Selbst- und Fremddarstellung in der Yanomami Kultur Lizot und Chagnon – ein literarischer Vergleich


Hausarbeit (Hauptseminar), 2007

22 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Ethnographien und Autoethnographien – Selbst- und Fremddarstellung

3. Ethnographische Literatur über die im Amazonasgebiet beheimateten Yanomami
3.1 Chagnon: „Yanomamö - The Fierce People“
3.2 Kenneth Good - “Ich brach auf, um ein Volk im Urwald des Orinoco zu erforschen. Was ich fand, war eine ungewöhnliche Liebe“
3.3 Jacques Lizot: „Im Kreis der Feuer“
3.4 „Darkness in El Dorado: How Scientists and Journalists Devastated the Amazon“

4. Krieg und Aggression

5. Die Rolle und die Bedeutung des Schenkens
5.1 Die Handelsform bei den Yanomami
5.2 Durch Geschenke Gewalt inszenieren
5.3 Geschenke gegen sexuellen Gefälligkeiten

6. Schluss und Ausblick

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Der bekannte US-Anthropologe Napoleon A. Chagnon und der französische Anthropologe Lizot - Schüler von Claude Lévi Strauss, gelten als die beiden wichtigsten Autoren, die sich fast ausschließlich mit dem Leben und der Kultur der Yanomami beschäftigt haben.

In der vorliegenden Arbeit wird zunächst eine allgemeine Einführung gegeben, die das Mischgenre Autoethnographie darstellt. Selbst- und Fremddarstellung werden miteinander verknüpft. Die Erkundung der fremden Kultur verändert und verfremdet die Persönlichkeit des Autors und gibt ihm die Möglichkeit, seine eigene Kultur durch die fremde Brille zu erblicken.

Des Weiteren wird die ethnographische Literatur über die im Amazonasgebiet beheimateten Yanomami dargestellt, wobei der Schwerpunkt auf die Arbeiten von Chagnon und Lizot gesetzt wird. Die konträren Bilder der Kultur der Yanomami, die die beiden Ethnographen zeichnen, werden in den nachfolgenden Kapiteln behandelt.

Darüber hinaus wird im Kapitel 4 der Motiv des Krieges und der Aggression thematisiert, der der zentrale Themenkomplex bei der Chagnons Darstellung der Yanomami Kultur ist. Im Unterschied zu Lizot, der eine sexuell ausgeprägte Gesellschaft schildert, erklärt Chagnon die Aggression und die Gewalt zu den Leitmotiven seiner Arbeit.

Im fünften Kapitel wird das Thema der Gabe und die Rolle des Schenkens behandelt, wobei ich mich vor allem auf die ethnologische Arbeit von Marcel Mauss zum Thema der Gabe beziehe.

Abschließend sollen die kritischen Konzepte Tierneys zusammengefasst und in Verbindung mit den beiden Ethnographen Chagnon und Lizot gebracht werden.

2. Ethnographien und Autoethnographien – Selbst- und Fremddarstellung

Seit Mitte der 80-er Jahre wird die Autoethnographie innerhalb der englischsprachigen, vor allem amerikanischen Soziologie und Anthropologie verwendet. Der Begriff beinhaltet sowohl den Aspekt der Selbstbeobachtung als auch den der autobiographischen Ethnographie. Reed-Danahay ist der Meinung, dass jede Selbstbeobachtung autobiographische Ethnographie ist und umgekehrt[1]. Dies überträgt sie darüber hinaus auf das generelle Verhältnis von Ethnographie und Autobiographie.

Increasingly, ethnography is autobiographical and autobiography reflects cultural and social frames of reference.[2]

Im Unterschied zu den Ethnographen im 19. Jahrhundert, wo es üblich war, die Berichte von Mittelsmänner, wie Missionaren oder Kaufleuten auszuwerten, soll der moderne Ethnograph ein Teil von dem Leben, der von ihm erforschten Gesellschaft werden.[3] Um die fremde Kultur ‚aus dem Inneren’ zu sehen und beschreiben zu können, versucht er von dem fremden Beobachter und Forscher zum Freund und Vertrauter der Eingeborenen zu werden. Alle drei Autoren, die in dieser Arbeit behandelt werden, haben diesen Ziel teilweise erreicht und sind im Nachhinein ein Teil von dem Dschungel, von dem Yanomami Leben geworden.

Die Erfahrung, die der Ethnograph gewinnt, während er das Fremde erkundigt, verhilft ihm sein eigenes Selbst aus einer anderen, einer Außenperspektive zu betrachten. Dadurch bekommt er ein objektiveres Bild von seiner eigenen Kultur. Seine Sicht ist verändert und er betrachtet seine eigene Kultur aus dem fremden Blickwinkel. Auf diese Weise wird er selbst zu einem Autoethnograph. In seiner ethnographischen Arbeit zeigt er meistens nicht nur ein Portrait des Fremden. Er verknüpft vielmehr die Erkundung der fremden mit der Erkundung der eigenen Persönlichkeit.[4]

Die Autoethnographie trägt dazu bei, dass die Grenze zwischen Selbst- und Fremderkenntnis überschritten und aufgeweicht wird. Sie stellt „ein innovatives, hybrides, halb wissenschaftliches, halb literarisches Genre“ dar.[5]

Autoethnographie ist also ein Mischgenre, das den Schnittpunkt zwischen drei Schreibgenres darstellt:

„ (1) ‚native anthropology‘, in which people who were formerly the subjects of ethnography become the authors of studies of their own group; (2) ‚ethnic autobiography‘, personal narratives written by members of ethnic minority groups; and (3) ‚autobiographical ethnography,’ in which anthropologists interject personal experience into ethnographic writing.”[6]

In der folgenden Arbeit wird die dritte Art behandelt – die autobiographische Ethnographie. Das sind ethnographische Texte, die einerseits Fakten und Ereignisse aus dem Leben einer fremden Kultur darstellen. Andererseits berichten sie, ähnlich wie bei einem Roman, über ihren Autor, über seine Gefühle, über die neuen Situationen und Erfahrungen, die er während seiner Forschungsreise erlebt hat. Während man das Fremde erkundigt, verändert man sich selber und entfremdet man sich von der eigenen Kultur.

Autoethnographie liegt tatsächlich dann vor, wenn die Ethnographie und die Autobiographie bewusst einander nähert wird, um Fremd- und Selbsterkenntnis zu gewinnen. Wenn es zum Beispiel einem Ethnographen gelingt, tiefer in seine eigene Persönlichkeit, in sein Selbst durch die Erfahrung der fremden Kultur zu gelingen.

Jeder Ethnograph versucht einen möglichst authentischen Bericht über die von ihm untersuchte Kultur zu liefern. Trotzdem wird er unbewusst vom Verlauf des Feldaufenthaltes nachhaltig beeinflusst. Er geht in die fremde Kultur als Beobachter, als Forscher, der bestimmte Ziele und Erwartungen hat und vor allem Bestätigung für die von ihm gestellten Thesen sucht. Jeder Ethnograph hat sein individueller literarischer Stil, benutzt bestimmte rhetorische Mittel. „Nicht das Wesen der Beobachteten, sondern den Geist der Beobachter“ werden in den ethnographischen Texten widergespiegelt.[7] Er ist ein „Übersetzer zwischen den Kulturen“[8], ein Wanderer, der nirgendwo völlig fremd, aber auch nirgendwo richtig zu Hause ist.

Ich beziehe mich auf einen Vergleich, der Christian Häusler in seiner Lektüre macht. Er sieht die Ethnographie ähnlich einem Labyrinth, in dessen Zentrum das Verstehen der fremden Kultur steht, was seiner Ansicht nach das eigentliche Ziel jeder ethnographischen Forschung ist. Jeder Ethnograph geht anders mit den neuen Situationen um und beschreibt sie aus seiner eigenen Perspektive. Häusler glaubt, dass der Ethnograph sein Ziel nur dann erreicht hat, wenn sein Text dem Leser ermöglicht, den beschrittenen Weg vom Anfang der Reise bis ins „Zentrum des Labyrinths“ nachzuvollziehen.[9]

3. Ethnographische Literatur über die im Amazonasgebiet beheimateten Yanomami

Über die Yanomami (auch Yanomamö, Yanomam)[10], die das Grenzgebiet von Brasilien und Venezuela bevölkern, existiert eine so umfangreiche wissenschaftliche Literatur, dass sie nur schwer zu überblicken ist. Es wird jedoch kein klares Bild von den Yanomami-Indianern übermittelt, eher scheint das Gegenteil der Fall zu sein.

In folgender Arbeit werden vor allem die beiden wichtigsten Autoren behandelt, die sich fast ausschließlich mit den Yanomami beschäftigen - Napoleon A. Chagnon und Jacques Lizot. Sie kommen zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen bei der Charakterisierung der Kultur der Yanomami. Fasziniert Chagnon die Wildheit und Aggressivität, der sich die Yanomami oft so zügellos hinzugeben scheinen - sein bekanntestes Buch trägt den Untertitel "The Fierce People", gibt Lizot in seinem literarischen Bericht eher das Bild einer harmonischen, in sich selbst ruhenden Gesellschaft.

Die abweichende Darstellung der Yanomami Kultur tritt nicht zufällig auf. Sie wird von den bevorzugten Interessengebieten und Forschungszielen, sowie auch von den unterschiedlichen Bedingungen, unter denen die verschiedenen Ethnographen gearbeitet haben, beeinflusst und teilweise vorherbestimmt.

3.1 Chagnon: „Yanomamö - The Fierce People“

Der nordamerikanische Kulturanthropologe Napoleon A. Chagnon zählt zu den wenigen Ethnologen, die ihr ganzes wissenschaftliches Leben einer einzigen Kultur gewidmet haben. Er verbrachte 30 Jahre in unregelmäßigen Abständen bei den Yanomami Venezuelas.

Im Jahre 1964 als Doktorand der University of Michigan begann er seine erste fünfzehnmonatige Feldforschung bei den Bisaasi-teri. Die Bewohner dieses Dorfes stehen auch im Mittelpunkt seines Buches „Yanomamö – The Fierce People“, das die Ergebnisse seines Feldaufenthaltes von 1964-1966 repräsentiert. Chagnon glaubt, dass das Bisaasi-teri Dorf repräsentativ für die meisten Yanomami ist, da heute ungefähr 25 Prozent der Yanomami in dieser Gegend leben, bzw. früher dort gelebt haben. Während seines Aufenthalts konzentriert er sich vor allem auf die Kriegstätigkeit der Yanomami und wie sie ihre Geschichte bestimmt hat. Er gibt zu, dass er bewusst diese Perspektive gewählt hat, da er glaubt, dass der Krieg die Hauptbeschäftigung der Yanomami ist und ihr Leben sehr stark beeinflusst.[11] Sein Buch „Yanomamö – The Fierce People“ bleibt ein umstrittener Klassiker, das mittlerweile bereits in der vierten Auflage erschienen ist.

[...]


[1] Vgl. Reed-Danahay 1999:2

[2] Ders., Ebd., S.9

[3] Moser, Christian: „Autoethnographien. Identitätskonstruktionen im Spannungsfeld von Selbst- und Fremddarstellung“. In: AutoBioFiktion. Konstruierte Identitäten in Kunst, Literatur und Philosophie. 2006:118

[4] Ders., Ebd., S.119

[5] Ders., Ebd., S.110

[6] Reed-Danahay 1999:2

[7] Damman, Rüdiger, 1992: Die Entwicklung des inneren und des äußeren Auslands. In Kea(Nürnberg), Vol.4:21-38, S.22

[8] Häusler, Christian, 1997: Kopfgeburten - Die Ethnographie der Yanomami als literarisches Genre (Curupira, 4). S.18

[9] Häusler, Christian, 1997: Kopfgeburten - Die Ethnographie der Yanomami als literarisches Genre (Curupira, 4). S.15-16

[10] ins Deutsche übersetzt heißt Yanomami ‚Menschheit’

[11] Chagnon, Napoleon A.,1994: Die Yanomamö. Leben und Sterben der Indianer am Orinoko. S.11

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Selbst- und Fremddarstellung in der Yanomami Kultur Lizot und Chagnon – ein literarischer Vergleich
Hochschule
Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn
Note
2,0
Autor
Jahr
2007
Seiten
22
Katalognummer
V112690
ISBN (eBook)
9783640122400
ISBN (Buch)
9783640123810
Dateigröße
467 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Selbst-, Fremddarstellung, Yanomami, Kultur, Lizot, Chagnon, Vergleich
Arbeit zitieren
Milena Vasileva (Autor:in), 2007, Selbst- und Fremddarstellung in der Yanomami Kultur Lizot und Chagnon – ein literarischer Vergleich , München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/112690

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