Sie ist eine dämonische Frauengestalt voll düsterer Tragik: wir kennen sie als leidenschaftliche Rächerin, brutale Mörderin, gefährliche Zauberin – die Attribute des Bösen, die dieser Figur zugeschrieben werden, sind von unerschöpflicher Vielfalt: Medea.
Der Mythos um diese Frau, der bis in die vorhomerische Tradition zurückreicht, hat seit der Antike bis in die Gegenwart eine Vielzahl von Dichtern immer wieder fasziniert und zu zahlreichen Werken inspiriert, die, was das Wesen der Medea betrifft, stark variieren. Allgemein jedoch ist diese Frau als „die gewaltigste Zauberin der Antike“ in die Geschichte eingegangen, die in ihrer Leidenschaft vor keiner, noch so grausamen Tat zurückschreckt.
Auch Ovid hatte es diese sagenumwobene Frauengestalt angetan, er widmete sich ihr in seinem Werk gleich dreimal: Neben einer verschollenen Tragödie , findet sich der Medea-Mythos auch in den Heroides und in den Metamorphosen .
Der mythologische Hintergrund gehörte zum Allgemeinwissen eines gebildeten Römers und es steht außer Frage, dass Ovid die entsprechenden literarischen Vorlagen, [...], gekannt und seinem Werk zugrunde gelegt hat. Dies bedeutet jedoch nicht, dass er die Sage einfach übernommen und nacherzählt hat. [...].Während Medea und ihre Geschichte in der mythologischen Überlieferung sowie bei den Autoren vor seiner Zeit immer stark in Zusammenhang mit der Argonautensage steht und in einem Atemzug mit Iason genannt wird, fällt bei Ovid auf, dass ihn vor allem die Zauberin selbst interessiert hat und die Geschichte vom Goldenen Vlies bei ihm nur schmückender Hintergrund für das eigentliche Motiv, das Wesen Medeas, ist.
Besonders auffällig ist dies in der Medea-Episode in den Metamorphosen, von der ein Ausschnitt in dieser Arbeit analysiert und interpretiert werden soll. [...]
In dieser Arbeit gilt das Interesse den ersten 99 Versen des ersten Teils, da Medea sich noch in Kolchis befindet. Diese Textpassage kennzeichnet vor allem ein Monolog Medeas vor ihrer Entscheidung für Iason. Es folgt die Begegnung mit Iason im Tempel der Hekate. Danach setzt sich die Erzählung fort mit der Beschreibung der drei Kämpfe, die der Argonaut in Kolchis auszustehen hat, bevor er als Sieger davonzieht. [...]. Die Textauswahl beschränkt sich somit auf die Szene, die der Dichter ganz der Figur der Medea, ihrem inneren Gemütszustand und ihrer Liebe zu Iason gewidmet hat. Im Zentrum der Analyse soll ihr Monolog stehen. [...]
INHALTSVERZEICHNIS
I. Einleitung
II. Hauptteil
1. Einordnung der Textpassage in den mythologischen und literarischen Kontext...
2. Aufbau und Struktur
3. Interpretation
3.1. Die Verzauberung: Die Ankunft der Argonauten in Kolchis (V.1-11a)
3.2. Die Zauberin und der nescio quis deus: Der Monolog Medeas (V.11b-73)
3.2.1. Medea zwischen furor und ratio
3.2.2. Plädoyer für den Geliebten
3.2.3. Scheinbar gesiegt?
3.2.4. Rhetorisches Spiel oder Ausdruck wahrer Gefühle?
3.3. Liebeszauber: Die Begegnung mit Iason im Tempel (V.74-99)
III. Schluss
IV. Literaturverzeichnis
I. Einleitung
Sie ist eine dämonische Frauengestalt voll düsterer Tragik: wir kennen sie als leidenschaftliche Rächerin, brutale Mörderin, gefährliche Zauberin – die Attribute des Bösen, die dieser Figur zugeschrieben werden, sind von unerschöpflicher Vielfalt: Medea.
Der Mythos um diese Frau, der bis in die vorhomerische Tradition zurückreicht, hat seit der Antike bis in die Gegenwart eine Vielzahl von Dichtern immer wieder fasziniert und zu zahlreichen Werken inspiriert, die, was das Wesen der Medea betrifft, stark variieren. Allgemein jedoch ist diese Frau als „die gewaltigste Zauberin der Antike“1 in die Geschichte eingegangen, die in ihrer Leidenschaft vor keiner, noch so grausamen Tat zurückschreckt.
Auch Ovid hatte es diese sagenumwobene Frauengestalt angetan, er widmete sich ihr in seinem Werk gleich dreimal: Neben einer verschollenen Tragödie2, findet sich der Medea-Mythos auch in den Heroides3 und in den Metamorphosen4.
Der mythologische Hintergrund gehörte zum Allgemeinwissen eines gebildeten Römers und es steht außer Frage, dass Ovid die entsprechenden literarischen Vorlagen, insbesondere die Medea-Tragödie des Euripides und die Argonautica von Apollonius von Rhodos, gekannt und seinem Werk zugrunde gelegt hat.5
Dies bedeutet jedoch nicht, dass er die Sage einfach übernommen und nacherzählt hat. Vielmehr hat er sie kunstvoll variiert: Nicht nur hat er sie stilistisch dem von ihm verwendeten entsprechenden Genre angepasst, sondern vor allem hat er inhaltlich eine völlig andere Akzentuierung vorgenommen und ihr seinen ganz eigenen Stempel aufgesetzt.
Während Medea und ihre Geschichte in der mythologischen Überlieferung sowie bei den Autoren vor seiner Zeit immer stark in Zusammenhang mit der Argonautensage steht und in einem Atemzug mit Iason genannt wird, fällt bei Ovid auf, dass ihn vor allem die Zauberin selbst interessiert hat und die Geschichte vom Goldenen Vlies bei ihm nur schmückender Hintergrund für das eigentliche Motiv, das Wesen Medeas, ist.6 Besonders auffällig ist dies in der Medea-Episode in den Metamorphosen, von der ein Ausschnitt in dieser Arbeit analysiert und interpretiert werden soll. Nicht mit in die
Untersuchung einbezogen werden die Darstellungen der Medea in den Vorlagen, die Interpretation ist nicht intertextuell angelegt, sondern stützt sich allein auf den Text bei Ovid. Auch auf die bei Bömer verzeichneten Querverweise und Anspielungen Ovids auf die Aeneis wird hier nicht eingegangen, da dies den Rahmen der Arbeit sprengen würde.7
Die Medea-Geschichte in den Metamorphosen gliedert sich in zwei Teile: Zuerst nimmt Ovid die Ereignisse in Kolchis in sein Blickfeld und schildert, wie Medea Iason begegnet und ihm und den Argonauten hilft, das Goldene Vlies zu erobern.8 Im zweiten
Teil wird der Aufenthalt Medeas in Hellas thematisiert.9
In dieser Arbeit gilt das Interesse den ersten 99 Versen des ersten Teils, da Medea sich noch in Kolchis befindet. Diese Textpassage kennzeichnet vor allem ein Monolog Medeas vor ihrer Entscheidung für Iason. Es folgt die Begegnung mit Iason im Tempel der Hekate. Danach setzt sich die Erzählung fort mit der Beschreibung der drei Kämpfe, die der Argonaut in Kolchis auszustehen hat, bevor er als Sieger davonzieht. Letztere Passage des ersten Teils soll bei der folgenden Textuntersuchung unberücksichtigt bleiben. Die Textauswahl beschränkt sich somit auf die Szene, die der Dichter ganz der Figur der Medea, ihrem inneren Gemütszustand und ihrer Liebe zu Iason gewidmet hat. Im Zentrum der Analyse soll ihr Monolog stehen. Dieser jedoch lässt sich nicht völlig isoliert vom Kontext betrachten, so dass die Verse in seiner näheren Umgebung in die Untersuchung mit einbezogen werden sollen.
Die Interpretation soll zeigen, wie Ovid die Gedanken- und Gefühlswelt dieser sagenumwobenen Hexe darstellt, wie das Wesen einer Frau angelegt ist, die später zu grausamen Verbrechen fähig ist. Wie gestaltet der Dichter die Gefühle einer verliebten Zauberin? Lässt sich Medea wie ein gewöhnliches junges Mädchen durch Amors Pfeile
„verzaubern“? Was denkt, fühlt, erlebt die Kolcherin, als sie sich in Iason verliebt, wie reagiert sie?
II. Hauptteil
1. Einordnung der Textpassage in den mythologischen und literarischen Kontext
Der Argonautenmythos kann bis in die Mitte des 8. Jh. v. Chr. zurückverfolgt werden; er reicht bis in die vorhomerische Tradition zurück. Seine frühste literarische Überlieferung jedoch leistet erst das Werk Homers. In der Ilias sowie in der Odyssee wird die Fahrt der Argonauten zwar nicht direkt erwähnt, indirekt jedoch wird auf die Bekanntschaft eines solchen Mythos beiläufig verwiesen, da Namen wie Iason, Hypsipyle und Medea – jene zwar nicht explizit, jedoch als Tochter des Aietes – auftauchen.10 Darüber hinaus findet sich die Sage in dem auf das 8. Jh. datierten Epos
Naupaktia, sowie im 7. Jh. in der Theogonie Hesiods. Weiterhin taucht Medea in der fragmental überlieferten Argonautika des athenischen Geschichtsschreibers Pherekydes und bei Pindar auf.11
In der Forschung geht man zum Teil davon aus, dass der Mythos ursprünglich aus zwei Handlungssträngen bestand, einem thessalisch-kolchischen und einem korinthischen, die erst durch Euripides12 miteinander verknüpft worden sind.13 Dräger jedoch lehnt diese Sichtweise ab, da sie nirgendwo in der Literatur belegt ist und jeglicher Beweis dafür fehlt.14
Gleichwohl hat die Tragödie des Euripides den Bekanntheitsgrad der Sage entschieden vorangetrieben. Sie diente schließlich Ovid neben der Argonautica von Apollonius Rhodos15 als literarische Vorlage für seine Verarbeitung des Stoffes in dem verlorenen Drama, den Heroides und den Metamorphosen.
Die Metamorphosen gehören zum Spätwerk Ovids, er verfasste sie kurz vor seiner Verbannung (ca.1-8 n.Chr.).16 In seinem Hauptwerk bearbeitet er den Mythos zum dritten Mal, ohne sich jedoch inhaltlich – für die verschollene Tragödie kann hier selbstverständlich keine Aussage gemacht werden – zu wiederholen. Während er in den Heroides, sowohl im sechsten als auch im zwölften Brief, die Ereignisse aus der Retrospektive heraus beleuchtet, konfrontiert er in den Metamorphosen in der zugrunde gelegten Textpassage den Leser mit der Ausgangssituation der Medea-Problematik.
[...]
1 BÖMER, 1977, 196.
2 Vgl. NIKOLAIDES, A.G., Some Observations on Ovids lost Medea, Latomus 44, 1985, 383-387.
3 Ov.Her. 6 und 12.
4 Ov.Met. 7,1-424.
5 Vgl. KRAUS, 1982, 91.
6 Vgl. BINROTH-BANK, 1994, 153.
7 Eine intertextuelle Interpretation ist bei BINROTH-BANK, 1994, nachzulesen.
8 Ov.Met. 7,1-158.
9 Ov.Met. 7,159-424. Vgl. die Zweiteilung mit BINROTH-BANK, 1994.
10 Vgl. DRÄGER, 1993, 12ff.
11 Zur voreuripidäischen Überlieferung der Medea-Sage vgl. DRÄGER, 1993, 12-292, 357-372 und VON FRITZ, 1959, 35ff.
12 Euripides, Medea.
13 Vgl. STESKAL, 2001, 62ff.
14 DRÄGER, 1999, Sp.1093.
15 Apollonios Rhodios, Argonautica. Ovid lag das Werk wahrscheinlich in der von Varro übersetzten Fassung vor.
16 Vgl. GIEBEL, 1991, 142.
- Arbeit zitieren
- Katharina Tiemeyer (Autor:in), 2004, Medea: Verzauberte Zauberin - Interpretation des Medea-Monologs in den Metamorphosen des Ovid, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/112095
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