Moralische Normen in der Gestalt von Handlungsgeboten und - verboten bzw. Unterlassungsgeboten bestimmen unseren Alltag, zum Teil in der Gestalt internalisierter Normen, die unbewußt angewendet werden, aber auch in der Ge¬stalt fester, fixierter Normensysteme.
Als William James zum Ende des 19. Jh. seine Philosophie des Pragmatismus der Öffentlichkeit vorstellte, löste er damit einen philosophischen Streit aus. Ein zentraler Punkt der ihm gegenüber geäußerten Kritik bezog sich auf die aus der pragmatischen Auffassung angeblich resultierenden Auffassungen von Moral. Insbesondere James' .Wahrheitsbegriff" wurde unter diesem Aspekt scharf kriti¬siert. Ihm wurde vorgeworfen, eine Art moralische Willkür zu proklamieren und im Sinne eines vulgären Utilitarismus Wahrheit mit Nützlichkeit gleichzusetzen. Ziel dieser Arbeit ist es, den pragmatische Philosophie von William James auf die darin enthaltenen Bezüge zu moralischen Wertesystemen zu untersuchen und festzustellen, inwieweit diese Vorwürfe zutreffen. Im ersten Teil sollen zu¬nächst die zentralen Begriffe von William James' Pragmatismus, die pragmatische Methode und der pragmatischen Wahrheitsbegriff, sowie die daraus resultieren¬den Probleme erläutert werden. Im zweiten Teil soll dann gezeigt werden, wie Ja¬mes' Pragmatismus sich gegenüber moralischen Wertesystemen verhält. Es soll sowohl dargestellt werden, inwieweit die Theorie des Pragmatismus selbst im Bezug auf moralischer Normen auszulegen ist, als auch, auf welche Weise James selbst explizit zu diesem Themenkomplex Stellung bezogen hat.
Die wesentliche Grundlage dieser Arbeit bilden die deutschen Übersetzungen zum einen der Texte seiner acht Vorlesungen über den Pragmatismus, die im Jahr 1907 unter dem Titel „A New Name for Some Old Ways of Thin¬king" erstmals als Buch erschienen und zum anderen seines Essays „The Will to Believe" von 1897. Die genauen Angaben zu beiden Übersetzungen, sowie die ergänzend verwendete Sekundärliteratur, sind in der Literaturliste vermerkt.
Inhalt:
Einleitung
1 Der Begriff der ethischen Norm
2 Grundzüge des Pragmatismus
2.1. Die pragmatische Methode
2.2 Der Wahrheitsbegriff
2.3. James' Theorie der Meinungsbildung
3 Feststellung und Bewertung ethischer Normen im Pragmatismus von William James
3.1. James' Position
3.2 Der freie Wille
4 Fazit
5 Literaturverzeichnis
Einleitung
Moralische Normen in der Gestalt von Handlungsgeboten und - verboten bzw. Unterlassungsgeboten bestimmen unseren Alltag, zum Teil in der Gestalt internalisierter Normen, die unbewußt angewendet werden, aber auch in der Gestalt fester, fixierter Normensysteme.
Als William James zum Ende des 19. Jh. seine Philosophie des Pragmatismus der Öffentlichkeit vorstellte, löste er damit einen philosophischen Streit aus. Ein zentraler Punkt der ihm gegenüber geäußerten Kritik bezog sich auf die aus der pragmatischen Auffassung angeblich resultierenden Auffassungen von Moral. Insbesondere James' .Wahrheitsbegriff" wurde unter diesem Aspekt scharf kritisiert. Ihm wurde vorgeworfen, eine Art moralische Willkür zu proklamieren und im Sinne eines vulgären Utilitarismus Wahrheit mit Nützlichkeit gleichzusetzen. Ziel dieser Arbeit ist es, den pragmatische Philosophie von William James auf die darin enthaltenen Bezüge zu moralischen Wertesystemen zu untersuchen und festzustellen, inwieweit diese Vorwürfe zutreffen. Im ersten Teil sollen zunächst die zentralen Begriffe von William James' Pragmatismus, die pragmatische Methode und der pragmatischen Wahrheitsbegriff, sowie die daraus resultierenden Probleme erläutert werden. Im zweiten Teil soll dann gezeigt werden, wie James' Pragmatismus sich gegenüber moralischen Wertesystemen verhält. Es soll sowohl dargestellt werden, inwieweit die Theorie des Pragmatismus selbst im Bezug auf moralischer Normen auszulegen ist, als auch, auf welche Weise James selbst explizit zu diesem Themenkomplex Stellung bezogen hat.
Die wesentliche Grundlage dieser Arbeit bilden die deutschen Übersetzungen zum einen der Texte seiner acht Vorlesungen über den Pragmatismus, die im Jahr 1907 unter dem Titel „A New Name for Some Old Ways of Thinking" erstmals als Buch erschienen und zum anderen seines Essays „The Will to Believe" von 1897. Die genauen Angaben zu beiden Übersetzungen, sowie die ergänzend verwendete Sekundärliteratur, sind in der Literaturliste vermerkt
1 Der Begriff der ethischen Norm
Der Begriff der ethischen Norm ist gleichbedeutend mit dem Begriff der sittlichen oder auch moralischen Norm.[1] Ethische Normen, oder auch moralische Normen, sind Normen und Werte, die durch gemeinsame Anerkennung verbindlich gesetzt worden sind und in Form von Geboten und Verboten an die Handelnden appellieren. Den sich daraus ergebenden allgemein verbindlichen Handlungsmustern wird normative Geltung zugesprochen. Der Begriff der Moral ist ein Begriff unter dem verschiedene Gegebenheiten und Tätigkeiten zu einem Sinnganzen, einer Ordnung, zusammengefaßt werden. Moralische Normen implizieren dabei eine Wertigkeit oder Qualität einer Handlung welche über die bloße Kenntnisnahme der Norm hinausgeht, durch ihre bloße Existenz. Der Begriff der Moral ist rückgebunden an eine Wertigkeit, einen Maßstab, welcher rechtfertigt, welche Handlung warum vorzuziehen ist, welche Handlung moralisch ist und welche nicht. Dieser Maßstab wird allgemein als Moralität bezeichnet.[2]
Die Voraussetzung für moralisches Handeln ist das Vorhandensein von Freiheit.[3] Wo immer menschliches Handeln mit einem Anspruch auf Moralität auftritt, wird behauptet, unbedingt gut gehandelt zu haben und handeln zu wollen. Unbedingt gut kann aber nur eine Handlung sein, die sowohl aus Freiheit geschieht als auch Freiheit zum Ziel hat. Als die Voraussetzung dafür, das moralisches Handeln beurteilt werden kann, wird vorausgesetzt, das der Handelnde nach eigenem Ermessen gehandelt hat, und nicht etwa unter Zwang. Entscheidend dafür, das die Moralität einer Handlung beurteilt werden kann, ist also der freie Wille. Der Maßstab der Moralität weiß sich einem unbedingten Prinzip verpflichtet, dem „Guten," während das ,'Schlechte" als Negation des Guten vermieden werden soll. Gut bedeutet in diesem Zusammenhang nicht in instrumentellen Sinne gut, also gut im Sinne von nützlich für etwas, sondern gut an sich.[4]
Über die Bedeutung von „gut" und „schlecht" gibt es unterschiedliche Ansichten. So geht Kant beispielsweise davon aus, das der menschliche Wille das Einzige ist, was an sich gut sein kann, und somit entscheidet der „gute Wille" über eine Handlung. Die utilitaristische Ethik geht dagegen davon aus, das das Gute gleichbedeutend ist mit Glück, Nutzen für das Individuum. Wie William James'Pragmatismus auf die Frage der objektiven Feststellung moralischer Normen in einer Gesellschaft, sowie auf den Aspekt der Wertigkeit, der Begründung einer „guten" und „schlechten" Handlung antwortet, soll nun im weiteren gezeigt werden. Da James allgemein den Begriff der moralischen Norm verwendet, werde auch ich diesen Begriff verwenden.
2 Grundzüge des Pragmatismus
2.1. Die pragmatische Methode
Der Pragmatismus ist für James eine Methode aber auch eine Theorie des Handelns und der Wahrnehmung. Die pragmatische Methode bildet den Grundsatz der pragmatischen Philosophie von William James. Nach ihr lassen sich auch philosophische Probleme lösen, welche sonst endlos wären.
James geht explizit davon aus, das alle Menschen, wenn auch unwissentlich die pragmatische Methode befolgen. Er formuliert die pragmatische Methode in Anlehnung an die Maxime von Charles Sanders Pierce, auf welche er sich zu Beginn der zweiten Pragmatismus - Vorlesung bezieht: „Pierce weist darauf hin, das unsere Überzeugungen tatsächlich Regeln für unser Handeln sind, und sagt dann, das wir, um den Sinn eines Gedankens herauszubekommen, nichts anderes tun müssen, als die Handlungsweise bestimmen, die dieser Gedanke hervorzurufen geeignet ist. Die Handlungsweise ist für uns die ganze Bedeutung des Gedankens."[5] Daraufhin charakterisiert James den Pragmatismus zunächst als eine Methode, welche darin besteht, entgegengesetzte Urteile oder Ansichten durch den Vergleich der daraus resultierenden praktischen Konsequenzen zu interpretieren: „Um also vollkommene Klarheit in unsere Gedanken über einen Gegenstand zu bringen, müssen wir nur erwägen, welche praktischen Wirkungen der Gegenstand in sich enthält, was für Wahrnehmungen wir zu erwarten und was für Reaktionen wir vorzubereiten haben. Unsere Vorstellungen von diesen Wirkungen, mögen sie nun unmittelbare oder mittelbare sein, macht dann für uns die ganze Vorstellung des Gegenstandes aus, insofern diese Vorstellung überhaupt eine positive Bedeutung hat."[6]
Aus der Neuformulierung ergeben sich zwei Unterschiede und eine Erweiterung zur Pierceschen Maxime. Zum einen werden Aussagen nur auf reale Erfahrungen zurückgeführt. Der zweite Unterschied ist, das sich die Erfahrungen als partikulare Einzelerfahrungen deuten lassen. Die Erweiterung besteht darin, das die pragmatische Methode bei James auf alle Gegenstände anwendbar ist. Er wendet sie auf alle Theorien und Fragen an, die ihm relevant erscheinen. James universalisiert also den Pragmatismus.[7] Der Gegenstand der Betrachtung kann hierbei sowohl körperlich als auch abstrakt sein. Bei den maßgeblichen Wirkungen handelt es sich um die denkbare Wirkungen des Gegenstandes, d.h., sie müssen nicht wirklich eingetreten sein. Praktische Wirkungen bedeutet typischerweise Handlungen, praktisch ist aber hier in einem weiteren Sinne zu verstehen, d.h. Wirkungen praktischer Art bedeutet Handlungen und Sinnesempfindungen. Auch mittelbare Handlungen, Handlungen, welche erst durch weitere Denk - und Handlungsschritte vermittelt werden, sind zu berücksichtigen.[8] Der Begriff des Ausdruckes, seine Bedeutung, liegt in den wahrnehmbaren und denkbaren Wirkungen. Ein Begriff ohne Wirkung hat keine Bedeutung.[9] Eine andere als diese praktische Bedeutung gibt es bei James nicht. Bloße theoretische oder logische Gedankenexperimente sind für ihn bedeutungslos, da nur theoretisch erfassbar und bloße Spekulation.[10] Dies ist der Grundgedanke des Pragmatismus, der das Denken final orientiert auffasst.
James nennt als Bespiel eine Auseinandersetzung in der Chemie. Es geht darum, das ein Disput darüber besteht, wie der betreffende chemische Stoff zusammengesetzt ist.[11] Zeigt sich in einem Experiment, d.h. in der Praxis, kein Unterschied, so ist die Unterscheidung auch sinnlos. James schließt Erfahrung und Bedeutung zusammen. Diese Bedeutung ist da abhängig von der Erfahrung, nur bis zu einer partikularen Konsequenz nachvollzogen werden und ist jederzeit revidierbar. So ist jede Hypothese, jede wissenschaftliche Theorie rückgebunden an die Erfahrung und damit jederzeit revidierbar. Er selbst bezeichnet seine Auffassung dann auch als empiristisch.[12] Alles Wissen um die Bedeutung eines Gegenstands leitet sich aus der Erfahrung her. Die gemachten Erfahrungen sind jeweils rückgebunden an den Erfahrungsstrom, das menschliche Bewusstsein, welches als Kontinuum erfahren wird.[13]
Philosophische Begriffe und generell alle Begriffe sind nur gültig, wenn sie an Erfahrbares gekoppelt sind. Ein Wort an sich ist für James vollkommen inhaltsleer. Die Bedeutung eines Wortes erschließt sich nicht durch selbiges, sondern das Wort ist vielmehr eine Etikettierung, unter welche verschiedene Sinneserfahrungen subsumiert werden.[14] In der dritten Vorlesung begründet James diese Auffassung anschaulich am Begriff der „Substanz.[15] " Als Beispiel nimmt er ein Stück Tafelkreide. Die allgemein gängige Vorstellung sei, das der Kalk die Substanz, das Wesen dieses Gegenstandes ausmacht, da die dazugehörigen Attribute: Weiße, Sprödigkeit, Unlösbarkeit in Wasser, der genannten Substanz inhärieren. Nun führt James an, das alles, was wir vom Kalk wissen, seine Attribute betrifft. Das Wort „Kalk" an sich ist für ihn absolut inhaltsleer. Würden wir nicht über das Wort Kalk die Verbindung zu den gemachten Erfahrungen herstellen, könnten wir mit ihm nichts anfangen.
Im Zusammenhang mit der Anwendung der pragmatischen Methode ergeben sich einige Probleme. Problematisch ist, das die so gemachten Erfahrungen sind nicht ohne weiteres intersubjektiv gültig sind. Diese Erfahrung ist zu einem gewissen gerade subjektiv, da alte und neue Erfahrungen einander beeinflussen.[16] Außerdem ist der Mensch in seinem Wesen auch immer durch persönliche Neigungen beeinflußt. James spricht in der ersten Vorlesung auch von unterschiedlichen menschlichen Temperamenten.[17] Zudem ist es ein Problem, dass man nach der Jamesschen Methode die Bedeutung eines Gegenstandes über die vorgestellten Wirkungen desselben erschließt. Diese vorgestellten Wirkungen sind eben nur die angenommenen Wirkungen, welche zwar rückgebunden an den Erfahrungsstrom, also an die zuvor gemachten Erfahrungen sind, jedoch in gewisser Weise spekulativer Natur sind.
[...]
[1] Pieper, Annemarie: Einführung in die Ethik, Tübingen/Basel 2000, S.27.
[2] ebd., S.27.
[3] Pieper, Annemarie: Einführung in die Ethik, Tübingen/Basel 2000, S.164/165.
[4] Pieper, Annemarie: Einführung in die Ethik, Tübingen/Basel 2000, S.26, S.171 – 172.
[5] James, William: Der Pragmatismus, Hamburg 1977, S.28.
[6] James, William: Der Pragmatismus, Hamburg 1977, S.29.
[7] Diaz – Bone, Rainer/Schubert, Klaus: William James zur Einführung, Hamburg 1996, S.70.
[8] Hingst, Karl – Michael: James Transformation der Pragmatischen Maxime von Pierce, in: James, William, Pragmatismus, Berlin 2000, S.36.
[9] James, William: Der Pragmatismus, Hamburg 1977, S.30.
[10] James, William: Der Pragmatismus, Hamburg 1977, S.30.
[11] ebd., S.29 – 30.
[12] ebd., S.32.
[13] Pape, Helmut: Die Begründungslogik des Pragmatismus, In: Höffe, Ottfried (hrsg.): Pragmatismus, Berlin 2000, S.243 – 244.
[14] James, William: Der Pragmatismus, Hamburg 1977, S.169.
[15] ebd., S.52 – 53.
[16] James, William, Der Pragmatismus, Hamburg 1977, S.37 – 41.
[17] ebd., S.3 – 8.
- Arbeit zitieren
- Simon Muss (Autor:in), 2002, Hoffnung statt Erkenntnis? Das Problem der ethischen Normen im Pragmatismus von William James, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/112722
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