Im Verlauf der menschlichen Ontogenese erwirbt der zunächst noch unreife Säugling zahlreiche Fähigkeiten, Strategien und Verhaltensweisen, welche ihm eine gelungene Interaktion mit der Umwelt erleichtern und nicht zuletzt sein Überleben sichern. Viele dieser Entwicklungsschritte sind genetisch vorgegeben, andere werden, vollständig oder auch nur teilweise, durch die Interaktion mit anderen Menschen in dyadischen oder Gruppenstrukturen erworben. Eine zentrale Entwicklungsaufgabe, die sich dem jungen Menschen stellt, ist der Aufbau eines funktionalen Emotionssystems. Im Zuge der emotionalen Entwicklung lernt der Mensch, seine Emotionen auszudrücken und sie zu benennen, er erwirbt die Fähigkeit zur Emotions- und Handlungsregulation und baut mit zunehmendem Alter ein immer komplexeres Emotionswissen auf. Jedoch gelingt nicht allen Menschen die Erfüllung dieser Entwicklungsaufgabe im gleichen Maße. Während einige Menschen emotionsgenerierende Situationen realistisch bewerten und ihre Emotionen dazu nutzen können, die gegebenen Umstände durch gezielte Handlungen ihren Zielen und Motivationen dienlich zu beeinflussen, sind andere zu einer solch objektiven Situationsanalyse und situationsspezifischen, flexiblen Handlungen nicht in der Lage. Zudem sind nicht alle Menschen in gleicher Weise zu der effektiven Regulation ihrer Emotionen fähig. Ebenso treten Unterschiede in der Qualität und Organisation des deklarativen Emotionswissens auf.
Es stellt sich daher die Frage, welche Ursachen diesen interindividuell verschiedenen Entwicklungsverläufen und -ausgängen zugrunde liegen. Basis für eine Erklärung dieser Unterschiede kann selbstverständlich nur eine Theorie der ontogenetischen Emotionsentwicklung sein. Die Bindungstheorie, welche auf die Erforschung der engen Bindungsbeziehung zwischen Kind und Bezugsperson, sowie deren Folgen im Verlauf der Ontogenese fokussiert, bietet einen interessanten Ansatz zur Erklärung solcher interindividuellen Unterschiede in der Emotionsentwicklung. Im Rahmen der Bindungsforschung konnten verschiedene Interaktionsmuster von Mutter-Kind Dyaden identifiziert werden, welche sich mit bestimmten Tendenzen in der emotionalen Entwicklung in Verbindung bringen lassen.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- I. Emotionen
- 1.1 Paradigmata der Emotionsforschung
- 1.2 Emotions- und Handlungsregulation
- 1.3 Die emotionale Entwicklung
- 1.3.1 Im Säuglings- und Kleinkindalter
- 1.3.2 Im Kleinkind- und Vorschulalter
- 1.3.3 Im Schulalter
- 1.3.4 Im Jugendalter
- 1.4 Interindividuelle Unterschiede in der Emotions- und Handlungsregulation
- II. Die Bindungstheorie
- 2.1 Die Entstehung der Bindungstheorie
- 2.1.1 John Bowlby
- 2.1.2 Bindungstheorie und Psychoanalyse
- 2.1.3 Ethologische Einflüsse
- 2.2 Die Bindungstheorie
- 2.2.1 Bindungs- und Explorationsverhalten
- 2.2.2 Unterschiedliche Bindungsmuster in der „Fremden Situation“
- 2.2.3 Das Konzept der „inneren Arbeitsmodelle“
- 2.2.4 Ursachen für die Ausbildung unterschiedlicher Bindungsqualitäten
- 2.1 Die Entstehung der Bindungstheorie
- III. Bindungstheorie und Emotionsentwicklung
- 3.1 Innere Arbeitsmodelle und emotionale Entwicklung
- 3.2 Bindungsspezifische Emotionsentwicklung
- 3.2.1 Sicher gebundene Kinder und Jugendliche
- 3.2.2 Unsicher-ambivalent gebundene Kinder und Jugendliche
- 3.2.3 Unsicher-vermeidend gebundene Kinder und Jugendliche
- IV. Implikationen für die psychologische Praxis
- V. Fazit
- Literaturverzeichnis
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die vorliegende Hausarbeit befasst sich mit der Entstehung interindividueller Unterschiede in der Emotionsentwicklung aus bindungstheoretischer Perspektive. Ziel ist es, die zentralen Annahmen der Bindungstheorie darzustellen und deren Einfluss auf die emotionale Entwicklung von Kindern und Jugendlichen zu beleuchten. Dabei wird insbesondere auf die Rolle der „inneren Arbeitsmodelle“ und deren Auswirkungen auf die Emotionsregulation und das soziale Verhalten eingegangen.
- Die Bedeutung der Bindungsbeziehung für die Entwicklung eines funktionalen Emotionssystems
- Die Entstehung und Entwicklung von „inneren Arbeitsmodellen“
- Die Auswirkungen unterschiedlicher Bindungsmuster auf die Emotionsregulation und das soziale Verhalten
- Die Bedeutung der Bindungstheorie für die psychologische Praxis
- Die Bedeutung der Emotionsentwicklung für die soziale und kognitive Entwicklung
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung führt in die Thematik der Emotionsentwicklung und deren Bedeutung für die menschliche Entwicklung ein. Es wird auf die Komplexität des Forschungsgegenstandes und die verschiedenen Paradigmen der Emotionsforschung eingegangen. Anschließend wird die Bindungstheorie als ein möglicher Erklärungsansatz für interindividuelle Unterschiede in der Emotionsentwicklung vorgestellt.
Kapitel I gibt einen Überblick über das Konzept der Emotion und verschiedene Paradigmen der Emotionsforschung. Es werden die verschiedenen Komponenten der Emotion und deren Bedeutung für die menschliche Verhaltensorganisation erläutert. Zudem wird die Bedeutung der Emotionsregulation für die Entwicklung eines funktionalen Emotionssystems hervorgehoben.
Kapitel II beschäftigt sich mit der Bindungstheorie. Es werden die zentralen Annahmen der Theorie und deren Entstehung vor dem Hintergrund der Arbeiten von John Bowlby, der Psychoanalyse und der Ethologie dargestellt. Ein besonderer Schwerpunkt liegt auf dem Konzept der „inneren Arbeitsmodelle“ und deren Einfluss auf die Entwicklung des Kindes.
Kapitel III zeigt, wie die verschiedenen Bindungsmuster mit interindividuellen Unterschieden in der Emotionsregulation und dem sozialen Verhalten in Verbindung stehen. Es werden die emotionalen und sozialen Entwicklungspfade für Personen mit unterschiedlichen Bindungsmustern dargestellt.
Schlüsselwörter
Die Schlüsselwörter und Schwerpunktthemen des Textes umfassen die Emotionsentwicklung, die Bindungstheorie, innere Arbeitsmodelle, Emotionsregulation, soziale Entwicklung, interindividuelle Unterschiede, Bindungsmuster, sichere Bindung, unsichere Bindung, ambivalente Bindung, vermeidende Bindung, psychologische Praxis, Entwicklungspsychologie.
- Quote paper
- Lena Linden (Author), 2008, Interindividuelle Unterschiede in der Emotionsentwicklung - Eine bindungstheoretische Perspektive, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/112597