Eine kritische Auseinandersetzung mit Fichtes Wissenschaftslehre

Anhand seiner Schrift: ‚Erste Einleitung in die Wissenschaftslehre’ aus dem Jahre 1797


Seminararbeit, 2007

21 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

0.Einleitung

1. Idealismus vs. Dogmatismus:

2. Die Wissenschaftslehre
2.a) Die Idee dahinter – das Vorbild Kant
2.b) Die Intelligenz und die Dialektik des Ich-an-Sich – absolute Immanenz

3. Eine kritische Reflexion
3.a) Fichte und die normative Kraft des Gesetzten
3.b) Fichtes methodische Inkonsequenz
3.c) Fichtes Fauxpas in der Determinismus-Debatte
3.d) Die solipsistische Verstrickung - Fehlendes Korrelat
3.e) Das Paradoxon der Kohärenztheorie

4. Résumé

0. Einleitung

Die Auseinandersetzung mit Fichtes ‚Erster Einleitung in die Wissenschaftslehre’ war nicht leicht. Fichte neigt dazu, in seinen Argumentationen und textimmanenten Fokussierungen dergestalt zu springen und Sachverhalte so kurz abzuhandeln, dass ein wirkungsvolles Textverständnis kaum zu gewährleisten ist. Dazu kommt noch seine abstrakte Sprache, die in ihrer Eindringlichkeit all denen, die Fichtes Anliegen auf begrifflicher Ebene nicht hinterherzukommen vermögen, unterstellt, dass man sein System nicht verstanden habe. Wolfgang Röd formuliert treffend:

„Fichtes System gehört zum Schwierigsten, was in der Philosophie je erdacht wurde, und zwar nicht nur auf Grund seiner Abstraktheit, sondern auch wegen der spröden Sprache, deren sich Fichte bediente.“ (Röd 2000; S. 215)

Mir sei also verziehen, wenn ich nicht auf jeden Punkt eingehe, den Fichte in seinem Text anbringt. Weniger, dass ich seine einzelnen Gedanken nicht reproduzieren könnte, sondern viel mehr, dass das ein oder andere zu erläutern bloß zur Verwirrung führte, da die gelegentliche Unverständlichkeit zwischen einzelnen Aspekten durch den teilweise indifferenten Gebrauch seines Vokabulars nicht zur Verständlichkeit beiträgt. Mein Anliegen galt also der Vermittlung Fichtes Gesamtkonzeptes und nicht einer systematischen Reproduktion des Textes, wenn das Vorhaben sein sollte, Fichtes Wissenschaftslehre nachvollziehen und nicht bloß abtippen zu lernen, zumal ich nicht erbringen kann, was er selber im Stande nicht zu leisten war – eine konkrete Theorie darbieten, auf konkreten Argumenten beruhend, mit konkreten Beispielen erklärbar.

Auch sei mir verziehen, dass die Kritik etwas länger ausfällt. Aber diese Freiheit zur Auseinandersetzung habe ich mir als theorienreflektierender Student genommen, zumal die Erwähnung der Kritikpunkte, meines Erachtens nach, Sinn macht und der Kern einer Philosophie-Hausarbeit nur ein reflektiertes und überprüfendes Verständnis des zu bearbeitenden Gegenstandes sein kann.

Aus systematische Gründen habe ich mich anfangs dem Konflikt ‚Idealismus vs. Dogmatismus’ gewidmet, in dem sich Fichte vorfindet. Weiter geht es sodann mit der Erläuterung Fichtes idealistischen Konzeptes der ‚Wissenschaftslehre’ zur Falsifizierung des Dogmatismus, gefolgt von der kritischen Reflexion derselben. Schlusslicht ist ein Résumé.

1. Idealismus vs. Dogmatismus

Im dritten Teil seiner Schrift „Erste Einleitung in die Wissenschaftslehre“ (1797) definiert Fichte das, was er sich unter Idealismus zum einen und Dogmatismus zum anderen vorstellt.

Ein Philosoph habe, so Fichte, nichts weiter als seine Erfahrung zum Erkenntniserwerb, in der das Erkenntnisobjekt, das Ding, und das Erkenntnissubjekt, das intelligible Ich, miteinander „unzertrennlich verbunden“ (S.129) sind. Der Erkenntniserwerb jedoch fordere das Abstrahieren entweder des einen oder des anderen, möchte er sich über die Erfahrung erheben (um den Grund derselben zu begreifen).

Abstrahiert der vernunftbegabte Philosoph von seiner Intelligenz bzw. davon, dass das Ding in der Erfahrung vorkommt, so bleibt für ihn nichts weiter als das Ding an sich. Dieses Denk-System führt nach Fichte zum Dogmatismus. Abstrahiert der Philosoph jedoch von dem Ding bzw. von dem Verhältnis seiner Intelligenz zur Erfahrung, behält er die Intelligenz an sich – das Denk-System des Idealisten; der Weg, den es für Fichte selbst einzuschlagen gilt. (vgl. S.129)

Eine Philosophie habe den Grund aller bewussten Erfahrung anzugeben, behauptet Fichte, und er hat damit nicht Unrecht (vgl. S.127 oben). Unsere Vorstellungsinhalte sind tatsächlich das erste und vielleicht auch das einzige, auf das wir unseren kognitiven Maßstab zur Überprüfung eines Wahrheitsgehaltes und zur Auffindung erster Prinzipien anwenden können. Dabei versteht Fichte zu Beginn seiner Schrift den Begriff „Vorstellungsinhalt“ durchaus im selben Sinne wie die englischen Empiristen Locke und Hume [später scheinen seine Vorstellungsinhalte eher den ontologisch-existenten Ideen Platos zu gleichen (s. 3.c))]. Auf Seite 126 erklärt er:

„einige unserer Vorstellungen sind von dem Gefühl der Freiheit, andere von dem Gefühl der Notwendigkeit begleitet.“

Mit ersteren meint er die Phantasie und Erinnerung, mit den zweiten die konkrete Erfahrung, wie er weiter unten hinzufügen wird – was auf semantischer Ebene identisch mit der Terminologie Lockes („ideas“ und „impressions“) ist.

Über die erste Kategorie, die mit dem Gefühl der Freiheit verbundenen Vorstellungen, verliert Fichte anfangs kaum ein weiteres Wort, zumindest nichts Verständliches darüber, warum er in Bezug auf sein System auf diesen Punkt vorerst nicht eingeht. (vgl. S.126) Ich unterstelle ihm, einen unten explizit erklärten, methodischen Kniff, wenn dieser Punkt, und wenn die Betonung auf „Gefühl der Freiheit“ liegt, vorerst keiner weiteren Diskussion bedarf, da es offensichtlich nicht ein Gefühl der Freiheit, sondern tatsächlich und unbestreitbar ein autonomer Akt sei, wenn ich phantasiere.

Ihn beschäftigt vielmehr die zweite Kategorie; diejenige, der mit dem Gefühl der Notwendigkeit begleiteten Vorstellungen. Und hier kommt der methodische Kniff mit der Wiederaufnahme des Wortes „Gefühl“ zum vollen Einsatz. Hinterher wird er nämlich demonstrieren wollen, dass sich dieses Gefühl als Trugschluss erweisen wird, da es in seinem System keine Vorsehung für deterministische Prozesse gibt.

Der methodische Kniff liegt genau darin, eine gleichberichtigte Behandlung beider, der freiheitlichen und notwendigen, Vorstellungen zu suggerieren, indem er den Wahrheitsgehalt derselben zu Beginn seiner Abhandlung mit dem Begriff des Gefühls mindert, obwohl er jetzt schon weiß, dass er den freien Willen zu verifizieren, den Determinismus zu falsifizieren gewillt ist.

Er will also nicht den Grund aller Vorstellungen, sondern nur den Grund der Erfahrung liefern, da hier vorerst der Hauptkonfliktpunkt des Idealisten mit dem Dogmatiker besteht. Jenen Grund nämlich sucht der Dogmatiker in dem Ding-an-Sich, der Idealist in der Intelligenz, dem Ich-an-Sich (s.u.). Dieser Streit ist nicht derjenige zwischen Rationalisten und Empiriker, ob Erkenntnis aus der Vernunft (der ratio) oder der Erfahrung (der Empirie) zu gewinnen sei, wenn schon er eine überaus konsequente Fortsetzung desselben Streits ist, im Zuge der synthetisierenden Philosophie Kants, für den galt: „Gedanken ohne Inhalt sind leer, Anschauungen ohne Begriffe sind blind.“Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft, S. B75, A51.

Der Hauptkonfliktpunkt liegt hier viel mehr in der Problematik des freien Willens bzw. des Determinismus. Sowohl Rationalisten als auch Empiristen orientierten sich an der Erkenntnis des Ding-an-Sich, für Fichte und den Idealisten jedoch bedeutet das die komplette Abhängigkeit des intelligiblen Ich von einer Außenwelt, die den Erkennenden in kausaler Hinsicht zum determinierten Opfer seines Erkenntnisgegenstandes macht. Somit sind sowohl Rationalisten als auch Empiristen für Fichte Dogmatiker, die aus seiner Sicht die Freiheit des Willens in ihrem System zu übersehen scheinen.

Der Dogmatiker abstrahiert von der Intelligenz und landet bei dem Ding-an-Sich; der Idealist abstrahiert von dem Erkenntnisobjekt, die Intelligenz bleibt übrig, ein „Ich-an-Sich“ (S.131), womit das Ding jedes Korrelat in einer ontologisch-existierenden Außenwelt verliert, also das Ding-an-Sich.

Somit ist das erste, an das sich der Idealist hält, die autonome Intelligenz; das erste, auf das der Dogmatiker Bezug nimmt, ist das Ding-an-Sich. Der erste leugnet die kausale Abhängigkeit von einem Ding-an-Sich, der zweite den freien Willen. Somit gilt:

„Jedes [Prinzip] leugnet dem entgegengesetzten alles ab, und sie haben gar keinen Punkt gemein, von welchem aus sie sich gegenseitig verständigen und sich vereinigen könnten“ (S.133 unten)

Der Idealist, so Fichte, habe jedoch den Vorteil, dass er seinen Grund der Erfahrung, die freischaffende Intelligenz, im Bewusstsein nachweisen könne. Das Ding-an-Sich, Grund der Erfahrung des Dogmatikers, sei nirgends aufzufinden, nicht mal für den Dogmatiker selber. Zusätzlich habe der Dogmatiker das Problem, dass er sukzessive sein intelligibles Bewusstsein leugne, und wie solle so Erkenntnis möglich sein?

Nichtsdestotrotz verbleibt Fichte zunächst noch bei einem Unentschieden, wenn es darum geht, einen Gewinner aus diesem Kampf zu bestimmen. Denn nach wie vor gilt das Dilemma, dass jedes Argument gegen den Dogmatiker im Paradigma desselben gar keine Problematik aufstellt, sondern ganz im Gegenteil: eine Bestätigung der eigenen Theorie ist; genau so, wie es sich auch mit Vorwürfen des Dogmatikers gegen den Idealisten verhält.

Somit ist Fichtes Schluss ein weiterer methodischer Kniff, wenn er persönlich wird und sagt, dass wenn man nicht entscheiden könne, ob das Ding-an-Sich oder das Ich-an-Sich den Grund aller Erfahrung liefere, es auf den Menschen ankomme, welche Philosophie man wähle. (S.138) Jedoch (selbe Seite):

„Ein von Natur schlaffer oder durch Geistesknechtschaft, gelehrten Luxus und Eitelkeit erschlaffter und gekrümmter Charakter wird sich nie zum Idealismus erheben“

Außerdem seien Dogmatiker reine „Materialisten“, was Fichte durchaus im umgangsprachlichen Sinne versteht. (Solch eine Vermengung philosophischer Ansichten mit menschlicher Disposition halte ich persönlich für äußerst polemisch und in einer philosophischen Debatte für völlig unangebracht.)

Schließlich ist es nun Fichtes Vorhaben, den Grund aller Erfahrung auf idealistischem Wege zu liefern und zu verifizieren und durch Evidenzkraft die Möglichkeit eines vorherrschenden Dogmatismus/Determinismus zu brechen – mit der Wissenschaftslehre.

[...]

Ende der Leseprobe aus 21 Seiten

Details

Titel
Eine kritische Auseinandersetzung mit Fichtes Wissenschaftslehre
Untertitel
Anhand seiner Schrift: ‚Erste Einleitung in die Wissenschaftslehre’ aus dem Jahre 1797
Hochschule
Technische Universität Dortmund
Veranstaltung
Idealismus und Empirismus im 19. Jh.
Note
1,7
Autor
Jahr
2007
Seiten
21
Katalognummer
V112341
ISBN (eBook)
9783640117451
ISBN (Buch)
9783640117895
Dateigröße
473 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Eine, Auseinandersetzung, Fichtes, Wissenschaftslehre, Idealismus, Empirismus
Arbeit zitieren
Mirko Wulf (Autor:in), 2007, Eine kritische Auseinandersetzung mit Fichtes Wissenschaftslehre, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/112341

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Eine kritische Auseinandersetzung mit Fichtes Wissenschaftslehre



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden