Wie unendlich und so vielseitig - wie überwindbar und unverständlich erscheint es uns: das Leid, das uns Geschöpfen immer wieder aufs Neue hin auf unserem Lebensweg begegnet oder ihn ungewollt in andere als die geplanten Bahnen lenkt. Es scheint selbst einem anthropologischen Faktor - einer dem Menschen typische Eigenschaft - gleichzukommen. Das Leid, welches uns in Formen von körperlichem und seelischem Übel, sowie im Leiden an der Liebe und auch im Leiden an Gott begegnen kann, wirft für uns Menschen Fragen auf: Welchen Sinn hat es? Wo kommt es her? Und warum muss gerade ich es erdulden?
Auch für den Glauben eines Christen stellen sich diese Fragen immer wieder neu: Wie kann ein gütiger, liebender Gott all diese schrecklichen Geschehnisse zulassen? Zur Nachfolge und Jüngerschaft Jesu scheinen diese Fragen dazu zugehören. Denn selbst Jesus Christus war es, der in der Stunde seiner größten Not vom Kreuz hinauf in den Himmel schrie: „'Eli, Eli, lama asabtani?' Das heißt übersetzt: Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?“
Inhaltsverzeichnis
1. Problembegegnung
1.1 Einführung
1.2 Begriffsklärung und kurze historisch-theologische Betrachtung des Theodizee-Problems
1.3 Die Rede „über“ oder „von“ Gott
1.4 Theodizee - ein sinnloses Unterfangen?
1.5 Theodizee - Fels des Atheismus?
2. Gott und Mensch in der Beziehung
2.1 Die Liebe - das Wesen Gottes als Schöpfungsgrund
2.2 Die Liebe - Auftrag und Herausforderung in der göttlich-menschlichen Beziehung
3. Betrachtung des „Übels“ nach G. W. Leibniz
3.1 Das „malum metaphysicum“
3.2 Das „malum morale“
3.3 Das „malum physicum“
4. Der Umgang mit dem Leid
4.1 Überwindung durch Liebe? - Gott im Leid
4.2 Abriss religionspädagogischer & praktisch-theologischer Aufgaben und Herausforderungen
5. Anlagen
I. Literaturverzeichnis
1. Problembegegnung
1.1 Einführung
Wie unendlich und so vielseitig - wie überwindbar und unverständlich erscheint es uns: das Leid, das uns Geschöpfen immer wieder aufs Neue hin auf unserem Lebensweg begegnet oder ihn ungewollt in andere als die geplanten Bahnen lenkt. Es scheint selbst einem anthropologischen Faktor - einer dem Menschen typische Eigenschaft - gleichzukommen. Das Leid, welches uns in Formen von körperlichem und seelischem Übel, sowie im Leiden an der Liebe und auch im Leiden an Gott begegnen kann, wirft für uns Menschen Fragen auf: Welchen Sinn hat es? Wo kommt es her? Und warum muss gerade ich es erdulden?
Auch für den Glauben eines Christen stellen sich diese Fragen immer wieder neu. Wie kann ein gütiger, liebender Gott all diese schrecklichen Geschehnisse zulassen? Zur Nachfolge und Jüngerschaft Jesu scheinen diese Fragen dazu zugehören. Denn selbst Jesus Christus war es, der in der Stunde seiner größten Not vom Kreuz herauf in den Himmel schrie: „'Eli, Eli, lama asabtani?' Das heißt übersetzt: Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?“[1]
„Ein Christ kann sich vor dieser Frage seines sterbenden Herrn nicht dispensieren; er hat vielmehr eine Antwort auf das Warum des Leidens angesichts eines gütigen und allmächtigen Gottes zu suchen“,[2] schreibt der katholische Theologe Gisbert Greshake, auf den ich mich im weiteren Verlauf noch häufiger beziehen werde. Doch dieses scheint leichter gesagt als getan. Die Antworten, die wir ersuchen, scheinen hinter einem Schleier verborgen. Unsere Gottesbilder, welche in heutiger Zeit sich hauptsächlich von dem Begriff der vollkommenen Liebe her definieren, hindern uns daran, das Leiden der Welt mit unserem Gott in Einklang bringen zu können. Mit der Theodizee stoßen wir an Grenzen, welche wir nicht zu überschreiten vermögen. Unsere ganze Geschöpflichkeit, unser Nicht-wie-Gott-sein, scheint uns hier bewusst zu werden. Besonders deutlich wird dieses in einem Zitat des altkirchlichen Schriftstellers Lactantius, der den Philosophen Epikur zitiert: „Gott, so sagt er [Epikur], will entweder die Übel in der Welt abschaffen und kann nicht; oder er kann nicht und will nicht; oder er kann und will. Wenn er will und nicht kann, dann ist er schwach, was auf Gott nicht zutrifft. Wenn er kann und nicht will, [dann ist er] schlecht, was ihm ebenfalls fremd ist. Wenn er nicht will und nicht kann, ist er schwach und schlecht und somit auch kein Gott. Wenn er will und kann, was allein Gott angemessen ist, woher kommen dann die Übel? Und warum beseitigt er sie nicht?“[3]
Eine weitere wichtige Frage, welche sich im Umgang mit der Theodizee ergibt, ist die der Anklage Gottes durch den Menschen. Gott scheint sich quasi wie ein Angeklagter in einem von Menschen geführten Gerichtsprozess für das Übel in der Welt rechtfertigen zu müssen.[4] Die sich nun auftuenden Fragen stellen sich nicht nur hinsichtlich einer Erlaubnis, sich gegenüber Gott als (An-) Kläger hinzustellen, sondern vielmehr auch nach dem Zweck, der Wirksamkeit und dem Sinn, Gott in seiner Unfassbarkeit (be-)greifen zu können.[5] -
Angesichts dieser und vieler weiterer Problemstellungen möchte ich im weiteren Verlauf eher von dem „Problem der Theodizee“, als von einer „Theodizee-Frage“ sprechen. Dieses erklärt sich ferner dadurch, dass die Frage nach dem Leid nicht nur einmalig, sondern in Geschichte und Gegenwart von verschiedensten Menschen in unterschiedlichster Situation, Art und Weise immer wieder neu gestellt und gelitten wurde und wird. Das Wort „Theodizee-Problem“ stellt einen Sammelbegriff dar, „der sehr unterschiedliche, ja unvereinbare Arten der Wahrnehmung und Artikulation einer Spannung oder eines Konfliktes zwischen der Erfahrung der Welt und dem Glauben an Gott zusammenfasst.“[6]
1.2 Begriffsklärung und kurze historisch-theologische Betrachtung des Theodizee-Problems
Der Begriff „Theodizee“ setzt sich aus den griechischen Worten „theós“ („Gott“) und „díkē“ („Gerechtigkeit“) zusammen und beschreibt, wie oben bereits angedeutet, den „Versuch einer Rechtfertigung Gottes angesichts des von ihm trotz seiner Allmacht und Güte zugelassenen […] Übels […] in der Welt.“[7] Der Kirchenlehrer Augustinus entwickelte erstmals zwei für die Folgezeit entscheidende klassische Antworten: „Die erste Antwort lautet: Die Schönheit der Weltordnung Gottes strahlt gerade in ihren Gegensätzen glänzend hervor, sie zeigt sich darin, dass das Böse, das sich in ihr findet, (a) dem Guten dienen muss und (b) von Gott schließlich und endlich zu einem Ziel geführt wird. An dieser doppelten Relativierung des Dunklen und Üblen wird deutlich, dass die 'Leiden dieser Zeit' nicht der Güte Gottes widersprechen. Die zweite Antwort besagt, dass nicht Gott, sondern die Sünde des Menschen Ursache allen Leidens ist und deshalb auch der Mensch allein für alle Übel verantwortlich zeichnet.“[8]
Der Begriff „Theodizee“ selbst wurde von dem Philosophen und Mathematiker Gottfried Wilhelm Leibniz Ende des 17. Jahrhunderts geprägt. Leibniz versuchte das Theodizee-Problem theoretisch so zu lösen, indem er von einem metaphysischen Übel („malum metaphysicum“) als Unvollkommenheit aller endlichen Wesen, dem physischen Übel („malum physicum“) als Leiden und dem moralischen Übel („malum morale“) als Sünde sprach.[9] Weiterhin ging er, wie es Gisbert Greshake in einer seiner Abhandlungen beschreibt, ebenso wie Augustinus von einem Schöpfungsgedanken aus, welcher es möglich macht, von einer „Rechtfertigung Gottes“ zu sprechen: „Diese mündet in dem Satz ein: 'Wäre die Welt nicht die beste aller möglichen Welten, dann hätte Gott überhaupt keine erschaffen!' […] Die leibnizsche Theorie hat die Geistesgeschichte der Neuzeit […] tiefgehend bestimmt. Bei aller Verschiedenheit im Einzelnen bleibt der Grundgedanke erhalten: Gott kann gerechtfertig werden; Gott und das Leid widersprechen sich nicht, da das Leid noch einmal in einem höheren, einsichtig zu machenden Sinnzusammenhang steht.“[10] Dieser Einstellung Leibniz´ widersprachen im späteren zeitlichen Verlauf jedoch andere Geisteswissenschaftler. Immanuel Kant sah es als dem Menschen nicht möglich an, die Gründe nach dem weltlichen Leid mittels seiner Vernunft zu erklären. Gishake fasste diesen Gedanken zusammen, indem er schrieb: „Wir können nicht ergründen, warum Gott eine Welt voller Übel und Leiden geschaffen hat und er kein menschliches Leben vor dem Leide, was immer es auch sei, bewahrt.“[11] Ähnlich sah es der neuzeitliche Theologe Karl Rahner: „Die Unbegreiflichkeit des Leides ist ein Stück der Unbegreiflichkeit Gottes.“[12]
1.3 Die Rede „über“ oder „von“ Gott
Bei der Betrachtung des Theodizee-Problems wird also deutlich, dass es uns Menschen hinsichtlich des verschiedenen Leidens, welches uns immer wieder begegnet, schwerfällt, Worte und Sprache über einen liebenden Gott zu finden, der diese schrecklichen Geschehnisse akzeptieren evtl. sogar wollen könnte.
Zuerst möchte ich jedoch, dem Theologen Rudolf Bultmann folgend, darauf hinweisen, dass wir nicht in der Lage sind „über“ Gott zu reden, da wir ihn, zumindest biblisch-theologisch betrachtet, nicht als eine Art Konstrukt, als ein Objekt, welches auf uns keinerlei Wirkung und Einfluss verüben würde, betrachten können. Dieses lässt sich allein schon von dem Wesen Gottes - der Liebe (vgl. 1. Joh. 4, 16) - her begründen. Die Liebe braucht, um wirklich vollkommen existieren und agieren zu können, immer ihr Gegenüber, in dem sie aufgehen, sich ferner entfalten und aus dem sie selbst wieder neu Kraft schöpfen kann. Von daher können wir Gott nur von dem Hintergrund unserer eigenen persönlichen Erfahrungen, die wir in der Beziehung mit Gott gemacht haben, - seien sie positiv oder negativ - „von“ ihm sprechen. Diese Begegnungen müssen sich immer wieder in speziellen Situationen vollziehen, um unser Gottes- und Glaubensbild zu prägen. Eine neutrale Rede von Gott ist also, meines Erachtens nach, nicht möglich.
Weiterhin ist ebenso zu bedenken, dass das Wesen Gottes niemals von einem Menschen allein bzw. allen bisher lebenden Menschen gedacht, erfasst, gefühlt und erfahren werden kann. Es existieren immer Situationen, in denen wir an die Grenzen unserer Vorstellungs- und Erfahrungskraft stoßen, d. h. in der wir Gott mit unseren eigenen Begriffen nicht erklären können. Mit Martin Luther und der mittelalterlichen Theologie halte ich den Begriff eines „Deus absconditus“ (lat. eines „verborgenen Gottes“) für treffend. Diese Beschreibung besagt, dass Gott, als absolut transzendent und unerforschlich, niemals mit menschlichen Kategorien zu fassen sei.[13] Ebenso hat auch schon die platonische Philosophie bereits früh erkannt, dass der Mensch lediglich nur Schatten des Eigentlichen von Gott her erkennen könne. Die Erfahrungen aus dem Beziehungsaspekt, welche sich stets aus der Offenbarung Gottes her begründen (s. Karl Barth), bilden somit das einzige Fundament bei der Beschäftigung mit dem Theodizee-Problem im theologischen Diskurs. Diese Bedeutung wird auch im folgenden Punkt relevant.
1.4 Theodizee - ein sinnloses Unterfangen?
Im Bezug auf die oben erwähnte Bedeutung der individuellen Gotteserfahrungen stellte sich u. a. in den wissenschaftlich-theologischen Diskussionen die Frage, ob es überhaupt Sinn mache, eine allgemeingültige theoretisch verfasste Antwort oder Lösung auf das Theodiezee-Problem, welches sich bekanntlich aus vielen unterschiedlichen menschlichen Erfahrungen und zutiefst existentielle Fragen zusammensetzt, zu suchen. Denn theologische Theorien können und dürfen nicht im Namen des Glaubens anderen Menschen aufgedrängt werden. Gerade im Umgang mit dem Theodizee-Problem ist eine individuelle Betrachtung der Situation mit einer daraus resultierenden Lösungssuche unvermeidlich. Greshake zitiert diesbezüglich u. a. den katholischen Alttestamentler Erich Zenger, der schreibt: „Leiden ist nicht ein theoretisches Problem, das es zu verstehen gilt. Leid kann nie verstanden werden. Es hilft letztlich auch nichts, Leiden zu verstehen. Leiden ist eine Situation, die allein durch menschliche, christliche, glaubende Praxis zu verstehen ist.“[14]
Diese scheint vielleicht auch mit ein Grund zu sein, warum das Problem der Theodizee bislang in der Theologie nicht so intensiv behandelt wurde. Dorothee Sölle sprach z. B. hinsichtlich des theologischen Versuches, sich der Vereinbarkeit von Gottesglauben und menschlichen Leid stellen zu müssen, von einem „theologischen Sadismus“.[15] Und auch in der Religionssoziologie wurde seitens Peter L. Bergers beobachtet, dass die Theologie des späten 20. Jahrhunderts z. B. auf den Terror der Nazizeit scheinbar eher schweige und sich stattdessen eher anthropologischen und ethisch-politischen Fragen widme.[16] Ähnlich sieht es der Theologe Johann Baptist Metz, der eher einen „solidarischen Einsatz für die Leidenden und gegen das Leid, [sowie eine] 'Compassion', [ein] Mit-Leiden an den Grenzen, Schründen und Qualen der Schöpfung, wo immer Menschen von der 'himmelschreienden Leidenserfahrung in der Welt' erfasst werden [, fordert]. Solche Compassion weiger[e] sich, nach einer 'Lösung' der Theodizee-Frage zu suchen und sie vorzulegen.“[17]
Diesen „diakonischen Vorschlag“, dem Leid mit Mit-Leiden aus Nächstenliebe heraus zu begegnen, den Metz hier unterbreitet, kann ich einerseits nachvollziehen und werde ihn auch im späteren Verlauf noch weiter betrachten. Andererseits frage ich mich, was wir für eine Theologie betreiben würden, wenn wir die für die Menschen elementaren Fragen und Probleme mit dem Leid einfach ausblenden würden, nur weil sie evtl. nicht mit unserem Gottesbild konform zu gehen scheinen. Freilich sind allgemein gefasste Theorien nicht in der Lage, die persönlichen Erfahrungen des Leidens zu beantworten bzw. zu lösen, aber sie können meines Erachtens zumindest den Rahmen vorgeben, in dem eine solche Lösung evtl. zu suchen ist. Und die ferner vielleicht aufzeigen können, dass die zunächst unbeschreiblich erscheinende Lawine des Leidens kein Widerspruch zum Glauben an einen liebenden Gott darstellen muss.
[...]
[1] Siehe: Evangelium nach Markus 15, 34.
[2] Vgl.: Greshake, Gisbert: Warum lässt uns Gottes Liebe leiden?; Freiburg 2007, S. 7 f.
[3] Vgl.: Lactantius: De ira Die 13; 20 f. (Sources chretiennes 289, 158, 160).
[4] Siehe: Härle, Wilfried: Dogmatik; Berlin 2007, S. 440 ff.
[5] Vgl.: Römer 9, 20 f.
[6] Siehe: Härle, Wilfried; a. a. O., S. 443.
[7] Siehe: Duden Lexikon: Religion und Ethik; Mannheim 2005, S. 355.
[8] Vgl.: Greshake, Gisbert; a. a. O., S. 17.
[9] Siehe hierzu: Härle, Wilfried; a. a. O., S. 444 f.
[10] Siehe: Greshake, Gisbert; a. a. O., S. 18 f. sowie: Joest, Wilfried: Dogmatik Bd. 1: Die Wirklichkeit Gottes; Göttingen 1989, S. 181.
[11] Ebd., S. 19.
[12] Zitiert ebd., S. 19 f.
[13] Vergleiche hierzu in der Heiligen Schrift u. a. 1. Könige 8, 27 sowie 1. Timotheus 6, 16.
[14] Siehe wieder: Greshake, Gisbert; a. a. O., S. 22.
[15] Ebd., S. 15.
[16] Ebd., S. 16.
[17] Ebd., S. 23.
- Arbeit zitieren
- Tobias Knöller (Autor:in), 2008, Der Gott der Liebe und das Leid seiner Geschöpfe - Das Problem der Theodizee, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/111687
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