Ergebnisse der Ostdeutschlandforschung


Hausarbeit (Hauptseminar), 2007

22 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Gliederung

1. Einleitung: Der Mauerfall - Krise und Chance der Sozialwissenschaften

2. Der Forschungsgegenstand Ostdeutschland
2.1 Transformationsforschung versus Theorien Sozialen Wandels
2.2 Institutionen der Ostdeutschlandforschung
2.3 Die aktuelle Lage in Ostdeutschland

3. Ergebnisse der Ostdeutschlandforschung
3.1 Infra- und Sozialstruktur
3.1.2 Infrastruktur 8
3.1.2 Sozialstruktur 9
3.2 Institutioneller Wandel
3.3 Mental-kognitiver Wandel

4. Defizite der Ostdeutschlandforschung

5. Resümee

6. Literaturverzeichnis

1. Einleitung: Der Mauerfall - Krise und Chance der Sozialwissenschaften

Wie sehr die Ereignisse der Nacht des 9. Novembers 1989 auch von allen begrüßt wurden, der Fall der Berliner Mauer, als Auftakt für den anschließenden Zusammenbruch der sozialistischen Systeme in nahezu ganz Europa, wird mitunter auch als „schwarzer Freitag der Sozialwissenschaften“1 bezeichnet. Die „friedliche Revolution“ kam für die etablierten westdeutschen Forscher und vermeintlichen Experten geschichtlicher und sozialer Prozesse völlig überraschend. Ost-West-Konflikt und Nachkriegsordnung galten seit Jahrzehnten als scheinbar unveränderliche Axiome des wissenschaftlichen Blicks auf Europa. Als die drei dominierenden Erklärungsmuster des Sozialismus, Totalitarismus-, Konvergenz-, und Modernisierungstheorie, aber nun mit einem Schlag empirisch widerlegt waren, befand sich die westdeutsche Sozialforschung zweifellos in einer Krise. Die Deutungsparadigmen für die Gegenwart hatten versagt, Prognosefähigkeit konnten die Sozialwissenschaften nicht mehr für sich in Anspruch nehmen.

Gleichzeitig aber boten der einsetzende Systemwechsel und die Veränderungsprozesse in Ostdeutschland eine einmalige Chance zur Rehabilitation. Nie zuvor gab es eine vergleichbare Möglichkeit, die Transformation eines sozialistischen Landes in eine marktwirtschaftliche Demokratie dokumentieren und analysieren zu können. Aufgrund der Sonderstellung unter den postsozialistischen Staaten Ostmittel- und Osteuropas, betrachteten die Wissenschaftler Ostdeutschland fortan als „Testgelände mit Modellcharakter“. So waren tatsächlich schon kurze Zeit nach den Wendeereignissen zahlreiche Forschungsprojekte mit den Wandlungsprozessen in Deutschlands Osten beschäftigt - die „Ostdeutschlandforschung“ war geboren. Bis heute liegen weit über 3000 deutschsprachige Publikationen vor, die sich mit dem spezifischen Verhältnis von Kopplung und Entkopplung zwischen dem neuen westlichen System und der „real-sozialistischen“ Lebenswelt der DDR- Bürger beschäftigten.

Mittlerweile gerät jedoch die Ostdeutschlandforschung immer mehr aus dem Blickfeld der Sozialwissenschaftler, mit der wirtschaftlichen und sozialen Stagnation in Ostdeutschland, scheint allmählich auch das Forschungsfeld Ostdeutschland an ein Ende zu gelangen.2

Anlass genug, nach 16 Jahren Ostdeutschlandforschung ein Resümee zu ziehen. In der folgenden Arbeit sollen nun die wichtigsten Ergebnisse der Ostdeutschlandforschung präsentiert werden, anschließend aber auch deren Defizite angeführt werden.

2. Der Forschungsgegenstand Ostdeutschland

2.1 Transformationsforschung versus Theorien Sozialen Wandels

„Transformation“ darf nicht mit „Sozialer Wandel“ verwechselt werden. Während Theorien des Sozialen Wandels den Verlauf und den prognostizierbaren Wandel von Sozialstrukturen über einen längeren Zeitraum betrachten, beschäftigt sich die Transformationsforschung, zumindest in dem in folgenden gemeinten Sinne, mit dem radikalen Systemwechsel, der mit der Ablösung einer zentralen Verwaltungswirtschaft durch die Marktwirtschaft und dem Wechsel von der Diktatur einer Partei zu einer freiheitlichen Demokratie einhergeht. Die Ostdeutschlandforschung ist Transformationsforschung in dem speziellen Fall dieser Veränderungen in den fünf „neuen“ Bundesländern. Auch wenn sozialer Wandel und Transformation zwei unterschiedliche Prozesse bezeichnen, steht die Wissenschaft vor dem Problem, dass beide Phänomene gleichzeitig ablaufen. Welche Veränderungen sind Folgen des Systemwechsels, welche die Folgen gesamtdeutscher, europäischer oder gar globaler Veränderungstendenzen? Je weiter der Systemwechsel zurückliegt, desto mehr scheinen Aspekte des sozialen Wandels in den Vordergrund zu rücken. Mitunter werden beide Phänomene in ihrer Synchronität auch in der Begriffsbestimmung berücksichtigt, Schäfers bezeichnete die Nachwendeereignisse als „geplanten sozialen Wandel.“3

Der Begriff „Transformation“ als scheinbar wertfreie Bezeichnung für den bundesdeutschen Vereinigungsprozess stößt allerdings auch aus anderen Gründen gelegentlich auf Ablehnung. Einige ziehen den Begriff der „strukturellen Kolonialisierung“ vor, der die Dominanz des westdeutschen Systems in diesem Prozess verdeutlichen soll (Kolonialisierungsthese).4

2.2 Institutionen der Ostdeutschlandforschung

Unmittelbar nach den Wendeereignissen begannen zahlreiche private und öffentliche Einrichtungen mit zunächst hauptsächlich empirischen Forschungen bezüglich der einsetzenden Transformation Ostdeutschlands. Die wichtigsten Arbeiten legten unter anderem das „Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung“ und die Arbeitsgruppe „Transformationsprozesse in den neuen Bundesländern“ vor. Auch die Universität Bamberg präsentiert im Rahmen des Projektes „Integration und Transformation in Europa“ regelmäßig Ergebnisse zu diesem Themengebiet. Ein Großteil der Studien der Ostdeutschlandforschung entstanden als echte Auftragsforschung, die Bedeutsamkeit der Dokumentierung des Transformationsprozesses schien Politik und Wirtschaft somit sehr wohl bewusst zu sein. Auch die Bundesregierung veröffentlichte fortan regelmäßig den „Jahresbericht zum Stand der deutschen Einheit“.

Aufgrund der ungeheuren Menge veröffentlichter Studien, des heutigen Theorienpluralismus und den unterschiedlichen Intentionen der Forscher, ist die Ostdeutschlandforschung jedoch ein äußerst schwer überschaubares Forschungsfeld. Ein „knapper“ Überblick scheint unmöglich. Das Deutsche Institut für Urbanistik zog vor kurzem ebenfalls das erste mal eine Bilanz und benannte allein dreizehn Themenfelder der Ostdeutschlandforschung : Lebensqualität privater Haushalte, Wohnungswesen, Städtebau und Stadtumbau Ost, Verkehr, Grundversorgung und soziale Infrastruktur, Bildung und Forschung, Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik, öffentliche Finanzen, Wirtschaftspolitik, Verwaltung, Raumordnung, Regionalpolitik und EU-Osterweiterung. 5

Um die Vielzahl an Einzelbefunden, die bis heute veröffentlicht wurden, in einen größeren Zusammenhang zu stellen, schlossen sich im Frühjahr 2005 sieben außeruniversitäre Institute (Berliner Debatte/GSFB,BISS,IPRAS,SFZ, WISOC, Thünen-Institut, ZSH) zu dem Netzwerk „Ostdeutschlandforschung“6 zusammen. In naher Zukunft sind von dieser Seite erste Veröffentlichungen geplant, die die verschiedenen Forschungen zu einem einzigen Gesamtbild vereinen sollen.

2.3 Die aktuelle Lage in Ostdeutschland

Die wirtschaftliche und soziale Situation in den fünf neuen Bundesländern ist ein regelmäßig in den Medien intensiv diskutiertes Thema. Von Bundespräsident Köhlers Aussagen über die Unwahrscheinlichkeit gleicher Lebensverhältnisse in Ost und West7, bis zur gegenwärtigen Unterschichtendebatte zeigt die Öffentlichkeit großes Interesse an Forschungsergebnissen zum Stand des Transformationsprozesses.

Die aktuelle Lage in Deutschlands Osten kann nicht anders als zwiespältig bezeichnet werden: „moderne Infrastruktur und neue, hochproduktive Betriebe neben veralteten und stillgelegten Industrieanlagen, neu erbaute Eigenheimsiedlungen neben leerstehenden Plattenbauten, aufwendig restaurierte historische Stadtzentren, Marktplätze, Rathäuser, Kirchen, Schlösser und Parks inmitten halb entvölkerter Landstriche, umgeben von Industriebrachen und verlassenen Dörfern.“8 Bevölkerungsentwicklung, Arbeitslosigkeit und wirtschaftliche Situation sind die drängendsten Probleme der Gegenwart, das makroökonomische Ungleichgewicht Deutschlands ist nach wie vor nicht in Abrede zu stellen. Würde Ostdeutschland, für sich allein genommen, einen Antrag auf eine EU-Mitgliedschaft stellen, könnte man aufgrund der wirtschaftlichen Daten bis zum Jahr 2019 – dem geplanten Ende des Programms Aufbau Ost - womöglich nicht einmal ein Verhandlungstermin erreichen.9

Ähnlich ambivalent fällt der Versuch aus, die mentale und kognitive Situation der Ostdeutschen zu beschreiben, so durchschritt die Bevölkerung nach der Euphorie des Umbruchs die fünf Phasen eines Kulturschocks,10 die der amerikanische Anthropologe Kalvero Oberg 1960 beschrieb: Euphorie, Entfremdung, Eskalation, Missverständnisse und dann doch Verständigung. Aber auch wenn wohl mittlerweile die Phase der Verständigung schon längst erreicht ist, noch immer unterscheiden sich westdeutsche und ostdeutsche Befindlichkeiten.

3. Ergebnisse der Ostdeutschlandforschung

Das eingangs beschriebene Versagen der Sozialwissenschaften bei der Beurteilung der Situation Ende der 80er Jahre erzeugte nach der Wende eine „gewisse Nachdenklichkeit“11 und die Prozesse der Transformation wurden nun bewusst durch zahlreiche Forschungsinitiativen begleitet. Als Ziele der Ostdeutschlandforschung nannte Kollmorgen: die Beschreibung und Archivierung dieses welthistorischen Vorgang für die internationale Wissenschaftsgemeinde, zweitens, das Schließen der Wissenslücken über die ostdeutsche Gesellschaft um der Politik empirisches Wissen über den Staus Quo zu liefern und drittens, den Aufbau der Sozialwissenschaften vor Ort.12 Für die Gliederung, der dabei erzielten Ergebnisse, stehen nun mehrere Möglichkeiten zur Verfügung.

Die Möglichkeit der Aufteilung der Ostdeutschlandforschung nach ihren thematischen Feldern wurde schon erwähnt, daneben lässt sich die Ostdeutschlandforschung aber auch zeitlich in zwei Phasen trennen. Zunächst in die Phase der Nachwendezeit (Jahre 1990 – 1994). In dieser Zeit spielten grundlegende Untersuchungen, teilweise im Ost- und Westvergleich, Fallstudien und Ergebnisse von Expertentagungen eine wichtige Rolle. Kennzeichnend für die meisten dieser ersten Studien war die darin vertretende Meinung, dass es zu einer raschen Angleichung der Verhältnisse kommen würde.13

Die zweite Phase der Ostdeutschlandforschung erstreckte sich über die Jahre 1995 bis 2003/4, die dadurch gekennzeichnet war, dass die eigentlichen Transformationsprozesse schon abgeschlossen waren.14 Dies bedeutet jedoch nicht, dass in den späteren Untersuchungen damit eine „innere Einheit“ festgestellt wurde. Lediglich der eigentliche Systemwechsel wurde als vollzogen betrachtet, dass Unterschiede zwischen Ost und West weiter bestehen, blieb außer Frage gestellt.

Um die Veränderungsprozesse im Osten Deutschlands zu erklären, bediente man sich des kompletten Theorienkanons, der heute geläufig ist. Lediglich die marxistisch-leninistischen Theorien waren mit dem Systemwechsel sozusagen nicht mehr „anschlussfähig.“ Interessanterweise wurden zur Erklärung nun auch wieder die Totalitarismustheorie für die Transformationsforschung wiederentdeckt, dasselbe gilt auch für die Modernisierungstheorie15 (vor allem in der Fassung der „nachholenden Modernisierung“ eines Wolfgang Zapf16). Somit wäre auch eine Übersicht der Ostdeutschlandforschung nach den verwendeten Theorien möglich, da aber viele Arbeiten rein beschreibender, empirischer Natur sind und es eine Vielzahl an Theorien gibt, erscheint eine solche Gliederung als nicht zweckgemäß.

Deshalb ist eine Einteilung der Forschungsergebnisse nach inhaltlichen Aspekten dennoch am sinnvollsten:

Im folgenden werden die Forschungsergebnisse somit danach eingeteilt, ob sie den infra- und sozialstrukturellen Wandel betreffen, d.h. Wandel von Infrastruktur, Arbeit und Arbeitsmarkt, Veränderungen der sozialen Ungleichheit und Mobilitätsprozesse etc.

Zweitens insofern, ob sie Fragen des institutionellen Wandels berühren, also Transfer und Transformation von Institutionen, Parteien- und Verbändesystemen.

Oder drittens, sind es Ergebnisse, die sich mit dem kognitiven und mentalen Wandel der Menschen im Osten Deutschlands beschäftigten. Mittels dieses Rasters sind nahezu alle Arbeiten einzuordnen. Dass in dieser Arbeit nur auf eine kleine Auswahl aus dem weiten Feld der Ostdeutschlandforschung eingegangen werden kann ist bedauerlich, nach der These der theoretischen Sättigung von Glaser und Strauss genügt jedoch schon ein Bruchteil des zugehörigen Gesamtmaterials um die wesentlichen Inhalte eines Kommunikations-zusammenhanges zu erfassen.

1 Vgl. Ettrich, Frank, 2005: Die andere Moderne, Soziologische Nachrufe auf den Staatsozialismus, S.4.
2 Vgl. Kollmorgen, Raj, 2003: Das Ende Ostdeutschlands?, in: Berliner Debatte Initial (14)
3 Schäfers, Bernhard, 1991: Der Vereinigungsprozess in sozialwissenschaftlichen Deutungsversuchen, in: Gegenwartskunde 40, Heft 3, S. 273 – 284.
4 Freis, Britta, 2001: Spuren der deutschen Einheit, S. 34.
5 Vgl. Brettschneider, Michael, 2005: Der Aufbau Ost als Gegenstand der Forschung – Untersuchungsergebnisse seit 1990. Materialien des DIFU.
6 Ergebnisse und Materialien zur Ostdeutschlandforschung werden vom Netzwerk Ostdeutschlandforschung unter www.ostdeutschlandforschung.de bereitgestellt.
7 Vgl. Einmischen statt abwenden, Interview mit Horst Köhler, in: „Focus“ am 13.09.2004.
8 Busch, Ulrich, 2005: Aufbau Ost – Bilanz und Perspektiven, in Berliner Debatte Initial, (16) S.79.
9 Vgl. ebd. S. 83.
10 Vgl z.B. Becker, Ulrich,1992: Zwischen Angst und Aufbruch. Das Lebensgefühl der Deutschen in Ost und West nach der Wiedervereinigung, S. 56-58.
11 Esser, Hartmut, 2000 : Der Wandel nach der Wende. Gesellschaft, Wirtschaft, Politik in Ostdeutschland, S.7.
12 Vgl. Kollmorgen, Raj, 2003: Das Ende Ostdeutschlands?, in: Berliner Debatte Initial (14), S. 9.
13 Vgl. Rehberg, Karl-Siegbert, Großexperiment und Erfahrungsschock. Zu einer Forschungsinitiative über das Zusammenwachsen der Deutschen, in: Esser, Hartmut (Hg:), 2000: Der Wandel nach der Wende. Gesellschaft, Wirtschaft, Politik in Ostdeutschland,, S.17.
14 Sander, Robert, 2004, Der Aufbau Ost als Gegenstand der Forschung. Untersuchungsergebnisse seit 1990. Raumordnung (Heft 11), S.6.
15 Zu den näheren Gründen siehe: Hofmann, Michael, 2000: Thesen zur Transformationsforschung, in:. Esser, Hartmut (Hg:), 2000: Der Wandel nach der Wende. Gesellschaft, Wirtschaft, Politik in Ostdeutschland S.24 –27.
16 Vgl. dazu Zapf, Wolfgang (Hg.), 1991: Die Modernisierung moderner Gesellschaften. Verhandlungen des 25. Soziologentages in Frankfurt am Main 1990.

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Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Ergebnisse der Ostdeutschlandforschung
Hochschule
Technische Universität Dresden
Note
1,0
Autor
Jahr
2007
Seiten
22
Katalognummer
V112140
ISBN (eBook)
9783640813315
Dateigröße
581 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Ergebnisse, Ostdeutschlandforschung
Arbeit zitieren
Thomas Puchta (Autor:in), 2007, Ergebnisse der Ostdeutschlandforschung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/112140

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