Für Husserl liegt die Krisis der europäischen (westlichen) Wissenschaft in der, aus dem Erfolg der exakten Wissenschaft resultierenden, Stagnation der in Epistemologie und Ontologie forschenden Welt. Mit exakten Wissenschaften sind jene gemeint, die mithilfe der Arithmetik und der Messinstrumente Ergebnissen erzielten, im Gegensatz zu den rein geistlichen Wissenschaften, die sich über den Prozess des Erkennens überhaupt uneinig sind. Die Stagnation sieht er weniger in dem zweifelhaften Erfolg der exakten Wissenschaften, die bspw. niemals Aussagen über „Sinn“ und „Moral“ treffen können, sondern gerade in derjenigen Dichotomie aus objektiver Dingwelt und subjektiver Erkenntnis, die beide Wissenschaften (exakte und geistliche) fahrlässig konstruiert haben. Das Problem, dass sich die Parteien mit ihren unterschiedlichen Kategorien nicht mehr über Sinn und Unsinn verständigen können, ist Synonym dieser Stagnation.
Für Husserl sind also beide Parteien, diejenige, die keinen Sinn stiften kann (exakte Wissenschaft), und diejenige, die den Sinn zu stiften nicht vermag (geistige Wissenschaft), Opfer ihrer eigenverursachten Opposition. Eigenverursacht, weil die Hauptbegründer dieser Opposition mit alten Traditionen gebrochen haben, bspw. mit der Methexis (griech. „Teilhabe“) Platos, die trotz einer Zwei-Welten-Lehre, eine notwendige Zusammengehörigkeit beider Welten postuliert.
Inhaltsverzeichnis
- Was bedeutet,,Krisis der europäischen Wissenschaften❝?
- Die zwei Seiten des ,,Kerns"
- Die eine Seite - die idealisierte Körperwelt durch Galilei
- Die andere Seite - die naturalistische Psychologie durch Descartes
- Alle Zitate aus und Verweise zu:
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Arbeit von Mirko Wulf analysiert die „Krisis der europäischen Wissenschaften“ nach Edmund Husserl, insbesondere im Kontext seiner Schrift „Die Krisis der europäischen Wissenschaften und die transzendentale Phänomenologie“ aus dem Jahr 1936. Der Text untersucht die Ursachen und Folgen dieser Krise, die Husserl in der Stagnation der Wissenschaften sieht, die sich aus der Dichotomie zwischen exakten und geistlichen Wissenschaften ergibt.
- Die Rolle von Galileo Galilei und René Descartes in der Entstehung der Krise
- Die idealisierte Körperwelt und die mathematisierbare Objektivität
- Der naturalistische Psychologismus und die Subjektivität der Erkenntnis
- Die Folgen der Stagnation für die Wissenschaften und die Gesellschaft
- Husserls Kritik an der unreflektierten Idealisierung der Körperwelt und der naturalistischen Psychologie
Zusammenfassung der Kapitel
Im ersten Kapitel beleuchtet Wulf die Definition der „Krisis der europäischen Wissenschaften“ nach Husserl. Er erklärt, dass Husserl die Krise in der Stagnation der Wissenschaften sieht, die aus der Dichotomie zwischen exakten und geistlichen Wissenschaften resultiert. Beide Wissenschaften haben laut Husserl eine unreflektierte Opposition geschaffen, die zu einem Mangel an Verständigung über Sinn und Unsinn führt.
Das zweite Kapitel analysiert die beiden Seiten des „Kerns“ der Krise. Die erste Seite wird durch Galileis idealisierte Körperwelt geprägt, die durch die mathematisierbare Objektivität gekennzeichnet ist. Wulf argumentiert, dass Galileis unreflektierte Annahme der Idealisierbarkeit der Körperwelt zu einem Trugschluss führte, der die Abwendung der Physik von den Geisteswissenschaften und die Annahme einer mathematisierbaren Welt überhaupt zur Folge hatte.
Die zweite Seite der Krise wird durch Descartes' naturalistische Psychologie geprägt. Wulf erklärt, dass Descartes' Dualismus von Körper und Geist zu einem skeptischen Gedanken führte, der die Erkenntnis als subjektiv und wage darstellte und die Seele naturalisierte. Diese „paradoxe Situation“ strahlte in das Bewusstsein der Gesellschaft und führte zu einer weiteren Stagnation der Wissenschaften.
Schlüsselwörter
Die Schlüsselwörter und Schwerpunktthemen des Textes umfassen die „Krisis der europäischen Wissenschaften“, Edmund Husserl, Galileo Galilei, René Descartes, exakte Wissenschaften, geistliche Wissenschaften, mathematisierbare Objektivität, naturalistische Psychologie, Stagnation, Dichotomie, Opposition, Idealisierung, Trugschluss, Subjektivität, Erkenntnis, Skepsis, „cogito“, und die Folgen der Krise für die Wissenschaften und die Gesellschaft.
- Arbeit zitieren
- Mirko Wulf (Autor:in), 2008, Der Kern der "Krisis der europäischen Wissenschaften" nach Husserl, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/112342