Gerechte Grundversorgung im Gesundheitswesen

Das Grundversorgungsmodell nach Stefan Huster unter dem Blickpunkt der sozialen Gerechtigkeit und der Gerechtigkeitstheorie


Seminararbeit, 2007

17 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


INHALTSVERZEICHNIS

0. EINFÜHRUNG

1. DIE GESUNDHEITSVERSORGUNG DER GESETZLICHEN KRANKENVERSICHERUNG (GKV)
1.1. DAS SOLIDARPRINZIP UND DER SOLIDARAUSGLEICH
1.2. DER GKV-LEISTUNGSKATALOG

2. DIE NOTWENDIGKEIT DER RATIONIERUNG IM GESUNDHEITSWESEN
2.1. URSACHEN DER KOSTENSTEIGERUNG IM GESUNDHEITSWESEN
2.2. RATIONALISIERUNG ODER RATIONIERUNG?

3. DAS GRUNDVERSORGUNGSMODELL ALS GERECHTE GESUNDHEITSVERSORGUNG
3.1. ÜBERLEGUNGEN ZU EINER GERECHTEN GESUNDHEITSVERSORGUNG
3.2. DAS GRUNDVERSORGUNGSMODELL NACH HUSTER
3.2.1. WAS UMFASST EINE ANGEMESSENE GRUNDVERSORGUNG?
3.3. KRITISCHE BEWERTUNG DES GRUNDVERSORGUNGSMODELLS

4. ZUSAMMENFASSUNG UND FAZIT

LITERATURVERZEICHNIS

DARSTELLUNGSVERZEICHNIS

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

0. EINFÜHRUNG IN DIE HAUSARBEIT

Die vorliegende Arbeit befasst sich mit der Idee einer medizinischen Grundversorgung unter dem Blickpunkt der sozialen Gerechtigkeit und der Gerechtigkeitstheorie. Gegenstand der Arbeit bildet dabei das Grundversorgungsmodell nach Stefan Huster, Professor für Sozialrecht an der Ruhr-Universität Bochum.

Die Arbeit ist in vier Abschnitte untergliedert. Um die Idee einer medizinischen Grundversorgung in den thematischen Kontext einzuordnen, befasst sich der erste Abschnitt mit der Darlegung der Gesundheitsversorgung der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV), mit besonderem Fokus auf ihr soziales Gerechtigkeitsprinzip, dem Solidarprinzip sowie die Konkretisierung und Bewertung ihres Leistungskataloges. Im zweiten Abschnitt wird vor dem Hintergrund der Kostensteigerungen im Gesundheitswesen argumentiert, warum eine Rationierung im Gesundheitswesen unerlässlich ist. Schließlich beschäftigt sich der dritte Abschnitt mit der Idee des Grundversorgungsmodells als gerechte Gesundheitsversorgung. Hierfür werden zuerst gerechtigkeitstheoretische Überlegungen angeführt, anschließend wird das Huster-Modell vorgestellt, um abschließend eine kritische Bewertung mit Blick auf die Fragestellung durchzuführen. Die Arbeit schließt mit einer Zusammenfassung und einem kurzen Fazit.

1. DIE GESUNDHEITSVERSORGUNG DER GESETZLICHEN K RANKENVERSICHERUNG (GKV)

Die Krankenversicherung wird in Deutschland von zwei unterschiedlichen Systemen getragen: der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) und der privaten Krankenversicherung (PKV). Die GKV ist Teil des bundesdeutschen Sozialversicherungssystems und stellt dahingehend die soziale Sicherung im Krankheitsfall sicher. Etwa 90 Prozent der Bevölkerung sind über die GKV versichert.1

Um später das Grundversorgungsmodell besser verstehen zu können und die Unterschiede bzw. Gemeinsamkeiten im Vergleich zur derzeitigen Gesundheitsversorgung nachzuvollziehen, konzentrieren sich die folgenden Ausführungen auf das Gerechtigkeitsprinzip der GKV sowie auf die Konkretisierung und Bewertung ihres Leistungskataloges.

1.1. DAS SOLIDARPRINZIP UND DER SOLIDARAUSGLEICH

Das fundamentale Prinzip der gesetzlichen Krankenversicherung ist das Solidarprinzip. Es sagt aus, dass die Mitglieder einer definierten Solidargemeinschaft sich im Krankheitsfall gegenseitig Hilfe und Unterstützung gewähren. Dies geschieht über eine kohortenspezifische Umverteilung der Behandlungskosten, dem so genannten Solidarausgleich.

Die wichtigsten Umverteilungsprozesse in der GKV sind im Folgenden dargestellt:

Darstellung 1: Solidarausgleich in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an Simon, M. (2005), S. 54.

Die Basis dieser nun im Folgenden erläuterten Verteilungswirkungen stellt die Art der Finanzierung von Sozialversicherungsmodellen dar. Denn die Finanzierung erfolgt ausschließlich über die Zahlung von Versicherungsbeiträgen.2 Als Bemessungsgrundlage dient das Einkommen aus unselbständiger Arbeit. D.h. anders als in privatwirtschaftlich organisierten Versicherungssystemen – wie der PKV in Deutschland – spielen Alter, Geschlecht, Anzahl der Mitversicherten und vor allem das persönliche Krankheitsrisiko keine Rolle.3

Beim Solidarausgleich zwischen Gesunde und Kranken werden wenige

Behandlungsbedürftige durch viele Gesunde finanziert, ohne dass die unterschiedliche Risikosituation bei den Beiträgen berücksichtigt wird. Als Folge der einkommensabhängigen prozentualen Versicherungsbeiträge zahlen Erwerbstätige mit höherem Einkommen für Mitglieder mit geringerem Einkommen mit. Entsprechend dem Ziel der sozialen Gerechtigkeit, kommt es hier also zu einer Einkommensumverteilung.4

Die im Schnitt höheren Krankheitskosten der Rentner würden nur teilweise durch ihre eigenen Beiträge abgedeckt. Dank des Generationenausgleichs zahlen jüngere, im Erwerbsleben Stehende, für ältere Versicherte mit. Schließlich kommt es aufgrund der beitragsfreien Mitversicherung von Familienmitgliedern dazu, dass diese Mehrausgaben über die Solidargemeinschaft getragen werden. Dieser bedeutende Solidarausgleich wird als Familienlastenausgleich bezeichnet.5

1.2. DER GKV-LEISTUNGSKATALOG

Der Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung wird vom höchsten Gremium der gemeinsamen Selbstverwaltung, dem Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA), konkretisiert.6 Dieser setzt sich paritätisch aus Vertretern der Ärzte und Krankenkassen zusammen. Das Plenum wird durch unparteiische Mitglieder und Vertreter der Patientenseite ergänzt. Anders als alle anderen Mitglieder des Ausschusses, haben die Patientenvertreter kein Stimmrecht, sondern ausschließlich Antrags- und Mitberatungsrecht.7

Die Konkretisierung erfolgt gemäß des im Sozialgesetzbuch V kodifizierten Wirtschaftlichkeitsgebotes. D.h. nur Leistungen8, welche ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sind und das Maß des Notwendigen nicht überschreiten, dürfen von den Leistungserbringern bewirkt und von den Krankenkassen bewilligt werden.9 Der Ausschuss hat somit die Befugnis einzelne Leistungen in den Katalog aufzunehmen, aber auch Leistungen auszuschließen.10

Die Bewertung erfolgt im Einzelnen nach vier Kriterien. Es muss ein Nachweis über den therapeutischen Nutzen der Leistung erbracht werden, d.h. über seine Wirksamkeit bei spezifischen Indikationen. Daneben gilt es den diagnostischen Nutzen durch die technische Qualität, die diagnostische Treffsicherheit und Aussagekraft der Leistung zu belegen. Die Leistung wird auch auf seine medizinische Notwendigkeit überprüft. So soll vermieden werden, dass eine Therapiealternative unnötigerweise zu einer bereits bestehenden in den Leistungskatalog aufgenommen wird. Letztlich erfolgt eine Wirtschaftlichkeitsüberprüfung; hier werden die Kosten der neu aufzunehmenden den Kosten der bereits bestehenden Leistung

gegenübergestellt. Hervorzuheben ist, dass das Kriterium der Wirtschaftlichkeit im Vergleich zu den oben genannten im Bewertungsprozess eine nachrangige Stellung einnimmt.11

2.DIE NOTWENDIGKEIT DER R ATIONIERUNG IM GESUNDHEITSWESEN

Das Gesundheitswesen steht heute und in Zukunft vor großen gesellschaftlichen und sozio- ökonomischen Herausforderungen. Der medizinisch-technische Fortschritt, die Alterung der Bevölkerung, der Wandel des Krankheitsspektrums von akuten zu chronischen Krankheiten sowie die ökonomische Entwicklung weisen auf notwendige Veränderungen hin. Im Folgenden werden nun die einzelnen Punkte näher beleuchtet. Der zweite Unterabschnitt argumentiert anschließend, warum die Maßnahme der Rationierung dieser Entwicklung entgegensteuern kann.

2.1. URSACHEN DER KOSTENSTEIGERUNG IM GESUNDHEITSWESEN

Der Fortschritt der modernen Medizin ist offenbar Opfer ihres eigenen Erfolges. Ursache dessen ist, dass anders als in anderen Bereichen, dieser Fortschritt statt Ersatz-, Zusatztechnologien schafft, „also Verfahren, die etwas bis dato Unmögliches auf einmal möglich machen.“ Zu den Zusatztechnologien gehören auch so genannte halfway- technologies, die zwar der Lebensverlängerung, nicht aber der Heilung der Krankheiten dienen. Diese Entwicklung wird auch als Fortschrittsfalle bezeichnet. Auf der einen Seite werden mehr Krankheiten erkennbar und behandelbar, auf der anderen Seite wird dadurch das Gesundheitssystem finanziell stark belastet.12

Demographisch ist zwar durch die steigende Lebenserwartung eine Alterung der Bevölkerung festzustellen, jedoch ist das Maß ihrer Auswirkung auf die Gesundheitsausgaben nicht abschließend geklärt. So besagt die Kompressions-These etwa, dass die steigende Lebenserwartung sich nicht in dem Umfang auf die Kosten auswirkt wie gemeinhin vermutet. Die höchsten Kosten entstehen in den zwei letzten Lebensjahren, doch durch die mit der steigenden Lebenserwartung verbunden sinkenden Sterberate, befinden sich anteilsmäßig weniger Menschen in den beiden letzten Lebensjahren; und so haben sie keinen signifikant steigenden Anteil an den Gesamtkosten. Auf der anderen Seite geht die Medikalisierungs-These davon aus, dass der Großteil der medizinischen Leistungen von älteren Menschen beansprucht wird. Durch das zusätzliche Phänomen des double aging – d.h. ein Anstieg der durchschnittlichen Lebenserwartung bei gleichzeitigem Geburtenrückgang –, führt dies zu einer überproportionalen finanziellen Belastung des Gesundheitswesens.13

Eng verbunden mit der demographischen Entwicklung und dem medizinisch-technischen Fortschritt ist der Wandel des Krankheitsspektrums. Die Verhinderung bzw. Heilung lebensbedrohlicher Erkrankungen in immer jüngeren Jahren gelingt zunehmend häufiger. Ein steigender Anteil an Menschen leidet somit an behandlungsintensiven, chronischen Erkrankungen bzw. Erkrankungen mit einer langen Latenzzeit.14

Da im Finanzierungsmodell der GKV das Arbeitseinkommen als ausschließliche Bezugsgröße herangezogen wird (vgl. 1.1.), kommt es bei hoher Arbeitslosigkeit – wie es derzeit in Deutschland der Fall ist – zu einer Einnahmenproblematik. Sinkende Einnahmen bei hoher Ausgabenlast führen zur Erhöhung des Beitragssatzes15. Hinzu kommt die Tatsache, dass die Hälfte der Krankenversicherungsbeiträge vom Arbeitgeber als Lohnzusatzkosten getragen wird. Also wirkt sich ein Anstieg des Beitragssatzes immer auch negativ auf den Faktor Arbeit aus.

2.2. RATIONALISIERUNG ODER RATIONIERUNG?

Zwei mögliche Maßnahmen gegen die Kostensteigerung im Gesundheitswesen sind zum einen die Rationalisierung und zum anderen die Rationierung. Unter dem Begriff der Rationalisierung versteht man die Ausschöpfung von Wirtschaftlichkeitsreserven, also Maßnahmen zur Effektivitätssteigerung. Im Gesundheitswesen hieße das, dass unnötige Leistungen bzw. solche mit fragwürdigem Nutzen unterlassen würden. Demgegenüber bedeutet die Rationierung, dass durchaus wirksame Leistungen dennoch – meist aus Knappheitsgründen – vorenthalten werden.16 Oder wie es Breyer formuliert: „Rationierung läuft darauf hinaus, dass ein Kunde eine Leistung zum Preis von null oder nahe null erhält, aber nicht in der von ihm gewünschten Menge.“17

Gewiss sind im Gesundheitswesen noch beträchtliche Einsparungen durch Rationalisierung zu erreichen. Diese Bestrebungen jedoch können jeweils nur einen einmaligen Effekt auf die Gesundheitsausgaben haben. Der oben dargestellten Entwicklung kann durch reine Rationalisierungsmaßnahmen langfristig nicht entgegengewirkt werden.18

[...]


1 Vgl. Rosenbrock, R. / Gerlinger, T. (2006): S. 99.

2 Seit dem 1.1.2004 zahlt der Staat zusätzlich steuerfinanzierte Zuschüsse an die GKV.

3 Vgl. Rosenbrock, R. / Gerlinger, T. (2006): S. 103.

4 Dieser Solidarausgleich ist allerdings begrenzt, da auf Einkommen oberhalb der so genannten Beitragsbemessungsgrenze keine Beiträge mehr erhoben werden.

5 Vgl. Simon, M. (2005): S. 55ff.

6 Vgl. Rosenbrock, R. / Gerlinger, T. (2006): S. 146.

7 Vgl. § 91 Abs. 2 und § 140f SGB V.

8 Unter Leistungen sind neben medizinischen Diagnose- und Behandlungsmethoden auch Arzneimittel, Medizinprodukte einschließlich technischem Gerät zu verstehen.

9 Vgl. § 2 und § 12 Abs. 1 SGB V.

10 Vgl. Niebuhr, D. / Greß, S. / Rothgang, H. (2003): S. 8.

11 Vgl. ebd.: S. 14f.

12 Vgl. Krämer, W. (2005): S. 103f.

13 Vgl. Lenk, C. (2005), S. 248 und Breyer, F. (2004): S.1.

14 Vgl. Deutscher Bundestag (2002): S. 184.

15 Diese Schlussfolgerung ergibt sich aus dem Grundsatz der Beitragssatzstabilität (§71 Abs. 1 SGB V).

16 Vgl. Breyer, F. (2004): S. 2 und Lenk, C. (2005): S. 249.

17 Breyer, F. (2004): S. 2.

18 Vgl. Huster, S. (2005): S. 188 und Breyer, F. (2004), S. 2.

Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
Gerechte Grundversorgung im Gesundheitswesen
Untertitel
Das Grundversorgungsmodell nach Stefan Huster unter dem Blickpunkt der sozialen Gerechtigkeit und der Gerechtigkeitstheorie
Hochschule
Universität Duisburg-Essen  (Institut für Philosophie)
Veranstaltung
Gleichheit und soziale Gerechtigkeit im Gesundheitswesen
Note
1,3
Autor
Jahr
2007
Seiten
17
Katalognummer
V111835
ISBN (eBook)
9783640166794
ISBN (Buch)
9783640190300
Dateigröße
702 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Gerechte, Grundversorgung, Gleichheit, Gerechtigkeit
Arbeit zitieren
Reza Fathollah Nejad Asl (Autor:in), 2007, Gerechte Grundversorgung im Gesundheitswesen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/111835

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