Bei der Lektüre der Forschungsliteratur zu Adalbert Stifters Werken wird auffällig, wie unterschiedlich die Qualität seiner Arbeit seit je her beurteilt wird. Aus dem Folgenden soll ersichtlich werden, welches Programm Stifter nach eigenen Aussagen mit seinem Schaffen verfolgt, wie er dies literarisch umsetzt und durch welche interpretatorischen Zugänge die Leser bei der Beurteilung seiner Werke polarisiert werden. Stifters schlichte Sprache, seine detaillierten Landschaftsbeschreibungen und die scheinbare Handlungsarmut seiner Werke weckte bei den zeitgenössischen wie auch bei den gegenwärtigen Literaturwissenschaftlern entweder Neugier, diese Schlichtheit nach höheren Prinzipien zu hinterfragen, oder führte dazu, seine Werke als „maniriert“, „handlungsarm“ und „langweilig“ abzutun. Aus der Vorrede zu den Bunten Steinen wird ersichtlich, dass Stifter sich seiner Resonanz bewusst war, beginnt er doch mit dem Satz:“Es ist einmal gegen mich bemerkt worden, daß ich nur das Kleine bilde, und daß meine Menschen stets gewöhnliche Menschen seien.“ Adressat ist sein Kontrahent, der Dramatiker Friedrich Hebbel, der Stifters detaillierte Deskription von Landschaften als bloße Darstellung des „Kleinen“, Undramatischen und somit Minderwertigen ansah. Für ihn zählt Stifter zu den alten Naturdichtern, denen er 1849 folgendes Epigramm widmet: [...]
Bei der Lektüre der Forschungsliteratur zu Adalbert Stifters Werken wird auffällig, wie unterschiedlich die Qualität seiner Arbeit seit je her beurteilt wird. Aus dem Folgenden soll ersichtlich werden, welches Programm Stifter nach eigenen Aussagen mit seinem Schaffen verfolgt, wie er dies literarisch umsetzt und durch welche interpretatorischen Zugänge die Leser bei der Beurteilung seiner Werke polarisiert werden. Stifters schlichte Sprache, seine detaillierten Landschaftsbeschreibungen und die scheinbare Handlungsarmut seiner Werke weckte bei den zeitgenössischen wie auch bei den gegenwärtigen Literaturwissenschaftlern entweder Neugier, diese Schlichtheit nach höheren Prinzipien zu hinterfragen, oder führte dazu, seine Werke als „maniriert“, „handlungsarm“ und „langweilig“ abzutun.[1] Aus der Vorrede zu den Bunten Steinen wird ersichtlich, dass Stifter sich seiner Resonanz bewusst war, beginnt er doch mit dem Satz :“Es ist einmal gegen mich bemerkt worden, daß ich nur das Kleine bilde, und daß meine Menschen stets gewöhnliche Menschen seien.“[2] Adressat ist sein Kontrahent, der Dramatiker Friedrich Hebbel, der Stifters detaillierte Deskription von Landschaften als bloße Darstellung des „Kleinen“, Undramatischen und somit Minderwertigen ansah. Für ihn zählt Stifter zu den alten Naturdichtern, denen er 1849 folgendes Epigramm widmet:
„Wißt ihr, warum euch die Käfer, die Butterblumen so
glücken?
Weil ihr die Menschen nicht kennt, weil ihr die Sterne
nicht seht!
Schautet ihr tief in die Herzen, wie könntet ihr
schwärmen für Käfer?
Säht ihr das Sonnensystem, sagt doch, was wäre euch ein
Strauß?
Aber das mußte so sein; damit ihr das Kleine
vortrefflich
Lieferet, hat die Natur klug euch das Große entrückt.[3] “
Die naturwissenschaftliche Diskussion seit Mitte des 19. Jahrhunderts über das “Kleine“ und das „Große“, bzw. des Zusammenspiels von Mikro-und Makrokosmos findet sich hier wieder. Die Unterscheidung zwischen der Erhaltungs-und Auslösungskausalität und die neue Erkenntnis, dass das Erhaltungsgesetz nicht mehr die einzige Erklärung für Kausalität ist, schlägt sich literarisch im Motiv der „kleine Ursachen - große Wirkung“ nieder.4
Stifter hatte diese Thematik auch im Laufe seines Studiums kennen gelernt, als er bei Andreas von Baumgartner Physik studierte (ebd.). Das „Kleine“, das Diminutivum ist charakteristisch für Stifters Stil5, doch während Hebbel von diesem Umstand eine Unfähigkeit Stifters, das „Große“ darzustellen ableitet, begründet jener seine Wahl mit seinem Wissen bezüglich der physikalischen Kausalitätsverkettung:
„Das Wehen der Luft das Rieseln des Wassers das Wachsen der Getreide […] halte ich für groß: das prächtig einherziehende Gewitter, den Blitz, welcher Häuser spaltet, […] das Erdbeben, welches Länder verschüttet, halte ich nicht für größer als obige Erscheinungen, ja ich halte sie für kleiner, weil sie nur Wirkungen viel höherer Gesetze sind. Sie kommen an einzelnen Stellen vor und sind die Ergebnisse einseitiger Ursachen. Nur augenfälliger sind diese Erscheinungen, und reißen den Blick des Unkundigen und Unaufmerksamen mehr an sich, während der Geisteszug des Forschers vorzüglich auf das Ganze und Allgemeine geht, und nur in ihm allein Großartigkeit zu erzeugen vermag, weil es allein das Welterhaltende ist.“[5]
Nach Stifter haben also die „kleinen“ Dinge die Funktion, auf etwas Höheres zu verweisen, auf „das Allgemeine, […] die Schöpfung“[6]. Diese selbst sei aber von Gott geschaffen, wodurch wir „immer nur das Einzelne darstellen können nie das Allgemeine“ (ebd.). Hier wird deutlich, dass eine literarische Annäherung an das Allgemeine für Stifter nur durch die Wiedergabe der alltäglichen, immerwährenden Erscheinungen geschehen kann; dramatische, einzigartige Geschehnisse haben für ihn keinen exemplarischen Charakter bezüglich des „Welterhaltenden“(s.o.). Dieses Prinzip zeigt sich bei Stifter als Hauptkonzept seines Schaffens; im Einfachen, Kleinen und Unscheinbaren zeigt sich für Stifter das Göttliche, Erzählungswürdige – „augenfällige“(s.o.). Erscheinungen zu beschreiben würde davon zeugen, dass man „unkundig“ und „unaufmerksam“(s.o.) sei, also nicht fähig, das „Ganze und Allgemeine“ wie ein „Forscher“(s.o.) zu erfassen. Da auch die Menschen Teil der Schöpfung sind, gilt dieses Prinzip auch für sie:
[...]
[1] Scheffel, Michael: Stifter-Studien im Wandel der Zeit. In: Arnold, Heinz Ludwig (Hrsg.): Akt und Kritik.
Richard Boorberg Verlag: 2003, München. Heft 160, S. 93. [Zeitschrift für Literatur.]
[2] Stifter, Adalbert: Bunte Steine. [1853]. Hrsg.: Bachmaier, Helmut Reclam: 2003, Ditzingen. S. 7.
[3] Hebbel, Friedrich: Das Komma im Frack. In: F. H. : Werke. Hrsgg.: Fricke, Gerhard/Keller, Werner/Pörnbacher, Karl. 1965, Müchen. Bd.3, S. 684-687. In: Stifter, Adalbert: Bunte Steine. [1853]. Hrsg.: Bachmaier, Helmut Reclam: 2003, Ditzingen. S. 365. [Hervorh. v. Verf.]
[4] Wedekind, Martina: Wiederholen Beharren Auslöschen. Zur Prosa Adalbert Stifters. Hrsgg.: Bohn, Volker/See, Klaus von/Wyss, Ulrich/Zernack, Julia.Universitätsverlag Winter: 2005, Heidelberg. Bd.40, S.120.
[5] Stifter, Adalbert: Bunte Steine. [1853]. Hrsg.: Bachmaier, Helmut Reclam: 2003, Ditzingen. S.8.
Häufig gestellte Fragen
Worum geht es in dem Text über Adalbert Stifter?
Der Text analysiert die unterschiedliche Rezeption von Adalbert Stifters Werken und untersucht, welches Programm Stifter nach eigenen Aussagen mit seinem Schaffen verfolgte. Dabei wird auf seine schlichte Sprache, detaillierte Landschaftsbeschreibungen und scheinbare Handlungsarmut eingegangen, welche sowohl Bewunderung als auch Kritik hervorriefen.
Welche Kritik übte Friedrich Hebbel an Stifters Werken?
Friedrich Hebbel kritisierte Stifters detaillierte Deskriptionen von Landschaften als bloße Darstellung des "Kleinen", Undramatischen und somit Minderwertigen. Er sah Stifter als einen alten Naturdichter, der sich zu sehr auf Käfer und Butterblumen konzentriere, anstatt die menschliche Natur und das Universum zu erfassen.
Wie rechtfertigte Stifter seine Konzentration auf das "Kleine"?
Stifter begründete seine Wahl des "Kleinen" mit seinem Wissen bezüglich der physikalischen Kausalitätsverkettung. Er argumentierte, dass die "kleinen" Dinge auf etwas Höheres verweisen, nämlich auf das Allgemeine und die Schöpfung. Dramatische, einzigartige Geschehnisse hätten für ihn keinen exemplarischen Charakter bezüglich des "Welterhaltenden".
Was bedeutet das Diminutivum in Bezug auf Stifters Stil?
Das Diminutivum, die Verwendung von Verkleinerungsformen, ist charakteristisch für Stifters Stil. Während Hebbel dies als Unfähigkeit Stifters sah, das "Große" darzustellen, nutzte Stifter es bewusst, um auf die Bedeutung des Kleinen im großen Ganzen hinzuweisen.
Welche Rolle spielt die Naturwissenschaft in Stifters Weltbild?
Die naturwissenschaftliche Diskussion des 19. Jahrhunderts über das "Kleine" und das "Große" (Mikro- und Makrokosmos) spiegelt sich in Stifters Werk wider. Er bezog sich auf das Zusammenspiel von Erhaltungs- und Auslösungskausalität und die Erkenntnis, dass kleine Ursachen große Wirkungen haben können. Seine naturwissenschaftlichen Kenntnisse erwarb er unter anderem im Physikstudium bei Andreas von Baumgartner.
Was ist das Hauptkonzept von Stifters Schaffen?
Das Hauptkonzept von Stifters Schaffen ist, dass sich im Einfachen, Kleinen und Unscheinbaren das Göttliche und Erzählungswürdige zeigt. Er war der Ansicht, dass eine literarische Annäherung an das Allgemeine nur durch die Wiedergabe der alltäglichen, immerwährenden Erscheinungen geschehen kann.
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- Helen Ackel (Autor:in), 2006, Stifters Werke. Belege einer komplexen Philosophie oder Produkte therapeutischen Schreibens?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/111873