Der Fall Aldo Moro und seine Mythen


Hausarbeit (Hauptseminar), 2008

30 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Die Person Moro

3. historischer Kontext

4. Tat

5. Täter und Motive
5.1. Brigate Rosse
5.1.1. Geschichte der Brigate Rosse
5.1.2. Die Brigade und der Fall Moro
5.2. Die Täter hinter den Tätern – die Loge
5.3. Die CIA und die Gladio

6. Das Spinnennetz und seine Folgen
6.1. Was kam danach?
6.2. Fazit

7. Literatur

1. Einleitung

Ein unbekannter Anrufer meldet sich am 9.5.1978 bei einem Freund der Familie Moro. Er teilt ihm mit, dass das er von den Roten Brigaden sei und Moros Leiche in der Via Caetani in Rom zu finden wäre. Weinend bestätigt der Freund Moros, dass er alles verstanden habe und die Informationen an die Familie Moro weitergeben wird.

Einige 100m weiter in der Abhörzentrale der Polizei läuft ein Tonband mit und zeichnet das Gespräch auf. Ein Polizist hört dreieinhalb minutenlang mit, Zeit genug, um den Anrufer zu ermitteln und die beiden Polizeiwachen im Bahnhof, sie sind nur wenige Meter von der Telefonzelle entfernt, zu alarmieren.

So hätte es sein können, so war es aber nicht, stattdessen beendete der Anrufer sein Gespräch ungestört und entkam unerkannt.

Es ist nur ein Rätsel einer langen Kette von Pannen, die aus der Entführung und Ermordung des Präsidenten der christdemokratischen Partei Italiens (DC)[1] einen wahren Krimi werden ließen.

Mit dem Fall Moro nähern wir uns dem geheimsten aller Geheimnisses im Nachkriegsitalien. Niemand hat es bis heute wirklich ergründen können.[2]

Hinzu kommt die äußerst schwierige Quellenlage, die der Wahrheitsfindung massive Hürden in den Weg stellt. Was eine Interviewte als wahr zu erachten schien, revidierte ein anderer.

Nichts sollte an die Öffentlichkeit gelangen, alles wurde/wird verschleiert. Auch dadurch gewinnt das Ereignis an Mystik und sybillinischen Charakter. Warum vieles verschwiegen wurde, soll diese Arbeit deutlich machen. Dabei ist zu erwähnen, dass nur ein Einblick gewährt werden kann, denn die Thematik ist zu umfangreich. Das Anliegen ist es nicht alles minutiös zu analysieren und aufzulisten, vielmehr soll der gesamte Sachverhalt verstanden und überblickt werden. Daher werden immer nur Beispiele genannt, die jedoch auf Grund ihres exemplarischen-repräsentativen Charakters ausreichend offen legen, was es mit der Entführung Moros auf sich hatte.

Als Lektüre für diese Arbeit diente u. a. das Werk von Klaus Kellmann[3].Es besticht durch umfangreiche Informationen zum Tatablauf und beleuchtet den zeitlichen Kontext differenziert, wodurch historisches Kontextwissen vermittelt wird. Sehr ausführlich ist das Werk Gerhard Feldbauer.[4] Mit Hilfe dieser Literatur kann das Wissen über den Moro-Fall entscheidend erweitert werden. Außerdem ist Werner Raith[5] zu nennen. Er analysiert sehr detailliert, objektiv und beleuchtet das Geschehen von allen Seiten. Alle potenziellen Täter zählt Raith auf und untersucht sie kritisch. Der Schriftsteller Leonardo Sciascia[6] analysiert kritisch die Briefe Moros aus der Gefangenschaft und die politischen Reaktionen in Italien Allerdings ist das Werk für nicht sachkundige der italienischen Politikgeschichte schwierig zu verstehen und zu durchschauen. Sprünge zeitlicher und inhaltlicher Art sind nicht immer sofort nachvollziehbar und zu erkennen. Zum Schluss sei noch ‛ Lotta armata’ von Stefan Seifert aufzuzählen. Denn möchte man die Geschichte der Roten Brigaden kennen lernen, ist seine Arbeit unverzichtbar.

Auf diese Weise ist eine differenzierte Beantwortung, der im Laufe der Analyse entstehenden Fragen, zu erwarten.

2. Die Person Moro

Wer war eigentlich das Opfer? Sicherlich eine politische Persönlichkeit, die gerade der jüngeren Generation kaum bekannt sein dürfte. Diese wissenschaftliche Arbeit möchte nur einen kurzen Abriss seiner Biographie wiedergeben, da die Tat und deren Kontext wichtiger und aussagekräftiger sind.

Aldo Romeo Luigi Moro wurde am 23.9.1916 in Maglie/Apulien, also in Süditalien geboren. Er stammte aus bescheidenen Verhältnissen, dem typischen Mezzogiorno, was zu seiner Lebenszeit den Charakter eines Entwicklungslandes trug.

Der junge Süditaliener studierte Jura in Bari und engagierte sich frühzeitig für den katholischen Studentenverband, dessen Präsident er 1939 wurde. Hier stieß er das erste Mal auf seine späteren Kontrahenten Andreotti.[7] Als 29-jähriger war Moro Mitglied in dem 75-Männer-Gremium, das die Constitzione für die Verfassungsgebende Versammlung ausarbeitete. Der Mann aus Apulien zählte zu den Gründern der Republik und ergab sich dieser im vollen Sinne eines „devoten Dieners.“[8]

1945 ehelichte der politisch ambitionierte Mann Eleonora Chiaverelli, mit der er drei Töchter und einen Sohn hatte.

Der charismatische Christdemokrat, geprägt von einer tiefkatholischen Erziehung, kämpfte gegen die Mafia, Korruption und Terrorismus in seinem Land. Es wurde ihm Mangel an politischem Ehrgeiz attestiert, die sich mit einer ‛notorischen Bescheidenheit und dem Unwillen, reich zu werden’[9], paarte. Das Erbe des einstigen Jurastudenten stand sinnbildlich für diese Lebensphilosophie.[10] Doch wie sollte so einer bestochen werden, wir war er korrumpierbar? Er trennte strickt Privatsphäre und Beruf und diese Saubermannallüren stießen sicherlich nicht auf jedermanns Wohlwollen.

Streng an ethischen und moralischen Prinzipien orientiert, meinte er, seinem Volk in keiner Sekunde die Blöße geben zu dürfen.

Parallel zu seinem Aufstieg in der Partei vollzog sich dieser auch in den Staatsämtern. 1955 ernannte man ihn zum Justizminister. Zwei Jahre Später agierte er für zwei Jahre als Erziehungsminister, um dann von 1964-66 und 1969-74 das Amt des Außenministers zu bekleiden. Politische Lorbeeren verteilte man an Aldo Moro, indem sie ihn 1963-68 und 1974-76 zum Ministerpräsidenten auswählten.

Auch wenn der Eindruck geweckt wurde, Moro war ein Engel auf der Politebene, so trügt der Schein. Der Apulier hatte „eindeutig illegale und gesetzwidrige Transaktionen bis hin zu Waffenschiebereien, wenn nicht initiiert, doch zumindest gedeckt.[11] Allerdings hätte er das Gesetz nur umgangen, um die Regierungs- und Überlebensfähigkeit seines Landes zu sichern.

Bemerkenswert ist auch, wie ihn einige Zeitgenossen sahen, so wurde er mit der Romanfigur Herr M. aus dem Werk[12] von Leonardo Sciascia identifiziert. Der Protagonist des Romans steht für den Niedergang, die Korruption und Dekadenz der DC.

Bei weiterer Analyse seiner Person zeigt sich, dass er stets kontrovers aufgefasst wurde. Für die einen war Altruist, für die Anderen stetige Zielscheibe, die es zu treffen galt.

3. Historischer Kontext

Die Bevölkerung war mit der nationalen politischen Lage (All-Parteien-Koalition, jedoch nur die DC stellte die Minister) nicht zufrieden, eine nicht abreißende Kette von Demonstrationen, Streiks und Anschlägen war Ausdruck genug. Auch die Wirtschaft war weit entfernt von einer Blüte. Die Inflation galoppierte, die Unternehmen schrieben roten Zahlen und die Konkurrenzfähigkeit verschlechterte sich täglich.

Als friedliche Ausrufezeichen instrumentalisiert, dienten Entführungen von Personen, die der Aristokratie angehörten. Beispielsweise entführten die Roten Brigaden 1973 den Personalchef von FIAT, Ettore Americo, für acht Tage und 1974 den Staatsanwalt Mario Sossi für 35 Tag und inhaftierten sie im „Volksgefängnis.“[13] Allerdings wurde der Ton rauer. Die anni del piombo (Jahre der Bombe) folgten denn unter Moretti begann die brutale Alltagsrealität. Nach Schüssen in die Beine als Warnungen oder Bestrafungen, folgten nun regelrechte Hinrichtungen. Der Fokus lag hauptsächlich auf Staatsvertreter, Juristen, Gefängniswärter, Polizisten, Politiker der verhassten Democrazia Cristiana (DC) und deren Bodyguards wurden niedergeschossen. Die Presse sprach vom „Volkskrieg“ und so wurden allein für das Jahr 1978 exakt 1118 linksextremistische Anschläge gezählt.[14] Nun stellt sich die Frage, warum gerade 1978 in den Fokus der Betrachtung rückt, es war das Jahr der Moro-Entführung.

Als signifikantes Beispiel ist der Mord an den Polizeimeister in Turin am 10.3.1978 (sechs Tage vor der Moro-Entführung) zu nennen. Im gleichen Zeitraum hatte der erste Prozess gegen die erste Generation der BR begonnen, demzufolge galt der Mord als Warnsignal seitens der Roten Brigade. Am 24.3.1978 verletzten Schüsse von Brigadisten den ehemaligen Bürgermeister Turins schwer. Wenige Wochen (11.4.1978) später wurde Gefängnisaufseher Cotugno in Turin getötet und im selben Monat (20.4.1978) wurde di Cataldo in Mailand erschossen. Zu beiden Taten bekannte sich die BR.[15]

In 55 Tagen Geiselhaft Moros gab es mehrere Anschläge gegen Personen durch Brigadisten. Alle können aus forschungstechnischen Gründen nicht genannt werden. Aber das Italien von einem innenpolitischen Frieden weit entfernt war, versinnbildlichen die bereits angeführten Exempel ohne Frage.

Jedoch nicht nur 1978 war das Jahr der Attentate, auch schon vorher wurden zahlreiche Anschläge verübt. Erschütternd ist, aus welchen Beweggründen sie geplant und durchgeführt wurden.

Dabei begann alles auf der Piazza Fontane in Mailand:

Dort starben am 12.12.1969 siebzehn Menschen durch einen rechtextremen Bombenanschlag.

Als in Kalabrien eine Bombe im Freccia del Sud -Express explodierte (22.7.1970), forderte dies sechs Todesopfer. Im Frühjahr 1972 wurden in Peteano drei Carabinieri durch eine Autobombe getötet. Die Tat schrieb man der BR zu, allerdings wurde später enthüllt, dass der Sprengstoff aus dem Lager der Gladio stammte. Was hieß das?

Die Anschläge wurden teilweise inszeniert, um dann die Linksterroristen als Schuldige zu diffamieren. Diese Strategie der Spannung (strategia della tensione), die bewusst den Tod von Zivilisten in Kauf nahm, schürte Angst und Schrecken im Volke. Diese »Taktik« verfolgte das Ziel, den Ruf nach einem starken Mann/Staat laut werden zulassen und eine entsprechende Änderung der Verfassung herbeizuführen.[16]

Weitere Anschläge, von denen nie richtig geklärt werden konnte, auf welches Konto sie gingen, verschärften die Lage. In die Liste der Attentate reiht sich das Sprengstoffattentat auf eine Gewerkschaftsdemonstration in Brescia (1974) mit acht Toten. Im August des gleichen Jahres (4.August) zog ein neofaschistischer Anschlag auf den Schnellzug „ Italicus “ 12 Menschen mit in den Tod.

Interessant ist, dass das Weiße Haus diese Verbrechen nicht nur duldete, sondern sogar plante. Es wurde das Ziel verfolgt Moro einzuschüchtern.[17]

Allerdings soll dies nicht heißen, dass die BR mit einer reinen Weste dastand, aber es sollte bei der Bewertung beachtet werden.

Eine Konstituente, die die Spannungsstrategie mit heraufbeschwor war der Historische Kompromiss (compromesso storico). An dieser Stelle ist ein Exkurs unablässig, um den ganzen politischen Kontext mit aufzudecken. Es handelte sich um eine politische Liaison zwischen Moro und den Kommunistenführer Enrico Berlinguer. Für beide Politiker versprach der HK Heilung der politischen Zerrissenheit und Unruhen. Zu verstehen ist diese politische Linie als nationale Selbstbefreiung aus der „außenpolitischen Doktrin durch Bonn und Washington[18] “, was die Rückgewinnung der nationalen Souveränität mit einschloss. Die demokratischen Strukturen in Italien sollten vor einem möglichen autoritärem Regime und gezielten Angriffen geschützt werden.

Da Berlinguer nicht auf »Moskaukurs« war und gegen eine Einparteinherrschaft stimmte, suchte er einen Verbündeten, den er in der Person Moro fand.

Wo und wann die Beiden sich erstmalig begegneten, ist unklar. Erwiesen ist, dass mehrere Geheimgespräche stattfanden. Zudem wurde bereits über Pläne zur Regierungsbildung debattiert.

Das Ziel beider war es, den Zustand der nationalen Entwürdigung Italiens und den Einigungsprozess des Landes zu beenden. Frühzeitig waren sich beide Politiker der Gefahren ihres Bündnisses bewusst. Sie wussten, dass der Zusammenhalt beider Volksparteien äußeren Zerreisproben ausgesetzt werde.

Im Laufe der politischen Verhandlungen schraubte der Kommunistenführer sein Programm extrem zurück. Er sprach kaum noch von der Aufhebung des Privateigentums, von Verstaatlichungsproblemen oder der Schulreform.

Moro sozialdemokratisierte die Kommunisten gnadenlos, es war ihm bewusst, dass er die Kommunisten zum Regieren brauchte. Misstrauen und Zweifel blieb zwischen den Kommunisten und Sozialdemokraten bis zuletzt bestehen. Letztendlich beabsichtigte Moro die Kommunisten in drei Phasen in die Regierung zu integrieren:

1. Stimmenthaltung im Parlament
2. formaler Eintritt ins Regierungsbündnis
3. Übernahme von Ministerräten[19]

Dieses Vorhaben wurde jedoch von Moro wegen innerpolitischer Zwänge herausgezögert.

Nachdem er aber am 28.02.1978 vor seiner Partei eine Grundsatzrede hielt, nach der die KPI in eine „Regierung der nationalen Solidarität“ einbezogen werden sollte, bekam er grünes Licht von seinen Politkollegen. Am 15.03.1978 trafen sich Moro und Berlinguer dann zum letzten Mal.[20]

Mit diesem Bündnis klopften im Frühjahr 1978 die Kommunisten an die italienische Regierungstür, was die Alarmglocken im Weißen Haus zum Läuten brachte. Viele sahen nun die „Infiltration des Marxismus-Leninismus in die freiheitliche verfasste Gesellschaft.“[21]

Italien hatte die stärkste kommunistische Partei in der freien westlichen Welt. Bei den Wahlen vom 20.6.1976 lagen die Kommunisten mit 34,4% nur vier Prozent hinter den Christdemokraten. Damit regierte Andreotti faktisch von kommunistischen Gnaden, da er keine anderen Koalitionspartner fand.

Der Westen befürchtet, dass sich dieses Übel ausbreiten könnte. Diese Sorgen wurden zudem durch die europäische kommunistische Konjunktur verstärkt. In Frankreich waren mit Valèry Giscard d´ Estaing, Mitterand und Marchais, die Kommunisten auf dem Vormarsch. Santiago Carrillo galt als kommunistischer Vertreter Spaniens, der die Flaute Francos ausnutze und als kommunistischer Wanderprediger durchs Land pilgerte. Außerdem forderte der Kommunistenchef Alvaro Cunhal in Portugal den Kommunismus ein. Die gesamte romanisch–mediterrane Welt „litt unter dieser Krankheit“.[22]

Dieser Emanzipationsprozess der kommunistischen Parteien in Europa sollte eingeschränkt werden. Beispielsweise sollte ein Land mit kommunistischer Regierungsbeteiligung keine Kredite erhalten. Ähnliche politische Postulate der westlichen Welt, gipfelten in einem Kommunique im Jahre 1978, das eine kommunistische Integration in Regierungsgeschäfte kategorisch ablehnte. Selbst der befehlshabende Nato-General, Alexander Haig, erklärte, dass eine Machtpartizipation der Kommunisten gefährlich sei.[23] Moro allerdings verbat sich jedes Veto in inneritalienische Angelegenheiten.

Die Geschichte zeigte, dass der „Eurokommunismus“ nur ein Strohfeuer war, denn die nichtkommunistischen Parteien waren letztendlich stark genug, um allein regieren zu können oder sich eher Minderheitsregierungen bildeten, bevor die Kommunisten mit ins Boot rein gelassen wurden. Nur in Italien sah die politische Lage anders aus (siehe Wahlergebnisse).

Die Unruhen kulminierten in dem Rücktritt Andreottis am 16.1.1978, womit das Land praktisch ohne Führung dastand.

4. Tat

Der Zeitraum der Entführung ist vom 16.3. bis 9.5.1978 datiert. Endlose 55 Tage Geiselhaft, 55 Tage zwischen Bangen und Hoffen für die Angehörigen Moros. Das Attentat wurde später als „militärische Aktion“ und „Glanzstück an Perfektion“[24] bezeichnet, was bei der Vorstellung der potentiellen Täter noch zum Tragen kommen soll.

Viele Entführungen wurden an nicht willkürlich ausgesuchten Tagen durchgeführt. Es verwundert also nicht, dass der Tag der Vertrauensabstimmung für das neue Bündnis (Realisierung des Historischen Kompromisses; DC+KPI) der 16.3, der Entführungstag war.

Moro hatte bereits eine böse Vorahnung und war sich seiner Gefahrenlage bewusst.

In der Politik gibt es eben diese Risiken, du wirst sehen, daß sie uns unsere politische Linie bezahlen lassen[25]

Am 26. Januar 1978 gab der venezolanische Botschafter in Rom die Autokennzeichen seines Dienstwagens zurück. Woher die Roten Brigaden diese Informationen erhielten, ist ungewiss, aber sie druckten sie nach, befestigten diese an ihrem gestohlenen Fiat 128 und patrouillierten so die Wohngegend Moros. Des Weiteren mieteten sie sich in seiner Wohngegend ein Zimmer und konnten nun Moros Lebens protokollarisch verfolgen und aufzeichnen. Die heiße Phase hatte begonnen.

Ob reine Intuition oder Präventionsmaßnahmen, jedenfalls beantragte der DC-Präsident Moro ein weiteren gepanzerten Dienstwagen. Dieser wurde jedoch abgelehnt, denn als Parteichef konnte er nur den Luxus eines schutzsicheren Wagens genießen.

Außerdem mietete eine gewissen Anna Laura Braghetti, Brigadisten und spätere Kronzeugin, eine Wohnung in der unmittelbaren Umgebung von Moros Wohnort an. Hier verkehrten Personen wie Moretti und Gallinari (Persönlichkeiten der BR) und alles geschah unter der Beobachtung der Carabinieri.[26]

Aber was war hier noch Schutzmaßnahmen der Polizei und was Infiltration? Die Grenzen waren schwimmend und gewannen immer mehr an mafiosen Zügen.

Auch die Leibgarde spürte seit Tagen, dass etwas in der Luft lag. Mangelnde Technik und Sicherheitsstandards trugen ihr übriges zur Unsicherheit bei.

Wie jeden Tag bereiteten die fünf Leibwächter[27] Moros die morgendliche Abreise zum Dienstbeginn vor.

Am 16.3.1978, kurz vor neun Uhr, verließ Moro die Wohnung. Zu dieser Zeit waren bereits alle möglichen Anfahrtswege zum Tatort in der illegalen Gewalt der Brigadisten. Sie inszenierten einen Auffahrunfall in der Via Fani und schlugen Punkt neun Uhr zu.

Moros fünf mannstarke Eskorte wurde regelrecht hingemetzelt, während der italienische Ministerpräsident mit einem Klammergriff in den weißen 132er Fiat verfrachtet wurde.[28] Am gleichen Tag gingen in ganz Italien Anrufe ein, die die Brigate Rosse als Täter reklamierten.

Zwei Tage darauf erschien das communiquato n. 1 (Kommunique 1) mit einem Foto Moros.

Ein grober chronologischer Überblick soll schildern, was in den 55 Tagen der Geiselhaft passierte und bewegte.

- 21.3. Es werden Sondergesetze erlassen, die Verhöre, Untersuchungen u. ä. erleichtern sollen.

- 25.3. Das communicato n. 2 erscheint .

- 29.3. Moros Briefe an seine Frau, Rana und Cossiga werden übersandt und veröffentlicht. Im gleichen Zeitraum wird das communicato n. 3 herausgegeben. Außerdem bringt Moro erstmalig den Gefangenenaustausch ins Gespräch. Zu unterstreichen ist hier, dass vor und nach dem Moro-Fall immer Verhandlungen mit den Entführern geführt wurde. Nur diesmal wird die Linie der » fermezza «[29] von allen vertreten und es kommt zu keinem Konsens.[30]

- 30.3. Andreotti verkündet, dass die Briefe Moros unter Druck geschrieben habe, was später widerlegt wurde. Auf diese Weise versuchte Andreotti die fermezza zu relativieren und zurechtfertigen.

- 2.4. Der Papst appelliert an die BR, Moro freizulassen, ob dies jedoch sein wahrer innerer Wunsch war, ist zu bedenken. Die These der Mittäterschaft des Vatikans untermauert diesen Gedanken.

- 3.4. Es werden Kontrollen in Rom durchgeführt, an deren Ende 233 Inhaftierte zu Buche stehen, von denen 46 in Haft bleiben.[31]

- 4.4 communicato n. 4

- 8.4. Die Polizei verhängt eine Kommunikationssperre über die Familie Moro, da Eleonora Moro eine eigene Linie verfolgt, mit der sie ihren Mann befreien möchte. Die Briefe Moros, in denen er Ratschläge zur Sprengung des harten Blocks der Nichtverhandler gibt, werden abgefangen und geheim gehalten.

- 14.4. Der amerikanische Präsident, Carter, bestätigt nochmals öffentlich die Unterstützung der harten Linie Andreottis.

- 15.4. Im mittlerweile sechsten communicato verkündet die BR das Prozessende und das Todesurteil des Gefangenen.

- 17.4. Die Entführung schlägt immer größere Wellen und so bittet nun auch Amnesty International um Gnade für den Ministerpräsidenten. Erstaunlicherweise ist die PCI (partito comunista italiano) gegen jegliche Form der Einmischung.

Die Fama wird verbreitet, dass Moro bereits ermordet sei und im Lago di duchessa versenkt worden sei .

- 18.4. Als in der Via Gradoli in Rom eine Wohnung der BR entdeckt wird, scheint Bewegung in die Sache zu kommen. Doch die Flamme der Hoffnung erlischt schnell.

- 21.4. Die Briefe Moros an Zaccagnini lassen erneut seine Kritik an der Verhandlungspolitik erkennen. Der erste Mann der DC wirft seiner Partei Unbeweglichkeit und mangelnden Einsatz vor. Aussagekräftig ist allein der Vorfall, als der Krisenstab der DC erst nach dem Ablauf des Ultimatums der BR berät, was zu tun sei. Die Abgeordneten wurden schlichtweg nach Hause geschickt und erst nach der Deadline berief man das Gremium zur Abstimmung erneut ein.[32]

Obwohl sich immer mehr internationale Größen für Moro einsetzen, z. B. der Generalsekretär der UNO, Kurt Waldheim, bleibt Moro in Gewahrsam. Aber durch dieses Engagement politischer Institutionen o. ä. werden die Brigadisten politisch anerkannt.

- 24.4. Zum ersten Mal gibt es einen Vorschlag des Gefangenenaustausches seitens der BR. Moro fordert nun erneut die PCI auf, zu verhandeln und verfügt gleichzeitig, dass kein Partei- oder Staatspräsident seinem Begräbnis beiwohnen dürfe.

- 5.5.1978 Das letzte Kommunique (neunte) erscheint. Am gleichen Tag erhält Eleonora Moro einen Abschiedsbrief ihres Mannes.

- 8.5. Plötzlich scheint es noch mal aufwärts zu gehen, denn der Präsident der Republik, Giovanni Leone, versichert Moros Frau, dass er den Gnadenerlass für die zum Austausch geforderten Gefangenen unterzeichnen wird. Letztendlich beugt er sich aber doch Andreotti und signiert nicht.

- 9.5. In der Via Caetani, also im Zentrum Roms, wird die Leiche des Politikers entdeckt.[33]

- 10.5. Nur einen Tag später findet das Begräbnis statt und Moros Verfügungen werden berücksichtigt.

Das Mordverbrechen konnte bis heute nicht völlig rekonstruiert werden. Laut Moretti (Brigadist) sei es in der Tiefgarage der Via Montalcini geschehen, wo zur Wohnung ein Garagenplatz gehörte. Aus der Wohnung sei Moro in einem Strohkorb in die Garage getragen worden, dort sei er aus dem Korb gestiegen und in den Kofferraum des R4 gezwängt worden.[34] Hier hätte die Geisel die Gelegenheit gehabt, sich auftauchenden Passanten gegenüber bemerkbar zu machen, aber er nutzte die Chance nicht.[35] Allerdings ist diese Variante Morettis anzuzweifeln, da die Gefahr bestand durch plötzlich auftauchende Personen, entlarvt zu werden.

Als gesichert gilt, beruhend auf ballistische Untersuchungen, dass das Opfer erschossen wurde, als es zusammengepfercht im Kofferraum lag.

Der italienische Staatspräsident wurde von 11 Kugeln getroffen, von denen neun aus einer Maschinenpistole Skorpion mit Schalldämpfer und zwei aus einer Colt-Pistole 9mm ohne Schalldämpfer stammen.

Die Autopsie besagt, dass die letzte Kugel ein Art Gnadenschuss war. Außerdem musste Moro seine Mörder kurz gesehen und ihre Intentionen erkannt haben. Denn er hob instinktiv die rechte Hand, die von einem Geschoss getroffen wurde und dieses schlug von dort bis zum Lungeflügel durch. Am Ende sind es sieben Geschosse, die in seiner Lunge steckten, wodurch der Ministerpräsident einen Liter verlor. Die Obduktion besagte, dass der Tod zwischen neun und zehn Uhr eingetreten sei. Verwunderlich ist daher, dass der Brigadist, Germano Maccari, zu Protokoll gab, dass Moro zwischen sechs und sechs Uhr und 30 Minuten getötet worden sei. Die Leiche bedeckte man mit einer orangefarbenen Decke und darüber einen Mantel.[36]

Obwohl die Geisel weder Foltern noch Drogen ausgesetzt war, verlor sie in den 55 Tagen Gefangenschaft 11 Kilo.

Der Ort (Nähe des Gebäudes der KPI) der Abstellung der Leiche ebenso die rote Farbe des Renaults symbolisieren, dass der Vorsitzende der Democrazia Cristiana wohl ein Opfer seiner Regierungszusammenarbeit mit den Kommunisten geworden ist.

Bis heute konnte nicht geklärt werden, an welchem Ort der Entführte 55 Tage festgehalten wurde. Auch ist es nicht recht zu rekonstruieren, wie Moro vom Tatort weggebracht wurde. Die Erklärungsversuche halten keiner kriminalistischen Analyse stand.[37]

Eine sehr interessante und gar nicht abwegige zieht den Vatikan mit ins Boot der Moro-Entführung.

Die Brigadisten passierten die Via Massimi, in der sich die Residenz von Erzbischof Marcinkus befand. Genau diese Adresse hatte der an der Tat beteiligte Morucci in seinem Notizblock vermerkt. Da die Wohnung des Erzbischofs auf dem Boden des Vatikans lag, genoss sie diplomatische Immunität und war bei der Durchsuchung des Stadtgebietes ausgenommen. Es besteht also der berechtigte Verdacht, dass die Entführungsfahrt bereits an diesem Ort endete oder zumindest sich vorübergehend dort befand. Die Verbindung könnte u. a. durch Michele Sindona hergestellt worden sein. Er leitete das Institut für die Religiösen Werke, womit die Finanzierung der Tätigkeiten des Heiligen Stuhls und besonders die geheimen Bankgeschäfte für den Klerus abgewickelt wurden. Der von Sizilien stammende Rechtsanwalt hatte Kontakte zur Mafia und war Mitglied der P2 und damit eigentlicher Verbindungsmann zwischen Vatikan, Mafia, Freimaurerei und großer Politik[38]

Was aber hatte es mit dem prigione del populo, Volksgefängnis, auf sich, in dem Moro inhaftiert wurde?

Es gibt nur eine Erklärung: mit dem ‛Volksgefängnis’ muss es etwas auf sich haben, „was sogar diejenigen, die es wissen, entweder so einschüchtert, dass sie es nicht sagen oder was ihnen beim Schweigen eine gewisse Hoffnung für die Zukunft macht.“[39] Dass sie alle schweigen, kann nur eins bedeuten, dass mit dem Gefängnis der gesamte Hintergrund des Moro-Falls mit aufkäme. Deshalb gibt es bis heute keine hieb und stichfesten Beweise zum Volksgefängnis. Es muss sich aber um ein für die Fahndung unantastbares Versteck gehandelt haben, untergebracht auf exterritorialem Gebiet im Gebäude einer diplomatischen Vertretung, das keiner Überwachung unterlag. In Betracht kommen aus heutiger Sicht die amerikanische und israelische Botschaft oder wie schon erwähnt der Vatikan.

Was Israel betrifft, könnte die Erwägung zunächst verwundern. Aber Israel stand der von Moro maßgeblich konzipierten Außenpolitik, die in der UNO eine Vorreiterrolle für proarabische Resolution und mehrfach für die Freilassung inhaftierter Palästinenser sorgte, ausgesprochen feindlich gegenüber.[40]

In Briefen, die später als „Il Memoriale di Aldo Moro“ (Die Erinnerung Aldo Moros) bezeichnet wurden, rechnete der italienische Ministerpräsident unerbittlich mit der Regierung, seiner Partei und sogar mit dem Papst ab, die ihn dem Tod überließen.

So schrieb Moro, dass er „keinem vergeben und niemanden entschuldigen werde.“[41] Weiter führte er aus, dass die DC nicht glauben solle, dass mit seiner Ermordung das Problem gelöst sei. Der hochintelligente Analytiker Moro hatte das undurchsichtige Netz der Intrigen von italienische Regierung, NATO, CIA, um nur einige zu nennen, durchschaut. Allerdings konnten die originalen Aufzeichnungen Moros nie gefunden werden, sondern nur »angebliche« Abschriften.

Kurze Zeit nach dem Mord an Moro legte der damalige Innenminister Cossiga einen ausführlichen Bericht über den Verlauf der Moro-Entführung vor. Im Folgenden werden nur einige markante Fakten aufgelistet:

Landesweit wurden 510.724 Polizisten, davon 172.270 in Rom sowie 104.417 Fahrzeuge (21.399 in Rom) eingesetzt. In den 55 Tagen der Geiselhaft wurden 72.460 Straßensperren errichtet und landesweit 1.986 Razzien durchgeführt. 172.000 Polizisten waren im Einsatz und es existierten 6.296 Straßensperren. Zusätzlich wurden während der 55 Tage 167.109 Personen und 96.572 Fahrzeuge untersucht.[42] Doch Moro blieb unauffindbar, wen verwundert es?

Demzufolge versuchte die erschlagend wirkte Statistik, offensichtlich über den Misserfolg der Fahndung hinwegzutäuschen. Doch gelang dies nicht wirklich.

Es bleibt festzuhalten, dass es kein „einfacher Mord“ war, sondern eine Tat von weltpolitischer Natur. Der Sündenfall des Westens im Kalten Krieg ist nicht zu übersehen.[43] Die Fiktion von 1976 „Die Affäre Aldo Moro“ in der Regie von Giuseppe Ferrara wurde zur grausamen Realität.

5. Täter und Motive

Lange Zeit wurde angenommen, dass die Tat ausschließlich von der Brigate Rosse ausgeführt wurde. Ihre ideologische Besessenheit und Verblendung postulierte die Zerstörung des bürgerlichen Staates sowie die Vorherrschaft in der europäischen Terrorismus Liga. Doch waren sie eventuell nur nützliche Instrumente von anderen Regisseuren?

Wie verzwickt und undurchsichtig il caso Moro war und ist, beweist die folgende Anekdote:

Am 16. März 1978 befand sich der Oberst Camillo Guglielmi, Direktor des Büros für innere Sicherheit des Geheimdienstes SISMI[44], zum Zeitpunkt des Überfalls auf Moro in der Via Fani und wurde Augenzeuge des Blutbades. Jahre später wurde er von der Parlamentskommission zur Untersuchung des italienischen Terrorismus` nach dieser zufälligen Anwesenheit befragt.

Angeblich sei er auf dem Weg zu seinem Kollegen, Oberst Armando D’ Ambrosio gewesen, da er mit ihm zum Mittagessen verabredet gewesen sei. Zur Erinnerung: Moro wurde im Zeitraum von 9:05 bis 9:15 entführt. Essen die Italiener morgens Mittag? Der ebenfalls befragte Kollege, versicherte zwar die Begegnung, ergänzte aber, er habe Guglielmi weder erwartet, noch war man zu Tisch verabredet. Des Weiteren gibt der Geheimdienstchef zu Protokoll, dass er nicht eingreifen habe können. Nie wird er als Zeuge für die in den folgenden Jahren stattfindenden Prozesse gegen die Brigate Rosse vorgesehen.[45]

In der Literatur wird bei der Täterschaft immer wieder auf einen ganzen Pool von potenziellen Tätern hingewiesen. Die in- und ausländische Geheimdienste, v. a. CIA, rechtsradikale Kreise, links- und rechtsterroristische Bünde, die italienische Mafia (sizilianische Cosa Nostra, neapolitanische Camorra und kalabresische N´drangheta), Regierungsrepräsentanten und Parteifreunde, alle sollen involviert gewesen sein. Wie plausibel und überzeugend diese Thesen sind, wird im Folgenden erörtert.

5.1. Die Brigate Rosse

5.2.1. Geschichte der Roten Brigade

Während einer Autofahrt 1970 im klapprigen Fiat 850 quer durch Mailand, diskutierten die Genossen, z. B. Renato Curcio (Gründungsmitglied), Namen für ihre in den Kinderschuhen steckende Organisation. In Anspielung auf Partisanenbrigaden, die Mussolini und Claretta Petacci öffentlich aufhängten, adaptierte man Brigade und da sie während ihrer Stadtrunde an einem Gebäude der Volante Rossa vorbeifuhren, war auch das Adjektiv gefunden und der Name Brigate Rosse geboren.

Für die erste Aktion gegen die Autos von „Aufsehern“ bei Pirelli diente der Name sogleich als Identifikation. Der fünfzackige Stern im Kreis symbolisierte den schiefen Stern der Tupamaros[46] womit „auf internationale Bezüge“[47] verwiesen wurde. Des Weiteren diente die Hundert-Lire-Münze als Kreisvorlage.

Im zeitlichen Umfeld dieser Autofahrt formte sich der Gedanke, die Geschichte der sinistra proletaria [48] zu beenden. Es sollte zur „bewaffneten Propaganda“ übergegangen werden.

In einem einsamem Nest in den Albaner Bergen, Velletri, lag die Schaltzentrale der Brigate Rosse. Es bestanden frühzeitig Kontakte zur RAF und der französischen Action Directe.

Ziel der Brigade war es, den gesamten europäischen Imperialismus zu vernichten.[49] Dabei kehrte sicher der italienische Linksterrorismus von der kommunistische Partei ab. Im Gegensatz zur deutschen Szene gab es eine Verankerung der Roten Brigade in den Großbetrieben Italiens, z. B. Fiat, Pirelli und Siemens.[50]

Die Führungsfiguren der BR stammten aus den KPI[51] -Jugendorganisationen der Emilia Romagna, die sich Ende in den 60er Jahre zum Collettivo Politico Metropolitano zusammenschlossen. Der Historische Kompromiss trieb die Notwendigkeit eines bewaffneten Kampfes aus Sicht der BR an, denn „dieser Verrat an der Arbeiterklasse schrie nach Rache.“[52] Daher entführten Curcio, Prospero Gallinari, Alberto Franceschini anfangs Wirtschaftsbosse. Die Inhaftierten wurden meistens wieder freigelassen ohne dass Ihnen Leid zugefügt wurde. Nicht selten stattete man sie gar mit Telefon- und Busfahrkarte aus. Als die Terroristen beispielsweise einen Siemensoffiziellen freiließen, sandten sie seine Armbanduhr nach, die sich noch bei ihnen befand.

1974 gilt als das Umbruchsjahr der BR. Nach einem rechtsextremen Bombenattentat in Brescia bei dem acht Todesopfer zu beklagen waren, streckte die BR zwei Neofaschisten in Padua nieder und das Blut vergießen hatte begonnen.

Allerdings saß bereits Ende 1974 der Gründerkern hinter Schloss und Riegel und die Rote Brigade schien Geschichte zu sein.

Jedoch Mario Moretti baute die Organisation wieder auf. Von nun an lag die Konzentration mehr auf militärischem Drill, als auf soziologischer Ausrichtung. Diese Neustrukturierung brachte Moretti an die Spitze der Macht. Der Übergang vom „bewaffneten Frieden zum offenen Krieg“ war vollzogen. Das Motto hieß nun: „ Lotta armata“ – der bewaffnete Kampf.[53]

Die Gründergeneration hatte noch Kontakt zur Arbeiterwelt und zu kommunistischen Gewerkschaftsgruppen. Sie verstanden die Arbeiterschaft als ihre eigentliche Machtbasis. Die colonna romana, eine von Moretti rekrutierte Gruppe der BR , hingegen schloss ideologisch ähnliche Gruppierungen aus und zeichnete sich durch eine konsequente Trennung zur Arbeiterschaft, der Gesellschaft überhaupt, aus. Der Schwerpunkt dieser Formation lag beim militärischen Drill und der Sicherheit im Umgang mit Handfeuerwaffen.

Moretti baute den Kontakt zum Pariser Hyperion-Institut (getarntes Spracheninstitut des amerikanischen Geheimdienstes zur Steuerung des europäischen Linksterrorismus`) auf. Dieses Institut war auch das wichtigste Kontaktbüro der CIA in Europa.[54]

5.2.2. Die Brigade und der Fall Moro

Oberflächlich betrachtet schien es klar zu sein, dass die Tat zu der Linie der bisherigen Aktivitäten des italienischen Linksterrorismus passte und alles auf die BR hindeutete. Zudem wurde diese These noch untermauert, da sie sich selbst zu der Tat bekannten.

Bereits 1977 plante Moretti die Entführung eines hohen Politikers der regierenden Christdemokraten. Seine Parole hieß: „Angriff auf das Herz des Staates.“[55] Die Regierungen der kapitalistischen Welt sollte ausgeschaltet werden und als Repräsentant der italienischen Regierung kam unweigerlich Moro in Frage. Die Zerstörung des Stato imperialista delle multinazionali, kurz SIM, sollte die Lösung allen Übels sein. Die führenden Repräsentanten dieser Superregierung der kapitalistischen Welt sollten unter der Führung der Brigadisten liquidiert werden. Moro galt als Paradebeispiel des SIM.

Einige Bekennerschriften der Roten Brigaden machten den Anspruch einer ‛geometrischen Militärmacht’[56] über Westeuropa evident.

Offiziell wurde dem charismatischen Politiker der Prozess in einem prigione del popolo gemacht. Ein Anklagepunkt der in diesem Volksgefängnis verkündet wurde, lautete: „Moro ist ein Stratege dieses christdemokratische Regimes, dass seit 30 Jahren das italienische Volk unterdrückt.“[57]

Wie undurchsichtig und komplex der ganze Sachverhalt ist, wird u. a. dadurch deutlich, dass sich im Laufe des Moro-Pozesses selbst die Gruppe der Brigadisten spaltete. Die erste Generation der BR, die capi storici, war geradezu überrascht von der Moro-Entführung . Während die Fraktion um Hardliner Moretti für die Tötung des Ministerpräsidenten stimmte, forderten Curcio und seine Leute gar die Freilassung. Denn im Gegensatz zu Moretti durchschaute er den Polit-Komplott, wenn er nach der Hinrichtung Moros konstatierte: „Moro war eine zentrale Persönlichkeit des politischen Lebens in Italien. Um sein Leben zu retten, hat man die Tür nicht einen Spalt aufgemacht.“[58] Es gab anscheinend verschiedene Ziele, die mit der Moro-Entführung verfolgt wurden. Ein Teil der Brigadisten beabsichtigte die Umsetzung ihrer politischen Forderungen und richtete sich damit gegen den Staat, die andere Seite handelte personzentriert. Es sollte keine politische Revolution herbeigeführt, sondern, lediglich ein Störfaktor beseitigt werden. Handelte diese Gruppe der Brigadisten aus eigener Initiative oder gab es Auftrageber?

Dass es eine „Unterstützung der Roten Brigaden von Seiten der tschechoslowakischen und sowjetischen Regierung, mindestens aber des KGB gab“[59], ist bewiesen. Denn die Sowjetunion fürchtete, dass die Demokratisierung des italienischen Kommunismus` auch auf den Ostblock abfärben konnte.

Hingegen ist bis heute die offizielle Einschätzung der PCI, dass das Attentat eine ausschließlich auf die kommunistische Partei gerichtete Aktion war.

Wir müssen uns unmittelbar bewußt sein, daß die Ziele der Terroristen nur folgende sein können: den Staat in die Knie zu zwingen, unseren Eintritt in die Mehrheit zu behindern, die Freiheit ihrer Genossen zu erreichen.[60]

Aber erst im Kommunique 7 forderten die Brigadisten: „Eine Freilassung Moros kommt nur im Zusammenhang mit der Freilassung kommunistischer Gefangene in Betracht“[61], aber festzuhalten ist, dass dieser Tauschvorschlag seitens der BR, konkret und namentlich zum ersten Mal 40 Tage nach der Entführung gestellt wurde. Moro dagegen plädierte bereits Ende März in einem Brief an Innenminister Cossiga für einen Gefangenenaustausch, ohne Erfolg. Moro fügte hinzu: „zwischen meinem Standpunkt und dem der Roten Brigaden gibt es nicht die geringsten Gemeinsamkeiten.“[62]

Stattdessen unterstellte die Regierung, dass Moro unter Drogen und Druck solche Äußerungen tätigte. Da keiner helfend eingriff, reifte in ihm der Verdacht, dass es um die Härte ihm gegenüber durchzuhalten, amerikanische und deutsche Weisungen gegeben habe.[63]

5.3. Die Täter hinter den Tätern – die Loge

1963 schrieb sich Licio Gelli als Freimaurer ein. Gelli war ein italienischer Matratzenhändler, der nach Ruhm, Macht und Geld strebte und dabei über Leichen gehen sollte.

Der später als der »Puppenspieler« bezeichnete Italiener, war stetig auf der Suche nach Kontakten, Freundschaften und Einfluss bei den eigentlichen Staatsleuten und Entscheidungsträgern im weltpolitischen Maßstab. Sein Geschäft mit Matratzen diente hierbei nur als Tarnung einer gutbürgerlichen Existenz nach außen.

Bereits 1960 wohnten Andreotti und Kardinal Ottaviani der Grundsteinlegung einer Matratzenfabrik von Gelli bei, was auf intensive Verbindungen schließen lässt.

Endlich, im Jahr 1965, kam es dann zur Wende im Leben Gellis. Durch einflussreiche Freunde in Rom war es ihm gelungen, den Zugang zur Loge Propaganda Due, kurz P2, zu gewinnen. Schnell entwickelte er sich zum Zugpferd des Bundes, welches immer mehr Führungsgestalten aus Politik, Wirtschaft und Militär in die P2 lockte. Sein Aufstieg war rasant und so fungierte der ehemals kleine Matratzenhändler ab 1970 als beherrschende Figur der P2.[64]

Die Frage, was die P2 war, blieb bis heute unbeantwortet. Viele Legenden und Spekulationen umgeben sie und es gibt mehrere Erklärungsversuche.

Für die einen ist sie keine Neben- oder Schattenregierung, sondern die eigentliche politische Leitung Italiens und für die anderen eine Art Club, der unter Kommunismusangst litt und in Wirklichkeit nicht viel zu sagen hatte. Als historisch gesichert gilt, dass sie 1877 von den Freimaurern gegründet wurde. Außerdem wurde später herausgefunden, dass hinter der P2 ein weiteres entscheidendes Machtzentrum mit internationaler Organisation stand.

Die P2 pflegte intensive Beziehungen zu den Geheimdiensten der westlichen Länder und zu bewaffneten Gruppierungen, was ihr das Prädikat „schwarze Internationale“ verlieh. 1975 hatte die Loge einen Plan zur demokratischen Erneuerung Italiens entworfen. Es sollten alle Bereiche des öffentlichen Lebens mit P2-Leuten besetzt und kontrolliert werden.

Allerdings änderte Gelli seine politische Ausrichtung, weil sich ein allgemeiner politischer Wandel vollzog, dem er sich anpassen musste. Im Sinne der demokratischen Erneuerung sollten die Gewerkschaften gespalten werden und er plante den Aufkauf der DC, die einer katholischen Volkspartei weichen sollte. Des Weiteren war es das Ziel der P2, die „politische Konditionierung des Systems“[65] z. B. Präsidialrepublik oder autoritär-technokratisches Obristenregime (vgl. Argentinien oder Griechenland) herbeizuführen.

In Bezug auf Licio Gelli und der Loge fiel auch immer wieder der Name Andreottis. Gelli und Andreotti wollten die westliche Welt vor dem Kommunismus bewahren.[66]

Der Osservatore politico (politischer Beobachter), eine Zeitschrift die von der P2 aufgebaut wurde, publizierte 1975 kataphorische Aussagen über Moros Zukunft, z. B. ‛Wenn Moro beim nächsten Parteitag noch lebt.’[67]

Die P2 plante eine Staatseroberung von innen, einen sogenannten „ bianco colpo di stato[68], den »weißen Staatsstreich«.

Moro war ständig Bestechungen und Bedrohungen ausgesetzt, die sich mit seinem Karriereanstieg intensivierten. 1964 drohte der Carabinieri-General, Giovanni de Lorenzo, mit Plänen, die auf einen Putsch hinauslaufen, um somit Einfluss auf die Reformprogramme und die Ministerliste nehmen zu können. Es wird vermutet, dass der Geheimchef lediglich als Marionette Andreottis fungierte. Der unermüdliche Widersacher Moros ließ keine Chance ungenutzt, den Einflussbereich Moros einzudämmen und den Historischen Kompromiss aufzulösen. Somit konnte sich der HK nur negativ für Moro auswirken. Denn die einen sahen in ihm ein Ausnutzen der Kommunisten[69], wobei andere Stimmen forderten: „Nun macht euch doch endlich frei von dem Marxisten Moro.“[70] Auch ein Wahlslogan der Christdemokraten sprach nicht gerade von Sympathie: „Unser Programm für das Frühjahr. Linke an die Regierung, Moro in den Mülleimer“[71]. Moro strebte ständig nach der praktizierenden Kooperation von Christdemokraten und Kommunisten.[72] Ein Vorhaben, was aussichtslos schien.

Aber was hatten die Figuren um die Loge und andere Staatsdienern durch den HK zu befürchten? Berlinguer und Moro galten als Saubermänner der Politik und so fürchten die feinen Herren einen Rundumschlag gegen ihre Geschäfte und die Beschneidung ihre Einflusssphäre.

Der HK polarisierte: auf der einen Seite die Rechtsparteien, die USA, der hohe Klerus, Anhänger Andreottis, die auf präsidiale, wenn nicht autoritäre Verfassung abzielten und auf der anderen Seite die eurokommunistische, teilweise schon sozialdemokratisierte KPI, Gewerkschaften, der Linkskatholizismus, die Intelligenz, Moros Glaubensgenossen und die Mehrheit der Bevölkerung, die sich für einen demokratisierten souveränen Staat einsetze.

Das politische Gremium Andreottis setzte sich fast nur aus Logenmitgliedern zusammen und so verwundert es nicht, dass sich 57 Logenmitglieder mit der Fahnung befassten.[73]

Beispielsweise befanden sich im Telefonbuch Morrucis (BR-Mitglied), was bei seiner Verhaftung 1979 entdeckt wurde, interessante Nummern u. a. die des am Tage der Entführung im Polizeipräsidium von Rom diensthabenden Polizeikommissars, Antonio Esposito, Mitglied der P2 und die von Giovanni Romeo, langjähriger Verantwortlicher der Gladio-Division.

Sie halfen dabei Spuren zu verwischen S und legten falsche Fährten. Einem bereits zwei Tage nach der Entführung eingegangenen Hinweis auf ein Brigadestützpunkt in der Via Gradoli in Rom, wurde nicht nach gegangen.

Alle Leiter von nationalen Geheim, Sicherheits- und Nachrichtendiensten, die im Rahmen einer Personalumstrukturierung ausgetauscht wurden, waren Gesinnungsbrüder der Loge.

Die Neuformierung der Geheim- und Nachrichtendienste in Italien wurde 1978 um ein halbes Jahr vorgezogen und begann »zufällig« im Januar. Da die »Neuen« eine gewisse Einarbeitungszeit benötigten, gab es zur Zeit der Moro-Entführung faktisch keine seriösen Geheimdienste. Es stellte sich heraus, dass die Logenmitglieder an allen entscheidenden Schaltstellen in Wirtschaft, Staat und Gesellschaft saßen und den Fahndungsapparat während der Moro-Entführung total kontrolliert hatten.[74] Warum also die Fahndung „dilettantisch“[75] und nicht nachvollziehbar verlief, dürfte hiermit erklärt sein.

Der Anwohner der Via Fani, Gerado Nucci, machte zufälligerweise Bilder von der Tat, mit denen die Täter zweifelsfrei überführt hätten werden können. Seine Frau händigte diese Beweismittel dem zuständigen Untersuchungsrichter, Infelisi, aus. Allerdings verschwanden sie auf mysteriöse Weise und sind bis heute nicht auffindbar. Der Fall liegt klar, sie mussten weg, um die Alleintäterschaft der BR zuschreiben zu können, denn offensichtlich war jemand auf den Fotos, der nicht hätte drauf sein dürfen.

Außerdem bestätigten Zeugenaussagen die Anwesenheit von Antonio Nirta, führendes Mitglied der `Ndrangetha. Er wurde von Francesco Delfino, Carabinieri-General mit ins Boot geholt wurde. Des Weiteren wurden Beweise geliefert, dass der Führungsoffizier des militärischen Geheimdienstes SISMI, Pietro Musumeci, vorab von der Operation unterricht wurde, womit das unglaubliche Bild der Intrige komplettiert wird.[76]

Der Mietvertrag der Wohnung in der Via Gradoli wurde von einem Anwaltsbüro aufgesetzt, das der SISDE-Mitarbeiter[77] und spätere Chef dieses Geheimdienstes betrieb, Vincenzo Parisi. In den Mafia-Prozessen der 80-iger Jahre wurde er der Zusammenarbeit mit der »Ehrenwerten Gesellschaft« beschuldigt.[78] Die Nachbarn des Brigadelagers waren Polizei- und Geheimdienstmitarbeiter. Der zivile und militärische Geheimdienst war wohnhaft in der Via Gradoli und somit wäre möglich, dass der Stützpunkt der BR ein „Staatsversteck“[79] war.

Ein weiteres dunkles, nicht aufgeklärtes Kapitel der Moro-Tragödie.

5.4. Die CIA und die Gladio

Die italienische Zentrale der CIA war die Geheimloge, P2, die somit auch als Klammer zwischen CIA und Gladio fungierte, denn viele Logen-Mitglieder »engagierten« sich auch in der Galdio.

Im Übrigen besetzte die CIA die Schlüsselstellen im Innen- und Außenministerium mit vertrauenswürdigen Leuten, um auf diese Weise die Kontrolle über Italien zu erhalten. Untersuchungen ergaben, dass Steve Pieczenik, Spezialagent Kissingers und Michael Leeden, CIA-Mitglied, direkt an der Ausarbeitung der Strategie zur Liquidierung Moros beteiligt waren.[80] Leeden, auch Dolmetscher bei einigen Treffen von Kissinger und Moro, galt zweifelsfrei als „Verbündeter Kissingers.“[81]

Die Rolle der USA wird noch mal evident im Artikel des amerikanischen Kolumnisten, William F. Buckley, der in der Washington Post vom 6. Mai (1978) den Papst aufforderte, an den DC-Vorsitzenden Moro zu appellieren, „mit Anstand zu sterben“[82], was einem Aufruf zum Suizid gleichkommt. Moro als Freund der Kommunisten musste die politische Bühne um jeden Preis verlassen. In den 90iger Jahren wurde General Edgardo Sogno, langjähriges Mitglied des Gladiostabes vor laufenden Kameras gefragt: „Was hätten Sie getan, wenn die kommunistische Partei mit legalen Mitteln an die Macht gekommen wäre?“ „Dann hätten wir einen Bürgerkrieg entfesselt“[83], entgegnet Sogno.

Der CIA sollte bei der Bekämpfung des Moro-Problems eine Spezialtruppe zu Seite stehen, die bereits angesprochene Gladio. Dies war eine Geheimarmee, die der Nato (Tarnname: im Nordatlantikpakt) angehörte. Entstanden aus einer Reservetruppe, die 1948 aus Angst vor den Kommunisten gegründet wurde.[84] Unterdem Schutz von CIA und SHAPE avancierte sie zu einer 12.000 Mann umfassenden Spezialeinheit, die die Expansionsbestrebungen der Kommunisten unterbinden sollte.[85] Ihre Mitglieder waren Alt-Militärs mit

antikommunistischer Gesinnung. Die Übungs- und Einsatzpläne wurden von der CIA ausgearbeitet und finanziert, aber auch Licio Gelli konnte als Geldgeber ausfindig gemacht werden.

Die Gladio verübte mehrere Anschläge (siehe in Peteano) und versuchte die Schuld auf die Roten Brigaden zu übertragen. Denn es wurde das Ziel verfolgt, durch Destabilisierung zu stabilisieren. Dem sich immer mehr nach links wendenden Moro sollte klar gemacht werden, wer die Macht inne hatte. Der DC-Präsident wusste also von dieser Schattenarmee, leugnete es aber stets.

Die gefundenen Patronenhülsen des Attentats waren mit Speziallack überzogen, wie er nur von Gladio-Einheiten benutzt wurde. Zusätzlich verwendeten die Entführer den Waffentyp Fna, der niemals bei BR Aktivisten sichergestellt werden konnte, jedoch zur Ausrüstung der Gladio gehörte.

Alles lief ab wie in einem Präzisionswerk. Saubere, schnelle gezielte Schüsse lassen darauf schließen, dass der Schütze, der für die Via Fani ausgesucht wurde, ein Spezialmann der Gladiokämpfer gewesen war oder zumindest eine gute Militärschule besuchte. Auch ein eingeschleuster Agent ist möglich. Denn in der BR war eine geheime Abschirmung üblich, so dass selbst an einer Aktion beteiligte Mitglieder nichts voneinander wussten oder gar kannten.[86]

Zudem wurden ballistische Gutachten gefälscht und so erfuhr die Öffentlichkeit erst in den 90-iger Jahren von den damaligen Vertuschungsaktionen. Im Innenministerium verschwanden später die Gladio-Patronen und somit wichtige Beweisstücke für die Beteiligung von der CIA geführten Stay Behind-Truppe.[87]

Beispiele, die Verflechtung belegen sind mannigfach, jedoch liegt der Fokus wieder auf exemplarisch-repräsentativen Beispielen.

6. Das Spinnennetz und seine Folgen

6.1. Was kam danach?

Wer davon ausging, dass nun Ruhe einkehrte, der irrte. Bereits am 6. Juni 1978 wurde der Feldwebel Santoro von der BR in Udine ermordet. Im nächsten Monat (5.-7.8.1978) schossen die Brigadisten drei Industriemanager an. Die Lage wurde immer prekärer und die Vermutungen, dass alles versucht wurde, Mitwisser der Tat zu eliminieren, verstärkten sich.

Denn der Enthüllungsjournalist, Mino Pecorelli, wurde wegen seines Wissens um den Fall Moro im März 1979 umgebracht, nachdem er am 26. Januar 1979 publizierte, dass Cossiga alles gewusst habe.[88]

Außerdem kam es zur Entführung des DC-Politikers Ciro Cirillo im April 1981 in Neapel sowie des stellvertretenden Oberbefehlshaber der NATO-Landstreitkräfte Südeuropa, General James Lee Dozier im Dezember 1981 in Verona. Glücklicherweise kamen beide mit der Einbeziehung der Mafia frei.[89] 1980 waren nahezu alle Rotbrigadisten verhaftet, lediglich Moretti 1981 und Balzerani 1985 wurden später gefasst.

Erstaunlich ist, dass die Tat anscheinend auf das Alltagsleben keine gravierenden Auswirkungen hatte. Oder wie lässt sich erklären, dass bei den Wahlen im Juni 1979 die PCI nur vier Prozent verlor und die DC und PSI (Partito Socialista Italiano) sogar ihren Anteil hielten?

Endlich, am 23.11.1979, nach monatelangen Verhandlungen, richtete man einen Untersuchungsausschuss über den Fall Moro ein. Nun wurde ganz offiziell untersucht und analysiert, wer mit der Tat in Verbindung stand.

Als der Alltag in Italien wieder Einzug zu erhalten schien, stoppte ein Ereignis für kurze Zeit das Herz der Halbinsel. Am 2. August 1980 zündete eine Bombe auf dem Hauptbahnhof von Bologna und riss 85 Zivilisten mit in den Tod. Auch dieser Anschlag steht im Zeichen der P2, denn Gelli gilt heute als Geldgeber für die junge verantwortlichen Rechtsterroristen.[90] Welchem Motiv diese schreckliche Tat zu Grunde liegt, konnte bis heute nicht geklärt werden, aber ein Wort ist allgegenwärtig, Spannungsstrategie.

Moro war nicht nur tot, er war auch auf politischer Ebene gescheitert, denn der Historische Kompromiss wurde begraben und die Scheidung von Christdemokraten und Kommunisten wurde eingeleitet.[91] Somit wurde dem Verdacht, dass Italien kommunistenfreundlich sei, der Nährboden genommen. Die Sozialisten, anfangs Befürworter einer kommunistischen Regierungsbeteiligung, setzten ihr Segeln von nun an in eine andere Richtung und die PCI war nun faktisch von einer Regierungsbeteiligung wieder ausgeschlossen.[92]

Italien, schon halbwegs auf eigenem Kurs innerhalb der Allianz, kehrte nach Moros Tod wieder ganz in die Arme der NATO zurück.

Eine Verschärfung der innenpolitischen Spannung erforderte ein in Kraft treten vieler Ausnahmegesetze. Zusätzlich setzte eine massive Intellektuellenhetze ein, was mit einer steigenden Inflations- und Arbeitslosenrate korrelierte.

Ein Skandal folgte dem nächsten, Schmiergeldzahlungen und Geheimlogen waren jedoch nur die Spitze des wirklichen Eisberges.

6.2. Fazit

Viele Mythen ranken sich um den Fall Moro. Beweiskräftige Aussagen sind bis heute in den Geheimdienstarchiven verschlossen. Belastungsmaterial ging verloren und Zeugen wurden eliminiert. Dagegen werden die Aussagen Morettis und anderer Brigadisten, auch wenn sie noch so unhaltbar sind, für bare Münze genommen, weil sie ins Konzept der Rädelsführer von der Alleintäterschaft der BR passen. Die unzählig geführten Prozesse kamen immer wieder zu dem Ergebnis, dass allein die BR verantwortlich zu machen gewesen wäre. Selbst höchste Richter ignorierten die Ergebnisse der parlamentarischen Kommission zum Fall Moro und stellten gar gerichtsoffizielle Persilscheine aus. Nichts schien das Boot der Verschwörung ins schwanken zu bringen. Erst Anfang der 90-iger Reihe kam es in erneut geführten Prozessen zu interessanten Aufdeckungen, von denen selbst führende Politiker wie Andreotti nicht mehr verschont wurden. Versuche Cossigas die Kläger mundtot zu machen, scheiterten diesmal, da die Enthüllungen in der Öffentlichkeit bereits große Resonanz gefunden hatten.

1993 wurde die Verbindung von Andreotti zur Mafia in einer Anklageschrift offen ausgesprochen. Weitere Verflechtungen, von P2, nationale wie internationale Geheimdienste und der Regierung wurden „erstmals gerichtlich erörtert und mit Beweisen untermauert und damit gerichtsoffiziell vorgebracht.“[93] Abenteuerliche und unvorstellbare Politkomplotte traten zu Tage und verwiesen immer wieder auf Andreotti. Aber trotz der Forderung der Staatsanwaltschaft ihn mit lebenslänglich zu verurteilen, wurde er 2004 ordentlich freigesprochen. Allein der Makel des Verdachts der Komplizenschaft mit den schlimmsten Verbrechen, haftet seit diesen Tagen an ihm.

Im Übrigen ist Licio Gelli nie wegen Staatsstreichvorbereitung oder wegen Aktivitäten in kriminellen Vereinigungen angeklagt worden. Stattdessen schlug man ihn 1996 als Kandidat für den Literaturnobelpreis vor. An den Verbrechen der Spannungsstrategie beteiligte Repräsentanten aus hohen politischen Kreisen wurden nie zur Verantwortung gezogen.

Cossiga stieg sogar mit der Wahl zum Präsidenten der Republik in das höchste Staatsamt auf.

Einen Schlussstrich unter das Kapitel der Brigate Rosse und anderer Linksradikaler wurde von der Justiz und vom Staat noch nicht gezogen. Bisher standen ca. 300 Brigadisten vor Gericht und wurden abgeurteilt.

Obwohl die BR Mitte der 80er Jahre den bewaffneten Kampf offiziell niederlegte und damit faktisch nicht mehr bestand, halten gewissen Persönlichkeiten immer wieder an ihrem Sündenbock fest und bringen ihn ins Spiel, sobald es notwendig wird.

Trotz schwieriger Bedingungen arbeitet die Moro-Kommission weiter. Bis dato hat sie über 90 Bände mit 100.000 Aktenseiten zusammengetragen. Anhaltspunkte, die der These der Alleintäterschaft der BR widersprechen, werden auf diesen Seiten aufgeführt. Allerdings besitzt die Kommission keinerlei juristische Macht und unternimmt in dieser Hinsicht im Parlament keine gesetzlichen Vorstöße.

7. Literatur

Biscione, Francesco M.: Il Memoriale di Aldo Moro rinvenuto in via Monte Nevoso a Milano. (Die in der Monte-Nevoso-Straße in Mailand gefundenen Aufzeichnungen Aldo Moros) Roma 1993.

Busse, Michael; Bobbi, Maria-Rosa: Tod in Rom. Der Fall Aldo Moro. In: Tod auf Bestellung. Politischer Mord im 20. Jahrhundert. Hrsg. v. Heribert, Blondiau. München 2000. S. 25-61.

Doni, Gino: Mein Blut kommt über euch. Moro oder die Staatsräson. Eine Dokumentation. München 1978

Feldbauer, Gerhard: Agenten, Terror, Staatskomplott. Der Mord an Aldo Moro, Rote Brigaden und CIA. Köln 2000.

Flamigni, Sergio: La tela del ragno (Das Spinnennetz). Mailand 1993.

Franceschini, Alberto: Das Herz des Staates treffen. Wien 1990.

Galli, Giorgio: Staatsgeschäfte. Affären. Skandale. Verschwörungen. Das unterirdische Italien 1943-1990. Hamburg 1994.

Galluzzo, Lucio: Das gebrochene Schweigen. Tommaso Buscetta- Mafia, Capo und Verräter. Wien, München 1985.

Katz, Robert: I giorni dell’ira. Roma 1982.

Kellmann, Klaus: Der Staat läßt morden. Politik und Terrorismus – heimliche Verbündete. Berlin 1999.

Renato, Curcio; Scialoja, Mario: Mit offenem Blick. Ein Gespräch zur Geschichte der Roten Brigaden in Italien. aus dem Ital. von Dario Azzellini. Siegen, Berlin 1997.

Satta, Vladimiro: Il caso Moro. E suoi falsi misteri. Sovveria Mannelli 2006.

Sciascia, Leonardo: Die Affäre Moro. Übersetzung und Nachwort von Peter O. Chotjewitz. Frankfurt a. M. 1989. (Athenäums Taschenbücher. Bd. 129)

Seifert, Stefan: Lotta armata: bewaffneter Kampf in Italien; die Geschichte der Roten Brigaden. Berlin 1991.

Raith, Werner: In höherem Auftrag. Der kalkulierte Mord an Aldo Moro. Franfurt a. M.[u. a.]. 1986.

ders.: Italienische Staatsschauspieler. In: Berking, Helmut et al. Politikertypen in Europa. Frankfurt a. M. 1994. S. 76-92.

von Roques, Valeska: Die Stunden der Leoparden - Italien im Umbruch. Wien, München 1994.

[...]


[1] Democrazia Cristiana.

[2] von Roques, Valeska: Die Stunden der Leoparden - Italien im Umbruch. Wien, München 1994. S 148.

[3] Der Staat läßt morden. Politik und Terrorismus – heimliche Verbündete. Berlin 1999.

[4] Agenten, Terror, Staatskomplott. Der Mord an Aldo Moro, Rote Brigaden und CIA. Köln 2000.

[5] In höherem Auftrag. Der kalkulierte Mord an Aldo Moro. Frankfurt a. M. [u. a.]1986.

[6] Die Affäre Moro. Frankfurt a. M. 1989.

[7] Es macht wenig Sinn, den einen als links, den anderen als rechts zu bezeichnen. Sinnvoller ausgedrückt: Andreotti war der »Mann der Amerikaner«, wobei Moro immer für »Italy first»stand.

[8] Kellmann 1999. S. 32.

[9] zit nach: Raith, Werner: Italienische Staatsschauspieler. In: Berking, Helmut et al. Politikertypen in Europa. Frankfurt a. M. 1994. S. 81.

[10] vgl. Kellmann 1999. S. 35.

[11] ebd. S. 37.

[12] Todo modo oder Das Spiel mit der Macht.

[13] Katz, Robert: I giorni dell’ira. Roma 1982. S. 147ff.

[14] in Anlehnung an. Kellmann 1999. S. 27.

[15] Seifert, Stefan: Lotta armata: bewaffneter Kampf in Italien; die Geschichte der Roten Brigaden. Berlin 1991. S. 24.

[16] Kellmann 1999. S. 72ff.

[17] In Anlehnung an: Galli, Giorgio: Staatsgeschäfte. Affären. Skandale. Verschwörungen. Das unterirdische Italien 1943-1990. Hamburg 1994. S. 34ff.

[18] Kellmann 1999. S. 9.

[19] vgl. Kellmann 1999. S. 54.

[20] von Roques 1994. S. 65.

[21] Kellmann 1999. S. 10.

[22] Kellmann 1999. S 13.

[23] Franceschini, Alberto: Das Herz des Staates treffen. Wien 1990. S. 19

[24] Feldbauer, Gerhard: Agenten, Terror, Staatskomplott. Der Mord an Aldo Moro, Rote Brigaden und CIA. Köln 2000.S. 60.

[25] Kellmann 1999. S. 77.

[26] vgl. Busse, Michael; Bobbi, Maria-Rosa: Tod in Rom. Der Fall Aldo Moro. In: Tod auf Bestellung. Politischer Mord im 20. Jahrhundert. Hrsg. v. Heribert, Blondiau. München 2000. S 34.

[27] Orest Leonardi, Domenico Ricci, Francesco Zizzi, Raffaele Iozzino, Giuliano Rivera.

[28] Kellmann 1999. S. 90ff.

[29] politische Haltung, die ein Verhandeln mit Entführern ausschließt.

[30] Feldbauer 2000. S. 66.

[31] ebd. S. 67.

[32] Feldbauer 2000. S. 68.

[33] S. 9 Der Staat lässt morden

[34] Flamigni, Sergio: La tela del ragno (Das Spinnennetz). Mailand 1993. S 65.

[35] Braghetti, Anna Laura: Die Antwort hieß: Mord. In: Der Spiegel 11 (1998). S. 150-52.

[36] Feldbauer 2000. S. 91.

[37] mehr zur Thematik: . Morettis Aussagen. In: Feldbauer. S. 93ff.

[38] Doni 1978. S. 76.

[39] Raith, Werner: Im höheren Auftrag. Franfurt a. M.[u. a.]. 1984. S. 163.

[40] ebd. S. 165.

[41] Biscione, Francesco M.: Il Memoriale di Aldo Moro rinvenuto in via Monte Nevoso a Milano. (Die in der Monte-Nevoso-Straße in Mailand gefundenen Aufzeichnungen Aldo Moros) Roma 1993.

[42] Feldbauer 2000.S. 93.

[43] Ebd. S. 10.

[44] militärischer Geheimdienst vs. ziviler SISDE.

[45] Galli 1994. S. 121.

[46] Eine Guerilla in Uruguay, die im ländlichen sowie städtischen Gebiet kämpfte.

[47] Curcio, Renato; Scialoja, Mario: Mit offenem Blick. Ein Gespräch zur Geschichte der Roten Brigaden in Italien.. aus dem Italienischen von Dario Azzellini. Siegen, Berlin1997. S. 11.

[48] http://nadir.org/nadir/archiv/PolitischeStroemungen/Stadtguerilla+RAF/offener-blick/node8.html (31.1.2008).

[49] Kellmann 1999. S. 20.

[50] ebd. S. 21.

[51] Kommunistische Partei Italiens.

[52] Kellmann 1999. S. 21ff.

[53] Franceschini 1990. S. 27.

[54] Seifert 1991. S. 45.

[55] Franceschini 1990. S. 67.

[56] Galluzzo, Lucio: Das gebrochene Schweigen. Tommaso Buscetta- Mafia, Capo und Verräter. Wien, München 1985. S. 92.

[57] vgl. Raith 1986 S. 43.

[58] Curcio 1997. S. 133ff.

[59] Blondiau, Heribert: Tod auf Bestellung. Politischer Mord im 20. Jahrhundert. München 2002. S. 55.

[60] Interview Pecchiolis mit Katz. In: Katz, Robert: I giorni dell’ira. Roma 1982. S. 21.

[61] Doni, Gino: Mein Blut kommt über euch. Moro oder die Staatsräson. Eine Dokumentation. München 1978. S. 102ff.

[62] ebd. S. 48ff.

[63] In Anlehnung an: Feldbauer 2000. S. 102.

[64] Raith 1986. S. 34.

[65] Franceschini 1990. S. 43

[66] vgl. Kellmann 1999. S. 65.

[67] ebd. S. 68.

[68] Satta, Vladimiro: Il caso Moro. E suoi falsi misteri. Sovveria Mannelli 2006. S. 23.

[69] Kellmann 1999. S. 44.

[70] in Anlehnung an: ebd. in einem Artikel der l´Unita vom 5.März 1978, in dem von einer Versammlung der DC-Rechten in Genua und dort geäußerten Forderungen berichtet wurde. S. 44ff.

[71] Zit nach: Giorgio Galli. L’Italia sotteranea. Bari, Rom. 1983. S. 187.

[72] Kellmann 1999. S. 54.

[73] Feldbauer 2000. S. 68.

[74] Kellmann 1999. S. 251.

[75] Galluzzo 1985. S. 39.

[76] Felddbauer 2000. S. 61.

[77] SISDE: ziviler Geheimdienst

[78] Feldbauer 2000. S. 70.

[79] in Anlehnung an: Flamigni, Sergio:Il Covo di Stato. Via Gradoli 96 e il delitto Moro. Milano 1999. S. 25ff, 197.

[80] Sciascia, Leonardo: Die Affäre Moro. Übersetzung und Nachwort von Peter O. Chotjewitz. Frankfurt a. M. 1989. (Athenäums Taschenbücher. Bd. 129). S. 23.

[81] Kellmann 1999. S. 17.

[82] Feldbauer 2000. S. 88.

[83] Sciascia 1989. S. 11.

[84] ebd. S. 70.

[85] ist die Kurzbezeichnung des NATO-Hauptquartiers, siehe Supreme Headquarters Allied Powers Europe.

[86] Feldbauer 2000. S. 61.

[87] ebd. S. 91.

[88] ebd. S. 88.

[89] von Roques 1994. S. 54.

[90] Galli 1994. S. 78.

[91] Raith 1986. S. 11.

[92] ebd. S. 12.

[93] „Pecorelli ist von Cosa Nostra umgebracht worden, um Giulio Andreotti einen Gefallen zu tun.“, erklärte der Mafia-Boss Tommaso Buscetta. In: Feldbauer 2000. S. 191.

Ende der Leseprobe aus 30 Seiten

Details

Titel
Der Fall Aldo Moro und seine Mythen
Hochschule
Universität Rostock  (Historisches Institut)
Veranstaltung
Attentate im 19. und 20. Jh
Autor
Jahr
2008
Seiten
30
Katalognummer
V111439
ISBN (eBook)
9783640094998
Dateigröße
533 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Fall, Aldo, Moro, Mythen
Arbeit zitieren
Stephan Terrey (Autor:in), 2008, Der Fall Aldo Moro und seine Mythen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/111439

Kommentare

  • Gast am 12.4.2010

    Sehr schöne Zusammenstellung der unterschiedlichen Einflüsse im Zusammenhang mit dem Mord an Moro. Interessant ist auch hier die Zurückhaltung in der Beurteilung der Entführung - obwohl es eine Vielzahl von Indizien gibt, die deutliche Anzeichen für die Interessenslage im Fall Moro ergeben, wagt es Niemand, konkrete Beschuldigungen zu äußern. Immer noch gilt der Fall als "nicht bewiesen" und Verdächtigungen gegenüber konservativen Kräften als "paranoid". Man sollte sich nicht täuschen - auch wenn Interessierte und Diejenigen, die mit dem Fall vetraut sind, zu einer anderen Meinung gekommen sind - durch die Taktik, dass der Fall als nicht aufgeklärt gilt, bleibt die Schuld in der allgemeinen Meinung immer allein bei den BrigadistenSchade ist in dem Zusammenhang, dass im Text mehrere kleinere Fehler verborgen sind, die den Gesamteindruck etwas trüben, da sie auf Rechercheschwächen zurückzuführen sind. Harmlos ist die falsche Übersetzung von "Anni del piombo" als "Jahre der Bombe". Richtig muss es "bleierne Jahre" heissen (ein Name den Margarethe von Trotta später in ihrem Film über die Ensslin - Schwestern nutzte)Schwerwiegender ist es, Ferraras Film "Il caso moro" in das Jahr 1976 zu verlegen und es als Realität gewordene Fiktion zu bezeichnen. Tatsächlich stammt der Film von 1986 und stellt den Fall nach, basierend auf den Analysen Sciascias und dem Buch von Robert Katz (beide Texte wurden hier erwähnt). Das ist besonders interessant im Zusammenhang mit Sciascias "Todo Modo", der 1976 ebenfalls mit Volonté als Moro verfilmt wurde. Dort wird dessem Tod fiktiv vorgegriffen, aber durchaus als satirisch gemeinte Lösung, denn der Film (und die Buchvorlage) sieht Moro zu diesem Zeitpunkt sehr kritisch (wie hier auch richtig angemerkt wurde), auch weil Sciascia und Regisseur Petri, selbst den Kommunisten nah, auch keine Freunde des "historischen Kompromisses" warenDass Sciascia diese Meinung über Moro später revidierte macht die Analyse des Films von 1986 so interessant, denn sowohl er, als auch Hauptdarsteller Volonté scheinen hier Abbitte zu ihrer früheren Haltung zu leisten. Der Film vertritt entsprechend konsequent die Meinung, dass sowohl die Kirche als auch Andreotti kein Interesse an der Befreiung Moros hatten, was damals zu einem erheblichen Skandal führte. Aber auch "il caso moro" blieb das Schicksal nicht erpart, in Vergessenheit zu geraten und als Verfechter angeblich unhaltbarer Thesen zu gelten.

  • Gast am 26.2.2008

    compromesso storico & mehr.

    erscheint mir historisch-kontextual angemessen herausgearbeitet, Sciascias dialektische These vom "Zusammenspiel" hätte stärker akzentuiert
    werden können. Als Mangel empfinde ich, daß Vf.
    nur am Rande die Drohung der NATO (Haig etc.)
    erwähnt und leider ganz ausgeblendet hat, daß es NATO-Putschpläne ("Prometeus") auch in Italien gab wie den April 1967 in Hellas angewandten (was Moro wußte...). - Empfehlung an den Vf.: Nach weiteren Recherchen
    eine zweite, erweiterte GRIN-Textversion, wieder zum kostenlosen Herunterladen, hier ins
    Netz stellen,

    mit freundlichem Gruß M. v. Schoene

Blick ins Buch
Titel: Der Fall Aldo Moro und seine Mythen



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