repräsentationen bestimmt werden.

Genotyp, Phänotyp und Dawkins „egoistisches Gen“

Bis auf den heutigen Tag hat man sich in der Biologie nicht über die Zusammenhänge von Erkennen, Verhalten und genetischer Veranlagung geeinigt. Dawkins (Dawkins 1978) geht z.B. davon aus, dass es ein Gen gibt, welches sich primär am Eigennutz des Menschen orientiert, der auf seiner höchsten Ebene darin besteht, seine Gene weiterzugeben. Seine These ist, dass die Träger der Gene, die nicht egoistisch orientiert waren, aussterben bzw. ausgestorben sein müssen, weil sie sich nicht durchsetzen konnten/können, z.B. aufgrund moralischer Skrupel. Es läßt sich leicht vorstellen, was ein solcher Standpunkt für Kontroversen und sozialpolitische Implikationen enthält. Zum einen erfolgte von Dawkins Seite ein heftiger Angriff auf alle Religionen, in denen Gegenseitigkeit und Mitgefühl als Schöpferwillen propagiert wird, da das der Natur widerspräche. Zum anderen lassen sich sozialdarwinistische Tendenzen und Turbokapitalismus als natürliche Gesellschaftsformen dadurch naturwissenschaftlich untermauern (dafür spricht z.B. auch die Tatsache, dass Dawkins Werk in Deutschland im Springer-Verlag erschienen ist, der sich politisch unschwer als Unterstützer dieser Strömungen einordnen läßt). Bemerkenswert ist, dass gerade die Fälle, die bei Dawkins durch ihr gezeigtes Verhalten als erfolgreiche Wegbereiter der Weitergabe ihrer Gene gelten müssen, vom psychiatrischen Standpunkt her als Borderline- und Narzismuspathologien diagnostiziert werden. Wichtiger als die Diskussion dieser Implikationen ist jedoch, dass schon Wuketits darauf hinweist, dass es keine Entsprechung von einem Gen zu einem Merkmal gibt, sondern dass Merkmale durch Genkombinationen und Sozialisationsprozesse bestimmt werden. Roth meint, dass das Verhältnis bei 40 zu 30 liegt, also 40 % Disposition, 30 % Sozialisation in den ersten drei Lebensjahren und 30% durch Erfahrungen im Laufe des Lebens, die die Fähigkeiten und Lernräume des Menschen bestimmen. Vor diesem Hintergrund ist es angemessener, in Bezug auf egoistische / altruistische Dispositionen und Ausprägungen von Tendenzen und Neigungen auszugehen, mit denen sich, und soweit ist Dawkins noch recht zu geben, jeder Mensch aufgrund der Existenz von Dispositionen auseinanderzusetzen hat. Ein evolutionäres Modell geht selbstverständlich davon aus, dass Selbst- und Arterhaltung fundamentale Motivationen bilden. Ihre Ausprägung kann, wie der Altruismus zeigt, jedoch unterschiedliche Formen annehmen. Gedankenspiele wie das Gefangenendilemma, durch das wirtschaftliche Kooperationen trotz Informationsasymmetrien erklärt werden, zeigt die hohe Bedeutung generalisierter Mechanismen wie Vertrauen und Gegenseitigkeit für das Überleben auf. Egoismus bezeichnet eine einseitige Ausprägung einer allgemeinen Neigung und nicht die Veranlagung selbst.

Die Meme und die Sprache

Weitaus weniger umstritten ist der von Dawkins eingeführte Begriff der Meme (dazu auch Wilson 1998, 183ff. oder Wuketits 1997, 163) , genetische Kombinationen, die zur Ausprägung kultureller Merkmale und Fähigkeiten führen. Es geht dabei also um die Fähigkeit, unhinterfragte Grundannahmen einer Gesellschaft annehmen und verinnerlichen (in der Terminologie Bourdieus: inkorporieren) zu können. Aus der Sicht der Neurobiologie erfolgt das durch den Erwerb der Muttersprache. Dieser erfolgt in den prägungsrelevanten ersten drei Lebensjahren und enthält die Leitunterscheidungen, durch die die Welt zur Welt wird und auch die vorausgesetzten Annahmen, die zur Einführung dieser Unterscheidungen notwendig sind. Mit Kuhn (Kuhn 1979) gesprochen enthält jede Sprache und die durch sie gestützte Kultur ein sie tragendes Paradigma, das bestimmt, wofür es Worte gibt und wofür nicht, was unterschieden wird und was indifferent bleibt. Die Sprache gleicht aus neurobiologischer Sicht einer grundsätzlichen Theorie über die Welt und schon Wittgenstein witterte, dass diese Theorie die Grenzen der Erkenntnis der Welt festlegt. Da es keine Revolutionen gibt, die derart umstürzlerisch auf eine Sprache wirken wie z.B. in der Physik die Einführung der Relativitätstheorie, sind die Muttersprachler dazu verurteilt, die Logik ihrer Muttersprache lebenslänglich zu bestätigen (Vgl. Castaneda 2000, 12-14).

Das 3-Welten-Modell

Eine etwas allgemeinere Darstellung, welche von Popper erdacht wurde, stellt das 3 Welten-Modell dar. Es erklärt die Wirklichkeit bestehend aus drei abgegrenzten (Teil-) welten. Popper legt dieses Modell seinem evolutionären Entwurf zugrunde.

Welt 1 besteht aus der wahrgenommenen, materiellen, dinglichen veräußerten Welt. Sie ist das, was in den Naturwissenschaften oft genug als absolute Wirklichkeit bezeichnet wird, die alle Empirie ein- und alles Geistige und Bewußtseinsmäßige ausschließt. Prägnant an Welt 1 ist außerdem, dass sie in nicht zu ermessender Weise komplex ist. Alles Leben bedient sich gemessen an dieser Komplexität mehr oder minder primitiver Strategien. Diese Strategien beziehen sich häufig nur auf die Anpassung an wenige Aspekte der Vielschichtigkeit von Welt 1. Das menschliche Auge kann z.B. durch die Reflektion bestimmter Lichtfrequenzen durch Materie Farben und Formen konstruieren. Dass es auch anders geht beweisen die Fledermäuse, die sich an Ultraschallwellen orientieren, die sie „sehen“. Wenn es um Welt 1 geht, reden Physiker von Wellen und Chemiker von Teilchen und leeren Zwischenräumen. Nach Eccles Theorie des dualistischen Interaktionismus bildet das Gehirn einen Teil der Welt 1. Welt 1 heißt nicht zuletzt die Welt der Erscheinungen, da die in Welt 1 auftauchenden Formen und Gestalten vom Inventar der Welt 2, nämlich vom Standpunkt des Beobachters, vom Medium, innerhalb derer sich die Beobachtung vollzieht (für das Auge z.B. das Licht) und natürlich vom Meßinstrument der Beobachtung abhängen.

Welt 2 besteht in dem subjektiven Erleben des Einzelnen. Die Wahrnehmung von Welt 1 und des Selbst in Welt 1 und das sich daraus ergebende Erleben und Erfahrungswissen wird damit bezeichnet. Vollmer (Wuketits 1984, 72) definiert einen persönlichen Horizont der natürlichen Sinne und Neigungen, den er als Mesokosmos bezeichnet, eine Welt der mittleren Dimensionen. Sie ist nicht absolut wie Welt 1, da sie die Welt in den Augen des Beobachters spiegelt und die für die Beobachtung eingesetzten Unterscheidungen. Sie ist vielmehr relativ zu Welt 1 und Welt 3. Luhmann spricht in dieser Beziehung von reduzierter Komplexität. Inhalt, Art und Weise dieser Reduktion auf Verfügbarkeit und Utilisation der Sinne zur Informationsgewinnung bildet den Gegenstand der Welt 2. Zeit und Raum, das Selbst und die anderen oder auch Kants Kategorien werden als Dimensionen oder auch Aspekte dieser Welt verstanden. Wie sich diese Dimensionen gegenseitig bedingen, was z.B. Einsteins Relativitätstheorie oder die Heisenbergsche Unschärferelation darlegt, ist schon ein Thema der Welt 3. Im Buddhismus geht man z.B. von einer Maya-Welt aus, einer Scheinwelt oder Alltagswelt, die dann auftaucht, wenn die Meditation verlassen wird. Sie ist eine Art funktional notwendige Täuschung, um als überlebensgedrillter Bioorganismus das Leben gestalten zu können. Mit anderen Worten, Welt 2 ist eine durch Ordnungsnotwendigkeiten und folglich Wertpriorisierungen verkannte Quasikarikatur von Welt 1, die noch dazu häufig mit ihr verwechselt oder gleichgesetzt wird. Zählt Eccles das Gehirn noch zugehörig zu Welt 1, so ist der Geist oder auch das Bewußtsein ein unverzichtbarer Teil der Welt 2.

Welt 3 besteht in dem kulturellen Erbe und dem reflektierend erworbenen Wissen. Sie ist neurobiologisch bestimmt durch die Ausbildung des Neocortex (zuständig für Logik, Kognition, Strategien und Möglichkeiten) und des Sprachenzentrums. Das Sprachenzentrum befähigt zur Ausbildung einer oder mehrer Sprachen, gibt aber weiter nichts vor. Der Erwerb der (Mutter-) sprache und mit ihr einer bestimmten Kultur ist damit etwas höchst Individuelles, auf das die Sozialisation maßgeblichen Einfluß ausübt. Welt 3 ist Eccles zufolge Produkt des der Welt 2 zugeordneten Geistes wie auch Produzent von Strukturen der Welt 2. Dazu auch Abb.2.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb.1 (Eccles/Robinson, 1985, 54)

Ausgangspunkt für eine Erkenntnislehre, die auf diesem Modell basiert, bilden die Wechselbeziehungen zwischen den Welten. Die Beziehung zwischen Welt 1 und Welt 2 liegen hierfür im Bereich der Neurologie und Neurobiologie, die zwischen Welt 2 und Welt 3 im Bereich von Soziologie und (Sozialisations-) psychologie. Eccles veranschaulicht die letztere mit dem folgenden Diagramm:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb.2 (Eccles/Robinson 1985, 55)

Die Erfahrungen und Erlebnisse aus Welt 2 begründen eine Ressource für Welt 3. Generalisiertes Wissen aus Welt 3 wirkt zurück auf das Erleben und die Qualität von Erfahrungen in Welt 2. Die zunehmende Größe der Welt 2 und 3 symbolisierenden Quadrate im Laufe der Zeit bedeutet, dass es sich um ineinander verschachtelte Lernprozesse handelt. Die Welten und mit ihnen ihr Inventar erweitern sich. Der von Welt 2 nach Welt 3 weisende Pfeil beschreibt Kognitionsvorgänge. In Welt 3 bildet sich das, was als Erkenntnisvorgang dann auf Welt 2 zurückwirkt. Die Frage, was es zuerst gab oder welche Welt zuerst anfing, die der strenge Empirismus Welt 2 und der strenge Rationalismus Welt 3 zuschreibt, stellt sich für eine evolutionäre Erkenntnistheorie nicht: beide entstanden in wechselseitiger Abstimmung. Das stützt sich auf die Beobachtung von Makromolekülen (Vollmer in Lorenz / Wuketits 1983, 39), deren Information mit ihrer Funktion identisch ist. Ihre Drift ermöglichte schließlich die ersten Mikroorganismen. Henne-Ei-Fragen stellen sich in der Evolutions­epistemologie nicht.

4. Erkenntnis und Bewusstsein:

Das Problem des dualistischen Interaktionismus

Popper geht in Anlehnung an Hegel von dem Modell der Höherentwicklung der Spezies aus und unterteilt die Entwicklung von unbelebt-belebt bis hin zum Menschen. Systemtheoretisch scheint das insofern richtig zu sein, als dass ein Zusammenschluß von Einheiten im Sinne funktionaler Spezifikation (z.B. vom Einzeller zum Vielzeller, von den Zellen zum Organ, kurz: die Summe als ein Mehr seiner Teile) ein sich selbst erhaltendes System ermöglichen kann. So wäre es ein Denkfehler anzunehmen, das Ganze sei ausschließlich durch seine Bestandteile zu erklären, ohne ihr Zusammenwirken im Hinblick auf das Ganze erklären zu müssen. Sowohl Popper als auch Eccles haben sich in „The Self and its Brain“ diesem Problem gestellt, ohne es jedoch auf den Punkt gebracht zu haben. Wuketits (Wuketits 1985, 216-222) weist darauf mit der Frage hin, wie sich die von Eccles beschworene Interaktion zwischen Gehirn und Bewusstsein denn darstellen ließe und glaubt, darin Ansätze von Spiritualismus zu erkennen.

Form und Medium

Eleganter, wenngleich nur auf ziemlich allgemeiner Ebene machbar wäre es, an dieser Stelle das (mathematische) Formenkalkül von Spencer-Brown (Spencer-Brown, 1994 und auch Luhmann 1998, 190 ff.) oder dessen biologische Entsprechung bei Maturana als Hilfskonstruktion einzuflechten. Demnach besitzt alle Form ein Medium, das es ermöglicht, dass die Form als Form wahrgenommen wird. Ein von Luhmann gern angeführtes Beispiel besteht in der Architektur bestimmter Kirchen: Die Bauweise der Kirche wird zum Medium für den Lichteinfall und das Licht wird zum Medium für die sichtbar gemachte Anwesenheit Gottes. So läßt sich die Verzahnung von Ebenen erklären, die sich nicht aufeinander reduzieren lassen, die aber auch nicht ohne einander auskommen. Was wäre denn ein Bewußtsein ohne Trägerorganismus ? Ein Geist ! Oder ein Organismus ohne koordinierte Zusammenarbeit seiner funktionalen Einheiten ? Ein Zellhaufen !

Das Bewusstsein – konstruierte Einheit vieler Zustände

Genau so läßt sich die Beziehung Form und Medium auf den menschlichen Erkenntnisapparat übertragen („Wenn man denkt, dann denkt man nur, dass man denkt“ Calvin 1995). Geistige Prozesse finden ihre diesseitige Entsprechung in dem Zusammenspiel der Neuronen bei der Kreation von Repräsentationen, die aufrufbare funktionale Verknüpfungen verschiedener Gehirnarreale darstellen. Changeux (Changeux 1984, 341-355) argumentiert, dass es nicht gelingen werde, die Neurobiologie bei der Erforschung des Bewusstseins zusammenzustreichen, da sich ein Bewusstsein im Wesentlichen auf die im Gehirn und ZNS geltenden Bedingungen stützt. Das sagt aber noch nichts über mögliche Bewusstseinsinhalte und –intentionen aus, die aber als in gleicher Weise zum Verständnis des Bewusstseins relevant betrachtet werden müssen wie die neurobiologisch gesetzten Ausgangsbedingungen. Wie sich Absichten manifestieren läßt sich also biologisch beschreiben, doch wie sie entstehen bleibt aus Sicht der Biologie weiterhin obskur (dazu auch der Neurophysiologe Roth, der in diesem Zusammenhang ein wildes Gemisch aus deterministischen und fatalistischen Konstrukten in den Raum stellt). Sicher ist etwas wie die Freiheit des Willens nicht als freischwebend anzunehmen, wie das beispielsweise als Vorannahme staatlichen Rechtssystemen zugrundeliegt, doch wäre an dieser Stelle eine interdisziplinäre Suche nach einem Freiheitsbegriff vonnöten, der weder in die Fangstricke des Idealismus noch des Determinismus gerät. Immerhin liefert die Neurobiologie einen neuartigen Bewusstseinsbegriff. Roth zufolge gibt es kein Bewusstsein als ungeteilte Einheit, sondern Bewusstsein als Abfolge von intentional festgelegten Bewusstwerdungszuständen. Diese Zustände bestehen widerum in neuronal verschalteten Gehirnarrealen. Fällt ein Gehirnarreal aus, dann ist dem Bewusstsein als gedachte Einheit möglicher Bewusstseinszustände diese Tür fortan verschlossen (Vgl. Affolter / Stricker 1980). Kappt man z.B. das limbische System, dann ist das betreffende Bewusstsein zu Empfindungen nicht mehr fähig. Da Empfindungen aber die Selektion von Entschlüssen steuern, wird das Bewusstsein entscheidungsunfähig. Es kann noch denken, was möglich, doch nicht mehr, was wünschenswert wäre, da die Qualität von Wünschen in ihrer Emotionalität besteht. Die Frage ist also, welches Bewusstsein gemeint ist, oder genauer, welches Bewusstsein wovon gemeint ist, ob nun das Bewusstsein von Gefühlen, Zusammenhängen, Möglichkeiten oder welche Kategorien man auch sonst aufstellt.

AGIL – ein biologisch-kulturelles Evolutionsmodell

Ein anderer, durch seine Theorizität bestechender Ansatz besteht im AGIL-Schema von Talcott Parsons. Auch er stellt sich dem Problem intrapersonaler Funktionsebenen. Er unterscheidet derer vier und ihrer Interaktionsformen. Die unterste Ebene ist die des Organismus und ihre Funktion liegt in der Anpassung (Adaptation) an Gegebenheiten, um seinen Bestand zu sichern. Diese Veranlagung jedweden Lebens auf diesem Planeten steht für die Mobilisation von Energie, um ihre Funktion erfüllen zu können. Lernprozesse bedeuten einen hohen energetischen Aufwand, über den allein die nächsthöhere Ebene erreicht wird, die der Zielerreichung (Goal-attainment). Hier setzt beispielsweise Dawkins Argumentation über den Egoismus ein. Diese Ebene ist gekennzeichnet durch Interessen und Ziele, deren Vorhandensein allein erst Lernprozesse ermöglicht und einleitet. Deren psychophysische Internalisierung (Inkorporation) wird ermöglicht und ermöglicht die soziale Ebene (Integration), auf der die Integration des Erlernten erfolgt und das System seine Grenzen erkennt und verwirklicht. Deren normative Institutionalisierung, welches einer Objektivierung der Umwelt und des Selbst in der Umwelt gleichkommt, führt zur Ausbildung der Kulturebene (Latent Pattern Maintenance). Deren Funktion ist die Strukturerhaltung des Ganzen. Dieser gewissermaßen stationär geschilderte lineare Prozeß basiert einzig auf der Zufuhr und Mobilisation von Energie durch den Organismus. Umgekehrt wirkt die Kulturebene zurück auf die unter ihr liegenden Ebenen durch Abgabe von Information(en).

Der soziologisch-systemtheoretische Ansatz AGIL ist bemerkenswert, weil er die biologische und kulturelle Evolution in ihren wechselseitigen Bezügen in einem Modell veranschaulicht, worauf keiner der in der Literaturliste angegebenen Autoren auch nur implizit verweist. Die Linearität der Energieaufwendungen von A nach L verweist dabei auf die biologische, die ebenfalls linear gerichtete Abgabe von Information von L nach A auf die kulturelle Evolution. Das Modell zeigt auf, wie Kultur, Sozialisation, Identität und die biologische Disposition vermittelt wird und vermittelnd wirkt.

Energie, Information, Tod

Energie und Information bilden demnach die Koordinaten von Erkenntnis und Bewusstsein. Die beiden oben genannten Beispiele zur Rolle interner Repräsentationen demonstrieren ihre Anwendbarkeit. Ein Wespenstich nimmt auf der Energie-Informations-Achse einen ganz anderen Platz ein als ein tiefer Gedanke eines vertrauten Menschen, der erst nach und nach die Energie gewinnt, die nötig ist, um als Information zurückzustrahlen. Die Hierarchisierung der Ebenen ergibt sich aus ihrem chronologischen Aufbau von A nach L der menschlichen Entwicklung. Erst einmal ausgebildet stellt es das Inventar menschlicher Erkenntnisleistungen und –möglichkeiten auf. Das menschliche Leben spielt sich demnach im Spannungsfeld von Energie und Information ab. An dieser Stelle stellt sich dann auch die Frage, ob und was vom menschlichen Leben nach dem Tod überhaupt bleibt. Unbestritten ist die Energieerhaltung im System des Größeren. Es gibt auf diesem Planeten keinen Organismus bis auf einige verschüttete und eingefrorene, die nicht zur Nahrung anderer Organismen geworden sind oder es einmal werden. Doch wo bleibt die Information ? Es besteht die Möglichkeit, dass es Erkenntnis- und Existenzräume des Lebens gibt, die sich mit den derzeitigen wissenschaftlichen Meßinstrumenten nicht erfassen lassen. Es besteht also die Möglichkeit, dass Information in diesen Räumen erhalten bleibt. Ob das allerdings für den gilt, der danach fragt, ist eher unwahrscheinlich. Denn wer sollte das anderes sein als ein opportunistisch zusammengezimmertes Ego in der jämmerlichen Sorge um seinen Fortbestand, eine Institution, die mit dem Tode wohl als erstes aufgelöst wird.

Bewusstsein als Qualität

Noch anders formuliert es der Biologe Seitlberger (Wuketits 1984, 85) nach Wuketits so: „Da sich das (menschliche) Gehirn so wie alle biologischen Strukturen in der Evolution entwickelt hat, wird man akzeptieren müssen, dass allen Bewusstseinsvorgängen entsprechende Evolutionsprozesse vorausgehen, „dass Bewußtsein keine eigene Wesenheit, kein Gespenst in der Maschine ist, sondern eine mit der Höhe der Hirnleistungen erscheinende Qualität“.“

An anderer Stelle auf der gleichen Seite erläutert Wuketits weiter, dass das Bewusstsein mit der Bewegung eines Autos verglichen werden kann. Die Bewegung ist wie das Bewusstsein etwas, dass als Leistung abfällt. Zusammen mit der Ansicht von Roth ergibt sich, dass das Bewusstsein eine außerordentlich differenzierte und komplexe Leistung des Gehirns / ZNS darstellt, welches je nach Art der Leistung, die als Bewusstseinsprozeß gewertet wird, auch bei Tieren und auf ganz basaler Ebene sogar bei Pflanzen oder biochemischen Transformationsprozessen der „unbelebten“ Natur (wie z.B. Feuer, Mineralisationsprozesse u.ä.) verortet werden kann.

Dissipative Strukturen oder: Das Gleichgewicht von Unordnungen

Das physikalische Prinzip der dissipativen Strukturen (Prigogine 1985, 95-105) liefert dafür Hinweise, dass Höherentwicklung ganz allgemein dem Muster irreversibler Prozesse folgt. Der zweite Satz der Thermodynamik besagt, dass in einem isolierten System der Grad der Unordnung seiner Elementarteilchen unter Zufuhr von Energie maximal steigt und sich dann erst ein Gleichgewicht einstellt (Entropie). Das Boltzmannsche Ordnungsprinzip liefert dafür sogar ein Kalkulationsmodell, auf dessen Grundlage die Wahrscheinlichkeit einer solchen Verteilung bestimmt werden kann. Dies gilt allerdings nur für Gleichgewichte. Vereinfacht gesagt entstehen (physikalische) Gleichgewichte auf der Basis größtmöglicher Unordnung. Andererseits gibt es in der Evolution Systeme, die in Nichtgleichgewichtszuständen Ordnung aufbauen. Eidechsen halten ihre Körpertemperatur unabhängig von der Außentemperatur konstant. Säugetiere sind sogar in der Lage, innerhalb eines bestimmten Bereiches ihre Temperatur zu erhöhen oder abzusenken. Prigogine nennt dazu als einfachen Versuch die Separation vermischter Gase durch einen Kühlungs- und einen Erwärmungsgradienten. Das eine Gas konzentriert sich dabei an der kalten, das andere an der warmen Wand. Ordnung weit entfernt vom Gleichgewichtszustand ist also herstellbar und in der Realität auch ganz normal. Doch erhebt sich die Frage, wie diese Ordnung denn dann zustande kommt: aufgrund bestimmter äußerer Bedingungen oder aufgrund funktional ausgerichteter Organisation. Für die Evolution sind beide Faktoren unabdingbar. Das Zusammenspiel beider Faktoren dient der Erreichung eines Gleichgewichtes, die dem Organismus eine Existenzgrundlage bietet. Auf dieser basalen Ebene erkennt ein jedes Lebewesen Ordnungen, die ihm eine funktionale Anpassung und die Herstellung eines relativen Gleichgewichtes ermöglichen. Aber auch das Feuer geht dorthin, wo es noch Nahrung findet, bevor es sich selbst verzehrt.

Vorläufigkeit

Bemerkenswert an Prigogines Ausführungen im Hinblick auf einen Entwurf von Erkenntnis und Bewußtsein ist die Vorläufigkeit der Zustände und Anpassungen an diese Zustände, ein Zunächst der Passung und ein Zumeist der Passungsweise. Das bietet eine mögliche Grundlage für das von Vollmer (Vollmer in Lorenz / Wuketits 1983, 40) angesprochene Gesetz der Unvollkommenheit. Dabei geht Vollmer deshalb von unvollkommenen, gerade nicht idealen, nur das Nötigste berücksichtigenden Anpassungen aus, da nur solcherlei Anpassungen die Flexibilität ihrer Subjekte nicht einschränken und damit weiteren raschen Anpassungen die Grundlage entziehen. Dass auch die Strukturen der Welt 1, der Umgebungen, vorläufigen Charakters sind, erwähnt er nicht. Gerade darauf zielt aber eine evolutionäre Epistemologie ab. Betrachtet man eine nur rudimentär und auf das Nötigste beschränkte Anpassung von Organismen, so läßt eben das den Schluß zu, dass die Strukturen, an die sich angepaßt wurde, von den Organismen als wandelbar erkannt wurden. Weshalb sollten Organismen Flexibilität ausbilden, wenn ihnen dies in ihrer Phylogenese nicht abgefordert wurde ? Es ist also festzuhalten, dass Evolution vorläufige Anpassungen an vorübergehende Umstände ermöglicht. Desweiteren ist darauf hinzuweisen, dass methodisch die in Welt 2 erfolgten Anpassungen in vollem Ausmaß die für die jeweilige Lebensform geltenden Strukturen beschreiben. Lorenz kleidet diese Einsicht in die Metapher von der Rückseite des Spiegels; der Spiegel bildet ab, was an Bedingungen für den Organismus relevant ist. Die Rückseite des Spiegels bildet die Evolution, an dessen vorläufigem Ende aposteriori der spiegelnde Organismus steht.

5. Der Aufbau einer evolutionären Erkenntnislehre:

Kulturelle Evolution

Die heutige Biologie wertet die Kultur als ein wesentliches Unterscheidungsmerkmal zwischen Mensch und Tier. Kulturelle Evolution wird dabei parallelgesetzt zur biologischen Evolution, die auch beim Menschen natürlich weiterhin stattfindet, wennauch nicht in dem Tempo, dass sie sich von einem Menschen innerhalb seines Lebens beobachten ließe. Die kulturelle Evolution hingegen ist beobachtbar. Veränderungen können sich auf der kulturellen Ebene in sehr kurzer Zeit durchsetzen. Darauf weist schon die Möglichkeit kultureller Revolutionen hin.

Die kulturelle Evolution setzte ein, als Sprache und Werkzeuggebrauch schon weit entwickelt waren und sich die Hominiden weiterer Möglichkeiten ihrer Utilisation bewußt wurden. So vergleichen Edlinger und Gutmann (Edlinger / Gutmann 2002, 197 ff.) den Beginn der kulturellen Evolution mit der Einführung der Leichtathletik als Sportart: der menschliche Organismus existiert in seiner gegenwärtigen physiologischen Konstitution aufgrund genannter geänderter Bedingungen für das Nomadentum, die zum Beispiel weite Savannen durchqueren mußten und dafür lange Beine und den aufrechten Gang ausbildeten. Hochleistungssport genießt heuzutage einen hohen Stellenwert in der Gesellschaft und bietet die Möglichkeit, Anerkennung zu erlangen und sogar den Lebenserwerb davon zu bestreiten. Die Bewegungsmuster, deren Erlernen Leichtathleten so viel Disziplin und Fähigkeiten abverlangen, waren bei der evolutionären Ausbildung der menschlichen Physiologie aber gar nicht vorgesehen und wurden erst nach und nach durch die kulturelle Genese in der modernen Gesellschaft entdeckt, die deren Ausführung einen Wert zuordnete, der sich aus der biologischen Evolution nicht mehr direkt ableiten läßt.

Kultur bildet also das vermittelnde Stück zwischen biologischer Genese und Disposition einerseits und abstrahierten gesellschaftlichen Handlungsnormen (z.B. Gesetze und Werte) andererseits. Luhmann (Luhmann 1998) erklärt die kulturelle Evolution als Übergang von segmentären (Stammes-) gesellschaften über stratifizierte (Feudal-)gesellschaften zur funktional differenzerten (modernen) Gesellschaft. Da es heute keine Ethnien oder Stämme auf der Erde mehr gibt, die keinen Kontakt zur Zivilisation im weitesten Sinne haben, redet er nur noch von einer (Welt-) gesellschaft. Phänomene wie Leichtathletik lassen sich unter diesem Blickwinkel als Teil der kulturellen Evolution betrachten. Nur eine funktional differenzierte Gesellschaft schafft die Bedingungen für so etwas Außerordentliches wie den Hochleistungssport mit allem, was sich um ihn herum rankt (z.B. Sponsoring, Vermarktung, Doping, Funktionäre, Fanships usw.).

Medien

Desweiteren sieht Luhmann als wesentliche Errungenschaft infolge kultureller Evolution die Ausbildung symbolisch generalisierter Interaktionsmedien (Luhmann 1998, 316-396). Das bedeutet, dass die Gesellschaft bestimmte Codes ausbildet, die von der biologischen Natur des Menschen und den ihm gegebenen Dispositionen funktional abstrahieren. Da gibt es den Code der Liebe auf der Grundlage von Sexualität, Wissenschaft auf der Grundlage von Wahrheit, also geteilten Erfahrungen und weitergegebenen Wissens, Macht auf der Grundlage von Gewalt und Geld auf der Grundlage von Besitztum. Diese vier ursprünglichen Kategorien, aus denen sich das Erscheinungsbild des modernen Lebensstils der Menschen gleichsam ableiten läßt, basieren wie gezeigt auf der menschlichen Biologie und den sich aus ihr ergebenden Notwendigkeiten. Das bedeutet aber nicht, dass die Codes mit ihrer biophysiologischen Basis gleichgesetzt werden können. Liebe, die gesucht wird um unerfüllt zu bleiben, Geld, das selbstlos eingesetzt wird, Wissenschaft, die für die Kriegstechnologie ausgebeutet wird und Macht, die sich, wie in Demokratien, immer wieder derer versichert, die ihr sowieso folgen, das alles wird von einer mitunter paradoxen Eigendynamik getragen, die die Zwischenschaltung des Kulturbegriffes als Mittler zwischen Biologie und Soziologie / Psychologie notwendig macht.

Relativer und absoluter Raum

Kant beschreibt in der „Kritik der Urteilskraft“ den Beginn abstrahierenden (in der Terminologie Luhmanns: symbolisch generalisierenden) Denkens, und damit geistiger Reflektion. Ganz bildlich geht es um einen vorgestellten Raum, der Denkfiguren wie Erinnerungen, bildhafte Vorstellungen und Ähnliches beinhaltet. Dieser „relative“ Raum findet seine Ausdehnung in etwas anderem, dem absoluten Raum, der nicht vorgestellt wird aber logisch vorausgesetzt werden muß, denn wenn es den absoluten nicht gäbe, wäre der relative nicht möglich. Der absolute Raum ist also lediglich durch eine transzendentale Logik zu erreichen, die zu denken nur ein menschliches Gehirn in der Lage ist. Über diesen philosophischen Exkurs erklären Edlinger und Gutmann den von Luhmann geschilderten Ebenenwechsel (von der Sexualität zur Liebe, von ausgeübter Gewalt zur Macht, vom Besitz zum Geld, von der Allianzenbildung zur Wahrheit) als Herausbildung der Kultur als eigenständiger Teilbereich des allumfassenden Evolutionsprinzips.

Kulturevolution als Paradigmenwechsel

In ganz anderer Weise bringt Thomas Kuhn (Kuhn, 1967) den Evolutionsgedanken ins Spiel. Was Erkenntnis ist und wie sie sich verändert hängt demnach mit dem oder den herrschenden (wissenschaftlichen) Paradigma /Paradigmen zusammen. Logische Widersprüche und entgegengesetzte Beobachtungen werden aufgrund der Gefährdung der durch das Paradigma vermittelten Stabilität ausgebügelt, für unwichtig befunden oder schlicht ignoriert. Dieser Mangel haftet jedem Paradigma an, da es keine Theorie gibt, die wirklich alles erklärt. Dazu ist Welt 1 viel zu komplex. Auch Theorien dienen nur der Reduktion dieser Komplexität. Daher sagt die Ersetzung eines Paradigmas auch etwas darüber aus, was gesellschaftlich oder innerhalb der esoterischen wissenschaftlichen Gemeinde wichtig wurde. So wurde beispielsweise in der Chemie das Periodensystem der Elemente entwickelt, als es noch die gängige Annahme war, dass Atome kleinste Materieteilchen sind. Es wurde ersetzt durch das heutige Atommodell, das Ausgangspunkt ist für eine breite Palette von Anwendungs- und Erklärungsmöglichkeiten, wie in der Meteorologie und der Atomkraft. Ausgerechnet ein Meteorologe stellte der Chemie das elektronenumlaufene Atomkernmodell vor, weil das alte für die Erklärung von athmosphärischen Strömungen und Störungen unzulänglich war.

Popper dachte in die gleiche Richtung wie Kuhn und brachte dazu die Analogie, dass die biologische Evolution in der gleichen Weise auf Mutation und Selektion wie die Erkenntnistheorie auf Hypothesen und deren Falsifikation basiere. Die Hominiden, die keine langen Beine besaßen, um die Savannen rasch zu durchqueren, landeten in den Mägen ihrer Freßfeinde, bis es von ihnen keine mehr gab. Ebenso ergeht es vielen Theorien und natürlich auch den Lügen („Lügen haben kurze Beine.“).

Dass es Theorien im Laufe der Zeit ebenso ergeht wie Organismen im Laufe der biologischen Evolution, erscheint auf jeden Fall bemerkenswert für eine evolutionäre Erkenntnislehre, die nicht psychologisch auf die Bedingungen personaler Erkenntnismöglichkeit(en) abstellt, sondern vielmehr sozial auf Kommunikationen innerhalb einer Gesellschaft oder Gemeinschaft auf der Suche nach und der Bestätigung von Wahrheit. Stärker als bei personalen Lernprozessen zeigen sich hier die Besonderheiten kultureller Evolution. Paradigmagesteuerte (konservative) Forschung, die Etablierung einer das Paradigma stützenden Fachsprache, Schwierigkeiten in der Kommunikation mit Anhängern anderer Paradigmen, all das zeigt nicht nur den relativen Charakter von Wahrheit als einer auf bestimmten Wertungskriterien basierenden Qualität, sondern auch eine weithin sichtbare Evolution kognitiver Systeme.

Negativselektion

So spricht denn auch Luhmann (Luhmann 1998, 473-485) von der Möglichkeit einer Negativselektion, die alles beim alten läßt, aber Evolution in quasistatischen Prozeßverläufen einen Platz einräumt, obwohl sie im Falle einer Negativselektion nicht sichtbar wird. Sichtbar wird die Möglichkeit der Variation dann, wenn diese bereits selegiert wurde. Das schließt natürlich nicht aus, dass sich auf Variationsmöglichkeiten auch anders schließen läßt, z.B. durch Genanalysen. Das bedeutet aber schon, dass ein Wissen von der Möglichkeit der Möglichkeit einer bestimmten Variation als Voraussetzung dafür gilt. Es gibt aber gerade im Bereich der kulturellen Evolution viele Überraschungen, da diese eine so große Bandbreite umfaßt, dass deren Komplexität ebenfalls (wie im Falle von Welt 1) reduziert werden muß, und das heißt: Ausschluß anderer Möglichkeiten, die Selektion von Sinn gegenüber einem Horizont, der sich an der Vielschichtigkeit menschlicher Kulturprogramme zu bewähren hat.

Der Gedanke der Negativselektion impliziert also, dass das, was die Evolution als Entwicklung beschert, latent schon vorhanden war, aber nicht selegiert wurde, weil es nicht notwendig wurde oder sich bisher nicht bewährte. Der Kabeljau wird zunehmend früher geschlechtsreif um noch laichen zu können, bevor er in die Netze einer Fangflotte gerät. Das wird umso wahrscheinlicher, je älter und größer er wird. Noch vor 60 Jahren war der Zeitpunkt der Geschlechtsreife hingegen für das Überleben des Kabeljaus bedeutungslos. Frühreife werden als Antwort auf geänderte Umweltbedingungen selektiert.

Höherentwicklungen

Höherentwicklungen sind dann nicht ausgeschlossen, wenn die Umwelt bestimmte Anforderungen stellt, die von den Dispositionen (Wuketits spricht auch von den natürlichen Lehrmeistern) eine entsprechende Selektion auslösen. Es könnte aber auch anders sein und anders kommen, wenn die Umwelt anders wäre. Artendifferenzierung ist zwar ein Merkmal der Evolution auf diesem Planeten, doch Höherentwicklung ist ebenso exklusiv wie verzichtbar, wenn die Umstände sich verändern. Daher geht Luhmann von einer funktional gerichteten Evolution aus, die in ihrer Organisation der Anpassung an Gegebenheiten vielmehr eine stetige Antwort ist als etwas Teleonomes. Die Evolution denkt nicht um die Ecke, aber sie katalysiert den Antrieb, den Erwartungen einer wie auch immer abstrahiert vorstellbaren Gesellschaft gerecht zu werden, die damit den Platz der Natur und ihrer Gegebenheiten ersetzt und die die menschlichen Existenzen in eine unaufkündbare Abhängigkeit bringt (Kommunikation läßt sich zwar ablehnen, aber nicht verhindern).

Wer das als eine Höherentwicklung betrachtet, meint nicht eine wie auch immer geartete kulturelle Höherentwicklung, sondern vielmehr den Übergang von Natur zu Kultur selbst. Mehr ist da nicht drin, denn wer von der Entwicklung von Kultur zu höherer Kultur anfängt sollte sich vergegenwärtigen, wie relativ seine ohnehin zum größten Teil unreflektiert in den ersten Lebensjahren indoktrinierten Werturteile sind und ob er sich mit einer derart gestrickten Meßlatte mehr als den Applaus der von ihm begünstigten Eliten sichert. Denn wie lassen sich Kulturen in höher und niedriger einstufend vergleichen als aufgrund eigener Werturteile ?

6. Schlußfolgerungen und Ausblick:

„Intelligent Design“

Aktualität erlangt das Thema einer evolutionären Epistemologie auch durch den als Gegenmodell zur Evolutionstheorie konzipierten Entwurf des „Intelligent Design“. Er hat inzwischen in verschiedenen Bundesstaaten der USA obligatorisch Eingang in den Biologieunterricht gefunden. Er besagt, dass die Schöpfung zu reichhaltig und komplex ist, als dass sie aus einer Entwicklung hervorgegangen sein könnte. Daher wird ein Schöpfer vermutet, der vor einigen Tausend Jahren die Welt so geschaffen hat wie sie heute erscheint.

Die Komplexität des Lebens auf der Erde bildet einen Schwerpunkt der heutigen biologischen Forschung. Die Möglichkeit einer Entwicklung allen Lebens durch die in der Evolutionstheorie vertretenen Weise wird von archäologischen Funden und dem gegenwärtigen Forschungsstand in Physik und Chemie bestätigt. Nun gehen manche Strömungen davon aus, dass die experimentelle Überprüfung von Theorien durch Erwartungshaltungen der Versuchsleitung beeinflußt werden kann. Popper schließt sogar eine Verifikation von Theorien gänzlich aus. Kuhn erläutert an vielen Beispielen, wie Theorien zu Anwendungsbereichen oder Ausnahmefällen in größer angelegten Theorien werden können. Daher wäre es augenscheinlich vermessen anzunehmen, dass die Evolutionstheorie als Erklärungsmodell auf Dauer unhinterfragt bleibt. Sie ist aber im aktuellen Diskurs das herrschende Paradigma, welches erst noch in seinen Implikationen für andere Wissenschaften ausgelotet zu werden hat. Irgendwann sollten sich, wie Kuhn es für Theorien prognostiziert, Beobachtungen einstellen und häufen, die sich mit der Evolutionstheorie nicht mehr vereinbaren und den Entwurf einer anderen Theorie notwendig erscheinen lassen. Dass auch diese Annahme einer Ersetzung von Theorien durch andere wieder vom Evolutionsgedanken ausgeht macht die Sache nicht einfacher.

Vom literaturwissenschaftlichem Standpunkt jedenfalls hat der Ansatz des „Intelligent Design“ seine Berechtigung als eine Geschichte, die sich durch andere Texte belegen läßt, z.B. die Bibel. Die Evolutionstheorie ist aus dieser Sicht dann auch nur eine Geschichte.

Die Stärke des „Intelligent Design“ liegt aber wohl eher darin, bestimmte gesellschaftliche Verhältnisse zu legitimieren und wissenschaftliche Forschungen, die in religiös besetzte Bereiche eindringen könnten, abzuwerten und durch simplere Erklärungen zu ersetzen, die in das zu verteidigende Weltbild passen. Es erscheint unter den gegebenen Umständen in der Diskussion des „Intelligent Design“ angebracht, politische, religiöse und wissenschaftliche Strömungen auseinanderzubringen und zu -halten. Politik braucht Legitimation, Religion braucht Demut und Wissenschaft braucht Freiheit. Für eine kritische Hinterfragung der modernen Evolutionstheorie reicht es jedenfalls nicht aus, die Vielfalt des Lebens einem „intelligenten Designer“ zuzuschreiben, ohne auch nur einen minimalst wissenschaftlich untermauerten Beleg für eine solche Behauptung zu erbringen.

Möglichkeit von Gott

Andererseits stellt sich natürlich die Frage, ob denn ein evolutionäres Schöpfungsprinzip die Existenz eines Schöpfers ein- oder ausschließt. Das wird weder bestätigt noch abgelehnt. Allerdings ist der Mensch durch die spezifische Ausbildung des Frontallappens seines Gehirns in der Lage, sich seines eigenen Todes zu vergegenwärtigen. Neurobiologen meinen, dass dies zusammen mit der Erfordernis des Zusammenhaltes innerhalb einer Gemeinschaft zur Ausbildung religiöser Vorstellungen geführt haben könnte. Luhmann beschreibt Religiosität als eine Art von Kompaß in einer mysteriösen Welt, in der sich längst nicht alle Phänomene und erst recht nicht der Sinn von Leben und Tod erklären lassen, und die deshalb weiter Unfaßbarkeiten bleiben. Die Ausbildung von Spiritualität geht Neurologen zufolge ebenfalls auf genetische Dispositionen zurück, trotzdem sie kein soziales Interaktionsmedium darstellt. Deshalb wird versucht, sie in Formen von Liebe, Wahrheit, Kunst und Moral zu ergründen, ohne sie dadurch wirklich fassen zu können. Der Glaube an etwas Größeres läßt sich aber im Hinblick auf das Verhältnis des erwähnten relativen und absoluten Raumes nicht von der Hand weisen: wo sich ein Raum ausdehnt, dehnt er sich in einem anderen, weiteren Raum aus; der läßt sich als Bedingung der Möglichkeit des relativen Raumes erfahren, aber nicht immanent erschließen. Damit bleibt er die unmarkierte transzendente Seite alles Bestehenden jenseits von Raum und Zeit, absolut.

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[...]


[1] So gehen die Naturwissenschaften im Gros noch von einer materialistischen, als absolut gesetzten Realität aus. Von diesem Standpunkt aus läßt sich z.B. Foucaults Diskursansatz auf eine als faktisch gesetzte statt ausgehandelte Historie nicht anwenden.

[2] „Your Inside is out and your Outside is in. Your Outside is in and your Inside is out.“ Beatles, White Album „Everybody´s Got Something to Hide Except Me and My Monkey“

Ende der Leseprobe aus 31 Seiten

Details

Titel
Der erkenntnistheoretische Ansatz der „Evolutionären Epistemologie“
Hochschule
Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder)
Veranstaltung
„Sprache – Erkenntnis – Wirklichkeit“
Note
1,0
Autor
Jahr
2005
Seiten
31
Katalognummer
V111326
ISBN (eBook)
9783640094042
Dateigröße
680 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Ansatz, Epistemologie“, Erkenntnis, Wirklichkeit“
Arbeit zitieren
Tilman Meynig (Autor:in), 2005, Der erkenntnistheoretische Ansatz der „Evolutionären Epistemologie“, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/111326

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