Identifikation und Interaktion beim Filmzuschauer am Beispiel von Christopher Nolans Film „Memento“


Hausarbeit, 2005

17 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung
1.1. Fragestellung
1.2. Begriffsbestimmungen
1.3. Der Film „Memento“ als Untersuchungsobjekt

2. Der Film „Memento“
2.1. Kurzinhalt
2.2. Erzählweise und Chronologie des Films
2.3. Filmische Mittel
2.4. Entstehung und Konzeption des Films
2.5. Die Rezeption des Filmes
2.5.1. Auslegungen des Films

3. Ergebnisse der Untersuchung

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

1.1. Fragestellung

Ursprüngliche Motivation für dieses Thema war eine Diskussion im FLS „Geschichte und Theorie des Films“ über die Möglichkeiten des Filmzuschauers, interagierend in einen Film einzugreifen. Dabei hatte ich die Idee, die quantenphysikalischen Ideen Werner Heisenbergs mit dem Schauen eines Films in Verbindung zu bringen. Es stellte sich jedoch als nahezu unmöglich heraus, Quantenphysik und Filmtheorie zu vereinen. Deswegen soll nur noch eine sehr verallgemeinerte Form von Heisenbergs Thesen weiterhin als Motivation dienen. Zusammenfassend könnte man mit Heisenberg sagen, dass jedes Subjekt das betrachtete Objekt verändert.[1] Hierbei ist für Subjekt der betrachtende Mensch zu setzen, dass Objekt kann jeglicher Teil einer angenommenen äußeren Realität sein. Das würde für den zu behandelnden Fall bedeuten, dass man einen Film nicht schauen kann, ohne ihn zu verändern.

Wenn wir diese Grundaussage im Hinterkopf behalten, kann gesagt werden, dass jeder Zuschauer den Film etwas anders erlebt, d.h. ihn auf der Folie individueller Gefühle, Stimmungslagen, aber auch physiologischer Gegebenheiten interpretiert. Dies hängt eng mit der Identifikation des Zuschauers mit den jeweiligen Rollen im Film zusammen. Es soll aber an dieser Stelle untersucht werden, ob es darüber hinaus möglich ist, dass ein Film nicht nur unterschiedlich interpretiert wird, sondern inhaltlich, insbesondere seine Chronologie betreffend, von einer endlichen aber zunächst nicht bestimmbaren Zahl von Betrachtern unterschiedlich sortiert, angeordnet und wahrgenommen wird. Mit anderen Worten, ob der Film zwischen Leinwand und Betrachter maßgeblich verändert wird.

1.2. Begriffsbestimmungen

Um die Untersuchung durchführen zu können, möchte ich zunächst eine Begriffsbestimmung vornehmen. Dazu werden „Identifikation“, „Interaktion“ und „Wahrnehmung“ definiert. Eine allgemeine Bestimmung ist hierbei hinreichend, da es sich nicht um eine speziell psychologische Untersuchung handelt.

„Identifikation“ meint: „emotionales Sichgleichsetzen mit einer anderen Person oder Gruppe und Übernahme ihrer Motive und Ideale in das eigene Ich“[2]. Für unsere Betrachtung dient dieser Begriff also dazu, interpretative Prozesse und Identifikation des Betrachters mit dem Protagonisten herauszukristallisieren und diese im Vergleich zur Interaktion zu betrachten bzw. deren Zusammenspiel zu analysieren.

Etymologisch abzugrenzen ist hiervon die „Interaktion“, mit dem lateinischen Präfix „inter“: „zwischen, unter, inmitten, während“[3]. „Interagieren“ definiert sich dann als „sich, agierend und aufeinander reagierend, wechselseitig in seinem Verhalten beeinflussen (von Menschen, auch z.B. von Computersystemen, Medien usw. und deren Benutzern)“[4]. Ich beschränke als Annahme für diese Untersuchung bei „Interaktion“ auf jene Prozesse, die mit dem Sehen des Filmes – also auf einer Leinwand oder ähnlichen Objekten – beginnen und im neurologischen System des Betrachters ablaufen, um die audiovisuellen Eindrücke zu sortieren und zu verarbeiten. Interagiert der Filmbetrachter also, würde er den Film verändern.

Schließlich muss noch „Wahrnehmung“ untersucht werden, um zu klären, ob im Wahrnehmungsprozess aktive Elemente enthalten sind. In der Wahrnehmungspsychologie findet sich folgendes: „Nach ROCK [...] ist Wahrnehmung insofern ein konstruktiver Prozeß, als daß die Welt, wie sie in der Wahrnehmung erschaffen wird, sich qualitativ von den Reizverhältnissen an den Sinnesorganen [...] unterscheidet.“[5] Auf unseren Fall angewendet und weitergedacht bedeutet dass, dass der Prozess der Wahrnehmung zum einen konstruktiv, also aktiv ist; und zum anderen die Wahrnehmung die wahrgenommenen Inhalte und Formen verändert, sortiert und kategorisiert, um sie dem Intellekt verständlich zu machen.

1.3. Der Film „Memento“ als Untersuchungsobjekt

Der Film „Memento“ von Christopher Nolan eignet sich für diese Untersuchung besonders gut, da die Szenen nicht chronologisch gezeigt werden, sondern rückwärts, unterbrochen von Schwarzweißszenen, die zu einem bestimmten, später genauer zu bestimmenden, Zeitpunkt in die Farbszenen inhaltlich übergehen. Durch diese Anordnung ist der Betrachter gezwungen, die Szenen oder Kapitel neu anzuordnen, um den Filminhalt verstehen zu können. Die Frage lautet also, ob der Zuschauer den Film „Memento“ beim Betrachten verändert, bzw. mitgestaltet und ob dies jeder Betrachter in maßgeblich verschiedener Weise tut. Findet also eine Interaktion des Betrachters im Sinne der oben genannten Definition statt?

Desweiteren soll genauer geprüft werden, mit welchen filmischen und erzähltechnischen Mitteln in „Memento“ die Verwirrung beim und die daraus resultierende Identifikation und Interaktion des Betrachters erzeugt wird.

Schließlich muss die Entstehung und Konzeption des Films betrachtet werden, damit mögliche Intentionen des Regisseurs Christopher Nolan – der zugleich Drehbuchautor war – und seines Bruders Jonathan Nolan – der die zugrundeliegende Kurzgeschichte schrieb – beachtet werden können, soweit sie für die Beantwortung der Fragestellung zugänglich sind. Christopher Nolan selbst – soviel sei vorweggenommen –, setzte sich zumindest eine starke Beteiligung des Zuschauers als Ziel für diesen Film: „To me it was important to create a film that people couldn’t watch in a passive way.“[6]

Abschließend erfolgt eine Untersuchung zur Rezeption des Filmes, um einige wenige Zuschauerreaktionen dafür zu bekommen, wie andere Menschen als das Filmteam und ich den Film bewerteten bzw. darauf reagierten.

2. Der Film „Memento“

„Die Wahrnehmung ist möglicherweise verzerrt. Sie ist nur eine Interpretation, keine Aufzeichnung. Sie ist irrelevant, wenn man Fakten hat.“[7]

Dieses Zitat des Protagonisten Leonard Shelby ist zugleich Grundaussage des ganzen Films. Regisseur Christopher Nolan hat einen Film geschaffen, der nicht nur mit der Wahrnehmung der Hauptfigur spielt, sondern durch dessen Erzählperspektive und die zu erwartende starke Identifikation mit ihr auch mit der Wahrnehmung des Filmzuschauers.

2.1. Kurzinhalt

Leonard Shelby hat die Fähigkeit verloren, sich neue Informationen zu merken. Seit einem Überfall, bei dem seine Frau vergewaltigt und getötet und er schwer verletzt wurde, vergisst er alles innerhalb weniger Minuten. Auf der Suche nach dem Mörder seiner Frau, versucht er mittels Polaroidbildern, Zetteln und Tätowierungen auf seinem Körper die Informationen seiner Ermittlung zu verbinden und vor allem zu fixieren. Dabei gerät er in das Machtspiel von Natalie und Teddy, die beide vorgeben, ihm zu helfen. Parallel erzählt Leonard Shelby am Telefon einem unsichtbaren Gegenüber eine Geschichte aus seiner Zeit als Versicherungsermittler: Sammy Jankis hatte sein Kurzzeitgedächtnis verloren und seine Frau wollte die Arztrechnungen von der Versicherung zahlen lassen. Leonard Shelby wurde auf den Fall angesetzt, lehnte die Zahlung ab, was zum Tod von Sammy Jankis’ Frau führte. Sie bleibt jedoch nicht die einzige Tote, denn Leonard Shelby führt seinen Rachefeldzug, immer und immer wieder.

2.2. Erzählweise und Chronologie des Films

Da die DVD[8] „Memento“ eine Funktion enthält, die den Film in der chronologisch richtigen Reihenfolge abspielt, ist es an dieser Stelle möglich, eine richtige Angabe der Chronologie zu machen. Gäbe es diese Funktion nicht, wäre dies mit erheblichen Aufwand verbunden.

Zur folgenden Erläuterung findet sich eine Graphik (Abb. 1) am Ende dieses Kapitels, die Zahlen in Klammern weisen auf die jeweilige Stelle in der Grafik hin. Der Film folgt einem doppelten Erzählstrang, der sich an einer Stelle vereint (1). Zunächst kann eine Unterteilung in Farbszenen (2) und Schwarz-Weißszenen (3) vorgenommen werden. Die Szenenlänge entspricht meistens der Erinnerungsspanne, derer der Protagonist fähig ist. Bei genauer Betrachtung wird klar, dass die Farbszenen chronologisch rückwärts ablaufen und die sie unterbrechenden Schwarzweißszenen vorwärts. Reiht man letztere aneinander, ergibt sich eine Art Vorwort zum Farbteil des Filmes: Die Telefongespräche im Hotel bis hin zur Tötung von Jimmy Grants. An dieser Stelle erfolgt durch die Überblendung zur Farbe (1), verstärkt durch das Farbigwerden des Polaroids, die Vereinigung der beiden Erzählstränge. Zugleich ist es das Ende eines – zumindest für die Erzähldauer des Films – ersten Kreislaufs, indem Leonard den vermeintlichen Mörder seiner Frau sucht, tötet und dies wieder vergisst. Anschließend beginnt dieser Kreislauf von vorne, denn die Rache ist Leonards einzige Lebensmotivation, die es ihm ermöglicht, mit dem enormen Aufwand seinen Kurzzeitgedächtnisverlust zu bekämpfen. Der zweite Kreislauf endet dann mit dem Mord an Teddy. Dieser Kreislauf wird jedoch im Film rückwärts gezeigt und der Mord an Teddy geschieht ganz am Anfang. Der Film endet, wenn Leonard durch die Szenenüberlappung erneut vor dem Tatoostudio eine Scharfbremsung hinlegt und mit der Frage „Wo war ich stehen geblieben?“ dem Filmzuschauer sein vermeintliches Verstehen der Chronologie – zumindest in den meisten Fällen – entreißt. Generell überlappen sich die Farbszenen immer etwas, damit der Zuschauer sie besser in Verbindung setzen kann. Wenn die Flashbacks als Schwarzweißszenen dazwischen eingeblendet werden, geschieht dies ohne irgendein filmisches oder akustisches Signal, wie z. B. das Verschwimmen des Bildes oder ein Farbfilter. Vielmehr erfolgt einfach nur ein Schnitt. Auch bei den Szenen, in denen Leonard sich an seine Frau erinnert, wird dieser gleiche, natürlich wirkende Stil verwendet.

[...]


[1] Vgl. Werner Heisenberg: Physik und Philosophie, Stuttgart 2000 und David C. Cassidy: Werner Heisenberg – Leben und Werk, Heidelberg 1995 und Anton Zeilinger: Einsteins Schleier- Die neue Welt der Quantenphysik, München 2005.

[2] Duden, Band 5: Fremdwörterbuch, Mannheim 2001, S. 419.

[3] Ebd., S. 449.

[4] Ebd.

[5] Günther Kebeck: Wahrnehmung, München 1994, S. 264.

[6] James Mottram, The Making of Memento, New York 2002, S. 173.

[7] Christopher Nolan: Memento, DVD, Columbia Tristar Home Entertainment 2002, Zitat von Leonard Shelby.

[8] Ebd.

Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
Identifikation und Interaktion beim Filmzuschauer am Beispiel von Christopher Nolans Film „Memento“
Hochschule
Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover  (Institut für deutsche Literatur und Sprache)
Veranstaltung
Seminar: Geschichte und Theorie des Films
Note
1,7
Autor
Jahr
2005
Seiten
17
Katalognummer
V112568
ISBN (eBook)
9783640122356
Dateigröße
414 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Identifikation, Interaktion, Filmzuschauer, Beispiel, Christopher, Nolans, Film, Seminar, Geschichte, Theorie, Films
Arbeit zitieren
Felix Strüning (Autor:in), 2005, Identifikation und Interaktion beim Filmzuschauer am Beispiel von Christopher Nolans Film „Memento“ , München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/112568

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