Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Das Konzept der Salutogenese
2.1. Die Fragestellung der Salutogenese
2.2. Gesundheits- und Risikofaktoren
2.3. Das Kohärenzgefühl und dessen Komponenten
3. Einige Definitionen der Erziehung
3.1. Grundlegende Ziele von Erziehung
3.2. Die Angsterziehung und Helikopter-Eltern
4. Salutogenese in der Erziehung
5. Fazit
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Der griechische Philosoph Epikur erklärte einst, dass wahre Glückseligkeit in diesem Leben nicht zu erreichen ist. Hierzu muss ergänzend erwähnt werden, dass Epikurs Verständnis von wahrer Glückseligkeit ein solches war, welches sich durch die Abwesenheit von Leid definierte und folglich auf anderem Wege Glückseligkeit erreicht werden muss (vgl. Weischedel 1973, S. 60f.). Mit anderen Worten, sagte uns dieser Mensch auf seine Art und Weise, dass das menschliche Leben nicht ohne Leid und Gefahren existiert, aber dennoch das Glück, das höchste Gut ist, welches trotz allem angestrebt wird.
In der heutigen Zeit jedoch herrscht ein Versuch, dieses Leid und die Gefahren so gut es zu gehen scheint von sich fernzuhalten. Sei es aus politischer, gesundheitlicher oder erzieherischer Perspektive. Staaten sind sehr bemüht, Menschen das Gefühl von Sicherheit zu schenken, die Medizin ersucht Menschen mit aufwändigen Methoden zu heilen und Leid so zu reduzieren und die Erziehung bewegte sich in den letzten Jahren in eine Richtung, in welcher oft versucht wird Heranwachsende in Watte einzupacken, um sie vor der Welt mit all ihren Gefahren zu schützen.
In all diesen Bereichen stoßen zwei mögliche Herangehensweisen aufeinander: Der Schutz vor Leid, in Form von Prävention oder anderen Methoden, welche das Leid nicht an den Menschen herankommen lassen, oder der Schutz vor Leid, indem ein guter, gesunder und zukunftsfähiger Umgang damit gefördert wird.
Diese Arbeit stellt sich der Frage, ob das gesundheitliche Konzept und die dahinter stehende Fragestellung der Salutogenese auch eine berechtigte Anwendung in der Erziehung hätte. Um dies zu beantworten wird zunächst das Konzept der Sa- lutogenese mit seinen einzelnen Komponenten kurz vorgestellt (Kapitel 2). Darauf folgend werden Definitionen von Erziehung dargestellt und deren grundlegenden Gemeinsamkeiten für diese Arbeit vorgestellt (Kapitel 3). Anschließend wird versucht das Konzept der Salutogenese auf die Erziehung anzuwenden (Kapitel 4) und im Fazit wird Resümee gezogen, ob die Anwendung des Konzept der Saluto- genese auch in der Erziehung sinnvoll ist (Kapitel 5).
2. Das Konzept der Salutogenese
Der Titel das Buches „Salutogenese - Zur Entmystifizierung der Gesundheit“ von Aaron Antonovsky (1997) lässt bereits erkennen, dass der Fokus in diesem Konzept auf dem Verständnis von Gesundheit liegt, ohne dies in der herkömmlichen Abgrenzung von Krankheit als einen dichotomischen Gegenspieler zu tun.
Der Begriff der Salutogenese ist ein von Antonovsky entwickelter Neologismus, der sich aus den Begriffen „Salus“ und „Genese“ zusammensetzt, welche „Unver- letztheit, Heil oder Glück“ und „Entstehung“ bedeuten. Zusammengesetzt lässt sich Salutogenese mit Gesundheitsentstehung übersetzten (Bengel 2001, S. 24).
2.1. Die Fragestellung der Salutogenese
Die zentrale Fragestellung in der Salutogenese lautet: „Was erhält Menschen gesund?“ Damit einhergehen die Frage, wie es Menschen schaffen wieder gesund zu werden und die tiefer liegende Frage, was das Besondere an Menschen ist, welche „trotz extremer Belastung nicht krank werden?“ (Bengel 2001, S. 24).
Im Gegensatz zu dem in der Schulmedizin vorherrschenden Ansatz der Pathogenese, wird in der Salutogenese der Blick weg von den Faktoren, welche Krankheit herbeiführen, oder unterstützen, auf die „Protektivfaktoren und Ressourcen, die einen Menschen gesund halten“ gerichtet (Habermann-Horstmeier 2017, S. 18).
Antonovsky nutzt zur Verbildlichung seines Konzepts eine Metapher in welcher er das Leben mit einem Fluss voller Gefahren vergleicht, in welchen die Menschen unweigerlich hineinfallen werden. Die Pathogenese würde in dieser Metapher den Versuch starten, die hereingefallenen Menschen mit großem Aufwand wieder heraus zu holen, bzw. zu ergründen, wie dies möglich ist. Die Salutogenese verfolgt indes das Ziel herauszufinden, wie Menschen unter den gegebenen Bedingungen „gute Schwimmer“ werden und folglich keine Rettung nötig wird (vgl. Bengel 2001, S. 25).
Im Konzept der Salutogenese wird von einem „Gesundheitskontinuum“, bzw. eines „Wohlsein-Un-Wohlsein Kontinuum“ gesprochen. Diesem zugrunde liegt der Gedanke, dass Gesundheit und Krankheit nicht als Absolute betrachtet werden können und folglich relativer werden. Zu bemerken ist hier auch, dass beim Ansatz der Salutogenese ein stetiger Prozess fortgeführt wird, welcher das Ziel verfolgt „ein gutes und gesundes Leben zu schaffen“ (Magistretti et al. 2019, S. 31ff.).
2.2. Gesundheits- und Risikofaktoren
Antonovsky unterscheidet zwischen generalisierten Widerstandressourcen, welche man sich auch als Gesundheitsfaktoren vorstellen kann, und den generalisierten Widerstandsdefiziten, welche als Risikofaktoren bezeichnet werden können.
Zunächst muss zwischen Stressoren und Spannungszuständen unterschieden werden, da Spannungszustände nicht zwingend zu Stress führen. Es wird erklärt, dass zunächst einmal auf jeden Spannungszustand reagiert wird, und erst das Ergebnis dieser Reaktion deutlich macht, ob es sich um einen Stressor handelt (vgl. Bengel 2001, S. 32-33).
Die generalisierten Widerstandsdefizite beinhalten sämtliche Einflüsse, welche Spannungszustände herbeiführen. Hierbei werden sowohl exogene, als auch endogene Stressoren betrachtet (vgl. Faltmaier 2018, S. 87).
Mit generalisierten Widerstandressourcen meint Antonovsky alle solche Faktoren, welche „eine erfolgreiche Spannungsbewältigung erleichtern“ und dadurch einen positiven Einfluss auf die Gesundheit und das Wohlbefinden haben. Der Aspekt der Generalisierung erklärt sich dadurch, dass die Widerstandressourcen „in Situationen aller Art wirksam“ sind (Bengel 2001, S. 34).
2.3. Das Kohärenzgefühl und dessen Komponenten
Das Kohärenzgefühl ist nach Antonovsky, „eine allgemeine Grundhaltung des Individuums gegenüber der Welt und dem eigenen Leben“ und wurde von Antonovsky selber als „Weltanschauung“ bezeichnet. Antonovsky bemerkte, dass es bei teilweise gleichen äußerlichen Umständen dennoch Unterschiede im Umgang und der daraus resultierenden Gesundheit dieser Individuen gibt. Er schloss daraus, dass bei gleichen äußeren Bedingungen, die Ausprägung der kognitiven und affektiv-motivationalen Grundeinstellungen beeinflussen, in welchem Ausmaß Men- schen in der Lage sind „vorhandene Ressourcen zum Erhalt ihrer Gesundheit und Wohlbefinden“ zu nutzen (vgl. Bengel 2001 S. 28).
Den Aspekt des Wohlbefindens betrachtet Antonovsky erst später und stellt dar, dass obgleich sein Fokus auf der Gesundheit liegt, auch eine Korrelation zwischen einem starken Kohärenzgefühl und dem Wohlbefinden zu erwarten ist (vgl. Antonovsky 1997, S. 162f.).
Das Kohärenzgefühl wird insbesondere im „Laufe der Kindheit und Jugend“ durch Erfahrungen und Erlebnisse beeinflusst, da „dem Heranwachsenden viele Wahlmöglichkeiten offen stehen und die Lebensbereiche noch nicht festgelegt sind“ (Bengel 2001, S. 30f.).
Auf der Suche nach Faktoren, welche diese genannte Grundeinstellung beeinflussen, stieß Antonovsky auf drei Komponenten, welche die Entwicklung eines stärkeren oder schwächeren Kohärenzsinns insbesondere mitformen. Das Gefühl der Verstehbarkeit, der Handhabbarkeit und der Bedeutsamkeit, welche im Folgenden genauer dargestellt werden.
Das Gefühl der Verstehbarkeit beschreibt das Ausmaß in welchem Menschen in der Lage sind, „interne und externe Stimuli als kognitiv sinnhaft“ wahrzunehmen. Gemeint ist hiermit, ob eine Person seine Umwelt und deren Einflüsse als „geordnet, konsistent und strukturiert“, oder als „chaotisch, ungeordnet, willkürlich, zufällig und unerklärlich“ betrachtet (Antonovsky 1997, S. 34). Ein starkes Gefühl der Verstehbarkeit lässt die Welt vorhersehbarer und dadurch auch leichter zu beeinflussen erscheinen.
Mit dem Gefühl der Handhabbarkeit meint Antonovsky das Ausmaß in welchem eine Person wahrnimmt, dass ihr Ressourcen zur Verfügung stehen, die bei der Bewältigung eines Spannungszustandes dienen können. Dies beinhaltet neben den Eigenen, auch solche Ressourcen, welche unter der Kontrolle anderer Personen stehen, auf die jedoch zugegriffen werden kann (vgl. Antonovsky 1997, S. 35).
Aaron Antonovsky (1997 S. 35f.) erachtet das Gefühl der Bedeutsamkeit als das motivationale Element, welchem eine tragende Funktion im Kohärenzsinn beige- messen wird. Gemeint sind hiermit Anliegen aller Art, die eine Wichtigkeit in sich tragen, welche nicht nur kognitive, sondern auch emotionale Bedeutung verbindet. Eine starke Ausprägung dieses Merkmals führt dazu, dass Herausforderungen als wichtig genug betrachtet werden, „emotional in sie zu investieren und sich zu engagieren“. Dies kann durch „die Teilnahme an Entscheidungsprozessen in sozial anerkannten Aktivitäten erreicht“ werden (Antonovsky 1997, S. 97)
3. Einige Definitionen der Erziehung
Um den Rahmen dieser Arbeit nicht zu sprengen, werden hier nur einige Definitionen der Erziehung dargelegt und darauf folgend versucht ein grundlegendes Ziel von Erziehung zu definieren.
Wolfgang Brezinka definiert Erziehung als Handlungen, „durch die Menschen versuchen, die Persönlichkeit anderer Menschen in irgendeiner Hinsicht zu fördern“ (Wiater 2013, S. 15, urspr. in Brezinka 1974, S. 95).
Brezinkas Definition betrachtet Erziehung als einen intentionalen Prozess, welcher auf eine „relativ dauerhafte Wirkung im Bereich von Kenntnissen, Emotionen, Haltungen, Einstellungen, Fertigkeiten (psychische Dispositionen)“ abzielt. Hierbei bestimmt eine erziehende Person über wertvolle Positionen und Dispositionen, von welchen der Erhalt, beziehungsweise die Förderung angestrebt wird (vgl. Wia- ter 2013, S. 15).
Hartwig Schröders Definition: „Erziehung ist Hilfe bei der Entwicklung zur Persönlichkeit“ (Wiater 2013, S. 18, urspr. in Schröder 1999, S. 21), wird erst klar wenn die Begriffe der Hilfe, und Persönlichkeit erläutert werden. Unter Hilfe versteht Schröder, dass die eigenen Fähigkeiten und Kräfte der lernenden Person nicht ausgeklammert werden, sondern nur erzieherisch unterstützend gewirkt wird. Unter Persönlichkeit wird ein hoher „Reifegrad der individuellen Entfaltung“ verstanden, welcher das dominante Erziehungsziel ist (vgl. Wiater 201, S. 18f.).
Peter Menck definiert Erziehung als „alle Maßnahmen, die die Mündigkeit von Heranwachsenden als ihren Zweck haben“. Das angestrebte Ziel ist hier, dass die lernenden Personen, „selbstständig, selbstbestimmt und verantwortlich ihr Leben in der Gesellschaft“ führen können (Menck, 1998, S. 48).
In diesen Definitionen wird bereits deutlich, dass Erziehung durchaus einen befähigenden Charakter hat, welcher Unabhängigkeit anstatt Abhängigkeit fördern soll.
3.1. Grundlegende Ziele von Erziehung
Verschiedene Definitionen von Erziehung verfolgen verschiedene Ziele, doch was haben sie gemein? Den kleinste gemeinsame Nenner dieser Definitionen fasst Wiater (2013, S. 14) folgendermaßen zusammen: „Bei der Erziehung versucht der Erzieher, das Denken, Fühlen, Wollen, Entscheiden, Handeln und Verhalten eines zu Erziehenden auf eine bestimmte Ausrichtung hin zu orientieren“.
Peter Menck sieht als den letzten Zweck von Erziehung „Menschen, die selbstständig, selbstbestimmt und verantwortlich ihr Leben in der Gesellschaft führen“ können (Menck, 1998, S. 48).
Aus den vorausgegangenen Definitionen lässt sich entnehmen, dass obgleich das spezifische Ziel der jeweiligen Erziehung unterschiedlichen sein kann, allgemein eine Absicht zur Befähigung zu erkennen ist. Es wird von „fördern“, „Hilfe“ und Befähigung gesprochen, welche alle eine positive Intention hinter Erziehung postulieren lassen. Zwar hat Erziehung noch viele andere Ziele, dennoch wird in dieser Arbeit davon ausgegangen, dass insbesondere Eltern die Erziehung ihrer Kinder mit positiven, befähigenden Ambitionen verfolgen.
3.2. Die Angsterziehung und Helikopter-Eltern
Die Bezeichnung „Helikopter-Eltern“ bezieht sich darauf, dass diese Eltern ihre Zöglinge kaum aus den Augen lassen und aktiv in die Gestaltung derer Leben eingreifen, um es in Wege zu leiten, welche ihnen als gut erscheinen (vgl. Spitzer 2015, S. 83ff.). Entgegen des Wunsches dieser Eltern, ihren Kindern ein erfolgreiches, gutes Leben zu ermöglichen, zeigen Studien, dass Kinder solcher, überprotektiven und involvierten Eltern, „ängstlich, dependent, neurotisch und weniger offen“ werden und eine Reihe von gesundheitlichen Spätfolgen wahrscheinlich sind (vgl. Spitzer 2015, S. 85-86).
Durch diese Art der Erziehung schränken diese Eltern die Möglichkeit ihre Kinder ein, ein selbstbestimmtes Leben zu führen oder Herausforderungen eigenständig zu meistern (vgl. Spitzer 2013, S. 86).
Zu ähnlichen Ergebnissen kamen Greg Lukianoff und Jonathan Haidt in ihrem Buch „The Coddling of the American Mind“. Die Autoren zeigen, dass eine überprotektive Erziehung und konstante Eingriffe in die Bewältigung des Lebens von Menschen, insbesondere Kindern, dazu führt, dass die als fragil betrachteten Zöglinge genau das werden. Darüber hinaus wurde erklärt, dass Menschen allgemein, physische sowie mentale Herausforderungen, oder gar Stressoren benötigen, da sie ohne diese deteriorieren. Verglichen wird diese Herangehensweise mit dem Prinzip der Impfung. Auch hier muss der Körper Kontakt mit den Stressoren haben, um diese zu erkennen und in Zukunft eine angemessene Abwehr aufweisen zu können (vgl. Lukianoff, Haidt 2018, S. 21ff.).
4. Die Salutogenese in der Erziehung
Obgleich das Konzept der Salutogenese nicht für die Erziehung, sondern für die Ergründung der Gesundheit entwickelt wurde, soll hier untersucht werden, ob ein anderer Blickwinkel auf Erziehung funktioniert und welches Potential er in sich trägt.
In Kapitel 3.2. wurde die Erziehung von Helikopter-Eltern dargestellt und es lässt sich argumentieren, dass diese Art der Erziehung die pathogene Herangehensweise verkörpert, welche hier „pathogene Erziehung“ genannt wird. Bei der pathogenen Erziehung wird versucht, die Zöglinge vor Leid zu schützen, beziehungsweise Unwohlsein von ihnen fernzuhalten. So wie die Pathogenese stets den Ursprung von Krankheit sucht und diese zu vermeiden oder zu schmälern ersucht, versucht eine pathogene Erziehung, die Zöglinge vor Leid und Unwohlsein zu schützen. Die pathogene Erziehung sucht also nicht nach möglichst befähigendem, fördernden, zur Selbstständigkeit führenden Dispositionen, sondern versucht deren Gegensatz zu identifizieren und zu bekämpfen oder zu beseitigen.
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