Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
1. Einleitung
2. Smartphone- und Social-Media-Nutzung im Alltag
2.1 Seelische Auswirkungen
2.1.1 Minderwertigkeitskomplexe und Depressionen
2.1.2 Digitale Abhängigkeit
2.2 Körperliche Auswirkungen
2.2.1 Orthopädische Erkrankungen
2.2.2 Bewegungsmangel und Übergewicht
2.2.3 Kurzsichtigkeit
3. Nachhaltiger Umgang mit Smartphones und Social Med ia
3.1 Ansätze zur Reduktion negativer seelischer Auswirkungen
3.1.1 Bestimmen und Realisieren des riskanten Nutzverhaltens
3.1.2 Digitale Abstinenz: Einlegen von Auszeiten
3.1.3 Ändern des Nutzverhaltens
3.2 Ansätze zur Reduktion negativer körperlicher Auswirkungen
3.2.1 Mangel körperlicher Aktivität feststellen
3.2.2 Gamification von Bewegung und Sport
4. Fazit und Ausblick
Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Big-Five-Modell
Abbildung 2: Glaubwürdigkeit von Influencern
Abbildung 3: Gaming nach Plattform
Abbildung 4: Sehnenscheidenentzündung
Abbildung 5: Rücken- und Nackenschmerzen
Abbildung 6: Der Smartphone-Nacken
Abbildung 7: Häufigkeit Rücken- und Nackenschmerzen nach Alter
Abbildung 8: Kurzsichtigkeit - Augapfel
1. Einleitung
Die Digitalisierung hat zur Durchdringung nahezu aller Lebensbereiche mit Informations- und Kommunikationstechnologie geführt (Barbian 2019). Das Smartphone ist hierfür ein bekanntes Beispiel, denn schließlich nutzen über 96% der 14- bis 49-jährigen Deutschen das mobile Endgerät täglich für diverse Zwecke (Statista 2021a).
Im Durchschnitt schaut ein Nutzer täglich 88mal auf das Display und verbringt damit drei Stunden und vierzig Minuten. Der exzessive und permanente Gebrauch hat sogar dazu geführt, dass man scherzhaft von einer neuen Gattung Mensch, genannt „Phono Sapiens“, spricht (Boeing et al. 2015; Fischhaber und Hauck 2017a; Ohne Verfasser 2020a).
Es stellt sich die Frage, ob diese Entwicklung nachhaltig ist. Insbesondere wenn die Dauer der Smartphone-Nutzung jährlich steigt und Menschen mit der Technologie immer früher in Kontakt kommen, permanent mit dem Internet verbunden sind und mit Informationen überflutet werden. Darüber hinaus das Gerät beim Spazieren, Autofahren, am Arbeitsplatz und in der Schule ununterbrochen genutzt und keine Mühen gescheut werden, um das perfekte Bild von sich zu inszenieren, nur um die Anerkennung eines unbekannten Publikums zu erlangen (Peitz 2019).
Diese Arbeit widmet sich der Aufklärung über die gesundheitlichen Risiken der Smartphone- und Social-Media-Nutzung und liefert potenzielle Ansätze, die zu einer nachhaltigen Nutzung beitragen könnten. Das Thema ist folglich relevant im Rahmen der 17 Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen und fällt unter das dritte Ziel „Gesundheit und Wohlergehen“, das ein „gesundes Leben für alle Menschen jeden Alters gewährleisten und ihr Wohlergehen fördern“ (Bundesvereinigung Nachhaltigkeit 2018) soll.
Zu den Zielvorhaben zählen u.a. die Reduktion der Opfer von Verkehrsunfällen und die Prävention von Substanzmissbrauch. Zum erstgenannten Punkt hat das Thema dieser Arbeit einen direkten Bezug, da die Smartphone-Nutzung im Straßenverkehr vermehrt zu Unfällen geführt hat.
Auch die Prävention von Abhängigkeit - wenn auch nicht substanzgebunden - und anderen seelischen und körperlichen Leiden, wird in dieser Arbeit thematisiert (Bundesvereinigung Nachhaltigkeit 2018; Hoppenstedt 2020).
2. Smartphone- und Social-Media-Nutzung im Alltag
Unter einem Smartphone versteht man ein mobiles Endgerät, das die Funktionen eines klassischen Mobiltelefons (umg.: „Handy“), einer Fotokamera und eines Computers in sich vereint. Es hat einen Internetzugang, einen Touchscreen und kann durch die Installation von Applikationen („Apps“) um diverse Funktionen erweitert werden (Medienanstalt RLP 2021).
Unter Social Media versteht man die Gesamtheit aller digitalen Plattformen, die Nutzern zur wechselseitigen Kommunikation und zum Austausch von Inhalten dienen (Bendel 2018). Das Smartphone hat, durch den gebotenen Funktionsumfang, auch die Nutzung von sozialen Medien (eng.: „Social Media“) begünstigt sowie die Art und Weise wie und welche Informationen ausgetauscht werden. Heute nutzen 72% der Deutschen (Jugendliche zu 97%) Social Media über diese mobilen Endgeräte (Heintze 2018).
Die jährlich steigende Nutzungsdauer von Smartphones und Social Media kann diverse negative Auswirkungen auf die seelische und körperliche Gesundheit des Menschen haben (Ohne Verfasser 2019; Barrer 2017).
Da über 90% der 14- bis 59-Jährigen in Deutschland Smartphones nutzen und fast 90% von ihnen auch Social Media, sind fast alle Altersklassen betroffen. Es ist ein generationsübergreifendes Phänomen und betrifft die ganze Gesellschaft, weswegen es wichtig ist die Auswirkungen zu kennen und kontrollieren zu können (Ohne Verfasser 2019; Statista 2021a; We Are Social Deutschland GmbH 2021a).
Insbesondere der - immer früher stattfindende - Kontakt von Kindern mit diesen sog. „neuen Medien“ und die damit einhergehenden Gesundheitsrisiken sollten bekannt sein und gründlich abgewogen werden (BR 2021; Ohne Verfasser 2018b, 2019).
2.1 Seelische Auswirkungen
Abhängig von der Persönlichkeit des Nutzers, gibt es unterschiedlich hohe Risiken Opfer bestimmter seelischer (bzw. psychischer) Erkrankungen, durch exzessive Mediennutzung, zu werden (Deakin University 2021).
In der Persönlichkeitspsychologie ist das empirisch am besten validierte Modell das Big-Five-Modell, demzufolge fünf Hauptdimensionen der Persönlichkeit existieren („Fünf-Faktoren-Modell“), in die sich jeder Mensch einordnen lässt (Wenninger 2014).
In nachfolgender Abbildung wird ein Kurzüberblick über die Dimensionen und die dimensionsspezifischen Eigenschaften gegeben.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Big Five Modell
Quelle: Eigene Darstellung nach Wenninger 2014
Nicht nur die o.g. Dimensionen der Persönlichkeit, sondern auch das Geschlecht und das Lebensalter haben Einfluss auf die Intensität der Smartphone-Nutzung und die Auswirkungen, die diese haben kann (Arpaci und Kocadag Unver 2020; Kim et al. 2019).
Diese Einflussfaktoren werden im Folgenden ebenfalls mitbetrachtet und die Risikogruppen identifiziert.
2.1.1 Minderwertigkeitskomplexe und Depressionen
Soziale Medien mit visuellem Fokus, wie z.B. Instagram, erlauben es den Nutzern Bilder und Videos mit Bekannten und Fremden zu teilen (Mahlmann 2020). Auf dieser Plattform, die täglich von über 500 Millionen Menschen weltweit genutzt wird, befinden sich u.a. bekannte Schauspieler, Sportler, Models und weitere Personen des öffentlichen Lebens (Mohsin 2020).
Diese zeigen Ausschnitte aus ihrem Privatleben, um die Bindung mit ihren Fans zu stärken und fungieren dabei auch als sog. „Influencer“, also Individuen, die durch ihren Status einen Einfluss (engl. „Influence“) auf ihre Fanbasis haben (Ohne Verfasser 2012; Bauer 2019). Häufig verfolgen sie dabei einen Eigennutzen, denn durch das Bewerben eines Lebensstils und durch geschickte Produktplatzierung, können sie direkten Einfluss auf das Konsumverhalten von Menschen nehmen, was ihnen einen finanziellen Vorteil bringen kann (Trappen 2019).
Oft wird z.B. Marketing für Eigenmarken oder für Unternehmen, mit denen Werbeverträge bestehen, betrieben (sog. „Influencer-Marketing“) (Bauer 2019). Im Kontext dieser Interessen werden die geteilten Inhalte geschönt bzw. idealisiert dargestellt (Ohne Verfasser 2020b).
Jungen Heranwachsenden fehlt es an skeptischer Grundhaltung, um zwischen regulären Inhalten und (Schleich-)Werbung zu differenzieren. Sie messen Influencern, nach Freunden und Kundenbewertungen, die höchste Glaubwürdigkeit bei und sind folglich beeinflussbarer (vgl. Abb. 2) (denkwerk b_projekte für bildung und prävention gGmbH 2021b, 2021a; Trappen 2019).
Anmerkung der Redaktion: Diese Abbildung wurde aus urheberrechtlichen Gründen entfernt.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Glaubwürdigkeit von Influencern
Quelle: Goldmedia 2021
In folgenden Unterkapiteln wird der Einfluss von Influencern als Rollenbilder und weitere Faktoren, die zur Entstehung von Minderwertigkeitskomplexen und Depressionen, insbesondere unter Kindern und Jugendlichen, führen können, erörtert.
2.1.1.1 Soziale Vergleiche
Menschen sind soziale Wesen und tendieren dazu sich mit anderen Menschen zu vergleichen, um mehr Erkenntnis über das eigene Selbst zu erhalten. Nach Leon Festin- ger unterscheidet man dabei zwischen dem Vergleich mit - auf irgendeiner Weise - Bessergestellten („Aufwärtsvergleich“), Schlechtergestellten („Abwärtsvergleich“) und Gleichgestellten („Horizontalvergleich“). Der Vergleich mit Schlechtergestellten soll das eigene Selbstwertgefühl erhöhen, da der Vergleichende bessergestellt ist, als die Vergleichsperson. Der Vergleich mit Bessergestellten hingegen kann Neid hervorrufen und das Selbstwertgefühl negativ beeinflussen. Der Vergleich mit Gleichgestellten erfolgt um den eigenen sozialen Status zu hinterfragen (Ehresmann 2020).
Instagram hat, nach dem Messenger-Dienst WhatsApp, den höchsten Anteil an jungen Nutzern (zwischen 14 und 29 Jahren) (Statista 2021b). Da pubertierende Jugendliche, evolutionär bedingt, eine Protestphase durchlaufen, in der sie ihren, bisher von den Eltern vorgegebenen, Werterahmen verlassen und sich selbst neu orientieren, sind sie besonders anfällig dafür die Lebensstile ihrer Idole - die i.d.R. Influencer sind - als Orientierung zu nehmen (denkwerk b_projekte für bildung und prävention gGmbH 2021a; Coppola-Weber 2018).
Diese, auf Social Media, präsentierten Lebensstile sind oft nicht realitätsnah, da bewusst ausschließlich „besondere“ Momente präsentiert und alltägliche Routinetätigkeiten weggelassen werden. Dadurch entsteht beim Betrachter der Eindruck, dass das Leben des Inhalts-Erstellenden, mit dem dieser sich vergleicht, origineller oder besser sei als das eigene (Ohne Verfasser 2017; Faix 2021).
Ein Effekt, der bei diesen sozialen Vergleichen entstehen kann, wird als „Fear Of Missing Out“ (abgekürzt: FOMO) bezeichnet, also die „Angst das Beste zu verpassen“. Hierfür muss nicht zwangsweise ein prominentes Idol unkonventionelle Dinge oder Erlebnisse auf der Plattform zur Schau stellen. Auch der Freundeskreis kann dieses Gefühl auslösen, indem Bilder und Videos von Weltreisen, Partys, Besitztümern oder Leistungen demonstriert werden (Ohne Verfasser 2018b).
Denn in der Pubertät orientieren sich Jugendliche vermehrt an Gleichaltrigen in ihrem Freundeskreis („Horizontalvergleich“) und an den vorgegebenen Gruppennormen (Coppola-Weber 2018; Faix 2021).
Durch die Perzeption des virtuell präsentierten Lebensstils und dem Vergleich mit dem eigenen Habitus, kann es dazu kommen, dass man sich selbst als „Verlierer“ betrachtet, der, im Gegensatz zu anderen Gleichaltrigen, die gesetzten Ideale nicht erreichen bzw. nicht am idealtypischen Leben teilhaben kann, was zur Entstehung von Minderwertigkeitskomplexen beitragen könnte (Barrer 2017).
Langfristig können diese sozialen Vergleiche mit sozial „Bessergestellten“ über Social Media zu Depressionen unter Jugendlichen führen bzw. depressive Tendenzen verstärken (AOK 2021; DAK 2021).
2.1.1.2 Schönheitsideale
Auch die Schönheitsideale der heutigen ästhetisierten Gesellschaft üben auf die Menschen, insbesondere Jugendliche, einen hohen Druck aus (Stremmel 2017). Während früher der gesellschaftliche und schönheitsindustrielle Fokus eher auf den Frauen lag, unterliegt heute auch der Mann bestimmten Schönheitsidealen.
Insbesondere der westliche Körperkult, der die idealtypische Körperform des modernen Mannes als athletisch bzw. muskulös diktiert, hat eine weltweite Akzeptanz und Relevanz erreicht (Stremmel 2017).
Sogenannte „Fitness-Models“, die diese Körperideale verkörpern und auf Social Media präsentieren, dienen vielen Jugendlichen als Vorbild. Dass dieses muskulöse Körperideal die Gesellschaft prägt, ist nicht nur an den wachsenden Umsätzen der Fitnessbranche und dem zielgruppenspezifischen Marketing der Lebensmittelindustrie (z.B. „Hoher Proteingehalt“) zu erkennen, sondern auch am hohen Anstieg des Steroid-Konsums unter Freizeitsportlern (Fischer 2019; Richter 2019).
Insbesondere junge Männer lassen sich dazu verleiten illegale Substanzen zu konsumieren, um das angestrebte Körperideal zu erreichen. Oft wird dabei nicht realisiert oder ignoriert, dass die Idole, mit denen man sich vergleicht, professionelle Bodybuilder sind, die berufsbedingt - und oft inoffiziell - leistungssteigernde Mittel nehmen müssen (Fischer 2019).
In manchen Fällen können diese (sozialen) Vergleiche zu einer krankhaften „Muskeldysmorphie“ führen. Menschen, die unter dieser Körperwahrnehmungsstörung leiden, sehen sich als unterdurchschnittlich muskulös an, obwohl sie ein überdurchschnittlich muskulöses Erscheinungsbild haben (Sonnenmoser 2010).
Betroffene, die an dieser „Muskelsucht“ leiden, haben ähnliche Persönlichkeitsmerkmale wie Menschen, die an einer „Magersucht“ erkranken. Darunter fallen neben der Unzufriedenheit mit dem eigenen Äußeren auch ein hoher Grad an Perfektionismus, ein geringes Selbstwertgefühl und schlechte Beziehungen zum Vater (Lubbadeh 2013).
Jedoch statt des krankhaften Abnehmens erfolgt ein krankhaftes Zunehmen an Muskelmasse, das i.d.R. mithilfe von anabolen Steroiden - oder vergleichbaren Dopingmitteln - erfolgt.
Es kommen also noch die körperlichen Nebenwirkungen des Steroid-Missbrauchs, die langfristig letal sind, sowie die seelischen Leiden beim Absetzen des Dopings wie z.B. Depression und Suizidalität hinzu (Deutscher Ärzteverlag GmbH 2016).
Ein weiterer Aspekt, der bei visuellen Inhalten auf Social Media berücksichtigt werden muss, ist der Einsatz von fotografischen Techniken (z.B. Belichtung) unter denen insbesondere die Nachbearbeitung mit Bildbearbeitungssoftware (z.B. Adobe Photoshop) sehr realitätsferne Maßstäbe setzen kann. Diese wird oft von Influencern gezielt eingesetzt, um (Schönheits-)Ideale zu porträtieren bzw. Aufmerksamkeit zu erregen und geht i.d.R. ebenfalls mit der Verfolgung von wirtschaftlichen Interessen einher (Hallett 2021).
Die Nachbearbeitung von Bildern und Videos wird von Social Media Plattformen wie bspw. Instagram begünstigt, indem sog. „Filter“ zur Verfügung gestellt werden. Diese erlauben es die geteilten Inhalte (sowohl Bilder als auch Videos) schnell, oder sogar in Echtzeit, zu modifizieren ohne zusätzliche Software oder fototechnisches KnowHow zu benötigen (Fentloh 2020).
Bei der Vermarktung von Kosmetikprodukten werden diese Filter bspw. eingesetzt, um ein besonders positives Resultat vorzutäuschen, was durch die alleinige Anwendung des Produkts nicht erreicht werden könnte (Hallett 2021).
Diese Täuschungen haben zur Folge, dass vermehrt nach einer Realisierung der virtuell inszenierten Schönheit gestrebt wird. So sind immer mehr Menschen bereit sowohl minimalinvasive (bspw. „Botox-Unterspritzungen“ gegen Falten) als auch schönheitschirurgische Eingriffe durchzuführen, um dem künstlichen Schönheitsideal zu entsprechen (Fentloh 2020).
2.1.1.3 Offenlegung des Privatlebens
Ein grundlegender Unterschied zu vergangenen Generationen, in denen mehr Wert auf Diskretion und Privatheit gelegt wurde, ist, dass heute viele sensible Inhalte freiwillig mit der Öffentlichkeit geteilt werden. Insbesondere auf Social Media Plattformen wie Facebook, Instagram, Twitter u.Ä. werden intime Bilder, seelische Zustände und politische Einstellungen offenbart, um Anerkennung, Trost oder Unterstützung zu erhalten, ohne dass man sich den potenziellen Nachwirkungen bewusst wird (Hündgen 2019).
Durch die Offenlegung des eigenen Privatlebens kann man in den Fokus von Menschen geraten, die daran Kritik üben oder schlichtweg böse Absichten haben. So kann ein Bikini-Foto, mit nicht idealtypischen Körpermaßen, oder ein „lustiges Foto“ (z.B. im alkoholisierten Zustand) Anlass für Beleidigungen und Schikane sein. Bei Personen mit großem Publikum bzw. großem öffentlichen Interesse können sogar vermeintlich neutrale Inhalte ungewollte Dominoeffekte anstoßen, die in sog. „Shitstorms“, also dem lawinenartigem Auftreten negativer Kritik, münden und eine hohe psychische Belastung darstellen können (Deutsche Presse-Agentur GmbH 2015a; 1&1 IONOS SE 2016).
An dieser Stelle soll auch das Thema Cyber-Mobbing nicht unerwähnt bleiben, dem besonders oft Kinder und Jugendliche zum Opfer fallen. Durch Social Media kann Mobbing zeit- und ortsunabhängig und vor einem größeren Publikum stattfinden.
Für die Betroffenen gibt es keinen sicheren Rückzugsort mehr und es entsteht ein noch höherer seelischer Leidensdruck als beim „klassischen Mobbing“, was zu langfristigen seelischen Störungen, u.a. Depression und Suizidalität, führen kann (BMFSFJ 2021; Grimm 2008; Deutsche Presse-Agentur GmbH 2015a).
2.1.2 Digitale Abhängigkeit
Im Jahre 2015 wurde „Smombie“, ein Kofferwort aus den Begriffen „Smartphone“ und „Zombie“ (einem geistlosen Wesen), vom Langenscheidt Verlag, zum Jugendwort des Jahres gewählt. Die Smartphone-Nutzung, besonders unter Jugendlichen, ist schon damals so omnipräsent und intensiv gewesen, dass Menschen ihre Umgebung nicht mehr wahrnehmen konnten und es vermehrt zu Unfällen im Fuß- und Straßenverkehr gekommen ist (Deutsche Presse-Agentur GmbH 2015b; Hoppenstedt 2020).
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) führt ein international anerkanntes Klassifikationssystem für alle medizinischen Diagnosen, das sog. ICD-10 (englisch: „International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems“) (BfArM 2021). Demzufolge versteht man unter Abhängigkeit einen seelischen oder körperlichen Zustand, bei dem ein unüberwindbares bzw. unkontrollierbares Verlangen nach einer Substanz oder einem Verhalten besteht, ungeachtet dessen nachteiligen körperlichen, seelischen oder sozialen Konsequenzen (Eisenbarth 2021).
Dabei wird zwischen zwei Formen, nämlich der psychischen und der physischen Abhängigkeit unterschieden. Während bei der psychischen ein zwanghaftes Bedürfnis vorliegt einer Handlung oder einem Konsum nachzugehen, um ein Lustgefühl zu erlangen oder ein Unlustgefühl zu vermeiden, ist die physische Abhängigkeit durch körperliche Entzugserscheinungen (und Toleranzbildung) bei Unterlassung der Handlung oder des Konsums gekennzeichnet (Eisenbarth 2021; Metzler-Amlacher 2021).
Darüber hinaus kann man zwischen stoffgebundenen und nicht-stoffgebundenen Abhängigkeiten unterscheiden. Während Ersteres durch den Konsum einer Substanz wie z.B. Alkohol, Drogen, o.Ä. hervorgerufen werden kann, wird die nicht-stoffgebundene Abhängigkeit durch bestimmte, vom körpereigenen Belohnungssystem honorierte, Verhaltensweisen hervorgerufen (z.B. „Glücksspielsucht“, „Internetsucht“, „Arbeitssucht“, „Pornosucht“) (Eisenbarth 2021).
Bis dato waren viele dieser sog. „Verhaltenssüchte“ nicht offiziell im ICD-10 klassifiziert. Im Mai 2019 wurde eine aktualisierte Fassung des internationalen Diagnoseklassifikationssystems (sog. ICD-11) verabschiedet, die ab dem 01. Januar 2022 in Kraft treten wird und u.a. Spielsucht und zwanghaftes Sexualverhalten (z.B. „Pornosucht“) beinhalten wird (Müller 2019).
2.1.2.1 Spielsucht
Auch wenn es im ICD-11 keine klassifizierte „Smartphone-Sucht“ geben wird, hat die Smartphone-Nutzung dennoch viel Suchtpotential, da das Gerät zahlreiche potenzielle Quellen für nicht-stoffgebundene Abhängigkeiten in sich vereint (DAK 2021).
Eine davon wäre das Spielen von digitalen Spielen (englisch: „Gaming“) auf dem Smartphone.
Zum einen gibt es die klassischen Glücksspiele, wie man sie normalerweise in einer Spielothek vorfinden würde. Heute kann man diese über Online-Casinos von zuhause oder unterwegs und 24 Stunden am Tag spielen. Diese Zugänglichkeit birgt das Risiko am sog. „pathologischen Spielen“, wie im ICD-10 klassifiziert, zu erkranken. Eine Studie aus England hat festgestellt, dass es im Jahr 2016 39% mehr Menschen gab, die Probleme mit „mobilen Glücksspielen“ hatten, als noch vier Jahre zuvor. Die Indikatoren und zugleich Konsequenzen der „Glückspielsucht“ sind, wie bei jeder Form von Abhängigkeit, die Vernachlässigung aller sozialen, familiären, beruflichen und materiellen Werte und Pflichten zu Gunsten des Spiels (Fachverband Sucht e.V. 2021; Erbas und Buchner 2012; Sucht.Hamburg gGmbH 2021).
Bei der „Spielsucht“ bzw. dem „Gaming disorder“, wie neuerdings im ICD-11 klassifiziert wird, sind hingegen keine Glücksspiele, sondern Videospiele diverser Genres, die sowohl online als auch offline gespielt werden können, gemeint (ICD-11-WHO 2021).
Ca. 34 Millionen Deutsche, d.h. 41% der Gesamtbevölkerung, spielen digitale Spiele. Alle Altersklassen sind involviert, wobei über 50Jährige die größte Spielergruppe darstellen (Bocksch 2021). Das Smartphone ist dabei das beliebteste Medium und wird von 18,6 Millionen Deutschen für diesen Zweck genutzt. Schließlich kann man damit zeit- und ortsunabhängig spielen und braucht keine zusätzlichen Geräte (game-Verband der deutschen Games-Branche e.V. 2019; Rector 2018).
Anmerkung der Redaktion: Diese Abbildung wurde aus urheberrechtlichen Gründen entfernt.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3: Gaming nach Plattform
Quelle: game-Verband der deutschen Games Branche e.V. 2019
Die Nutzungszeiten von Gaming-Apps unter Kindern und Jugendlichen in Deutschland, ist während des Corona-Lockdowns werktags um bis zu 75% gestiegen. Auch die Nutzerzahlen sind um 14,5% gestiegen im Vergleich zum September 2019 (von 39,8% auf 54,3%). Die DAK diagnostizierte bei 700.000 Kindern und Jugendlichen ein riskantes oder pathologisches Gaming-Verhalten.
Wenn exzessives Gaming zur Spielsucht wird, drohen die gleichen sozialen, familiären und finanziellen Konsequenzen wie beim pathologischen Glücksspiel (ICD-11-WHO 2021).
[...]