Psychisch kranken Menschen fällt es aus den unterschiedlichsten Gründen häufig schwer, sich auf Kontakte einzulassen und Beziehungen zuzulassen. Gleichzeitig gilt Beziehung als Grundvoraussetzung professionellen Handelns in der Sozialen Arbeit. Wie lässt sich also in der professionellen Praxis die Anforderung bewältigen, mit KlientInnen zu arbeiten, die schwer erreichbar sind, die aufgrund ihrer Erkrankung und/oder krimineller Taten vermuten lassen, dass sie kaum in der Lage sind, Beziehungen zu führen?
In der Arbeit wird der Frage nachgegangen, welche spezifischen Anforderungen sich für die Soziale Arbeit in der herausfordernden Beziehungsgestaltung mit forensisch-psychiatrischen LangzeitpatientInnen im Rahmen des Resozialisierungsprozesses ergeben. Die Arbeit orientiert sich an Theorien, Methoden und Techniken, die zur Förderung der Beziehungsgestaltung beitragen sollen. Dabei sollen Chancen und Möglichkeiten, aber auch Schwierigkeiten aufgezeigt werden, die der Gestaltung professioneller Arbeitsbeziehung zugeordnet werden. Im Verlauf der Bachelorarbeit soll der Selbstreflexion, dem eigenen Erleben der Fachkräfte, eine besondere Bedeutung zukommen, da diese immer wieder im Zusammenhang mit dem Verstehen des/der KlientIn stehen.
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Einleitung
1. Resozialisierung forensisch psychiatrischer LangzeitpatientInnen als Aufgabe Klinischer Sozialarbeit
1.1 Charakteristika Klinischer Sozialarbeit
1.1.1. Gesundheit und Krankheit im bio-psycho-sozialen Modell
1.1.2 Aufgabenstellung klinisch-sozialarbeiterischer Tätigkeit
1.2 Zum Begriff ,Resozialisierung‘
1.3 Zum Begriff 'forensisch-psychiatrische Langzeitpatientinnen'
1.4 Zur Bedeutung Klinischer Sozialarbeit im Resozialisierungsprozess
2. Von der forensischen Klinik in die Freiheit - den Übergang gestalten
2.1 Beendigung der Unterbringung und Übergangsmanagement
2.2 Klärung des individuellen Hilfebedarfs
2.3 Koordinierende Bezugsperson
2.4 Beziehungsgestaltung
3. Die Beziehungsgestaltung innerhalb des Resozialisierungsprozesses
3.1 Allgemeines zu zwischenmenschlichen und persönlichen Beziehungen
3.2 Helfende Beziehung
3.3 Theoretische Grundlagen professioneller Beziehungsgestaltung
3.3.1 Das Konzept ,Nähe und Distanz‘
3.3.2 Das Konzept ,Arbeitsbündnis‘
3.3.3 Das Konzept ,Übertragung und Gegenübertragung‘
4. Gesprächsführungsmethoden als Basiskompetenzen für die Beziehungsgestaltung
4.1. KlientInnenzentrierte Gesprächsführung
4.2 Motivierende Gesprächsführung
4.3 Vorteile und Grenzen des Einsatzes der Gesprächsführungsmethoden
5. Professionelle Beziehungsgestaltung in der praktischen Umsetzung
5.1. Kompetenzen der Fachkraft
5.2 Interpersonale Dimension professioneller Kompetenz
5.3 Gesprächstechniken
5.4 Herausforderungen in der Beziehungsgestaltung und professionelle Muster der Bewältigung
5.5 Kollegiale Beratung als reflexives Instrument
Fazit
Literatur- und Quellenverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Einleitung
Psychisch kranken Menschen fällt es aus den unterschiedlichsten Gründen häufig schwer, sich auf Kontakte einzulassen und Beziehungen zuzulassen. Dafür sind m.E. ausreichend Zeit, Ressourcen und ein kompetentes, lebensweltorientiertes, sozialarbeiterisches Handeln erforderlich. Pädagogische Maßnahmen und Hilfen können jedoch nicht einfach technokratisch geplant und durchgeführt werden.
Im Gegenteil: Beziehung und Vertrauen sind Grundvoraussetzungen für die Planung und Umsetzung von Hilfen. Laut Obert entsteht beides aus einem Zusammenspiel unterschiedlichster, sich gegenseitig beeinflussender, Faktoren (vgl. Obert 2015: 245 f). Wenn Beziehung, wie eingangs benannt, also Grundvoraussetzung professionellen Handelns in der Sozialen Arbeit gilt, wie lässt sich dann in der professionellen Praxis die Anforderung bewältigen, mit KlientInnen zu arbeiten, die schwer erreichbar sind, die aufgrund ihrer Erkrankung und/oder krimineller Taten vermuten lassen, dass sie kaum in der Lage sind, Beziehungen zu führen?
Die Themenwahl dieser Bachelorarbeit wurde maßgebend aufgrund meiner beruflichen Tätigkeit im ambulant betreuten Wohnen eines Sozialpsychiatrischen Vereins bestimmt. Das Betreute Wohnen wird dort nicht nur von allgemein-psychiatrischem Klientel genutzt, sondern auch von ehemaligen PatientInnen des Maßregelvollzugs. Erfahrungen aus meiner persönlichen beruflichen Praxis zeigen, dass die Qualität der Arbeit im ambulant betreuten Wohnen unmittelbar verbunden ist, mit dem Gelingen einer professionellen Beziehungsgestaltung. Auch KollegInnen teilen diese Erfahrungen. Jedoch bleibt es häufig bei Erfahrungsberichten und Hinweisen, wie „. das ist auf unsere gute Beziehung zurückzuführen“ oder „die Methode spielte gar keine Rolle, man muss nur eine stabile Beziehung aufbauen“. Doch wie genau sich eine solche Beziehung nun gestalten lässt oder gestalten sollte und was denn eigentlich eine gute Beziehung überhaupt ausmacht, bleibt meist ungewiss. Es wird wie selbstverständlich davon ausgegangen, dass man weiß, was damit gemeint ist, schließlich lebt ja jeder Mensch in Beziehungen. Aber dennoch, was wird darunter verstanden, wenn solche Aussagen bezogen auf das professionelle Handeln gemachen werden? Zudem werden in der Praxis teilweise sehr offen Befürchtungen gegenüber forensisch-psychiatrischen LangzeitpatientInnen geäußert, die eine innere Ablehnung bis hin zu drastischen Etikettierungen zur Folge haben können. Theorien und Konzepte aus der Sozialen Arbeit sind, gerade bezogen auf die Arbeit mit mehrfach belasteten, forensisch-psychiatrischen LangzeitpatientInnen, häufig nicht präzise genug, um sie in der Praxis sinnvoll einsetzen zu können.
Gesellschaftliche Anforderungen nehmen immer weiter zu und können von KlientInnen der Sozialen Arbeit oftmals nicht mehr bewältigt werden. Die Fachkräfte sind mit vielschichtigen und existenziellen Problemlagen und gesundheitlichen Einschränkungen konfrontiert. Diese benötigen eine psychosoziale Unterstützung, mit dem Ziel der Integration (vgl. Gahleitner 2017: 10 f). Forensisch-psychiatrische Langzeitpatientinnen kämpfen nicht nur mit den alltäglichen gesellschaftlichen Anforderungen, sondern auch mit ihrer Erkrankung und den gesellschaftlichen Reaktionen auf diese, ebenso mit Stigmatisierungen und Demütigungen gegenüber ihrer Straffälligkeit. Gesellschaftliche Diskussionen in Bezug auf psychisch kranke StraftäterInnen sind geprägt von der Sichtweise: „Wegsperren - und nie wieder rauslassen!“. Die Gesellschaft betrachtet LangzeitpatientInnen der forensischen Psychiatrie, so scheint es, als nicht zugehörig, sogar nicht menschlich. Der Begriff der ,Vermonsterung‘ erscheint an dieser Stelle treffend. Diese Wahrnehmung in der Öffentlichkeit ist m.E. nach wie vor mitverantwortlich für eine Fokussierung auf die krankhaften Anteile und das voraussichtliche Scheitern der betroffenen Person. Die professionelle Beziehungsgestaltung zu forensisch-psychiatrischen LangzeitpatientInnen steht damit vor mehreren Herausforderungen: den vielfältigen Problemlagen, dem teilweise nur schwer nachvollziehbaren Verhalten der PatientInnen und den damit verbundenen, eigenen Emotionen. Aber auch dem gesellschaftlichen Druck und politischen bzw. staatlichen Rahmenbedingungen, die in der Straffälligkeit der PatientInnen begründet liegen.
Entlang der vorangegangenen Überlegungen, wird im Folgenden der Frage nachgegangen, welche spezifischen Anforderungen sich für die Soziale Arbeit in der herausfordernden Beziehungsgestaltung mit forensisch-psychiatrischen LangzeitpatientInnen im Rahmen des Resozialisierungsprozesses ergeben. Die vorliegende Arbeit orientiert sich an Theorien, Methoden und Techniken, die zur Förderung der Beziehungsgestaltung beitragen sollen. Dabei sollen Chancen und Möglichkeiten, aber auch Schwierigkeiten, aufgezeigt werden, die der Gestaltung professioneller Arbeitsbeziehung zugeordnet werden. Im Verlauf der Bachelorarbeit soll der Selbstreflexion, dem eigenen Erleben der Fachkräfte, eine besondere Bedeutung zukommen, da diese immer wieder im Zusammenhang mit dem Verstehen des/der KlientIn stehen. An dieser Stelle soll bereits darauf aufmerksam gemacht werden, dass es nicht als ein Spezifikum psychisch kranker Menschen betrachtet werden kann, wenn die Beziehungsgestaltung zu einer Herausforderung wird. Sondern, dass es sich dabei um grundlegende Gegebenheiten des menschlichen Lebens handelt.
Das erste Kapitel dieser Arbeit befasst sich mit Aspekten einer Klinischen Sozialarbeit als Fachdisziplin der Sozialen Arbeit. Der kurze Überblick charakteristischer Merkmale und Aufgabenstellungen soll zunächst begründen, warum der Resozialisierungsprozess forensisch-psychiatrischer Langzeitklientel in den Kompetenzbereich einer Klinischen Sozialarbeit fällt. Weiterhin wird in diesem Kapitel der Begriff der ,Resozialisierung‘ definiert und der Ausdruck des/der forensisch-psychiatrischen LangzeitpatientIn‘ wird genauer beleuchtet.
Da der Maßregelvollzug den Ausgangspunkt für die Resozialisierung forensisch-psychiatrischer LangzeitpatientInnen darstellt wird, nach der Einführung in die Thematik im ersten Kapitel, im darauf folgenden Kapitel der Verlauf des Übergangs aus einer Unterbringung im Maßregelvollzug ,in die Freiheit erläutert. Dabei werden mögliche auftretende Schwierigkeiten und entsprechende Maßnahmen benannt.
Kapitel drei beinhaltet, neben der Auseinandersetzung mit den theoretischen Grundlagen einer professionellen Beziehungsgestaltung in der Sozialen Arbeit, einige Überlegungen zu wesentlichen allgemeinen Merkmalen zwischenmenschlicher Beziehungen. Dabei wird zwischen der persönlichen und der helfenden Beziehung unterschieden.
Die Methoden der Gesprächsführung, welche bei der Beziehungsgestaltung zu forensisch-psychiatrischen KlientInnen eingesetzt werden können, werden in Kapitel vier vorgestellt. Auch wird an dieser Stelle auf Vorteile und Grenzen dieser Methoden eingegangen.
Kapitel fünf gibt, anhand der theoretischen Hintergründe und Methoden, eine Hilfestellung im Hinblick auf die Umsetzung in die professionelle Praxis. Es werden erforderliche Kompetenzen für die Umsetzung einer gelungenen Beziehungsarbeit herausgestellt, sowie interpersonale Aspekte dieser Kompetenzen angesprochen. Darauf folgt die Schilderung von Techniken, die sich, bezogen auf die Methoden, in Gesprächen anwenden lassen. Das Kapitel beinhaltet weiterhin eine Auseinandersetzung mit den beruflichen An- und Herausforderungen, die sich innerhalb der Beratung und Betreuung forensisch-psychiatrischer KlientInnen ergeben. Dabei werden auch Krisensituationen der KlientInnen berücksichtigt und auf deren Bewältigung eingegangen. Abschließend wird die Kollegiale Fallberatung als Möglichkeit des reflexiven Austauschs und Lernens kurz beschrieben.
Am Ende der vorliegenden Arbeit erfolgt eine abschließende Betrachtung der ausgeführten Thematik. Die dargebotenen Ansätze und Bezüge, hinsichtlich einer gelingenden professionellen Beziehungsgestaltung innerhalb des Resozialisierungsprozesses, sollen zum Schluss in Empfehlungen zu einer bewussten Beziehungsgestaltung münden.
1. Resozialisierung forensisch psychiatrischer LangzeitpatientInnen als Aufgabe Klinischer Sozialarbeit
Das gesamte professionelle Handeln innerhalb des Resozialisierungsprozesses zielt mit der Gesundung des/der forensisch-psychiatrischen LangzeitPatientIn auf eine Verbesserung seiner/ihrer ,Legalprognose‘. Die eigentliche Herausforderung besteht über einen längeren Zeitraum hinweg darin, bei den PatientInnen die Motivation für Veränderungen herbeizuführen und aufrecht zu erhalten, sie dazu zu motivieren, ihre bisherigen Einstellungen und ihr Verhalten zu reflektieren. Im Verlauf dieses Kapitels soll deutlich werden, dass der Prozess der Resozialisierung forensisch-psychiatrischer Langzeitpatienten auf das Kompetenzprofil einer Klinischen Sozialarbeit angewiesen ist. Nach Auffassung der Autorin ermöglicht die Klinische Sozialarbeit eine erforderliche und bedeutende Ergänzung an Schnittstellen der ambulanten Betreuung und Behandlung forensisch-psychiatrischer Langzeitpatienten. Im Bereich der chronischen psychischen Erkrankungen ist ein deutlicher Trend der Verlagerung von stationären zu ambulanten Hilfeleistungen erkennbar, dieser Trend wird sich voraussichtlich aufgrund gezielter gesundheitspolitischer Maßnahmen und Forderungen weiterhin verstärken.
Geißler-Piltz geht zudem davon aus, dass diese Veränderungen einhergehen mit dem Verständnis, das soziokulturelle Aspekte an der Herausbildung und dem Verlauf von Krankheiten beteiligt sind und dementsprechend weitere tiefgreifende Änderungen im Bereich der gesundheitlichen Versorgung absehbar sind (vgl. Geißler-Piltz: 2005: 12).
Allgemeine Soziale Arbeit besitzt ihre Kernkompetenzen in Bezug auf schwierige und defizitäre Lebenslagen von KlientInnen. Die individuellen Probleme und Belastungen der KlientInnen sind häufig gesundheitlich bedeutsam: sie beeinflussen Erkrankungen (vgl. Wendt 2002: 39). Im Falle einer psychischen Erkrankung und zudem einer Unterbringung im Maßegelvollzug über mehrere Jahre, müssen die Betroffenen mit den Folgen umgehen und zurechtkommen. Sie müssen lernen mit der Erkrankung zu leben, sie auch auf sozialer Ebene zu bewältigen und dies außerhalb des Maßregelvollzugs. Die Auswirkungen einer langjährigen Unterbringung im Maßregelvollzug sind für die Betroffenen auf der psychosozialen Ebene gravierend. Durch die Unterbringung werden soziale Beziehungen unterbrochen, oftmals zerstört. Gleichzeitig stellen soziale Beziehungen eine wichtige Ressource während der Zeit der Unterbringung und nach der Entlassung dar. Überdies ist zu berücksichtigen, dass sich Beziehungsstrukturen aufgrund gesellschaftlicher Veränderungsprozesse enorm verändert haben. Als Stichworte sind an dieser Stelle zu nennen: Auflösung traditioneller familiärer Muster und vorgebahnter Lebensläufe, Individualisierungsbestreben und freie Entscheidungen.
Laut Pauls geht die Klinische Sozialarbeit, als Fachsozialarbeit bestimmt, mit ihren spezifischen Wissensbeständen und Methoden auf diesen gesellschaftlichen Wandel und damit einhergehende Veränderungen von gesundheitlichen Risiko- und Krankheitsspektren, wie beispielsweise ein Anstieg von chronischen psychischen Erkrankungen, ein. Sie beschäftigt sich mit den sozialen Kriterien psychischer und somatisch bedingter Störungen und Krankheiten (vgl. Pauls 2013a: 11 f). Pauls definiert „[.] Klinische Sozialarbeit als integrierten professionellen Ansatz zur Verbesserung der psycho-sozialen Passung zwischen Klient bzw. Klientensystem und Umwelt.“ (Pauls 2013a: 17) Verdeutlicht wird dies durch weitere charakteristische Merkmale, einem modernen Verständnis in Bezug auf Gesundheit und Krankheit sowie spezifischer Aufgabenstellungen, wie im Folgenden dargestellt.
1.1 Charakteristika Klinischer Sozialarbeit
Die Charakteristika Klinischer Sozialarbeit beziehen sich auf die soziale Dimension gesundheitsbezogener Fragestellungen und Problemlagen (vgl. Schaub 2008: 22). Die folgende Auflistung signifikanter Merkmale klinischer Sozialarbeit stellt lediglich eine Auswahl dar, welche für die vorliegende Thematik der Resozialisierung forensisch-psychiatrischer Langzeitpatienten von Relevanz ist.
Zudem verdeutlicht sie die Komplexität des klinisch sozialarbeiterischen Handelns, denn die nachstehende Auflistung fundamental bedeutsamer Aspekte ist kaum eingrenzbar und für Anregungen aus Nachbardisziplinen aufgeschlossen (vgl. Schaub 2008: 24):
- Zielgruppe Klinischer Sozialarbeit sind insbesondere schwer erreichbare, isolierte Menschen in Krisen, schweren sozialen Belastungen, häufig in Kombination mit chronischen psychischen und/ oder physischen Erkrankungen. Sogenannte ,hard- to-reach‘- KlientInnen in Multiproblemsituationen (vgl. Geißler-Piltz/ Mühlum/ Pauls 2005: 48).
- Ressourcenorientierung: Die individuellen Ressourcen, und nicht die Erkrankung oder Defizite, des/ der Einzelnen, sowie sein/ ihr Potential zur Selbsthilfe, stehen im Vordergrund und sollen entwickelt und gefördert werden (vgl. ebd.: 27 f).
- Niedrigschwelligkeit: Die ,hard-to-reach‘- Klientinnen werden angesichts der Niedrigschwelligkeit Klinischer Sozialarbeit angemessen unterstützt. Aufsuchende und umgebungsbezogene Betreuungs- und Behandlungsmaßnahmen sind fester Bestandteil der professionellen Praxis. Aufsuchende Hilfe dient an dieser Stelle nicht nur der Verbesserung der Lebenssituation des/ der Einzelnen, sondern auch der des Umfeldes, in dem der/ die KlientIn leben möchte.
- Familienorientierung: Die Klinische Sozialarbeit geht davon aus, dass Familien und familienähnliche soziale Netzwerke Träger sind, von sozial wirkungsvollen oder hemmenden Faktoren im Hinblick auf Gesundheit und Krankheit. Die leitende Intention dabei ist die soziale Integration des/ der Klienten/ in.
- Spezialisten für chronische und chronifizierte Erkrankungen: Die Klinische Sozialarbeit verfügt über Wissen u.a. aus den Bereichen Psychologie, hier insbesondere Kenntnisse bezüglich Diagnostik und Beratungs- bzw. Therapiemethoden, sowie aus der Medizin bezüglich psychiatrischer Grundlagen und chronischer Erkrankungen (vgl. insgesamt Schaub 2008: 22 f).
- Soziale Diagnostik: Hiermit ist das Erkennen, Erklären und Verstehen gesundheitsbezogener Problemstellungen und Zusammenhänge von Lebensweisen und Lebenslagen der KlientInnen gemeint. Die soziale Diagnose stellt somit die Basis für die Formulierung wirksamer Interventionen dar und erfordert eine regelmäßige Überprüfung und gegebenenfalls Anpassungen (vgl.Sommerfeld/ Dällen- bach/ Rüegger/ Hollenstein 2016: 267). Vorteil der klinisch-sozialarbeiterischen Diagnostik ist, dass innerhalb dieses Prozesses grundsätzlich das Individuum, samt seiner Umwelt und sich dort vollziehender Interaktionen, im Blickfeld bestehen bleibt. Denn es wird davon ausgegangen, dass die Bedingungen von Problemen, sowie die Ressourcen für Problemlösungen in den individuellen Lebensbereichen mit seinen Verhältnissen und dem Verhalten der Menschen verankert sind (vgl. Kling-Kirchner 2005: 59).
- Kooperation: Die Klinische Sozialarbeit, aber auch ihre Nachbardisziplinen und andere Berufsgruppen, ist auf ein gegenseitiges Zusammenwirken angewiesen. In diesem Zusammenhang besteht zudem die Aufgabe, für Zusammenhänge im Sinne des bio-psycho-sozialen Verständnisses von Gesundheit und Krankheit, mit dem besonderen Fokus auf die soziale Dimension, zu sensibilisieren (vgl. Geißler- Piltz/ Mühlum/ Pauls 2005: 13).
- Gesundheitsförderung wird als Mittel gesehen, welches den Menschen befähigt, sein individuelles und gesellschaftliches Leben positiv zu gestalten. Gesundheitsfördernde Maßnahmen im Sinne einer Klinischen Sozialarbeit beabsichtigen eine aktive und möglichst eigenverantwortliche Beteiligung der KlientInnen an der Herstellung eines gesundheitsfördernden Umfeldes bzw. Bedingungen und zielen auf Kommunikation und Interaktion zwischen KlientInnen und Professionellen ab (vgl. ebd.: 35 f).
Das Handeln in der Klinischen Sozialarbeit vollzieht sich auf der Grundlage eigener Erklärungsansätze von Gesundheit und Krankheit. Zentral zu nennen ist an diesem Punkt das bio-psycho-soziale Modell, bei dem der Mensch innerhalb seiner Umwelt im Vordergrund steht (vgl. Pauls 2013a: 64).
1.1.1. Gesundheit und Krankheit im bio-psycho-sozialen Modell
Das bio-psycho-soziale Modell basiert auf drei fundamentalen Zugängen: der Risikoforschung, der Stressforschung und der Entwicklung einer allgemeinen Systemtheorie. In den 1950er Jahren wurde mit der Risikofaktorenforschung, einem wichtigen Vorreiter des Modells, begonnen. Dabei wurden, neben den biologischen Faktoren, gezielt psychologische und soziale Einflüsse, wie beispielsweise sozioökonomischer Status, kritische Lebensereignisse oder gesundheitsschädigende Verhaltenseisen, bei Studien zum Krankheitsgeschehen aufgenommen. So konnten die Konsequenzen dieser Einflüsse bezüglich des Auftretens, der Entwicklung und des Verlaufs einer körperlichen oder psychischen Erkrankung untersucht werden (vgl. Pauls 2013a: 97). Ein weiterer Baustein des bio- psycho-sozialen Modells ist die Stressforschung, welche zunächst auf der Annahme basiert, dass alle menschlichen Lebensereignisse, die eine Anpassung erforderlich machen, die Gesundheit beeinflussen und Krankheiten auslösen können. In diesem Zuge wurde darauf aufmerksam gemacht, „[.] dass die Funktion der allgemeinen Stressreaktion zunächst nicht nach Art der Stressquelle zu differenzieren ist, sondern dass der Organismus auf die wahrgenommene Notwendigkeit einer Anpassungsreaktion reagiert. (Pauls 2013b: 17). Desweitern war die Entwicklung der allgemeinen Systemtheorie in der Biologie, sowie in den Sozialwissenschaften, ein weiterer entscheidender Faktor in der Entstehung des bio-psycho-sozialen Modells. Die Allgemeine Systemtheorie „[.] beansprucht einen Paradigmenwechsel von der klassischen naturwissenschaftlichen Annahme linear-kausaler und analytisch zu erforschender Zusammenhänge hin zu nicht linearen oder zirkulären Verursachungs-Zusammenhängen“ (Pauls 2013b: 16 f). Somit wird es möglich, unterschiedliche Betrachtungsgegenstände (Systeme) im Kontext ihrer wechselseitigen Beziehungen beschreiben zu können (vgl. ebd.).
In den 1970er Jahren verfasste der Psychosomatiker George L. Engel das Theoriekonzept des bio-psycho-sozialen Modells. Der Kern der Theorie besagt, dass biologische, psychische und soziale Bedingungen in einer stetigen Wechselbeziehung zueinanderstehen und sich gegenseitig beeinflussen. Aus dieser Erkenntnis lassen sich Störungen und deren Verlauf erklären (vgl. Pauls 2013a: 98). Das bio-psycho-soziale Modell beinhaltet dementsprechend ein ganzheitliches Krankheitsverständnis, unter anderem mit der Intention, die soziale Dimension von (psychischer) Gesundheit und Krankheit als überaus relevanten Aspekt herauszustellen und zu belegen (vgl. Sommerfeld/ Dällenbach/ Rüegger/ Hollenstein 2016: 84). Gesundheit und Krankheit sieht das Modell nicht als einen Zustand an, sondern als einen dynamischen Prozess, so dass Gesundheit in jedem Moment des Lebens hergestellt werden muss (vgl. Geißler-Piltz/ Mühlum/ Pauls 2005: 21 f).
Das bio-psycho-soziale Modell lässt somit zwei Rückschlüsse zu. Zum einen geht daraus hervor, dass sämtliche Ereignisse oder Prozesse, welche an der Entstehung, Manifestation und Behandlung von Erkrankungen beteiligt sind, nicht ausschließlich biologischen, psychischen oder sozialen Ursprungs sind, sondern sowohl biologisch als auch psychologisch und zugleich sozial begründbar.
Zum anderen fördert das Modell eine klientenzentrierte Orientierung bzgl. des Verhältnisses zum/zur KlientIn und der therapeutischen Vorgehensweise. Das Erkennen der Komplexität von Störungen zeigt auf, wie bedeutsam ein dialogisches und beziehungsorientiertes Vorgehen ist. So wurde dieses Modell recht zügig seitens der Gesundheitsförderung aufgenommen und prägt das Professionsverständnis Klinischer Sozialarbeit (vgl. Pauls 2013b: 18).
1.1.2 Aufgabenstellung klinisch-sozialarbeiterischer Tätigkeit
Aus der Perspektive des bio-psycho-sozialen Modells ist die Anfälligkeit für psychiatrische Erkrankungen und körperliche Beeinträchtigungen auf ein nicht-funktionales Zusammenspiel von sozialen Regeln und dem gesellschaftlichen Zusammenleben mit dem individuellen Erleben und Verhalten und der körperlichen (biologischen) Konstitution zurückzuführen. Zudem geht aus dem zuvor beschriebenen bio-psycho-sozialen Gesund- heits- und Krankheitsverständnisses hervor, dass der besondere Fokus der Klinischen Sozialarbeit auf der sozialen Dimension der jeweiligen Lebenslage des/der KlientIn liegt. Das bedeutet, dass der Hilfeprozess, auf Merkmale des ,erleben-Verhaltens-in-Situation‘ mit handlungsleitenden Attributen sozialarbeiterischer Arbeitsweisen, wie beispielsweise Ganzheitlichkeit, Situationsbezogenheit, Unmittelbarkeit und Erreichbarkeit der Angebote, angelegt ist. Dementsprechend besteht die zentrale sozial-klinische Aufgabenstellung, in der Verringerung der belastenden Auswirkungen psychiatrischer Erkrankungen und körperlicher Beeinträchtigungen, sowie erlebter sozialer Kränkungen, mit dem Ziel, die Selbsthilfekräfte und Ressourcen der KlientInnen zu aktivieren und sie in ihrem Autonomiebestreben zu unterstützen. Gleichzeitig sind die unterschiedlichsten Problemlagen und Bedürfnisse des/ der Einzelnen zu beachten, die spezifische Methoden und professionelle Interventionskompetenzen verlangen. Die Methoden der Klinischen Sozialarbeit basieren auf einer Vielzahl verschiedener Ansätze, die individuell auf die gesundheitlich gefährdeten oder erkrankten KlientInnen in ihrer jeweiligen sozialen Lebenswelt angepasst werden (vgl. Geißler-Piltz/ Mühlum/ Pauls 2005: 48).
Klinische Sozialarbeit ist als beratende und behandelnde Sozialarbeit aufzufassen. „So wie Beratung als zentrales Verfahren der Sozialarbeit gilt, so ist die psycho-soziale Beratung das Kernelement der Klinischen Sozialarbeit [...]“ und versteht sich „als eine methodisch reflektierte Intervention in Form von Beziehungsarbeit.“ (Geißler-Piltz 2005: 21) Psychosoziale Beratung ist ein Prozess, welcher personenzentriert und auf den Kontext bezogen gestaltet wird, anhand eines Handlungskonzeptes, das lösungs- und ressourcenorientiert ist und den/die KlientIn in seinem/ihrem Erleben in seiner/ihrer Umwelt einbezieht (vgl. ebd.).
In stationären und ambulanten Einrichtungen und Angeboten der Resozialisierung sind vielfältige, klinisch-sozialarbeiterische Aufgabenstellungen vorzufinden, die der psychosozialen Beratung zuzuordnen sind. Wie bereits angedeutet, will professionelle psychosoziale Beratung den/die KlientIn dabei unterstützen, innere und äußere Bedingungen seiner/ihrer Probleme zu verstehen, um alternative emotionale sowie kognitive Zusammenhänge und Verhaltensstrategien zu entdecken und erproben zu können. Das beinhaltet auch, dass den KlientInnen die Möglichkeit eröffnet wird, sich in seinen/ihren sozialen Beziehungen neu einzulassen (vgl. Pauls 2013c: 164). Daher sollte Beratung als soziale Ent- und Belastungshilfe, „[...] im Sinne des sich in seinen Sozialbeziehungen InAnspruch-nehmen-Lassens [...]“ (ebd.: 171), angesehen werden, um dabei eine individuelle und persönlichkeitsstützende und somit förderliche Beziehungsgestaltung nicht zu vernachlässigen. Denn würde diese Form der Beziehungsgestaltung unberücksichtigt bleiben, dann verhindert dies soziale Anerkennung und Bindung, wobei beides jedoch wichtige Impulse zu einer positiven Selbstwertung darstellen (vgl. Pauls 2013c: 171). Folglich bildet die Arbeitsbeziehung das Fundament für das konkrete professionelle Handeln im Kontakt mit KlientInnen. (vgl. Pauls 2011: 186).
1.2 Zum Begriff ,Resozialisierung‘
Bei dem Versuch, eine allgemein gültige Definition des Resozialisierungsbegriffs zu finden, stößt man schnell auf Probleme. In der einschlägigen Fachliteratur wird der Resozialisierungsbegriff nicht konkret definiert, vielmehr wird er als Synonym oder Kurzform für ein ganzes Programm verwendet.
Es lässt sich daher nicht genau rekonstruieren, ob dieser Begriff in seiner Bedeutung nach meint, dass straffällige Personen in das soziale Leben bzw. das gesellschaftliche Gefüge wiedereingegliedert werden sollen (vgl. Cornel 1995: 14), „[...]die Rückführung in die Gesellschaft^.], quasi als Negation des ,Sichausschließens aus der Gesellschaft durch das Delikt[.] oder ob sich der Begriff anlehnt an die Sozialisation im Sinne der primären und sekundären Sozialisation in der Kindheit und Jugend.“ (ebd.) Aktuell ist das Verständnis, dass es bei dem Begriff der ,Resozialisierung‘ um einen lebenslangen Prozess der Sozialisation geht, vorherrschend. An dieser Stelle ist anzumerken, dass der Begriff sich mit wachsender Popularität wandelte. Zeitgleich wurden, im Zusammenhang mit dem Diskurs bezüglich der Umgestaltung des Strafvollzugs, der Behandlungsbegriff immer näher an dem der Medizin ausgerichtet und unter dem Begriff der Resozialisierung immer mehr die rein pädagogischen, individualisierenden Aspekte zusammengefasst (vgl. ebd.: 15). „So wurde der zu behandelnde Delinquent krank und der zu resozialisierende Delinquent ein ,Unerzogener‘ und damit ein zu erziehender.“ (ebd.) Resozialisierung, als gesellschaftliche Wiedereingliederung verstanden, beinhaltet grundsätzlich das Verhältnis von Individuum und Gesellschaft. Somit stellt sich der Begriff weder individuumzentriert dar, noch ist er mit einer ätiologischen Kriminalitätstheorie verbunden. Jedoch lässt sich nicht daran zweifeln, dass der Begriff regelmäßig so verstanden und genutzt wird, dass ein Straftäter, dessen Begehen der Straftat sich ausschließlich auf sein abweichendes Verhalten zurückführen lässt, sich wieder anpassen, sein Verhalten dahingehend ändern soll, dass es zukünftig zu keinen weiteren Straftaten kommt. Nach Auffassung von Cornel ist dieses Verständnis in Anbetracht des Ausmaßes abweichender Verhaltensweisen von Nichtkriminalisierten im Dunkelfeld ebenso naiv (vgl. Cornel 1995: 17), „[...] wie ein kriminalpolitisches oder -präventives Konzept, das allein -und sei es noch so ,wohlmeinend‘- auf das Individuum zentriert ist.“ (ebd.) Cornel sieht dies eher als eine Spiegelung politischer und gesellschaftlicher Ansichten und Verhältnisse und ihrem Bestreben nach Sicherheit (vgl. ebd.).
Die rechtliche Grundlage zum Resozialisierungsbegriff lässt sich in den §§ 1 f. des Strafvollzugsgesetzes (StVollzG) finden. Hier wird die Resozialisierung von StraftäterInnen als Ziel des Strafvollzuges bzw. als Strafzweck genannt. In § 2 Abs. 3 StVollzG ist angegeben, dass der Vollzug darauf auszurichten ist, dass er dem/der Straffälligen hilft, sich in ein Leben in Freiheit zu integrieren (vgl. Bundesministerium der Justiz und Verbraucherschutz 2017).
Schlussfolgernd lässt sich sagen, dass beim Begriff der ,Resozialisierung‘ heutzutage zumindest sichergestellt ist, dass es sich um Rehabilitationsbemühungen und Hilfen der Integration für (psychisch kranke) straffällige Personen, unter Einbezug ihres sozialen Umfeldes, handelt.
1.3 Zum Begriff 'forensisch-psychiatrische Langzeitpatientinnen'
In Einrichtungen des Maßregelvollzugs können nur StraftäterInnen aufgenommen werden, die bei Begehung der Straftat schuldunfähig waren oder deren Schuldfähigkeit erheblich eingeschränkt war und bei denen zusätzlich eine ungünstige Gefährlichkeitsprognose bezüglich erneuter gravierender Delikte gestellt wurde (vgl. Dimmeck/Bargfrede 1996: 12). In § 63 StGB ist definiert, welche StraftäterInnen in den psychiatrischen Maßregelvollzug eingewiesen werden. Die Maßregel wird nur dann vollzogen, wenn der/die Betroffene eine rechtswidrige Tat im Sinne der Gesetze begangen hat, welche so schwerwiegend ist, dass eine Unterbringung dazu nicht außer Verhältnis steht. Dabei muss der Hintergrund straffälligen Verhaltens eine psychische Erkrankung sein, die durch ihre Auswirkungen die Schuldfähigkeit aufhebt oder erheblich mindert. In §§ 20,21 StGB erfolgt das Bestimmen der Schuldfähigkeit nicht auf Grundlage der Feststellung eines bestimmten Krankheitsbildes, sondern anhand der beschreibbaren Auswirkungen der Erkrankung zum Tatzeitpunkt (vgl. Hahn 2007: 84). Die Voraussetzung oder Notwendigkeit der Unterbringung im Maßregelvollzug ergibt sich also nicht nur rein aus dem Vorliegen einer psychischen Erkrankung. Sie ergibt sich aufgrund der Auswirkung und Beeinträchtigung der Erkrankung auf wesentliche Fähigkeiten, wie bspw. der Einsichtsoder Steuerungsfähigkeit.
Der Aufenthalt in einer Einrichtung des Maßregelvollzugs nach § 63 StGB stellt für einen Großteil der PatientInnen eine Langzeitunterbringung dar. Ausschlaggegend ist einerseits die fehlende zeitliche Begrenzung der Maßregel. Andererseits bestehen bei den PatientInnen teils sehr ausgeprägte schwere psychische Erkrankungen bzw. Störungen, für deren Behandlung kurzfristig erfolgreiche Therapien nicht existieren. Aufgrund der Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit nach § 62 StGB, welcher eine differenzierte Betrachtung zwischen der Unterbringungsdauer, dem Delikt und der Gefährlichkeit verlangt, kann nicht von einer ausnahmslosen und uneingeschränkten Unterbringungsdauer forensisch-psychiatrischer PatientInnen ausgegangen werden. Es handelt sich bei den PatientInnen der forensischen Psychiatrie um eine „Langzeitklientel“, da diese PatientInnen im Vergleich zu PatientInnen der allgemeinen Psychiatrie über einen wesentlich längeren Zeitraum stationär untergebracht sind (vgl. Dimmeck/Bargfrede 1996: 12 f).
Die lange Zeitspanne der Unterbringung schafft Probleme bei der Integration in ein außerstationäres Lebensumfeld. Laut Hahn ist die Unterbringung im Maßregelvollzug der letzte Abschnitt eines lang andauernden Prozesses von gesellschaftlicher Ausgrenzung, institutionellen Maßnahmen und Hilfsangeboten, wie beispielsweise Heimaufenthalte, ambulante Psychotherapien, Suchtbehandlungen etc. Forensisch-psychiatrische PatientInnen sind zu einem Großteil in schwierigen und belasteten sozialen Verhältnisse aufgewachsen. Zudem fällt auf, dass ein großer Anteil dieser PatientInnen noch nie über eine längere Zeitspanne erwerbstätig war. Bei nahezu einem Drittel der forensisch-psychiatrischen PatientInnen war bis zu dem Zeitpunkt der Unterbringung im Maßregelvollzug eine selbständige und eigenverantwortliche Lebensführung aus unterschiedlichen Gründen nicht möglich. Nicht nur die Biographie der Betroffenen ist sozusagen schwer angeschlagen, überdies ist auch ihre Persönlichkeit aufgrund psychiatrischer Diagnosen, wie beispielsweise einer Intelligenzminderung, schizophrenen Störung oder Persönlichkeitsstörung, gekennzeichnet. Demzufolge weisen forensisch-psychiatrische LangzeitpatientInnen alle Kennzeichen einer beschädigten Identität auf, werden vorrangig als straffällig und,verrückt‘ wahrgenommen und von der Gesellschaft stigmatisiert und ausgegrenzt (vgl. Hahn 2007: 31).
Die individuellen spezifischen Probleme forensisch-psychiatrischer LangzeitklientpatientInnen müssen bei der Betreuung und Beratung im Laufe der stationären Unterbringung und auch im Rahmen der ambulanten Nachbetreuung einbezogen werden. Etwa die Hälfte der forensisch-psychiatrischen Patientinnen leidet an einer ,klassischen‘ psychischen Grunderkrankung, im Gegensatz zu der Diagnosenverteilung im Bereich der Allgemeinpsychiatrie. Auffallend überrepräsentiert sind, bei den nach § 63 StGB Untergebrachten PatientInnen, Störungen der Persönlichkeit und Minderbegabungen, wobei erstere PatientInnengruppe deutlich dominiert. Zu den Merkmalen forensisch-psychiatrischer LangzeitpatientInnen gehören zudem diejenigen Eigenschaften, weswegen eine Schuldunfähigkeit nach § 20 StGB oder eine verminderte Schuldfähigkeit nach § 21 StGB, als Voraussetzung einer Unterbringung angezeigt ist. Zu diesen zählen ein fehlendes Unrechtsbewusstsein und eine nicht vorhandene Krankheitseinsicht, folglich ist ein direkter Leidensdruck nicht vorhanden. Jedoch ist deren Veränderung als Bedingung für eine Vollzugslockerung bzw. Entlassung zur Bewährung anzusehen. Dieses Prinzip ist allerdings nicht letztendlich für eine befürwortende Lockerungs- bzw. Entlassungsprognose ausschlaggebend, sondern die Prognosen orientieren sich an Behandlungsfortschritten, die eine weiterhin bestehende ,Gefährlichkeit‘ des/der Patientin unwahrscheinlich erscheinen lassen (vgl. Knahl 1997: 18 f). Bei einem sehr großen Anteil der forensisch-psychiatrischen LangzeitpatientInnen ist ein ausgeprägtes Misstrauen und/oder eine hohe Ambivalenz innerhalb naher menschlicher Beziehungen festzustellen. Dies wird durch die Unterbringung im Maßregelvollzug, sowie aufgrund häufiger, vorangegangener Aufenthalte in psychiatrischen Einrichtungen, Heimen oder Gefängnissen noch verstärkt. Die bereits erwähnte doppelte Stigmatisierung als ,kriminell und verrückt‘ stellt für die PatientInnen zusätzlich eine massive Kränkung dar. Den eigenen PatientInnenstatus und die damit verbundene Hilfsbedürftigkeit zu leugnen, kann zur Selbststabilisierung zunächst überlebensnotwendig sein. Bei vielen Krankheitsbildern, wie bspw. der Psychose, ist die fehlende Krankheitseinsicht als ein Symptom der Erkrankung zu sehen. Auch reagieren z.B. PatientInnen mit Persönlichkeitsstörung auf Probleme und Konflikte häufig nicht innerseelisch, mit bspw. depressiven Reaktionen (vgl. Hax-Schoppenhorst/ Schmidt- Quernheim 2003: 57). „Dabei weisen sie durchaus ein hohes, eher diffuses Belastungserleben auf, wobei sie persönliche Schwierigkeiten allerdings in eher hilflos-fatalistischer Weise als Folge eines unglücklichen und hoffnungslosen Schicksals attribuieren.“ (ebd.) Diese PatientInnen verarbeiten ihre Probleme und Emotionen auf der Handlungsebene, anstatt zu reflektieren, agieren sie und zeigen teilweise steuerungsunfähige, übergriffige oder/und süchtige Verhaltensweisen. Die Unterbringung im Maßregelvollzug stellt die Konsequenz ihres Handelns und letztendlich auch ihre Realität dar. Dem Maßregelvollzug kommt in diesem Moment eine (fest-)haltende Funktion zu, ein von den PatientInnen unbewusst gesuchter Rahmen, dessen Grenzen ihnen Sicherheit vermittelt (vgl. ebd.: 58).
Für die forensisch-psychiatrischen LangzeitpatientInnen ist die Behandlung nach der stationären Unterbringung noch nicht abgeschlossen. Es bedarf einer weiteren ambulanten Betreuung und gegebenenfalls Therapie, selbst wenn der/die PatientIn dies nicht möchte. Der/die PatientIn kann angesichts seiner/ihrer Selbstwertproblematik, mangelnden Impulskontrolle, abgeschwächten Wahrnehmung der Realität und einer vermeintlichen Sprunghaftigkeit im Erleben diesen längerfristigen Prozess nur sehr schwer ertragen und wird voraussichtlich immer wieder den Versuch unternehmen, sich diesem Prozess zu entziehen. Die Entlassung nach einer aufgezwungenen Unterbringung im Maßregelvollzug stellt für die PatienteInnen einen ,Neuanfang‘ dar. Er/Sie ist wieder ,frei‘ und muss keine Zwangsmaßnahmen, wie Rückstufungen, Sperrungen o.ä. mehr fürchten. Er/Sie verlässt sich auf seinen/ihren BewährungshelferIn, der/die seine/ihre Angelegenheiten regelt, wenn er/sie seinen/ihren auferlegten Weisungen nicht nachkommt. Eventuell wird sogar dem/der TherapeutIn auffallen, dass dem/der PatientIn nichts fehlt und er/sie die Therapiestunden reduzieren kann bzw. sogar die Therapie und Betreuung zu beenden ist. Wurden PatientInnen unmittelbar nach der Entlassung rückfällig, zeigte sich, dass die eben beschriebenen Vorstellungen einstürzten. Die sogenannte Freiheit entsprach in der Realität nicht dem, was sie erwarteten. Während der Unterbringung im Maßregelvollzug wurde ihnen ein Übermaß an Verantwortung abgenommen und sie erhielten eine Vollversorgung (vgl. Schellbach-Matties/ Pelzer/ Schmidt-Quernheim/ Hax-Schoppenhorst 1993: 12).
Daraus lässt sich ableiten, dass forensisch-psychiatrische LangzeitpatientInnen den Übergang vom langjährigen stationären Aufenthalt in die Freiheit, zwar als Erleichterung, zeitgleich jedoch auch als große Herausforderung, als beängstigend und belastend, erleben. Wenn keine sinnvolle und unterstützende Beratung und Begleitung mittels professionell gestalteter Beziehung und Hilfestellung gewährleistet ist, kann dies bei den forensischen PatientInnen schnell zur Selbstüberschätzung und Verunsicherung führen. Daraus resultierend ist die Gefahr groß, dass sie schnell auf deliktnahe Verhaltensmuster und negative Problemlösungsstrategien zurückgreifen. Diese können u.a. aus Alkohol- und Drogenmissbrauch, Geldproblemen und der Wiederaufnahme krimineller Kontakte bestehen.
1.4 Zur Bedeutung Klinischer Sozialarbeit im Resozialisierungsprozess
Zunächst ist anzumerken, dass sich die Kritik an der ,veralteten‘ Psychiatrie bezüglich vorherrschender Machtstrukturen, einem biologischen Leitbild, reiner Verwahrung etc. im Maßregelvollzug nach wie vor hält. Der Maßregelvollzug und die im Anschluss angestrebte Resozialisierung befassen sich mit KlientInnen, deren wesentliches gemeinsames Kennzeichen eine extreme gesellschaftliche Randposition ist (vgl. Hahn 2007: 36). Die Ansätze und Merkmale Klinischer Sozialarbeit, wie sie vorangehend dargestellt wurden, sollten genau an dieser Stelle ansetzen.
Aus dem Kapitel über Psychische Gesundheit und psychische Krankheit lässt sich ableiten, dass im Falle einer vorliegenden psychischen Erkrankung eine Beratung und Unterstützung von Sozialarbeitenden erforderlich ist, die von einem bio-psycho-sozialen Verständnis von Gesundheit und Krankheit geprägt ist. Wie kann jedoch diese bio-psychologische Position in der Klinischen Sozialarbeit methodisch umgesetzt werden? Die Beziehungsarbeit mit forensisch-psychiatrischen KlientInnen erfordert ein umfassendes Störungsverständnis, welches so vielschichtig angelegt ist, dass es die individuellen, vielseitigen und teilweise schwer zugänglichen Hintergründe der Straftat und der Erkrankung erkennen, erklären und behandeln kann.
Geißler-Piltz weist darauf hin, dass sich die Klinische Sozialarbeit aufgrund der bio- psycho-sozialen Sichtweise vom pathogenetischen Ansatz aus der Medizin distanziert und somit eine eindeutige Stärkenorientierung in der Betreuung und Beratung erfolgt (Geißler-Piltz/ Mühlum/ Pauls 2005: 25 ff). Ansatzpunkt Klinischer Sozialarbeit ist demnach, mit den KlientInnen gemeinsam nach Möglichkeiten und Strategien zu suchen, welche die KlienteInnen dazu befähigen, ihr Leben trotz der Belastungen und Krisenmomente zu bewältigen, sowie ihre sozialen Beziehungen angemessen zu gestalten. Eine ressourcenorientierte Beziehungsgestaltung ermöglicht die Arbeit an den positiven Anteilen der forensisch-psychiatrischen KlientInnen. Diese positiven Anteile in den Mittelpunkt zu stellen, eröffnet die Chance, das moralische Dilemma, in dem die KlientInnen sich aufgrund von Etikettierungen als krank und kriminell erfahren, zu lösen. Eine ressourcenorientierte Beziehungsgestaltung zielt demnach auch darauf, dass sich die KlientInnen in differenzierter Weise selbst wahrnehmen und auch ihre ,guten Seiten‘ erkennen können. Ferner ergibt sich für das Verständnis Klinischer Sozialarbeit, dass sich die Verhaltensauffälligkeiten oder die ,Störung‘ forensisch-psychiatrischer Klientinnen, nicht allein auf die diagnostizierte psychische Erkrankung zurückführen lassen. Sie stellen eben auch die Folgen einer widersprüchlichen Beziehung zu seiner/ihrer Umwelt, zur Gesellschaft dar. Auch die Erfahrungen der, während der Unterbringung, durchgeführten psychiatrischen (Zwangs-) Behandlungen sollten demnach nicht unberücksichtigt bleiben. Soziale Aspekte sind maßgebend für psychische Erkrankungen und diese wiederum sind oftmals Ursache für gesellschaftliche Stigmatisierungs- und Ausschlussprozesse, welche wiederum Einfluss auf den Verlauf der Erkrankung und die Lebenssituation des/der Erkrankten nehmen.
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- Arbeit zitieren
- Jessica Schäfer (Autor:in), 2018, Resozialisierung forensisch-psychiatrischer LangzeitpatientInnen im Kontext Klinischer Sozialarbeit, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1126383
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