Helene Schjerfbecks Selbstportraits und die Entwicklung ihres Malstils


Hausarbeit, 2008

16 Seiten, Note: 3,0


Leseprobe


Gliederung:

1. Gliederung:

2. Einleitung

3. Biographie

4. Selbstportraits
a) Tradition der Künstlerselbstportraits
b) Schjerfbecks Selbstportaits

5. Entwicklung der Selbstportraits in Hinblick auf ihren Malstil
a) Selbstportrait mit schwarzem Hintergrund von 1915
b) Selbstsicher auf dem Weg zur Entfaltung der Gedankengänge - Anfangsphase bis 1912
c) Assoziationen über die eigene Existenz - Mittlere Phase bis 1944
d) Schlüssel des persönlichen Friedens - Letzte Phase bis 1946

6. Fazit

Literaturangabe

2. Einleitung

Helene Schjerfbecks Werke spielen in der Kunst des Nordens eine sehr wichtige Rolle. Man kann nicht nur ihre psychisches Befinden anhand der zahlreichen Selbstbildnisse festmachen, sondern auch die besonders interessante Entwicklung ihres Malstils, der ihre Kunst einzigartig macht. Angefangen bei Stillleben über naturalistische Bilder bis hin zu ihrem letzten Selbstbildnis von 1945 (Abbildung (Abb.) 9) fällt auf, wie ihre Malweise immer einfacher, moderner und abstrakter wird. Zu dieser Entwicklung beigetragen hat nicht nur ihr Interesse für die japanische Kunst und die Handarbeitsmuster, die sie für die Finnischen Handarbeitsfreunde anfertigte, welche sie „zur Schlichtheit an[leiteten], zu einheitlichen Farbflächen und zur Stilisierung der Form“[1]. Auch ihre große Experimentierfreudigkeit, die sie an ihren Bildern immer wieder ausübte, trug dazu bei. So mischte sie beispielsweise Wachs- und Ölfarben miteinander, um manchen ihrer Landschaftsbilder transparentere Farben verleihen zu können.

Die Schaffensphase der Selbstportraits lässt sich einteilen in die Frühphase die bis 1912 reicht, in die Mittlere Phase, die bis 1944 reicht und Spätphase bis zu ihrem Tod 1946. Die Entwicklung Schjerfbecks Malstils anhand der Selbstbildnisse soll, insbesondere durch die Einleitung des Werkes Selbstbildnis mit schwarzem Hintergrund von 1915 (Abb.1), präzise veranschaulicht werden. Die Entfaltung ihrer Selbstportraits und ihres Malstils von Beginn an, bis letztendlich zu ihrem Tod soll am Ende dieser Hausarbeit unmissverständlich aufgerufen werden können. So wie die Zusammenhänge ihres Privatlebens und ihren Selbstbildnissen, so soll auch die Psyche dieser Bilder nähergebracht werden. Die Gründe Schjerfbecks, sich so intensiv mit sich selbst zu beschäftigen, soll auch nähergebracht werden. Denn ich freue mich, die Werke einer Künstlerin auf die Finnland und Schweden stolz sein kann, im Detail zu untersuchen

3. Biographie

Helena Sofia Schjerfbeck wird am 10. 07. 1862 in Helsinki[2] geboren und lässt sich erst im Studium in Frankreich in Helene umbenennen. Ein Hüftbruch, durch Treppensturz im Alter von vier Jahren, hindert sie an dem Besuch einer staatlichen Grundschule und hat ein Hinken zur Folge. Im Laufe ihres Lebens, ist es meistens auch die Hüfte, die sie physisch als auch psychisch belastet[3].

Ihr Talent in Künsten wird bereits im Alter von 11 Jahren entdeckt und ermöglicht ihr den frühen Besuch der Zeichenschule der finnischen Kunstgesellschaft. Nach dem Tod ihres Vaters im Jahre 1876, verschlechtert sich die wirtschaftliche Lage der Familie, doch die finanzielle Unterstützung eines Familienfreundes ermöglicht ihr den Besuch von weiteren Akademien. Die Technik der französischen Ölmalerei, was die Grundlage für ihre Maltechnik sein wird, erlernt sie bis 1879 an der Adolf von Beckers Privatakademie Helsinki. Kurz darauf zieht sie, durch Erhalt eines Auslandstipendiums, nach Frankreich. Zunächst studiert sie im Malatelier für Damen bei Madame Trélat de Vigny und wechselt 1881 an die Privatakademie Colarossi, da die Staatliche Hochschule Ecole des Beaux-Arts derzeit nicht zugänglich für Frauen ist. Private Hochschulen waren die einzige Möglichkeit für Frauen in Frankreich, Kunst zu studieren. Während einer Reise in die Bretagne mit Kommilitonin Marianne Preindlsberger (1855- 1927) lernt sie einen englischen Künstler kennen, der jedoch die Verlobung, auf Grund der Tuberkulose in ihrer Familie[4] 1885 auflöst. Zu dieser Trauer erhalten sie und auch andere finnische Künstlerinnen ihrer Zeit, die als „radikale Naturalistinnen“[5] beschrieben werden, kurz vorher negative Kritik beim neuen Realismus ihrer Werke.

Ende der 1880er kehrt sie nach Reisen und Arbeiten[6] in Italien, England, Wien und St. Petersburg zurück nach Helsinki, wo sie als Lehrerin an der Zeichenschule tätig bleibt, bis sie 1902 auf Grund ihrer zunehmend schlechten gesundheitlichen Lage, mit ihrer Mutter nach Hyvinkäa zieht. Isoliert von der Außenwelt, unbeeinflusst von anderen Künstlern und Kritikern, entfaltet Schjerfbeck ihren eigenen Malstil, der angefangen beim Naturalismus bis zur Moderne reicht. Nach dem Tod ihrer Mutter 1923 zieht sie in eine nahegelegene Kleinstadt und arbeitet weiter an ihren Bildern, die zu der Zeit meistens aus Selbstportraits bestehen. Nach dem zweiten Weltkrieg flieht sie nach Schweden, wo ihre späteren Serien von Selbstportaits und Stillleben entstehen. Sie stirbt am 23. Januar 1946 in Salsjöbaden, Schweden.

4. Selbstportraits

a) Tradition der Künstlerselbstportraits

Das Wort Porträt stammt aus dem französischen „portrait“ und ist eine Darstellungs­weise, Menschen vorzustellen. In Selbstportraits zeigt der Künstler sich somit selber. Die ersten nachweisbaren Selbstporträts als Holzschnitte wurden in Vasaris Buch: Lebensläufe der berühmtesten Maler, Bildhauer und Architekten von 1568 festgehalten.[7]

Ganzfigurige Portraits zeigen die Person stehen oder sitzend. Kniestück werden diese genannt, wenn die Knie auch miteinbezogen werden und beim Hüftbild ist der Oberkörper bis zum Schritt dargestellt. Die Halbfigur zeigt die Person vom Oberkörper bis zur Taille mit -meist angewinkelten- Armen und Händen. Das Bruststück zeigt den Kopf mit einem großen Teil des Oberkörpers, den Schultern und die Arme scheinen meist abgeschnitten. Das Schulterstück, oder auch Büste genannt, zeigt die Schulteransätze, wobei das Bild auf Achselhöhe endet. Zuletzt wird unterschieden mit dem Kopfbild, bei dem die dargestellte Person nur mit dem Hals zu sehen ist. Sie lassen sich auch durch die Kopfhaltung in verschiedene Bereiche einteilen. Unterschieden kann man zwischen der Frontalansicht, welche en face genannt wird, dem Dreiviertelprofil, Halbprofil, Profilbild und dem Viertelprofil.

Da Selbstportraits oder -bildnisse Darstellungen sind, in denen der Künstler sich selber als Modell benutzt, reift direkt die Frage, warum dieser sich selber als Modell nimmt. Dies könnte sich durch seine schlechte wirtschaftliche Lage erklären, sodass er nicht in der Lage war, Modelle zu mieten oder organisieren. Selbstportraits können einen nachahmenden Effekt haben, wie z.B. Rembrandts Selbstportrait von 1640 (Abb. 10), welcher eine Pose des berühmten Tizian (Abb. 11) kopiert. Doch Künstler kopieren nicht nur, oder stellen sich nicht nur einfach dar, sondern möchten etwas repräsentieren. So ist es umso wichtiger, das Selbstportrait als mögliche Geschichte zu sehen, und zu versuchen, den Kern dieser Geschichte herauszufinden. Ihre Sprache mit uns zu kommunizieren besteht darin, ihren Selbstportraits bestimmte Ausdrucke zu verleihen, die den Betrachter anregen, die möglichen Intentionsansätze zu bilden. Selbstportraits können auch einen Selbstheilenden Effekt haben, da der Künstler sich hauptsächlich mit sich selber beschäftigt und die psychische Lage vor Augen malt. Das hat beispielsweise den Effekt, dass dieser die einzelnen negativen und positiven Lebenssituationen hinter sich lassen kann, sobald er ein neues Selbstportrait anfängt. Außer Mimik, Gestik und Maltechnik, können dabei Attribute wie z.B. Orden, Manschetten, Kittel, Berufskleidung oder Hintergründe, den Stand, den Beruf oder beispielsweise die Herkunft des Dargestellten zeigen. In der Politik beispielsweise, werden die Portraits von Regierungschefs oft als staatliches Symbol genutzt.

b) Schjerfbecks Selbstportaits

Helene Schjerfbeck malte und zeichnete Selbstportraits bis zu ihrem Lebensende. Insgesamt umfassen es 40 Selbstportraits, wovon sie mehr als die Hälfte in ihren letzten beiden Lebensjahren anfertigte. Angefangen in den Achtzigern des achtzehnten Jahrhunderts, den Anfängen des neunzehnten Jahrhunderts bis zum Tod 1946 letztendlich, durchgeht sie eine derart zielgerichtet scheinende Entwicklung in ihren Portraits, dass es den Betrachter nahezu dazu dirigiert, denn Sinn oder die Absichten der zahlreichen Selbstportraits zu erforschen. Man vermag kaum glauben, weswegen sie mit Selbstportraits anfing: „Ich habe ein Selbstbildnis begonnen, weil mein Modell dann stets verfügbar ist.“[8]. Die Entfaltung ihrer Persönlichkeit und ihres psychischen Befindens insbesondere, lässt sich an Hand ihrer Reihe von Selbstporträts wiederspiegeln. Ihre Behinderung von Kindesalter an erschwert ihr Leben, doch lässt sich diese Beeinträchtigung nicht direkt in ihren Werken wiederfinden. Sie präsentiert eine sowohl verletzliche, als auch starke Frau und „malt[e] sich im Alter von über achtzig Jahren vom Tod gezeichnet.“[9]. Im Gegensatz zu anderen Künstlern, wie zum Beispiel Edvard Munch, der sich in Ganzfigur oder auch mal im Akt darstellt, zeigt sich Schjerfbeck kaum in anderen Typisierungen, als der bekannten Büste. Nur selten nutzt sie Attribute und macht keinen Gebrauch von Hintergründen, die ihr Befinden darstellen sollen. Vielmehr sind es die Gesichtszüge und die Art und Weise der Darstellung dieser, in Farbe, Stil und Technik, die ihre seelische Verfassung offenbaren sollen. Hier lässt sich beispielsweise das Werk von Edvard Munch Viertel nach zwei Uhr nachts von 1940-1942 (Abb.12) mit dem Selbstbildnis mit rotem Punkt von 1944 (Abb.7) von Helene Schjerfbeck vergleichen, da beide Künstler die Vergänglichkeit und den Tod abgebildet haben. Jedoch in zwei verschiedenen Formen. Munch setzt die Figur in einen bestimmten Raum, um die beabsichtigte Assoziation bewirken zu können, im Gegensatz zu Schjerfbeck, die stets alles durch den Gesichtsausdruck versucht darzulegen. Munch macht Gebrauch von einem Schatten, der charakteristisch für den Tod steht, wobei Schjerfbeck durch Verwischung, Kratzten und Vereinfachung den gleichen Effekt darbietet.

Ihre Selbstbildnisse aus den Jahren vor ihrem 50. Geburtstag, also 1912, weisen eher wenige Gemeinsamkeiten zu ihren Bildnissen aus ihrer isolierten, späteren Schaffensphase auf, obwohl sie sich vorher schon mit Gesicht und einem Teil des Oberkörpers darstellte. Doch durchgehen die Portraits, wie ein Leitfaden, das Leben der Künstlerin und ihrer seelischen Welt.

5. Entwicklung der Selbstportraits in Hinblick auf ihren Malstil

a) Selbstportrait mit schwarzem Hintergrund von 1915

Helene Schjerfbecks Selbstportrait mit schwarzem Hintergrund (Abb. 1) von 1915 ist eine Auftragsarbeit für die finnische Kunstgesellschaft und hängt nun im Ateneum Museum in Helsinki. Das Bild ist in Öl auf Leinwand gemalt und hat die Maße: 45,5 x 36 cm. Der Hintergrund ist überwiegend in Schwarz gehalten, was den roten Farbeimer und den sich darin befindenden blauen Pinsel noch auffälliger gestaltet. Zudem malte sich Schjerfbeck nicht sehr oft mit Gegenständen, oder wie in diesem Fall, Attributen, die ihren Beruf kennzeichnen. Der Farbeimer ist gefüllt mit einer gelblich bis braunen Farbe, die sich sowohl auf dem Boden, der nur in der linken unteren Bildkante zu erkennen ist, als auch als Haarfarbe wiederfinden lässt. Weder der Boden, noch der Eimer grenzt sich scharf vom Bildhintergrund ab.

Schjerfbeck hat sich in der Bildmitte positioniert, was auch eher für die Werke in der Spätphase typisch ist. Der Kopf und der Teil ein Teil des Oberkörpers lassen sich jeweils in die obere und untere Bildhälfte eingliedern. Ihr Oberkörper ist nur leicht nach links gewandt, was das wenig erhobene Kinn, der leicht herabschauende Blick und die leichte Kopfneigung nach links, unterstützten. Es scheint, als würde der Betrachter die dargestellte Person in „Untersicht“[10] wahrnehmen. Augen, Nase, Ohren und Lippen sind proportional zueinander und auch der Hals weist keine Abstrahierungen auf. Das Gesicht rückt durch den helleren Hautton, verglichen zum Hals, in den Bildvordergrund. Unterstützt wird dieser Effekt durch das schwarzumrandete Kinn, das automatisch verschoben wirkt und einen präzisen Pinselzug zu Voraussetzung hat. Die Wangen sind in Rot gehalten, so wie die Lippen, die leicht aufeinander gepresst zu sein scheinen, das Ohrinnerne und die Nasenlöcher ebenso. Die Augen von Schjerfbeck weisen kaum Tiefe auf: Sie sind dunkel, fast wie der Hintergrund, Pupillen sind nicht erkennbar, doch sind sie von einem angenehmen Rosa umrandet. Augenbrauen sind auch nicht erkennbar, doch verwechselbar mit der angedeuteten Tiefe der Augen, die durch einen leichten brauen Pinselstrich gekennzeichnet sind.

Der einzige Schatten in diesem Bild wirft die Nase auf die linke Gesichtshälfte und markiert gleichzeitig das Nasenbein und wieder die tiefen Augenhöhlen. Das Kleidungsstück ist in Weiß bis Grau gehalten und es lassen sich weder Knöpfe, noch ein Reißverschluss erkennen. Wahrscheinlich ist es ein Kleid oder ein Kittel, das mit einer grünfarbigen Brosche auf der Brust geschmückt ist. Die rechte Schulter ist durch zwei dicke hellgrüne bis braune Pinselstriche angedeutet.

Durchgängig ist das Selbstportrait flächig gehalten und weist kaum klare Linien auf. Deutlich wird das besonders und beispielhaft an Hand ihres Namens, das in großer Druckschrift über ihrem Kopf angedeutet ist. Es ist kaum zu übersehen, dass sie hier mit Kratz- und Wischtechniken gearbeitet hat, da die untere Hälfte des Namens, ähnlich wie beim Kleid, eine helle Grundierung aufweist. Die Leinwandstruktur ist außerdem durch den dünnen Farbauftrag um ihren Kopf, ihre Wangen und im Bildhintergrund, hinter ihrer rechten Rückenseite, wiederzuerkennen. Diese Kratztechniken, Schichtweisen Farbaufträge und die Vereinfachungen von Elementen kommen immer wieder in ihren Bildnissen vor, vor allem um die „Transparenz des Dargestellten“[11] hervorzuheben. Diese Transparenz bleibt ungeklärt bei Betrachtung der selbstbewussten Haltung und stolzen Darstellung ihres Selbst, doch unterstützt wird sie dadurch, dass ihre Vitalität, welches insbesondere durch das Rot an Ihren Ohren und auf den Wangen dargestellt ist, als Trotz gegen die finnischen Kritiker ihrer Kunst sein sollte. Jedoch entsteht hier gleichzeitig eine Doppeldeutigkeit, da sie sich einerseits als selbstbewusste Frau mit eigener Meinung darstellt und andererseits ihre Initialen in Form eines Grabmahls zeigt, was eher an Tod erinnert. Anhand dieses Bildes lässt sich die Entwicklung ihres Stils und ihrer Maltechnik besonders gut mit späteren, als auch früheren Selbstbildnissen vergleichen.

b) Selbstsicher auf dem Weg zur Entfaltung der Gedankengänge - Anfangsphase bis 1912

Angeknüpft an das Selbstportrait mit schwarzem Hintergrund von 1915 lässt sich ihr persönlicher Stil, der sich erst in Abgeschiedenheit entwickelte, besonders gut mit eines ihrer früheren Selbstportraits vergleichen. Das Selbstbildnis von 1884-85 (Abb. 2) ist auch in Öl auf Leinwand aufgetragen und hat die Maße 50 x 40, 5 cm.

Es ist ein Bild, was womöglich in ihrer Zeit in Frankreich im Alter von 23 oder 24 Jahren entstanden ist. Sie dreht ihren Kopf frontal in Richtung des Betrachters, schaut ihn aber dennoch nicht direkt an. Anders als beim Selbstportrait mit schwarzem Hintergrund ist die Farbauswahl und auch die Malweise. Zum einen ist es eine realistischere Darstellung der eigenen Person, da es eine Tiefenräumlichkeit erkennen lässt. Die Pinselstriche sind dynamisch, verschieden dick und in verschiedenen dunkeltönen aufgetragen. Die sehr aufrechte Haltung lässt nach Leena Ahtola-Moorhouse den Eindruck von Maskulinität[12] entstehen, doch gleichzeitig entgegengesetzt zu den eher trägen Augen. So schrieb Schjerfbeck einmal: „Das einzige, was ich mir vom Stimmrecht der Frau wünsche, ist, dass es die Unterschiede in der Moral der Männer und der Frauen ausgleicht (…).“[13]. Anders ist es wiederum, wenn man das Bild Selbstbildnis 1912 (Abb. 3) betrachtet. Die zunehmende Vereinfachung der Formen wird hier deutlicher. Auf Details in der Ausmalung wurde verzichtet, ebenso auf Schattierungen. Uniforme Farben beherrschen das Bild. Ein weiteres typisches Merkmal tritt hinzu, und zwar liegt hier keine Frontaldarstellung vor. Im Laufe der weiteren Selbstbildnisse wird ungemein auffallen, dass sie sich oft aus einer Position darstellt, als wäre sie frisch bei der Arbeit ertappt worden. Es entsteht ein Ausdruck von Skepsis und Scheu. Außerdem weist dieses Bild wie das Selbstportrait mit schwarzem Hintergrund ein ausgeprägtes Kinn auf, was weitere Kennzeichen einer zunehmenden Abstrahierung in ihrem Malstil unterstützen. Das Bild ist ausnahmsweise signiert und es wird angenommen, dass ihr ausgeschriebener Nachname in Verbindung mit der Jahreszahl darauf schließen lässt, dass es sich um ihren 50. Lebensjahr handele und es somit auch um die Selbstbehauptung als Künstlerin. Trotz Selbstsicherheit und klaren Gedankengängen, die den Weg ihrer Kunst markieren werden, waren Schjerfbecks Identitätsprobleme Folge lebenslangen psychischen Leidens und deswegen auch Grund, dass sie das abgeschiedene Leben bevorzugte.

c) Assoziationen über die eigene Existenz - Mittlere Phase bis 1944

Der Eindruck von Skepsis vertieft sich in Anbetracht des Bildnisses Selbstbildnis 1913- 26 (Abb. 4), da dieses im Vergleich zu ihren vorherigen Portraits, sehr expressionistisch ist. Das Besondere hier ist die unebene Darstellung der beiden Gesichtshälften.

Die linke Hälfte des Gesichts ist deformiert, verschattet und zerkratzt, was die Gesichtskonturen nur schwer erkennen lässt, im Vergleich zur rechten Gesichtshälfte, welche durch weiche Züge Auge und Wangen erkennen lässt. Schwarz und Grau sind nicht deckend aufgetragen, sodass die Leinwand nicht nur durchscheint, sondern auch im umrahmenden Effekt das Gesicht markiert. Nach Leena Athola-Moorhouse spiegelt sich hier Schjerfbecks Trauma wieder, was sich durch das Verschwimmen und Transparente in der linken Gesichtshälfte darstellen lässt[14]. Nach dem Tod ihrer Mutter 1923 lebt sie weiterhin alleine in Abgeschiedenheit. Das Portrait Selbstbildnis mit Palette I (Abb. 5) von 1937 zeigt Schjerfbeck wieder aus der rechten Bildseite, die eine Distanz zum Betrachter aufkommen lässt. Seltenerweise stellt sie sich hier mit einer Farbtafel dar, doch die trägen, großen Augen und schweren Augenlieder und der Heruntergezogene Mundwinkel, die den Betrachter wieder nicht direkt anschauen, lassen ein Gefühl von Körperlosigkeit und Zerfall entstehen. Somit kennzeichnet die linke Gesichtshälfte aus dem Selbstbildnis 1913-26 mögliche persönliche Fortschritte im Malstil, der sich charakteristisch in der Reihe ihrer Selbstbildnisse beeinflusst und bewährt hat. Das Selbstbildnis mit schwarzem Mund von 1939 (Abb. 6) lässt bestärkt den Eindruck von Zerfall entstehen. Die tiefen Augenhöhlen und die helle Farbe des Gesichtes, wie bereits in Selbstbildnis mit Palette I, das scharfe deformierte Kinn, wie im Selbstbildnis von 1913- 26 und nicht zuletzt die skeptische Frontalansicht, die sich in ihrem bekannten Werk Selbstbildnis mit schwarzem Hintergrund wieder erkennen lässt, sind in diesem Werk wiedervereint. Zusammen deuten diese Merkmale die Anzeichen auf den Tod. Den Prozess von Auflösung erörterte sie bereits in früheren Jahren, wo sie eines ihrer Mädchendarstellungen in Erde vergraben wollte, um es dem natürlichen Zerfallsprozess auszusetzten. Das Übermalen und wieder Abkratzten der Farben, wie es auch im Selbstbildnis mit schwarzem Hintergrund von 1915 der Fall ist,

steigert den Anschein, dass Schjerfbeck bereits früh Ideen aufgriff, um den Zerfall und das Altern ohne Hilfe von Attributen darzulegen. Möglicherweise war es die Angst vor dem Krieg und der verbundenen Flucht, die sie im Alter von 77 Jahren dazu veranlassten, Bildnisse, die ihre Existenz in Frage stellen[15], zu malen.

d) Schlüssel des persönlichen Friedens - Letzte Phase bis 1946

Geflohen von Finnland nach Stockholm, lebt sie weiter abgeschieden von der Außenwelt. In den letzten Lebensjahren schafft sie ungefähr die Hälfte ihrer Selbstbildnisse an. Im Selbstportrait mit rotem Punkt von 1944 (Abb. 7) der Tod besonders erschreckend dargestellt. Der Eindruck von Auflösung und Verlöschen[16] wird durch den leblos offenen Mund, das starrende rechte Auge und den Kopf, der im Schatten und Bildhintergrund verschwindet, erzeugt. Außerdem wird dieser Eindruck wieder durch den sehr flächigen Farbauftrag bestärkt. Der Malstil Helene Schjerfbecks weist eindeutig sehr moderne Züge auf. Eine letzte Lebenskraft kann der rote Punkt auf der Unterlippe darstellen. Verglichen zu Bildnissen in früheren Jahren, ist keine Skepsis oder Angst mehr zu erkennen. Ganz im Gegenteil, es werden hier der Verlust von Spannkraft und die Nähe des Todes dargestellt. Noch vereinfachter und abstrakter sind ihre Bilder Selbstbildnis Licht und Schatten von 1945 (Abb. 8) und ihr Letztes Selbstbildnis, auch von 1945 (Abb. 9). Das Selbstbildnis Licht und Schatten ist überwiegend in grün bis grau gehalten und es durchgeht eine Linie, die „von der Stirn über die Nase bis zum Kinn […]. ʺ[17], die die rechte tiefere und dunkle Gesichtshälfte von der helleren linken trennt. Der Mund ist wieder unbelebt offen und die Augen sind zu. Dieses Phänomen lässt sich in ihrem letzten Portrait aus Kohlezeichnung wiederfinden. Überschaubar dicke Linien formen die Kopfumrandung und verursachen durch wegwischen eine schattierte rechte Gesichtshälfte. Augen, Nase, Mund und Ohren sind in spitzen Winkeln abstrahiert angedeutet. Das Skelett eines Totenschädels ist in beiden Bildern nur unschwer zu erkennen. Den unvermeidlichen Tod versichert Schjerfbeck in diesen letzten Selbstportraits in einer erschütternden Art und Weise, jedoch scheint sie sich mit dem Alter abgefunden zu haben, dass sie sich in einer derartigen Lebensphase präsentiert.

6. Fazit

Helene Schjerfbecks Reihe von Selbstbildnissen, die nach ihrem 50.Lebensjahr entstanden sind, offenbaren die Entwicklung ihres Charakters. Sie etabliert sich in ihrem Leben, als auch in ihren Selbstportraits zu angesehenen Künstlerkreisen, wobei das nicht immer leicht war. Denn Künstler in Finnland fürchteten die Herangehensweise und Eigenständigkeit der Künstlerinnen[18] und neigen in den 80er Jahren dazu, ihre Kunst als durchschnittlich zu sehen[19]. Dennoch hinterlässt sie einen unvergesslichen Eindruck beim Betrachter durch ihre präzisen und kantigen, sowohl als auch, früheren, weichen Zügen in ihren Selbstbildnissen. Ihre Sensibilität, die durch Krankheiten und Einsamkeit beeinflusst wird, wird anfangs in ihren Selbstbildnissen dargestellt und wandelt sich in abstraktem Wege durch das „Entfernen der überschüssigen Farbe von der Leinwand“[20] in die Darstellung des eigenen körperlichen Verfalls um. Der freie Farbauftrag, so wie die Vereinfachung, bis „alles Körperliche“[21] entzogen ist. Sie scheut nicht davor, sich im Alter vom Tod gezeichnet, darzustellen.

Schjerfbecks Selbstportraits sprechen aus ihrer persönlichen Verfassung und nähern sich mit dem älter werden ihrem persönlichen Malstil, die durch ihre Einzigartigkeit unverwechselbar ist, da es sich weder exakt in die expressionistische Malerei, noch genau in die moderne Malerei einordnen lässt.

Helene Schjerfbeck, eine Künstlerin, die selbstsicher durch Skepsis und Angst, ihren eigenen Weg geht, wächst aus sich heraus und hinterlässt durch ihre Selbstbildnisse die einzelnen Schritte einer Selbstanalyse, die sogar die Alterung und Sterblichkeit zweifellos akzeptieren lässt.

Literaturangabe

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Athola-Moorhouse, Leena und Schjerfbeck, Helene, Helene Schjerfbeck: Finlands modernist rediscovered; the Philips Collection, Washington D.C., 16.5. - 30.8.1992, the National Academy of Design, New York, 23, Helsinki, 1992, 2. Auflage.

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Bergström, Lea, Helene Schjerfbeck : taikavuorella - muutoksen vuodet, 1902 – 1925, Söderström 2001.

Bergström, Lea und Cedercreutz-Suhonen, Sue: Helene Schjerfbeck, malleja, modeller, models, Söderström 2004.

Beyer, Andreas, Das Porträt in der Malerei, München 2002.

Borzello, Frances, Wie Frauen sich sehen: Selbstbildnisse aus fünf Jahrhunderten, München 1998, 1. Auflage.

Buchhart, Dieter (Hrsg.) und Edvard Munch (III.), Edvard Munch: Zeichen der Moderne, Katalogbuch zur Ausstellung in Würth , Ostfildern 2007.

Chapman, H.Perry, Rembrandt’s self- portraits: A study in Seventeeth- Century Identity, Princeton 1990.

Görgen, Annabelle und Gaßner, Hubertus (Hrsg.), Helene Schjerfbeck : 1862- 1946, Katalogbuch zur Ausstellung in Hamburg, München 2007.

Jochimsen, Margarethe, Felixmüller, Conrad (III.) und Daners, Peter (Hrsg.), Conrad Felixmüller, strudeln im Strom der Zeit: graphische Arbeiten, Köln 2006.

Koja, Stephan (Hrsg.), Nordlicht Finnlands Aufbruch zur Moderne 1890- 1920, München 2005.

Munch, Edvard: Edvard Munch: Liebe, Eifersucht, Tod und Trauer, London 2005.

Müller-Westermann, Iris, Edvard Munch: Die Selbstbildnisse, München 2005.

Rebel, Ernst, Selbstportraits: Kleine Reihe-Genres, Köln 2008.

Schjerfbeck, Helene, Helene Schjerfbeck : Eine Ausstellung anlässlich des 20 Jährigen Bestehens der Deutschen Auslandsgesellschaft, Lübeck 1969, Kap. 2.

Spanke, Daniel, Porträt- Ikone- Kunst: methodologische Studien zur Geschichte des Porträts in der Kunstliteratur, München 2004.

Sarajas-Korte, Salme und Churberg, Fanny, Malerinder fra Finland/ Sieben finnische Malerinnen, Katalogbuch zur Ausstellung in Hamburg, Helsinki 1983.

Taylor, Hilary und Whistler, James McNeill (III.): James McNeill Whistler, London 1978.

Winner, Matthias (Hrsg.) und Bätschmann, Oskar, Der Künstler über sich in seinem Werk: internationales Symposium der Bibliotheca Hertziana Rom 1969, Weinheim 1992.

Zimmermann, Felix: Karl Truppe, Wien 1942.

[...]


[1] Vgl.: Ahtola-Moorhouse, Leena (2007): „Das Leben und das Werk“, in: Görgen, A. und Gaßner, H. (Hrsg.), Helene Schjerfbeck: 1862- 1946, Katalogbuch zur Ausstellung in Hamburg, München 2007, S. 25.

[2] Landeshauptstadt von Finnland

[3] 1900 erkrankt sie außerdem an Influenza und hat Herzprobleme.

[4] Ihr Vater litt an Tuberkulose. Vgl.: Gaßner, Hubertus und Görgen, Annabelle (Hrsg.), Helene Schjerfbeck: 1862-1946, Katalogbuch zur Ausstellung in Hamburg, München 2007, S. 173.

[5] Vgl.: Ahtola-Moorhouse, L. (2007): „Das Leben uns das Werk“, in: Gaßner, H. und Görgen, A. (Hrsg.), Helene Schjerfbeck: 1862-1946, Katalogbuch zur Ausstellung in Hamburg, München 2007, S. 23.

[6] In Auftrag des Staates kopiert sie, für die staatliche Kopiensammlung, Gemälde in St. Petersburg und Wien. Sie nimmt an einer Ausstellung in London teil und verbringt vorher sechs Wochen mit ihrem Bruder in Italien.

[7] Vgl.: Borzello, Frances, Wie Frauen sich sehen: Selbstbildnisse aus fünf Jahrhunderten, München, 1998, S. 21.

[8] Vgl.: Schneede, Uwe M. (2007): „Die Selbstbildnisse“, in: Gaßner, H. und Görgen, A. (Hrsg.), Helene Schjerfbeck: 1862-1946, Katalogbuch zur Ausstellung in Hamburg, München 2007, S. 33.

[9] Vgl.: Borzello, Frances, Wie Frauen sich sehen: Selbstbildnisse aus fünf Jahrhunderten, München 1998, S. 149.

[10] Vgl.: Schneede, Uwe M. (2007): „Die Selbstbildnisse“, in: Görgen, A. und Gaßner, H. (Hrsg.), Helene Schjerfbeck 1862-1946, Katalogbuch zur Ausstellung in Hamburg, München 2007, S.35.

[11] Ebda.

[12] Vgl: Ahtola-Moorhouse, Leena, And nobody knows what I’m like: Helene Schjerfbeck’s self portraits, 2002, S. 16.

[13] Vgl.: Salme Sarjas-Korte: „Verstehst du, nicht Weiberkunst, sondern weibliche Kunst“, in: Malerinder fra Finland/ Sieben finnische Malerinnen, Katalogbuch zur Ausstellung in Hamburg, Helsinki 1983, S. 9.

[14] Vgl.: Ahola-Moorhouse, Leena, And nobody knows what I’m like: Helene Schjerfbeck’s self portraits, 2002, S. 42.

[15] Dadurch, dass sie sich selber unbeständig und dem Tode nahe malt.

[16] Vgl.: Schneede, Uwe M. (2007): „Die Selbstbildnisse“, in: Görgen, A. und Gaßner, H. (Hrsg.), Helene Schjerfbeck 1862-1946, Katalogbuch zu Ausstellung in der Hamburg, München 2007, S.37.

[17] Ebda.

[18] Ahtola-Moorhouse, L. (2007): „Das Leben und das Werk“, in: Görgen, A. und Gaßner, H. (Hrsg.), Helene Schjerfbeck 1862-1946, Ausstellungskatalog der Hamburger Kunsthalle, München 2007, S.23.

[19] Ebda.

[20] Borzello, Frances: Wie Frauen sich sehen: Selbstbildnisse aus fünf Jahrhunderten, München 1998, S. 148.

[21] Schneede, Uwe M. (2007): „So offenbart der Maler seine Seele“, in: Görgen, A. und Gaßner, H. (Hrsg.), Helene Schjerfbeck 1862-1946, Ausstellungskatalog der Hamburger Kunsthalle, München 2007, S.37.

Ende der Leseprobe aus 16 Seiten

Details

Titel
Helene Schjerfbecks Selbstportraits und die Entwicklung ihres Malstils
Hochschule
Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
Note
3,0
Autor
Jahr
2008
Seiten
16
Katalognummer
V111570
ISBN (eBook)
9783640096206
Dateigröße
502 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Helene, Schjerfbecks, Selbstportraits, Entwicklung, Malstils
Arbeit zitieren
Fatna Basörtü (Autor:in), 2008, Helene Schjerfbecks Selbstportraits und die Entwicklung ihres Malstils, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/111570

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